Zum Inhalt der Seite

Amigo del alma

Boston Boys 5
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Grupo de apoyo

Unruhig lief ich vor dem Gebäude auf und ab, prüfte noch einmal, ob ich auch wirklich an der richtigen Adresse war. Ein paar Schritte ging ich auf den Eingang zu, blieb dann jedoch wieder stehen. Wollte ich wirklich da rein? Was war, wenn mich jemand sah? Es konnte mich meine Karriere kosten, wenn bekannt wurde, dass ich hier war.

Ich riss mich zusammen und ging auf den Eingang zu. Der Padre hätte mich sicher nicht hierher geschickt, wenn es mir schaden könnte. Immerhin hatte er mir versprochen, dass ich hier Hilfe fand. Dennoch sah ich mich um, bevor ich das Gebäude betrat, damit mich auch ja niemand dabei sah.

Immer wieder warf ich Blicke auf den Zettel, auf dem das gesuchte Zimmer notiert war, und bahnte mir meinen Weg. Verdammt, ich hätte vorher nach dem kürzesten Weg fragen sollen!

Im ersten Stock wurde ich fündig. Vor der Tür eines Raumes stand ein grau-blonder Mann etwa in meinem Alter und lächelte mich an, während er mir seine Hand entgegenstreckte. »Hallo, ich bin Elmer. Ich vermute, du suchst mich?«

Ich versuchte, beim Klang seiner hohen Stimme nicht das Gesicht zu verziehen. Hätte ich gesprochen wie er, hätte mich mein Vater grün und blau geschlagen, bis ich verstanden hätte, dass ich ein Mann war und gefälligst auch so zu sprechen hatte.

Ich nickte und schüttelte seine Hand. »Ja, wir haben telefoniert.«

»Richtig. Komm doch rein.« Er deutete in den großen Raum und ließ mich ein. »Setz dich, dann erklär ich dir noch einiges, bevor die anderen kommen.«

Eher skeptisch ließ ich mich auf einen der Stühle sinken und sah mich um. Normal war ich ja selten unsicher, aber so gar nicht zu wissen, was mich erwartete, machte mich dann doch nervös. Der Pfarrer hatte mir zwar empfohlen hierherzukommen, und mir Elmers Telefonnummer gegeben, doch so wirklich hatte er sich nicht geäußert, was ich hier sollte. Hauptsache, das waren nicht solche Fanatiker, die glaubten, mir diese Gelüste mit Gewalt austreiben zu können. Da der Padre auf mich einen recht aufgeschlossenen Eindruck machte, war das aber eher unwahrscheinlich.

Elmer lächelte mich aufmunternd an und setzte sich neben mich. »Keine Sorge, es ist vollkommen normal, beim ersten Mal nervös zu sein. Ich würde mit dir gern die Regeln unserer Gruppe durchgehen, bevor die anderen kommen. Wäre das für dich in Ordnung?«

Ich zuckte mit den Schultern. Ja, das würde sicher helfen. Immerhin wusste ich nicht, wie das ablaufen sollte.

»Gut. Also das wichtigste zuerst: Alles, was du hier erfährst, ist nur für die Ohren der Gruppe bestimmt. Wir sind hier ein geschützter Raum und alle Teilnehmer brauchen die Gewissheit, dass sie offen reden können. Wenn herauskommt, dass jemand die Geheimnisse der anderen verrät, werde ich denjenigen der Gruppe verweisen. Sollte einmal Gesprächsbedarf über das bestehen, was andere erzählen, aber du nicht mit demjenigen reden wollen – was wir im Übrigen präferieren würden – dann steh ich oder dein Pate als Gesprächspartner zur Verfügung. Entweder nach der Sitzung oder telefonisch.«

Ich nickte. Gut, das klang soweit in Ordnung. Ich hoffte nur, dass ich nichts erfuhr, was mich als Polizist in einen Gewissenskonflikt brachte.

»Ansonsten gelten die üblichen Regeln der Höflichkeit: Wir lassen uns ausreden und lachen nicht über die Ängste der Anderen, auch wenn sie uns vielleicht komisch vorkommen mögen. Für denjenigen sind sie wirklich schlimm.« Eindringlich sah er mich an.

Das hieß wohl, dass er mir das zutraute. Ich nahm es erstmal so hin.

