Amigo del alma von Vampyrsoul (Boston Boys 5) ================================================================================ Kapitel 14: El atentado ----------------------- Ich beobachtete die Kollegin von der Spurensicherung, wie sie eine Jacke vom Boden aufhob und sie durchsuchte. Obwohl das Team mit den Spürhunden bereits durch war, war die Anspannung noch nicht gewichen. Bei jedem Gegenstand, den die Kollegen aufhoben oder bewegten, beschlich mich das mulmige Gefühl, dass gleich erneut etwas geschehen würde. Doch bisher war es ruhig. Gespenstisch ruhig. Sie fand ein Handy in der Jacke, welches sie eintütete und mir reichte, während die Jacke in einen großen Sack zu den weiteren Hinterlassenschaften wanderte. Danach notierte ich die Nummer des Führerscheins, den sie ebenfalls gefunden hatte, in der Liste. Dazu kam die Beweisnummer für das Handy und die Nummer des Sackes. Wenigstens eine Person würde einen Teil ihres Hab und Gutes wiedererhalten. Das Handy jedoch erst, wenn alle Daten darauf gesichtet waren. Da dies auf Anweisung des FBI möglichst schnell geschehen sollte, übergab ich die Liste in die Obhut der Kollegin und machte mich gleich auf den Weg, es abzugeben. Ich war noch nicht weit gekommen, da fiel mir eine Person auf, die nicht dorthin gehörte. Eilig ging ich auf den Mann in Laufkleidung zu und konnte ihn noch vor der Absperrung abfangen. »Halt! Stopp! Sie haben hier keinen Zutritt! Bitte bleiben sie zurück.« »Sind Sie denn völlig wahnsinnig? Sie können doch nicht einfach die Strecke absperren! Lassen Sie mich durch«, antwortete er in verwaschenem Tonfall und versuchte, unter der Absperrung hindurchzukommen. Ich stellte mich ihm in den Weg. »Sir, der Bereich ist nicht sicher. Bitte treten Sie zurück.« Einen Moment sah er mich wütend an, dann blinzelte er und schien vollkommen orientierungslos. Seufzend griff ich nach seinem Arm. »Kommen Sie, ich bringe Sie zur Sammelstation.« Er nickte und folgte mir wie ein frommes Lämmchen. Seine fahle Haut hätte für mich gleich Hinweis sein sollen, dass er unter Schock stand. Er gehörte zur medizinischen Sammelstelle, dort würde man sich um ihn kümmern. Diese lag jedoch am anderen Ende der Absperrung und ich hatte keine Zeit, ihn durch die Seitenstraßen außerhalb des abgesperrten Gebietes zu führen. Ich musste so schnell wie möglich zurück auf meinen Posten. Auf dem Weg fragte ich ihn nach seinen Personalien. Es war egal, sie würden sowieso gleich noch einmal erfragt und aufgeschrieben werden, aber ich hoffe, ihn damit von den Trümmern ablenken zu können. Zum Glück waren die meisten Verletzten bereits abtransportiert oder zumindest an der Sammelstelle. Die Flecken auf der Straße sprachen dafür, dass es kein förderlicher Anblick gewesen wäre. Doch auch ich wollte so schnell wie möglich daran vorbei. Ich spürte, dass die Bilder, die sich mir boten, Erinnerungen an meine Zeit in Somalia an die Oberfläche spülen wollten. Zumindest die Narbe auf meiner Brust schien sich spontan wieder zu erinnern und brannte höllisch. Dafür hatte ich jedoch keine Zeit und Nerven! Das musste warten, bis alles erledigt war. An der Sammelstelle übergab ich den Mann an einen Sanitäter, der an der Startnummer, die noch immer auf der Brust des Läufers hing, sofort erkannte, dass dieser bereits dort gewesen war. Offenbar war er in seiner Verwirrung wieder abgehauen. »Passt auf, dass er nicht wieder einfach stiften geht«, mahnte ich mit leichtem Witz in der Stimme. Ich meinte es ernst, aber ich verstand auch, dass sie nicht auf jeden ein Auge haben konnten. Der junge Sanitäter lächelte kurz und nickte. Er sah genauso abgearbeitet aus, wie die meisten von uns, hielt sich jedoch tapfer. Das war ein Tag, den er nie vergessen würde. So wieder jeder andere von uns. Der Läufer wurde zu den anderen Leichtverletzten geführt. Dort kümmerten sich nur einige wenige Sanitäter. Die meisten waren noch immer mit jenen beschäftigt, die größere Verletzungen davongetragen hatten und darauf warteten, abtransportiert zu werden. Im Moment war lediglich ein Fahrzeug zu sehen, welches offenbar für kurzfristige Notfälle freigehalten wurde. Eine Frau, die wie alle Helfer eine gelbe Weste trug – in ihrem Fall mit der Aufschrift ›Ambulance‹ – kam auf mich zu, lächelte und drückte mir eine Wasserflasche in die Hand. »Denken Sie auch an sich.