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Demon Girls & Boys

von

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Minuten des Zorns

Minuten des Zorns
 


 

Bedrückt verließ Carsten das Zelt seiner Großmutter und machte sich auf den Heimweg. Koja hatte ihm tatsächlich alles Mögliche über die Organisation der Trauerfeier und Krönungszeremonie erzählen können. Am Ende meinte sie, dass Carsten mal in Sisikas Sachen suchen sollte. Anscheinend war sie es damals gewesen, die die Zeremonie für Chiefs Amtsantritt geplant hatte und schien alles Erforderliche in einem Notizbuch festgehalten zu haben.

Ob sie dieses Notizbuch schon mit dem Hintergedanken angefertigt hatte, dass ihr Sohn eines Tages Häuptling werden würde? Hatte sie gehofft, Eagle damit zu helfen? Ihm in dieser schweren Situation beistehen zu können, obwohl sie nicht mehr am Leben war?

Immerhin war die Dauer des Kampfes gegen das Karystma von Person zu Person verschieden. Sisika hatte bis in ihre Zwanziger durchgehalten. Laura wiederum hätte sehr wahrscheinlich nicht lange zu leben gehabt, wäre der Schwarze Löwe nicht gewesen. Carsten bezweifelte, dass sie überhaupt ihren fünften Geburtstag noch erlebt hätte…

Schaudernd verschränkte er die Arme vor der Brust. Er wollte sich eine Welt ohne sie gar nicht erst vorstellen.

„Hey, du bist doch Crow, nicht wahr?“, rief jemand hinter ihm auf Indigonisch.

Irritiert drehte sich Carsten um. Drei Indigoner, etwa in seinem Alter, kamen auf ihn zu. Bereits auf den ersten Blick erkannte Carsten, dass sie allesamt Kampfkünstler waren. Was nicht verwunderlich war. Etwa zweidrittel von Indigos Bevölkerung hatte eine antike Begabung für das Physische.

Derjenige, der ihn angesprochen hatte, begann ein Gespräch. „In den Medien wird überall erwähnt, dass der Häuptling von einem jungen Mann ermordet wurde, der bereits polizeibekannt ist und davor schon einige Jahre im FESJ war.“

Carsten verspannte sich.

Derweil fuhr einer seiner Freunde fort: „Die Besserungsanstalt scheint wohl nichts bei dem gebracht zu haben. Wie konnte man den überhaupt auf freien Fuß setzen? Da sieht man’s mal wieder, ein Verbrecher bleibt ein Verbrecher.“

„Was wollt ihr?“

„Du warst doch auch dort, nicht wahr?“, fragte der dritte von ihnen.

„Na und?“ Carsten musterte die Typen kritisch. Drei mit Testosteron vollgepumpte Halbstarke, die allem Anschein nach irgendeinen Sündenbock brauchten, um ihre gerade erst neu gelernten Kampftechniken ausprobieren zu können.

Der zweite von ihnen zuckte mit den Schultern. „Na ja, wir haben uns gefragt, ob du den Kerl nicht vielleicht dort kennengelernt hast. Ob ihr vielleicht sogar gemeinsame Sache macht.“

Zitternd ballte Carsten die Hand zur Faust. Sein Puls beschleunigte sich. „Wollt ihr etwa behaupten, ich sei verantwortlich für den Tod meines Vaters?!“

„Ach, du gibst es also zu?“

„Warum sollte ich so etwas wollen?!“ Verärgert funkelte er die Typen an.

Erst gab man ihm die Schuld am Tod seiner Mutter und nun auch noch an dem seines Vaters?!

Zitternd schluckte Carsten die angestauten Aggressionen runter. Nein, die waren es nicht wert. Er musste sich um wichtigeres kümmern. „Ich habe nichts mit dem Tod meines Vaters zu tun.“, äußerte er so ruhig wie möglich. „Und nun entschuldigt mich, ich bin beschäftigt.“

Carsten wandte sich zum Gehen.

„Jetzt ist Eagle dran, nicht wahr?! Jetzt willst du dich auch an ihm rächen!“, brüllten sie ihm hinterher.

Carsten versuchte ihre Stimmen auszublenden. Er war ohnehin schon etwas gereizt, da er nicht sonderlich gut geschlafen hatte.

„Gib’s zu, du willst der nächste Häuptling werden!“

Nicht hinhören. Einfach weitergehen.

Carsten hörte Schritte hinter sich, die sich ihm schnell näherten.

„Du Hurensohn willst jetzt auch ihn umbringen!!!“, schrie der Typ so laut, dass es in seinen Ohren dröhnte.

Carsten atmete geräuschvoll aus. Drehte sich um.

Eine Faust raste auf sein Gesicht zu, doch ehe sie treffen konnte, fing Carsten sie ab. Hielt sie fest.

Verärgert erwiderte er den Blick des Indigoners. „Noch ein Wort und du wirst diesen Arm für eine Weile nicht mehr benutzen können.“

Ohne es zu beabsichtigen, zuckten bereits lila Magieblitze um Carstens Finger, die die Faust gefangen hielten.

Diese reichten allerdings schon aus, dass sich der Indigoner grob befreite und hastig ein paar Schritte zurückstolperte.

„Du Arschloch! Damit wirst du nicht davon kommen.“, schrie ein anderer und griff ihn an.

Carsten sagte ein Wort auf Dryadisch und die Faust des Angreifers traf auf eine lila schimmernde Magiebarriere. Fluchend hielt er sich die Hand.

Der dritte wagte es gar nicht mehr einen Angriff zu starten.

„War das alles?“, fragte Carsten immer noch leicht gereizt. Als keine Antwort kam meinte er schließlich. „Sehr schön, dann kann ich ja endlich gehen.“

Nach einigen Schritten blieb er allerdings nochmal stehen und schaute über die Schulter. „Ich weiß nicht, wie ihr auf so eine absurde Idee gekommen seid. Aber ich bin weder für den Tod meines Vaters verantwortlich, noch möchte ich Eagle irgendetwas antun. Ich will ihm einfach nur helfen.“

Auch als Carsten daheim angekommen war und den Schlüssel im Schloss herumdrehte, zitterten seine Finger noch. Er war es ja gewohnt, von den anderen Indigonern ignoriert zu werden. Und gelegentlich gab es früher auch Anfeindungen, gerade aus Eagles Freundeskreis.

Aber solche Beschuldigungen?

Er betrat das Haus. Den Stimmen nach zu urteilen war der Rest in der Küche. Doch Carsten stieg direkt die Treppe hoch. Ging zu der Stelle, wo sich eine verschlossene Luke in der Decke befand. Mit seiner Magie öffnete Carsten diese Luke und ließ die Leiter herunter.

Eigentlich war er inzwischen groß genug, um ohne seine Magie auf den Dachboden zu kommen. Doch er tat es aus Gewohnheit.

Der Dachboden war staubig und dunkel. Wieder aus Gewohnheit schloss Carsten die Luke und zauberte sich einige warme Lichter in den Raum. Inzwischen musste er sich bücken, um den Dachbalken und den Spinnenweben auszuweichen. Früher war das noch nicht so ein Problem gewesen. Früher war ihm der Dachboden auch viel größer vorgekommen.

In Erinnerungen verloren öffnete er einen der Pappkartons und holte eines der vielen sich darin befindenden Bücher heraus. Als Kind war er häufig hier oben gewesen. Sehr häufig.

