Persona: Timeless Key von ShinoYuta ================================================================================ Prolog: Prolog - Heimkehr ------------------------- Prolog: Heimkehr   Freitag, 03. April 2015 morgens   Verschlafen wachte ein jugendliches Mädchen auf, als das Flugzeug, in welchem sie sich befand, gelandet war. Endlich war sie wieder in ihrem Heimatland, Japan, angelangt. Herzhaft gähnend reckte sie sich und strich eine ihrer mittelblauen Ponysträhnen aus ihrem Auge. Sie hatte hüftlange Haare, welche recht glatt, dennoch aber leicht verwuschelt waren. In der Höhe ihrer Ohren standen ein paar kurze widerspenstige Strähnen zur Seite ab und ihre strahlend blauen Augen funkelten voller Erwartung zu ihrer linken Seite aus dem Fenster. „Endlich bin ich wieder in einem Land, in dem mich die Leute verstehen“, murmelte sie freudig und konnte es kaum abwarten auszusteigen.   Im Flughafen folgte sie der Menge, welche aus ihrem Flugzeug ausgestiegen war, um zum Kofferband zu gelangen. Alleine hätte sie den Weg wohl nie gefunden. Nachdem sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ihre sieben Sachen beisammen hatte, versuchte sie sich auf diesem riesigen Gelände zu orientieren, um den Bahnhof zu finden. Die Blauhaarige war nämlich leider gezwungen mit der Bahn nach Hause zu fahren. Ihr Vater hatte keine Zeit sie mit dem Auto abzuholen und ihr Bruder war wohl gerade in der Uni. Nach einer Weile des Herumirrens blieb sie schließlich genervt stehen, stützte sich mit einem Arm entnervt und erschöpft auf ihrem Koffer ab und jammert: „Was ist das hier für ein Kackladen? Diese Schilder zum angeblichen Bahnhof führen ins Nichts!“ Wutentbrannt kickte sie gegen ihren Koffer, welcher mit einem dumpfen Geräusch umfiel. „Kann ich dir weiterhelfen, junge Dame?“, grinste sie ein blonder junger Mann mit tiefen blauen Augen an, welcher seine Hände auf die Hüften stemmte. Ohne genau wahrgenommen zu haben wer sich da zum Helfen anbot, meckerte die Blauhaarige ungehalten weiter: „Ja! Vielleicht bringen Sie in diesem Labyrinth mal sinnvollere Schilder an! Da verläuft ma-…“ Erst jetzt schaute die junge Frau dem Blonden ins Gesicht und stockte. Ihre Augen weiteten sich und ihr Gesicht begann unweigerlich zu strahlen: „Saito-nii!!“ Sofort fiel sie dem jungen Mann in die Arme: „Ich hab dich so sehr vermisst!“ „Das ist ja mal wieder typisch für dich Rin-chan“, lachte er auf und erwiderte die Umarmung, „Hauptsache erstmal meckern.“ „Sei leise, das ist das reinste Labyrinth hier“, blähte Rin gespielt beleidigt ihre Wangen auf. Wieder lachte der Blonde: „Blödsinn. Du bist einfach nur zu doof die Schilder richtig zu lesen.“ Bevor Saito von seiner jüngeren Schwester eine einstecken musste, beeilte er sich lieber, schnappte ihren Koffer und setzte sich schnell in Bewegung in Richtung Bahnhof. „Hey warte, baka-nii!“, schnappte sich Rin ihren Rucksack und rannte dem Blonden hinterher, „Wie hast du mich eigentlich gefunden? Und was ist mit der Uni?“ „Hab ich heute sausen lassen. Und dich zu finden war nicht wirklich schwer gewesen. So laut wie du randaliert hast“, zuckte Saito mit den Schultern. Wieder brach eine keine Diskussion unter den Geschwistern los. Erst als sie endlich im Zug saßen und Rin von ihrer langen Reise wieder schläfrig wurde, wurde die Diskussion der beiden beendet. Müde gähnend schlummerte das Mädchen an der Schulter des jungen Mannes ein.   Velvet Room   Ich vernahm das leise Plätschern von Wasser zusammen mit einer beruhigenden Melodie und ein Geruch von frischem Regen drang in meine Nase. Tief atmete ich ein und genoss den angenehm reinen Duft. Langsam öffnete ich meine Augen, um sehen zu können was ich zuvor nur mit den anderen Sinnen wahrnehmen konnte. „Uwah!!