Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 83: Zwischen Hoffnung und Verzweiflung ---------------------------------------------- Zwischen Hoffnung und Verzweiflung       Obwohl Lauras eigener Körper inzwischen in der Lage war Teleportationen zu verkraften, meinte sie trotzdem selbst einen Anflug von Schwäche zu spüren, während sie sah wie Sultana zusammenklappte als sie am Rande Kariberas ankamen. Sie hätte niemals gedacht, dass Annes Mutter eine Gefangene von Mars gewesen ist. Eigentlich war es so logisch! Und doch hatte sie die Geschichte mit der Grippe geglaubt. Hatte das einfach so hingenommen, während Anne innerlich weiter unter der Angst gelitten hatte, ihre Mutter nie wieder zu sehen. Es herrschte ein bedrücktes Schweigen als sie den beiden Krankenwagen hinterherschauten, die bei ihrem Ankunftsort bereits auf sie gewartet hatten. Laura wusste nicht, wem der zwei es schlechter ging. Jack oder Sultana. Aber eins wusste sie: Wie es Benni ging wusste sie überhaupt nicht! Frierend verschränkte sie die Arme vor der Brust. Ihre Schuluniform alleine war viel zu dünn für das Wetter Anfang Oktober und der leichte Nieselregen in Indigo machte es nicht gerade besser. Und doch kam die eigentliche Kälte von innen. Sie spürte, wie Carsten seine eigene Jacke über ihre Schultern legte, der linke Ärmel zerrissen durch den Tribut, den man für die Schwarzmagie zahlen musste. Zumindest dem physischen… Laura blickte zu Carsten hoch, der ihr ein liebevolles Lächeln zuwarf. Dabei war ihm doch selbst kalt… Schweigen beherrschte die Gruppe, als sie durch Karibera zu dem Häuptlingsanwesen wanderten. Es war viel zu viel passiert. Zwar auch Gutes, aber genauso viel Schlechtes. Niemand wusste, wie er sich in diesem Moment fühlen sollte. Gedankenverloren betrachtete Laura die bunten Tipis an denen sie vorbeigingen. Durch den dunklen Himmel wirkten sie düster, fast schon gruselig. Sie spürte, wie einige Indigoner die vorbeikommende Gruppe irritiert, teils auch argwöhnisch betrachteten. Erst jetzt wurde Laura schmerzhaft bewusst, wie wenige gute Erinnerungen sie mit Indigo eigentlich verband. Den schlechten war es ein Leichtes, die Oberhand zu behalten. Immer noch frierend lehnte sie sich beim Laufen etwas gegen Carsten, der beinahe schon instinktiv einen Arm um ihre Schultern legte. Wenn sie schon so wenig gute Erinnerungen an diese Region hatte… Wie musste das erst für ihn sein, der seine Kindheit hier verbracht hatte? Ohne es zu wollen erinnerte sich Laura an ihr erstes Treffen. Auch wenn Carsten alles andere als nachtragend war, war es offensichtlich wie er insgeheim noch darunter litt. Wie es ihn doch noch belastete, eine so lange Zeit von seinem Bruder so grausam behandelt worden zu sein. Was davon verursachte die schwarze Magie? Wie viel hatte er selbst in seinem Herzen unter Verschluss gehalten? Bei dem Anwesen angekommen, wartete Saya bereits auf den Stufen der Treppe. Als sie nach all der Zeit endlich wieder ihre Tochter erblickte, eilte sie ihr erleichtert entgegen, während auch Sakura losrannte und von ihrer Mutter weinend ganz fest in die Arme geschlossen wurde. Es befanden sich noch mehr Personen auf der Veranda, wie Laura nun erkannte. Konrad nickte der Gruppe lächelnd zu, während Florian sich hinkniete, um Wolf und Chip in Empfang zu nehmen. Besonders der Wolfshund schien sich zu freuen, den Elben zu sehen. Raven, die sich irgendwie vor dem Teleport noch dazu gemogelt hatte, hüpfte derweil Rina in die Arme und ließ sich schnurrend den Kopf kraulen. Auch Ituha mit Risa und Kito waren da. Die beiden Mädchen winkten der Gruppe fröhlich zu und besonders Johannes schien sich zu freuen, jemanden in halbwegs seinem Alter zu treffen. Kurz darauf wurden sie von einer kleinen, dicklichen Indigonerin reingerufen, da das Abendessen fertig sei. Noch während sich alle mit knurrendem Magen an die große Tafel im Speisesaal setzten -von außen sah das Haus immer viel kleiner aus, als es in Wahrheit war- wurde Eagle auf einmal auf Indigonisch von Jenny ausgeschimpft. Vermutlich, da er bei seinem vorigen Wutausbruch ein weiteres Hemd unbrauchbar gemacht hatte. Zu beobachten, wie der momentane Häuptling von einer süßen, älteren Indigonerin zur Sau gemacht wurde, heiterte die Stimmung wieder etwas auf. Lachend beobachtete Laura, wie sich Eagle mit einem normalen, nicht zerstörten T-Shirt zu der essenden Gesellschaft setzte. Jenny hatte ihm davor das Hemd vom Leib gerissen und ins Gesicht gepfeffert, mit den Worten er solle sich erst einmal etwas Gescheites anziehen, bevor er sich den Wanst vollschlagen würde. Zumindest hatte Carsten das dem Rest im Nachhinein so übersetzt. Eagle schnaubte. „Sie hätte ja zumindest auch mal was zu Carstens Schuluniform sagen können.“ Öznur verpasste ihrem Freund einen Hieb in die Seite. „Ach komm, stell dich nicht so an.“ Laura warf einen Seitenblick auf Carsten, der inzwischen auch normale Kleidung trug und dessen Arm vor dem Essen direkt von Saya verarztet worden ist. Bedrückt betrachtete sie die weiße Mullbinde und erinnerte sich direkt wieder an den grausigen Anblick, gerade mal eine Stunde zuvor. Sie glaubte immer noch zu spüren, wie sich Carsten an sie klammerte. So voller Angst und Verzweiflung, kurz davor zu zerbrechen… Schaudernd wandte sie sich wieder ihrem Essen zu, wobei ihr auffiel, dass Carsten sein eigenes bisher gar nicht angerührt hatte. „Seit wann ist Jenny denn so fies zu dir?“, erkundigte sich Sakura verwirrt. Ituha zuckte mit den Schultern. „Seit der Junge eine Dummheit nach der anderen begeht, als wolle er einen Rekord brechen.