Ippo ni Yoko von MAC01 (Seto x Jou) ================================================================================ Kapitel 262: Einen Schritt der Dreistigkeit ------------------------------------------- Früher hab ich jeden Augenblick zu nutzen gewusst. So etwas wie Untätigkeit gab es in meiner Welt nicht. War ich nicht in der Schule, war ich in der Firma. Oft bis weit in die Nacht. Viel Schlaf hab ich nicht bekommen, dafür war mein Schlaf geprägt von Erschöpfung und Traumlosigkeit. Heute sitz ich in meinem Büro. In meinem Büro in diesem neuen Haus. Das Haus, welches so unbekannt und doch wohlvertraut ist. Ich sitze also in meinem Büro. An meinem Schreibtisch. Vor meinem Laptop. Und starre auf ein Grafikprogramm das nichts anzeigt. Eigentlich wollte ich an einem alten Entwurf arbeiten, aber ... keine Motivation. Katsuya ist bei seinem Vater und Mokuba gerade mit Akito spazieren. Ich bin nicht alleine in dem Haus, das ist mir bewusst. Das Hausmädchen und unsere langjährige Köchin sind noch da. Und dennoch fühl ich mich unwohl. Hier. In meinem Büro. Seit Kogoro mich überfallen hat find ich keine Ruhe mehr. Völlig verrückt, immerhin ist es nicht mal das gleiche Büro. Schon gar nicht das gleiche Haus. Dennoch kann ich das Gefühl nicht abschütteln. Das Gefühl von Verwundbarkeit und Hilflosigkeit. Wir haben Monate lang Selbstverteidigung geübt und dann ... im entscheidenden Moment ... wurde ich trotzdem überwältig. Von einem Mann im späten, mittleren Alter. Frustriert klappe ich den Laptop zu, steh auf und verlasse das Zimmer. Ich gehe den Flur zur Treppe, steige hinauf und ziehe mich in unser Schlafzimmer zurück. Hier ... hier fühl ich mich wohl. Vor allem, wenn ich mich - wie jetzt - in unser Bett lege und der Geruch von Katsuya noch an seinem Kissen haftet. Katsuya ... wie hab ich nur je ohne ihn leben können? Mir wird plötzlich bewusst, dass meine Augen geschlossen sind. Als ich sie wieder öffne, fallen sie auf die kleine Kommode. Katsuyas Klamotten hängen im Ankleideschrank, aber er bewahrt ein paar persönliche Dinge in diesem Möbelstück auf. Darunter auch ein Fotoalbum. Ich hab es gesehen, wie er es damals noch in der Villa in einem ähnlichen Möbel verstaut hat und am Tag des Umzugs dort rausgeholt und hier wieder sorgfältig eingelagert hat. Ich stehe auf und öffne die Schublade. Es befindet sich nicht sehr viel in ihr. Ein Ordner mit alten Zeugnissen, ein paar gerahmte Bilder von Shizuka, Katsuyas Mutter und eines, auf dem sie alle vier zu sehen sind, wie sie für die Kamera posieren. Darunter kommt das Fotoalbum zum Vorschein, welches mit der Vorderseite nach unten in der Schublade liegt. Vorsichtig heb ich es heraus und dreh es um. Dass das gerade falsch ist, was ich mache, kommt mir nicht in den Sinn. Katsuya hat keine Geheimnisse vor mir. Auf dem Albumdeckel steht in goldenen Kanji das Wort Familie. Als ich es aufschlage präsentiert sich zunächst ein Hochzeitsbild von Katsuyas Eltern. Sie sind traditionell gekleidet und lächeln einander verliebt an. Sie wirken auf mich ... glücklich. Auf den nächsten Seiten sind Babyfotos von Katsuya. Als Kleinkind. Bei Ausflügen. Bei Familienfeiern. Bei diesen sind viele Personen abgelichtet. Eine Frau hat gewisse Ähnlichkeiten mit Katsuyas Vater. Ob das dessen Schwester ist? Neben den beiden steht ein älterer Mann. Katsuyas erster Geburtstag. Zweiter. Dritter. Vierter. Shizuka als Baby. Immer wieder tauchen Bilder von den gleichen Personen auf, genauso wie von Katsuya, wie er in einem Restaurant an einem hinteren Tisch sitzt und in die Kamera lächelt. Oft sitzt ein älterer Mann bei ihm. Dann kommen Bilder von meinem Streuner in so einer Grundschuluniform. Erst strahlt er noch in die Kamera, doch je weiter ich blättere, desto trauriger werden seine Augen. Schließlich komm ich zu einem Bild, auf dem der Alte im Mittelpunkt steht. Vor ihm steht eine Torte mit Kerzen. Er hat einen sechs- oder siebenjährigen Katsuya auf dem Schoss, der nicht wirklich glücklich wirkt, während der Alte sich nach vorne beugt, um die Kerzen auszublasen. Wieder stehen die gleichen Menschen, wie bei allen anderen Feiern, drum herum. Das ist das letzte Bild in dem Album. Die restlichen Seiten sind leer. Dabei wären noch reichlich frei. Mir wird klar, dass das Album wohl nach der Tat von Katsuyas Vater nicht mehr fortgeführt wurde. Vorsichtig löse ich das Foto von der Seite. Ein Leichtes, denn es wird nur von Fotoecken gehalten. Ich schlage das Album zu und lege es genauso zurück, wie ich es gefunden habe. Dann verteile ich die Sachen darauf, die ich vorher runter gehoben habe. Dabei fallen mir die Bilder von Shizuka und Katsuyas Mutter auf. Warum hat er diese nicht ins Album geklebt? Ich stecke das Bild ein und verlasse das gemeinsame Schlafzimmer wieder. Es gibt Fragen, die ich gerne Katsuyas Tante stellen möchte. Doch als ich unten an der Haustür ankomme stocke ich. Es ist eine Sache, wenn ich in Begleitung meines Streuners das Haus verlasse. Oder mit Mokuba. Aber alleine ... es ist schon ewig her, dass ich alleine unterwegs war und damals stand ich nicht so präsent im Fokus der Öffentlichkeit. Ist es da ratsam alleine durch die Stadt zu laufen? Also zück ich mein Handy und schreibe eine Nachricht. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht abgewiesen werde. Die Minuten, bis ich eine Antwort erhalte, dehnen sich und kommen mir wie Stunden vor. Doch dann signalisiert mein Smartphone den Eingang einer Textnachricht. Als ich sie lese lächle ich erleichtert und schlüpfe in meine Schuhe und zieh mir eine Jacke über. Es ist zwar recht Warm draußen, aber irgendwie würde ich mir ohne Jacke komisch vorkommen. Nach ein paar Minuten hör ich ein Auto die Auffahrt raufkommen und verlasse das Haus. Ich bin schon ein wenig aufgeregt, doch ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. Immerhin ... bin ich Kaiba Seto. Ich weiß, wie man selbstsicher wirken kann, auch wenn man sich gar nicht so fühlt. . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)