Ein Leben wert von Sharry ================================================================================ Kapitel 7: Kapitel 7 - Heim --------------------------- Kapitel 7 – Heim   „Was ist denn mit dir passiert?“ Law saß am mit Büchern beladenen Schreibtisch und las die Zeitung, nun jedoch sah er auf als Rocinante zur Türe hineinkam. „Ich habe ganz offensichtlich verlernt, wie man schwimmt“, entgegnete er missmutig und schloss die Tür hinter sich, obwohl er sich nicht einmal sicher war, ob er es je wirklich gekonnt hatte. „Du warst im Meer?“, fragte Law mit hochgezogener Augenbraue nach. Er nickte nur knapp und ging dann am anderen vorbei, um seine Einkäufe wegzuräumen. „Ich habe mich schon gewundert, wo du bleibst“, murmelte Law, dessen Schritte Rocinante bedeuteten, dass er ihm wohl ins angrenzende Zimmer folgte. „Die Sonne geht schon fast unter, du warst lange weg, zu lange für einen kleinen Einkauf.“ Ich habe mir Sorgen gemacht. Obwohl Law die Worte nicht sagte, schwangen sie dennoch durch die Luft, ermahnten sie beide, dass diese neue Normalität noch lange nicht erreicht war. „Ich war nicht nur einkaufen“, entgegnete Rocinante und reichte Law einen der Körbe. „Das habe ich schon verstanden“, meinte Law und räumte die Sachen ein, „du warst im Meer, samt Klamotten. War das Absicht?“ Die letzte Frage war trotz des trockenen Untertons ganz offensichtlich eine Stichelei und Rocinante entschied sie zu ignorieren, während er den Kühlschrank schloss, zu den Spinden ging und begann sich auszuziehen. Seine Klamotten waren immer noch feucht und verdreckt von Salz, Sand und Schlamm. Es hatte ihn deutlich mehr Zeit und Anstrengung gekostet sich aus den Fängen des Meeres zu befreien als er Law gegenüber zugeben würde. Tatsächlich hatte er komplett verlernt wie man schwamm und jede neue Welle und der einsackende Untergrund hatten es ihm erschwert. Als er es endlich an Land geschafft hatte, war er erstmal auf dem Boden zusammengesackt und hatte nach Luft gekämpft. Anscheinend war er immer noch etwas angeschlagen von dem jahrelangen Koma, zumindest wollte sein Stolz diese kleine Ausrede glauben. „Ich geh mich duschen“, murmelte er unzufrieden und rieb sich durchs sandige Haar. „Cora.“ Er wandte sich um. Law stand zwischen halbausgepackten Körben und Taschen und sah ihn ernst an. „Was ist passiert? Du benimmst dich seltsam. Ist alles in Ordnung?“ Ich habe mir Sorgen gemacht. Schon wieder. Er konnte es diesen grauen Augen, diesen ernsten Falten und dem schmalen Mund ansehen. Law machte sich Sorgen um ihn. Erst weil er zu spät zurückgekommen war und nun weil er sich ganz offensichtlich ungewöhnlich benahm. Es tat weh. Er wollte nicht, dass Law sich um ihn Sorgen machen musste. Er wollte, dass Law nicht nur ihm vertraute, sondern auch darauf vertraute, dass Rocinante unverletzt zurückkommen würde, aber natürlich konnte er das nicht. Denn das letzte Mal, als Law auf ihn gewartet hatte, hatte er Rocinante fast verloren. Es stimmte, dass Rocinante nicht gut gelaunt war, doch er wusste nicht genau, woran es lag. Natürlich war der Misserfolg im Meer nicht gerade eine Erheiterung – insbesondere weil er die Sachen, die Law sorgsam für ihn besorgt hatte, verdreckt hatte – aber es war auch nicht genug, um sein Glück zu schmälern. Nein, er wusste, warum er sich so seltsam benahm, hatte es schon auf dem Rückweg gewusst, schon auf dem