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Umwege einer Beziehung

von

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Die Vertretung

Mittwoch, 22.11.

Der Schweiß rann ihm über die Stirn, die Schläfen und dann zum Kinn, wo er ins Trikot sickerte. Mit einer schnellen Handbewegung wischte er ihn weg und der Blick fixierte Kageyama, der auf der anderen Spielfeldseite mit dem Aufschlag dran war. Es gelang ihm ein perfekter Sprungaufschlag, doch von ihm war das nicht anders zu erwarten gewesen.

Iwaizumi stand neben dem Spielfeld und beobachtete das Geschehen – insbesondere seinen schwitzenden Freund – misstrauisch. Mittlerweile trainierten Oikawa, Kageyama, Hinata, Bokuto, Kuro und Tsukishima fast neun Stunden. Das offizielle Training war schon lange vorbei, doch nach jedem Satz wurde eine Revanche der Verlierer gefordert. Sobald dieses Spiel vorbei war, würde er Toru vom Feld schleifen. Ob er wollte oder nicht. Das war Hajime egal. Sein Ehrgeiz, seit er das Angebot bekommen hatte, war so ungesund wie nie zuvor. Nie hätte Iwa gedacht, dass man die Welt um sich herum so ausblenden konnte. Seit Tagen stritten sie nach jedem Training, da Oikawa einfach nicht aufhören wollte. Er hatte jegliches Maß verloren. Es zehrte an seiner Substanz, dass sein Freund nicht mehr aus diesem Tunnel herauskam. Inzwischen glaubte Hajime, dass es schon mehr eine Trotzreaktion auf ihre Streitereien war. Irgendwie entglitt ihm Toru immer mehr und das Ass wusste nicht, wie er wieder zu ihm durchdringen konnte. Es war ja nicht so, dass er ihm etwas Böses wollte. Es war das genaue Gegenteil. Iwaizumi sorgte sich um den Setter, wollte, dass er regelmäßig Pausen nahm, damit sein Körper sich erholen konnte. Die Muskeln brauchten die Ruhe, um sich regenerieren zu können.

Ihr letztes Date war außerdem bestimmt schon sechs Wochen her. So genau konnte er das gerade gar nicht sagen. Vielleicht waren es auch fünf oder sieben.

„Sie werden sich kaputtmachen … Alle Fünf“, murmelte Akaashi neben ihm traurig und umfasste mit einer Hand einen Ellbogen. Offenbar nahm ihn das genauso mit wie ihn selbst.

„Ja …“, stimmte Iwa leise zu und war sich nicht einmal sicher, ob der Setter neben ihm das gehört hatte, da die andern auf dem Spielfeld ihre Befehle riefen. Wie konnten sie diese Dynamik nur durchbrechen? Und wie sollte ihre Beziehung das noch länger schaffen? Langsam gingen ihm die Ideen aus, wie er Oikawa davon überzeugen konnte, kürzer zu treten.

Schwer seufzend strich sich das Ass über das Gesicht. Wie konnte er seinem Freund klar machen, dass das hier ihm keine Vorteile brachte? Dass er seinen Körper überanstrengte? Das Ass wusste es nicht. Und was noch schlimmer war: Ihm fehlte allmählich die Energie, um das noch weiter mitmachen zu können. Er wollte nicht dabei zusehen, wie sein Partner sich Stück für Stück kaputt machte. Das würde er nicht verkraften können.

In seinen Grübeleien gefangen, hatte er noch immer die Hand auf seinem Gesicht liegen und die Augen geschlossen, als ein markerschütternder Schmerzensschrei durch die Halle schallte. Erschrocken zuckte das Ass zusammen, starrte kurz auf das Spielfeld und rannte sofort zu Oikawa, der sich vor Schmerzen krümmend auf dem Boden lag und sich den Oberschenkel hielt. Mit wild klopfendem Herzen kniete er sich neben ihn und sah, wie er sich auf die Unterlippe biss und Tränen in den Augen hatte.