Dann fuhr er fort: »Außerdem steht es dir frei, nur das zu sagen, was du auch sagen möchtest. Wenn du anonym bleiben und deinen Namen nicht nennen möchtest, ist das in Ordnung. Aber dir sollte bewusst sein, dass je offener du bist, wir dir umso besser helfen können. Dennoch ist es okay, wenn du eine Weile brauchst, bis du etwas über dich erzählen kannst. Nimm dir alle Zeit, die du brauchst.«

»Ist gut.« Das klang zumindest annehmbar, bis ich mir sicher war, wo ich hier eigentlich gelandet war. Elmers Gefuchtel während des Redens jedenfalls machte mich etwas unruhig. Hoffentlich waren die nicht alle so.

Kaum hatte ich geantwortet, klopfte es an der Tür. Elmer stand auf und öffnete sie. Davor standen zwei Männer, die etwas jünger waren als wir. Freundlich bat er sie herein, lehnte die Tür an und blieb daneben stehen.

Die beiden Männer suchten sich Plätze und sahen mich argwöhnisch an, sagten jedoch nichts zu mir. Ihnen war wohl klar, dass ich mich später sowieso noch vorstellen würde.

Während ich die beiden sportlich gekleideten Kerle beobachtete, trat ein Weiterer in den Raum, grüßte alle und setzte sich.

 

Nach und nach füllte sich der Raum mit den unterschiedlichsten Männern. Alle waren mindestens um die dreißig, einige hätte ich sogar locker auf sechzig oder siebzig geschätzt. Alles in allem schienen sie ganz normal. Die meisten unterhielten sich leise miteinander, offenbar kannten sich bereits.

Irgendwann waren fast alle Stühle besetzt. Lediglich die beiden neben mir waren noch frei. Schmunzelnd stellte ich fest, dass man das wohl nie ablegte, egal wie alt man wurde. Niemand wollte neben dem Neuen sitzen.

Elmer schloss die Tür und sah sich in der Runde um, dann setzte er sich wieder neben mich und lächelte mich an. »Ich denke, wir können schon einmal anfangen. Wie ihr alle gesehen habt, haben wir ab heute ein neues Gesicht in unseren Reihen. Wie wäre es, wenn ihr euch alle einmal kurz vorstellt und erzählt, wie ihr zur Gruppe gekommen seid, damit er sich ein Bild machen kann?«

Der Mann links neben Elmer hob die Hand zum Gruß und stellte sich in wenigen Worten als Philip vor. Ich hörte aufmerksam zu und war froh, dass ich nicht anfangen musste. Die Idee war eigentlich gar nicht schlecht, es nahm mir den Druck, nicht zu wissen, was ich sagen wollte oder sollte.

Dennoch war es mir nicht möglich, die Namen aller zehn Männer zu behalten, dafür ging es viel zu schnell. Trotzdem stellte ich erleichtert fest, dass wohl alle etwas gemeinsam hatten: Sie alle litten unter den unsäglichen Gelüsten nach Männern. Das war wirklich beruhigend, auch wenn ich noch nicht wusste, was ich davon halten sollte, dass einige es als Fortschritt sahen, sich anderen Männern nähern zu können.

Gerade stellte sich mein Nichtganz-Sitznachbar vor, da wurde an der Tür geklopft und einen Moment später öffnete sie sich. Wenig begeistert verzog ich das Gesicht, als sich ein Kerl mit schwarzem Iro zur Tür hereinschob. Was wollte so einer denn hier?

»Tut mir leid, ich war noch arbeiten«, entschuldigte er sich und schloss die Tür.

»Kein Problem«, erklärte Elmer freundlich. »Komm rein, du kannst dich direkt vorstellen.«

Der Punk nickte und sah sich im Raum um. Er visierte den freien Stuhl neben mir an, wobei sein Blick auf mich fiel. Augenblicklich verzog er das Gesicht und blieb stehen. An Elmer gewandt, erklärte er empört: »Vergiss es, ich setz mich nicht neben das Bullenschwein!«

Einige wandten die Gesichter ab, um nicht zu zeigen, dass sie lachten, andere rollten mit den Augen, während Elmer den Punk anfuhr: »Mat! Wenn du dich nicht zusammenreißt, kannst du auch gleich wieder gehen.«

Jetzt, wo Elmer seinen Namen erwähnte, erkannte ich ihn. Das war der Zuhälter! Auch wenn Stevenson und Murphy etwas anderes behaupteten und ich noch immer keine neuen Erkenntnisse hatte: Nach 15 Jahren Polizeiarbeit, fast zehn davon bei der Drogenfahndung, wusste ich, wie solche Mistkerle aussahen.

