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Demon Girls & Boys

von

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Wiedersehen macht Freude

  Wiedersehen macht Freude

 

 

 

Gelangweilt saß Laura im Chemie Unterricht und kritzelte eine Mangafigur nach der anderen in ihren Block. Auf Aufpassen hatte sie keine Lust, dazu war der Unterricht zu uninteressant. Nebenbei war das alles sowieso nur Wiederholung.

Frau Reklöv sprach seelenruhig vor sich hin. „So und was die Säure betrifft… Würden Sie meine Worte bitte wiederholen, Miss Lenz?“

Laura schreckte hoch und verbarg ihre Kritzeleien unter ihrem Heft. „Ähm… Also… Die Säure ist… äh… tödlich?“

„Es wäre sinnvoller, Sie würden sich auf Ihre Arbeit konzentrieren, als sich Ihrer… Kunst… zu widmen.“, sagte Frau Reklöv und die Klasse begann zu lachen.

Laura seufzte. In ihrer alten Schule waren die Lehrer nicht so aufmerksam. Da konnten die Mädchen mit ihren Handys in sozialen Netzwerken chatten, die Jungs weiß Gott was machen und sie hatte noch ungestört zeichnen können.

„Das kommt davon.“, flüsterte Anne ihr schadenfroh zu. Sie und Laura waren nicht gerade die besten Freunde, obwohl sie sich durch ihre Eltern bereits vom Sehen kannten.

„Jetzt sei doch nicht direkt so fies.“, mischte sich Ariane ein, die auch nicht wirklich aufmerksam war.

Lissi drehte sich um. Da sie die Wette gegen Ariane verloren hatte, musste sie in der ersten Reihe sitzen, aber sie passte noch weniger auf, als Laura es tat. „Ihr Süßen, ihr habt ja Probleme. Denkt doch mal an das eigentlich Wichtige! Heute Abend kommt doch dieser neue Schüler!“

„Stimmt, eigentlich seltsam. Ungefähr zwei Wochen nach dem Schulbeginn. Warum denn?“, fragte Ariane.

Frau Reklöv warf der Gruppe einen warnenden Blick zu, aber die ganze Klasse schien nicht wirklich bei der Sache zu sein. Alles drehte sich um den neuen Schüler, der in eine der Magierklassen der ersten Stufe kam.

Frau Reklöv seufzte. „Ich werde eure Aufmerksamkeit für die letzten zehn Minuten wohl nicht mehr gewinnen können. Nun gut, bis die Stunde vorbei ist, könnt ihr euch frei beschäftigen.“

Ein Jubel brach unter den Schülern aus, der sich schnell in Gruppengespräche verwandelte.

Lissi quasselte sofort los. „Ich bin echt gespannt, wie der aussieht. Hoffentlich ist er hübsch. Was er wohl für einen Körperbau hat?“

„Boah ey, Lissi! Das ist doch völlig egal. Hoffentlich ist er nett!“, meinte Ariane genervt.

„Na ich hab da so meine Bedenken. Der ist ein Junge und der Direktor hat ihn auch noch aus irgend so ner Schrottschule aufgegabelt. Der ist garantiert nicht nett.“, widersprach Anne und stützte ihr Kinn mit der Hand ab.

„Ich wette, dass er nett ist!“, sagte Ariane energisch.

„Genau, Anni-Banani! Abgesehen davon, was hast du denn gegen Jungs?“ Lissi setzte sich aufrecht hin, überschlug die Beine und winkte lächelnd zu einem Jungen rüber, der mit seinen Kumpels über ein Handy gebeugt war und kurz zurücklächelte.

„Das sind Arschlöcher! Jungs sind doch alle gleich!“ Anne blitzte mürrisch zu dem Jungen, der wieder über das Handy gebeugt war.

„Deine Sache.“, entgegnete Ariane. „Ich wette trotzdem, dass dieser Neue nett ist.“

„Na schön, um was?“, fragte Anne, von Ariane provoziert.

Ariane überlegte. „Wie wär’s mit…hm… der Verlierer-“

„Muss den Jungen küssen!“, platzte Lissi dazwischen.

„Nein.“, zischte Anne sie an.

„Warum nicht? Ich find die Idee gut.“ Lissi setzte ihre Unschuldsmiene auf.

„Wir aber nicht. Hm… obwohl… Anne küsst einen Jungen… Doch, ich bin dafür. Aber nicht auf den Mund, das ist bescheuert! Auf die Backe.“

„Du bist dir ganz schön siegessicher, oder?“ Anne schnaubte genervt. „Na gut, die Wette gilt.“

Laura verdrehte die Augen. Sie hatte wirklich andere Probleme. Seit zwei Wochen war sie nun auf dieser Schule, hatte endlich Benni wieder getroffen. Und er ging ihr immer noch aus dem Weg! Also jedenfalls sah sie ihn nur sehr selten. Die letzten vier Monate würde er sie doch noch ertragen können, oder? Laura seufzte.

„Was hast du?“, fragte Ariane neugierig.

„Nichts. Es ist nur… Keine Ahnung…“

Die Klingel, ein sanfter Glockenton, wies darauf hin, dass die Stunde zu Ende war. Gemeinsam gingen die vier Mädchen in die Cafeteria, warteten mit dem Essen aber auf Susanne, Öznur und Janine, die gemeinsam in einer Magierklasse waren, während Laura, Ariane, Lissi und Anne dieselbe Kampfkünstlerklasse besuchten.

Endlich beim Essen, war das Hauptthema natürlich der neue Schüler.

„Ich frag mich, wie der wohl so ist.“, überlegte Öznur.

Ariane grinste. „Entweder er ist bescheuert, das würde dann Anne zu Gunsten kommen, oder er ist nett und ich hätte gewonnen.“

„Wettest du wieder?“ Susanne schien alles andere als überrascht.

„Yo, der Verlierer muss dem Neuen einen Kuss auf die Backe geben.“, antwortete Ariane.

„Wie einfallslos.“, sagte Öznur knapp.

„Kann sein, es war Lissis Idee. Wobei die wohl etwas mehr verlangt hatte. Und ich wollte Anne nur etwas ärgern.“ Ariane grinste.

Laura seufzte. „Du bist echt ganz schön siegessicher.“

„Ich hab noch nie eine Wette verloren und das wird auch nie passieren.“, entgegnete Ariane lachend.

Hektisch zuckte Laura zusammen.

„Was ist denn los?“, fragte Ariane, doch die Antwort wurde ihr abgenommen.

„Ähm… Hi.“, begrüßte Laura Benni, der wie aus dem Nichts erschienen war. Niemand hatte auf die Schüler im Umkreis geachtet, so vertieft waren sie in ihr Gespräch gewesen.

„Wie kommen wir zu der Ehre, dass der Schulsprecher persönlich uns einen Besuch abstattet?“ Garantiert hatte Öznur mit ihm geflirtet. Der Blick sagte schon alles.