“, schrie ich panisch auf und sah mich um. Irgendwie befand ich mich in einer Höhle. Allerdings war es nicht irgendeine Höhle, denn sie schien wie ein Raum ohne Ausgang zu sein. Doch das war noch lange nicht das Schlimmste, denn an den Wänden liefen viele kleine Wasserfälle hinab und der Boden des Höhlenraumes stand knöcheltief unter Wasser. Außerdem waren die Wände und auch der Boden mit kleinen blauen Edelsteinen besetzt, welche wohl für die Lichtzufuhr sorgten. Der ganze Raum funkelte in blau. Panisch hüpfte ich von einem Bein zum nächsten, denn ich drohte in einem geschlossenen Raum zu ertrinken! „Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott, …“, ich weiß nicht wie oft ich diese Worte panisch ausstieß, bis ich von einer Stimme unterbrochen wurde. „Willkommen im Velvet Room verehrter Gast“, vernahmen meine Ohren jemandes Worte und schlagartig drehte ich mich suchend im Raum um. Da saß doch tatsächlich ein alter Knacker seelenruhig an einem Tisch. Hatte der etwa keine Angst abzusaufen? Generell war der Typ recht merkwürdig anzusehen. Er hatte eine spitze lange Nase und seine Ohren waren ebenso recht spitz. Außerdem sahen seine Augen echt creepy aus. Er erinnerte mich ein kleines bisschen an ein Fabelwesen. Haare hatte er auch fast keine mehr auf dem Kopf. Außerdem trug er einen schwarzen Anzug und dazu weiße Handschuhe. Normale Menschen fänden ihn wohl recht gruselig, doch mir war das in diesem Moment völlig egal. Ich hatte immerhin andere Sorgen. „Wir ertrinken! Was ist das hier für eine Folterkammer?!“, knallte ich dem merkwürdigen Kauz an den Kopf, doch dieser ließ sich nicht beirren und erzählte einfach weiter: „Dies ist ein Raum zwischen Traum und Realität. Nur jene, die einen Vertrag mit dem Schicksal geschlossen haben, können ihn betreten.“ „Was?!“, begann ich wieder wie wild herum zu hüpfen und fing an die Wände nach einem Ausgang abzutasten, „Wie kommen wir hier heraus?!“ Die Langnase kicherte auf leicht gruselige Art: „Du bist wahrlich ein sonderbarer Gast, Rin Aikawa.“ Schlagartig riss ich meine Augen auf und erstarrte. Nur langsam konnte ich mich von der Wand losreißen und bewegte meinen Kopf in die Richtung des komischen Kauzes: „W-wer bist du? Woher kennst du meinen Namen?!“ „Ich bin Igor, der Bewohner dieses Velvet Rooms“, erklärte er immer noch ruhig und gelassen, „Und nun richte deinen Blick auf den Boden in diesem besonderen Raum. Du wirst schnell feststellen, dass der Wasserspiegel sich nicht zu verändern vermag.“ Verwirrt blickte ich gen Boden und musste feststellen, dass er Recht hatte. Das Wasser stieg nicht an. Dennoch war es wirklich mehr als gruselig. „Wollen wir uns einmal anschauen was dein Schicksal für dich bereithält?“, kicherte Igor erneut und ein Stapel Tarotkarten erschien wie aus dem Nichts. Er forderte mich auf 2 Karten aus dem Stapel zu ziehen und gezwungenermaßen stolperte ich mit zittrigen Beinen auf ihn zu. „Ich verstehe nicht was diese komische Show hier soll. Welches Schicksal? Und vorhin sagtest du etwas über einen Vertrag?“, zog ich jammernd wie befohlen 2 Karten heraus, welche nun verdeckt auf dem Tisch lagen. Igor deckte die erste auf und erklärte mir das lustige Bildchen: „Der Teufel. Er steht für Verdrängung und Fehler. Du scheinst wohl in deiner Vergangenheit einen Fehler begangen zu haben, den du zu verdrängen versuchst. Ob du wohl auch in Zukunft deine Missetaten verdrängst?“ „Was denn für ein Fehler?“, kapierte ich nicht was er da redete. Doch der alte Mann ignorierte mich und deckte einfach die zweite Karte auf: „Oho, Die Gerechtigkeit. Du wirst lernen Verantwortung zu übernehmen und zu reifen.