Markt, schon im Aufenthaltsraum, schon in der vergangenen Nacht. Zwar hatte Law ihm gesagt, dass er bei Rocinante sein wollte, aber jetzt, da Law gesund und erwachsen war, jetzt da sein Bruder besiegt und unschädlich gemacht worden war, welche Berechtigung hatte er dann noch an Laws Seite zu bleiben neben seinen eigenen egoistischen Gefühlen? Im Gegensatz zu seinem ehemaligen Schützling hatte er nichts gelernt, mit dem sich auf ehrliche Art Geld verdienen ließ. Alles, was er konnte war das, was ihm als Soldat beigebracht wurde, was sein Bruder ihm beigebracht hatte, aber ihm fehlte jegliches Wissen darüber, wie man ein normales Leben führte. All das hatte er die letzten Stunden ignoriert, zum Wohle Laws, aber nun, da er nicht mehr für Law Entscheidungen treffen brauchte, in ihm ein Gegenüber hatte, da brachen diese Zweifel über ihn ein wie die Wellen vor nicht allzu langer Zeit. Ihm wurde bewusst, dass Law ihn immer noch ausdruckslos betrachtete, und dann wurde ihm bewusst, dass er bis auf die Unterhose ausgezogen im Raum stand, und verschränkte schnell die Arme, merkte wie seine Ohrenspitzen warm wurden. Er wusste nicht, wie er es ansprechen sollte. Er wollte Law weder etwas vorwerfen noch ihn verunsichern, er wollte Law einfach nur glücklich wissen. „Du sagtest“, sprach er schließlich, „dass es dich glücklich machen würde, wenn wir beide ein friedliches Leben führen könnten, nicht wahr?“ Law nickte, die Augen zu konzentrierten Schlitzen verengt, als würde er mit einem Kampf rechnen. „Darüber habe ich viel nachgedacht“, fuhr Rocinante fort. „Ich habe mich gefragt, wie das möglich sein soll. Ich kann kaum erahnen, was du in den letzten Jahren alles hast durchmachen müssen, aber ich weiß, dass du dich nach einem friedlichen, ruhigen Leben sehnst und dich deshalb hier niedergelassen hast.“ Law öffnete den Mund, doch Rocinante sprach weiter, während er versuchte seine Gedanken zu ordnen: „Das Problem für mich jedoch ist, dass…“ Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Nein, es ist kein Problem. Das was du dir wünschst ist genau das, was ich auch möchte, Law. Aber bis gestern war ich noch nicht da, verstehst du? Bis gestern war ich noch ein Soldat, ein Spion, habe versucht dich zu beschützen und zu retten, ständig auf der Flucht. Bis gestern warst du noch der kleine, kranke Junge, dem ich nicht die ganze Wahrheit sagen konnte, aus Angst, auf den ich Rücksicht nehmen musste, und den ich nicht mit meinen Problemen belasten wollte. Bis gestern war die ganze Welt noch unser Feind und hinter jeder Tür, hinter jedem Lächeln konnten sich mir noch unbekannte Gefahren verstecken. Bis gestern war jegliche Vorstellung von Frieden nicht mehr als ein naiver Tagtraum für mich, Law.“ Für einen Moment sah er den anderen ernst an, welcher mittlerweile den Mund wieder geschlossen hatte und seinen Blick einfach nur erwiderte. Rocinante tippte sich leicht gegen die Schläfe. „Hier ist mir bewusst, dass diese Tage nun endlich vorbei sein können. Aber hier…“ Nun legte er die Hand auf seine nackte Brust. „…hier warte ich immer noch darauf, dass mein Bruder jeden Moment durch die Tür kommt, ich mich verrate und dich verliere.“ Law schwieg und sah ihn einfach nur an. „Ich habe dir heute Morgen schon gesagt, dass diese Situation zumindest ungewohnt für mich ist, ich werde mich erst an all das hier gewöhnen müssen. Nicht nur, an die Zeit, die vergangen ist, nicht nur daran, dass du nun erwachsen bist, sondern auch an dieses neue, mir nun unbekannte Leben.