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Amigo del alma

Boston Boys 5
von

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Hoy por ti, mañana por mí

»Hey, komm mit rüber«, forderte der Punk mich auf, als er in die Küche kam und in der Besteckschublade wühlte. »Du bist schon den ganzen Tag mit diesem Teil beschäftigt und hast noch nichts gegessen.«

Ich schreckte auf und stieß mir dabei den Kopf. Ächzend kam ich unter der Spüle hervor. »Ich bin gleich fertig, dann mach ich mir was.«

Er verdrehte die Augen. »Na los, hab dich nicht so. Allein ess ich daran die nächsten drei Tage.«

»Ja, gleich, ich muss das Rotorblatt nur wieder anbringen und alles zumachen, dann bin ich fertig.« Mit diesen Worten rutschte ich zurück unter die Spüle.

Er antwortete nichts, aber ich konnte hören, dass er die Küche verließ und im Wohnzimmer mit Chico sprach.

Ich hatte nach unserem Streit am letzten Mittwoch eigentlich damit gerechnet, dass wir uns überhaupt nicht mehr sehen würden, doch dann war Chico am nächsten Tag nicht in meiner Wohnung gewesen, als ich nach Hause kam, und ich hatte ihn bei Watkins gefunden. Recht verwundert hatte er reagiert, als ich ihn deshalb zur Sau machte, und mir erklärt, dass Chico nichts mit unserem Streit zu tun hätte. Er könnte nichts dafür und sollte daher auch nicht allein bleiben. Nach zwei Tagen hatte ich mich dann auch dazu entschlossen, mich zu revanchieren, und meinen freien Montag zugesagt, um mich um den Abflusshäcksler zu kümmern.

Dass er mich nun zum Essen einlud, kam daher reichlich überraschend, aber nicht ungelegen. Die Woche war zwar etwas ruhiger verlaufen als die letzten, dennoch hatte ich die Nachmittage häufig mit Faulenzen verbracht und nur immer tageweise eingekauft. Für den heutigen Tag hatte ich daher nichts daheim.

Ich zog die letzten Schrauben fest, kam diesmal ohne Unfall hervor und schmiss das Handtuch, was ich untergelegt hatte, neben die Spüle. Bevor ich erklärte, dass alles wieder funktionierte, wollte ich es selbst ausprobieren. Daher drehte ich die Sicherung wieder rein und schaltete das Mordsteil an. Es schnurrte wie ein Kätzchen.

»So, der Häcksler funktioniert wieder und die Schneiden sind geschärft«, verkündete ich, als ich ins Wohnzimmer trat und mich in den Sessel setzte. Wie immer lag Chico neben dem Punk auf der Couch. Mittlerweile sagte ich nichts mehr dazu. Er schien verstanden zu haben, dass er das bei mir dennoch nicht durfte. »Wenn du das nächste Mal Sellerie reinschmeißt, solltest du ihn vorher schon etwas zerkleinern.«

»Aye, Sir«, antwortete er wenig ernst und schob mir Teller, Besteck und die Schachteln eines asiatischen Lieferdienstes zu, aus denen er sich zuvor bedient hatte.

Als er mich einlud, hatte ich befürchtet, erneut Schulden bei ihm zu machen, weil er mir etwas mitgebracht hatte, doch erstaunlicherweise handelte es sich um eine ganz normale Portion. Daher fragte ich nach: »Sicher?«

Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und nickte. »Sicher. Mir ist das zu viel. Wegen der Medikamente hab ich kaum Hunger. Das würde vermutlich eh im Müll landen.«

»Danke.«

Abwehrend nickte er und begann zu essen.

Ich tat mir die Reste auf, die noch locker reichten. Chico sah kurz auf, doch ein böser Blick von mir reichte, um ihm vom Betteln abzuhalten. Mit knurrendem Magen machte ich mich ebenfalls über das Essen her.

Wie schon so oft zuvor fragte ich mich, woran der Punk litt. So wie er aussah, musste es etwas Ernstes sein, denn noch immer sah man ihm die Folgen der Lungenentzündung an. Außerdem hustete er noch immer ab und zu. Wobei das auch mit seinem Zigarettenkonsum zusammenhängen konnte. Selten sah ich ihn ohne.

Da mir das Schweigen zwischen uns langsam unangenehm wurde, dachte ich darüber nach, ihn nach seiner Krankheit zu fragen, entschied dann aber, dass es mich nichts anging. Wenn er wollte, dass ich etwas darüber erfuhr, würde er mir das selbst sagen. Alles andere passte nicht zu ihm.

Doch auch das andere Thema, auf das ich ihn gerne angesprochen hätte, musste ich vorerst zurückstellen. Seine Aussage, bezüglich meiner Kollegen, war mir nicht aus dem Kopf gegangen. Wir beide mochten unsere Differenzen haben, dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass er grundlos log. Nicht, nachdem er trotz allem auf Chico aufpasste. Er schien ein Mann zu sein, der sein Wort hielt. Daher hatte ich am Vortag einen Blick in die Datenbank geworfen und dort einiges Interessantes gefunden.