“ „Hast du mir grad gesagt ich bin kindisch, gestehe mir meine Fehler nicht ein und übernehme keine Verantwortung?“, versuchte ich mit dem Typen zu diskutieren. Allerdings half es nichts, denn er sprach auch weiterhin in Rätseln: „Du wirst schon sehen, was die Zukunft für dich bereithält. Und nun, kehre zurück.“ Mit diesen Worten wurde der funkelnd blaue Raum langsam schwarz und ich fühlte mich als würde ich in einen Schlaf verfallen. Ich versuchte mich zu wehren, weil das Gespräch für mich noch nicht zu ende war, doch es klappte nicht.   Im Zug   „Hey!“, schrie Rin wie aus dem Nichts und erwachte aus ihrem Schlaf. Saito, welcher ebenfalls eingedöst war, zuckte schlagartig zusammen und keifte seine Schwester genervt an „Spinnst du? Wieso brüllst du denn plötzlich so?“ „Hä?“, schaute sich die Blauhaarige benebelt um, „War das ein Traum?“ „Ja offensichtlich. Nervensäge…“, schnaubte der Blonde und schloss müde seine Augen wieder. Kapitel 1 - Inmitten von Trümmern ---------------------------------   Freitag, 03. April 2015 mittags   Völlig fertig von der langen Zugfahrt, kamen die Geschwister endlich zu Hause an. „Ich hab Hunger“, war das Erste was Rin einfiel, als sie das Haus betrat. Saito musste kurz überlegen: „Tiefkühlpizza?“ Die Blauhaarige verzog das Gesicht und meckerte: „Ich war ein Jahr lang weg und kann dieses fettige Zeug echt nicht mehr sehen.“ Mit knurrendem Magen ging sie in die Küche, um in den Kühlschrank zu schielen, nur um ihn im selben Moment wieder schnaubend zu schließen. „Wo ist denn Papa? Hat der sich wieder verbarrikadiert?“, fragte die Jüngere ungläubig ihren Bruder. Dieser grinste nur schief, um zu symbolisieren, dass seine Schwester goldrichtig lag. „Rabenvater“, nuschelte sie verärgert in ihren Bart, spazierte an ihrem Bruder vorbei und versuchte ihren Koffer in den ersten Stock in ihr Zimmer zu zerren. Die Treppe hinauf befand sich direkt rechts neben der Küche. Gegenüber des Treppenhauses erblickte man eine Tür. Es war nicht ganz zu erkennen, ob der Raum dahinter mehr eine Bibliothek oder ein Wohnzimmer war, denn überall standen Bücherregale mit den verschiedensten Fachbüchern, Romanen, Krimis und sogar Mangas. Außerdem befanden sich in diesem Raum auch ein kleines Sofa und ein recht alter kleiner Fernseher. Ging man den Hausflur weiter geradeaus, an dem Zimmer vorbei, gelang man zur Haustür. Rin jedoch wollte nach oben und zerrte ihren störrischen Koffer mit einem aggressiven Knurren immer eine Stufe weiter. Der Blonde beäugte das Geschehen und stand demonstrativ im unteren Flur am Ende der Treppe. Kopfschüttelnd über ihre Sturheit schnaubte er schließlich einmal auf: „Soll ich dir vielleicht helfen? Sag doch einfach was.“ „Ich kann das auch alleine“, motzte das Mädchen merklich. Der junge Mann konnte dem Geschehen allerdings nicht mehr zusehen und packte schließlich an: „Ich kann doch auch nichts dafür, dass unser Vater mal wieder mit Abwesenheit glänzt. Aber glaube mir, er hat dich genauso vermisst wie ich.“ Mit einem lieben Grinsen setzte er den Koffer schlussendlich im ersten Stock ab, tätschelte der gefrusteten Blauhaarigen auf den Kopf und verschwand wieder im Erdgeschoss. Die Oberschülerin schob daraufhin ihren Koffer linksherum neben der Treppe entlang, um geradeaus in ihr Zimmer zu gelangen. Dabei kam sie auf ihrer rechten Seite am Badezimmer vorbei. Gegenüber vom Badezimmer, auf der anderen Seite des Treppenhauses war das Schlafzimmer ihres Vaters, welches er nicht oft nutzte und daneben, an derselben Wandseite, an welcher sich Rins Tür befand, war Saitos Reich.   