Zum Inhalt der Seite

Demon Girls & Boys

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der stärkste Kämpfer Damons

Der stärkste Kämpfer Damons
 


 

Es war ein schöner, sonniger Samstag Anfang September. Ein perfekter Tag, um sich einfach nur in seinem Zimmer zu verkriechen und zu zocken. Doch natürlich wurden Jacks Pläne von Mars durchkreuzt.

Missmutig lehnte er an einem Baum am Rande Kariberas und blickte hinauf in die fröhlich strahlende Sonne. Ne Rundfahrt mit seinem Motorrad wäre auch ganz nett. Genau, erst ein kleiner Motorradausflug und danach zocken. Und am Abend dann selbstgemachte Burger. Das wäre was. Aber neeein, sie mussten ja jetzt Eagles und Carstens kleine Halbschwester entführen.

Kritisch schaute Jack zu Benedict hinauf, der auf dem niedrigsten Ast des Baumes saß und sich schweigend seinen Schnitzarbeiten widmete. Interessantes Hobby.

Er fragte sich, ob sich Benedict wieder von Mars grün und blau schlagen lassen würde, nur um zu verhindern, dass Sakura umgebracht wurde. Eigentlich war sich Jack sogar ziemlich sicher, dass er so handeln würde. Das war nun mal sein Weg, Carsten, Laura und den anderen irgendwie helfen zu können.

Verbissen wandte Jack den Blick ab und stierte hinaus in die Ferne. Sakura hatte dieses Opfer nicht verdient. Sie war ein launisches, kleines Biest, dass sich ständig über Carsten lustig gemacht hatte. Der einzige Dämonenverbundene, der unter ihrem Tod wirklich leiden würde, wäre Eagle. Und für den empfand Jack noch weniger Sympathie als für Sakura.

„Schon ironisch, dass sie Nachhilfe nimmt, während ihr großer Bruder so ein Genie ist und ihr locker alles erklären könnte.“, startete Jack ein Gespräch, erwartete aber gar nicht, dass Benedict darauf einging.

„Worauf willst du hinaus?“

Oh hups, doch eine Antwort., bemerkte Jack überrascht. Inzwischen war es nicht mal mehr so schwer, Benedict zum Reden zu bringen.

„Hast du ernsthaft vor, auch für sie den Kopf hinzuhalten, wie du es schon bei Johanna gemacht hast?“, fasste er seine vorherigen Gedanken in Worte.

„Wieso sollte ich nicht?“

Jack zuckte mit den Schultern. „Ach, ich weiß nicht. Vielleicht, weil sie ein kleines Miststück ist?“

„Sehr freundlich.“, erwiderte Benedict seine Ironie.

„Hey, es hat mich schon genug Mühe gekostet, sie nicht als Schlampe zu bezeichnen.“

„Kennst du sie überhaupt?“ Benedict hatte seine Schnitzutensilien anscheinend weggepackt und landete lautlos neben Jack auf der Wiese.

Er zuckte mit den Schultern. „Carsten hatte mir früher von seinen ach so reizenden Geschwistern erzählt. Mehr muss ich nicht wissen.“

„Im FESJ?“

Jack ballte die Hand zur Faust. Doch Benedict war so schnell, dass er es sich gar nicht erst überlegen konnte, ob er ihm eine reinhauen oder es lieber lassen sollte. Schmerzverzerrt befreite sich Jack aus dem Polizeigriff. „Verdammte Scheiße, kannst du endlich mal damit aufhören?“

„Womit?“

„Vielleicht damit, mir jedes Mal fast den Arm zu brechen oder die Schulter auszukugeln, wenn du den Namen dieser Höllenanstalt nennst?“

Benedict zuckte mit den Schultern. „Du wolltest mich doch angreifen.“

Jack rieb sich den schmerzenden Arm. „Und du weißt genau, wieso. Also warum forderst du es trotzdem ständig heraus?“

Benedict erwiderte nichts darauf, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf ein Gebäude, was nicht allzu weit von ihrem jetzigen Aufenthaltsort entfernt war.

„Ist die Nahhilfestunde fertig?“, erkundigte sich Jack, immer noch den Arm haltend.

„Bald.“ Benedicts Stimme klang ungewöhnlich angespannt. „…Wir sollten das verschieben.“

Jack runzelte die Stirn. „Muffensausen? Kannste vergessen. Mars‘ Befehl ist Gesetz. Wenn du dich ständig seinem Aggressionsproblem unterwerfen möchtest, bitteschön. Aber ich steh kein bisschen auf sowas.“

„Chief scheint einen Moment Zeit zu haben und wollte seine Tochter überraschen, indem er sie von der Nachhilfe abholt.“, erklärte Benedict die Situation, die er wohl aufgrund seines Gehörsinns mitbekam.

Carstens Vater? Jack knirschte mit den Zähnen. Noch eine Person, für die er noch weniger Sympathie empfand als für Sakura. Und selbst Eagle konnte er besser leiden als Chief.

„Oh wie lieb. Daddy holt sein kleines Prinzesschen von der Nachhilfe ab. Einen besseren Vater gibt’s nicht.“ Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Dann entführen wir ihn doch direkt mit. Nichts würde eine gesamte Region mehr aus dem Gleichgewicht bringen. Und Mars würde uns für die Aktion glatt ne Woche Urlaub geben.“

Benedict warf ihm einen Seitenblick zu. „Unterschätze ihn besser nicht.“

„Tu ich doch gar nicht. Aber hey, der stärkste Kämpfer Damons ist gezwungener maßen auf meiner Seite. Was soll mir da schon passieren?“ Belustigt erwiderte er Benedicts Blick.

Dieser seufzte. „Weißt du überhaupt, was es mit diesem Titel auf sich hat?“

„Dass du selbst ohne die Dämonenkräfte der stärkste Kämpfer Damons bist?“, erwiderte Jack schulterzuckend.

Benedict lehnte sich gegen den Baumstamm und schaute in die Ferne, wie Jack es zuvor getan hatte. „Es gibt zwei Möglichkeiten, diesen Titel zu erhalten. Entweder, man besiegt den amtierenden stärksten Kämpfer Damons…“

„Logisch. Und deshalb versucht Eagle auch ständig, gegen dich zu gewinnen.“, ergänzte Jack.

Benedict nickte.

„…Und die zweite Möglichkeit?“

„Die ist Generationsübergreifend.“, erklärte er weiter. „Sie ist vergleichbar mit der Ämterübergabe der Schülervertretung in der Coeur-Academy. Der amtierende ‚stärkste Kämpfer Damons‘ kann den Titel an jemanden aus der folgenden Generation übertragen.“

Jack runzelte die Stirn. „Und du?“

„Ich bin der ‚stärkste Kämpfer Damons‘ in unserer Generation. Und dreimal darfst du raten, wer mir diesen Titel angedreht hat.“

Allmählich wurde auch Jack unwohl in seiner Haut. „Chief? Aber warum weiß dann so gut wie jeder über dich Bescheid, aber nicht, wer dein ‚Vorgänger‘ war?“

Erneut erwiderte Benedict seinen Blick. „Jeder weiß das.“

„Also ich nicht.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Wahrscheinlich, weil es inzwischen als bekannt vorausgesetzt wird und man kaum mehr darüber spricht. Seit der Gründung Damons war der stärkste Kämpfer immer der amtierende oder zukünftige Häuptling Indigos.“

Jack musste aufpassen, dass ihm bei dieser Information nicht die Kinnlade herunterklappte. „Ernsthaft?“

Benedict nickte lediglich.

„Das heißt, du bist die erste Person, die der stärkste Kämpfer Damons ist und nicht Häuptling von Indigo wird?“

Ein weiteres Nicken.