Gerade, wenn Eagle ihm gegenüber Gewalt anwenden wollte, hatte sich Carsten hier oben versteckt und mit seiner Magie die Luke verschlossen, damit niemand ihm folgen konnte. Und dann hatte er gelesen. Stundenlang. Schöne Bücher, lustige Bücher, traurige Bücher, spannende Bücher, Bücher über Medizin, Biologie, Chemie oder Physik, Bücher über Magie und Alchemie, … Einfach alles.

Manchmal hatte er sogar die Essens- oder Schlafenszeit vergessen, wenn er am Lesen war. Am Anfang hatte Saya ihn dann immer verzweifelt gesucht, bis sie irgendwann sein Versteck gefunden hatte. Dann hatte sie ihm ein kleines Sofa und ein paar Decken hochschaffen lassen, damit er nicht auf dem kalten Holzboden sitzen musste.

Mit einem traurigen Lächeln betrachtete Carsten das Buch in seiner Hand und legte es schließlich zurück zu den anderen. Eigentlich waren sie allesamt viel zu schade, um sich hier auf dem Dachboden zu befinden. Sie gehörten schön aufgereiht in ein Bücherregal. Aber andererseits war das hier auch wie eine Schatzkiste. Carstens Schatzkiste, von der nur sehr wenige wussten. Genau genommen gerade mal zwei Leute. Und deswegen würde sie ihm auch niemand stehlen können.

Carsten verschloss den Karton wieder und machte sich auf die Suche nach demjenigen, in welchem Besitztümer seiner leiblichen Mutter sein könnten.

Es war ihm etwas unangenehm, die Sachen anderer Leute zu durchsuchen. Einen Karton mit Sakuras alten Puppen schloss er direkt wieder. Auch den mit Eagles Spielsachen, überwiegend Modellautos und -flugzeuge, betrachtete er nur ganz kurz. Da waren noch alte Schulsachen, eine Kiste voller Klamotten, … Carstens Blick fiel auf die Kiste, die ganz in der Ecke stand und von allen am schwersten erreichbar war. Warum hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht? Es war doch eindeutig.

Er schob weitere Kartons zur Seite, bis er endlich jene Kiste erreicht hatte. Staub stieg ihm in die Nase und zwang Carsten zu einem Niesen als er sie öffnete.

Das erste was er herausholte war eine etwas größere Holztruhe, die mit wunderschönen indigonischen Mustern verziert war. Darunter befanden sich diverse kleinere Kästchen und auch einige Bücher. Ein in dickeres Leder gehülltes Buch erregte sofort Carstens Aufmerksamkeit. Er holte es aus dem Karton und betrachtete den Einband. Auch in dieses waren indigonische Muster eingraviert.

Carsten schlug es auf. Zum Vorschein kamen viele, mit unsauberer Handschrift beschriebene Seiten. Alles komplett auf Indigonisch.

Carsten blätterte zurück zur ersten Seite und ließ eine der Lichtkugeln zu sich kommen, um besser lesen zu können. Diese Schrift war ja grauenhaft unordentlich.
 

‚18. August 161 n.KE

Heute in den frühen Morgenstunden ist mein Schwiegervater Amar verstorben. Auch, wenn er in letzter Zeit sehr kraftlos wirkte, hätten wir trotzdem nicht mit einem so plötzlichen Tod gerechnet. Chief am allerwenigsten. Nachdem der erste Schock überstanden war stellte sich die Frage: Was machen wir jetzt? Zum Glück hatte meine Mutter damals bereits bei Amars Amtseintritt mitgewirkt und kannte auch noch viele Leute, die uns helfen konnten. Leider gibt es nirgends ein Buch, was alles übersichtlich zusammenfasst. Und alle Formalitäten aus allen möglichen Regelwerken zusammenzutragen, die hier gerade vor mir stehen, ist freundlich gesagt der absolute Scheiß. (Entschuldigung, das hat niemand gelesen.) Aus diesem Grund werde ich versuchen, alles so übersichtlich wie möglich auf den folgenden Seiten zusammenzufassen. So bleibt dir, mein Kind, eines Tages zumindest diese anmaßende Arbeit erspart, wenn du in diese erdrückende Situation kommst und ich nicht mehr da sein sollte, um helfen zu können.

Da du das wahrscheinlich gerade liest, weil du dich in genau dieser Situation befindest, möchte ich jetzt schon mal vorwegsagen: Ich habe dich lieb, mein Schatz. Bleib stark. Du schaffst das!

Sisika‘
 

Carsten wischte sich eine Träne von der Wange. Er wusste noch nicht einmal, wieso ihm auf einmal zum Weinen zumute war. Eigentlich waren diese Worte ja ganz eindeutig an Eagle gerichtet, mit dem Sisika dem Datum nach zu urteilen bereits schwanger war. Aber trotzdem… Das war das erste, was er jemals von seiner Mutter in die Hand bekommen hatte. Im Prinzip waren es die ersten Worte, die er von ihr je gehört hatte. Oder eher gelesen… Und selbst wenn sie an Eagle gerichtet waren, Carsten fühlte sich automatisch auch davon angesprochen.

Zitternd atmete er mehrmals durch, bis er den Eindruck hatte sich wieder beruhigt zu haben. Er legte das Buch zur Seite und wollte die Holztruhe wieder in den Karton räumen. Doch sie rutschte ihm aus den Händen und fiel mit einem Krachen auf den hölzernen Boden. Der offensichtlich unverschlossene Deckel öffnete sich und mehrere kleine Zettel fielen heraus.

Carsten unterdrückte einen Fluch und nahm die etwas festeren Zettel, um sie wieder einzuräumen. Da fiel ihm auf, dass es sich um Fotos handelte.

Nun doch neugierig geworden, scharrte er die Fotos zusammen und betrachtete sie. Auf dem ersten war direkt eine junge Frau mit einem wenige Monate alten Baby im Arm, dessen Hand sie so hob, als winke es in die Kamera.

Ein trauriges Lächeln breitete sich auf Carstens Lippen aus. Die Frau sah ihm ungewöhnlich ähnlich. Besonders die lilafarbenen Augen waren eindeutig. Inzwischen hatte er dank Samira und Jacob bereits einige Geschichten von ihr gehört, doch das war das erste Mal, dass er seine Mutter auch sah. Er wusste zwar, dass er vom Aussehen her anscheinend nach ihr gekommen war, aber er hatte sich trotzdem nie ein Gesicht vorstellen können.

Das Kind in ihren Armen war allem Anschein nach-

„Carsten?! Alles okay?!“, drang Eagles tiefe Stimme zu ihm nach oben.

Carsten schreckte auf. „Ja- ja, alles in Ordnung! Ich komme, Moment.“

Hastig legte er die Fotos zurück in die Holztruhe. Doch als er sie in den Karton stellen wollte, hielt er inne. Er stellte die Truhe neben das Notizbuch und verschloss den Karton. Anschließend kehrte er zurück zur Luke und öffnete sie.

Unten stand Eagle, der kritisch zu ihm hochblickte. „Was war das denn für ein Poltern?“

„Mir ist was aus der Hand gerutscht.“, meinte Carsten nur und reichte ihm die Truhe runter. „Hältst du mal?“

Stirnrunzelnd nahm Eagle sie entgegen, während Carsten die Leiter herunterkletterte und die Luke zum Dachboden wieder verschloss. Sisikas Notizbuch teleportierte er in sein Zimmer, bevor sein Bruder es bemerken konnte. Schließlich war der Inhalt dessen etwas, mit dem Eagle sich momentan am allerwenigsten befassen wollte.

„Was ist das?“, fragte Eagle auf die Truhe blickend.

„Sieh es dir selbst an.“, erwiderte Carsten und lächelte seinem großen Bruder aufmunternd zu.

