Green Rain von Ryouxi ================================================================================ Kapitel 5: Rückschlag --------------------- Mit den neuen Barrikaden hatten wir uns sicher gefühlt. Es war die erste Nacht gewesen, in der ich einigermaßen gut geschlafen hatte. Generell fühlte ich mich nachts sehr wohl, da die verbliebenen Menschen dann nur regungslos dastanden und es keinerlei Zwischenfälle gab. Am nächsten Tag wurde uns verdeutlicht, dass wir die Situation mehr als nur unterschätzt hatten. Ich war noch am Dösen, während Bakura neben mir saß, als ein Schrei uns aufschrecken ließ. Vom einen auf den nächsten Augenblick stand ich auf meinen Beinen und folgte Bakura zur Tür. Von der schnellen und plötzlichen Bewegung war mir schwindelig, so dass ich einen Augenblick brauchte, um die Situation zu realisieren. Es war bereits hell und der Schrei war eindeutig von Miho gekommen. Das Mädchen, das sonst so ruhig war schrie nun und lockte damit möglicherweise diese Leute an. Es musste etwas Schlimmes passiert sein. „Warte hier!“, hielt mich Bakura zurück, als ich gerade drauf und dran war, auf den Flur zu rennen. Irritiert schaute ich ihn an. „Sie muss auf der Toilette sein.“ „Schon klar, aber schau.“ Der Junge deutete zu den Durchgängen, die noch immer versperrt waren. Hinter dem Glas waren zu beiden Seiten mehrere Personen zu sehen. Mein Herzschlag setzte kurz aus, nur um dann stark hämmernd das Adrenalin durch meine Adern zu pumpen. „Wie?“, war alles, was ich hervorbrachte. „Komm!“, forderte er mich auf, nachdem er überprüft hatte, dass tatsächlich niemand auf den Flur kam. Er griff nach dem Hockeyschläger, der neben der Tür stand und lief über den Flur. Der Gedanke, dass sie uns nun deutlich sehen konnte, ließ die Angst in mir nur stärker werden, auch wenn sie allem Anschein nach genau wussten, dass wir hier waren. Ebenfalls bewaffnet folgte ich Bakura. Obwohl wir geradezu über den Flur stürmten, so waren wir beim Betreten der Toilette doch vorsichtig. Bereit, sich zu verteidigen, betrat Bakura die Räumlichkeit, um eine zusammengekauerte, aber anscheinend unverletzte Miho vorzufinden. „Was ist passiert?“, fragte ich sogleich und ging neben ihr in die Hocke, während Bakura die Kabinen kontrollierte. Hier drinnen war niemand neben uns. Wie auch? „Es... es sind so viele“, brachte sie völlig am Ende hervor. „Und deswegen kreichst du so?“, ging Bakura sie auf einmal an. Ich warf ihm einen flehenden Blick zu, doch er ignorierte ihn. Zwar konnte ich seinen Ärger verstehen, trotzdem war Mihos Reaktion nicht grundlos gewesen. „Eben waren die Flure noch leer. Ich war keine Minute hier“, begann sie sich schluchzend zu rechtfertigen. „Das ist nicht gut.“ Immer noch schaute ich zu Bakura, der nun nachzudenken schien. „Egal was sie bisher hierhergelockt hat. Nun wissen sie auf jeden Fall, dass wir hier sind. Ich bin mir nicht sicher, ob wir sicher sind.“ „Was bleibt uns anderes übrig, als zu warten?“ Meine Worte gefielen mir selbst nicht. Wir könnten natürlich versuchen durch den Notausgang zu fliehen. Die Frage war, ob wir das sollten. Weder konnte ich diese Gedanken äußern, noch bekam ich eine Antwort auf meine Frage. Ein lautes Klirren ließ uns herumwirbeln. Augenblicklich gefror mir das Blut in den Adern. Im Geräteraum festzusitzen war eine Sache. Würden wir hier eingesperrt werden, wären wir verloren. Es gab nicht einmal die Möglichkeit, die Tür zu verriegeln. Bakura hatte den gleichen Gedanken. „Sofort raus hier!