Green Rain von Ryouxi ================================================================================ Kapitel 6: Flucht ----------------- „Was sollte das denn jetzt?“, ging ich ihn verärgert aber dennoch mit leiser Stimme an. „Hilf mir lieber.“ Bakura schenkte mir nur einen kurzen Blick. Er schien es plötzlich mehr als eilig zu haben. „Was ist los? Hast du gelogen?“ Nun schaute er doch fragend zu mir. „Was ist da draußen los? Sind sie noch da? Hast du sie...“ Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was passierte, wenn wir uns irrten. Wenn Miho nichts hatte. Und wenn die anderen noch da draußen waren. Wir hatten sie ausgesperrt, sie ihnen geradezu zum Fraß vorgeworfen. Der Ärger, der gerade in mir aufstieg, wurde augenblicklich von Bakura zerschlagen. „Hast du es nicht bemerkt?“ Seine dunklen Augen hielten mich für einen Moment fest, während er in seinem Tun innehielt. „Sie war bereits dabei, sich zu verändern. Was auch immer hier vor sich geht, es ist hochansteckend. Wir müssen vorsichtig sein. Ich wollte nicht, dass du ein Risiko eingehst.“ Mir wurde bewusst, dass ich für Bakura der letzte andere Mensch war, genauso wie er für mich. Noch mehr, er hatte nicht einmal eine Familie, zu der er versuchen könnte zu gehen, wenn mir etwas zustieß. Natürlich war er da vorsichtig, wenn es um meine Sicherheit ging. Die entstandene Stille wurde von einem wilden Klopfen gegen die Tür unterbrochen, das uns beide zusammenfahren ließ. Dieses Mal half ich ihm, den letzten Wagen vor die Tür zu schieben. „Marik. Bakura. Lasst mich rein. Bitte!“ Es war nicht nur Mihos Stimme, sie klang auch mehr als flehend. Mein Herz zog sich zusammen, auch wenn uns das Mädchen genau vor einem solchen Verhalten gewarnt hatte. Trotzdem zweifelte ich. „Was meinst du damit, dass sie sich verändert hat?“, fragte ich unsicher nach, während wir uns sicherheitshalber gegen die Barrikade stemmten. „Sie hatte die ganze Zeit Angst und war am weinen. Eben hat sich das geändert und sie hat komisch zu sprechen begonnen.“ Da es mir nicht aufgefallen war, wusste ich nicht, ob Bakuras Beobachtung korrekt war. Ich vermied es jedoch darauf einzugehen, dass ihre Tränen aus anderem Grund gestoppt haben könnten. „Lasst mich doch bitte rein. Sonst sterb ich hier draußen. Ich sterbe!“ Drang Mihos Stimme wieder durch die Tür. Ich wusste nicht, was ich getan hätte, wenn Bakura nicht dagewesen wäre. Dieser zog mich im nächsten Augenblick von der Tür weg, an die gegenüberliegende Wand. „Bakura.“ Ich schaute ihn gequält und verzweifelt an. Es war nur logisch, dass sie so versuchte zu uns zu kommen, wenn sie sich nun wirklich verändert hatte. Andererseits konnte sie noch sie selbst sein und ihr Flehen war echt. Was, wenn wir sie im Stich ließen? „Hör nicht hin.“ Bakura zog mich zu sich und schaute mir geradewegs in die Augen. „Genau das ist ihr Plan. Sie ist ein kluges Mädchen. Wenn sie in Gefahr wäre, könnte sie sich wieder bis heute Nacht auf die Toilette zurückziehen. Da draußen war niemand mehr und so schnell kommen sie auch nicht.