Wenn die wüssten…, dachte Laura wütend. Eigentlich war sie auch nur etwas neidisch auf Öznurs lockere Art.

„Die Direktorin hat mich geschickt. Ihr sollt dem neuen Schüler die Schule zeigen.“, antwortete Benni und hielt sich wie immer kurz.

„Wirklich? In Ordnung, das ist kein Problem.“ Susanne lächelte ihm kurz zu, aber es war nicht flirtend, wie Öznurs, sondern das typische freundliche, hilfsbereite Lächeln, weshalb Laura Susanne so schnell ins Herz geschlossen hatte.

„Gut, um Sieben beim Eingangstor.“, sagte Benni noch und ging wieder.

„Na toll, jetzt sollen wir Neuschülersitten.“ Anne schnaubte.

„Ist doch gut so, so haben wir immerhin die Sache mit der Wette schnell geklärt.“ Ariane war sichtlich gut gelaunt. Sie konnte den Abend kaum mehr abwarten.

„Ihr Süßen, ihr wisst schon, dass wir eben mit dem Schulsprecher, dem eiskalten Engel, meinem Bennlèy gesprochen haben?“, quietschte Lissi.

„Mach nicht aus ner Mücke nen Elefanten.“ Anne schüttelte den Kopf.

„Abgesehen davon, hab ich noch nie mit jemandem zuvor ein so kurzes Gespräch geführt. Ich bin ja auch kein Fan von Smalltalkt, aber das waren höchstens fünfzehn Sekunden!“, schaltete sich auch Ariane ein.

„Nicht jeder ist ein Mensch vieler Worte…“ Irritiert musterten die Mädchen Janine. Sie war eher eine Mitläuferin. Mehr als eine schüchterne Begrüßung bekam man von ihr selten zu hören. Sie war auch nur durch Susanne überhaupt bei den Mädchen, da sich diese von Anfang an sehr gut mit ihr verstand.

„Ninie! Dich gibt’s ja auch noch!“, rief Ariane begeistert. Sie war der zweite Grund, warum Janine unbedingt in der Gruppe bleiben musste. Ariane sah Janine als ‚kleines, wehrloses Schwesterchen, was man unbedingt beschützen… oh und natürlich knuddeln muss‘, wie sie sie mal Laura beschrieben hatte.

Susanne gab Janine Recht. „Stimmt, nicht jeder ist für Smalltalk zu haben. Oder Flirts.“ Dabei lächelte sie Öznur kurz schulterzuckend an und warf sie Lissi einen warnenden Blick zu.

Öznur seufzte. „Ein Versuch war es wert. Ich hatte mir auch nicht wirklich was erhofft.“

„Och Özi-dösi, so jemand passt auch nicht zu dir. Viel zu ernst.“, meinte Lissi.

„Aber zu dir passt er natürlich wie angegossen, oder wie?“, blaffte Anne.

„Eifersüchtig?“ Lissi lächelte ihr Hollywood Lächeln.

„Ich? Nie im Leben.“, entgegnete Anne schroff.

Ariane blickte von ihrem Teller auf. „Hey Leute, wie wär’s, wenn ihr mal anfangt zu essen? In fünfzehn Minuten geht der Unterricht wieder los. Ich kann euch auch gerne um euren Nachtisch erleichtern.“

„Mein Schokopudding? Da kannst du lange warten!“, fauchte Laura scherzhaft.

 

Die beiden Japanisch Stunden gingen wie im Flug vorbei. Immerhin war das ein Fach, für das sich Laura interessierte und was sie recht gut konnte, da Japanisch ihre Muttersprache war. Wobei sie mit den chinesischen Schriftzeichen so ihre Schwierigkeiten hatte.

Auch die beiden Freistunden waren schnell um.

Während Anne sie immerhin sinnvoll zum trainieren genutzt hatte, war Lissi spurlos mit einem Klassenkameraden verschwunden und Laura und Ariane liefen entweder tatenlos auf dem Schulgelände herum oder hatten ihren Spaß dabei, Öznur, Susanne und Janine während des Unterrichts zu beobachten und sich über irgendwelche belanglosen Sachen zu unterhalten.

Schließlich traf sie sich am Ende der Pause mit Anne, damit sie gemeinsam in den Karate-Kurs gehen konnten. Wo die übrigen Mädchen waren, hatte Laura wieder vergessen. Die Sportkurse waren jeden Nachmittag unterschiedlich und insgesamt hatten sie sechs Mal die Woche Sportunterricht.

Der einzige Vorteil daran war, dass die drei Stufen gemeinsam Sport hatten, wenn auch mehr oder weniger immer noch getrennt. So kam es, dass Laura und Benni rein zufällig zwei Mal in demselben Sportkurs waren. So wie heute.

Seufzend schielte sie zu den Schwarzgurten rüber. Sie fühlte sich mit ihrem orangenen dadurch nur noch schwächer. Der Unterricht wurde durch die Farben der Gurte getrennt. Während Laura beinahe zu den Anfängern zählte, war Benni bei den erfahrensten Profis, die nur auf eine Aufgabe warten mussten. Aber Laura wunderte das nicht. Wenn er schon Kämpfen lernte, seit er seine ersten Schritte ging, war es kein Wunder, dass er auch ohne die Coeur-Academy der ‚stärkste Kämpfer Damons’ war.

Auch auf Anne konnte sie in diesem Unterricht nicht zählen. Während Laura ganz einfache Kattas ausführen musste, sahen die Bewegungen der höheren Gurte viel kraftvoller aus. So auch die der Braungurte, zu denen Anne gehörte.

Laura war froh, dass die Stunde endlich vorbei war. Noch länger hätte sie es nicht geschafft, ohne einen Hauch von Neid die anderen zu beobachten. Sie schien für das Kämpfen einfach nicht geboren zu sein. Wobei die wenigen Menschen, die Fähigkeiten für eine unmenschliche Körperkraft, Geschwindigkeit und Körperbeherrschung normalerweise wahre Krieger waren. Aber ihre Schusseligkeit schien ihre Fähigkeiten wohl auszugleichen.

 

Anne wartete am Ausgang der Turnhalle bereits auf sie.

„Ernsthaft, wie kann man nur so langsam sein? Du bist mal wieder die Letzte beim Umziehen!“, beschwerte sie sich.

„Nicht ganz. Da war noch so ein Zicken-Quartett, das mehr mit lästern als umziehen beschäftigt war.“, widersprach Laura und schlüpfte in ihr schwarzes Jackett, welches sie in der Eile nur schnell geschnappt hatte. Anne hatte einfach keine Geduld. Vielleicht lag es wirklich daran, dass sie adlig war und alles, was sie haben wollte sofort und ohne wenn und aber gebracht bekommen hatte?

„Also wie war das? Um Sieben hatte der gesagt. Also können wir noch essen.“, meinte Anne und machte sich auf den Weg zur Mensa, ohne sich überhaupt nur ein Mal umzudrehen und zu schauen, ob Laura mitkam.