“ Und schon stürmte er zur Tür. Ich packte Miho am Arm und zerrte sie mit mir. Auf dem Flur hatte ich keine Zeit mich groß umzuschauen. Wir rannten auf den Geräteraum zu, in der Hoffnung nicht erwischt zu werden. Dennoch bemerkte ich, dass die Glasscheiben der Zwischentüren noch Intakt waren. Etwas anderes musste zu Bruch gegangen sein. Ich sah nur noch aus dem Augenwinkel, wie etwas aus einem Klassenraum auf uns zugeschossen kam. Es erschreckte mich so sehr, dass ich Miho losließ. Sie rannte bereits selbstständig, doch sie war nicht ansatzweise so schnell wie ich. Ihr Aufschrei machte deutlich, dass sie erwischt worden war. Sofort drehte ich mich um und riss meinen Schläger hoch, bereit für einen Kampf. Doch ich war nicht darauf vorbereitet gewesen zu sehen, was ich sah. Eine junge Frau hatte sie ergriffen und mit dem Schwung ihrer Geschwindigkeit gegen die Wand gepresst. Ihre Zähne hatte sie in Mihos Schulter vergraben. Trotz ihrer Kleidung schien das Mädchen dadurch verletzt worden zu sein. Ich konnte eindeutig Blut sehen. „Lass sie los!“, schrie ich. Ehe ich darüber nachdenken konnte, rannte ich auf die beiden zu und schlug mit voller Kraft zu. Tatsächlich ließ die Frau von ihr ab und taumelte einige Schritte zurück. Ohne zu zögern griff ich erneut nach Mihos Arm und zerrte sie wieder mit mir. Erst jetzt bemerkte ich, dass noch weitere Leute aus dem Klassenraum gekommen waren. Bakura hielt sie mit seinem Schläger zurück, auch wenn es nicht allzu viel Wirkung zu haben schien. Gerade als ich mich wieder in Bewegung setzte, gab sein Hockeyschläger mit einem lauten Knacken unter der Wucht eines weiteren Schlages nach und zerbrach. „Kommt schnell!“, rief er uns zu, während er sich in den Geräteraum zurückzog. Dieses Mal ließ ich Miho nicht los. Wir hatten nur noch ein kurzes Stück vor uns, so dass wir es schafften. Sofort verbarrikadierten Bakura und ich die Tür und stemmten uns mit aller Kraft gegen sie und die folgenden Schläge. Vom Flur folgten weitere Geräusche zerbrechenden Glases. Keiner von uns wagte es, etwas zu sagen, während sich die nächsten Minuten wie Stunden anfühlten. Nachdem es auf dem Flur ruhig geworden war, konnten wir zumindest etwas aufatmen. Meine Glieder schmerzten geradezu von der Anspannung, mit der ich mich gegen unsere notdürftige Barrikade gestemmt hatte. Ich traute der Stille nicht, zumal es noch mitten am Tag war. Doch da keinerlei Geräusche mehr zu hören waren, erlaubte ich es mir von der Tür zurückzutreten. Ehe ich mich versah, hatte Bakura meinen Schläger gegriffen und richtete ihn auf Miho, die allem Anschein nach unter Schock stand. „Bakura!“, gab ich erschrocken von mir. Ich gab mir gar nicht erst die Mühe leise zu sprechen, schließlich wussten sie ohnehin, dass wir hier waren. „Was? Sie hat es doch selbst gesagt. Sie wurde gebissen und wird genauso werden.“ Mein Blick huschte zu Mihos Schulter, wo sich der Stoff rot gefärbt hatte. Sie war wirklich gebissen worden. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken während ich versuchte nicht an Zombies zu denken. Es waren eindeutig keine. Seine harschen Worte schienen Miho endgültig aus ihrer Starre zu holen. Sie begann zu schluchzen. „Das können wir nicht wissen.