„Toru!“
 

Panisch schreckte Iwaizumi aus dem Schlaf, die Hand zur Decke ausgestreckt, als wollte er nach dem Traum greifen, um dem Setter noch helfen zu können. Shit. Was war das denn gewesen? Dieser Traum … Er hatte sich so real angefühlt und er glaubte noch den Schrei in seinem Ohr zu hören. Leicht zitternd griff er in das Bettlaken neben sich, doch wie erwartet war es leer. Toru saß bereits in einer Vorlesung, während seine erste ausgefallen war. Irgendwie war er ganz froh darum, denn er wollte nicht, dass Oikawa ihn so fertig sah. Dann müsste er begründen, warum und das würde sicherlich in einer Diskussion enden. Nein, das Thema würde bestimmt sowieso noch mal auf den Tisch kommen und einmal streiten reichte ihm. Dennoch machte er sich Gedanken darum, wie es gar nicht erst so weit kommen konnte. Denn ob ihm das gefiel oder nicht – und das tat es definitiv nicht – so unrealistisch war das Szenario keineswegs. Wenn er ehrlich zu sich war, war es viel zu wahrscheinlich, dass sie früher oder später an diesen Punkt kamen. Dreck, das wollte das Ass nicht. Weder dass sie sich tagelang stritten, noch dass sich Toru bei einem Training verletzte.

Langsam setzte sich Iwa auf, strich sich durch die verschwitzten Haare. Wie sollte er seinen Freund darauf ansprechen?

Seufzend dachte er daran zurück, wie sie vor ein paar Monaten wegen des Themas schon einmal einen großen Streit gehabt hatten. Um Oikawa zu verdeutlichen, wie sehr ihn das getroffen hatte, hatten sie eine Woche praktisch nicht miteinander gesprochen. Und wieder zusammengefunden hatten sie, weil sich der Setter verletzt hatte … Nein, sie mussten das ohne Verletzung klären. Außerdem hatte Toru ihm am Freitag versprochen, nicht zu übertreiben. Das war zwar lieb von ihm, aber so wie er ihn kannte, schnell vergessen, wenn sein Ehrgeiz erst einmal geweckt war.

Verdammt, das Grübeln brachte ihn jetzt auch nicht weiter. Gleich musste auch er zur Uni, also sollte er sich endlich mal aus dem Bett bewegen.

Mit schlechter Laune trottete Iwaizumi ins Bad, duschte kalt und machte sich für den Tag bereit.
 

„Oikawa!“, rief Bokuto, während er zum Netz rannte und der Setter spielte ihm einen perfekten Ball zu, den die Eule mühelos in einen Punkt verwandelte. Sie klatschten sich grinsend ab und das Spiel wurde fortgesetzt.

Mit verschränkten Armen hatte sich Iwaizumi vor die Trainerbank gestellt und beobachtete die Szenerie misstrauisch. Es war wie in seinem Traum letzte Nacht, nur dass sich Toru und er nicht stritten und das Training noch keine neun Stunden dauerte.

„Kann man dir helfen?“, erkundigte sich Akaashi mit gedämpfter Stimme neben ihm. Als sich Iwa zu ihm umdrehte, schaute er ihm direkt in die Augen, die ihn zwar aufmerksam musterten, aber gleichzeitig eine angenehme Ruhe ausstrahlten. Kein Wunder, dass die Eule seit Beginn der Beziehung ruhiger geworden war.

„Nein, wieso?“

„Das ganze Training schon siehst du so schlecht gelaunt aus. Wenn du drüber reden möchtest, sag Bescheid.“

Iwaizumi seufzte leicht genervt. „Ich frage mich nur, warum wir schon vor dem offiziellen Training anfangen müssen. Es ist ja nicht so, als hätten wir wegen der Meisterschaft nicht schon sechs Mal die Woche drei Stunden Training und meistens überziehen wir selbst da. Und letztes Wochenende hatten wir schließlich nur frei, weil wir das Achtelfinale gewonnen hatten. Das reicht doch, oder sehe ich das falsch?“

Das Ass wandte den Kopf wieder zum Spiel, wollte den prüfenden Blick der jungen Eule nicht länger sehen. Er kam sich dann immer so durchschaut vor und das war das letzte, was er in dieser Situation wollte.