Doch natürlich folgte Laura ihr, wenn auch mit einem kleinen Sicherheitsabstand.

Wie immer, hörte man das Tellergeklapper und Stimmengewirr in der Mensa schon auf dem großen Platz, dessen Schnee immer noch sein strahlendes Weiß hatte. Aber in der Mensa selbst war es nie zu laut.

So wie Laura es erwartet hatte, saßen die übrigen Mädchen der Gruppe schon an einem Tisch über das leckere Essen gebeugt, welches von den kleinen Elfen ausgetragen wurde.

Nur Ariane stritt mal wieder mit einer der Elfen. Dieses Mal ging es um einen Nachschlag bei der Salami. Schließlich endete es unentschieden und Ariane bekam, gerade als Laura sich setzte, die harte Salami auf den Kopf gedonnert.

Öznur lachte. „Die Elfen scheinen dich ja sehr zu mögen.“

„Eigentlich komisch… Wir können uns doch immer so viel nehmen, wie wir wollen. Immerhin bezahlen unsere Eltern auch ganz schön viel Schulgeld.“, überlegte Anne, die natürlich schon über ihr Essen gebeugt war.

„Nane nicht. Die Elfen können sie aus irgendeinem Grund nicht ausstehen.“, meinte Susanne nachdenklich.

„Höchst wahrscheinlich sind sie neidisch, weil ich eine viel bessere Figur als sie habe.“ Ariane grinste und fummelte kleine Stückchen der weißen Schale aus ihren Haaren.

„Oh Gott, Nane. Du klingst schon fast so wie Lissi.“, stellte Öznur schockiert fest.

„So ein Unsinn. Und abgesehen davon, müssten sie dann auf uns alle neidisch sein. Okay, außer auf Lauch.“, schaltete sich Lissi ein und richtete einen ihrer schwarzen Zöpfchen.

Laura fauchte. „Jetzt fang nicht wieder damit an! Außerdem bin ich gar nicht so…“

„Flach? Wie ein Brett, Süße.“

Am liebsten hätte Laura Lissi den Hals umgedreht. Aber so stark schien sie sich darüber nicht aufzuregen. Immerhin spürte sie noch nicht diese zerstörerische finstere Kraft in ihr aufbrodeln.

Laura konnte nicht einschätzen, wie lange sie in der Mensa saßen. Als sie schließlich aufstanden, war nahezu eine Stunde vergangen.

„Oh, wir sollten uns vielleicht langsam mal auf den Weg machen.“, bemerkte Ariane.

„Ernsthaft, ich find das so was von bescheuert! Warum müssen ausgerechnet wir uns um den Neuen kümmern? Würden nicht die aus der Magierklasse reichen?“ Mal wieder musste sich Anne darüber beschweren. Das war nun schon das wievielte Mal?

„Ein paar Kontakte zu Jungs würden dir nicht schaden.“, entgegnete Öznur. Laura fragte sich, wie die beiden so gut befreundet sein konnten. Sie waren komplett verschieden und verstanden sich trotzdem.

„Ich will mit solchen Idioten nichts zu tun haben.“, zischte Anne.

„Banani, mit dieser Einstellung bekommst du nie einen Freund. Oder stehst du auf Frauen?“ Lissi legte den Kopf schief und klimperte mit ihren langen, schwarzen Wimpern.

„Was?!? Wie kommst du denn auf so einen Schwachsinn!?! Jetzt hör mir gut zu, wenn du nicht die Klappe halten kannst, sorg ich persönlich dafür!“ Ein seltsames Zucken ging durch Annes Hände und… bildete sich Laura das nur ein, oder waren ihre Fäuste von Staub umgeben? Kleine gelbbraune Staubkörner schienen wie ein Sturm um sie zu kreisen und ein leichtes Schwindeln überkam Laura.

„Anne, beruhige dich. Lissi hat doch nur Spaß gemacht.“, meinte Susanne und legte eine Hand auf Annes Schulter. Auch sie schien leicht benommen.

Wieder zischte Anne, stieß Susannes Hand weg und stapfte Richtung Eingangstor.

Ariane rieb sich die Schläfen. „Was für eine mörderische Ausstrahlung.“

Janine und Susanne tauschten kurze Blicke aus und folgten Anne schließlich. Auch die übrigen Mädchen machten sich auf den Weg.

 

Gemeinsam mit den Vertrauensschülern stießen sie zu der übrigen Gruppe der Wartenden.

Wie sonst auch, fiel Lauras Blick als erstes auf den abseits stehenden Jungen.

Benni erwiderte kurz ihren Blick und Laura stockte sofort der Atem. Sie musste Lissi schon Recht geben. Sexy war er.

Ariane stieß ihr den Ellebogen in die Rippen. „Nicht so deutlich.“, flüsterte sie ihr zu.

Laura schnaubte. Als hätte Benni es nicht schon längst bemerkt. Wobei es ihr lieber wäre, er würde diesen Scharfsinn nicht haben. Abgesehen davon sahen auch die übrigen Mädchen zu ihm rüber. Alle, außer Anne, die energisch in die andere Richtung starrte.

Schließlich richtete sich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf das sich gerade öffnende Tor.

Ein wahrer Riese trat ein. Er hatte rosarote Haare, trug einen schwarzen Mantel und hatte ein kesses Grinsen auf dem Gesicht. So alt sah er für einen Direktor nicht aus. Höchstens vierzig. Und so streng auch nicht. Er schien das genaue Gegenteil von dem Direktor, den sich Laura für die Coeur-Academy vorgestellt hatte.

Gespannt lauschte Laura Ariane, die sich zu Susanne rüberbeugte.

„Sag mal, wie groß ist der denn?“, fragte sie sie im Flüsterton.

„Genau zwei Meter, glaube ich.“, antwortete Susanne, genauso leise.

„Krass…“, kam es, erstaunlicher Weise, von Annes Seite.

Ariane grinste. „So, jetzt kommt die Stunde der Wahrheit.“

Alle musterten den Jungen, der neben dem Direktor stand und sich leicht zögernd und verunsichert umsah. Lauras Herzschlag setzte aus. War es tatsächlich möglich?

Sie erkannte die etwas längeren pechschwarzen Haare und die magischen lila Augen sofort und doch fiel es ihr schwer zu realisieren, dass da allen Ernstes ihr bester Freund aus Kindheitstagen stand.

Tränen sammelten sich in Lauras Augen, als die Realität ihr langsam aber sicher deutlich machte, dass es keine Einbildung war. Dass er tatsächlich dort stand, nur wenige Meter von ihr entfernt.

Und doch war es nicht nur Erleichterung und Freude, die sie überkam.

Ein unangenehmer Druck breitete sich in ihrem Herzen aus.

Er hatte sich verändert. Nicht nur, dass er extrem groß geworden war. Er war viel blasser als früher, sehr dürr und hatte tiefe, dunkle Augenringe.