“ Unnötig grob spießte Eagle eine Pommes auf. „Hängt ihr mir das immer noch nach?“ „Hey, die Pommes kann nichts dafür!“, nahm Ariane das arme Essen direkt in Schutz. Laura lachte auf. Sie hätte nie gedacht, wie sehr sie sich über so einen belanglosen Kommentar von Ariane über Essen freuen würde. Aber… Es ließ Ariane endlich wieder so wie früher wirken! Auch Johanna war direkt der Meinung, dass man unschuldiges, leckeres Essen gefälligst mit Respekt behandeln solle. Und sofort erkannte man, dass die beiden Geschwister waren. Nach und nach bildeten sich einzelne Gruppengespräche und auch, wenn die Stimmung nicht ganz ausgelassen sein konnte, war deutlich spürbar wie gut diese Pause tat. Wie sie einfach alle zusammensitzen und durchatmen konnten. Anne wusste, dass ihre Mutter trotz ihres kritischen Zustandes sich nun in den fähigen Händen indigonischer Ärzte befand. Eagle war so erleichtert Sakura wieder bei sich in Sicherheit zu wissen, dass er einen Moment lang vergaß, wer sich außerdem in dem Krankenhaus seiner Region befand. Ariane und Johanna unterhielten sich pausenlos über alles und nichts, einfach, da sie seit Ewigkeiten endlich wieder miteinander reden konnten. Und sogar Janine schaffte es bei Susannes heilendem Lächeln und Lissis blöden Kommentaren abzuschalten. Laura schüttelte sich, als sie sich an ihren Wutausbruch vorhin auf der Lichtung erinnerte. So hatte sie Janine noch nie gesehen. So hatte sie noch nie überhaupt jemanden gesehen… Noch nicht einmal… Ein tosender Schmerz ergriff ihr Innerstes, als sie an Max dachte. War er wirklich so ein schlechter Typ gewesen, wie sie ihn in Erinnerung hatte? Nein, eigentlich… Natürlich überwogen die schlechten Eindrücke gegen Ende und doch wusste Laura, dass er einer der Schlüsselpersonen gewesen ist, die Benni wieder so halbwegs in die Gesellschaft hatten integrieren können. Das konnte kein böser Mensch gewesen sein. Und jetzt war er… „Du kannst Schlittschuhlaufen?!?“ Johannas plötzlicher begeisterter Ausruf ließ Laura hochschrecken. Belustigt bemerkte sie, wie Carsten sich noch mehr erschreckt hatte als Laura selbst, während Arianes kleine Schwester mit leuchtenden Augen zu ihm rüber schaute. Verlegen, um nicht zu sagen absolut verschüchtert, kratzte sich Carsten am Hinterkopf. „Ein bisschen, aber sonderlich gut bin ich nicht…“ Laura kicherte. „In Carsten-Sprache bedeutet das: Ich hätte eigentlich bei den Damonmeisterschaften mitmachen können, wenn ich nicht eine absolute Abneigung gegenüber Wettkämpfen verspüren würde.“ „Laura!“ Bei seiner Reaktion mussten Ariane und Laura loslachen, während Johanna umso begeisterter schien. „Wirklich?! Welche Sprünge kannst du?! Kannst du einen dreifachen Toeloop?!“ Ariane lachte auf. „Gotsch, Laura hat damit schon ein bisschen übertreiben wollen.“ Sie wandte sich Carsten zu. „Aber ich würde auch ganz gerne wissen, was du damals so gelernt hattest.“ Belustigt bemerkte Laura, wie seine Wangen die typische dunkle Färbung bekamen, während er antwortete: „Dreifach hatte ich noch nie einen Sprung geschafft, immer nur zweifach.“ „Welche davon? Sogar den Axel?!“, hakte Johanna fasziniert nach, woraufhin Carsten verlegen nickte. „Ähm ja… Wieso?“ „Echt? Wow, das ist der schwerste von allen, den hatte ich noch nie hinbekommen. Nicht mal einfach!“ Auch Ariane war beeindruckt. Und Carsten noch roter. Für jemanden, der das nur Hobbymäßig während seiner Kindheit gemacht hatte, war das wirklich ganz schön gut. „Ich… ich fühle mich beim Vorwärtsabspringen einfach viel sicherer…“, erklärte er, als wolle er damit irgendetwas rechtfertigen. „Waaaaahnsinn!“, staunte Johanna, absolut begeistert. „Und Drehungen? Kannst du die Biellmann-Pirouette?!?“ Lachend schüttelte Carsten den Kopf. „Nein, für sowas bin ich nicht gelenkig genug.“ Johanna nickte zustimmend. „Verstehe ich, ich schaffe es einfach nicht in den Schultern gelenkiger zu werden.“ Laura und Ariane tauschten einen belustigten Blick aus, während Carsten und Johanna über ihre Köpfe hinweg begannen sich über Eiskunstlauf zu unterhalten. Ariane lachte leise auf. „So kenne ich Gotsch gegenüber Fremden gar nicht.“ Auch Laura musste kichern. „Carsten ist eigentlich auch nicht so gesprächig, wenn er die Person kaum kennt.“ Eagle, der auf Carstens linker Seite saß, musste ebenfalls lachen. „Da haben sich ja zwei gefunden.“ Schließlich seufzte Johanna. „Bei den Sprüngen traue ich mich einfach nie, richtig abzuspringen. Und dann wird das natürlich nie was.“ „Wieso denn?“, fragte Carsten. „Na ja, ich könnte blöd fallen! Und dann verletze ich mich dumm, oder zerre mir was, …“ Carsten runzelte die Stirn. „Ich bin häufig hingefallen, aber wirklich verletzt habe ich mich nie. Sicher, dass es nicht einfach eine Blockade in deinem Kopf ist?“ „Doch, natürlich. Aber… Es ist halt schwer, die zu überwinden.“ Carsten warf ihr sein süßes, mitfühlendes Lächeln zu. „Verstehe ich.“ „Nane meinte, du bist ein Heil-Magier. Stimmt das?“, fragte Johanna plötzlich. „Ähm… ja…“ „Dann könntest du ja direkt jemanden heilen, wenn er sich verletzt hat!“ Lachend erwiderte Carsten: „Je schlimmer die Verletzung, desto schwieriger ist das zwar, aber ja, im Prinzip kann ich das.“ Er verstand, worauf Arianes kleine Schwester hinauswollte. „Wenn das gegen deine Blockade hilft: Ich kann dich gerne heilen, sollte unwahrscheinlicher Weise wirklich mal etwas passieren.“ Johannas Begeisterung war regelrecht spürbar, was auch Laura und Ariane zum Lachen brachte. „Schon praktisch, wenn man ein wandelndes Erste-Hilfe-Set ist.