« »Danke.« Ich nahm die Flasche mit einem freundlichen Lächeln entgegen und nahm einen Schluck, bevor ich meinen Weg fortsetzte. Ich hatte nicht viel Durst, aber ich schätzte die gutgemeinte Geste.   Nachdem ich das Handy bei den zuständigen Kollegen abgegeben hatte, wollte ich zurück zu meinem Posten. Als ich dabei erneut an der medizinischen Sammelstelle vorbeikam, fiel mir jedoch jemand auf, der etwas davon entfernt mit dem Rücken an der Wand eines Gebäudes lehnte. Hätte die Person nicht ebenfalls eine quietschgelbe Weste getragen und sich die Seele aus dem Leib gehustet, hätte ich sie wohl ignoriert. Doch nun zögerte ich und sah mich um. Gab es denn niemand anderen, der sich um ihn kümmern konnte? Ich musste arbeiten! Meine Suche ergab lediglich, dass alle Rettungskräfte mit den Verletzten beschäftigt waren und sich, außer mir, niemand für ihn interessierte. Fuck! Na, wenigstens sah mich dann auch niemand mit ihm. Einen Schritt von ihm entfernt blieb ich stehen und hielt ihm meine Wasserflasche entgegen. »Hier, trink!« Verwundert sah der Punk auf. Er hatte eindeutig nicht damit gerechnet, dass ihn jemand ansprach – schon gar nicht ich. Als er sich gefasst hatte, war ihm anzusehen, dass er haderte. Ich konnte genau sehen, wie er mit sich rang, das Gesicht verzog. Er wollte keine Hilfe. Zumindest nicht von mir. Normalerweise hätte ich ihm diese auch nicht aufgedrängt, doch neben dem Husten, der nun wieder einsetzte, sah er auch unglaublich fahl und erschöpft aus. Wenn ich die richtigen Schlüsse aus der Aufschrift ›Ambulance‹ zog, war er nicht als Zuschauer unterwegs gewesen. Offenbar war ihm das alles zu viel. »Verdammt, jetzt zick nicht rum! Du bist vollkommen erledigt. Setz dich hin und trink was!« Ich packte ihn an der Schulter, um ihn auf den Boden zu drücken. Mit einer unwirschen Bewegung machte er sich frei und riss mir die Flasche aus der Hand. »Jetzt gib schon her!« Auch wenn er sich nicht setzte, trank er zumindest einen großen Schluck. Mit bockigem Blick sah er mich an und hielt sie mir wieder hin. »Zufrieden?« Ich lehnte mit einer Handbewegung ab. »Behalt sie. Was tust du hier? Ich dachte, du arbeitest nicht mehr?« »Bei Großveranstaltungen helf ich noch aus. Wie du siehst, können wir im Notfall jeden brauchen.« Er stieß sich kurz von der Wand ab, fiel dann jedoch wieder zurück und hielt sich den Kopf. Nachdem er losgelassen hatte, zog er Zigaretten aus seiner Tasche und zündete sich eine an. Ich musste eigentlich wieder an die Arbeit, doch er sah aus, als könnte er jeden Moment zusammenbrechen. Kein guter Zeitpunkt, ihn allein zu lassen. Er war ein Arschloch, aber allein in einer Ecke zusammenzubrechen, hatte er nicht verdient. Daher gab ich über Funk Bescheid, dass ich eine Pause brauchte, und leistete ihm Gesellschaft. Schweigend standen wir nebeneinander und beobachteten die Rettungskräfte bei ihrer Arbeit. Immer wieder sah ich ihn kurz an, genau wie er mich. Für ihn schien die Situation genauso merkwürdig wie für mich, was nur zum Teil an der Umgebung lag. Immerhin hatten wir, seitdem ich ihn eine Gummipuppe genannt hatte, nur noch miteinander geredet, wenn wir zufällig wegen Chico aufeinandertrafen. »Ich mach mich dann wieder an die Arbeit.« Nach der Zigarette sah er schon besser aus, jedoch noch nicht wieder richtig fit. »Nichts da! Du bist fertig für heute. Geh dich saubermachen und fahr nach Hause.« »Du hast mir gar nichts zu sagen!« Er schob mich zur Seite. »Außerdem hab ich noch zu tun.« »Du hilfst niemanden, wenn du selbst gleich zusammenbrichst!