Jack beobachtete eine Hornisse, die mit ihrem tiefen Brummen zwischen den leicht gelblichen Blättern des Baumes herumsummte. „Krass. Und das heißt, Eagle ist der erste angehende Häuptling, der nicht diesen Titel trägt.“ Amüsiert verschränkte er die Arme hinter dem Kopf. „Das erklärt auch, warum er ständig versucht dich zu besiegen. Shit, das muss ziemlich erniedrigend sein. Der Arme tut mir ja fast schon leid.“

„Bist du nun immer noch auf eine Konfrontation mit dem Häuptling aus?“

Jack betrachtete weiterhin die Hornisse. Er fand diese Viecher immer beeindruckend. Wespen waren einfach nur nervige, aggressive Dinger. Aber Hornissen? Alleine deren Erscheinung hatte schon was Einschüchterndes, Bedrohliches. Die wollte man gar nicht erst provozieren. „Was bleibt uns groß für eine Wahl? Außerdem können wir uns dank der Dämonenkräfte trotzdem noch einen Vorteil verschaffen, wenn’s hart auf hart kommt.“

Benedict schien die Diskussion aufgegeben zu haben. „Wenn du meinst… Dann sollten wir jetzt los.“

Gemeinsam verließen sie ihren Platz am Baum und Jack warf noch einen letzten Blick auf die Hornisse, wie sie im Himmel verschwand. Eine Wahl hatten sie wirklich nicht. Wie gesagt, Mars‘ Befehle waren Gesetz. Und gerade nach Benedicts letzter Begegnung mit Mars vor einem Monat wollte er die Gunst des Dämons nicht überstrapazieren. Eigentlich konnte Jack sich glücklich schätzen. Wahrscheinlich war er der einzige von Mars‘ Gefolgsleuten, der sein Aggressionsproblem noch nicht zu spüren bekommen hatte.

Die wenigen Meter zu Sakura und Chief verliefen ungewöhnlich angespannt. Benedict fragte Jack noch nicht einmal die neuen Japanisch-Vokabeln ab.

Interessiert schaute Jack sich um. In Indigo war er nur ganz selten gewesen und er dachte eigentlich, dass Karibera lediglich aus Indigonerzelten bestand. Aber die Stadt war größer und moderner als erwartet. Zumindest schienen nicht alle Indigoner in Tipis zu leben, den Holzhäusern nach zu urteilen. Was im Winter auch echt bescheuert wäre, wenn man so darüber nachdachte. Und wie war das in den Zelten bitteschön mit Strom und fließend Wasser? Gab es da überhaupt getrennte Räume?

Jack nahm sich vor, Benedict bei der nächstbesten Gelegenheit mal einige Fragen über diese seltsame Region zu stellen. Doch nun hatten sie andere Sorgen.

Gerade, als sie das Holzhaus erreicht hatten, ging die Tür auf und Chief trat mit seiner Tochter ins Freie.

Sakura erblickte die beiden Jungs als erste und… rannte sofort begeistert auf Benedict zu. Jack hätte am liebsten losgelacht. Das Mädchen war ja noch naiver als Laura!

„Benni! Ewig nicht mehr gesehen!“, rief sie erfreut, als plötzlich von hinten Chiefs gebieterische Stimme ertönte. „Sakura! Halt dich fern von ihnen!“

Carstens kleine Halbschwester zuckte betroffen zusammen, blieb aber zumindest stehen. Mit großen Schritten ging Chief zu seiner Tochter und betrachtete Benedict und Jack kritisch. „Was wollt ihr hier?“

Bei dem autoritären Klang in seiner Stimme verspannte sich Jack automatisch. Die langen, schwarzen Haare, die bereits einige gräuliche Strähnen hatten waren zu einem straffen Zopf zurückgebunden. In den bernsteinfarbenen Augen lag derselbe einschüchternde Blick, den auch Eagle besaß. Und trotz seines Alters konnte man den durchtrainierten Körperbau unter dem Hemd und der Stoffhose erahnen.

Okay, nun verstand Jack, warum Benedict ihre Aktion lieber verschoben hätte. Der Typ wirkte alles andere als im Ruhestand.

„Hör mal, wir wollen es nicht zu unnötigem Blutvergießen kommen lassen.“, erklärte Jack trocken. „Wir wollten einfach nur Sakura abholen.“

Ja, Chief schüchterte ihn tatsächlich ein bisschen ein.

Dieser überhörte Jacks Aussage und richtete seine Aufmerksamkeit auf Benedict. „Es wäre besser, ihr geht jetzt.“

„Sie wissen, dass wir das nicht können.“, entgegnete dieser.

„Also zwingt man dich wirklich zu absolutem Gehorsam.“ Chief begab sich in Kampfhaltung. „Ich bedauere diese Situation zutiefst.“

Oh glaub mir, wir auch., dachte sich Jack, während auch er sich kampfbereit machte.

Die Person, die sich jedoch als erste bewegte, war Sakura. „Abeoji, hör auf!“, schrie sie und klammerte sich an die Hand ihres Vaters. „Du kannst nicht beide gleichzeitig besiegen!“

„Sakura, geh und bring dich in Sicherheit.“, forderte Chief sie auf, ohne den Blick von Jack oder Benedict abzuwenden.

Tränen sammelten sich in Sakuras Augen. „Aber-“

„Jetzt geh schon!“

Sie schien noch etwas erwidern zu wollen, merkte aber, dass es nichts bringen würde. Schluchzend schlang sie für einen Moment die Arme um den Bauch ihres Vaters. „Ich hab dich lieb.“

Chief strich ihr über die Haare. „Ich dich auch, mein Engel.“

Jack hätte am liebsten gekotzt.

Zum selben Zeitpunkt als Sakura wegrannte, sprintete Chief auf sie zu. Scheiße, war der Typ schnell. Jack hätte sofort den ersten Schlag abbekommen, wenn Benedict ihn nicht an seiner Stelle abgewehrt hätte.

Eine Zeit lang konnte er nur den Kampf zwischen den beiden stärksten Kämpfern Damons beobachten. Sie schenkten sich nichts. Zeigten keine Gnade.

Chiefs Angriffe hatten dieselbe Kraft und Geschwindigkeit wie Eagle, waren aber viel unvorhersehbarer. Und dadurch viel gefährlicher. Benedicts Defensive war gut genug, um nicht getroffen zu werden. Doch ob er ohne seine Energien den Kampf gewinnen könnte wusste Jack nicht.

Einen nicht sonderlich angenehmen Schlag gegen die Schläfe konnte Benedict nicht mehr rechtzeitig abwehren.

Jack verzog das Gesicht. Er beobachtete, wie Benedict sein Gewicht verlagerte und eine tiefere Kampfhaltung einnahm. Er blockte weitere Schläge von Chief, bis er es schaffte einen Arm zur Seite zu stoßen und dem Häuptling seine Faust in den Solarplexus zu rammen.

Chief wich einige Meter zurück. „Nicht schlecht. Du bist besser geworden.“

Wie jetzt, das war nur ‚nicht schlecht‘?

Endlich schaffte es Jack, den Blick von Benedict und dem Häuptling loszureißen und wandte sich stattdessen Sakura zu, die bereits in Richtung ihres Hauses rannte.

Wenn sie es jetzt schaffte Eagle zu erreichen und Hilfe zu holen, konnten sie das ganze direkt vergessen. Aber wenn Jack seine Erd-Energie einsetzte, konnte Eagle bei der Entfernung seine Anwesenheit wahrnehmen und würde direkt Verdacht schöpfen. Weshalb Benedict es wahrscheinlich auch vermied, auf seine eigenen Energien zurückzugreifen.

Also blieb Jack keine andere Wahl als ihr zu folgen.

Doch jemand hatte seine Absichten früher erkannt, als ihm lieb war. Jack sprang zur Seite und wich in letzter Sekunde Chiefs Faustschlag aus.

Er atmete tief durch und blickte in die verärgerten Augen des Häuptlings.

„Du rührst sie nicht an!“, brüllte dieser.

Jack wich zwei weiteren Hieben von Chief aus, doch der Tritt in die Magengrube kam zu schnell und unerwartet, um ihn blocken zu können. Keuchend richtete er sich auf und schmeckte etwas Blut. Verdammt. Ohne seine Energie hatte er keine Chance.

„Abeoji!“, Sakuras panischer Schrei bewahrte ihn vor dem nächsten Angriff.

Erschrocken wandte sich Chief seiner Tochter zu. Benedict schien den Moment der Ablenkung genutzt zu haben und hatte Sakura inzwischen eingeholt und am Arm gepackt. Diese schaute mit vor Angst geweiteten Augen zu ihrem Vater rüber.