Eagle öffnete den Deckel und holte eines der Fotos heraus. Eine Weile schaute er einfach nur schweigend das Bild an. Irgendwann holte er das zweite Foto heraus.

„…Da waren sie also die ganze Zeit…“, murmelte er, eher zu sich selbst.

Carsten beobachtete, wie sich Eagle auf den Boden setzte und gegen die Wand lehnte, nur um im Anschluss weitere Fotos aus der Truhe zu holen und sie sich anzuschauen.

„Hey, ich habe sie selbst noch nicht alle gesehen.“, beschwerte sich Carsten und setzte sich neben Eagle aufs Parkett.

Eagle reichte ihm die bereits angeschauten Fotos und holte sich selbst neue aus der Truhe. Ein schiefes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. „Das dürfte dir gefallen.“

Er gab das Foto an Carsten weiter, welcher es neugierig betrachtete. Und kurz darauf auflachte. „Tatsache.“

Auf dem Foto war das ‚Teufels-Trio‘, wie Jacob Samira, Saya und Sisika gerne nannte. Eagle, keine drei Monate alt, saß auf Samiras Schoß und hatte fasziniert die Hand auf ihren dicken Bauch gelegt.

Eagle schnaubte. „Wer hätte gedacht, dass das Ding, was da drinnen heranwächst, mich später mal in allem übertrumpfen wird.“

Carsten war sich nicht sicher, wie ironisch Eagle seine Aussage gemeint hatte. Ein Hauch Frust lag definitiv in seiner Stimme. Aber er schien auch etwas amüsiert. Hoffentlich.

„Nicht in allem.“, berichtigte Carsten ihn.

„Ach, und was kann ich bitteschön besser als er?“

Carsten zuckte mit den Schultern. „Essen?“

„Eine schmeichelhaftere Antwort ist dir wohl nicht eingefallen.“

„Saufen?“

„Carsten, ich warne dich.“

„Schlafen?“

Eagle stöhnte auf. „Ist das dein Ernst?“

„Größe?“

Er warf ihm einen kritischen Blick zu. „Kommst du jetzt ernsthaft mit sowas an?“

Verwirrt musterte Carsten ihn. „Wie meinst du das? Du bist doch wirklich zehn Zentimeter größer als Benni.“

Plötzlich lachte Eagle los. Was Carsten umso mehr irritierte. „Was ist daran so lustig?“

Sein großer Bruder schaute ihn amüsiert an und schüttelte den Kopf. „Du bist so unschuldig, dass es fast schon weh tut.“

Carsten wollte erneut nachfragen. Doch dann erkannte er, was Eagle wohl verstanden haben musste. Er verdrehte die Augen. „War ja klar, dass du das so interpretierst.“

Eagle warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Stimmt das denn auch?“

„Keine Ahnung. Und darüber will ich mir auch keine Gedanken machen müssen.“

„Alles in Ordnung?“, fragte Öznur verwundert, die am Ende der Treppe stand.

Eagle betrachtete seinen kleinen Bruder schmunzelnd. „Ja, Carsten ist nur so wie immer.“

Öznur warf Carsten einen erleichterten Blick zu. Was auch immer die Ursache war, sie war wohl einfach froh, dass er es geschafft hatte Eagle zum Lachen zu bringen.

„Ich sollte euch eigentlich nur von Saya ausrichten, dass das Abendessen fertig ist.“, meinte sie schließlich.

„Wir kommen gleich.“, erwiderte Eagle und begann, die Fotos wieder einzuräumen.

Öznur nickte und ging die Treppe wieder runter, um Saya beim Tischdecken zu helfen. Momentan waren keine Angestellten im Haus, da sie einfach alle ihre Ruhe haben wollten. Und Carsten war sowieso noch nie ein Fan von Bediensteten gewesen. Er kümmerte sich lieber selbst um alles.

Erneut schaute Eagle Carsten kritisch an und schloss den Deckel der Truhe. „Aber im Ernst: Kann ich überhaupt was besser als Benni?“

Carsten verdrehte die Augen. „Ich hätte nicht gedacht, dass diese Frage wirklich ernst gemeint war. Im Kampf bist du eigentlich viel stärker und schneller als Benni. Er hat nur so ein leichtes Spiel mit dir, da du ständig auf Frontalangriffe aus bist und deine Bewegungen dadurch total berechenbar sind.“

Eagle schien überrascht. „Wirklich?“

„Ich dachte eigentlich, du würdest mehr über deine Stärken und Schwächen nachdenken.“

Schnaubend stand Eagle auf und wollte die Truhe hochheben. Hielt kurz darauf allerdings für einen Moment inne. „Kann… ich sie behalten?“

„Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Warum fragst du mich das?“

„Keine Ahnung.“ Er seufzte und Carsten musste feststellen, dass sein großer Bruder wieder in dieses bedrückte Schweigen fiel.

Aber er war froh, die Fotos mitgenommen und Eagle dadurch zumindest ein bisschen aufgeheitert zu haben. Carsten hatte ursprünglich die Sorge gehabt, es damit nur noch schlimmer zu machen. Trotzdem erzählte er ihm lieber noch nichts von dem Notizbuch. Irgendwie hatte er den Eindruck Eagle würde komplett ausrasten, würde man das Wort ‚Häuptling‘ auch nur in den Mund nehmen.

Auch das Abendessen verlief bedrückend schweigsam. Zumindest, bis Öznur fragte was es mit dieser Truhe vorhin auf sich habe. Als Eagle und Carsten daraufhin von den Fotos erzählten, besserte sich die Stimmung wieder etwas. Besonders, da dies Saya die Gelegenheit bot über ihre, Samiras und Sisikas ‚Jugendsünden‘ zu erzählen. Und ja, man nannte die drei zurecht das Teufels-Trio. Saya war wohl schon immer der ruhige Pol gewesen, der die rebellische Samira und temperamentvolle Sisika irgendwie im Zaum halten musste. Was ihr nicht immer gelang, beziehungsweise manchmal auch nur ein halbherziger Versuch war. Erst, als Samira Jacob und Sisika Chief kennengelernt hatten, wurden sie etwas zahmer. Aber auch nur etwas.

Im Anschluss an das Abendessen ging Eagle in eine Kneipe, wo er sich allem Anschein nach mit Freunden verabredet hatte. Wahrscheinlich zum Saufen. Ja, das konnte er wirklich besser als Benni. Viel besser. Öznur begleitete ihn natürlich und auch Carsten kam widerwillig mit, nachdem Saya ihn dazu überredet hatte ein Auge auf seinen großen Bruder zu werfen.

Zumindest war Eagles Freundeskreis Carsten nicht mehr so feindlich gesinnt wie früher. Oder wie die drei Kerle vorhin…

Carsten versuchte diese Erinnerung auszublenden und schaute auf das Bier, was er sich natürlich hatte andrehen lassen müssen. Aber zumindest drängte ihn keiner zu den härteren Sachen, die der Rest in sich hineinschüttete.

Inzwischen war es schon recht spät geworden und Öznur war zur Coeur-Academy zurückgekehrt. Auch, wenn sie den Unterricht morgen am liebsten geschwänzt hätte.

Carsten und Eagle waren beide von der Schule freigestellt. Eigentlich hätte sich Carsten lieber mit Unterricht und der Biologie Klausur beschäftigt, um etwas Ablenkung und Alltag zu haben. Aber er würde wahrscheinlich auch so genug zu tun haben. Bedrückt dachte er an den Bann, den er so schnell es ging entwickeln musste. Sie hatten sowieso schon kaum mehr Zeit. Und jetzt stand auch noch die Planung von Eagles Amtsantritt an…

Carsten warf seinem großen Bruder einen Blick zu, der sich bei einem Trinkspiel den wer weiß wievielten Shot in die Kehle stürzte. Das war nicht der gesündeste Weg, um einen Verlust zu verarbeiten… Aber er hatte schon befürchtet, dass Eagle früher oder später zum Alkohol greifen würde.