Am meisten beschäftigten mich jedoch eine Reihe komplett unbearbeiteter Anzeigen gegen einen gewissen Sergeant Simon Klein, der mittlerweile pensioniert war. Das Besondere dabei: Sie reichten fast dreißig Jahre zurück und waren bis auf ein paar Ausnahmen alle von Watkins gestellt worden. Ich hatte nicht vorgehabt, weiter in sein Leben einzudringen, doch die Anzeigen hatten mir einiges verraten.

Die älteste Anzeige war Ende 1987 von einem gewissen Chris Allen gestellt worden. Als Opfer waren Watkins und ein Peter Grimes angegeben, von dem ich glaubte, dass es der Peter war, den ich vor ein paar Wochen in der Wohnung des Punks angetroffen hatte. Besonders hatte mich dabei erschrocken, dass beide zum angegebenen Tatzeitpunkt noch nicht einmal vierzehn gewesen waren. Der Sergeant soll die beiden festgenommen, auf dem Revier verhört und im Rahmen dessen, im Gegenzug für ihre Freilassung, sexuelle Gefälligkeiten erpresst haben. Und das Ganze nicht nur einmal, sondern um einiges häufiger. Alle anderen Anzeigen, die Watkins im Laufe der Jahre im Namen verschiedener Jugendlicher gegen Klein und andere Kollegen gestellt hatte, lasen sich ähnlich.

Doch bevor ich ihn darauf ansprach, wollte ich noch weiter ermitteln, was es mit diesen Anschuldigungen auf sich hatte. Ich wollte in den nächsten Tagen überprüfen, ob es die besagten Festnahmen tatsächlich gegeben hatte.

 

Als Chico sich entschied, doch mal zu testen, ob er beim Punk etwas zu Essen schnorren konnte und mit scharfem Ton zurückgewiesen wurde, kam mir doch noch ein Thema in den Sinn, das ich anschneiden konnte. Wenn auch äußerst ungern. »Hast du vielleicht noch etwas, was repariert werden muss? Die Dusche, ein Schrank oder dein Fahrrad?«

»Seh ich aus, als würde ich Fahrrad fahren?« Lachend deutete er auf den vollen Aschenbecher. »Soweit ich weiß, hab ich nichts mehr. Warum?«

Ich sah zu Chico, der das als Aufforderung sah, zu mir zu kommen. Mit der Schnauze stupste er mich am Ellenbogen an, doch ich schob ihn weg. Ich war noch am Essen. »Ich hab noch immer niemanden gefunden, der sich um Chico kümmert. Mir wird ständig nur gesagt, dass ich ihn abgeben soll, wenn er so lange allein ist. Kein Hundesitter würde ihn so lange nehmen.«

»Vielleicht solltest du dann auf sie hören?« Der Punk sah vom Essen auf und musterte mich mit seinen eindringlichen Augen.

»Ich weiß, dass es vielleicht selbstsüchtig ist, aber ich will ihn nicht abgeben. Er ist ein Freund. Ich brauche nur jemanden, der sich um ihn kümmert, während ich auf Arbeit bin.«

»Und da dachtest du, ich könnte das machen, und nebenbei hinderst du mich auch noch daran, meiner Arbeit nachzugehen?«

Schnell schüttelte ich den Kopf. »Nein, natürlich kannst du ihn dann mitnehmen. Ich möchte nur nicht, dass er von einem Sitter zum nächsten gegeben wird. Und dich kennt und mag er.«

»Du meinst: im Gegensatz zu dir.« Schelmisch grinste er mich an und ich konnte nicht anders, als es zumindest einen Augenblick lang zu erwidern. Dann wurde sein Blick wieder forschend. »Woher kommt denn der Sinneswandel, dass ich ihn mitnehmen darf?«

»Ich hab wohl kaum eine andere Wahl, wenn ich ihn nicht abgeben will.« Etwas widerwillig lächelte ich. Als er nach einer Weile noch immer nichts gesagt hatte, schob ich hinterher: »Ich bezahl dich auch dafür.«

Langsam schüttelte er den Kopf. »Ich nehme kein Geld von dir.«

»Was? Warum?«

»Ich nehme kein Geld von einem Bullen an.« Ich wollte etwas Bissiges erwidern, doch er sprach direkt weiter: »Chico ist sehr freundlich. Wenn ich mit ihm arbeiten darf, dann sind wir quitt.«

Ich stockte, dann sah ich ihn zweifelnd an. »Wie meinst du das?«

»Vielen der Kids würde es guttun, wenn da einfach ein Tier ist, das sie kuscheln und streicheln können, ohne, dass es mehr erwartet. Sie haben ein Problem mit Nähe und selbst mir vertrauen sie nicht immer. Ein Tier, das ihnen einfach nur zuhört, könnte mir bei meiner Arbeit helfen.«

Forschend blickte ich ihm in die Augen. »Jetzt mal Klartext: Was sind das für Kinder und woraus besteht deine ›Arbeit‹?«