„Naja, Fünf von Sechs, die gerade spielen, wollen das in Zukunft professionell tun und da werden sie in den Vereinen wahrscheinlich noch mehr trainieren. Da schadet es doch nicht, den Körper jetzt schon an das Pensum zu gewöhnen, oder nicht?“, fragte der Setter vorsichtig, was Iwaizumi aber nur ein abfälliges Schnauben entlockte. „In den Vereinen werden sie aber auch von einem professionellen Trainerstab betreut.“

„Iwaizumi, was –?“

Weiter kam Akaashi nicht, denn die Hallentür wurde geräuschvoll aufgerissen. Reflexartig schauten alle hin, sodass der Ball zu Boden fiel und wegkullerte, was sich ungewöhnlich laut anhörte. Im besten Stechschritt kam ein älterer Herr herein. Er trug einen Trainingsanzug, unter dem ein sportlicher Körper zu sein schien. Die dunkelbraunen Augen wirkten in der Entfernung mehr schwarz, die Gesichtszüge waren angespannt und hart. Wer war der Mann?

„Hallo Team! Antreten!“, bellte er mit donnernder Stimme, was durch den Hall noch autoritärer und aggressiver klang. Sie tauschten untereinander Blicke aus und trabten dann unruhig zu ihm. Komi, Inouka und Yamaguchi betraten gerade die Halle – waren nicht schon seit über einer Stunde da – und sahen so verwirrt aus, wie das Ass sich fühlte. Eins jedoch war ihm klar. Der Mann war ihm durch und durch unsympathisch.
 

So richtig traute sich niemand, den Mann anzusprechen, während dieser das Klemmbrett vor den Oberkörper hielt und aus einer Hosentasche einen Kugelschreiber hervorholte. Die Stimmung war hochgradig angespannt.

„Akaashi?“ „Anwesend!“ „Bokuto?“ „Anwesend!“ „Hanamaki?“ „Bin da!“ Einen kurzen Moment fixierte er den Rosahaarigen, dann fuhr er unbeirrt fort. Der Typ musste bei dem Auftreten auf jeden Fall mal beim Militär gewesen sein, schoss es Hajime durch den Kopf und seufzte innerlich. Das waren ja großartige Aussichten.

Als er mit der Liste fertig war, musterte der Trainer jeden eindringlich, durchbohrte sie förmlich mit seinen dunklen Augen und die Stimmung war zum Reißen angespannt. Was sollte das hier werden? Warum war er hier?

In einem befehlshaberischen und herrischen Ton bekamen sie die Antworten auf ihre ungestellten Fragen: „Mein Name ist Takahashi und ich werde euch bis Jahresende trainieren. Euer jetziger Trainer hat sich heute Morgen verletzt und die Universität bat mich, die Vertretung zu übernehmen. Deswegen bin ich hier.“

„Waaas? Der Trainer hat sich verletzt? Wie geht es ihm denn?“, wollte Hinata besorgt wissen, doch der alte Mann winkte ab. „Sehe ich aus wie die Auskunft? Seht lieber zu, dass das komplette Team in zehn Minuten aufgewärmt und gedehnt ist!“

Erschrocken, dass er so angefahren worden war, zuckte Hinata zusammen und Iwaizumi sah, dass Kageyama sich einmischen wollte. An seiner Stelle würde er das auch sofort tun, doch Akaashi legte der ehem. Krähe eine Hand auf die Schulter und schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Seid ihr taub oder was? Lauft!“, herrschte er sie an und die Gruppe setzte sich geschlossen in Bewegung.

„Alter! Was geht denn mit dem?“, brummte Bokuto vor ihm und Kuro neben ihm seufzte. „Ich habe keine Ahnung, Bro!“

„Der soll es wagen, mich einmal anzublaffen“, knurrte Iwa genervt und sah im Augenwinkel, wie Toru zu ihm aufschloss. Seine Miene konnte das Ass gerade nicht richtig deuten, was ihn unbehaglich fühlen ließ.

„Toru?“, sprach er ihn mit leiser Stimme an, weil er nicht wollte, dass die anderen das mitbekamen.