“ Seine Worte beruhigten mich tatsächlich, auch wenn mich die gesamte Situation noch immer belastete. „Ich will das nicht mehr“, brachte ich schließlich hervor. Nicht nur hatte er mich längst von meiner schwachen Seite kennengelernt, auch kannten wir uns lange und gut genug, dass ich mich meinem Kumpel gegenüber so zeigen konnte. Ich lehnte mich gegen ihn und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. Wie gestern schon schloss mich Bakura in seine Arme. „Wenn du jetzt anfängst dauernd rumzuheulen, dann schmeiß ich dich raus.“ Seine Worte waren weder sensibel, noch als Scherz gemeint, doch sie waren genau das, was ich brauchte. Ich hob meinen Kopf leicht, um ihn anzuschauen. „Ich heule nicht.“ Auch wenn ich das gerne würde. „Aber du kannst mir nicht erzählen, dass dich das alles nicht belastet.“ „Natürlich tut es das. Gerade deswegen muss ich es nicht noch schlimmer machen.“ Ich schüttelte den Kopf leicht über seine Worte. Bakura war oft so anders als andere Menschen, die ich kannte. Manchmal verstand ich wirklich nicht, was in seinem Kopf vor sich ging. Vielleicht war gerade das der Grund, warum ich mich in diesen komplizierten Menschen verliebt hatte. Bei dem Gedanken wurde mir flau im Magen. Wäre vor der Tür nicht immer noch Mihos Flehen zu hören gewesen, wäre dieser Moment, in dem wir uns derart nah waren und anschauten möglicherweise anders ausgegangen. So aber legte ich meinen Kopf wieder auf seiner Schulter ab. „Wir werden nicht ewig hier drinnen bleiben können“, nuschelte ich, in der Hoffnung so den Lärm von der Tür etwas ausblenden zu können. Nicht nur würden unsere Vorräte früher oder später aufgebraucht sein, auch hatten wir vorhin erlebt, wozu diese Leute in der Lage waren. Sie hatten die Fensterscheiben zerbrochen, waren hineingeklettert, hatten dem Lärm nach zu urteilen auch die beiden Blockaden zerstört. Sie waren schnell und unsere Schläge hatten sie nicht aufhalten können. Mit jedem Tag schienen sie wilder und gefährlicher zu werden. Morgen würden sie uns vielleicht schon die Tür des Geräteraums einrennen. Was sollten wir dann tun? Was konnten wir dann überhaupt noch tun? „Wir sollten aber so lange hierbleiben, wie wir können. Schließlich wissen wir nicht, was passiert, wenn wir rausgehen.“ Ich nickte leicht. Letztendlich würde uns aber nichts anderes übrigbleiben. Die Frage war nur, ob wir uns nachts draußen genauso sicher bewegen konnten, wie in der Schule. Ich versuchte fest daran zu glauben. Letztendlich war mein Glaube alles, was wir hatten. Wir mussten uns dieser Situation früher stellen, als uns lieb war. Mihos Rufen und Klopfen wollte nicht stoppen. Mittlerweile war selbst ich davon überzeugt, dass wir das Mädchen verloren hatten. Der Horror, den diese ganze Situation in mir auslöste war jedoch längst in den Hintergrund gerückt. Ein neues Problem hatte sich ergeben. Durch den Lärm, den Miho verursachte, wurden die anderen angelockt. Schon bald konnten wir weitere Schritte, Stimmen und andere Geräusche hören. Bis sie nicht mehr die einzige war, die gegen die Tür hämmerte. Mein Herz begann wild zu schlagen. Irgendwann hatten wir es uns auf dem Boden gemütlich gemacht, nun standen wir aber auf und schauten unschlüssig zur Tür. „Sie werden reinkommen“, sprach Bakura schließlich das aus, was ich nicht hören wollte. „Dann müssen wir das verhindern“, forderte ich ihn etwas hysterisch auf. Wir stemmten uns wieder gegen unsere Barriere, die unter den Schlägen bereits bebte. Mir entging nicht Bakuras besorgter Blick, der sich zu den kleinen Fenstern richtete. Wie jeden Tag um diese Zeit regnete es. „Was ist?