„Lass sie gehen!“, brüllte Chief zu Benedict.

Jack bekam langsam die Sorge, dass die Anwohner etwas davon mitbekommen könnten. Es war zwar ein weitläufiges Gebiet, aber wenn jemand zufällig sein Fenster geöffnet hatte, konnte er trotzdem hören, dass da etwas nicht stimmte.

Sie mussten sich beeilen.

Jack nutzte für sich aus, dass der Häuptling abgelenkt war. Er verpasste ihm von hinten einen gezielten Schlag, der ihn zumindest etwas außer Gefecht setzen sollte. Anschließend rammte er ihm noch das Knie seitlich in die Rippen. Nur um auf Nummer Sicher zu gehen.

Überrascht und nach Luft schnappend sackte Chief auf den Boden.

„Hör auf!“, schrie Sakura verzweifelt. „Wenn ihr ihn in Ruhe lasst, werde ich mich auch nicht wehren! Versprochen!“

Du hast doch ohnehin keine Chance gegen uns., dachte sich Jack genervt. Er atmete noch einmal tief durch und stellte sich zwischen Chief und seine Tochter.

Ohne den Häuptling aus den Augen zu lassen meinte er zu Benedict: „Mars hat dir inzwischen doch auch einen Portal-Ring gegeben, oder? Geh schon mal vor. Ich regel das hier.“

Benedict schien zu zögern. „Bist du dir sicher?“

Jack verzog das Gesicht und spuckte etwas Blut aus. „Ich komm schon klar. Aber wenn der holde Ritter zu meiner Rettung eilen möchte, kann ich auch gerne einen auf Jungfrau in Nöten machen.“

Benedict schien noch irgendetwas erwidern zu wollen. Doch das vertraute Zischen und Lodern des Portals zur Unterwelt kurz darauf verriet Jack, dass er wohl tatsächlich alleine mit Chief fertig werden durfte.

Mühsam richtete sich dieser auf. „Ihr verdammten…“

„Interessant.“ Jack knackste mit den Fingern. „Als damals dein Sohn in Gefahr schwebte hast du mit keiner Wimper gezuckt.“

„Eagle ist stark. Du hattest nicht den Hauch einer Chance gegen ihn.“, erwiderte Chief verbissen und fokussierte Jack wieder mit diesem bedrohlichen Blick.

Jack ballte die Hände zu Fäusten. Er spürte, wie sie vor Wut zu zittern begannen. „Ich meinte nicht Eagle. Schon vergessen, dass ich Carsten damals fast umgebracht hatte?“

Erneut begab sich Chief in Angriffsposition. „Er ist aber nicht gestorben. Und nun lasst Sakura wieder frei!“

Erneut wurde Jack angegriffen. Und erneut schaffte er es nur, die ersten paar Hiebe abzuwehren. Dieses Mal war es ein Schlag ins Gesicht, der Jack in die Knie zwang. Ein widerlich pochendes Gefühl breitete sich bei seinem linken Auge aus. Einen Moment lang verlor er die Orientierung. Den nächsten Moment wurde er von Chief auf die harte Erde gedrückt. Der starke Griff des Häuptlings quetschte ihm die Kehle zu.

„Ihr solltet eure Pläne lieber noch einmal überdenken.“, drohte er.

Röchelnd versuchte Jack zu Atem zu kommen. Er musste seine Energie benutzen. Ansonsten würde er gleich wortwörtlich nur noch Schwarz sehen.

Er hatte keine Wahl. Er musste ernst machen.

Jack sammelte seine Gedanken, soweit das unter diesem erwürgenden Griff möglich war. Zwei spitze Steine schossen aus dem Boden hervor. Chief reagierte rechtzeitig genug und ließ Jack los, um ihnen auszuweichen.

Zu mehr kam es nicht. Jack erschuf eine große Erdkuppel, die sie beide in völlige Dunkelheit hüllte.

„Was hast du vor?!“, rief der Häuptling in die Finsternis.

„Das würde ich dir ja gerne erzählen, aber leider läuft uns die Zeit davon.“ Lautlos ging Jack am Rand der Kuppel im Kreis. Trotz der Finsternis waren seine Schritte sicher. Er wusste genau, wo er sich befand. Er wusste genau, wo Chief sich befand. Die Position jedes noch so kleinen Steins oder Insekts, was auf der Erde fleuchte, kannte er.

Während sich bei anderen Dämonenbesitzern meist das Gehör oder der Geruchsinn durch die Dämonenform verbessert hatte, war es bei ihm im Prinzip der Tastsinn. Dank der Erde war es egal, ob er sich am helllichten Tag, oder in tiefster Dunkelheit befand.

Während jeder andere orientierungslos in der Finsternis umhertastete, war es ihm ein leichtes, sich in ihr zurechtzufinden. Die perfekte Fähigkeit für einen Assassinen.

Und zu nichts Geringerem hatte Mars ihn ausbilden lassen.

Jack ließ die Metallklauen aus seiner Armschiene hervorschießen. „Eigentlich wollte ich dich auch nur entführen, aber irgendwie wird das schwerer als gedacht.“

Chief schnaubte. „Und da denkst du, mich in eine Erdkuppel einzusperren reicht aus?“

„Ja.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und wanderte in die andere Richtung, immer noch im Kreis um Chief. Ließ diesen allerdings immer kleiner werden. „Ich hab mal ne Frage: Du redest all die Zeit nur über Eagle und Sakura. Was ist mit Carsten?“

„Was soll mit ihm sein?“

Jack spürte, wie sich Eagle ihnen näherte. Er hatte also tatsächlich die Erd-Energie bemerkt. Shit, ihm blieb keine Zeit mehr.

Jack ballte die Hände zu Fäusten. Er atmete tief durch und schaute in die Richtung, in der Chief sich befand. „Bereust du es, Carsten auf das FESJ geschickt zu haben?“

„Nein.“

Eine eisige Kälte breitete sich in Jack bei diesen Worten aus. Blinde Wut schäumte in ihm hoch. Erinnerungen brachen über ihn herein.

„Als mein Sohn sollte er stark genug sein, an einer solchen Schule zurecht zu kommen.“

„Du hast ja keine Ahnung.“, zischte Jack mit zusammengebissenen Zähnen. Er ging nun direkt auf Chief zu.

Obwohl er seine Position eigentlich nur spüren konnte war ihm, als würde er dort auch jemanden sehen können. Diese Person drehte sich zu Jack um. Ein Mann mittleren Alters. Dunkle braune Haare, helle blaue Augen. Sein Vater.

„Du Dreckskerl hast ja keine Ahnung!“, schrie Jack und holte mit der Faust zum Schlag aus.

Sein Vater fiel auf die Finte herein. Er versuchte noch auszuweichen, doch in der Dunkelheit konnte er sich nicht orientieren. Im Gegensatz zu Jack.

Mit einer knappen Bewegung rammte er ihm die Klauen in die Brust.

Das Licht aus den hellblauen Augen seines Vaters erlosch.

Eine warme Flüssigkeit lief über Jacks Hand und der Körper durch den er die Klauen gerammt hatte fühlte sich auf einmal ganz schwer an.

Keuchend zog Jack die Klauen zurück und ließ die Erdkuppel verschwinden. Das plötzliche Licht blendete ihn. Er hielt sich die Hand vor die Augen, während er benommen einige Schritte zurücktaumelte.

Das Adrenalin ließ nach und der Schmerz von Chiefs Angriffen kehrte zurück.

Obwohl er durch das blendende Licht nichts sehen konnte, spürte er den Körper vor sich auf dem Boden liegen. Und einige Meter dahinter…

„Scheiße, was ist hier passiert?!“, hörte er Eagle lautstark fluchen.

Allmählich gewöhnten sich Jacks Augen wieder an das Licht. Er sah das frische Blut auf seiner Hand. Und wenige Meter vor sich sah er Chief liegen, mit leeren bernsteinbraunen Augen in den Himmel blickend.

„Du Arschloch, was hast du gemacht?!“

Jack war sich nicht sicher, ob es nur ein Windstoß war oder doch eher eine Wand, die ihn mit voller Wucht traf und mehrere Meter nach hinten schleuderte.