Bedrückt spielte Carsten mit dem Haargummi an seinem Handgelenk und fragte sich, wann er endlich aus dieser Situation erlöst wurde.

„Was hast du hier zu suchen?“, ertönte plötzliche eine männliche Stimme. Sie war Carsten nicht sonderlich vertraut, und trotzdem hatte er sie den ganzen Abend nicht aus dem Kopf bekommen können.

Frustriert schaute er auf, in die Augen des Indigoners, dessen Angriff er heute Nachmittag als erstes abgefangen hatte. Das war nicht die Erlösung, die sich Carsten gewünscht hatte.

„Hallo, Elan.“, grüßte Eagle ihn.

„Ihr kennt euch?“, fragte Carsten irritiert.

Bevor Eagle antworten konnte, meinte besagter Elan: „Schleimst dich wohl bei deinem Bruder ein, hm?“

„Ich dachte, das hätten wir bereits geklärt.“ Carsten biss die Zähne zusammen. Was war nur los mit dem?

„Was geklärt?“, Eagle schien verwirrt.

„Halt dich besser fern von dem.“, riet Elan ihm. „Ehe du dich versiehst rammt der dir ein Messer in den Rücken.“

„Ich sagte doch schon, ich würde so etwas nie machen!“, rief Carsten verzweifelt und ballte die Hand zur Faust.

Elan packte Carsten am Kragen seines Hemdes. „Klar behauptest du das jetzt. Gib’s doch endlich zu, du willst deinen Bruder genauso abstechen wie den Häuptling!“

Das Schnapsglas in Eagles Hand zerbrach. „Was sagst du da?“

„Das Arschloch will sich doch nur an dir und deinem Vater rächen!“

„Nein!“, schrie Carsten verärgert und wollte sich losreißen, als Eagle die Hand auf seine Schulter legte.

Mit grobem Griff nahm er Elans Arm, sodass dieser gezwungen war Carsten endlich loszulassen. „Fordere dein Glück nicht zu sehr heraus.“, drohte Eagle mit seiner tiefen Stimme und das Echo, was in ihr mitschwang, ließ einen Wind zwischen den beiden zischen.

„Ey Eagle, komm endlich zur Vernunft!“, rief Elan wütend. „Ihr habt den doch damals nicht ohne Grund aufs FESJ geschickt!“

Eagles Griff wurde fester. Der Wind wurde stärker. „Noch ein Wort…“

„Der will sich doch nur selbst die Federkrone aufsetzen! Ich wette, der plant schon hinter deinem Rücken, wie er deinen Amtsantritt zum Häuptling manipulieren kann!“

„Halt endlich deine Fresse!“, brüllte Eagle. Mit einer Sturmböe stieß er Elan zurück, der gegen den nächstbesten Holztisch krachte.

Von einem Tornado umgeben, ging Eagle auf Elan zu. Er schien kurz davor zu sein die Kontrolle über seine Energie zu verlieren.

Bevor Carsten nachdenken konnte, war er bereits aufgesprungen und stellte sich zwischen die beiden. „Eagle, beruhige dich!“, rief er über den tosenden Wind hinweg, der an seinen Haaren und seiner Kleidung zerrte.

„Nein! Immer sagen mir alle ich soll mich beruhigen! Es reicht!!! Ich hab die Schnauze voll!!!“

Zwei schneidende Sturmsicheln wollten an Carsten vorbeirauschen. Er hielt sie mit seiner Magie auf und suchte nach irgendwelchen Argumenten Eagle zu beruhigen.

„Du bist betrunken! Komm wieder zur Vernunft, bevor du noch jemand Unschuldigen verletzt!“

„Jemand Unschuldigen?! Niemand ist hier unschuldig!!! Ihr könnt mich alle mal!!!“

Der Sturm wurde stärker. Immer stärker. Es kostete Carsten viel Kraft, ihn mit seiner Magie zumindest halbwegs in Schach zu halten. Zu viel Kraft.

Verzweifelt stellte er fest, dass er keine Chance hatte Eagle Einhalt zu gebieten. Und bei der Gefahr, die momentan von Eagle ausging, wäre es für jeden anderen hier lebensgefährlich etwas unternehmen zu wollen.

„Geh aus dem Weg!!!“, brüllte Eagle über den tosenden Sturm hinweg.

Carstens Magieschild wurde schwächer. Einige Windsicheln durchbrachen es und schnitten sich in seine Arme.

„Das willst du nicht…“, brachte Carsten mühsam hervor. „Hör auf, bevor du es später noch bereust.“

Eagle nahm keine Notiz von ihm. Er war ihm egal. Momentan war ihm einfach alles egal. Alles, außer die angestauten Aggressionen. Der angestaute Frust und die Verzweiflung, die sein Vater zurückgelassen hatte. All der angestaute Zorn, den er nicht mehr hatte an Jack auslassen können.

Carsten sammelte seine Gedanken. Er musste irgendwie verhindern, dass Eagle etwas tat, was er im Nachhinein bereuen würde. Trotz allem, was passiert war und passieren würde, lag Eagle immer noch das Wohl seines Volkes am Herzen. Wenn jetzt jemand wegen dieses Wutausbruches zu Schaden kam, würde er sich das nicht verzeihen können.

Carsten atmete tief durch und holte sein Messer aus der Hosentasche, dass er seit seiner Schwarzmagierprüfung immer dabei hatte. Verboten hin oder her, das war die einzige Magie, die mächtig genug war um zumindest halbwegs etwas ausrichten zu können.

Carsten begann, den Spruch des ersten Rituals aufzusagen, das ihm für diese Situation in den Kopf kam. Eine lilafarbene Aura umgab seinen Körper mit einem Sturm, ähnlich zu Eagles Wind-Energie. Je weiter der Zauber fortschritt, desto dunkler wurde sie.

Die beiden Tornados trafen aufeinander.

Zitternd hob Carsten die linke Hand. Und fuhr mit dem Messer über die gesamte Handfläche. Sofort sickerte das Blut aus der Wunde. Es wurde von dem Wind ergriffen und in den Tornado gezogen. Das dunkle Lila wurde tiefrot. Und schließlich pechschwarz. Sturmböen in Form von schwarzen Krähen lösten sich aus dem Tornado und flogen kreischend in Eagles. Verschwanden darin. Färbten das strahlende grau ebenfalls schwarz, als wollten sie die Kontrolle darüber übernehmen. Doch das war unmöglich. Niemand hatte eine größere Kontrolle über den Wind als der Herrscher des Windes selbst.

Carsten konnte ihn nur etwas schwächen.

Doch das alleine reichte schon aus, um zu Eagle in das Auge des Sturms gelangen zu können. „Hör auf, bitte!“, schrie Carsten verzweifelt und packte seinen großen Bruder am Arm.

Die Sturmkrähen kreischten über ihren Köpfen, als würden auch sie Eagle zu rufen er solle sich beruhigen.

Und irgendwann hörte er auf sie. Das Leuchten in seinen Augen verschwand, die Energie, die durch seine Adern pulsierte, wurde wieder zu Blut, und der Sturm wurde allmählich schwächer. Bis er schließlich ganz verschwand.

Kraftlos sackte Carsten auf die Knie. Der Blutzoll für dieses Ritual war viel größer, als der für den Observationszauber. Und entsprechend war auch der gesamte Zauber viel erschöpfender.