„Alles gut, Iwa-chan!“

Liebevoll wurde er angelächelt, jedoch glaubte Iwaizumi ihm kein Wort. Dafür kannte er den Setter zu lange und zu gut. Nach außen mochte er sich nun so geben, um keine Schwäche zuzugeben, doch in seinem Inneren war Oikawa ein sehr sensibler und empfindsamer Mensch, der sich Worte von anderen sehr zu Herzen nahm. Außerdem war sich das Ass noch nicht sicher, ob das Lächeln echt war oder nicht. Fiel es ihm so schwer, das zu deuten, weil sie jetzt ein Paar waren? Oder weil er es schon länger nicht mehr gezeigt hatte? Es war zum Haare raufen!

„Lüg mich nicht an, Oikawa“, forderte er und klang pissiger als beabsichtigt.

„Ich werde mich von dem nicht unterbuttern lassen. Immerhin habe ich Freitag die Bestätigung gekommen, dass ich außerordentlich gut bin. Außerdem würdest du doch im Notfall hinter mir stehen, oder nicht?“

Nein, das würde er nicht. Das Ass würde sich vor ihn stellen, ihn beschützen und den Ärger von seinem Freund fernhalten. Um es ihn Akaashis Worten auszudrücken, als sie sich kennengelernt hatten: Er war Schild und Schwert des großen Königs. Doch das sagte er nicht, er tat sich noch immer schwer, so kitschige Dinge zu äußern – erst recht, wenn sie in der Öffentlichkeit waren. Bei ihren Familien oder Makki und Mattsun war das noch was anderes, aber hier? Wo auch noch dieser komische Trainer da war? Irgendwie kam er sich gerade schon dämlich genug vor, diese Gedanken überhaupt zu haben. Egal jetzt.

„Natürlich! Trotzdem dürften die Wochen besonders anstrengend werden, wenn der sich die ganze Zeit so aufführt.“

„Ja, leicht wird es nicht. Aber Iwa?“

Kurz irritiert, weil Oikawa nicht wie sonst Iwa-chan zu ihm sagte, schaute er zu seinem Freund rüber, der ihn argwöhnisch taxierte.

„Ich merke schon den ganzen Tag, dass du nicht gut drauf bist und ich wollte dich erst zu Hause darauf ansprechen, aber eins sage ich dir jetzt schon: Unterstelle mir nie wieder, dass ich dich anlüge. Egal, welche Laune du hast.“

Unbewusst zuckte Iwa leicht zusammen. In diesem Moment war der Setter ganz der König des Spielfelds: Selbstbewusst und absolut sicher in seinem Auftreten.

Und er hatte recht. Voreilig – wie vor ihrer Beziehung – hatte er ihn der Lüge bezichtigt, doch im Gegensatz zu damals, wo er ihm zusätzlich noch meist einen Ball an den Kopf geworfen hatte, steckte Toru das nicht mehr kommentarlos weg. Das war auch gut so, denn dann hatte er dazu gelernt. Nach all der Zeit, wo er so viele Dinge in sich hineingefressen hatte, sollte er nun offen und ehrlich mit ihm reden.

„Entschuldige, das war wirklich nicht fair von mir. Ich werde in Zukunft darauf achten“, versprach Hajime, während die anderen stehen blieben. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass sie ihre Runden fertig gelaufen hatten und als sie sich im Kreis aufstellten, lächelte Toru ihn liebevoll an. In dem Blick war so viel Zuneigung, dass sich sein Herzschlag automatisch beschleunigte. Am liebsten hätte das Ass ihn umarmt und geküsst, doch erstens tat er das in der Öffentlichkeit noch immer nicht so oft und zum anderen traute er dem Trainer nicht. Also erwiderte Iwaizumi den Blick mit hoffentlich genauso viel Liebe, wobei er spürte, dass sich sofort seine Wangen erwärmten. Kurz war er knallrot, da war er sich sicher. Das Grinsen von Hayato und Kuro sprach Bände. Doch zum Glück erhob Komi das Wort, um mit den Dehnübungen zu beginnen.



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