»Dann kannst du weiter kleinen Jungs ihr Geld abluchsen.« Ich senkte etwas den Kopf, hielt meinen Blick aber auf ihn gerichtet.

Aggressiv funkelte er mich aus den eisig blauen Augen an, ballte die Fäuste und kam auf mich zu.

Ich machte mich bereit aufzustehen, doch Elmer ging bereits dazwischen: »Für dich gilt dasselbe: Wenn du dich nicht benehmen kannst, dann kannst du gerne wieder gehen. Was auch immer ihr für ein Problem habt: Klärt das unter euch. Und jetzt setzt euch oder geht raus!«

Der Punk streckte noch einmal die geballte Faust in meine Richtung, dann ging er zu einem der älteren Männer mir gegenüber, welcher bereitwillig aufstand und ihm seinen Platz überließ. Dieser Wichser konnte also nicht nur kleine Jungs ausnehmen, sondern auch alte Männer herumkommandieren. Das war ja ein ganz Großer!

Doch diesmal behielt ich meine Gedanken für mich.

»So, jetzt wo das geklärt ist: Mat, würdest du dich bitte vorstellen und sagen, warum du hier in der Gruppe bist?«, forderte Elmer den scheiß Punk ruhig auf.

Missmutig nickte er. »Ich bin Mat und hier, weil ich mich gerne von Fremden in den Arsch ficken lasse.«

Ich sah, dass nicht nur Elmer die Augen verdrehte. Scheinbar hatten noch mehr Teilnehmer gesunden Menschenverstand und merkten, dass dieser Pisser nicht ganz koscher war. Das machte die Gruppe etwas sympathischer.

Elmer beließ es dabei und forderte nun mich auf: »Magst du dich dann vorstellen?«

»Ich bin Eloy und – wie der Maquereau schon richtig erkannt hat – Polizist«, machte ich es kurz. Letzteres war ja nun eh schon bekannt.

»Schön dich kennenzulernen, Eloy. Magst du uns auch erzählen, wie du zu uns gefunden hast?«

»Der Padre meiner Gemeinde hat mir dazu geraten, hierherzukommen. Er meinte, die Gruppe könnte mir helfen, meine Gelüste nach Männern loszuwerden.« Es war merkwürdig, das auszusprechen. Bisher hatte ich nur mit den jeweiligen Pfarrern darüber gesprochen. Die Aussicht darauf, vielleicht normal werden zu können, und dass ich nicht allein damit war, machten es leichter.

Doch Elmer verpasste mir direkt einen Dämpfer. »Ich muss dich enttäuschen. Die Gruppe kann dir nicht dabei helfen, deine ›Gelüste‹ loszuwerden, aber sie kann dir helfen, sie als einen Teil von dir anzuerkennen. Wenn du dazu bereit bist, bist du gerne bei uns willkommen.«

Ob ich dazu bereit war? Ich war nicht sicher. Das war nicht die Erwartung, mit der ich zu dem Treffen gekommen war. Ich hatte gehofft, dass ich erfahren konnte, wie ich mit den Gelüsten leben konnte, ja, aber sie anerkennen?

Elmer legte mir vorsichtig seine Hand auf den Unterarm. »Du musst dich nicht gleich entscheiden. Was hältst du davon, wenn du jetzt erstmal bleibst und dir anhörst, was die anderen zu berichten haben und dann kannst du immer noch entscheiden, ob du in zwei Wochen wiederkommst.«

Ich hörte jemanden leise schnauben und als ich aufsah, war es der Punk mir gegenüber. Sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er sich über mich lustig machte und hoffte, dass ich ganz schnell verschwand.

Ich sah ihm fest in die Augen und verkündete: »Ich bleibe erstmal.«

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er intensivierte den Blick, bevor er sich abwandte und die Arme vor der Brust verschränkte.

So schnell wurde er mich nicht los. Das hier war die ideale Gelegenheit, etwas über ihn zu erfahren, was mich in meinen Ermittlungen weiterbrachte. Auch wenn ich Elmer später noch sagen musste, dass ich in zwei Wochen nicht zum Treffen kam. Ich musste schlicht und ergreifend arbeiten.