Carsten wusste nicht, ob es in dem Raum tatsächlich niemand wagte etwas zu sagen, oder ob er durch das Rauschen in seinen Ohren nur nicht dazu im Stande war etwas hören zu können. Der Boden schien zu schwanken und mit aller Kraft versuchte er die Übelkeit zurückzuhalten, während er gleichzeitig um Gleichgewicht kämpfte.

Er war sich nicht sicher, ob auch Eagle wankte oder ob es nur sein eigener Schwindel war.

„…Carsten?“, hörte er seinen großen Bruder gedämpft fragen.

„Sch…Schon… in…“, versuchte Carsten zu antworten.

Von weiter entfernt meinte er zu hören, wie einer von Eagles Freunden jemanden aufforderte Wasser zu holen. Nur benommen nahm er wahr, wie er vorsichtig auf den Boden gelegt wurde. Den Rest bekam er gar nicht wirklich mit, bis auf Eagles „Komm wieder zu dir.“

Carsten war sich nicht sicher, wann der Schwindel abnahm und seine Sinne zurückkehrten. Die Erschöpfung war zwar immer noch da, aber er schaffte es zumindest, sich aufzurichten. Jemand reichte ihm ein Glas Wasser, was Carsten mit zitternden Händen entgegennahm. Da fiel ihm der brennende Schmerz in seiner linken Handfläche auf.

Ohne darüber nachdenken zu müssen, schaffte er es, den tiefen Schnitt zu desinfizieren und zu verbinden. Mal wieder war er froh, immer einen mit Magie verkleinerten Erste-Hilfe-Kasten in der Hosentasche dabei zu haben.

„Alles okay?“, fragte Eagle vorsichtig.

Immer noch benommen nickte Carsten und hielt die Hand etwas nach oben, um nicht zu viel Blut zu verlieren.

Einer von Eagles Freunden atmete auf. „Krass, da kommt kein Actionfilm gegen an.“

„Ernsthaft, ich will keinen von euch beiden je wieder provozieren.“, meinte ein zweiter.

Eine ältere Indigonerin, der diese Kneipe hier gehörte, kam auf sie zu und kniete sich neben Carsten auf den Boden. „Geht’s, Junge?“

Erneut nickte Carsten benommen.

Wieder schaltete sich jemand von Eagles Freunden ein. „Haben wir jetzt Hausverbot?“

Sie schüttelte den Kopf. „Dank dem jungen Magier hier ist ja nichts passiert.“ Sie warf Eagle einen warnenden Blick zu. „Ich mag dich, Eagle. Und ich verstehe, dass das gerade eine harte Zeit für dich ist. Aber solltest du nochmal versuchen mein Lokal auseinander zu nehmen, werde ich nicht mehr so nachsichtig sein.“

Eagle nickte lediglich und senkte den Blick. „Entschuldige, Ituha…“

Sie klopfte ihm auf die Schulter und richtete sich auf, um Carsten auf die Beine zu helfen. Bei ihrer Kraft erkannte Carsten sofort, dass es sich um eine Kampfkünstlerin handelte. Er betrachtete die Frau mittleren Alters etwas genauer, soweit das in seiner derzeitigen Verfassung möglich war. Sie war etwa genauso groß gewachsen wie Carsten und hatte lange Rasterlocken, die zu einem straffen Zopf zurückgebunden waren. Ihr durchtrainierter Körperbau ließ vermuten, dass es in ihrer Bar normalerweise zu keinen Reibereien zwischen betrunkenen Indigonern kam. Niemand würde es auch nur wagen, sie zu provozieren.

Wenn sich Carsten recht entsann, war Ituha eine alte Freundin von Chief. Er hatte die beiden früher häufig zusammen trainieren gesehen.

Mit diesem Wissen wollte man sie erst recht nicht provozieren.

Das dachte sich wohl auch Elan, der als nächstes von Ituha warnend angeschaut wurde. „Und dir muss ich wohl nicht sagen, dass du dich auf ganz dünnem Eis befindest, Jungchen.“

„V-verzeihen Sie…“

Ituha wies auf die Tür neben den Tresen. „Vielleicht wirst du beim Toilettenputzen ja wieder nüchtern. Wo die Putzsachen stehen, muss ich dir inzwischen wohl nicht mehr erklären.“

Als Elan sich nicht bewegte, meinte sie mit lauterer, strengerer Stimme: „Muss ich mich wiederholen?“

„N-nein!“ Eilig hastete er in Richtung der Toiletten davon.

Ituha schüttelte verstimmt den Kopf. „Die Eltern sind viel zu nachsichtig.“

Ihr strenger Blick fiel auf Eagle. „Ich hoffe, du bist inzwischen nüchtern genug, um Crow heimbringen zu können.“

Eagle nickte nur, doch so wie er wankte hatte er eindeutig zu viel getrunken.

Seufzend kehrte sie zum Tresen zurück und holte ihre Autoschlüssel. „Das kommt auf die Rechnung.“, meinte sie nur und wies die Jungs an, das Lokal zu verlassen.

„Du hast das Sagen.“, beorderte sie einer jungen Kellnerin und wandte sich an den Rest: „Und ihr benehmt euch gefälligst, während ich weg bin.“

Carsten und Eagle ließen sich von Ituha in ihrem Geländewagen zurück nach Hause fahren. Sie sagte nichts weiter, sondern achtete nur darauf, dass die beiden Brüder es zumindest ins Haus schafften.

So lautlos wie möglich schlichen sie die Treppe hoch, um Saya nicht zu wecken. Es war bereits drei Uhr morgens.

„Kommst du zurecht?“, erkundigte sich Carsten im Flüsterton.

Eagle erwiderte seinen Blick und wirkte einfach nur noch müde. Anschließend schaute er auf den Verband an Carstens Hand und die Kratzer, unter dem inzwischen etwas zerschlissenen Hemd.

Ohne ein weiteres Wort verschwand Eagle in seinem Zimmer. Seufzend betrat Carsten sein eigenes und erinnerte sich an das Notizbuch, was er erst vorhin auf das Bett teleportiert hatte. Ohne sich auszuziehen nahm er das Buch und legte sich aufs Bett. Noch einmal las er die erste Seite durch und musste bei ‚der absolute Scheiß‘ schmunzeln. Ja, seine Mutter schien in Wahrheit ziemlich aufbrausend gewesen zu sein. Irgendwann setzte sich jedoch die Erschöpfung durch und Carsten schlief ein.
 

Noch mehrmals in der Nacht wachte er schweißgebadet auf, nur, um kurz darauf einzuschlafen und dann doch wieder aus einem Albtraum gerissen zu werden. Als er zum ersten Mal nach Sonnenaufgang aufwachte, fühlte er sich wie gerädert und beschloss, noch für eine Weile liegen zu bleiben und weiter zu dösen.

Aber da das auch nicht sonderlich half, mühte Carsten sich irgendwann doch aus dem Bett und schlurfte ins Bad. Es war bereits elf Uhr, so lange hatte er schon seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Falls man das überhaupt schlafen nennen konnte.

Dieser Nebeneffekt war ihm bereits bei den Observationszaubern aufgefallen. Schwarzmagie verlangte nicht nur einen Blutzoll, sondern zehrte auch mental an ihm. Sobald er an einem Tag schwarze Magie angewandt hatte, fand er in der Nacht kaum Schlaf und wurde häufig von Albträumen heimgesucht.