… Was war das für ein Internat gewesen, das ihren besten Freund in einen so derart schlechten Zustand versetzt hatte?!

Laura schluckte schwer, versuchte ihre Stimme wieder zu finden. „… Carsten?“

Ihre Blicke trafen sich und Carstens Ausdruck begann sofort zu strahlen. „Laura! Du lebst ja noch!“

Carsten kam sofort auf sie zu und packte sie am Unterarm. In Indigo war dies eine übliche Begrüßungsgeste unter guten Freunden.

Laura murmelte ein trauriges „Noch…“, konnte aber keinen Trübsal blasen. Nicht in Carstens Gegenwart. Alleine seine Anwesenheit war schon immer ein Trost für sie gewesen. Und ihn jetzt nach einer so langen Zeit endlich wiedersehen zu dürfen…

Doch natürlich hatte Carsten sie gehört. Er lockerte seinen Griff, aber nur, um sie in eine feste Umarmung zu ziehen. „Ich habe dich vermisst…“

„Ich dich auch…“ Laura vergrub ihr Gesicht in seiner Brust, er war wirklich viel größer als sie geworden, und kniff die Augen zusammen wobei ein paar Tränen über ihre Wangen liefen.

„Hääääääää???????? Sag mal, kennt ihr euch???“, fragte Ariane. Ihr stand die Verwunderung ins Gesicht geschrieben.

Carsten reagierte gar nicht darauf. Er war das Kind, was sich hinter einer vertrauten Person versteckte, sobald es von jemandem angesprochen wurde. Und was auch immer diese Anstalt ihm angetan hatte, Laura bezweifelte, dass er ausgerechnet dort seine Schüchternheit hatte überwinden können.

Ohne zu zögern nahm sie ihm deshalb die Begrüßung ab und stellte ihn den Mädchen vor. „Das ist Carsten Bialek. Wir sind Kindheitsfreunde.“

Auch Anne schien aufmerksam geworden zu sein. „Bialek?“

Laura nickte. „Jupp, sein Vater ist der Häuptling der Indigo Region.“

„Also bist du adlig?“, fragte Öznur.

Man merkte, dass Carsten sich bei diesem Thema noch unwohler fühlte als es ohnehin schon der Fall war. Verlegen wich er ihren Blicken aus. „Na ja… also… Sagen wir, ich fühle mich nicht wirklich so.“

Ariane runzelte die Stirn. „Wie meinst du das denn?“ Natürlich verstanden nur Insider, was damit gemeint war.

Die Direktorin räusperte sich. „Herzlich willkommen in der Coeur-Academy. Da du schon Bekannte gefunden hast, können diese mir sicher die Erklärungen abnehmen. Ich habe nicht viel Zeit. Aber falls du trotzdem noch Fragen hast, kannst du dich gerne an die Schulleitung, oder auch die Schülervertretung wenden.“

Carsten nickte, nach wie vor ziemlich verunsichert von der Situation.

Daraufhin gingen die beiden Direktoren, wobei der Direktor Carsten zum Abschied kurz zugrinste. „Hier ist es bei weitem besser, als in dem Loch, stimmt’s?“

Tatsächlich entlockte dieser Kommentar Carsten ein schwaches, dankbares Lächeln. Er schien in den letzten sechs Jahren wirklich sehr viel durchgemacht zu haben.

Auch die beiden Vertrauensschüler und die Schulsprecherin stellten sich kurz vor und verabschiedeten sich dann auch schon wieder.

Carsten ging auf Benni zu und an seiner Haltung und dem Blick konnte man eine deutliche Veränderung wahrnehmen, als wäre seine Schüchternheit mit einem Schlag nicht mehr existent. „Du hättest mir ruhig etwas Genaueres sagen können.“, beschwerte er sich.

„Wieso? Hat doch alles geklappt.“, entgegnete Benni knapp und klappte sein Buch zu.

„Sag mal… Das wievielte Mal liest du das denn jetzt?“ Carsten sah Benni ungläubig an, nachdem er einen Blick auf den Titel geworfen hatte.

„Keine Ahnung.“, antwortete Benni und begrüßte Carsten mit derselben Geste, wie dieser zuvor Laura gegrüßt hatte.

An Bennis Mimik hatte sich zwar nach wie vor nichts geändert, doch Carstens Lächeln zeigte überdeutlich, wie sehr er sich freute ihn wiederzusehen. Und selbst Benni merkte man an, dass seine ansonsten natürliche Distanz zu fehlen schien.

„Stopp! Moment mal! Ihr kennt euch? Du kennst den eiskalten Engel???“, platzte Ariane, wie ein unangekündigter Lichtblitz dazwischen.

„Klar. Schon von klein auf.“, antwortete Carsten, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. „Eine Sekunde… ‚Eiskalter Engel’?“ Carsten warf Benni einen Blick gemischt aus Kritik und Verwunderung zu. Doch dieser zuckte nur mit den Schultern.

„Benni, Schatz! Da bist du ja!“, rief eine aufgebrachte Stimme. Die Blicke aller wandten sich zu einem etwas älteres Mädchen, das arschwackelnd auf die Gruppe zukam. Sie hatte kleine, blasse Augen, gerahmt von langen künstlichen Wimpern. Selbst Lissi hielt sich mehr an die Kleiderordnung als sie. Es gab zwei Arten von Mädchen, die sich sexy kleideten. Die, die es konnten und die, die es nicht konnten.

Lissi und Öznur fielen in die erste Kategorie. Sie wussten, dass es nur um Kleinigkeiten ging und dass bei einem kleinen bisschen zu viel das Bild ins genaue Gegenteil umschwingen würde. Und zwar in genau so etwas wie dieses Mädchen.

Mit ihrem offenen Jackett, der fehlenden Weste und der Bluse, bei der sie wohl vergessen hatte, einige Knöpfe zuzumachen und dadurch ein knalliger, rosa BH hervorlugte, sah sie aus, als wäre sie direkt von einem Freudenhaus gekommen. Die Strümpfe, die mit Bändern an ihrer Unterhose oder wahrscheinlicher ihrem String Tanga befestigt waren bestätigten diesen Eindruck auf ein Weiteres.

Das Mädchen hakte sich bei Benni unter. „Du wolltest mir doch Nachhilfe in Karate geben.“, sagte sie, mit diesem widerlichen schleim-flirt-Ton, der einem die Galle hochkommen ließ.

„Los komm schon, ich kann’s kaum erwarten.“ Mit diesen Worten strich sie sich durch das blondierte, am Ansatz dunkelbraune Haar und zog Benni mit sich. Dieser drehte sich noch mal halb um und hob zum Abschied die Hand.

 

„Also ernsthaft, was bildet sich diese Schlampe ein?!?“, schimpfte Öznur. Auch wenn sie auf dem Rundgang waren, um Carsten die Schule zu zeigen, war das Hauptthema das seltsame Mädchen.