“ Bakura warf mir einen ungläubigen Blick zu, der mich augenblicklich verstummen ließ. Ich wusste, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit Recht hatte, dennoch konnte ich es einfach nicht glauben, dass wir Miho nicht mehr helfen konnten. Ich kannte sie erst seit zwei Tagen und trotzdem wollte ich nicht, dass ihr etwas zustieß. Wollte nicht, dass sie so wurde, wie die anderen. Neben Bakura war sie die einzige Normalität, die mich umgab. „Du hast Recht“, brachte Miho auf einmal hervor. Ihr Schluchzen hatte abrupt gestoppt. „Sie werden es nicht ohne Grund machen... Wenn sie krank sind, dann wollen sie vermutlich auch die letzten Gesunden anstecken. Warum sonst wurden sie nicht alle geholt? Ich... ich bin mir sicher, dass es passieren wird.“ Ich konnte weder fassen, dass sie sich so schnell ihrem Schicksal fügte, noch dass sie derart ruhig dabei blieb. „Was hast du vor?“, wollte ich wissen, als sie aufstand. Bakura richtete den Schläger nach wie vor wie eine Waffe auf sie. „Ab jetzt bin ich eine Gefahr für euch. Ich...“ So entschlossen sie eben noch gewirkt hatte, mit einem Schlag war wieder die pure Angst in ihrem Gesicht zu sehen. „Wie lange dauert es?“, fragte Bakura auf einmal. Wir beide schauten ihn irritiert an. „Weiß nicht“, entgegnete Miho unsicher. „Ein paar Stunden vielleicht?“ „Vermutlich so lange, wie nach dem Regen“, fügte ich hinzu. Wollte Bakura sie ernsthaft hier drinnen lassen und warten, bis es soweit war? Bisher hatte ich das Gefühl gehabt, dass er eher genervt von Mihos Anwesenheit war. Und so wenig ich wollte, dass Miho auf sich alleine gestellt da raus musste, nur um ihr Selbst zu verlieren. Falls sie sich dadurch wirklich veränderte, dann wollte ich sie genauso wenig bei uns haben. Natürlich wären wir zwei gegen eine, doch auf dem Flur vorhin hatten wir deutlich gesehen, dass sie sich durch Schläge zwar zurückhalten, aber nicht aufhalten ließen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich gegen Miho keine Gewalt anwenden wollte, ob sie nun sie selbst war oder nicht. Schließlich hatte sich Miho wieder hingesetzt. Bakura und ich saßen an der gegenüberliegenden Wand des Raumes. Wir waren zu keinem rechten Entschluss gekommen, weswegen wir allesamt angespannt waren. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und lehnte mich zu Bakura rüber. „Was machen wir jetzt?“ Ich flüsterte. Nicht, weil ich nicht wollte, dass Miho mithörte, sondern einfach weil die ganze Situation viel zu bedrückend war, als dass ich lauter sprechen wollte. „Entweder geht sie oder wir.“ Seine Worte waren deutlich. Es war offensichtlich, auf wen die Wahl letztendlich fallen würde. Wenn wir in unseren Annahmen Recht hatten, dann stellte Miho nicht nur eine Gefahr für uns dar, die anderen würden ihr auch nichts mehr antun. Aber was, wenn wir uns irrten? Wenn wir sie dadurch in den Tod schickten? Dieser Gedanke schnürte mir die Kehle zu. „Ich will so nicht werden.“ Miho schaute mit tränengefüllten Augen zu uns. Mein Herz wurde nur noch schwerer. Obwohl ich ihre Angst verstand, konnte ich ihr doch keine tröstenden Worte zukommen lassen. Ich befand mich nicht in ihrer Situation, die so unausweichlich und endgültig war. Nicht nur würde sie fremdgesteuert durch die Gegend laufen und andere Menschen beißen, auch würde sie früher oder später von diesen Ovalen geholt werden. Jeden Tag kamen sie nach dem Regen zur Erde und sammelten neue Opfer ein, um sie wegzubringen. Es musste noch viele Menschen in den Häusern geben. Miho hatte mit ihren Worten, dass die Zurückgelassenen nur noch hier waren, um die überlebenden einzusammeln, möglicherweise Recht gehabt. Wer auch immer die da oben waren, sie machten sich nicht selbst die Finger schmutzig. „Ich weiß“, brachte ich schließlich hervor, nachdem niemand etwas gesagt hatte. Meine Worte waren nichtssagend und brachten dem Mädchen nichts. Doch wir waren alle gleichermaßen hilflos. „Miho, es tut mir wirklich leid, dass ich es nicht verhindern konnte.