“ Er zögerte einen Moment, doch entschied es einfach auszusprechen. „Aber das kann ich nicht, wenn ich mich nutzlos fühle und den lieben langen Tag darauf warte, dass du von der Arbeit kommst. Du weißt, ich würde alles für dich tun, aber ich bin noch nicht so weit nichts – überhaupt nichts – zu tun.“ Langsam nickte Law und verschränkte dann die Arme. „In Ordnung. Ich verstehe, dass all das sehr plötzlich für dich kommt und du nicht einfach so mit der Vergangenheit abschließen kannst, dafür ist sie für dich noch viel zu präsent. Ich erwarte auch nichts von dir, ich möchte einfach nur bei dir sein und dass du glücklich bist. Also was bedeutet das? Was hast du vor?“ „Ich brauche eine Aufgabe“, gestand er nun schließlich ein, „genau wie du. Aus diesem Grund hast du dich hier niedergelassen, und ich brauche auch etwas, was ich tun kann. Ich brauche dich nicht mehr zu beschützen und wenn du hierbleiben möchtest, werde ich noch nicht zur Marine zurückkehren, aber ich brauche eine Aufgabe.“ Erneut nickte Law. „Es muss nichts besonders Wichtiges sein, weißt du. Ich muss nicht Leben retten, aber ich habe nicht vor jeden Tag hier in diesem Zimmer darauf zu warten, dass du nach Hause kommst.“ „Du möchtest Arbeiten gehen?“, fragte Law nun und zog eine Augenbraue hoch. „Das musst du doch nicht mit mir absprechen, Cora, und du brauchst dich auch nicht vor mir zu rechtfertigen. Ich…“ „Das ist es nicht“, winkte er ab und seufzte leise. Anscheinend war er dieses Gespräch völlig falsch angegangen. Er hatte sich bemüht zu zeigen, dass er Law als Erwachsenen sah und hatte ihm seine Gedanken mitgeteilt, aber darüber hatte er ganz vergessen, was er eigentlich hatte ansprechen wollen. „Was ist es dann?“ Als Antwort bückte er sich nach der nassen Hose und zog den Schlüssel hervor. „Ein Haus.“ „Ein was?“ Nun schien Law doch verwirrt. „Die Dorfbewohner scheinen sehr dankbar darüber zu sein, dass du da bist und nach dem Krieg sind hier wohl einige Familien weggezogen, sodass einige Häuser leer stehen.“ Er konnte dem anderen das Misstrauen ansehen, welches er auch gefühlt hatte, als er den Schlüssel erhalten hatte. Law schien nicht zu verstehen, worauf er hinauswollte. „Die ganze Insel scheint über uns zu reden und es scheint ihnen wichtig zu sein, dass du dich hier wohl fühlst und nicht wieder gehst. Deshalb haben sie mir heute ein Haus angeboten, welches wir übernehmen könnten, in dem wir leben könnten.“ Nun weiteten sich Laws Augen in Verwunderung und Rocinante entschied ein für alle Mal sein eigenes Misstrauen und seine eigenen Zweifel zu ignorieren, zumindest für diesen einen Moment. „Law, ich möchte, dass wir dort hinziehen“, sagte er nun endlich, was er von Anfang an hätte sagen sollen. „Es ist ein schönes Haus, direkt am Meer, und ein kleiner Pfad führt durch den Wald direkt hierher, es sind keine zehn Minuten. Die Schwester von Frau Paipai hat es ausgesucht. Es muss einiges dran getan werden, aber die Decken und Türen sind hoch und es sind noch einige Möbel da. Ich könnte daran arbeiten während du in der Praxis bist, ein paar Reparaturen werde ich schon hinkriege. Das Dach ist jedenfalls dicht und die Nachbarn haben mir schon ihre Hilfe angeboten. Außerdem…“ „Okay, okay“, unterbrach Law ihn mit einem halben Lachen und hatte beruhigend beide Arme gehoben. „In Ordnung.