Janine überlegte. „Denkt ihr, das ist seine Freundin?“

„Nie und nimmer.“, entgegnete Ariane, offensichtlich auch wutentbrannt.

Lissi kicherte. „Willkommen im Club der Eifersüchtigen, Nane-Sahne.“

„Von wegen eifersüchtig. Ich hoffe bloß für ihn, dass er einen besseren Geschmack hat, als vergammelte Flittchen.“, schnaubte sie.

Laura seufzte. Hätte sie was sagen sollen? Jeder hatte das Geschehen wortlos beobachtet. Etwas einzuwenden, sei es auch nur ein Hinweis zur Höflichkeit, nicht einfach in ein Gespräch zu platzen, hatte niemand gewagt.

Wenn das wirklich Bennis Freundin ist, dann… Tja, was dann? Höchst wahrscheinlich würde sich Laura von Tag zu Tag mehr über sich und ihre Dummheit ärgern. Dieser dumme Streit. Ihr dummer Drang, über zu reagieren.

„Ich glaub nicht, dass Benni mit ihr zusammen ist.“, mischte sich sogar Carsten trotz seiner vorherrschenden Schüchternheit ein.

„Bist du dir sicher?“ Laura sah ihn flehend an.

Carsten nickte und in seinen lila Augen strahlte das Selbstvertrauen, etwas ganz sicher zu wissen. Mit diesem Blick schaffte er es tatsächlich meistens, aufgebrachte Leute wie Laura zu beruhigen. „Wenn doch, dann müsstest du das doch wissen.“

Die Mädchen sahen Carsten ungläubig an.

„Du scheinst Laura lange nicht mehr gesehen zu haben. So helle ist die nicht.“, meinte Anne. Ihre Stimme hatte etwas Fieses, Sarkastisches und erinnerte Laura an das Zischen einer Schlange, wenn sie ihre Beute sah.

Statt Anne trat Laura Carsten gegen das Schienbein und warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Was denn?“, fragte dieser irritiert.

„Jetzt sag schon, kennst du den Schulsprecher nun, oder nicht?“ Wieder kam Susanne auf das Thema. Arianes Antwort schien sie nicht überzeugt zu haben, obwohl Laura es sofort geglaubt hätte, würde sie es nicht besser wissen.

Wie ferngesteuert schüttelte Laura den Kopf. Auch Carsten schien jetzt den Grund ihres Tritts verstanden zu haben, wenn auch nicht, warum sie das geheim hielt. So genau wusste das allerdings noch nicht einmal Laura selbst.

Susanne seufzte mal wieder und übernahm stattdessen die Führung, weil sie zum dritten Mal an derselben Stelle angelangt waren.

„Du scheinst dir ja ganz schön sicher zu sein.“, meinte Ariane zweifelnd.

„Es ist auch so, Nanchen. Wenn Bennlèy eine Freundin hätte, wäre ich die erste, die das wüsste.“, meinte Lissi, mit der Selbstverständlichkeit, dass die Welt rund ist.

„Ach komm schon, wann weißt du denn was.“, zischte Anne, „Ich hab doch deinen Test in Geschichte gesehen.“

„Ich weiß halt das Wichtige. Die Lehrer nicht.“, entgegnete Lissi stumpf.

Öznur seufzte. „Wie oft kann man eigentlich vom Thema abweichen? Also heißt das, der eiskalte Engel ist noch single?“

Carsten konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Oh Gott, warum beschäftigt euch das denn so? Bei Laura kann ich es ja verstehen, aber ihr seid doch nicht alle ernsthaft in Benni verknallt?!“

„Na ja… Er ist sexy, stark, schlau, hat einen hohen Rang… Was will man mehr?“, meinte Öznur und überlegte nach weiteren Gründen, Benni toll zu finden.

Anne schnaubte und einzelne Strähnen ihres kurzen, hellbraunen Haars kitzelte beim nach vorne schwingen ihre dunklen Wangen. „Ich kenn mich in so was ja nicht aus, aber ich würde mal sagen, er sollte sympathisch sein.“

„Endlich mal jemand, der seine Güte in Frage stellt.“ Carsten zwinkerte Laura zu, die verlegen zurücklächelte. Irgendwie hatten die beiden sogar Recht…

„Also gut, dein eigentliches Thema: Bennis genervter Gesichtsausdruck als die ihn weggeschleift hat sagt doch alles, oder? Vermutlich hat sie sich im Unterricht nur so blöd angestellt, dass der Lehrer in seiner Verzweiflung jemanden für sie zur Nachhilfe gesucht hatte und irgendwie hat Benni das Talent, immer für sowas herausgepickt zu werden. Er ist sehr gut im Erklären, aber in diesem Fall ist ihm das wohl eher zum Verhängnis geworden.“, meinte Carsten und atmete tief durch, um nicht gleich wieder einen Lachanfall von den Schwärmereien der Mädchen zu bekommen.

Nachdem sich die Sache endlich geklärt hatte, konnten die Mädchen sich endlich darauf konzentrieren, Carsten das Schulgelände zu zeigen, das bereits von den Schatten der Nacht umhüllt wurde.

Schließlich verabschiedeten sie sich voneinander und trennten sich an dem Brunnen des großen Platzes. Das war inzwischen ihr Lieblingsort geworden. Der Brunnen hatte etwas Beschützendes, Sicheres an sich. Wie ein Retter in der Not.

Völlig übermüdet ließ sich Laura ins Bett fallen. Sie könnte sofort einschlafen und würde sich ohnehin am liebsten zu den Winterschläfern gesellen, müsste sich nicht Ariane noch mit ihr unterhalten.

„Ach Mist!!!“, begann diese plötzlich loszufluchen.

„Was ist denn?“, brachte Laura mühsam hervor.

„Ich hab doch glatt die Wette vergessen, Anne muss ihn noch küssen! Wobei er mir da schon etwas Leid tut. Von ihr geküsst zu werden…“

Laura kicherte. „Er wird’s überleben.“

Ariane lachte zustimmend. „Hast Recht. Wenn der nicht nett ist schreibt Lissi in Mathe ne eins.“

„Oh je… Pass auf, was du da sagst. Susanne gibt ihr doch bestimmt Nachhilfe.“

„Da hat die Arme aber viel zu tun…“ Ariane kicherte.

Eine Weile war es still. Nun konnte Laura doch nicht sofort einschlafen.

„Komisch…“, begann Ariane zu überlegen.

Laura sah neugierig auf die gegenüberliegende Seite, wo Arianes Bett stand. „Was denn?“

„Na ja…“, begann Ariane zögernd, „Du bist doch mit diesem… äh… Carsten befreundet. Und er und der eiskalte Engel sind Sandkastenfreunde… Müsstest du ihn dann nicht auch mal getroffen haben? Bei einem Geburtstag oder so? Ich meine… So jemand ist nicht einfach zu übersehen, wenn du verstehst was ich meine.“

Mist, wäre Laura doch bloß eingeschlafen. Aber warum musste sie sich auch immer mehr in die Geschichte reinreiten? Irgendwann glaubte sie selbst es vielleicht auch noch.