Auch nach dem Aufprall flimmerten noch kleine Lichter vor seinen Augen. Noch bevor er sich aufrichten konnte trat Eagle ihm auf die Brust.

Hustend stemmte sich Jack gegen Eagles Gewicht und befreite sich irgendwie davon. Mit Steinwänden blockte er weitere Windstöße ab. Doch es fiel ihm schwer die Konzentration aufrecht zu erhalten.

„Sag schon, was soll das hier?!“, brüllte Eagle über den tosenden Wind hinweg.

Jack bekam zum ersten Mal die Gelegenheit, ihm richtig in die Augen schauen zu können. Die Pupillen hatten sich zu katzenartigen Schlitzen verengt und die bernsteinfarbene Iris schien von sich aus zu leuchten. Die Äderchen in seinen Augen und um diese herum hatten eine gräuliche Färbung bekommen und pulsierten, als würde Energie und kein Blut durch sie hindurch fließen.

Jack hielt sich die schmerzenden Rippen, von denen mit Sicherheit einige gebrochen waren. Erst jetzt bemerkte er, wie sich der Himmel mit Wolken zuzog. Ein Wind zerrte mit ungeheurer Kraft an ihm. Nahestehende Bäume beugten sich unter dem Sturm und größere Zweige brachen ab.

Unter dem lauten Tosen hörte Jack ein weiteres Rauschen. Ein Rauschen, was ihn erleichtert aufatmen ließ.

Er wandte sich dem schwarz-lodernden Portal zu. „Hey holder Ritter, die Jungfrau in Nöten würde gerne gerettet werden.“

Natürlich brauchte Benedict nur einen kurzen Moment, um die Lage zu erfassen. Und der Blick, den er Jack zuwarf, war eiskalt.

Sonderlich mehr bekam Jack nicht mehr mit, da Eagle ihm mit ganzer Kraft in den Bauch boxte. Wieder hatte Jack das Gefühl, von einer Wand erschlagen zu werden. Er schlitterte mehrere Meter zurück und stieß mit dem Rücken gegen einen Baumstamm.

Krachend fiel ein Ast neben ihm zu Boden. Der Sturm wurde immer stärker.

Jack war immer noch zu benommen von den vorherigen Angriffen, um Eagle ausweichen zu können. Er konnte weder auf den zweiten Schlag in die Magengrube, noch auf den ins Gesicht reagieren. Bei einem Versuch Eagle mit spitzen Felsen anzugreifen, wurden diese vom Wind in kleine Stücke zerborsten. Jack wehrte einen Schlag ab, wurde aber kurz darauf an der Kehle gepackt und mit dem Kopf gegen den Baumstamm gestoßen.

Benommen sah er das orangene Lodern in Eagles Augen. Welch Ironie. Orange war doch eigentlich seine Farbe.

„Dafür wirst du bezahlen!“, schrie Eagle und eine mächtige zweite Stimme hallte wie der tosende Sturm über das gesamte Gebiet.

Verschwommen nahm er wahr, wie Eagle die Faust zu einem weiteren Angriff ausholte.

Doch da löste sich abrupt der erwürgende Griff um Jacks Kehle.

Hustend tastete er nach den Druckspuren an seinem Hals und sah gleichzeitig, wie Benedict Eagle zurückstieß.

„Halt dich da raus!“, wies Eagle Benedict an und schneidende Windsicheln schossen auf ihn zu.

Benedict hielt die Arme vor den Körper und eine schwarz lodernde Aura absorbierte den Wind. Eagle stürmte wieder auf Jack zu, doch eine flammende Feuerfront versperrte ihm kurzfristig den Weg.

Verärgert richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Benedict. Griff nun ihn an. Doch Benedict wehrte die Angriffe mit Leichtigkeit ab. Und schlug ihm die in Finsternis-Energie gehüllte Handfläche gegen die Brust.

Überrascht schnappte Eagle nach Luft und sackte auf die Knie. Der Sturm wurde immer schwächer, während Eagle auf die Seite kippte und das Bewusstsein verlor.

Wenig später sank auch Jack erschöpft auf den Boden. Er wischte sich etwas Blut aus dem Gesicht, während Benedict zu ihm rüberkam.

„Wir müssen gehen.“, meinte er mit einem eisigen Ton in seiner Stimme.

Jack richtete sich taumelnd wieder auf und sah, wie der schwarze Stein des Ringes an Benedicts linkem Mittelfinger aufleuchtete und kurz darauf wieder das schwarze, lodernde Portal entstand.

Er warf einen flüchtigen Blick über die Schulter. Sah, wie Eagle bewusstlos auf dem Boden lag. Und wie Chiefs tote Augen in den inzwischen wieder sonnigen Himmel schauten.
 

Schweigend lief Jack neben Benedict durch die Gänge des Unterweltschlosses, ehe sie vor der übertrieben großen Tür mit dem übertrieben großen Phönix anhielten.

„Mars wollte zuerst mit dir sprechen.“, meinte Benedict lediglich. Seine Stimme war immer noch eiskalt.

Jack nickte nur und betrat Mars‘ Gemächer. Eigentlich wollte er einfach nur schlafen. Chiefs Angriffe waren schon nicht ohne gewesen, aber Eagles geballte Wut abzubekommen war nochmal krasser. Ihm war immer noch schwindelig und so langsam bekam er den Eindruck, eine leichte Gehirnerschütterung zu haben.

Und diese dämlichen tausenden Zwischenräume konnte er jetzt noch weniger gebrauchen. Und ein Gespräch mit Mars schon gar nicht.

Endlich war er vor der letzten Tür angekommen und betrat das übertrieben herrschaftlich hergerichtete Zimmer.

„Willkommen zurück.“, ertönte Mars Stimme direkt, als sich die Tür wieder schloss. Wie immer thronte er auf seinem Kanapee. Hatte der Kerl nichts Besseres zu tun als rumliegen und sich wie ein Kaiser aufzuführen?

Jack erwiderte nichts darauf, sondern lehnte sich gegen die Wand und ließ sich auf den Boden sinken, wie zuvor schon in Indigo. Erschöpft schloss er die Augen. Schlafen… Er wollte einfach nur schlafen.

Mars fuhr derweil unbeirrt fort. „Ich habe bereits gehört, dass es wohl einen unvorhergesehenen Zwischenfall gab. Ich hoffe, Benedict konnte schlimmeres verhindern?“

„Zumindest wurde ich dadurch nicht von Eagle in Stücke gerissen.“, antwortete Jack matt.

„Das sind doch erfreuliche Neuigkeiten. Und der Häuptling?“

„War der Grund, warum Eagle mich in Stücke reißen wollte.“ Jack hielt seine Hand hoch, an der immer noch Chiefs Blut klebte.

Plötzlich begann Mars loszulachen. Na ja, so fand zumindest einer diese Situation lustig.

„Ich fasse es nicht. Du hast den stärksten Kämpfer Damons ermordet?“

Jack öffnete die Augen wieder und betrachtete Mars. Den Dämon schien das tatsächlich köstlich zu amüsieren. Er stand von seinem Kanapee auf und kam zu Jack rüber.

„Ich hatte zwar gemeint, dass ihr eure Hindernisse notfalls ausschalten sollt, aber das“, er machte eine ausschweifende Geste zu Jacks blutverschmierter Hand, „das hätte ich nun wirklich nicht erwartet.“

„Glaub mir, ich auch nicht.“, erwiderte Jack lediglich.

Immer noch belustigt ging Mars vor Jack in die Hocke. „Benedict scheint nicht sehr erfreut darüber zu sein.“

„Ne, ihm war nicht so zum Lachen zumute.“

„Nachvollziehbar.“ Kichernd richtete sich Mars wieder auf. „Wie schade. Und ich hatte doch so gehofft, dass du es endlich mal schaffst, Freundschaften zu schließen.“

Jack zuckte mit den Schultern und mühte sich auf die Beine. „Ich bin für sowas wohl nicht gemacht.“

Der Dämon wies auf die Tür. „Schick Benedict zu mir und ruh dich etwas aus. Mit diesen Verletzungen bist du zu noch weniger in der Lage als nach deiner ersten Konfrontation mit Eagle.“

Wem sagst du das., dachte sich Jack, während er Mars‘ Gemächer mit den tausenden Räumen wieder verließ.