»Das ist schön. Ich denke, du wirst dich hier wohlfühlen.« Elmer nahm endlich die Hand weg und wandte sich wieder an die Gruppe. »Gibt es ein dringendes Thema, über das jemand von euch reden möchte?«

»Ja, ich.« Das kam von dem, der sich zuerst vorgestellt hatte. Auf seiner blassen Haut mit den Sommersprossen sah man noch deutlicher, dass er rot wurde, sobald er die Aufmerksamkeit der anderen Teilnehmer hatte. »Ich ... Ich hab mich vor meiner Frau geoutet.«

Ein Raunen ging durch den Raum und einige der Männer klatschten Beifall.

Es war beruhigend, dass nicht nur ich darüber die Stirn kraus zog. Doch musste es ausgerechnet der Zuhälter sein, der meiner Meinung war?

Elmer klatschte ebenfalls. »Sehr gut. Das war mutig. Möchtest du uns erzählen, wie es gelaufen ist?«

Ich lehnte mich im Stuhl zurück und hörte der Geschichte des Mannes zu. Und je länger ich das tat, desto mehr erinnerte es mich an meine eigene. Er war seit einigen Jahren verheiratet, auch wenn er sich immer zu Männern hingezogen fühlte. Seit einiger Zeit wurde es so schlimm, dass er das Bedürfnis verspürte mit ihr darüber zu reden. Wie zu erwarten, hatte sie nicht positiv darauf reagiert.

Während die anderen darüber diskutierten und ihm Mut zusprachen, dachte ich an meine eigene Situation. Sie war nicht wirklich anders. Nur hatte ich nicht den Mut gehabt, Maria davon zu erzählen. Dennoch hatten meine Gelüste letztendlich zu unserer Scheidung geführt. Ihm zu sagen, dass er das schon hinbekam, war totaler Schwachsinn.

»Was willst du denn machen, wenn sie dich doch nicht verlassen sollte?«, fragte der Punk mitten in die Diskussion hinein. Er hatte nicht laut gesprochen, dennoch in einer Tonlage, die alle anderen übertönte.

Sofort verstummten sie und sahen den armen Tropf an, an den die Frage gerichtet war.

»Ich weiß nicht ... Ich liebe sie doch trotzdem. Ich hab es einfach nur nicht mehr ausgehalten, ihr etwas vorzumachen.«

»Was ist verkehrt daran, wenn er mit ihr darüber redet?«, fragte ich, als der blauäugige Wichser schon wieder leise schnaubte. Ich konnte einfach nicht meine Klappe halten. »Besser als wenn er sie hintergeht, oder nicht?«

»Hast wohl Erfahrung, was?« Der Hochmut in seinem Grinsen sprang mir regelrecht entgegen. »Nichts ist daran verkehrt, aber du glaubst doch nicht, dass es ihn davon abhält, sie jetzt trotzdem zu hintergehen. Sofern sie ihm nicht sowieso den Laufpass gibt.«

Wut stieg in mir auf. Wut auf ihn, weil er mich provozierte und dabei genau ins Schwarze traf, und Wut auf mich, weil ich mich von ihm provozieren ließ.

Das Grinsen wurde breiter, hatte fast schon etwas Diabolisches. Er wusste genau, was er tat! »Noch so ein Kinderficker«, knurrte er.

»Mat!«, fuhr Elmer ihn an. »Wir haben darüber geredet: keine Beleidigungen.«

»Jaja, schon klar«, winkte er nur ab. Nur kurz sah er dabei den Gruppenleiter an, bevor er wieder mich anstarrte. Das Grinsen hatte sich nicht verändert. Mit den Lippen formte er etwas, was ich als ›Fuck you!‹ identifizierte. »Sorry, ich wollte dich natürlich nicht beleidigen. Ist mir so rausgerutscht.«

Elmers Nicken war wenig überzeugend. Hatte er die Gruppe nicht unter Kontrolle? »Eloy, magst du uns vielleicht von deinen Erfahrungen erzählen? Vielleicht hilft es Philip ja, von jemandem zu hören, der etwas Ähnliches erlebt hat?«

Der Milchbubi nickte, als Elmer ihn ansah, um sich zu vergewissern, ob diesem das recht war.

Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch. Ich war mir sicher, dass er das nicht wollte. Er sah beim Nicken nicht wirklich überzeugt aus. Außerdem glaubte ich nicht, dass meine Erfahrung ihn weiterbrachte.

Doch dann bat er: »Ich würde es gerne hören.«

Ich zögerte noch einen Moment. Auch wenn ich versuchte, es zu ignorieren, spürte ich den bohrenden Blick des Punks, der deutlich machte, dass er davon ausging, dass ich kniff.

Na gut, wenn er meinte. Auf seine Verantwortung. Als würde ich kneifen! »Das ist recht schnell erledigt: Meine bald Exfrau hat mich mit einem Mann erwischt. Da gab es nicht mehr viel zu reden.«

Der Punk wandte sich ab, dennoch konnte ich erkennen, dass er grinste. Wütend ballte ich die Fäuste.

»Oh«, kam es vom Milchbubi.

Was hatte er denn erwartet? Dass ich nach wie vor glücklich verheiratet war und meine Frau diese widerlichen Gelüste einfach hinnahm?

Elmer nickte. »Hast du nie daran gedacht, mit deiner Frau darüber zu reden?«

»Moment, ich dachte, wir reden über den da, nicht über mich?« Ich deutete auf das Bürschchen.

Der Gruppenleiter nickte. »Ich hab schon verstanden, du möchtest nicht darüber reden. Philip, gibt es etwas, worüber du in dem Zusammenhang noch reden möchtest?«

Während der Kleine sich noch weiter darüber ausließ, wie es bei ihm weitergehen sollte, hörte ich nur mit einem halben Ohr hin. Helfen konnte ich ihm sowieso nicht. Es sei denn, er wollte wissen, wie man in kürzester Zeit einen Umzug ans andere Ende des Landes organisierte.

Der Zuhälter hielt sich den Rest des Abends zurück. Nur ab und zu trafen sich unsere Blicke und jedes Mal zeigte er dieses hämische Grinsen, das mich innerlich kochen ließ. Es war, als wüsste er jederzeit ganz genau, was in mir vorging und wann er mich verhöhnen konnte.

Doch mir fiel auch auf, dass er das bei allen tat. Sein Blick kreuzte sich immer wieder mit dem eines Anderen und je nachdem, wen er ansah, änderte sich seine Mimik. Dabei spiegelte sich die ganze Palette an Emotionen darin wider. Für jeden hatte er etwas anderes auf Lager.

 

Am Ende verabschiedeten sich alle voneinander. Die einen herzlicher, die anderen weniger persönlich und eher in die Runde hinein. Soweit ich das mitbekam, gingen einige noch gemeinsam weg. Es schien, als hätten sich hier durchaus Freundschaften gebildet.

Nur einer stand, wie zu erwarten, vollkommen außen vor. Es wirkte, als warte er nur darauf, gehen zu dürfen. Zumindest stand er ziemlich nah an der Tür.

Doch Elmer machte ihm einen Strich durch die Rechnung. »Mat, würdest du bitte noch einen Moment bleiben? Ich muss mit dir reden.«

Diesmal konnte ich mir ein diabolisches Grinsen nicht verkneifen. Das hatte er nun von seinen Provokationen.

»Mit dir müsste ich auch sprechen, Eloy. Hast du noch Zeit?«

Mir fiel alles aus dem Gesicht und ich konnte nur zu gut verstehen, dass nun ich es war, der hämisch belächelt wurde. Ich dachte kurz darüber nach, einfach zu gehen und nicht darauf zu hören. Ich war eh nicht sicher, ob ich wiederkam. Andererseits bot es mir eine gute Gelegenheit, etwas über den Zuhälter zu erfahren und ihn vielleicht doch noch zu überführen.

Die anderen warfen uns neugierige Blicke zu, als wir uns zu Elmer gesellten und setzten. Freundlich, aber mit Nachdruck, verabschiedete sich der Gruppenleiter noch einmal von ihnen.

»Mat, wie oft müssen wir das noch durchkauen? Du sollst dich etwas zurücknehmen. Niemand hier ist eine Bedrohung für dich«, erklärte er dem Punk, sobald wir nur noch zu dritt waren.