“ Lissi, die das Gespräch wohl oder übel mitbekommen hatte, rief belustigt zu Ariane rüber: „BaNane, ich würde mir ernsthafte nächste Schritte überlegen, bevor dein Schwesterherz dir Cärstchen vor der Nase wegschnappt, sobald sie alt genug ist!“ „Was ist?“ Annes irritierte Frage brachte nun auch den Rest zum Lachen, der das halbwegs gehört hatte. Lissi wischte sich eine Träne aus den Augen. „Oh nein, Banani, dich meinte ich gar nicht!“ „Ich glaube, du musst doch zu ‚Nane-Sahne‘ zurückkehren.“, bemerkte Susanne belustigt. „Bevor es noch zu Missverständnissen kommt.“ „Wäre ich nicht böse drum.“, meinte Ariane nur, die dieser Spitzname natürlich immer an eine ziemlich peinliche, dafür aber umso lustigere Situation erinnerte. Nachdenklich legte Lissi einen Zeigefinger auf die Lippen. „Banani und Cärstchen wären auch eine süße Kombi, wenn ich mir das so recht überlege.“ Die Tatsache, dass Carsten und Anne das zeitgleich verlegen abstritten, verstärkte den Lachanfall vom Rest umso mehr. „Kommt, ihr kennt Lissi.“, versuchte Ariane beide zu beruhigen. Laura bemerkte, dass Ariane unheimlich viel Glück gehabt hatte, als Anne sie unbewusst aus Lissis Fängen gerettet hatte. Aber überraschender Weise waren die Mädchen nicht so penetrant wie bei ihr und Benni damals. Immerhin: Ursprünglich hatte Öznur beschlossen, dass Laura und Benni offiziell als Paar galten! Und an diese ganzen Andeutungen von Lissi wollte sie gar nicht erst denken. Bedrückt senkte Laura den Blick und blinzelte eine Träne weg. Inzwischen vermisste sie Lissis unnötigen Kommentare… Sie vermisste Benni… Laura kniff die Augen zusammen und biss sich auf den Zeigefinger, als könnte sie so zumindest versuchen das Schluchzen zu verhindern. Doch natürlich gelang es nicht. Es hatte sich all die Zeit nur angestaut und jetzt, mit einem Mal…  Es war einfach zu viel. So sehr sich Laura auch für den Rest freute… Sie hatte Benni trotz allem noch nicht zurück!!! Entfernt nahm Laura wahr, wie ihr Schluchzen das Lachen der restlichen Anwesenden im Keim erstickte. Es tat ihr so leid… Sie wollte diese gute Laune nicht zerstören! Sie wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass diese heitere Stimmung zerbrach! Und doch… Sie konnte sich einfach nicht mehr zusammenreißen. All die Zeit hatte sie um Selbstbeherrschung gekämpft. Hatte dafür trainiert, dass sie Benni irgendwann zurückholen könnte. Und nun war fast jeder zurückgekehrt… Jeder! Außer Benni. Erneut schluchzte Laura, dieses Mal konnte sie es gar nicht mehr verhindern. Sie spürte, wie jemand sie in die Arme nahm. Als Laura Carstens vertrauten Duft bemerkte verlor sie jegliche Selbstbeherrschung, um die sie zuvor noch gekämpft hatte. Es war zu viel. Es war einfach viel zu viel. Weinend krallte sie sich an Carstens T-Shirt fest. Ließ ihren Tränen freien Lauf, die sich seit über zwei Monaten angestaut hatten. Sie schrie als hätte sie jetzt erst wirklich realisiert, dass Benni nicht mehr da war. Es war so ungerecht! Es war alles so unfair!!! „Ich will das nicht mehr!!!“ Sie spürte, wie Carsten seinen Griff verstärkte. Dabei hatte er selbst doch eigentlich überhaupt keine Kraft mehr. Es war seine Psyche, die dem Wahnsinn zu verfallen drohte! Und trotzdem musste er sich jetzt um Laura kümmern, musste sie drücken und trösten, ihr versichern, dass alles gut werden würde. Und er selbst brauchte das mehr als jeder andere in diesem Raum… Es war zu viel. Viel zu viel… … „Was denkt ihr… Warum ist Benni nicht dabei?“, hörte sie schließlich Öznur fragen. Vorsichtig und ängstlich, da sie ganz genau wusste, was diese Frage, oder eher die Antwort, bei einigen auslösen könnte. Es war Konrad, der mindestens genauso bedrückt antwortete: „Ich glaube nicht, dass wir diese Vermutung in Worte fassen können… Oder wollen…“ „Wir haben gehört, dass wohl ziemlich viel Bewegung in der Unterwelt ist.“, bestätigte Ariane, eine Hand auf Lauras Rücken. „Und nach dem, was heute Abend alles passiert ist…“ Laura meinte, Wolf leise winseln zu hören. Daraufhin sagte Kito plötzlich: „Er sprach, dass der Wille seines jüngeren Bruders nicht mehr der seinige ist.“ Kito hatte Benni nicht kennenlernen können. Dennoch klang ihre Stimme vorsichtig, als wäre sie sich der Schwere dieser Aussage vollkommen bewusst. Aber nicht ihrer Auswirkungen. Laura konnte nicht sagen, wie der Rest reagierte. Einfach aus dem Grund, da diese Nachricht sie in eine abgrundtiefe Finsternis riss. Sie schrie, als wäre sie gefangen, sie weinte, als würde man ihrem Körper unsagbare Qualen zufügen. Und so, wie Carsten sich an sie klammerte, wie er sie fast zerquetschte, erging es ihm haargenau so. Laura spürte, wie Ariane sie und Carsten gemeinsam umarmte. „Hey ihr zwei, das wird schon wieder. Wir werden einen Weg finden, ihn zu retten.“ Doch Carsten schüttelte den Kopf. „Nein, es gibt keinen. Wir sind zu spät… Es war alles umsonst…“ „Verdammt, jetzt reißt euch mal zusammen!“, rief Anne. „Es ist ja nicht so, als wäre er gestorben!“ „Es macht keinen Unterschied!“, schrie Carsten und sprang auf. „Wenn Benni Mars‘ Dämonenbesitzer geworden ist, ist es nicht anders als wenn- Als wenn…“ Ihr Herz wurde zerquetscht. Die plötzliche Kälte machte es umso schlimmer. Diese Leere. Ariane drückte Laura sofort noch fester an sich, doch es half nichts. Wie könnte das Licht im Nichts existieren? „So ein Blödsinn, ihr übertreibt.“, versuchte Eagle beide zu beruhigen. Erfolglos. Schließlich meinte Florian zerknirscht: „Es gibt nur einen Weg, eine einzige Situation, wann der Dämon tatsächlich gezwungen ist, seinen Dämonenbesitzer zu verlassen. Und das ist…“ „… der sichere Tod.