Endlich bei der äußersten Tür angekommen, deutete Jack Benedict an, dass nun er an der Reihe war. Trotz des Schwindels schaffte er es, ihn etwas genauer zu betrachten. Benedict schien noch unverletzt, also hatte Mars seinen Aggressionsabbau wohl auf nachher, also jetzt, verschoben.

Immer noch nicht ganz sicher auf den Beinen schleppte sich Jack in sein Zimmer und ließ sich direkt ins weiche Bett fallen. Alles um ihn herum drehte sich und eine leichte Übelkeit stieg auf, doch bevor er sich darüber Gedanken machen konnte, war er bereits weggedöst.

Doch der Schlaf war ruhelos, und seine Träume waren wirr. Er sah Blut, hörte Peitschenhiebe. Spürte sie sogar. Eine Tür fiel krachend in die Angeln. Er war gefangen in der Dunkelheit. Etwas zerrte an ihm, stieß ihn zu Boden. Schreie einer Frau gellten durch die Finsternis. Alles wurde rot, blutrot. Jack fiel, in ein Meer aus Blut. Jemand packte ihn an der Kehle. Ein Mann mit dunkelbraunen Haaren und hellblauen Augen. Jack wollte sich befreien, doch er hatte keine Kraft. Er war machtlos. Der Mann tauchte ihn unter. Blut füllte Jacks Lungen. Er verschluckte sich daran, ertrank darin…
 

Keuchend schreckte Jack hoch. Ein stechender Schmerz fuhr durch seinen Kopf und er ließ sich direkt zurück in die Kissen fallen, während er sich schwer atmend den Schweiß von der Stirn wischte. Mühsam tastete er nach seinem Handy auf dem Nachttisch, um einen Blick auf die Uhr werfen zu können. Es war nur knapp eine halbe Stunde vergangen.

Und dem dröhnenden Schmerz in seinem Kopf und seinen Rippen nach zu urteilen, hatte dieses bisschen Schlaf nicht wirklich was gebracht.

Er blieb noch eine Weile liegen, bis er es schaffte, sich aufzurichten und ins Bad zu gehen. Bei einem Blick in den Spiegel stellte er fest, dass er genauso erbärmlich aussah, wie er sich auch fühlte. Die linke Gesichtshälfte war blau und leicht geschwollen, während an der rechten das Blut von einer Platzwunde über dem rechten Auge klebte. Von den ganzen anderen Blutergüssen ganz zu schweigen. An seinem Hals waren immer noch deutliche Druckspuren zu erkennen und wie sein Oberkörper unter dem T-Shirt aussah wollte er gar nicht erst wissen.

Jack verbrachte einige Zeit damit, sich das zum Teil getrocknete Blut von den Händen und aus dem Gesicht zu waschen. Danach sah er zwar nur minimal vorzeigbarer aus, fühlte sich aber zumindest etwas besser.

Während er in die Küche ging und diese nach etwas Essbarem absuchte, schweifte er mit den Gedanken nach Indigo ab und fragte sich, wer wohl Eagle und die Leiche des Häuptlings entdecken durfte. War es Sakuras Nachhilfelehrer? Irgendein armes Schwein, was zufällig vorbeikam? Oder gar Eagles und Carstens Stiefmutter, die sich allmählich fragte, wo der Rest abgeblieben war?

Während Jack beschloss, Benedicts noch nicht geöffnete Schokokekspackung zu entführen -er würde ihm bei Gelegenheit neue kaufen- drifteten seine Gedanken weiter zu Carsten und schließlich zu Benedict selbst. Ob sich Mars inzwischen abreagiert hatte?

Er verließ die Küche und schloss die Augen, um sich besser auf seine Umgebung konzentrieren zu können. Tatsächlich schien Mars inzwischen genug zu haben. Zumindest spürte er, wie Benedict just in diesem Moment in sein Zimmer zurückkehrte.

Jack beschloss, ihm einen Besuch abzustatten und ging auf einem Keks herumkauend ebenfalls zu seinem Zimmer. Dort angekommen klopfte er zwar an, wartete aber gar nicht erst auf eine Antwort, um die Tür zu öffnen.

„Was möchtest du?“, fragte Benedict, der mit einem geöffneten Buch auf dem Bett lag.

Jack hielt ihm einen Keks hin. „Willst du einen?“

„Sind das meine?“

„Nö, wieso?“

Benedict verdrehte die Augen, hielt aber die Hand auf.

Jack warf ihm einen Keks zu und wandte sich anschließend an den imposanten Wolfshund, der wenige Meter vor dem Bett lag. „Hi Wolf. Dich kann ich nicht mit Keksen begeistern, oder?“

Noch bevor Jack ihm den Kopf kraulen konnte, knurrte Wolf. Eine deutliche Aufforderung, ihn in Ruhe zu lassen. Seufzend brachte Jack etwas Abstand zwischen sich und das Monstrum, was ihm normal stehend locker bis zu den Hüften reichte. Jack hatte Wolf mal auf den Hinterbeinen stehen sehen, als dieser Benedict das Gesicht abgeschleckt hatte. Und in dem Moment waren beide gleichgroß gewesen.

Da war Jack das kleine, leicht dickliche Eichhörnchen auf Benedicts Schulter lieber. „Du bist auch kein großer Keks-Fan, oder?“, fragte er Chip, dessen Name offensichtlich von seiner Leibspeise, Chips, inspiriert war.

Chip reagierte nicht auf ihn, doch daran war Jack gewohnt. Benedicts tierische Begleiter waren ihm gegenüber immer noch sehr zurückweisend. Bei Jacks erstem Versuch Wolf zu kraulen hätte dieser ihm fast die Hand abgebissen. Aber dieses grau-weiße Fell wirkte einfach so flauschig.

Jack setzte sich auf den Schreibtischstuhl und betrachtete Benedict genauer, welcher das Buch wieder zuklappte und vom Keks abbiss. Er war sich nicht sicher, wer von ihnen schlimmer zugerichtet aussah.

„Sakura ist bei Johanna und Johannes?“

Benedict nickte.

Jack seufzte. „Das kann ja was werden. Ich wette, sie kommt gar nicht mit den beiden klar.“

„Warum hast du ihn getötet?“, fragte Benedict. Wieder dieser kalte Unterton in seiner Stimme.

„Weil ich nur die Wahl zwischen ganz oder gar nicht hatte.“, antwortete Jack und fragte sich, warum Benedict so verärgert schien. So dicke war er mit Chief auch nun wieder nicht gewesen. Besonders wenn man bedachte, dass dieser Carsten für gewöhnlich nicht eines Blickes gewürdigt hatte.

Dennoch hatte er das Gefühl, sich vor Benedict rechtfertigen zu müssen. „Ich habe schon bei den Trainingskämpfen gegen dich immer den Eindruck, komplett machtlos zu sein. Aber bei dem… Halbe Sachen konnte ich mir da nicht erlauben. Ansonsten hätte er mich dem Erdboden gleichgemacht.“

„Du hättest fliehen können.“

Jack erinnerte sich an das erdrückende Gefühl, als Chief in der Dunkelheit der Erdkuppel seine Frage beantwortet hatte. „Das konnte ich nicht.“

Benedict betrachtete ihn kritisch und wischte sich etwas Blut von der aufgeplatzten Lippe.

Jack wurde unwohl zumute. „Hey, hör auf mich so anzuschauen als hätte ich gerade eine wichtige Person umgebracht.“

„Hast du aber.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ja, irgendwie schon. Aber nicht so jemanden wie Eagle oder gar Carsten selbst.“

Seufzend hielt Benedict die Hand auf, damit Jack ihm einen weiteren Keks rüber werfen konnte.

„Du wirfst grauenhaft.“, meinte er nur, als er sich strecken musste, um ihn noch zu erwischen.