Rins Zimmer war sehr beengt und wirkte klein. Was wohl daran lag, dass es sehr zugestellt war. Die Einrichtung bestand aus einem recht großen Kleiderschrank, einem etwas breiteren Bett und einem Eckschreibtisch. Neben dem Schreibtisch stand ein größers Regal, in welchem unzählige Mangas standen. Außerdem hatte sie noch einen kleinen Fernsehtisch mit einem etwas älteren Flachbildfernseher darauf. Enttäuscht plumpste das Mädchen auf ihr frisch bezogenes Bett. Sie konnte es nicht glauben, dass es ihren Vater nicht einmal interessierte, dass sie wieder da war. Es war ziemlich normal, dass der Mann sich gerne mal wochenlang im Keller verschanzte, wenn er mal wieder dachte irgendetwas Interessantes ausfindig machen zu können. Er war Wissenschaftler und hatte sich im Keller des Hauses ein riesiges Labor eingerichtet. Rin konnte leider nicht mal sagen wie genau es dort aussah oder an was er überhaupt forschte. Als kleines Kind hatte sie den Raum einmal weinend betreten, weil sie sich verletzte und Hilfe benötigte. Der Mann wurde daraufhin rasend und schimpfte sie wild aus, sie dürfe diesen Raum nicht betreten wegen der empfindlichen Geräte und so weiter. Seitdem traute sich das Mädchen nicht mehr auch nur in die Nähe des Untergeschosses. Es war also unmöglich an ihren Vater heranzukommen, wenn er einmal dort unten war. „Er hätte sich ja wenigstens mal merken können wann ich wiederkomme“, schossen ihr Tränen in die Augen, „Dem bin ich doch vollkommen egal.“   „Rin, darf ich reinkommen?“, klopfte es nach einer kurzen Weile an der Tür und Saito trat herein. Die Blauhaarige bekam gar keine Chance zu antworten. Sie realisierte auch nicht so ganz was gerade vor sich ging, da sie noch zur Hälfte schlief. Scheinbar war sie beim Nachdenken weggenickt. „Ich habe uns Reisomelette gemacht“, wollte der Blonde seine Schwester zum Essen in die Küche zitieren. Ihre blauen Augen begannen zu leuchten: „Ehrlich? Mit Käse?“ „Klar doch, einmal Rin-Spezial“, lachte der junge Mann. Seine Schwester war durch diese Information schneller in der Küche als der Schall. Wenn es ums Essen ging, dann war sie immer die erste, die „hier“ schrie.   „Ich hatte übrigens deine neue Schuluniform bestellt“, schob sich Saito einen Löffel des Reisomelette in den Mund, „Du musst nur noch schnell zur Anprobe in den Laden. Damit auch alles passt. Erst dann bekommen wir sie.“ „Die von der Suzuki Akademie?“, erkannte man einen Schimmer Hoffnung in Rins Augen. „Nein, die von der Aehara High School. Das mit der Eliteakademie hast du dir doch leider selbst versaut“, erklärte Saito. „Ich hätte dieses Sportstipendium im Ausland niemals annehmen dürfen. Lieber hätte ich das von der Suzuki Akademie annehmen sollen“, murrte das Mädchen genervt. Der Bruder zuckte mit den Schultern: „Tja, selbst schuld, wenn du die Schule vernachlässigst und so absackst, dass du dein Stipendium verlierst.“ „Binds mir doch noch auf die Nase du Blödmann“, verschränkte sie beleidigt ihre Arme, „Ich hab trotzdem keine Lust auf diesen Aehara-Assi-Laden.“ Die Blauhaarige konnte es leider nicht verleugnen, dass sie in ihrem Auslandsjahr in Amerika wirklich Schwierigkeiten hatte mit dem Unterrichtsstoff nachzukommen und gleichzeitig das tägliche harte Training zu absolvieren. Außerdem war sie sowieso nicht die Hellste und es haperte allein schon an der englischen Sprache, welche Grundvoraussetzung war, um sich in diesem Land zu unterhalten. So im Nachhinein war sie sich schon gar nicht mehr im Klaren darüber, wieso sie überhaupt entschlossen hatte ins Ausland zu gehen.   