“ Nicht nur hatte ich sie nicht beschützen können, auch konnte ich ihr nun nicht helfen. Es fühlte sich furchtbar an, derart machtlos zu sein und nur zuschauen zu können. „Es ist nicht deine Schuld“, widersprach das Mädchen. „Es war klar, dass es so enden würde. Niemand wird diesem Schicksal entkommen. Sie werden uns alle holen.“ Sie schien nicht nur sich, sondern die gesamte Menschheit aufgegeben zu haben. Ihre Worte ließen meine Hoffnungslosigkeit nur noch stärker werden. „Miho.“ Bakura neben mir stand auf einmal auf. „Wir wollen dir nicht weh tun.“ Er wirkte beunruhigt. Ich war froh, dass zumindest einer einen klaren Kopf zu behalten schien. Auch Miho stand auf. Ihre Augen waren gerötete, doch zumindest hatte sie aufgehört zu weinen. „Ich euch auch nicht. Ich werde gehn, bevor was passiert.“ Trotz ihrer Worte war ihr Blick voller Angst. Für einen kurzen Moment glaubte ich einen Hauch von Wahnsinn darin zu erkennen. Bakura ging zur Tür, so dass auch ich aufstand. War es nun also so weit? Ich wusste nicht, ob das was wir taten richtig war und ich wollte erst recht nicht wissen, wie sich Miho dabei fühlte. Am liebsten hätte ich Augen und Ohren verschlossen und gar nichts mehr mitbekommen. Stattdessen folgte ich den beiden zu unserer Barrikade. Nachdem wir einige Blicke ausgetauscht hatten begannen wir möglichst leise die Tür freizuräumen. Noch immer wussten wir nicht, was sich dahinter befand. Wenn sie dort still auf uns lauerten, dann würde diese Aktion möglicherweise unser Ende sein. Doch was blieb uns anderes übrig? Würde Miho sich verändern, dann wären wir hier drinnen genauso gefährdet. Bakura öffnete die Tür schließlich einen Spalt, um einen Blick nach draußen zu werfen. Dann schloss er sie wieder. Fragend schauten wir ihn an. „Ich seh niemand. Sie haben alles zerstört, aber anscheinend sind sie jetzt weg“, teilte er uns flüsternd mit. „Vielleicht weil sie wissen, dass Miho...“ Ich beendete meinen Satz nicht, als ich zu dem Mädchen schaute. „Gut möglich“, war alles, was Bakura dazu sagte. „Miho, bleib in der Nähe. Wenn wir uns irren, falls dir doch nichts passiert, dann -“ „Nein“, unterbrach sie mich energisch. „Ich weiß wie Anzu war. Sie hat mich glauben lassen, dass sie sie war. Beinah hätte ich ihr geglaubt und nachgegeben. Ich werde mit Sicherheit versuchen, zu euch zu kommen.“ „Sie hat doch irgendwann aufgegeben, oder?“ Bakura wandte sich mit ruhiger Stimme an sie. „Wenn du nach einer Weile immer noch da bist, dann wissen wir Bescheid. Außerdem können wir einfach die Nacht abwarten. Sie gehen alle raus.“ Damit hatte der Junge natürlich Recht. Ich nickte zustimmend, während Miho nicht überzeugt wirkte. Es war offensichtlich, dass sie keine Hoffnung mehr hatte. Umso grausamer kam es mir vor, als wir sie im nächsten Augenblick vor die Tür setzten. Ich hatte sie umarmen wollen, ihr etwas Kraft mitgeben wollen, doch Bakura hatte mich aufgehalten. Kaum war die Tür wieder zu, schob er die Sportgeräte davor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)