„Laura?“, fragte Ariane in die Stille.

Laura bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen.

Ariane schien ihr ihren gespielten Schlaf abzunehmen. „Na was soll’s, gute Nacht.“

Daraufhin war Ruhe. Schweigend starrte Laura auf die Decke, die sich wie ein schwarzes Loch über ihrem Kopf erstreckte. Sie hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als würde man sich einbilden, krank zu sein und sich dann auch tatsächlich so fühlen. Am liebsten würde sie morgen bis mittags ausschlafen, so wie sie es sonst immer an einem Samstag tat, aber stattdessen war Praxis im Kampfkunstunterricht. Und das durfte sie auf keinen Fall verpassen.

 

Gähnend hörte Laura ihrem Kampfkunstlehrer, Herrn Nunjitsu zu. Sie hätte sich doch krankmelden sollen. Seit der letzten Woche ging es ihr grottenschlecht. Und Faustkampf war auch dort das Thema gewesen und da hatte sie sich noch extra aus dem Bett gemüht. Nur weil es so viele verschiedene Kampfkünste gab.

Carsten war inzwischen auch eine Woche hier und wurde sofort Klassenbester, so wie Susanne. Trotz allem waren sie keine Rivalen. Wie auch, wenn man immer volle Punktzahl hatte? Da er Magier und Anne Kampfkünstlerin war, wurde aus Arianes Wettgewinn bisher nichts, da Anne fast nie zu sehen war. Öznur sollte der Gruppe von ihr ausrichten, dass sie sich ihrer Niederlage bewusst war, aber keinesfalls einen Jungen küssen würde. Laura seufzte. Die hat echt Probleme. Was ich alles tun würde, dass Benni mir überhaupt seine Aufmerksamkeit schenken würde. Ihn zu küssen…

Als Lauras Wangen bei dem Gedanken daran unangenehm warm wurden, riss sie sich zurück in die reale Welt. Immerhin musste Anne Carsten küssen und nicht Benni. Bei dem hätte sie höchst wahrscheinlich noch mehr Gezeter gemacht. Und selbst wenn Laura eine Wette verlieren würde, bei der es hieß, der Verlierer müsse Benni, den eiskalten Engel, den Schulsprecher, Bennlèy oder wie er sonst noch hieß küssen, wäre sie davor wohl vor Scham umgefallen und bereit für die Notaufnahme.

„Heute bist du dran.“, hörte Laura Ariane zu Anne flüstern.

„Du klingst ja wie ein Hai auf Beutejagt! Vergiss es!“, zischte Anne mit ihrem fiesen Schlangenton zurück.

Kurz bevor Laura doch dazu kam, sich wegen Bauchschmerzen vom Unterricht befreien zu lassen, endete dieser wie auf Befehl.

Grob packte Ariane Anne, die sich wieder verdrücken wollte, an den Schultern und schob sie vor sich her.

„Hör damit auf, sonst erwürge ich dich!“, schrie Anne, doch zur Ausnahme schien Ariane mal die Stärkere der beiden zu sein. In einem beeindruckenden Tempo brachte sie die zeternde und fluchende Anne in den Mensaturm. Die einerseits neugierigen und andererseits irritierten Blicke ihrer Mitschüler störten sie nicht.

Endlich an ihrem Platz angekommen, warteten die Magier bereits.

„Anne!!! Schön zu sehen, dass du zu sehen bist!“; rief Öznur lachend. Ihre braunen gelockten Haare waren ordentlich zu einem Hochzopf zusammengebunden, da sie immer scherzte, dass sie sich diese sonst abfackeln würde. Auch wenn zurzeit nicht mit Feuermagie hantiert wurde.

Anne schnaubte. „Vergesst es, ich mach das nicht.“

„Was für eine schlechte Verliererin du bist.“, kam nun sogar Janine zu Wort.

Öznur klopfte ihr auf die Schulter. „Komm schon, so schlimm wird’s schon nicht.“

„Was ist denn los?“, fragte Carsten. Ihm war nicht bewusst, was da auf ihn zukam.

„Los jetzt!“, sagte Ariane und stieß Anne nach vorne.

„Ja, ja, ja, gut. Ich mach’s. Dann hab ich jedenfalls endlich meine Ruhe.“

Lissi seufzte. „Da ist doch überhaupt keine Action dabei. Auf den Mund wär viel spannender gewesen.“

Öznur nickte. „Kann sein, aber so ist das nun mal beschlossen.“

„Abgesehen davon, wer würde sich schon seinen ersten richtigen Kuss von Anne nehmen lassen?“, fügte Laura hinzu.

Ariane nickte. „Außerdem.“

„Wovon redet ihr denn?“, drängte Carsten, dem bereits unwohl wurde. Natürlich hatte ihn niemand in die Wette eingeweiht.

Doch da passierte es auch schon. Für einen kurzen Moment berührten Annes Lippen Carstens Wange.

Öznur lachte. „Wie süß! Beide werden rot!“

Laura kicherte und klopfte Carsten auf die Schulter. Er war so süß, wenn er verlegen war und beschämt den Blicken der anderen auszuweichen versuchte. Das mulmige Bauchgefühl, das sie seit dem Abend seiner Ankunft hatte, hatte sie inzwischen völlig vergessen.

Ariane grinste. „Das kommt in mein Fotoalbum.“

„Zeig her!“, rief Öznur und beugte sich zu ihr rüber. „OH. WIE. SÜß!!!“

„Woher zum Teufel hast du die Kamera?!“, fragte Anne, immer noch knallrot im Gesicht.

Auch Laura wunderte sich, wie schnell Ariane es geschafft hatte, die Kamera herauszuholen und ein Foto zu machen.

Anne versuchte verzweifelt, das Foto zu zerstören, was aber sowohl von Ariane und Öznur, als auch von Lissi und sogar Susanne und Janine verhindert wurde.

Verlegen berührte Carsten die Stelle, auf die Anne ihn geküsst hatte. „Sag mal… Was war denn das?“, fragte er Laura zögernd.

Laura wandte sich an die um die Kamera kämpfende Gruppe. „Darf ich es ihm sagen?!?“, rief sie in das Menschenknäul.

„Ja, ja, mach ruhig!!!“, kam von irgendwoher (höchstwahrscheinlich dem Boden) Arianes Stimme.

„Also… Ariane und Anne hatten gewettet, ob der neue Schüler, also du, nett ist. Der Verlierer musste ihn küssen.“, erklärte Laura ihm.