Jack grinste. „Der Grund, warum man mir bedauerlicher weise niemals ne Knarre in die Hand drücken sollte. Ich bin und bleibe reiner Nahkämpfer. Aber ernsthaft, warum bist du so angepisst?“

„Abgesehen davon, dass er der Häuptling ist? Du hast Eagles und Carstens Vater ermordet.“, antwortete Benedict und schaute ihn tatsächlich leicht verärgert an.

„Ach, so läuft der Hase.“ Jack seufzte und holte sich selbst einen weiteren Keks aus der Packung. Sie waren lecker, die Marke musste er sich merken. „Okay, mal ehrlich: Der Typ bereut es nicht im geringsten, Carsten auf die Höllenanstalt geschickt zu haben. Willst du so jemandem nicht auch einfach den Hals umdrehen?“ Nach einem Zögern fügte er hinzu: „…Es ist mir egal, ob er glaubt Carsten käme damit klar oder nicht. Jeder, der auch nur halbwegs eine Ahnung davon hat, was da vor sich geht, sollte sein Kind nicht dahin schicken wollen.“

Eine Zeit lang herrschte Schweigen. In Gedanken versunken schaute Benedict auf den Buchdeckel, ohne ihn wirklich zu betrachten. „Es stimmt schon. Selbst Lauras Vater hatte es damals bevorzugt, mich für eine Zeit lang aus Yami zu verbannen, anstatt mich ins FESJ zu stecken. Was eigentlich die naheliegendere Konsequenz gewesen wäre.“

„Kannst du endlich mal damit aufhören, den Namen dieser Höllenanstalt zu nennen?!“ Jack ballte die Hand zur Faust, blieb aber sitzen.

„Du greifst mich nicht an?“

Freudlos lachte Jack auf. „Nein danke, mir geht’s schon beschissen genug. Und wenn du bei dieser blutigen Lippe noch Kekse essen kannst, will ich nicht wissen, wozu du sonst noch trotz deines erbärmlichen Erscheinungsbildes im Stande bist.“

Wie als hätte er ihn daran erinnert, streckte Benedict die Hand aus, damit Jack ihm einen weiteren Keks zuwerfen konnte. Der Wurf war sogar gar nicht mal so grottig.

„Also hättest du mir früher beinahe Gesellschaft geleistet, nachdem du diese Kampfkünstler ermordet hattest?“, kehrte Jack zum eigentlichen Thema zurück.

Benedict nickte.

Jack atmete auf. „Da hattest du ja nochmal Glück gehabt.“

Benedict erwiderte nichts darauf. Doch irgendwie hatte Jack den Eindruck, dass er Fragen hatte. Fragen, die er aus irgendeinem Grund nicht aussprechen wollte.

„Hat Carsten dir nichts von der Höllenanstalt erzählt?“, erkundigte sich Jack vorsichtig.

„Nicht viel.“ Benedict legte das Buch zur Seite. „Genau genommen musste ich mir den Großteil selbst zusammenbasteln. Und die Leute sagen immer ich sei verschlossen.“

Jacks Herz zog sich zusammen. Er hatte schon immer den Eindruck gehabt, dass Carsten eher der Verdrängungs-Typ war. Dass er krampfhaft versuchte, der liebe, fröhliche Sonnenschein zu sein. Der alles Negative, Belastende einfach vergessen wollte, anstatt sich damit auseinanderzusetzen.

Jack konnte es ihm nicht verübeln, er versuchte selbst häufig genug zu verdrängen. Aber Carsten war noch krasser. Carsten fraß einfach alles in sich hinein. Und vertraute sich offensichtlich noch nicht einmal seinem besten Freund an.

Jack warf einen Blick auf Benedict. Auch ihn schien es zu belasten, dass sein bester Freund so sehr darunter litt und noch nicht einmal in ihm einen Gesprächspartner fand.

Jack betrachtete das Kinderfoto von Benedict, Carsten und Laura auf dem Schreibtisch. „Du kennst ihn besser als ich. Denkst du wirklich, dass Carsten nach all dem noch um seinen Vater trauern wird?“

Benedict schwieg, doch beide kannten die Antwort.

Nach einer Weile meinte Benedict schließlich: „Wusstest du, dass Carsten ein Dorn in Mars‘ Augen ist?“

Jack zuckte mit den Schultern und betrachtete das Foto weiterhin. „Überrascht wäre ich zumindest nicht. Eine Quelle hat mir berichtet, dass er anscheinend innerhalb weniger Wochen eine Schwarzmagier-Ausbildung abgeschlossen hat. Das ist einfach krank. Ich an Mars Stelle hätte auch Angst vor ihm.“

Jack erinnerte sich an Carstens Wutausbruch damals, als er Benedict hatte abholen sollen. Wäre Herr Bôss nicht gewesen, wäre von ihm nur noch ein Häuflein Asche übriggeblieben. Und Jack war sich nicht sicher, ob er sich dort auch mit seinen Dämonenkräften hätte retten können, wie bei Chief vorhin.

„Denkst du, Mars würde versuchen ihn… zu beseitigen?“, hakte Benedict nach.

Geräuschvoll atmete Jack aus. „Na ja, eigentlich ist er ja ein Druckmittel, um dich hier zu behalten. Aber andererseits… Laura alleine müsste dafür ja schon ausreichend genug sein.“, antwortete er wahrheitsgetreu.

„Das dachte ich mir auch.“ Benedict richtete sich etwas auf und griff nach dem Samurai-Schwert, das in der Nähe des Bettes lag. „Und deshalb sagte ich Mars ich würde mir das Leben nehmen, sollte jemandem von meinen Freunde oder meiner Familie auch nur irgendetwas zustoßen.“

Jack verzog das Gesicht. „Du bluffst.“

Doch bei dem entschlossenen Blick, mit welchem Benedict das Schwert betrachtete, wusste er, dass das nicht einfach nur so daher gesagt war. Benedict meinte das ernst. Todernst. Und Jack traute ihm auch zu, auf seine Worte Taten folgen zu lassen.

Er lehnte sich im Stuhl zurück. Irgendwie machte ihm dieser Gedanke Angst.

„Deshalb ist Mars vor wenigen Tagen auch so ausgerastet und hat uns losgeschickt, als Lukas auf eigene Faust deine Liebste angegriffen hatte…“, stellte er fest. Und verdammt nochmal war das knapp gewesen. Sie waren gerade noch rechtzeitig genug angekommen, damit Benedict Laura aus dem Wasser fischen und reanimieren konnte.

In diesen zwei Monaten hatte Jack nur sehr selten Emotionen bei ihm beobachten können. Am ehesten noch seinen Ärger damals, als Mars Arianes kleine Schwester hatte umbringen wollen. Aber in dem Moment… Die Angst und Sorge um Laura waren deutlich sichtbar gewesen. Es war fast schon so als sei Benedict ein normaler Mensch, mit normalen Gefühlen.

Jack schaute auf und versuchte, einen Teil dieser Gefühle in Benedict wieder entdecken zu können. Und tatsächlich war da dieser sanfte und auch leicht sehnsüchtige Blick in die Ferne, den er immer hatte, wenn er an Laura dachte.

Jack lachte in sich hinein. In Wahrheit war der ‚stärkste Kämpfer Damons‘ doch auch nur ein verliebter Softie.

„Aber zumindest wird Mars so seine Finger von Carsten lassen.“, stellte Jack fest.

„Und du kommst auf die grandiose Idee seinen Vater zu ermorden.“, ergänzte Benedict.

„Oh stimmt, das ist jetzt natürlich ne blöde Situation für dich.“, bemerkte er und holte noch einen Keks aus der Packung. Jack hielt vor dem Abbeißen inne. „Aber du willst dich doch nicht ernsthaft ausgerechnet wegen Chief umbringen, oder?“

„Ich weiß es nicht…“

Jack wurde unwohl zumute und irgendwie wollte er den Keks nun auch nicht mehr essen. „Jetzt hör mal, ich wusste bis eben noch nicht einmal, dass du überhaupt auf die Idee kamst Mars zu drohen. Und ich weiß zwar nicht, wie ausschweifend dein Freundschaftsbegriff ist, aber Chief zählt wohl kaum dazu. Also leg endlich dieses scheiß Schwert weg.“

Doch Benedict legte das Schwert nicht zur Seite und Jack wurde immer unruhiger. Der würde doch jetzt nicht ernsthaft seine Drohung wahr machen?!