“, beendete Konrad zitternd Florians Satz. Laura hörte einen Schlag, ein Splittern, fast so als habe man ihr Herz zertrümmert. Sie hörte Eagle fluchen und nahm nur entfernt wahr, dass Carsten neben ihr sein Wasserglas zerschlagen hatte. Es war alles zerstört. Alles in Scherben. Nun gab es keine Hoffnung mehr. Nichts mehr. Gar nichts. Benni würde sie nie mehr in den Armen halten können. Er würde sie nie wieder küssen. Es war unmöglich, das zu überleben. „Wir finden eine Alternative, ganz sicher!“, rief Susanne über das Schluchzen und die Verzweiflung hinweg. „Es… Wenn wir… wenn ich…“ Laura meinte, einen Stuhl rücken zu hören, als Susanne aufstand und mit fester Stimme meinte: „Es wird schwierig, keine Frage. Aber wenn wir es richtig anstellen, könnte ich… werde ich ihn heilen.“ Es dauerte lange, sehr lange, bis ihre Worte Laura erreichten. Bis ihre aufgelösten Gefühle sich soweit beruhigt hatten, dass sie Susannes Aussage verarbeiten konnte. Jeder Satzteil, jedes Wort, jeder Buchstabe, alles musste bis ins kleinste Detail untersucht werden. Erst dann, als sie sich ganz sicher war, dass sie diese Worte wirklich gehört hatte, diese Zuversicht wirklich gespürt hatte, dann erst wagte Laura es sich aus Arianes Umarmung zu lösen und aufzublicken. Alle Augen waren auf Susanne gerichtet, das Mädchen mit den schulterlangen gewellten Haaren und den blaugrünen Augen. Augen, die selten so viel Überzeugung ausgestrahlt hatten wie eben gerade. „Aber… wie…“, setzte Carsten an, absolut hoffnungslos, absolut verzweifelt. „Ich… ich konnte Naoki opfern, um jemand anderes vor dem sicheren Tod zu retten. Vielleicht könnte ich… nein, ich kann Benni vor dem sicheren Tod retten, wenn ich dafür jemand anderen…“ Anne nickte. „Es wird mehr als genug Untertanen von Mars geben, die den Tod doppelt und dreifach verdient hätten.“ „Aber…“ Laura schluchzte. Sie weigerte sich, diese Hoffnung anzunehmen. Sie schaffte es nicht, nach diesem einen Strohhalm zu greifen, der sie zurück ins Licht ziehen könnte. „Aber Susi, du kannst doch nicht… Dafür müsstest du…“ „Ich kann meine Energie verwenden. Ich weiß es. Und ich werde es, sobald es nötig ist.“ Susanne lächelte sie an. Ein heilendes Lächeln, wie es nur die Besitzerin des Pinken Bärs haben konnte. Die Herrscherin über die Heilung. Sie ging um den Tisch herum zu Laura und Carsten rüber. Während Ariane immer noch Laura im Arm hatte, hielt Eagle seinen kleinen Bruder in etwas, was sowohl eine Umarmung sein könnte, als auch ein Versuch Carsten bewegungsunfähig zu machen. Erst jetzt bemerkte Laura schaudernd, wie sich tatsächlich Splitter des Glases in seine Hand geschnitten hatten. Nur widerwillig ließ Eagle ihn los, als Susanne Carstens verwundete rechte Hand in ihre nahm. Mit einem Zauber ließ sie alle Glassplitter herausfliegen. Es war fast wie ein Glitzern und wirkte gar nicht so, als hätten sie sich so tief unter jemandes Haut bohren können. Dann erfüllte ein wärmendes rosa Strahlen den Raum, was nicht nur die Schnittwunden, sondern auch die Stichverletzung und die Verbrennungen von den Schwarzmagie-Ritualen verschwinden ließ. Gleichzeitig hatte Laura den Eindruck, dass sich eine seltsame Leichtigkeit in ihrem Körper ausbreitete. Beinahe schon die Zuversicht, dass alles gut werden würde. Ungläubig starrte Carsten Susanne an. Auf ihrer Haut zeichneten sich genau dieselben Verletzungen ab, die zuvor seinen Körper geplagt hatten. Doch sie verheilten so schnell, dass man meinte dabei zusehen zu können. Erneut lächelte Susanne. „Ich kann euch nicht versprechen, dass es leicht wird, aber… Was war hier schon jemals leicht? Doch eines kann ich euch versprechen: Ich kann ihn retten. Und ich werde es.“ Schweigen breitete sich aus. Es lag so viel Gewicht in Susannes Worten, so viel Hoffnung und Zuversicht, dass niemand es wagte sie verklingen zu lassen. Beinahe als hätten sie die Angst, dass die Seifenblase dieses Traumes platzen könnte, wenn jemand etwas sagte. Und doch war ihr Blick so stark, so überzeugend, dass die Seifenblase hart wie Stahl wirkte. Konrad spann diesen Gedanken weiter. „Benni ist hart im Nehmen. Sobald wir es schaffen, dass die Verletzung tödlich scheint, sodass Mars die Flucht ergreifen muss, sie aber nicht direkt tödlich ist, sodass wir genug Zeit für das Ritual haben, könnte Susanne ihn danach noch schnell heilen.“ Seufzend verschränkte Florian die Arme vor der Brust. „Das wird unglaublich viel Präzision und noch mehr Glück fordern.“ „Aber es ist besser als nichts!“, warf Ariane ein. „Und Benni ist schon aus so vielen kritischen Situationen mit dem Leben davongekommen.“ „Ich will mich darauf nicht verlassen müssen…“, meinte Laura, immer noch leicht schluchzend. „Das bedeutet nicht, dass wir uns auf dieser Lösung ausruhen werden.“, meinte Florian bestimmt. „Wir werden nach Alternativen suchen, die mehr Garantie haben und weniger von Glück abhängig sind. Aber zumindest haben wir einen Weg.“ Es fiel schwer, sich damit zufrieden zu stellen. Aber sie hatten recht, es war besser als nichts. „Du… du würdest das wirklich tun, Susi?“, fragte Carsten, wie Laura trotz allem noch nicht in der Lage, das glauben zu können. Erneut dieses sanfte Lächeln. „Natürlich.