Der Typ schnaubte kurz, dann lachte er. »Oh, ich bin mir sicher, das sieht der Bulle anders.«

»Gut, ich habe verstanden, dass ihr ein Problem miteinander habt. Doch egal welcher Art es ist: Das hat hier in der Gruppe nichts zu suchen. Klärt das unter euch, aber zieht die Gruppe da nicht mit rein.«

Ich hob die Hände. »Hatte ich nicht vor. Ich lasse mich nur ungern beleidigen.«

»Du wurdest wohl noch nie richtig beleidigt. Wenn du willst, können wir das gerne nachholen!«

»Schluss jetzt!« Es war witzig, wie der Kerl mit der hohen Stimme versuchte, autoritär zu klingen. Vielleicht sollte er mal einen Kurs dafür besuchen.

Der Punk lehnte sich im Stuhl zurück und hielt zumindest die Klappe. Sein Blick sagte jedoch, dass er noch lange nicht fertig war.

»Gut, könntet ihr dann jetzt klären, welches Problem ihr habt, damit wir das nächste Treffen ohne euren Streit fortsetzen können?«

»Ich kläre gar nichts mit Kinderfickern! Wenn er ein Problem mit mir hat, kann er gerne die Gruppe verlassen.«

Elmer versuchte sich erneut an einem autoritären Ton: »Das hast du nicht zu entscheiden, Mat. Ich kann auch gerne dich rausschmeißen, wenn du schon wieder Ärger machst.«

»Oh, keine Sorge, ich hab auch nicht vor, mich mit einem Zuhälter auf irgendwas zu einigen.« Ich richtete den Blick direkt auf den widerlichen Scheißkerl, damit ihm klar wurde, dass ich das ernst meinte.

Die Erwiderung aus den blauen Augen zeigte mir, dass er genauso wenig zurückweichen würde.

Elmer räusperte sich. »Gut. Ich hatte gehofft, wir können das weniger wie im Kindergarten lösen, aber scheinbar ist das nicht möglich. Mat, du wirst Eloy als Pate zur Seite stehen. Ich bin mir sicher, ihr beiden Jungs kommt gut miteinander aus, wenn ihr euch erstmal kennengelernt und diese Kinderei beiseitegelegt habt. Und keine Widerrede! Deine einzige andere Option ist, die Gruppe zu verlassen.«

Es war dem Punk anzusehen, dass er stark mit sich haderte. Meine Güte, dann sollte er eben gehen, wenn es ihm nicht passte. Ich fand es auch scheiße, aber hey, das würde ich ihm sicher nicht sagen. Wenn ich ihm damit eins auswischen konnte, dann würde ich das tun.

Einen Moment lang starrte er mir direkt in die Augen, bevor er Elmer mit demselben Blick bedachte. Dann stand er ohne ein Wort auf, schnappte sich seine abgeranzte Lederjacke von Stuhl und verließ den Raum.

Elmer schloss die Augen und seufzte. Nachdem er sie wieder geöffnet hatte, lächelte er mich an. »Lass dich von ihm nicht abschrecken. Im Grunde ist er ein guter Kerl. Er hat es nur nicht gerade leicht gehabt im Leben.«

Ich schnaubte. Klar, nicht leichtgehabt. Das hatte er sich selbst zuzuschreiben. Soweit ich das hatte herausfinden können, war ich nicht der Erste, der ihn festgenommen hatte. Die Liste reichte bis weit in die 80er hinein. Leider war das aber auch alles, was ich rausfinden konnte. Fast alles war versiegelt oder geschwärzt.

»Eloy, auch wenn das heute vielleicht nicht so gut gelaufen ist, ich bin mir sicher, die Gruppe könnte dir helfen, mit dem klarzukommen, was du gerade durchmachst. Ich würde mich wirklich freuen, dich in zwei Wochen wiederzusehen«, redete Elmer weiter auf mich ein und ignorierte meine Reaktion.

Ich haderte. Ganz sicher war ich noch immer nicht. Ich wollte diesen Widerling nicht als Paten, ich wollte überhaupt keinen Paten! Andererseits eröffnete mir das vollkommen neue Möglichkeiten, die ich sonst nie hätte. Ich war hin und her gerissen. »Ich kann in zwei Wochen nicht. Danach bin ich noch nicht sicher.«

»Dann komm gut nach Hause und wenn du es weißt, melde dich bitte bei mir, meine Nummer hast du ja.« Er stand auf und bedeutete mir, ihm zu folgen.