« Ich packte seinen Arm und hielt ihn fest. Schmerzerfüllt schrie er auf, obwohl ich nicht einmal stark zugepackt hatte. Ich trat einen Schritt näher und sah mir die Stelle, die ich bisher für den Blutfleck eines Patienten gehalten hatte, genauer an und fluchte dann. »¡Mierda! Warum rennst du damit rum, statt es untersuchen zu lassen?« »Ist nichts weiter, nur verstaucht.« Er sah nicht wirklich hin, sondern versuchte, sich zu befreien. »Verstaucht?! Willst du mich verarschen? Das muss verbunden werden.« Nun sah er doch seinen Arm hinab und fluchte ebenfalls. Er riss die Weste auf und zog sich den Pullover über den Kopf. Scheinbar hatte sich der Pullover mit dem Blut vollgesogen, denn nun sah es nicht mehr so schlimm aus wie vorher. Dennoch war die Wunde gut zu sehen. Er knurrte leise und stampfte los. Während er von einer seiner Kolleginnen verbunden wurde, wartete ich auf ihn. Zum Glück steckte nichts in der Wunde und sie war auch nicht tief. Kein Wunder, dass er so fertig war, wenn er im Gegensatz zu mir in der Nähe der Explosion gestanden und vermutlich alles hautnah miterlebt hatte. Sobald er versorgt war, trat ich wieder auf ihn zu. »Fahr nach Hause! Schnapp dir Chico und geh noch eine kleine Runde mit ihm raus und dann bleib im Haus! Leg dich von mir aus mit ihm auf die Couch. Aber um Gottes willen, verschwinde von hier! Du kannst hier niemandem mehr helfen.« Er schnaufte wütend. »Wie willst du das wissen, was ich kann? Außerdem: Wie soll ich nach Hause kommen? Soll ich etwa laufen? Wie du wissen solltest, wurde sicherheitshalber der Bahnverkehr eingestellt.« Ich suchte in der Hosentasche nach meinem Autoschlüssel und drückte ihm den in die Hand. »Ich bring dich zum Auto, dann fährst du nach Hause.« »Und wie kommst du nach Hause? Hast du wieder vor, jemanden in der Bahn zu stalken?« »Ich lass mich von einem Kollegen mitnehmen. Aber hier kannst du nichts mehr ausrichten. Es sind alle erstversorgt und mit der Wunde solltest du dich lieber ausruhen.« Ich griff nach seiner Hand und legte den Schlüssel hinein. Hoffentlich fuhr er mein Auto nicht zu Schrott. »Sei wenigstens ein Mal vernünftig!« Sein Blick durchbohrte mich, dann legten sich seine Finger mit einem Nicken um den Schlüssel. Seine überraschend freundlichen Worte ließen mich verwundert zurück: »Danke. Wir sehen uns später. Pass auf dich auf.«   Als ich nach Hause kam, stellte ich fest, dass der Punk mich sehr wörtlich genommen hatte. Mit Chico im Arm schlief er in meinem Wohnzimmer auf der Couch. Unwillkürlich schmunzelte ich bei dem Anblick. Vermutlich hätte ich den Hund runterscheuchen sollen, der mich mit treudoofen Augen ansah, als ich das Zimmer betrat. Er wusste genau, dass er nichts auf der Couch verloren hatte. Doch dazu fehlte mir die Kraft. Nach achtzehn Stunden Arbeit wollte ich einfach nur noch ins Bett. Immerhin blieben mir nicht einmal mehr sechs Stunden, bis ich erneut zum Dienst antreten musste. Daher war es mir auch herzlich egal, ob Mat und Chico eine Runde gedreht hatten. Wenn mir der Hund in die Wohnung pisste, dann war es eben so. Im Moment gab es Wichtigeres. Dazu gehörte auch, dass ich am nächsten Morgen halbwegs fit war. Um alles Andere konnte ich mich kümmern, wenn die Scheißkerle, die für das alles verantwortlich waren, geschnappt waren. Aus dem Schlafzimmer holte ich eine Decke und breitete sie über Mat aus, ohne ihn zu wecken. Sollte er doch auf der Couch schlafen, er musste sich morgen eh um Chico kümmern und mich störte er dort nicht. Vermutlich würde er Chicos Nähe heute Nacht brauchen. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie die Bilder auf jemanden wirken mussten, der noch nie etwas Ähnliches erlebt hatte. Auf leisen Sohlen schlich ich durch die Wohnung, um mich fürs Bett fertig zu machen. Durch die Ehe mit Maria hatte ich bereits Übung darin. Es hatte sie immer aufgeregt, wenn ich spät von der Schicht kam und sie aus Versehen weckte. Häufig hatte ich darum auf der Couch im Arbeitszimmer geschlafen. Dann wachte sie nicht auf, wenn ich mich neben sie legte. Etwa eine halbe Stunde später hatte ich es endlich geschafft und lag im Bett. Ein kurzes Gebet, dann war ich auch schon eingeschlafen.   