Ein leichtes Lächeln breitete sich auf Carstens Lippen aus. „Also hat Anne gemeint, ich wäre total lieb.“

Laura gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „So ein Unsinn. Anne dachte, du wärst unausstehlich.“

Carsten packte die lachende Laura und nahm sie in den Schwitzkasten. „Bin ich doch!“

„Entschuldigt, wenn ich euere kleine Gruppenprügelei störe, aber wenn ihr euch schon auf den Boden werfen müsst, dann könntet ihr auch von unserem Platz verschwinden.“, sagte eine widerliche, schleimige Stimme, die Laura schon seit einer Woche im Kopf echote.

Carsten befreite sie und das Knäuel löste sich. Die Kamera hatte Ariane immer noch fest in der Hand.

„Entschuldigung.“ Janine senkte den Kopf.

„Aber was den Platz betrifft, so waren wir zuerst hier.“, fügte Susanne hinzu.

Sie saßen um einiges höher als sonst, genau gegenüber von dem Tisch der Schülervertretung.

„Mag sein, aber wir sitzen hier immer. Dieser Tisch gehört praktisch uns.“, erklärte das Blondgefärbte Bordellmädchen.

„Ich wüsste nicht, dass hier irgendwo eure Namen stehen.“, widersprach Laura. Sie mochte diesen Tisch. Dort hatte sie freie Sicht auf Benni, der nur dummerweise überhaupt nicht auf seinem Platz, am Tischende des Schülervertretungstisches saß.

„Sag mal, wie kannst du es wagen der Tochter des Bürgermeisters von Rolexa zu widersprechen?!?“, zickte eine weitere Blondine neben Fräulein Bordell.

„Was für’n Ding?“, fragte Öznur.

„Rolexa ist eine Stadt in Terra, Cors Nachbar Region.“, antwortete Carsten prompt.

Fräulein Bordell fuhr mit einem ihrer künstlichen Fingernägel Carstens Narben nach, welcher bei der plötzlichen Nähe vor Schock erstarrte. „Schlau. Und hübsch noch dazu. Falls mein Freund mit mir Schluss machen würde, was ich bezweifle, wärst du eine gute Zweitwahl.“

„Fass Carsten nicht an.“, fauchte Laura und zog ihren besten Freund aus der Reichweite der Tussi. Alleine von diesem Mädchen berührt zu werden schien ihm tausendmal unangenehmer zu sein als zuvor Annes Kuss auf die Wange.

Was bei Carstens intuitiver Menschenkenntnis zwar für Anne, aber dafür auch sehr stark gegen diese Tussi sprach.

Und die aufkommende Aggression bei dem Wissen, wen sie mit ihrem ‚Freund‘ gemeint hatte, machte es umso schwerer die Selbstbeherrschung zu wahren.

Fräulein Bordell musterte Laura von Kopf bis Fuß. „Niedere Bauerntochter. Denkst du, du hättest auch nur annähernd das Recht, mir gegenüber die Stimme zu erheben?“

Carsten legte seine Hand auf Lauras Schulter. Er merkte, wie schwer es ihr fiel sich und damit auch ihre Kraft zu kontrollieren. Aber wenn nicht, würde es für ihren Umkreis fatal werden.

„Als Prinzessin und zukünftiges Oberhaupt des Siebenerrats der Yami-Region hat sie das tatsächlich.“, nahm Susanne Laura in Schutz, die sofort bemerkt hatte, dass diese Tussen nur auf Aussehen und sozialen Status achteten.

Fräulein Bordells Augen verrenkten sich zu Schlitzen und wurden noch kleiner als davor. „Das soll die Tochter von dem Herrscher der Yami-Region sein? Die da ist eine Lenz?!?“

Ein Lächeln, wie als wäre der Sieg ihr bereits sicher, breitete sich auf Lauras Lippen aus. „Stell dir vor. Aber wenn du ein Problem mit uns hast, dann lass es uns doch bitte wissen.“

„Na schön, Prinzesschen. Du kannst ja gerne hier bleiben. Aber deine Bauernfreunde sollen gefälligst verschwinden, sie machen hier alles dreckig.“ Mit einem abfälligen Blick funkelte Fräulein Bordell den Rest der Gruppe an.

Energisch stemmte Öznur die Hände in die Hüften. Sie als Bäuerin zu bezeichnen war mit der Todesstrafe belegt, so viel stand sicher. „Abgesehen davon, dass Fräulein Bürgermeistertochter einer wahren Prinzessin nicht das Wasser reichen kann, sind unter uns keine Bauern vorhanden, sondern die Tochter der Regentin Desserts und der Sohn des äh…“

„…und der Zweitgeborene des Häuptlings Indigos.“, half Susanne nach.

Auch wenn Susanne nur klare Fakten verbessert hat, packte Fräulein Bordell sie am Hals und schlug sie mit dem Kopf gegen das farbenfrohe Mosaikbild an der Wand.

Doch bevor sie zuschlagen konnte, ergriff Lissi ihren Arm. Ihrem Blick nach zu urteilen war nun jeglicher Spaß vorbei. Ein aus dem Nichts kommender Wasserfall stürzte auf die Angreiferin herab und stieß sie einige Stufen hinunter.

Als sich Fräulein Bordell aufrichtete, war das Wasser allerdings schon spuren- und pfützenlos verschwunden, als hätte es sich nur um eine Täuschung ihrer Sinne gehandelt.

„Was zum Teufel war das?!?“, schrie sie. Hundeartig fletschte sie die Zähne. „Du kleine Schlampe!“

Sie wollte sich auf Lissi stürzen, doch dieses Mal packte Anne Fräulein Bordells Arm und warf sie über die Schulter hinweg schmerzhaft auf den Boden. „Hast du endlich genug?“

Diese gab einen weiteren Angriff auf und mühte sich stattdessen hoch, um die Gruppe anzuschimpfen. „Was seid ihr denn für eine Horde Verrückte? Das reicht, ich werde mich bei meinem Freund, dem Schulsprecher, beschweren. Seid froh, dass ich nicht direkt zu den Direktoren gehe. Denn ihn kann ich bitten, Gnade vor Recht walten zu lassen.“

Nun war auch bei Laura die Sicherung geplatzt. „Hör. Endlich. Auf. Benni! Deinen! Freund!!! Zu!!! Nennen!!!“, brüllte sie und mit einem Schlag entwich Unmengen von Energie aus ihrem Körper. Die Finsternis breitete sich aus, Fräulein Bordell und ihre Anbeterinnen kreischten panisch und versuchten, vor den schwarzen rauchartigen Ranken zurückzuweichen. Aber erfolglos.

Die Mädchen und Carsten beobachteten das Geschehen atemlos, konnten aber nichts ausrichten, ohne selbst von Lauras Finsternis-Energie verschlungen zu werden.

Laura wurde buchstäblich schwarz vor Augen. Sie fühlte sich unendlich mächtig, keiner war ihr gewachsen. Doch gleichzeitig zitterte sie vor Angst. Diese Macht war das Böse, der Untergang und sie konnte sie nicht kontrollieren.

Panisch kniff Laura die Augen zusammen, war selbst von dem Kontrollverlust überwältigt.