Mühselig befreite sich Carsten von seiner Kleidung vom Vortag und hoffte, eine kalte Dusche half ihm beim Aufwachen. Obwohl er vorsichtig war, begannen die Kratzer an seinen Armen und insbesondere der Schnitt in der Handfläche sofort zu brennen, sobald sie mit dem Wasser in Berührungen kamen. Vor einem Jahr noch, war das ein Gefühl gewesen, was ihn nahezu jeden Morgen begleitet hatte…

Bilder aus der Zeit vom FESJ zuckten durch seinen Kopf und für einen Moment bekam Carsten keine Luft. Zitternd stützte er sich an der Duschwand ab und kniff die Augen zusammen.

Es ist vorbei. Vergiss es einfach. Es ist vorbei!, wies er sich zurecht. In Gedanken wiederholte er den Text auf der ersten Seite von Sisikas Notizbuch, um sich so gut es ging abzulenken. Das half tatsächlich etwas.

Beim Verlassen der Dusche zauberte er sich direkt trocken und begann sich anzuziehen. Gerade, als er seine Jeans zuknöpfen wollte, wurde die Tür aufgerissen und Eagle kam herein. Als er sein blasses Gesicht und die Augenringe sah, schluckte Carsten den Kommentar er könne zumindest anklopfen runter.

Schweigend wandte er den Blick ab, als Eagle sich über der Toilette übergab. Es war ja auch nicht wenig gewesen, was er da gestern in sich hineingekippt hatte.

Nach einer Weile fragte Carsten zögernd: „Brauchst du etwas?“

„Ne Kopfschmerztablette?“, erwiderte Eagle mit schwacher, rauer Stimme.

Seufzend ging Carsten zu dem Medizinschrank und öffnete die Tür. Früher war er immer abgeschlossen, erinnerte er sich. Zwar war der Schrank sehr weit oben und ein normales Kind würde niemals darankommen können. Aber bei zwei antik begabten Kindern, von denen das eine dank seiner Dämonenform auch noch Flügel hatte, half das herzlichst wenig. Carsten hatte häufiger mal Tabletten daraus gestohlen, sie zermahlen und mit Hustensaft gemischt, da er Arzt gespielt hatte. Im Nachhinein war das eigentlich ein ziemlich gefährliches Unterfangen gewesen. Aber zum Glück war nie jemand zu Schaden gekommen. Denn ihn als Magier hatte natürlich auch eine verschlossene Tür nicht aufhalten können. Wenn er so darüber nachdachte, hatte er es Saya in seiner frühen Kindheit ziemlich schwer gemacht.

An dem Medizinschrank hatte Eagle als Kind nie Interesse gehabt. Dafür war er laut Saya mal zu dem Schnapsregal geflogen und hatte einige Schlucke aus der Wodkaflasche getrunken. Zum Glück kam er damals nur mit einer roten Nase und einem langen Ausnüchterungsschlaf davon. …Im Gegensatz zu heute.

Carsten warf seinem großen Bruder einen mitleidigen Blick zu und zauberte aus der Küche ein Glas, um es mit Wasser zu füllen. Das Wasserglas und eine Tablette gab er an Eagle weiter, der sie sofort runterschluckte.

Carsten hatte selten jemanden mit Hangover gesehen. Am ehesten Öznur am Tag der Matheprüfung. Aber im Vergleich zu Eagle ging es ihr damals sogar noch halbwegs akzeptabel.

„… Sonst noch etwas?“, fragte Carsten schließlich.

Eagle schüttelte den Kopf. „Ruhe. Einfach nur Ruhe.“ Er hievte sich auf die Beine und verließ das Bad. An der Tür blieb er kurz stehen. „Zieh dir was an, sonst erkältest du dich noch.“

Erst jetzt bemerkte Carsten, dass er immer noch nur seine Jeans trug.

Eine Weile las Carsten in seinem Zimmer Sisikas Notizen über den Amtsantritt durch. Offensichtlich hatten sie nicht mehr allzu viel Zeit. Man gab dem angehenden Häuptling eine Woche um zu trauern und dann musste die Zeremonie stattfinden. Bis dahin galt immer der Ausnahmezustand. Eine Verzögerung kam anscheinend ganz schlecht bei den Stammesoberhäuptern an und Eagle würde es aufgrund seines Alters schon schwer genug haben, von ihnen respektiert zu werden. Also durften sie sich bei der Zeremonie keinen Fehler erlauben.

Es hatte immer wieder eine aufheiternde Wirkung, Sisikas Kommentare über diese oder jene Regel zu lesen. Zu der Zeitspanne von einer Woche schrieb sie: ‚Diese Leute haben doch nicht alle Tassen im Schrank. Eine Woche zum Trauern?! Das ich nicht lache! Würde ich nicht die Organisation übernehmen, hätte Chief keine Sekunde zum Trauern! Diese W… Nein, das schreibe ich jetzt besser nicht aus.‘

Im Allgemeinen war der Amtsantritt wohl einer der wichtigsten öffentlichen Auftritte, die ein Häuptling hatte. Was auch nachvollziehbar war, denn es war der erste. Wie hieß es so schön: Der erste Eindruck zählt.

Seufzend starrte Carsten auf die Wand hinter seinem Schreibtisch. Dahinter befand sich Eagles Zimmer, wo besagte Person wahrscheinlich noch den Rausch ausschlief. Er erinnerte sich an das Bild, wie sich Eagle über die Toilette gebeugt übergab.

Würde er es schaffen, sich bis kommenden Samstag zusammenzureißen?

Irgendwann wies Carstens grummelnder Magen ihn an, endlich etwas zu essen. Da Saya auf der Arbeit war und die Bediensteten im Prinzip Urlaub hatten, hatte Carsten die gesamte Küche für sich. Das besserte seine Laune wieder etwas und er schaute, was sie so alles für Zutaten dahatten.

Mit dem Hintergedanken, dass Eagle auch irgendwann Hunger bekommen könnte, machte Carsten direkt eine größere Portion. Und tatsächlich, während die Kartoffeln mit dem Fett in der Pfanne brutzelten, kam Eagle hereingeschlurft.

„Was wird das?“, fragte er matt und ließ sich auf einen Stuhl sinken. So viel besser schien es ihm nicht zu gehen.

„Bratkartoffeln.“, antwortete Carsten und schaltete den Herd aus.

„Zum Frühstück?“

Bei einem Blick auf die Uhr stellte Carsten fest, dass es ohnehin schon Mittagszeit war.

Er stellte Eagle einen gefüllten Teller auf den Tisch und lud sich selbst auf.

Eagle verzog das Gesicht. „Benni oder Laura sind noch nicht mal da, also warum machst du trotzdem was Vegetarisches?“

„Iss einfach.“, forderte Carsten seinen großen Bruder auf und begann selbst zu essen.

Wie als könnte es vergiftet sein, schnupperte Eagle daran, um anschließend eine kleine Portion zu probieren. „…Ist sogar essbar.“

Carsten verdrehte die Augen. „Was hast du denn gedacht?“

Aber das war wohl das größte Kompliment, was er für ein fleischloses Gericht von seinem großen Bruder bekommen würde.

Nach dem Essen fühlte sich Carsten wieder etwas gestärkter und auch Eagle schien es endlich besser zu gehen. Gemeinsam gingen sie wieder hoch. Als sie an Sakuras Zimmer vorbeikamen, blieb Eagle plötzlich stehen und öffnete die Tür. Zögernd betrat er das Zimmer und setzte sich auf Sakuras Bett.