“ Mit einem Schlag schien die Anspannung aus Carstens Körper zu weichen, als er sich erleichtert bedankte. Und zwar nicht nur einmal, auch nicht zwei- oder dreimal. Es schienen unzählige Male. Und die Art, wie er Susanne umarmte, der Ton seiner immer noch zitternden Stimme… All das sprach noch viel mehr Dankbarkeit aus als er in Worte fassen konnte. Laura selbst wusste noch gar nicht, was sie darüber denken konnte. Oder gar wie sie sich fühlen sollte. Ein Krieg zwischen Erleichterung und Anspannung. Zwischen Zuversicht und Zweifel. Sie hatte es so gut wie nie aus ihrem Kopf bekommen. Dieses ‚Aber‘. Es war das Teufelchen auf ihrer Schulter, was alle Hoffnungsbekundungen des Engelchens zerstörte. Was jedes logische Argument zunichtemachen konnte. Obwohl das Engelchen sie anschrie, dass alles gut werden würde. Dass sie in Susanne und ihre Fähigkeiten vertrauen solle. Dass Benni wirklich immer, aus egal welcher bedrohlichen Situation, irgendwie mit dem Leben davongekommen ist. Aber was, wenn es dieses Mal anders ist? Nein! Nein, ist es nicht! Es wird alles gut! Aber bist du da dir da auch ganz sicher? … Plötzlich nahm Ariane sie wieder in die Arme, fast schon als habe sie den Streit in ihrem Inneren mitbekommen. „Es wird alles gut. Du wirst schon sehen, Benni wird zu uns zurück kommen. Egal, was dir dein Pessimismus auch weismachen will.“ Laura meinte fast das Teufelchen fauchen zu hören, als Ariane dies mit solcher Zuversicht sagte, als sei Benni schon auf dem Weg zu ihnen. Und dann verschwand es. Einfach so. Laura war sich ziemlich sicher, nicht lange von diesen Zweifeln verschont zu bleiben. Doch für diesen einen Moment lehnte sie sich einfach gegen ihre beste Freundin und atmete tief durch. Nur einen Moment. Eine kurze Pause. Nach einiger Zeit, als so halbwegs wieder Normalität eingekehrt war und sie alle aufgegessen hatten, stand Carsten auf und verabschiedete sich. Er wollte noch einmal zum Krankenhaus und würde wahrscheinlich auch dort übernachten, sodass er direkt da sein konnte, falls es jemandem schlechter ginge. Namen vermied er, obwohl jeder wusste, von wem er redete. Auch Anne verabschiedete sich mit dem Vorwand, nach ihrer Mutter schauen zu wollen. Doch auch sie hatte nicht vor zurückzukommen. Weil es für die jüngeren ihrer Gruppe bereits Schlafenszeit war, machte sich auch Ituha mit Kito und Risa auf den Weg. Da sie sich ohnehin um die zwei achtjährigen Mädchen kümmerte, machte es für sich auch keinen Unterschied mehr, dass sie auch den zehn- bis elfjährigen Jungen bei sich aufnahm. Belustigt schüttelte sie den Kopf und meinte, wohl eher zu sich als dem Rest: „Ich wollte nur eine Tochter und was habe ich? Ein blindes Mädchen aus Terra, den Dämonenbesitzer aus Cor und eine kleine Dryadin, für die ich die Nanny spielen muss.“ „Es tut mir wirklich leid, ich hoffe du sagst, wenn es zu viel für dich wird.“, entschuldigte sich Saya, doch Ituha winkte ab. „Ach was, das sind ja zumindest keine plärrenden Quälgeister mehr.“ „Johannes, hast du inzwischen eigentlich deine Eltern benachrichtigt?“, erkundigte sich Susanne, doch der Junge schüttelte den Kopf. „Überlasst das alles mir.“, meinte Ituha direkt und warf der Gruppe ein für die muskulöse Indigonerin ungewohnt mütterliches Lächeln zu. „Ruht ihr euch erstmal aus.“ Einige erwiderten das Lächeln, andere sprachen ihren Dank aus. Ituha wuschelte noch einmal durch Eagles kurze Haare, dann machte sie sich mit den Kindern auf den Weg zu ihrer Bar, wo sie in den oberen Etagen ihre Wohnung hatte. Der Rest setzte sich ins Wohnzimmer. Jeder in seine eigenen Gedanken vertieft, irgendwo anders und doch beim selben Thema. An wen Laura ununterbrochen dachte war wohl überflüssig zu erwähnen. Saya war die erste, die das Schweigen brach: „Konrad, ich habe gehört, dass du auch schwarze Magie beherrschst…“ Und sofort dachte jeder an dasselbe. An dieselbe Person und, soweit möglich, an dieselbe Situation. Seufzend lehnte sich Konrad zurück und kraulte Wolf hinter den Ohren. „Das klingt ganz so, als würde es sich die letzte Zeit nicht wirklich verbessert haben.“ „Na ja…“ Schließlich schaffte Laura es, sich zu überwinden. Ihre Vermutung zu äußern, dass Carsten vorhin tatsächlich Halluzinationen gehabt hatte. Sich an ganz anderen Orten zu ganz anderen Zeiten befunden hatte. Der Schock saß tief, selbst bei denen, die diesen Moment eigentlich mitbekommen hatten. So wirklich wahrhaben wollte es niemand. Konnte es auch niemand. Zitternd verschränkte Saya die Arme vor der Brust und schaute den Vampir an. „Ist… ist das normal? Kann man da nichts dagegen machen?“ Konrad tauschte einen Blick mit seiner Verlobten aus, doch sie beide brachten keine Antwort über die Lippen. Stattdessen meinte Florian: „Das ist alles seltsam. Ich habe im Krieg gegen viele Vampire gekämpft, die Schwarzmagie verwendet haben. Aber… Etwas in diese Richtung habe ich nie mitbekommen.“ Schließlich antwortete Rina: „So etwas bekommt man auch nicht mit, wenn man sich im Kampf befindet. So etwas erfährt man erst danach. Diejenigen, die von der Schwarzmagie den meisten Schaden erleiden sind der Magier selbst und seine Familie und Freunde. Nicht die Feinde.“ Zitternd atmete Laura ein und klammerte sich an Arianes Arm, die neben ihr auf dem Teppichboden saß. Wobei man nicht genau sagen konnte, wer der beiden sich an wem festhielt. „Was… Wie… war das bei euch damals?“ Die roten Vampiraugen gesenkt, antwortete Konrad: „Ich… ehrlich gesagt fällt es mir schwer, über damals zu sprechen…“ Er atmete tief durch und schaffte es schließlich in die Runde zu blicken. „Aber demzufolge was ihr erzählt habt, sollte ich das. Es fing harmlos an, so harmlos, dass ich es eigentlich gar nicht bemerkt habe. Ich hatte Albträume und wurde emotionaler um nicht zu sagen aufbrausender, aber…“ „Wir hatten das auf den Krieg geschoben.