Wieder breitete sich Schweigen in dem Raum aus und Jacks Anspannung wuchs. Er überlegte, ob er in seiner momentanen Verfassung überhaupt dazu in der Lage war, Benedict an einem Selbstmord zu hindern. Wahrscheinlich eher nicht…

„Das erschreckende ist eher, dass Mars mich allem Anschein nach wirklich lebend braucht.“, meinte er plötzlich.

Jack stöhnte auf. „Du denkst zu viel nach.“

„Und du zu wenig.“, entgegnete Benedict.

Jack hievte sich auf die Beine und ging zu dem Bett rüber, mit dem Vorwand das Buch zu betrachten, was Benedict eigentlich lesen wollte. Doch in Wahrheit wollte er nur bessere Chancen haben, ihn notfalls an einem Suizid zu hindern. Auch, wenn sich Jack damit wahrscheinlich eher sein eigenes Grab schaufelte.

„Du meintest er braucht mich, da ich der Erbe des Yoru-Clans bin.“, fuhr Benedict mit seinen Gedanken fort.

Jack nickte und betrachtete das Cover. Eine maskierte Frau mit einem blutigen Dolch in der Hand und schattenartigen Flügeln. Das Buch schien ziemlich düster zu sein.

„Aber warum konnte es nicht jemand aus den vorherigen Generationen sein?“, überlegte er weiter.

„Ernsthaft, hör auf zu denken. Das tut dir nicht gut.“, warf Jack ein und begann, den Text auf der Rückseite zu lesen. Eine Racheaktion? Das klang cool. Er musste sich das Buch unbedingt mal ausleihen.

Natürlich hörte Benedict nicht mit dem Nachdenken auf. „Könnte es sein, weil ich der erste antike Begabte seit Leonhard bin?“

Jack klappte das Buch auf und betrachtete die Karte auf der ersten Seite. „Und was soll der Grund dafür sein?“

Als nach einer längeren Zeit immer noch keine Antwort von Benedict kam, schaute Jack schließlich doch vom Buch auf. Besorgt musterte er ihn. „Alles okay?“

Benedict sah richtig blass aus. Okay, er war an sich schon ein heller Hauttyp, aber jetzt war er so richtig blass. Von den blutigen Verletzungen abgesehen war jegliche Farbe aus seinem Gesicht gewichen.

„Meine Eltern hatten mich damals aussetzen müssen, da ich der erste war, der wieder eine antike Begabung besaß.“, sagte er mit schwacher Stimme, eher zu sich selbst.

Vorsichtig setzte Jack sich neben Benedict auf das Bett. „Na und? Dann bist du halt ein Kampfkünstler. Warum sollte Mars so unbedingt einen antik begabten Yoru gebrauchen?“

„Um den Bann zu brechen…“ Die Hand mit der Benedict das Schwert hielt begann zu zittern. Mit der anderen fuhr er sich durchs helle Haar. „Von der Kampf- beziehungsweise Magiefähigkeit abgesehen gibt es noch eine Sache, die nur antike Begabte können.“

Jack nickte. „Ja, klar. Nur antike Begabte können Dämonenverbundene werden, da ‚normale‘ Wesen diese geballte Menge an Energie nicht überleben würden. Ernsthaft, worauf willst du hinaus?“

Immer noch leichenblass erwiderte Benedict endlich Jacks Blick. „Mars braucht mich als seinen Dämonenbesitzer.“

„Das ist doch Schwachsinn.“, erwiderte Jack stirnrunzelnd.

Plötzlich richtete sich Benedict auf und Chip purzelte erschrocken quietschend in das Kopfkissen. „Ist es nicht. Du sagtest selbst meine Ahnen haben den Bann errichtet.“

„Na und?“, versuchte Jack ihm zu widersprechen. Es war ein seltsames Bild, Benedict unruhig im Zimmer auf und ab gehen zu sehen. Und noch weniger gefiel ihm daran, dass er immer noch das Schwert in der Hand hielt.

„Keine einzige Verletzung von Mars schränkt mich ernsthaft oder auf Dauer ein. Wenn er wirklich so einen Hass auf meine Familie hat, warum achtet er dann trotz dieser unkontrolliert scheinenden Wutausbrüche immer noch penibel darauf, dass ich nicht ernsthaft verwundet bin?“

Tatsache, trotz der ganzen Blessuren, Blutergüsse, Platzwunden und so weiter war Benedict nicht großartig eingeschränkt in seinen Handlungen. Er hatte keine Knochenbrüche und seine Sinne funktionierten einwandfrei. Ebenso sein Kopf, der für Jacks Geschmack etwas zu gut arbeitete. Denn das was Benedict da von sich gab war zu logisch, um falsch zu sein.

„Ein antiker Begabter, der in gewissem Maße von allen Personen abstammt, die ihn damals gebannt haben. Es gibt keine alternative Erklärung, außer, dass ich Mars‘ Dämonenbesitzer werden soll.“

Jack biss die Zähne zusammen. „Und selbst wenn das wirklich der Fall ist. Was hast du vor?“

Benedicts Blick fiel auf das Schwert und ein eisiger Schauder überkam Jack. Er wagte es doch nicht ernsthaft.

„Lass das.“, wies er ihn verbissen zurecht.

„Es gibt keinen anderen Weg…“

„Ich meine es ernst, untersteh dich!“ Nun war auch Jack vom Bett aufgesprungen.

Benedict erwiderte seinen Blick. In ihm lag pure Verzweiflung. „Ich will nicht die Schuld daran tragen, dass wegen mir eine ganze Welt zerstört wird!“

„Verdammt, scheiß auf die Welt!“ Jack wollte ihm das Schwert aus der Hand reißen, doch Benedicts Griff war zu fest.

Verärgert funkelte Jack ihn an. „Ich lasse nicht zu, dass du dich hier vor meinen Augen umbringst.“

„Natürlich nicht, das würde schließlich Mars‘ Pläne durchkreuzen.“, erwiderte Benedict mit seinem typischen kalten Unterton.

„Es geht mir nicht um Mars und seine verfluchten Pläne! Was ist mit Laura und Carsten?!“

Benedict schien etwas erwidern zu wollen, brachte letztlich aber nichts über die Lippen. Jack sah den inneren Kampf und ging weiter darauf ein. „Ich dachte, sie sind gerade dabei einen Weg zu finden um Mars aufzuhalten. Was ist, wenn sie es schaffen? Und du hast ernsthaft vor, dich umzubringen und dafür zu sorgen, dass all ihre Mühen umsonst waren?!“

Die Hand um das Schwert verspannte sich, doch Jack ließ nicht locker. „Du weißt genauso gut wie ich, dass Carsten daran zerbrechen würde. Weißt du eigentlich, wie oft er damals von dir erzählt hat?! Du hast ihm die Kraft gegeben die Zeit im FESJ zu überstehen! Und mit Laura will ich gar nicht erst anfangen müssen. Du kannst dir besser als jeder andere vorstellen, wie es ihr gehen würde. Wie sehr sie leiden würde!“

Benedict wich einen Schritt zurück und kniff die Augen zusammen. Doch das Schwert ließ er immer noch nicht los.

Jack packte ihn am Kragen seines T-Shirts. „Du empathieloser Sturkopf! Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie du vor zwei Monaten zusammengebrochen bist? Alleine durch die Angst die beiden zu verlieren?! Denkst du ernsthaft, ihnen würde es da anders ergehen?!“

Benedicts Griff lockerte sich. Sofort riss Jack ihm das Schwert aus der Hand und ließ ihn los.

Schwer atmend beobachtete er, wie Benedict auf die Knie sackte. Die Anspannung und Verzweiflung schienen ihm einiges an Kraft gekostet zu haben.

Wolf richtete sich auf und kam zu Benedict rüber, um ihm mit einem leisen Winseln über die Wange zu schlecken. Mitleidig beobachtete Jack, wie sich Benedict mit Wolfs Hilfe auf den Boden setzte und dem Wolfshund anschließend durch das weiche Fell strich. Auch Chip sprang zu ihm rüber, auf seine Schulter und schmiegte seinen Kopf gegen Benedicts Hals.