“ Sein breites Lächeln beflügelte Rocinante als ihm bewusstwurde, wie wichtig es ihm war. Noch mehr jedoch überraschte ihn, wie einfach sich dieses Gespräch anfühlte und wie schnell Law zugestimmt hatte. „Ich bezweifle zwar wirklich, dass du der geborene Handwerker bist“, meinte dieser dann mit einer Seriosität die Rocinante wundern ließ, ob er ihn neckte oder nicht, „aber die Vorstellung mit dir in ein Heim zu ziehen macht mich sehr glücklich. Also ja, wenn du das möchtest, dann in Ordnung. Lass uns dieses alte Haus herrichten.“ Das war beinahe zu einfach gewesen. „Du hast es noch nicht mal gesehen?“ „Das brauche ich nicht“, entgegnete Law mit einem Schulterzucken. „Wenn es dir gefällt, dann ist es für mich Grund genug mit dir dorthin zuziehen.“ Dann wandte der andere sich wieder den Einkäufen zu. „Außerdem habe ich selbst auch schon darüber nachgedacht, dass die Räumlichkeiten hier für dich alles andere als ausreichend sind. Für mich mögen sie groß genug sein, aber wenn du die ganze Zeit gebückt rumläufst oder dich auf zu kleine Möbel quetschst, könnten Fehlbil… Was ist denn das?“ „Nein, Law, warte!“ Doch er war schon zu spät. Law hatte das kleine Paket ausgewickelt und hielt nun die Tabakdose in der Hand, die Rocinante eigentlich hatte verstecken wollen. „Law, ich weiß, du denkst mit Sicherheit…“ Er unterbrach sich, als Law die Dose aufmachte und tief einatmete, ein seltsam sanftes Lächeln auf den Lippen. „Es riecht nach dir, Cora“, murmelte Law und sah auf. „Das ist der Geruch aus meiner Kindheit.“ Langsam trat er auf den anderen zu und nahm ihm die Dose aus der Hand. „Ich sollte wohl eigentlich aufhören zu rauchen, nicht wahr?“, murmelte er und betrachtete sein Suchtmittel. „Als Arzt und nachdem du mir auch noch ein zweites Leben geschenkt hast, wirst du es wohl kaum gutheißen können, wenn ich meine Lunge weiterhin schädige.“ Law sah zu ihm auf und legte dann eine Hand auf Rocinantes Brust. „Room“, flüsterte er und ein seltsames Gefühl erfüllte Rocinante. Er konnte es nicht genau beschreiben, es war unangenehm, aber nicht schmerzhaft. „Noch einen Moment“, murmelte Law, augenscheinlich hochkonzentriert, während tausende kleinste elektrische Ladungen durch Rocinantes Körper zu jagen schienen, ausgehend von Laws Hand auf seiner nackten Brust. Dann flauten das seltsame Gefühl und die elektrische Spannung in seinem Körper ab und Law nahm seine Hand weg. „Solange es in meiner Macht steht, werde ich nicht zulassen, dass irgendetwas oder irgendwer deiner Gesundheit schadet.“ Law wandte sich ab und fuhr mit dem Wegräumen fort. „Für mich musst du dich nicht ändern, Cora. Wenn du aufhören willst zu rauchen, dann hör auf, wenn nicht, dann nicht.“ „Was hast du gerade getan?“, murmelte Rocinante und strich über die Haut, die Law gerade noch berührt habe. „Ich habe deinen Körper von Schadstoffen befreit. Natürlich nicht vollständig, eine Reinigung auf molekularer Ebene ist deutlich aufwändiger, aber in ein bis zwei Stunden solltest du einen Unterschied in den Atemwegen merken.“ „Danke, Law.“ Es war seltsam. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, aber… „Du brauchst dich nicht zu bedanken. Ich habe diese Kräfte nur dank dir, daher werde ich sie auch für dich nutzen.“ Law wandte sich ihm mit einem halben Lächeln zu. „Wolltest du nicht duschen gehen?