“, fuhr Rina seine gequälte Erzählung fort. „Es war eine schlimme Zeit und natürlich macht das einem zu schaffen. Doch irgendwann… Irgendwann, da wurde es zu viel. Konrad ging viel zu leicht in die Luft, der kleinste Kommentar machte ihn aggressiv.“ Laura biss sich auf die Unterlippe. Richtig aggressiv, im Sinne von gefährlich, ist Carsten eigentlich nie geworden. Aber sie konnte ihn trotzdem in der Erzählung wiederfinden. „Dabei solltet ihr immer im Hinterkopf haben, dass diese Folgen von Person zu Person verschieden sind.“, meinte Konrad. „Für mich war es die ständige Konfrontation mit dem Krieg, die schließlich mein aggressives Verhalten beeinflusst hatte.“ „Als es stärker wurde, haben wir angefangen zu recherchieren.“, erzählte Rina weiter. „Nie wurde auch nur in irgendeiner Weise erwähnt, dass mit der schwarzen Magie auch psychische Schäden einhergehen. Und das aus gutem, aber dafür umso schockierenderem Grund.“ Konrad nickte. „Die Magier selbst bemerken es nicht. Und wenn sie es bemerken, dann ist es schon zu spät.“ „Was?!“, schrie Öznur entgeistert auf, während sie sich an Eagle klammerte, der kreidebleich schien. „A-aber… wieso?!“ Betroffen schaute Susanne den Vampir an, der all das selbst hatte erleben müssen. „Es… man könnte es als eine Sucht beschreiben.“, versuchte er zu erklären. „All die anderen Zauber wirken machtlos im Vergleich zur Schwarzmagie. Dieses Gefühl von Macht, von Freiheit, die Fähigkeiten alles zu erreichen, was auch immer man sich vorstellt. Es… Es ist…“ Er stockte und schüttelte den Kopf. „Es ist wie als hätte man keine Alternativen mehr. Man will keine Alternativen mehr. Die Macht, die man während eines Schwarzmagie-Rituals hat sorgt dafür, dass einem alles andere egal ist. Und deshalb ist es schon zu spät, sobald man erkennt, was mit einem vor sich geht. Weil man bereits gefangen ist zwischen absoluter Macht und vollkommenem Wahnsinn.“ Nachdenklich nickte Florian. „Das würde zumindest zu meinem Bild von Schwarzmagiern passen. Sie haben sehr viel schwarze Magie angewandt. Viel zu viel.“ Konrad nickte. „Die meisten finden an Blutverlust den Tod.“ „Und das erklärt, warum du noch hier bei uns bist…“, stellte Florian betroffen fest. „Da du mit der Blut-Energie nicht auf dein eigenes für die schwarze Magie zurückgreifen musstest.“ Eine Gänsehaut breitete sich auf Lauras Armen aus. War es das? War das das Schicksal eines Schwarzmagiers? „Aber… Aber du bist doch irgendwie aus diesem Teufelskreis herausgekommen!“, stellte Susanne verzweifelnd und auch hoffend fest. Konrad nickte. „Über einen alles andere als schönen Weg.“ Eine unausgesprochene Aufforderung lag in der Luft, dass Konrad von diesem Weg erzählen sollte. Dass er ihnen irgendwie sagen sollte, wie sie Carsten retten konnten. Wie sie verhindern konnten, dass er in diesen Kreislauf geriet und darin gefangen blieb. „Es… im Prinzip war es Rina.“, gab er schließlich dem lautlosen Flehen nach. „Ich hatte mich irgendwann überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Am Ende hatte sie mir nur mitteilen müssen, dass die Krawatte schief sitzt und ich bin ausgerastet. Irgendwann… Da…“ Die Stimme des Vampirs brach. Was auch immer es war, es belastete Konrad wohl nach all der Zeit noch so sehr, dass er nicht darüber reden konnte, ohne, dass die Vergangenheit ihn zu sehr einholte. Rina strich über die zur Faust geballten Hand ihres Verlobten, als sie seine Erzählung fortsetzte. „Trotz Konrads Wutausbrüche blieb es eigentlich immer nur auf verbaler Ebene. Er hatte geschrien, mich beleidigt… Es war nicht schön, aber ich habe versucht es runterzuschlucken. Mir zu sagen, dass es nur diese eine Phase ist. Dass es wieder gut werden würde, wenn der Krieg nur endlich vorbei wäre. Doch irgendwann… da wurde er plötzlich handgreiflich. Er hatte mich zurückgestoßen und machte Anstalten mich zu schlagen.“ Laura entwich der Atem, sie schaute das Vampirpaar schockiert an. Er hatte was?! Selbst wenn Konrad eher in die emotionale Richtung ging, war er doch eigentlich immer ein ruhiger, besonnener Typ. Und am allerwichtigsten: Er würde niemals jemanden verletzen wollen, der ihm wichtig war. Selbst wenn Laura den Vampir nicht sonderlich gut kannte wusste sie das. Schließlich waren er und Rina Schlüsselfiguren von Bennis Kindheit. Noch dazu waren Konrad und Rina das prägendste Paar für ihn gewesen und Laura hatte tatsächlich häufiger Gesten von ihm ihr gegenüber bemerkt, die Ähnlichkeiten mit dem Vampir hatten. Fast so, als hätte Benni bei ihnen gesehen, wie sich ein Liebespaar verhielt. Und eine Sache stand fest: Selbst in den Trainingskämpfen war Benni immer extrem darauf bedacht gewesen, dass sie sich nicht verletzte. Er würde ihr niemals Schaden zufügen wollen. Falls er körperlich überhaupt dazu in der Lage war. Mit diesem Wissen war es umso schockierender, dass Konrad gewalttätig geworden war. „A-aber… Und wie… Was…“ Rina seufzte. „Keine Sorge, es ist nie so weit gekommen.“ Verbittert lachte Konrad auf. „Und das aus gutem Grund…“ „… Ich sagte: ‚Wenn du jetzt zuschlägst, hast du mich für immer verloren.‘ Danach kam er wieder zu sich. Es war schwer, aber schließlich haben wir es doch geschafft und die schwarze Magie besiegt.“ „… Das erklärt, warum du im Kampf gegen mich keine schwarze Magie mehr verwendet hattest, obwohl du bei den Elben schon berüchtigt dafür warst.“, meinte Florian nachdenklich, eher zu sich selbst. „Ich wollte es nicht mehr.