In der Nacht erwachte ich durch ungewohnte Geräusche im Schlafzimmer. Brummelnd öffnete ich die Augen, um Chico herauszuschicken, von dem ich glaubte, dass er meine Gutmütigkeit ausnutzen wollte, um sich ins Bett zu schleichen. Doch zu meinem Erstaunen stand der Punk neben dem Bett. Er hatte mich geweckt, als er die Decke darauf warf. Ich drehte mich wieder herum, wartete darauf, dass er das Zimmer verließ. Stattdessen hörte ich ihn jedoch weiterhin hinter mir. Über die Schulter hinweg sah ich nach, was er tat, und erwischte ihn dabei, wie er sich gerade auf die andere Seite des Bettes legte. Soweit ich das erkennen konnte, hatte er sich einfach ausgezogen und zog sich nun die Decke über den Kopf. Nur noch ein Teil seiner Haare schaute oben heraus. Zuerst wollte ich etwas dazu sagen, ihn rauswerfen und klarmachen, dass er nichts in meinem Bett verloren hatte, doch dann ließ ich es sein. Ich wusste nicht, ob ihm überhaupt klar war, wo er sich befand. Vielleicht dachte er, er sei in seiner eigenen Wohnung auf der Couch eingeschlafen und wollte ins Bett gehen. Und selbst wenn nicht: Er war sicher mindestens genauso müde wie ich und meine Couch nicht gerade bequem. Konnte ich ihm da böse sein, wenn er einfach das nächstbeste Bett wählte und nicht noch durch das Treppenhaus wanderte? Außerdem würde er mich schon nicht stören. Er hatte mir den Rücken zugedreht und lag am anderen Ende des Bettes. Keiner von uns würde umkommen, wenn ich ihn einfach dort liegen ließ. Hoffte ich zumindest. Denn es machte mich durchaus nervös. So nervös, dass ich mich zu ihm drehte und ihn beobachtete. Lange bekam ich kein Auge zu. Die Angst, er könnte es sich anders überlegen und sich an mich kuscheln, hielt mich wach. Wobei weniger die Angst, als vielmehr die Tatsache, dass ich nicht sicher war, ob ich den Gedanken wirklich abstoßend fand. Ich kuschelte nicht gern beim Schlafen, daran hatte ich mich in den ganzen Jahren meiner Ehe nie gewöhnen können, dennoch hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass es vielleicht doch nur halb so schlimm wäre, wenn er näher heranrutschte. Nicht angenehm, aber doch aushaltbar und auch etwas wohltuend. Ich schob es darauf, dass mir seit der Trennung durchaus körperliche Nähe fehlte und dieser schreckliche Tag auch an mir nicht spurlos vorübergegangen war. Wie musste es erst für jemanden wie ihn sein? Sicher, er hatte vermutlich in seiner Zeit beim Rettungsdienst auch schon die ein oder andere schreckliche Verletzung gesehen, aber so eine massenhafte Zerstörung? Das bezweifelte ich dann doch. Mich erinnerte es stark an meine Zeit in Somalia. Daher war ich auch wahrlich froh, nicht in der Nähe der Explosionen, sondern am anderen Ende der Strecke gewesen zu sein. Das klang vielleicht schrecklich, aber ich wollte die Verletzten nicht sehen, wollte die Explosionen nicht hören und den Geruch nicht riechen. Davon hatte ich in meinem Leben genug gehabt. Zumal ich wirklich nicht einschätzen konnte, ob ich dann noch immer mit so ruhigem Kopf hätte arbeiten können. Erneut kratzte ich über die Narbe. Jetzt, wo alles ruhig war, kamen die Bilder wieder. Nicht nur die vom Nachmittag, sondern auch jene von vor zwanzig Jahren. Und damit auch das Ziehen in der Brust, das immer mit den Erinnerungen einherging. Ich sollte schlafen, sonst würde es mich noch länger wachhalten, als der Punk es bereits tat. Ich streckte die Hand aus und legte sie leicht gegen seinen Rücken. Gerade so fest, dass er es nur spürte, wenn er aufwachte, aber ich seine Wärme fühlen könnte, ohne ihn wirklich zu berühren. Vielleicht war er auch deshalb in mein Bett gekommen? Vielleicht wollte er nach einem solchen Tag genauso wenig allein sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)