“ Gerade hatten wir ganz andere Probleme, dennoch musste ich einfach sprechen. Ich musste etwas anderes als das lauten Pochen gegen die Tür hören. Mihos Stimme war verstummt. „Es ist gerade erst Mittag“, merkte Bakura das offensichtliche an. Es dauerte einige Sekunden, bis ich verstand, was er damit meinte. „Sie werden sicher wieder aufgeben. Das haben sie immer.“ In erster Linie versuchte ich mit diesen Worten mich selbst zu beruhigen. Wenn es so weiterging, dann würden sie die Tür noch aufbrechen. Wenn wir aufhörten, mit all unserer Kraft dagegen zu halten, dann würden sie hineinkommen. „Mehr als das zu hoffen können wir nicht. Bis Sonnenuntergang können wir kaum durchhalten.“ Seine Worte schnürten meine Brust zu. Wir mussten nicht bis zum Abend warten. Unsere Kräfte waren bereits am Ende, als der Regen gerade nachließ. Nicht nur einmal wurde die Tür aufgestoßen, so dass wir sie wieder zudrücken mussten. So nützlich sie Sportgeräte auch waren, wenn es darum ging ein Gewicht vor der Tür zu haben. Wir mussten genauso stark drücken, wie die anderen, um sie wieder gegen die Tür zu schieben und diese damit zu schließen. Mittlerweile waren wir an einem Punkt, wo sie sich gar nicht mehr schließen ließ, etwas musste sie blockieren. Sie stand nur einen Spalt offen und war nach wie vor nicht einfach so aufzudrücken. Dennoch sorgte dieser Umstand dafür, dass mein Herz noch wilder schlug und mir der Schweiß auf der Stirn stand. Immer wieder schaute ich zu Bakura, der sich mit seinem ganzen Körper gegen die Blockade stemmte, dabei aber erschöpft aussah. Wie lange konnten wir das noch aushalten? Ein hölzernes Knacken kündigte neue Probleme an. „Die Tür“, keuchte ich geschockt. Wenn sie brach, wie lange würde unser Turm aus Sportgeräten die anderen dann davon abhalten, zu uns hereinzukommen? „Wir sitzen in der Falle“, merkte ich panisch an. Mein Blick huschte zu den Toren, die zur Sporthalle führten. Ich wusste, dass sie abgeschlossen waren, doch vielleicht ließen sie sich von innen öffnen. An unserer Lage würde es jedoch nichts ändern, schließlich würden wir anschließend genauso wenig aus der Halle entkommen. Aber irgendeine Möglichkeit mussten wir doch haben. „Die Fenster“, riss mich Bakura plötzlich aus meinen Gedanken. Zweifelnd schaute ich zu den kleinen Scheiben. Sie waren nicht zum Öffnen gedacht. Nichts, was mich in einer solchen Situation aufhalten würde. Ganz im Gegenteil zu der Größe. Ich war nicht dick, ich war nicht einmal sonderlich muskulös. Dennoch zweifelte ich daran, dass sie groß genug waren. „Passen wir da durch?“ „Bleibt uns viel mehr, als es zu probieren?“ Bakura war eindeutig entschlossen, es zu versuchen. Trotzdem durfte ihm genauso bewusst sein wie mir auch, dass unser aufgebautes Hindernis die anderen nicht lange abhalten würde, wenn wir uns erst einmal von der Tür entfernten. Der Gedanke ließ mich nur noch unruhiger werden und brachte mich so in eine Position, in der ich unmöglich eine Entscheidung treffen konnte. „Marik, hör zu“, forderte Bakura wieder meine Aufmerksamkeit ein. „Kannst du die Tür kurz alleine halten?“ Sofort kam Panik in mir auf. „Was hast du vor?“ „Ich bin größer als du. Wenn ich durchpasse, dann könnte es funktionieren.