Nachdem wir den Raum verlassen hatten, schloss er ihn ab. Dasselbe tat er mit der Tür draußen. Wir nickten uns noch einmal zu, dann ging er auf einen Mann zu, der an der Einfahrt wartete, ich machte mich auf den Weg zu meinem Auto.

 

Zu Hause fiel mir ein, dass mein Handy noch aus war. Elmer hatte mich bereits bei unserem ersten Telefonat darauf hingewiesen, dass es während der Sitzung ausgeschalten sein sollte.

Sofort, als es hochgefahren war, zeigte es mir eine Benachrichtigung an. Schon wieder ein Anruf von Maria? Was wollte sie denn und wie schaffte sie es, mich immer im falschen Moment anzurufen?

Ich zögerte eine Weile, doch dann entschied ich mich, sie zurückzurufen. Irgendetwas musste es ja geben, auch wenn sie auf meine Nachricht bei ihrem letzten Versuch vor etwa einer Woche nicht reagiert hatte.

»Eloy?«, fragte sie direkt, nachdem sie abgenommen hatte.

Mir blieb einen Moment die Spucke weg. Es war komisch, ihre Stimme nach all der Zeit wiederzuhören. Ich war davon ausgegangen, dass es nie wieder der Fall sein würde. Ich wollte etwas Zynisches darauf erwidern, doch es riss mich so sehr aus den Socken, dass ich einfach nur ein »Sí« hervorbrachte.

Es herrschte eine ganze Weile Stille. Das gab mir Zeit, mich wieder zu sammeln. Langsam setzte ich mich auf die Couch. »Ich hab gesehen, dass du angerufen hast.«

»Nicht zum ersten Mal!«

»Du wolltest nicht mehr mit mir reden und hast auf die Nachricht nicht reagiert. Was erwartest du denn?«

Sie belegte mich mit etlichen Schimpfwörtern, die ich gelassen über mich ergehen ließ. Warum war im Moment jeder der Meinung, mich beleidigen zu müssen?

»Maria, was wolltest du von mir? Ich hab nicht ewig Zeit. Ich muss nachher noch zum Dienst.« Es stimmte zwar nicht, aber ich hatte keine Lust, mir das den ganzen Abend anzuhören. Das war wenigstens ein Grund, über den sie nicht meckern konnte.

Dachte ich zumindest. Doch sie fand direkt neuen Stoff, mich anzugehen. »Wird der denn auch bezahlt? Oder musst du wieder einem Kollegen dein Bett zeigen? Oder lässt du dir jetzt die Ehebetten deiner Kollegen zeigen?«

»Maria! Was. Wolltest. Du?«, würgte ich sie ungehalten ab. Ich musste mir das nicht länger gefallen lassen. Noch einmal und ich würde auflegen.

Sie stockte für einen Moment in ihrem Gemecker. Dann fuhr sie im gleichen Ton fort: »Du musst Chico abholen

»Was?! Wie stellst du dir das vor? Ich kann hier keinen Hund halten!« War sie jetzt vollkommen übergeschnappt?

»Gut, dann lass ich ihn eben einschläfern.«

Ich hatte das Gefühl, gleich durch die Decke zu gehen. Das gab es doch nicht! Erst wollte sie das Vieh unbedingt haben und dann musste ich mich darum kümmern. Dennoch hatte sie es unbedingt bei sich behalten wollen, als ich nach Boston zog. Nicht, dass es mir nicht recht gewesen war – hier eine Wohnung zu finden, in der Hunde erlaubt waren, wäre noch schwerer gewesen. Und jetzt wollte sie ihn mir zuschieben?

Ungehalten sprang ich vom Sofa auf. »Sag mal, hast du sie noch alle? Du wolltest ihn doch unbedingt haben. Jetzt sag nicht, dass er Arbeit macht!«

»Du hast ihn doch so verzogen! Er rennt ständig weg und im Haus kann ich ihn auch nicht lassen, weil er alles kaputt macht.«

Mit der freien Hand massierte ich mir die Schläfen, versuchte, meine Lautstärke etwas zu zügeln. »Und wie meinst du, soll ich ihn dann hier in der kleinen Wohnung halten?«