“   Eine halbe Stunde später wartete Law mit einem simplen Abendessen auf ihn. Nachdem Rocinante sich etwas angezogen hatte, verbrachten sie einen ruhigen Abend mit leisen Gesprächen. Rocinante erzählte von seinen Erlebnissen auf den Markt und Law von seiner Arbeit. Für diesen Abend schien das Leben normal zu sein, für diesen Abend schien alles wie es sein sollte, die verlorenen Jahre und das fremde Leben unwichtig. Für diesen Abend schien es wie früher ohne, dass es wie früher war. „Frau Paipai hat mich überredet, mir morgen Nachmittag frei zu nehmen. Du könntest mir das Haus zeigen.“ „Das hört sich nach einem guten Plan an.“ „Cora?“ Er sah auf. Law hatte den Kopf leicht geneigt und sah ihn wieder gewohnt ernst an. „Du hast noch keine einzige Frage gestellt, heute Abend. Du musst dir keine Gedanken machen. Ich werde sie dir beantworten.“ Natürlich, Law hatte es bemerkt. „Meine Fragen können warten, Law“, meinte er schließlich, „um ehrlich zu sein, wollte ich einfach nur diesen Abend genießen. Die Vergangenheit wird mich früh genug einholen, heute Abend sollte es einfach so sein wie früher.“ Law stand auf und begann abzuräumen. „Es ist nicht wie früher“, murmelte er nach einem Moment was Rocinante ihm selbst erst am Morgen prophezeit hatte. „Nein, das ist es nicht.“ „Und irgendwie bin ich da ganz dankbar drum.“ Überrascht sah Rocinante auf. „Früher hast du anders mit mir gesprochen oder eher, du hast nicht alles gesagt, was du sagen wolltest. Du hast immer versucht mich aufzuheitern und zum Lachen zu bringen, du hast mich beschützt.“ Law sah ihn aus den Augenwinkeln an. „Heute Abend ist schön. Wenn das die Zukunft ist, dann ist sie mir lieber als die Vergangenheit.“ „Wenn du willst, dann ist das hier die Zukunft.“ Rocinante erhob sich und half dem anderen beim Abräumen. „Wenn du willst werden viele Abende so sein, wie dieser hier.“ Wieder lächelte Law, dieses Lächeln, welches Rocinante nie wieder hergeben wollte, nie wieder riskieren wollte. Es stimmte, Law war erwachsen geworden, hatte vieles in der Welt gesehen und war seriöser und berechnender geworden, aber er war immer noch Law und sogleich war er doch so viel mehr geworden. „Ich glaube“, murmelte Rocinante und betrachtete den leeren Teller in seiner Hand, „ich kann den erwachsenen Law sehr gut leiden.“ Law schien in seinen Bewegungen zu verharren. „Ich glaube, ich bin jetzt bereit, dich wirklich kennen zu lernen.“ Der andere drehte sich zu ihm um. „Das war keine Frage“, meinte Law nur. „Ich werde dir keine Fragen stellen. Ich werde dir zuhören, egal, was du mir von dir erzählen willst und was nicht.“ „In Ordnung“, entgegnete Law und nahm ihm den Teller aus der Hand, „aber dafür wirst du mir alles erzählen, was du mir damals nicht sagen konntest.“ Er ging zum Spülbecken ohne Rocinante anzusehen. „Wenn du den erwachsenen Trafalgar D. Water Law kennen lernen willst, dann will ich den Fregattenkapitän Don Quichotte Rocinante kennen lernen.“ „Es könnte eine lange Nacht werden.“ „Ich setzte Kaffee auf.