Nach einer Weile des Schweigens fragte er schließlich: „Hast du eine Ahnung, wie es ihr geht?“

Unsicher, ob er wirklich dieses Zimmer betreten durfte, setzte sich Carsten schließlich doch neben seinen Bruder. „…Nein.“

Eagle musterte ihn kritisch. „Hast du nicht mit diesem selbstverstümmelnden Zauber von deiner Prüfung nach ihr geschaut?“

Bedrückt seufzte Carsten. „Ich habe es versucht, aber in dem Moment war Benni gerade am Trainieren…“

„Warum hast du nicht direkt nach ihr geschaut?“ Ein leicht vorwurfsvoller Ton schwang in Eagles Stimme mit.

Betrübt schaute Carsten auf seine bandagierte linke Hand. Neben dem tiefen Schnitt von letzter Nacht befanden sich unter dem Verband zwei weitere. „Das… konnte ich nicht.“

Ihm entging nicht, wie sich Eagle verspannte. „Meinst du, sie ist-“

„Nein, nein!“, widersprach Carsten ihm hastig. „Wäre sie verstorben, würde sich das Wasser pechschwarz färben. Aber es ist nichts passiert… Es ist… Ich… kenne sie nicht gut genug…“

„Wie meinst du das?“, fragte Eagle irritiert.

Carsten griff nach dem Foto auf Sakuras Nachttisch und betrachtete es. Es schien recht aktuell, wahrscheinlich war es von ihrem Geburtstag im November letzten Jahres, und zeigte Sakura, Eagle, Chief und Saya. Carsten versuchte den Kloß im Hals herunterzuschlucken. Doch das brachte nichts. „Ich hatte doch erwähnt, dass man die Person, die man beobachten möchte, gut genug kennen muss. Ansonsten schlägt der Zauber fehl.“

Nun betrachtete auch Eagle das Foto. „Du meinst…“

Carsten senkte den Blick. „Mag sein, dass sie meine Halbschwester ist. Aber trotzdem weiß ich so gut wie nichts von ihr…“

Eine unangenehme Stille füllte den Raum. Weder Carsten noch Eagle wussten, was sie darauf noch sagen konnten. Schließlich kannten sie beide den Grund, warum Carsten Sakura kaum kannte. Weshalb dieser Zauber nicht hatte gelingen können.

„… Und wenn du mein Blut nimmst?“, erkundigte sich Eagle zögernd.

Carsten nickte. „Das dürfte funktionieren. So hatte auch Ariane Johanna sehen können.“

„Willst du… sie überhaupt sehen?“

Carsten schaute Eagle an. „Ich hasse sie nicht, falls du das jetzt denkst. Ich hasse keinen von euch.“

Eagle wandte den Blick ab und nickte lediglich. Sonderlich überzeugt schien er trotzdem nicht.

Carsten blendete den Gedanken an die Albträume, die ihn wieder erwarten würden, aus und richtete sich auf. „Ich hole mal eine Schüssel. Du kannst dich ja auf die Suche nach ein paar längeren Kerzen machen.“

Kurz darauf hatte Carsten in Sakuras abgedunkeltem Zimmer alles für das Ritual bereitgestellt. Wie bei Ariane vor einer Woche, begann Carsten den Zauber in abgewandelter Form zu rezitieren und dieses Mal gab es zumindest keine Diskussion, als sich Eagle in die Hand schneiden sollte. Während Carsten den Zauber zu Ende sprach beobachtete er, wie sich das Blut mit dem Wasser vermischte und ihnen schließlich ein klares Bild bot.

Es war wieder der Zelltrakt, doch dieses Mal standen nicht Johanna und Johannes im Fokus, sondern Carstens und Eagles kleine Halbschwester in der Zelle nebenan. Sie versuchte an den Metallstangen zu reißen und schrie Jack außerhalb der Zelle mit tränenüberströmtem Gesicht an.

Als Eagle den Verursacher des ganzen Leids sah, wehte direkt wieder ein eisiger Wind durch den Raum. Carsten legte seine Hand auf Eagles Arm und hoffte, dass er es schaffte sich zusammenzureißen. Ansonsten würde er den Zauber wahrscheinlich nicht lange aufrechterhalten können.

„Lass mich endlich hier raus!!! Ich will nach Hause! Ich will zu Mama und meinem Bruder!!!“, kreischte Sakura verzweifelt.

„Du weißt, dass das nicht geht.“, erwiderte Jack, erstaunlich ruhig dafür, dass er gerade von einer Dreizehnjährigen angeschrien wurde.

„Du verdammter Wichser, hol mich hier raus!!!“

„Hey, du bist noch viel zu jung für solche Beleidigungen.“

„Lass mich raus!!!“ Schluchzend sackte Sakura auf die Knie, immer noch an die Gitterstäbe geklammert. „Ich will nicht hier sein! Nicht bei demjenigen, der meinen Papa getötet hat!“

Schweigend, die Hände in den Hosentaschen, betrachtete Jack sie.

„Ich hab Hunger… Ich will was essen.“

Jack verdrehte die Augen. „Ich hab euch vor einer Stunde erst was gebracht und da wolltest du nichts.“

„Mir egal, gib mir was zu Essen! Und gib mir meinen Papa zurück!!!“

„Das kann ich nicht, Sakura. Er ist tot.“

„Weil du ihn getötet hast!!! Du scheiß Mörder hast ihn umgebracht!!!“

Johanna hielt ihr aus der anderen Zelle eine angebrochene Schokoladenpackung durch die Gitterstäbe. „… Möchtest du?“

„Nein!!! Lass mich in Ruhe!“ Sakura schlug ihr die Schokolade aus der Hand.

Erschrocken zuckte Johanna zusammen.

„Sakura, lass sie in Ruhe. Sie hat nichts damit zu tun und wollte nur freundlich sein.“

„Ach was, die dumme Kuh hat doch keine Ahnung!“, schrie Sakura.

Jacks Ton wurde etwas verärgerter. „Ich sagte, lass sie in Ruhe.“

„Es interessiert mich einen Scheiß, was du sagst!!! Ich höre auf keinen Mörder! Ich will zurück nach Hause!!! Ich will wieder in mein Bett!!! Was leckeres essen!!! Und eine warme Dusche!!!“

„Das. Geht. Nicht. Ende der Diskussion.“

„Fick dich!!!“, schrie Sakura.

„Hör auf, solche Kraftausdrücke gegenüber anderen Kindern zu verwenden.“

„Ich mache das, was ich will!!! Und ich will endlich heim!!!“

Geräuschvoll atmete Jack aus. Seine Geduld schien stark auf die Probe gestellt zu werden. „Jetzt hör mal zu, du kannst von Glück reden, dass du überhaupt noch am Leben bist. Statt dich hier wie eine kleine Diva aufzuführen solltest du lieber dafür dankbar sein, dass Benni für dich den Kopf hinhält, damit du überhaupt noch atmen darfst.“

Für einen Moment lang hatte Carsten dein Eindruck, sein Herz höre auf zu schlagen. Wie hatte Jack das gemeint? Inwiefern ‚hielt Benni seinen Kopf hin‘?

„Was ist mit Onkel?“, fragte Johannes, den die Aussage genauso schaudern ließ.

Jack erwiderte seinen Blick und kniete sich vor seine Zelle, um ihm durch das strohblonde Haar zu wuscheln. „Nichts, keine Sorge. Er passt einfach auf, dass euch nichts passiert.“ Sein warnender Blick fiel auf Sakura. „Und das betrifft zu meinem Bedauern auch gewisse Prinzesschen.“

„A-aber…“ Schluchzend wischte sie sich einige Tränen aus dem Gesicht. Ihre Aggression schien wie weggeflogen. „Aber Papa…“

Schweren Herzens beobachteten Eagle und Carsten ihre weinende Schwester und auch in Jacks Blick schien etwas Mitgefühl zu liegen.