“, erwiderte Konrad trostlos. „Ich konnte das nicht mehr… damit leben. Mit diesem Wissen, zu was für einem Monster ich dadurch werde… Dass ich selbst die wichtigste Person…“ Dieses Mal konnte er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Sanft nahm Rina ihn in die Arme und bei der plötzlichen Kälte rückte auch Laura näher an Ariane, die wiederum sowohl sie als auch Johanna enger an sich drückte. Auch den Rest hielt diese gequälte Erzählung gefangen. Man konnte deutlich spüren, wie die Vergangenheit noch über ihnen loderte, obwohl sie über zwanzig Jahre zurück lag. Wie sich jemand durch die schwarze Magie plötzlich von seinen Prinzipien abzuwenden drohte und was für Folgen das für diese Person so viele Jahre später noch haben konnte. Laura bemerkte, wie sich Saya gegen Eagle lehnte, als hätte die Erkenntnis, was ihrem zweiten Stiefsohn drohte, ihr jegliche Kraft geraubt. Eagle wirkte zwar weniger überrascht, dafür aber umso verbissener und verzweifelter. Er hatte von Anfang an befürchtet, dass es so ausgehen könnte. War all die Zeit schon von diesen Ängsten geplagt. Schließlich atmete Konrad tief durch, beinahe so als müsse er sich mit aller Kraft zur Ruhe zwingen. „Ich habe mich nicht grundlos dazu durchgerungen, euch davon zu berichten. Nach allem was ihr erzählt habt ist mir eine Sache aufgefallen.“ Erneut atmete er tief durch und sein ernster Blick brachte Lauras Herz zum Stillstand. „Das alles entwickelt sich bei Carsten viel zu schnell.“ „Was?!“ Eagle war aufgesprungen, seine Stimme klang fast wie ein Donner. Zeitgleich fühlte sich Laura wie vom Blitz erschlagen. Was hatte er… Carsten… Zu… Zu schnell? Rina nickte. „Diese Zeit zwischen den emotionalen Ausbrüchen und… und dem Eindruck, dass wirklich etwas nicht in Ordnung ist. Das hat bei Konrad vielleicht so zwei bis drei Jahre gebraucht. Halluzinationen hatte er in dem Zeitraum noch überhaupt keine gehabt.“ Konrad nickte. „Doch bei Carsten ist wieviel Zeit vergangen? Zwei Monate?“ Kraftlos sackte Eagle zurück aufs Sofa. „Seine Schwarzmagier-Prüfung liegt etwa einen Monat zurück…“ „A-aber…“, setzte Laura an, irgendwie in der Hoffnung ihnen widersprechen zu können. Doch es gab nichts. „Aber wieso?!“, fragte Öznur verzweifelt. Nachdenklich verschränkte Lissi die Arme vor der Brust. „Könnte es sein, dass die Psyche des Magiers Auswirkungen darauf hat?“ Konrad nickte. „Genau das ist meine Vermutung.“ „Aber wieso sollte Carstens Psyche Auswirkungen auf die schwarze Magie haben?!“, fragte Öznur ungläubig. „Es war doch bisher alles in Ordnung! Klar, es gab Sachen, die ihn belastet haben, aber…“ Eagle ballte die Hand zur Faust, seine Stimme war kaum wiederzuerkennen, als er zitternd fragte: „Es ist meine Schuld, nicht wahr? Unsere Kindheit, das FESJ, …“ „Aber er hat immer so normal gewirkt!“, widersprach Öznur verzweifelt. Laura rieb sich die Oberarme. Ihr war eiskalt. „Genau… Gewirkt.“ „Erinnert ihr euch noch, als wir damals in Terra waren?“, rief Lissi ihnen ins Gedächtnis. „Oder an seinen Albtraum kurz danach? Oder seine Reaktion, als Öznur ihn gefragt hatte, wie er eigentlich sonst so seine Ferien verbracht hatte?“ „Auch damals bei der Abendgesellschaft… Er hatte schon fast panisch gewirkt, als er den Direktor des FESJ einfach nur gesehen hat.“, erinnerte sich Ariane. Konrad seufzte. „Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass seine Psyche von all dem unbeschadet geblieben ist. Selbst Benni hatte mal so eine Befürchtung geäußert.“ „Es kann gut sein, dass sich beides gegenseitig verstärkt.“, setzte Rina ihre Vermutungen fort. „Wie bei Konrad mit dem Krieg damals. Selbst wenn Carsten es bisher unter Kontrolle hatte, hat er doch viele Angriffspunkte, die die Schwarzmagie allesamt ausnutzt. Sei es die Vorbelastung durch die Familie, die Schule, das FESJ, … Einfach alles. Das gepaart mit einer schwachen Psyche ist wie eine Vorerkrankung, wenn man eine Grippe bekommt.“ Susanne nickte schwach. „Das ergibt Sinn…“ Mitleidig bemerkte Laura, wie besonders Saya dieses Wissen zu schaffen machte. „Und trotz allem habe ich nie etwas bemerkt… Habe ich nie etwas dagegen getan…“ „Aber du hast ihn doch so gut es geht unterstützt.“, versuchte Öznur ihr die Selbstvorwürfe auszureden. „Nein, nicht genug!“ Verzweifelt wischte sich Saya eine Träne aus den Augen. „Es hat sich schon so früh angedeutet! Ihr… ihr müsst wissen, dass Carsten weder im Kindergarten noch in der Grundschule Anschluss finden konnte. Die Erzieherinnen fanden es seltsam, dass er nie mit anderen Kindern gespielt hatte, aber ich dachte einfach, dass er zu weit entwickelt für sie war! Carsten hatte halt schon immer viel lieber gelesen als Fangen zu spielen! Er beherrschte bereits mit vier alle Grundrechenarten! Deshalb hatten wir ihn ein Jahr früher einschulen lassen. Doch in der Grundschule waren seine Leistungen immer nur befriedigend und die Lehrer beklagten sich, dass er im Unterricht nie mitarbeite und ständig abwesend wirke. Und selbst wenn sie die Fragen direkt an ihn richteten, sagte er entweder gar nichts oder stammelte etwas komplett Falsches!“ Schluchzend fuhr sich Saya erneut über die Augen. „Die Lehrer wollten ihn wieder ein Jahr zurückversetzen. Sie meinten, dass er wohl noch nicht reif genug war. Da uns nichts Besseres einfiel hatten wir dem zugestimmt, aber es wurde nur noch schlimmer! Carsten hatte all das immer nur wortlos über sich ergehen lassen, hatte nie protestiert, wenn ich ihm solche Vorschläge gemacht habe. Aber irgendwann begann er morgens ständig über Bauchschmerzen zu klagen. Ich ließ ihn einen Tag daheim, dachte, am nächsten bessert es sich, doch es kam wieder und wieder! Also nahm ich ihn mit ins Krankenhaus, um ihn untersuchen zu lassen… Und… und da… Er war auf einmal ein ganz anderer Mensch! Er ist richtig aufgeblüht! Hat sich mit Kollegen von mir unterhalten, als wäre seine Schüchternheit nie da gewesen! Er redete mit ihnen über Medizin, einige nahmen ihn sogar mit zu Operationen oder ins Forschungslabor!