“ Und so begann das Gespräch, welches sie beide gefürchtet und erwartet hatten. Für Stunden saßen sie auf dem Sofa neben der Teleschnecke mit dem Strohhut im dämmrigen Licht während Law seinen Kaffee trank und Rocinante seine Zigaretten rauchte. Rocinante machte den Anfang. Einen Arm auf der Rückenlehne ausgestreckt, die Zigarette in der anderen Hand und den Blick auf die alten Holzbalken an der Decke gerichtet. Er sprach von seiner Kindheit, von seinen Eltern, seinem Bruder und den anderen Menschen. Er sprach davon wie seine Mutter starb, wie sein Bruder seinen Vater umgebracht hatte und wie Sengoku ihn gefunden hatte. Er sprach davon wie er ab seinem achten Lebensjahr zum Soldaten ausgebildet worden war, von den schönen und den schlimmen Zeiten in der Marine und wie er auf Sengokus Auftrag hin nach 14 Jahren zu seinem Bruder zurückgekehrt war, nicht um ihn zu unterstützten, sondern um ihn eines Tages aufzuhalten. Er sprach davon, wie er ein Jahr später Law kennen lernte und von der inneren Trauer, die das Leiden des Jungen in ihm hervorgerufen hatte. Er sprach von all diesen Dingen, die in ihm vorgegangen waren, als er Law für über zwei Jahre stillschweigend beobachtet hatte und von der Freiheit und dem Glück, welches er erfahren hatte als er und Law für sechs Monate die Welt bereist hatten, verfolgt von Tod, Verrat und Geheimnissen. Er sprach von den illusorischen Hoffnungen, die er für die Zukunft gehabt hatte und von dem Moment, als er endlich die Wahrheit gesagt hatte. Er wusste nicht, wie spät es war als er endlich geendet hatte, aber das war auch nicht wichtig. Nachdem er geendet hatte, war Law lange Zeit ruhig gewesen, hatte wortlos in seine Tasse gestarrt, sie dann irgendwann leergetrunken und dann hatte er zu reden begonnen. Die Arme auf den Knien abgestützt und seine leere Tasse umklammernd, vorgebeugt und mit Blick auf den Boden. Auch Law sprach von seiner Kindheit, von seinen Eltern, seiner Schwester und den anderen Menschen. Er sprach davon wie die Soldaten aus den Nachbarländern seine Familie und seine ganze Heimat ausgelöscht hatten. Er sprach von dem Hass, der ihn erfüllt und ausgemacht hatte, ihn bis zu de Flamingo und endlich zu einem Ort gebracht hatte, wo er seinen Hass hatte ausleben können. Er sprach von der Zeit, bevor er Rocinantes Geheimnis gekannt hatte und von der Zeit danach. Er sprach von dem Glück und der Heimat die er gefunden und die de Flamingo ihm dann wieder genommen hatte. Er sprach von der Rache, die er hatte ausüben wollen und dem Schwur alles in Rocinantes Namen zu tun, um dessen Bruder aufzuhalten. Er sprach davon, wie er Freunde und Wegbegleiter fand auf seiner Reise, doch die trotz all ihrer Freundlichkeit und Wärme nicht das Loch in seiner Brust hatten füllen können. Er sprach von den Machenschaften der Welt, in die er sich begeben hatte, um seinen Schwur zu erfüllen und dem Moment als er es endlich geschafft hatte. Er sprach von der Zeit, als die Geschehnisse der Welt sich überschlugen und er jeden Tag damit gerechnet hatte – darauf gehofft hatte – dass dies sein letzter Tag sein würde. Er sprach von dem Moment, als die Welt endlich stehen geblieben war und ihn diese illusorischen Hoffnungen für eine Zukunft erfüllt hatten, und er sprach von dem Moment als Rocinante endlich aufgewacht war, ihn endlich erkannt hatte, zu ihm zurückgekehrt war. Danach waren sie lange Zeit still. Nur als Rocinantes Hemdärmel Feuer fing unterbrachen sie ihr Schweigen kurz, doch mit Laws beeindruckenden Fähigkeiten war selbst dies nicht mehr als ein Augenrollen wert. Nun saßen sie wieder da, Rocinante den Blick nach oben gerichtet während Law den Boden anstarrte. Er wusste nicht worüber der andere nachdachte, aber er selbst war überwältigt von all den Dingen, die während seines jahrelangen Schlafes passiert waren, von all den Dingen, die er verpasst hatte, von dem Mann, der Law in seiner Abwesenheit geworden war. Trotz allem was Law getan hatte, trotz der Last seiner Taten, die er sein ganzes Leben lang nun tragen musste. „Ich bin wirklich stolz auf dich“, murmelte Rocinante schließlich der Decke entgegen, „so stolz auf dich.