„Ich soll also einfach nur warten und hoffen?“, fragte er mit schwacher Stimme.

„Zumindest sollst du dich nicht direkt umbringen.“, erwiderte Jack und setzte sich ihm gegenüber in den Schneidersitz. Auch er war erschöpft. Der Kampf gegen Chief und Eagle hatte immer noch deutlichere Spuren hinterlassen, als ihm lieb war.

„Abgesehen davon hast du keine Garantie, dass die Blutlinie der Yorus auch tatsächlich mit dir aufhört.“, fügte er hinzu.

Benedict schaute ihn verwirrt und nicht zuletzt immer noch erschöpft und verzweifelt an. Verdammt, der Junge war völlig fertig.

„Du weißt doch, dass wir so einige Informanten haben. Na ja, zumindest geht überall das Gerücht um, dass Samira Yoru ein Kind erwartet.“

Wolf bellte und wedelte mit dem Schwanz, als wolle er Jacks Worte bestätigen.

„Was?“ Die Verwunderung in Benedicts Stimme war nicht zu überhören. Und trotzdem schien er ihnen nicht wirklich glauben zu können.

Jack lächelte. „Schon ironisch. Wir hatten erst letztens noch über Geschwister geredet und jetzt bekommst du einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester.“ Nach einem Moment fügte er hinzu: „Ich wollte früher immer nen kleinen Bruder haben. Was wäre dir lieber?“

Benedict antwortete nichts darauf. Er schien immer noch zu überfordert mit dieser Neuigkeit.

Chip kletterte quietschend auf Wolfs Kopf, um mit seiner Nase gegen Benedicts zu stupsen. Sanft kraulte er das kleine Eichhörnchen hinter den Ohren.

Eine Reaktion auf Jacks Frage kam trotzdem nicht. Benedict war immer noch viel zu überfordert oder verzweifelt oder erschöpft oder auch einfach alles zusammen.

Jack nutzte das Schweigen, um das Samurai-Schwert, was er immer noch in der Hand hielt, genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war eindeutig eine Dämonenwaffe. Eine verdammt stylische. Er hatte so Schwerter schon immer cool gefunden. Natürlich. Bei den ganzen Mangas und Animes…

Nach einer Weile des Schweigens fragte Jack schließlich: „Hast du so wenig Vertrauen in Carsten und die anderen?“

„Wie sollen sie ihr Ziel erreichen, wenn ihnen drei der Dämonenbesitzer fehlen?“, entgegnete Benedict, immer noch kraftlos.

Jack stützte die Ellenbogen auf den Knien ab. „Der Besitzer des Farblosen Drachen, Johannes und ich, nicht wahr?“

Benedict nickte.

Jack drehte die Schwertscheide in der Hand und betrachtete die farbigen Tiere auf schwarzem Hintergrund. Irgendwann entdeckte er den Orangenen Skorpion. Das Bild wirkte sogar ein bisschen so, wie das Skorpion-Tattoo auf seiner linken Schulter.

Jack atmete tief ein und aus. Seine Hände wurden schweißnass. „Hör mal, ich mach dir ein Angebot. Lass diese scheiß Selbstmordgedanken und wenn es hart auf hart kommt, kannst du mit meiner Hilfe rechnen.“

Überrascht blickte Benedict auf. „Du würdest Mars verraten?“

„Ich habe eigentlich keinen Nerv auf seiner Abschussliste zu stehen. Aber was will so ein Gottesdämon ohnehin mit mir anfangen, wenn er letztlich sein Ziel erreicht hat? Mars müsste schon richtig gute Laune haben, um mich zu verschonen während er den ganzen Rest der Welt dem Erdboden gleichmacht.“ Jack zuckte mit den Schultern. „Ich habe nie damit gerechnet hier lebend rauszukommen.“

„Und trotzdem bist du hier…“

„Ich habe genug durchgemacht, um mich damit zufrieden geben zu können. Ich glaube nicht an Happy Ends, sowas gibt es nur in Büchern.“, erwiderte Jack verbissen und richtete sich auf, um zum Schreibtisch zu gehen. „Willst du einen Keks?“

Benedict reagierte nicht darauf. Er schien immer noch zu sehr in seinen hoffnungslosen Gedanken versunken. Erneut betrachtete Jack das Kinderfoto. Es war wohl unmöglich, sich ein normales, friedliches Leben wünschen zu dürfen.

Schließlich mühte sich auch Benedict auf die Beine und ging zu seinem Bett rüber, wo er eine silbern glänzende Pistole unter dem Kopfkissen hervorholte. Sofort verspannte sich Jack wieder.

Doch Benedict entsicherte sie nicht. Stattdessen reichte er sie Jack.

Ein schiefes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. „Habe ich nicht vorhin erst gesagt, dass man mir besser keine Knarre in die Hand drücken sollte?“

„Verwahre sie für mich auf, bevor ich es mir anders überlege.“

Was auch immer Jack die Kehle zugeschnürt hatte, es war wieder verschwunden. Erleichtert atmete er auf. „Verdammt Benedict, du bist viel zu aufopferungsvoll.“

Benedict nahm sich selbst einen Keks aus der Packung. „Benni reicht.“

„Ist das sowas wie eine Freundschaftsanfrage?“, stellte Jack grinsend fest.

„Du hängst zu häufig im Internet rum.“

Jack lachte auf. „Dann hol ich mir halt ein Freundebuch. Du darfst sogar auf die erste Seite.“

Benedict -quatsch, Benni- reagierte auf seinen Kommentar nur mit einem Verdrehen der Augen.

Belustigt musterte Jack ihn. Irgendwie fühlte er selbst sich nun viel erleichterter, obwohl ihre Zukunft nicht sonderlich rosig aussah. Aber seine Worte bereute Jack trotzdem nicht. Die Vorstellung an der Seite eines Freundes zu kämpfen und wenn alles schief lief auch zu sterben, gefiel ihm irgendwie weitaus besser als irgendwo alleine zugrunde zu gehen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Regina_Regenbogen
2020-09-27T12:23:40+00:00 27.09.2020 14:23
Ich teile Jacks Meinung über Sakura und Chief. Am Anfang des Kapitels dachte ich: Jack, den kannst du gerne killen. Ich hasse ihn auch.
Und dann tut der das wirklich! Und ich so: Echt jetzt?! Aber Eagle und Carsten werden total fertig sein! Nooo! Man sollte echt aufpassen, was man sich wünscht. :'D Wenn es nur um Chief gegangen wäre, der hätte auch gerne noch leiden können. Aber für die Kinder ist das natürlich schlimm.
Wouh! Benni ist so verdammt clever. Finde es genial, dass er selbst darauf gekommen ist! Und Gott sei Dank hat Jack die richtigen Worte gefunden, um ihn von Selbstmord abzubringen.
Und yay! Das Problem mit Jack hat eine zukünftige Lösung gefunden. Auch wenn Benni wohl Eagle davon abhalten muss, Jack zu töten, wenn er zu ihnen stößt. XD
Wieder ein echt spannendes Kapitel! So viel zu dem "nicht so viel auf einmal lesen" :'D
Antwort von:  RukaHimenoshi
27.09.2020 20:33
Hahahaha, ich hatte ja schon vermutet, dass du Chief nicht groß hinterher trauern wirst, aber es freut mich extrem, wie du im Prinzip Jacks Meinung dazu teilst. X'D
Hehe, Benni ist halt nicht auf den Kopf gefallen... und denkt ohnehin zu viel nach. XD Und ja, das mit Jack und Eagle ist... ehm... sehr herzlich und so. ^^"
Antwort von:  Regina_Regenbogen
27.09.2020 21:03
Ich könnte mir auch nicht vorstellen, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der meinen Vater getötet hat. Das ist schon ziemlich viel verlangt. Ist schon beeindruckend, wie Benni das wegsteckt, zu wissen, dass Jack seinen Opa auf dem Gewissen hat. Aber Benni kann das noch mal unterscheiden, weil er selbst schon Leute getötet hat. Für Eagle wird das ein Ding der Unmöglichkeit.


Zurück