Sie hatte Angst. Sie wollte niemanden versehentlich verletzen!

Bitte, mach dass es aufhört!, schrie sie im Geiste, nicht wissend, an wen das überhaupt gerichtet war.

Da spürte sie plötzlich wie die Finsternis nur noch ihren Körper einhüllte und schließlich wieder in ihrem Inneren verschwand.

Mit einem Schlag verließ sie die Kraft, die sie so stark fühlen ließ. Keuchend sank sie auf die Knie. Sofort war Carsten neben ihr.

„Du kannst es immer noch nicht kontrollieren?“, fragte er und Laura bemühte sich, mit einem Kopfschütteln zu antworten. Nein, konnte sie nicht. Das konnte sie nie.

„W- Was war das denn?“, fragte Öznur, immer noch atemlos.

„Ein unkontrollierter Ausbruch von Energie, wenn ihr Beherrscher die Kontrolle über sich selbst und seine Kraft verliert.“, erklärte Susanne. Ihr schien es gut zu gehen. Als wäre Fräulein Bordells Angriff nie gewesen.

„Aber das heißt doch Laura ist…“, setzte Ariane an, beendete ihren Satz aber nicht.

„Liebling! Ein Glück das du gekommen bist. Diese Verrückten haben mich angegriffen!!!“, schrie Fräulein Bordell, eilte einige Stufen runter, durch die immer noch erstarrten Mädchen und warf sich Benni an den Hals. Beziehungsweise sie versuchte es, doch Benni blockte sie ausdruckslos mit einer Geste ab, die schon fast wie eine abgeschwächte Karate-Bewegung aussah.

„Das sagt die Richtige. Wer hat hier denn Susanne grundlos gegen die Wand geschleudert?!“, beschwerte sich Öznur, als erste die Fassung wiedergewinnend.

„Aber- Aber Schatz! Sag doch etwas! Schick sie zur Direktorin, bitte, tu’s für mich!“, brüllte das Mädchen und klammerte sich an Bennis Jackett.

Nicht gerade sanft schob dieser sie endlich von sich weg. „Gut, aber nur, weil die Direktorin mich darum gebeten hat.“

„Hä?“ Ariane starrte Benni verwirrt an, als neben ihm die Schulsprecherin auftauchte. „Lisa Rapuko. Also echt, schon alleine dafür, dass du dich die ganze Zeit als Freundin des Schulsprechers ausgibst würde ich dich zur Direktorin schicken wollen. Wie nervig kann Mensch sein?!?“

„Wie bitte? Warum sollte ich mich als seine Freundin ausgeben? Ich bin seine Freundin!“, brüllte Lisa sie an. Sowohl die Schulsprecherin, als auch Benni verdrehten genervt die Augen.

„Geht das schon wieder los.“, seufzte Sarah, die Schulsprecherin.

„Schicken wir sie jetzt endlich zu einem Seelenklempner?“, fragte Benni trocken.

Sarah lachte. „Gute Idee, komm Lisa. Etwas Realität wird dir guttun. Die Vertrauensschüler verzweifeln ja bei dir.“

„Aber-“, schluchzte Lisa, doch Sarah zog sie mit sich.

„Also kommt.“ In Bennis Stimme lag kein befehlerischer Ton, aber trotzdem zuckten einige der Mädchen bei dem autoritären Klang zusammen.

„Was haben wir denn angestellt? Du selbst hast doch gesagt, dass diese Lisa psychiatrische Hilfe braucht.“, fragte Ariane zögernd, als sie über den in Abendrot getauchten großen Platz gingen.

„Nichts. Die Direktorin möchte mit euch sprechen.“, antwortete Benni und bog in eine Seitengasse neben dem Jungenwohnheim ein, wo ein weiteres Barock Gebäude stand. Und auch in diesem Gebäude wurde es zu einem Goldpalast.

Zögernd folgten sie ihm, eine Wendeltreppe hinauf zu einer wallnussbraunen Holztür. In silbernen Buchstaben konnte man -Schülervertretung- lesen. 

Laura zitterte immer noch am ganzen Körper. Zwar hatte sie sich von der plötzlichen Energieattacke bereits etwas erholt, doch ihr war nun auch klar, dass die Mädchen das erfahren hatten, was sie verzweifelt zu verbergen versucht hatte. Es war keine Frage, dass die Mädchen jetzt über ihr Geheimnis bescheid wussten.

Laura hielt inne. Aber nicht nur sie hatte Energie materialisiert. Der aus dem Nichts kommende Wasserfall als Lissi ihre Schwester beschützt hatte… Das war doch auch Energie gewesen! So etwas konnten Dämonenverbundene spüren.

Benni öffnete die Tür zum Büro der Schülervertretung und zögernd trat eine nach der anderen ein. Auch Carsten wurde mitgeschleppt, der aber nicht so verstört wie der Großteil vom Rest wirkte.

Benni wies mit dem Kopf an eine Wand, wo Holzstühle mit blauem und rotem Samtbezug und schwarze Ledersofas standen.

Die Gruppe verteilte sich auf die Sitzmöglichkeiten, während sich Benni hinter einen großen Kirschbaumholztisch setzte und scheinbar gelangweilt die Arme vor der Brust verschränkte.

Eine weitere Tür öffnete sich und die Direktorin trat mit dem Direktor und noch einem weiteren Lehrer im Schlepptau ein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  totalwarANGEL
2021-04-25T17:51:53+00:00 25.04.2021 19:51
Gelangweilt im Unterricht Mangafiguren in den Block kritzeln. I can relate to that. ;)
Ha ha, Lissi. Sofort auf den Punkt.
Ich spüre männerhassende Tendenzen...
6 Mal die Woche Sportunterricht?! Also ich würde sterben!
Arme Laura. Kann man da nicht mit irgend einer Hexerei etwas nachhelfen? XD
Was? Ein noch größeres Flittchen als Lissi? Jetzt wird es interessant.
Man, diese merkwürdigen Kosenamen machen mich fertig.
Fräulein Bordell. XD
Uh, eine gewalttätige Schlampe. Bitchfight!
Laura macht sich einfach zu viele Gedanken. An der Schule ist doch niemand normal. Ich denke nicht, dass die anderen jetzt anders über sie denken. Was jetzt wohl gleich von der Direktoren-Doppelspitze kommen wird...
Antwort von:  RukaHimenoshi
25.04.2021 20:56
XD Ich frage mich im Nachhinein auch, was ich mir bei diesem Höllen-Stundenplan gedacht hab. Es sollte halt eine anspruchsvolle Schule sein. Also aus meiner Sicht: Viel Sport. X'D (Jetzt mit etwas mehr Ahnung davon... Regenerationswochen hätten da schon mal sein müssen. ^^")

Sehr gut, ich sehe, Lissi hat direkt den richtigen Ruf bei dir. ;)

Hahaha, das nennst du zu viele Gedanken? Das war noch harmlos, Laura kriegt das deutlich besser hin. X'D


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