“ Law entgegnete nichts, verharrte in seiner Position, sein Gesicht in den Schatten des dämmrigen Lichts verborgen, wie Rocinante aus den Augenwinkeln sehen konnte. „Als ich meine Mission übernahm war die Aufgabe eine eindeutige: So viele Informationen über meinen Bruder herausfinden, dass wir ihn aufhalten – ausschalten – können, bevor er in seinem Wahn die Welt ins Chaos stürzt.“ Rocinante seufzte. „Aber die Wahrheit ist, lange – viel zu lange – hatte ich diese kleine Hoffnung, dass ich ihn irgendwie doch würde retten können. Mir war bewusst, wie dumm diese Hoffnung war, mir war bewusst, dass ich ihn verloren hatte, aber bis zum Schluss, als er vor mir stand… Trotz allem wollte ich an den letzten Funken Licht in der Dunkelheit meines Bruders glauben.“ Immer noch schwieg Law und Rocinante fühlte die Last auf seinen Schultern. „Hätte ich mich nicht von meinen Gefühlen verleiten lassen, wäre ich der erste gewesen, der geschossen hätte, dann wäre all das hier nicht passiert. Du hast dir die Last meines Versagens aufgebürdet und hast meinen Bruder zu Fall gebracht, ohne seiner oder deiner eigenen Dunkelheit zu verfallen. Du bist viel stärker als ich es je war und auch wenn es mich mit Demut füllt, so bin ich doch auch stolz auf den Mann, der du geworden bist, trotz meines Versagens.“ Die letzte Asche fiel auf seine Finger als die Zigarette in seiner Hand ganz hinuntergebrannt war. „Von Anfang an hatte ich gedacht“, sprach nun Law schließlich mit heiserer Stimme, „ich dachte, dass der Schmerz in meiner Brust weniger werden würde, wenn ich deinen Willen ausgeführt hätte. Solange ich deinem Bruder nachstellte hatte ich das Gefühl, dass du irgendwie bei mir wärest, mir nahe wärest und ich dachte, wenn ich ihn töten würde, dann würde der Schmerz endlich aufhören.“ Rocinante betrachtete den anderen, der sich immer noch nicht bewegte. „Als ich ihm gegenüberstand, da wollte ich ihn wirklich töten, ich wollte das tun was du nicht tun konntest, weil er dein Bruder ist. Aber ich konnte es nicht. Nicht, weil ich an das Gute in ihm geglaubt hatte, sondern einfach, weil ich zu schwach war, weil ich ihn nicht besiegen konnte, obwohl ich wollte.“ Nun endlich neigte Law leicht den Kopf und sah zu ihm hinüber. „Du bist nicht schwach, Cora, du bist gütig. Selbst in deinem Bruder hast du diesen Hoffnungsschimmer sehen wollen und das, obwohl du gesehen hast, wie er euren Vater getötet hat. Ich bin froh, dass du deinen Bruder nicht umbringen konntest.“ Dann sah er wieder weg. „Schließlich war es genau diese Güte, die auch mich aus der Dunkelheit gerettet hat.“ Er konnte sehen, wie einzelne Tränen Laws Wange hinunterglitten, während dieser erneut auf die Tasse in seinen Händen starrte. „Wärest du nicht gewesen, wäre ich immer noch dieser hasserfüllte Mensch von damals und im Kampf gegen deinen Bruder hat mich dieser Hass wieder übermannt. Wenn es nicht für den Strohhut gewesen wäre, wäre ich dieser Dunkelheit an jenem Tag wieder verfallen. Du hast alles aufgegeben, um mich zu retten und ich hätte dein Opfer beinahe verraten.