Er erwiderte eine Weile den Blick, dann lehnte er sich zurück, zog eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch und zündete sie an. »Straßenkinder, die einfach nur tun, was nötig ist, um zu überleben. Meine Arbeit besteht darin, mich um sie zu kümmern. Sowohl medizinisch als auch sozial.«

Ich rümpfte die Nase. Mir gefiel es nicht, dass er rauchte, während ich noch aß. Wenigstens pustete er den Rauch von mir weg. »Du bringst sie also wieder nach Hause?«

»Nein. Nur, wenn sie wollen.« Es war klar, dass er meinen wütenden Gesichtsausdruck sah, aber er blieb weiter unberührt. »Sie wollen nicht gefunden werden und haben gute Gründe, warum sie weder nach Hause noch in die Jugendhilfe wollen. Würde ich sie verraten, würde ich ihr ganzes Vertrauen verlieren.«

»Was tust du sonst, außer sie abzocken?« Das konnte doch nicht wahr sein! Er wusste von vermutlich einer ganzen Menge verschwundener Kinder, wo sie sich aufhielten, und meldete es nicht!

Seine Antwort überraschte mich dann doch und rückte ihn in ein vollkommen neues Licht. Nach seiner Aussage unterstützte er die Kinder nicht nur, indem er als Vertrauensperson und öffentlicher Fürsprecher für sie da war, sondern versorgte sie auch entweder selbst medizinisch – nach seiner Aussage war er ausgebildeter Paramedic2 – oder organisierte ärztliche Untersuchungen, die er finanzierte.

Er blühte regelrecht auf, während er von der Arbeit erzählte, die er bei den Kindern verrichtete. Geduldig beantwortete er meine Fragen und auch wenn ich die Arbeit noch immer nicht als richtig empfand, war ich dennoch beeindruckt. Ich war so in meiner Meinung gefangen gewesen, dass ich mir nie hatte anhören wollen, wie er seine Arbeit verstand. Ihm schien das sehr am Herzen zu liegen und er wirkte davon vollkommen überzeugt. Ich musste zumindest eingestehen, dass er einiges Gutes damit vollbrachte.

 

Nachdem er alle meine Fragen beantwortet hatte, wechselte er zum eigentlichen Thema: »Um auf Chico zurückzukommen: Er ist ein wirklich lieber und süßer Hund. Es gibt immer wieder neue Kids, die sich etwas schwertun, mit mir ins Gespräch zu kommen. Chico könnte beim ersten Kontakt helfen.«

»Du willst also ausnutzen, dass Kinder Tiere lieben und sie damit anlocken?«

Er verstand, dass ich das nur halb ernst meinte, und lachte leicht. »Diese Kids haben so viel erlebt, sie sind misstrauisch genug, um sich nicht von jedem einlullen zu lassen. Sie nähern sich mir sowieso nur in der Gruppe. Da sind immer welche dabei, die mich bereits kennen. Außerdem nehm ich sie nicht mit nach Hause.«

Nachdenklich nickte ich. Welche Wahl hatte ich denn schon? So wie ich den Punk einschätzte, würde er Chico auch mitnehmen, wenn ich es ihm verbot. Außerdem brauchte ich meinen Hund nur ansehen, um zu merken, dass er diesen Mann vergötterte. »Ist gut, nehm ihn mit.«

Siegessicher lächelte er mich an. »Ich versprech dir, ich ziehe dich damit auch nicht in irgendwelche illegalen Sachen rein.«

»Als würde ich mich auf das Wort eines Zuhälters verlassen.« Ich gönnte ihm diesen Sieg nicht.

Eher amüsiert grinste er. »Dann iss mal auf. Du musst mir noch beibringen, worauf Chico hört. Ich hab es mehrmals versucht, aber er hört nicht auf die normalen Befehle. Aber du sprichst auch – ich rate mal – Spanisch mit ihm, oder? Ich vermute, dass er nur nicht weiß, was ich von ihm will.«

»Ehm, ja klar.« Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass Chico zwar einem einladenden Tonfall Folge leisten und bei einem energischen ›Nein‹ aufhören würde, aber bei allem anderen natürlich nicht verstand, was der Punk von ihm wollte. Ich hoffte, dass er keine Schwierigkeiten gemacht hatte. Andererseits hätte es sonst sicher schon Beschwerden gegeben. »Komm einfach gleich mit raus, dann kannst du es üben und er lernt, auch auf deine Stimme zu hören.«

Er stimmte zu und kündigte Chico das auch freundlich an, ließ mich aber aufessen. Sofern man das so nennen konnte, denn der aufstachelnde Ton wirkte natürlich auf meinen Hund. So fixiert wie dieser schon auf den Punk war, würde es nicht schwer werden, ihm beizubringen, auch dessen Befehle zu befolgen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Etwa: Eine Hand wäscht die andere (wörtlich: Heute für dich, morgen für mich) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chaos-kao
2020-08-29T12:26:13+00:00 29.08.2020 14:26
Das war ja richtig harmonisch :D Wird doch langsam mit den beiden. Und Chico ist sicherlich ein guter 'Therapiehund' :)


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