Carsten fielen mehrere Blutergüsse in Jacks Gesicht auf, die noch nicht ganz verheilt waren. Und über dem rechten Auge hatte er sogar eine genähte Platzwunde. Eagle schien ihm tatsächlich übel zugesetzt zu haben.

„Möchtest du immer noch was essen?“, fragte Jack nach einer Weile.

Sakura schüttelte den Kopf, woraufhin Jack die Augen verdrehte.

„A-aber ich… Ich muss… aufs Klo.“

Jack seufzte. „Toilettenpause hattet ihr doch auch erst vor kurzem. Halte deine Blase mal etwas mehr im Zaum.“

„Warum muss uns überhaupt jemand von euch ständig zu den Toiletten begleiten?! Das ist total pervers!“, rief Sakura aufgebracht. „Warum können wir nicht einfach gehen, wenn wir müssen?!“

„Nichts ist daran pervers. Wir passen nur auf, dass ihr auf dem Hin- und Rückweg nicht von irgendwelchen Vampiren ausgesaugt werdet. Kinderblut schmeckt angeblich besonders gut. Oder willst du lieber von einem Werwolf aufgefressen werden? Oder einem Zombie? Also ich hätte keinen Bock darauf, dass jemand plötzlich Appetit auf meine Organe bekommt.“

„Würden die das wirklich machen?“, fragte Johannes ungläubig.

Jack zuckte mit den Schultern. „Wir haben keine Garantie, dass sie es nicht machen würden. Hier drinnen seid ihr sicher. Aber ansonsten solltet ihr nicht alleine irgendwo in der Unterwelt herumwandern.“

Schaudernd verschränkte Johanna die Arme vor der Brust. „Ich will nicht aufgefressen werden.“

„Das will keiner. Und deswegen solltet ihr auch schön brav hierbleiben, wenn Benni und ich nicht da sind.“

„Trotzdem… Ich muss aufs Klo…“, murmelte Sakura und wurde langsam unruhig.

Jack verdrehte die Augen. „Wie im Kindergarten.“

„Verdammt, du unsensibles Arschloch! Wie kann man so wenig Verständnis für die Bedürfnisse einer Frau haben?!?“

Carsten war etwas verwirrt von dieser Aussage und auch Jack runzelte irritiert die Stirn. Schließlich schien er verstanden zu haben, worauf sie hinauswollte. Er stöhnte auf. „Nicht dein Ernst. Wie alt bist du nochmal?“

Beschämt wich sie seinem Blick aus. „… Dreizehn…“

Seufzend schüttelte Jack den Kopf. „Hätte nie gedacht, dass ich mal so froh darüber bin ein Mann zu sein.“, murmelte er eher zu sich selbst. „…Ist es sehr dringend?“

„…Geht…“

„Dann warte nochmal kurz…“ Jack richtete seine Aufmerksamkeit auf den Eingang zu dem Zelltrakt. Eine Minute später öffnete sich die Tür.

„Gutes Timing.“, meinte Jack an Benni gewandt. Betroffen stellte Carsten fest, dass auch Benni mehrere Verletzungen im Gesicht und an den Armen hatte, was ihn an Jacks Kommentar vor kurzem erinnerte.

Inwiefern hält Benni den Kopf für sie hin?!, fragte er sich zitternd.

Derweil fuhr Jack fort: „Du bist doch hier derjenige mit einer Freundin. Also müsstest du dich doch so halbwegs mit gewissen monatlich wiederkehrenden Frauenproblemen auskennen und was die so dafür brauchen, oder?“

Für einen kurzen Moment fiel Bennis Blick auf Sakura, die ihm mit geröteten Wangen auswich. Diese Situation musste unsagbar unangenehm für sie sein.

Schließlich seufzte Benni. „Ich gehe schon. Brauchst du auch Schmerztabletten oder ähnliches?“

Sakura schüttelte mit immer noch geröteten Wangen den Kopf. „Aber vielleicht… Eis?“

Benni nickte nur und wollte gehen, als Jack ihm hinterher rief: „Bringst du mir Kekse mit?“

„Du hast doch den ganzen Rest aufgegessen.“, erwiderte Benni.

„Die waren lecker.“

„Das waren meine.“

Carsten unterdrückte ein Kichern, als ihm auf einmal etwas schwummrig wurde.

Er versuchte, sich zusammenzureißen und beobachtete, wie Sakura die Schokolade aufhob, die sie vorhin noch Johanna aus der Hand geschlagen hatte. Sie schien sich wieder etwas beruhigt zu haben und begann ein Gespräch mit den beiden. Doch Carsten hörte es nur noch gedämpft.

„Alles okay?“, erkundigte sich Eagle.

Carsten löste den Zauber auf und fuhr sich über die schweißnasse Stirn. „Ja, ich bin nur etwas erschöpft. Entschuldige…“

„Schon gut…“ Seufzend lehnte sich Eagle zurück und starrte in die Ferne. Nach einer Weile meinte er: „…Zumindest kümmern sie sich so halbwegs um sie.“

Auch Carsten lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die Erschöpfung des Zaubers, um Eagle zu beruhigen, nagte immer noch an ihm. Und die gefühlt schlaflose Nacht zehrte ebenso an seinen Kräften.

„Trotzdem…“ Ein Hauch von Zorn lag in Eagles Stimme. „Zu sehen, dass dieser Arsch sich überhaupt in ihrer Nähe aufhält…“

Carsten seufzte. Er hatte schon befürchtet, dass es Eagle nicht ganz so beruhigen würde wie Ariane, wenn er sah, dass sich Benni und insbesondere Jack um ihre Geschwister kümmerten.

Während Eagle sich wahrscheinlich vorstellte, wie er Jack in kleine Stücke zerteilte, schweifte Carsten mit seinen Gedanken zu Benni ab. Jacks Aussage ließ nur eine Interpretation zu, wenn man an die Verletzungen dachte, die Benni hatte. Besonders, wenn er an Jacks Kommentar von damals dachte, als er ihnen in Lumiére mitgeteilt hatte, dass sich Johanna nun bei Mars befand. Jack hatte ihm nicht versprechen können, dass Benni gut behandelt wurde… Benni hielt für die Kinder den Kopf hin… Diese Verletzungen…

Zitternd atmete er aus und dachte an den unfertigen Zauber. Er musste sich beeilen. Unbedingt! Er konnte doch nicht zulassen, dass Benni noch mehr verletzt wurde!

Carsten warf einen Blick auf Eagle. Und jetzt kam auch noch dieser Amtsantritt dazu…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Regina_Regenbogen
2020-09-27T18:31:01+00:00 27.09.2020 20:31
Oh Mann, was Carsten macht, ist einfach ungesund. Wieso kümmert sich denn keiner um ihn? Er macht sich total kaputt und es scheint keinen zu interessieren. Das macht mich echt fertig. :'(

Antwort von:  RukaHimenoshi
27.09.2020 20:48
Oh wei, ich sehe schon, wie du in die Geschichte hüpfst und jeden zur Sau machst... ^^"
Das Dumme ist, dass auch die anderen nicht wirklich wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. :(
Antwort von:  Regina_Regenbogen
27.09.2020 20:58
Ja, ich weiß, ich mache ihnen auch keinen Vorwurf. Die anderen sind ja genauso überfordert. Es macht mich nur so traurig, Carsten so zu sehen. :'(
Du hast das auf jeden Fall sehr nachvollziehbar geschildert, wie jeder versucht, mit der eigenen Trauer umzugehen, bzw. sie runterzuschlucken. Man kann sich das sehr gut vorstellen. Nur mache ich mir Sorgen, dass Carsten komplett daran zu zerbrechen droht. :'(


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