“ Es war logisch, dass es nur so Sinn machte. Selbst wenn nur ich mich durchzwängen könnte, würde ich Bakura mit Sicherheit nicht zurücklassen. Dennoch verursachte dieser Gedanke ein unwohles Gefühl. „Keine Angst, ich werd dich nicht im Stich lassen.“ „Das hab ich nicht angenommen“, entgegnete ich schnell. In diesem Augenblick wurde die Tür ein weiteres Stück aufgestoßen. Unser Gespräch kam zum Erliegen, als wir all unsere Kraft aufbrachten, um die schweren Gegenstände wieder zurückzuschieben. „Geh schon, ich schaff das“, forderte ich Bakura schließlich auf. Es waren zu viele und sie waren zu hartnäckig. So wenig ich auch nach draußen wollte, noch weniger wollte ich hier drinnen mein Ende finden. Bakura rannte zu dem Fenster, durch das wir immer geschaut hatten und kletterte auf den Wagen. Er warf einen kurzen Blick nach draußen und schaute sich dann in dem Raum um. Während ich mir alle Mühe gab, die anderen nicht reinzulassen, hoffte ich, dass er sich beeilen würde. Tatsächlich kletterte Bakura wieder herunter, jedoch nur, um seine Jacke vom Boden aufzuheben. Im nächsten Moment war das Splittern von Glas zu hören, als er die Scheibe mit seinem gut eingewickeltem Ellenbogen einschlug. In einer schnellen Bewegung entfernte er die verbliebenen Glasstücke, die klirrend zu Boden fielen. Mit Bakura, der vor dem nun offenen Fenster stand, sah dieses noch kleiner aus. Trotzdem startete er sogleich den Versuch, sich durch dieses zu quetschen. Sein Kopf passte hindurch, genauso wie seine Schultern. Das schien ihm zu reichen. Nach keiner Minute, die mir wie eine gefühlte Ewigkeit vorgekommen war, kam Bakura endlich zurück zu mir. Gemeinsam schoben wir die Barrikade zurück, soweit es noch ging. „Es ist eng, aber es passt“, teilte er mir schließlich mit, was mich etwas aufatmen ließ. Wir hatten eine Chance. „Geh du vor. Ich halt sie zurück und komm nach, wenn du raus bist.“ „Was? Warum?“ Ich wollte Bakura nicht zurücklassen, auch nicht für so kurz. Was, wenn ihm etwas zustieß? „Ich weiß, dass ich durchpass. Wenn du aber Schwierigkeiten hast, dann wird niemand die Tür zuhalten können, wenn ich schon draußen bin. Keine Angst, so schnell kommen sie hier nicht rein. Schließlich müssen sie immer noch alles wegschieben, um auch mehr als einen Arm durchzustecken.“ Auf seine Worte schluckte ich nur, entgegnete jedoch nichts mehr. „Wir haben nur diese Möglichkeit. Sollen wir sie ergreifen?“ Seine Frage verblüffte mich. Würde er tatsächlich hier auf sein Ende warten, wenn ich verneinte? Natürlich nickte ich. „Ja, lass es uns versuchen.“ Und damit besiegelte ich eine Entscheidung, die unser Leben entweder verlängerte, oder ebenfalls beendete. Doch alles war besser, als hier auf diese Weise zu sterben. Dieses Mal war ich es, der zu dem Fenster eilte und auf den Wagen kletterte. Auch ich schaute kurz nach draußen. Der Boden war noch nass vom Regen, was ein unwohles Gefühl verursachte. Doch zumindest konnte ich in der direkten Umgebung niemanden sehen. Wir wussten nicht, was sie konnten und wie sie uns fanden. Wir konnten nur hoffen, dass sie sich nicht sofort auf uns stürzen würden. Mit einem letzten Blick zurück auf Bakura, der sichtlich Mühe hatte gegen die Wucht der wütenden Meute vor der Tür anzukommen, nahm ich all meinen Mut zusammen und zwängte mich durch die kleine Öffnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)