»Das ist dein Problem. Du hättest ihn erziehen sollen.«

Das gab es doch nicht! War sie jetzt vollkommen bescheuert? »Es ist auch nicht mehr mein Problem, wenn er dein Haus zerlegt!«

»Ist gut, dann lass ich ihn einschläfern. Mach’s gut.«

»Maria, warte!« Ich atmete ein paar Mal tief durch und zählte innerlich bis zehn. Hauptsache sie legte jetzt nicht auf. Aber ich musste mich erstmal beruhigen, bevor ich weitersprechen konnte. »Hast du schon mit Noemí und Jonathan geredet, ob sie ihn nehmen können? Sie wollten doch einen Hofhund.«

Sie lachte hell auf. Früher hatte ich ihr Lachen gemocht, jetzt tat es einfach nur in den Ohren weh. »Als könnte Chico irgendwas bewachen. Der Köter kann einfach nur Ärger machen. Sie wollen ihn nicht.«

»Und Lázaro oder meine Eltern?« Es konnte doch nicht sein, dass niemand ihn wollte. Er war der liebste Hund der Welt. Jeder in der Familie mochte ihn.

»Lázaro hat schon drei Hunde zur Pflege und keinen Platz mehr und deine Eltern wollen ihn auch nicht. Er ist ihnen zu groß.«

¡Joder! Ich ließ meine Faust auf die Lehne des Sofas niederfahren. »Ich schaue, was sich machen lässt. Gib mir ein paar Tage.«

»Dann beeil dich. Das nächste Mal, wenn er wegläuft, werde ich ihn nicht mehr suchen.«

Ich knirschte mit den Zähnen und ballte die Fäuste. Diese Frau machte mich wahnsinnig! »Gibt es sonst noch was?«

»Nein. Ich wollte dich nur über Chico informieren.«

»Dann noch einen schönen Abend«, knurrte ich und legte auf, bevor sie antworten konnte.

Mit Wut im Bauch wählte ich Lázaros Nummer. Ich hoffte, dass er mir irgendwie weiterhelfen konnte, vielleicht jemanden kannte, der so einen jungen, aufgeweckten Hund wie Chico haben wollte. Er sollte nicht unter meinen Fehlentscheidungen leiden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Selbsthilfegruppe Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  stoni
2020-07-12T22:54:50+00:00 13.07.2020 00:54
Na da sieht man doch wiedermal wie sehr sich Menschen oder wie hier Eloy durch Ausselichkeiten verleiten lassen andere in Schubladen zu stecken in den diese eigendlich nichts zu Suchen haben. Muste echt schmunzel das er ausgerechtet Mat für einen Zuhalter hält. Das kann ja noch Lustig werden bei den Vorurtilen auf beiden Seiten,
Antwort von:  Vampyrsoul
13.07.2020 19:26
Mat ist aus Eloys Sicht aber auch sehr verdächtig ^^' Er hängt als erwachsener Mann mit jungen Strichern ab und hat auch noch Geld von einem bekommen.
Aber klar, Vorurteile können sie beide sehr gut!
Antwort von:  stoni
14.07.2020 21:10
Ja manchmal vergisst mann als Leser das die Charaktare nicht das gleiche wissen haben wie man selbst und so gesehen hast du natürlich Recht das dies alles für Eloy sehr verdächtig aussieht so das er zu dem Schluß kommt das ausgerechtnet Mat ein Zuhalter sein muss da er ihn ja nicht so kennt wie wir Leser und nicht weis das er den Kids nur helfen will.
Von:  chaos-kao
2020-07-08T07:46:28+00:00 08.07.2020 09:46
Maria ist eine Bitch! Was kann denn der arme Hund dafür?!
Ich bin jetzt was den zeitlichen Zusammenhang zu den anderen Boston Boys Geschichten angeht ziemlich verwirrt. Mat wird ja vermutlich Zombie sein, oder ist das ein anderer Mat? Spielt das dann vor den beiden Samsa-Geschichten?
Antwort von:  Vampyrsoul
13.07.2020 19:19
Hmm... ich frag mich gerade, was bei dir den Verdacht weckt, dass es vor Samsas Traum und Samsas Erwachen spielen könnte?

Kurze Chronologie der Geschichten:
Camp Kawacatoose 1988
Knicks vs. Celtics 1991/92
Samsas Traum 2001/02
Samsas Erwachen 2005-2008
Amigo del Alma 2013


Zurück