“ Sie verbarg ihr Gesicht hinter den Händen. „Doch an seiner schulischen Situation hatte das trotzdem nie was geändert. Er brachte bei Klassenarbeiten eine vier nach der anderen heim, häufig mit dem Kommentar ‚vom Nachbarn abgeschrieben‘.“ Es war ein lähmendes Gefühl was sich in Laura ausbreitete, als Sayas Schluchzen das einzige war, was den Raum füllte. Sie hatte gewusst, dass Carsten Schule schon immer gehasst hatte. Natürlich hatte sie das auf seine Schüchternheit und insbesondere auf Eagle geschoben gehabt. Aber dass es so schlimm gewesen ist… Das hatte sie sich doch nicht vorstellen können. Auch der Rest konnte Sayas Erzählung nur mit Mühe verarbeiten. Eagle am allerwenigsten, der ruckartig aufstand und den Raum verließ. Öznur rief ihm hinterher, er solle zurückkommen, doch natürlich half das nichts. Mit einem entschuldigenden Blick stand auch sie auf, um ihm zu folgen. Laura ballte die Hände zu Fäusten, bis sich ihre Fingernägel in die Handflächen schnitten. Tränen brannten in ihren Augen. „Und nach all dem habt ihr ihn auch noch aufs FESJ geschickt?“ Weinend versuchte Saya sich zu erklären, brachte jedoch nichts über die Lippen. Stattdessen war es Rina, die antwortete: „Konrad und ich hatten diesbezüglich häufiger im Internet recherchiert. Schon damals, als man Benni wegen des Vorfalls mit den Profi-Kampfkünstlern dort einweisen wollte. Und auch später, als es um Carsten ging und Benni versucht hatte alles über diese Anstalt in Erfahrung zu bringen.“ Konrad nickte. „Im Internet hat die Schule eigentlich ganz seriös gewirkt. Sehr strenge Regeln, aber alles mit der Begründung, dass ‚schwer erziehbare Kinder‘ eine starke Hand bräuchten, um sie auf den rechten Pfad zurückbringen zu können.“ „Wir haben die Form des Erziehungsstiles nicht unterstützt und waren damals auch entsprechend froh, dass Leon Lenz Benni nur verbannt hatte. Aber in den Medien wurde eigentlich nie etwas Schlechtes über die Schule berichtet.“ Ariane erwiderte darauf nur zerknirscht: „Könnte das nicht absolut einseitige Berichterstattung und Kontrolle sein? Immerhin haben wir doch schon festgestellt, dass Mars gerade in Terra seine Finger im Spiel hat.“ Seufzend nickte Florian. „Das ist leider sehr wahrscheinlich. Aber für jemanden, der keine oder nur kaum Ahnung hat…“ Plötzlich richtete Lissi sich auf, jeglicher lockere, unbekümmerte Blick war aus ihren Gesichtszügen verschwunden. „Seht es doch endlich ein, wir wissen nur von zwei vielleicht vier Leuten, die uns wirklich erzählen können, was in dieser Schule vor sich geht. Einer davon hatte vor wenigen Monaten einen unkontrollierbaren Wutausbruch bekommen, weil einfach nur der Name dieser Schule erwähnt wurde! Und der andere schafft es nicht, auch nur ein Wort dazu zu äußern. Vielleicht wissen Benni oder Herr Bôss noch etwas, aber ansonsten können wir nicht sagen, wie es innerhalb dieser Mauern aussieht und wie dort die Schüler behandelt wurden.“ Betreten senkte Laura den Blick. Lissi hatte recht. „Benni hatte mal angedeutet, dass die Strafen ziemlich ‚unmenschlich‘ wären. Also, dass man drei Tage lang nichts zu Essen bekommt, wenn man dabei erwischt wird, dass man im Unterricht nicht aufgepasst hat. Aber…  Mehr hat er mir auch nie erzählt…“ Ariane seufzte. „Also krass ist das schon. Ich dachte eigentlich, dass die anderen Schüler dafür verantwortlich sind, warum diese Zeit Carsten so belastet. Immerhin ist die Anstalt ja im Prinzip für minderjährige Verbrecher gedacht…“ „Dass die Strafen brutal sind, kann man sich schon vorstellen. Aber ich dachte immer in die Richtung alte Schule und Rohrstock.“, gestand Susanne, woraufhin Laura und einige andere bedrückt nickten. Erst jetzt wurde Laura bewusst, wie wenig sie doch wussten. Eigentlich… Eigentlich wussten sie rein gar nichts. Lissi hatte recht, Carsten schaffte es so gut wie gar nicht darüber zu reden. Jack hatte zumindest damals seine Gefühle überhaupt nicht unter Kontrolle gehabt. Und von Herr Bôss oder Benni hatten sie nie wirklich was erfahren. „Du… du hast bereits Vermutungen, oder?“, fragte Susanne ihre Zwillingsschwester. „Schon seit längerem…“ Seufzend setzte sich Lissi wieder hin. „Ihr… solltet nächstes Mal vielleicht mal einen Blick auf Jacks Oberkörper werfen. Und wenn Carsten schon die Verbrennungen mit Magie versteckt hatte… Da will ich nicht wissen, was sich sonst noch so darunter verbirgt.“ Laura wurde schlecht. Also ihr wurde richtig, richtig schlimm übel. Was hatte Lissi da vermutet? Was hatte diese Andeutung zu bedeuten? „Du… du glaubst…“ Sie zitterte, war mal wieder kurz davor loszuweinen. „… Dass die Schüler dort bei den ‚unmenschlichen‘ Bestrafungen gefoltert werden? Ja, das glaube ich schon lange.“ Das war ein Scherz. Das konnte nicht wahr sein! So ging doch keine Schule mit ihren Schülern um!!! Aber es war so logisch, warum sonst würde Benni ihr so wenig- Nein! Das- das war… Der gesamte Raum befand sich wie in einer Schockstarre. Nur Laura vergrub ihr Gesicht hinter den Händen, verkrallte die Finger in den Haaren, während ein tosender Schmerz in ihrer Brust tobte. Das war es, was Benni ihr all die Zeit verschwiegen hatte? Das war es, was Carsten ständig hatte mit sich herumtragen müssen?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)