“ Law seufzte leise auf. „Wenn ich eine Sache in den letzten Jahren gelernt habe, dann dass die Eigenschaften, die unseren Charakter ausmachen sowohl Stärke als auch Schwäche sein können, abhängig von der Situation. Deine Güte mag eine Schwäche gegenüber deinem Bruder gewesen sein, aber durch sie hast du mich gerettet. Meine Gefühle für dich haben mich im Kampf gegen de Flamingo blind gemacht, aber nur dank ihnen bist du jetzt hier neben mir. Wir sind nun mal Menschen, wir machen Fehler und handeln nach unseren Gefühlen und unserem Gewissen.“ Überrascht sah er den anderen an. „Du bist ganz schön weise geworden, nicht wahr?“ Leise lachte Law auf. „Und doch bin ich ein egoistisches Gör.“ „Wie meinst du das?“ Argwöhnisch beobachtete er den anderen, der erneut aufseufzte und sich dann zurücklehnte. „Ich bin nicht der Einzige, dem du gefehlt hast, Cora. Damals habe ich mit Sengoku gesprochen; du warst ihm wie ein Sohn. Für ihn bist du immer noch tot und es wäre nur richtig, wenn du zu ihm gehen würdest.“ Law lehnte mit seinem Hinterkopf gegen die Rückenlehne und Rocinantes Arm und neigte nun den Kopf in seine Richtung. „Aber ich will nicht, dass du gehst. Ich weiß, wie egoistisch ich bin, aber ich will dich nicht teilen müssen, zumindest nicht jetzt schon. Ich will nicht, dass du gehst und dich anderen Dingen - anderen Menschen - verpflichtest. Noch nicht, nicht jetzt schon, wenn ich dich gerade erst wieder habe.“ Für einen Moment schien der kleine Junge wieder durchzubrechen und doch sagte Law ganz ehrlich was er wollte. Er hatte auch Recht; die Vernunft sagte Rocinante, dass er besser heute als morgen aufbrechen und seiner Verantwortung entgegentreten sollte, aber… „Dann werde ich nicht gehen“, entschied er schlicht. „Was?“ „Er hat mich aufgenommen, als ich nichts mehr hatte, hat mich großgezogen wie sein eigen Fleisch und Blut, und dennoch…“ Er hielt Laws tiefen Blick stand. „Schon damals habe ich meine Mission deinem Wohlergehen untergeordnet, Law, und dennoch habe ich dich im Stich gelassen. Es stimmt, dass ich Sengoku wiedersehen möchte und mich meiner Verantwortung stellen muss, aber hier und jetzt möchte ich zunächst meine Schuld dir gegenüber begleichen und wenn es dein Wunsch ist, dann werde ich bleiben. Wir werden uns die Zeit nehmen, die wir brauchen und dann werde ich mich meiner Vergangenheit stellen.“ Law erhob sich. „Ich will, dass du bleibst“, sagte er ganz klar und sah zu ihm herab, „aber du schuldest mir nichts. Ich will nicht, dass du bleibst, weil du dich verpflichtet fühlst, sondern weil du es auch willst.“ Leise lachte Rocinante und hob den Hausschlüssel hoch. „Ich habe uns ein Haus besorgt, natürlich will ich bei dir bleiben.“ Mit einem warmen Lächeln streckte Law sich und sah zum Fenster an der Küchenzeile. „Die Sonne wird bald aufgehen. Es wäre sinnlos mich jetzt noch hinzulegen. Ich werde duschen und dann den liegengelassenen Papierkram aufarbeiten, ehe Frau Paipai kommt.“ Law lehnte sich vor und strich ihm durchs Haar. „Ich liebe dich, Cora.“ „Ich weiß“, entgegnete er und ließ zu, dass Law ihn küsste. „Ich hab‘ dich auch lieb.“ Law richtete sich wieder auf und schenkte ihm dieses wertvolle Lächeln, welches er nie wieder verlieren wollte. „Schlaf etwas, Cora, und heute Nachmittag zeigst du mir unser Haus.“       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)