Gezwungenermaßen machte sie sich am späten Nachmittag auf den Weg in die Innenstadt zum Schneider, bei welchem ihre Uniform schon zur Anprobe wartete. Auf dem Weg dorthin breitete sich in ihr ein mulmiges Gefühl aus. Sie war zwar nur ein Jahr weg, doch fühlte sie sich hier in Aehara sehr fremd. Es kam ihr vor, als hätte sich die Stadt grundlegend verändert. Allerdings konnte sie hier in ihrer Heimat nichts erkennen was anders war. Einzig das mulmige Gefühl machte sich in ihr breit. Als sie schließlich endlich beim Schneider ankam hatte sie leider das Pech, dass die Uniform nicht passte und viel zu groß war. Wie ein Sack hing sie an ihr herunter. Scheinbar hatte sie in den letzten Monaten durch den ganzen Stress etwas abgenommen. Das war ihr gar nicht aufgefallen. Mit der Bitte am morgigen Samstag nochmal wiederzukommen verabschiedete sich das Mädchen und ging die Tür hinaus. Dabei bemerkte sie gar nicht, wo sie hintrat. Mit einem dumpfen Knallen fiel die Tür hinter ihr ins Schloss und Rin stand sprachlos und wie erstarrt da: „W-was… Was ist denn hier passiert?! Wo zum Teufel bin ich?!“ Erst jetzt bemerkte das Mädchen den bodenlangen graubraunen Umhang, dessen Kapuze ihr der Wind vom Kopf wehte: „Und wo kommt der denn her?!“ Panisch drehte sie sich um, doch sie erblickte die Schneiderei, welche sich hinter ihr befinden sollte, nicht mehr. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Stattdessen stand die Blauhaarige in Mitten eines unendlich großen Trümmerfeldes, welches weit und breit menschenleer war. Selbst das Wetter passte zu den Trümmern, denn es waren rabenschwarze Wolken am Himmel zu sehen und in der Ferne konnte man ab und an einen Blitz erkennen, auf welchen kurze Zeit später ein lauter Donner folgte. Abgesehen vom lauten Schimpfen des Himmels und dem zischenden Wind war es mucksmäuschenstill. Staub wirbelte umher und es sah aus, als wolle es jede Sekunde regnen. „Das ist doch ein schlechter Scherz, oder?“, zitterte das Mädchen und umschlang ihren Oberkörper mit ihren Armen, „Was geht hier ab? Das ist ja noch gruseliger als der Traum mit dieser Wasserfolter und diesem creepy Inko mit seinen Tarotkarten.“ Ein erneuter heftiger kalter Windstoß ließ sie noch mehr erzittern und gleichzeitig loshusten, da ihr eine dicke Staubwolke mitten ins Gesicht gewirbelt wurde. Sie musste hier weg. Sie musste wieder aufwachen, damit der Traum sein Ende fand. Aber wie? Schützend zog sie sich daraufhin die Kapuze des Umhanges über den Kopf. „Es ist nur ein Traum… Es ist nur ein Traum…“, immer wieder wiederholte das Mädchen diese Worte und trat einen zittrigen Schritt vor den anderen. Was war hier nur passiert? Befand sie sich noch in Aehara? Und wenn nicht, was war das hier vorher? Etwa eine Stadt? So viele offene Fragen schwirrten in dem Kopf des Mädchens, doch konnte sie nicht eine aufklären. Während sie nach Antworten suchend voranschritt, begann es wie erwartet schließlich zu regnen. Es war ein heftiger Regen, durch welchen Rin sofort triefte. Eilig suchte sie einen Unterschlupf. Irgendeine Trümmer, unter welcher sie sich verstecken konnte. Egal welche. Es dauerte nicht allzu lange, bis sie endlich einen kleinen Unterschlupf zwischen den Brocken fand und in diesen hineinkrabbelte. Völlig fertig mit der Welt plumpste sie auf ihren Hintern und sackte zusammen. „Lass es endlich enden. Ich will aufwachen“, flehte das Mädchen und verkniff sich schwermütig die Tränen. Nachdem sie plötzlich ein leises Wimmern vernehmen konnte zuckte Rin schreckhaft zusammen und sah sich in ihrer Minihöhle um. „Ach du scheiße“, riss sie ungläubig die Augen auf, als sie ein kleines Mädchen im dunkelsten Winkel erkannte. Schnell bewegte sich die Blauhaarige auf die Kleine zu: „Geht es dir gut? Was ist denn passiert? Wo sind deine Eltern? Wie heißt du denn?“ Ohne Pause redete sie auf das Mädchen ein. Zu ihrem Erstaunen sah die Kleine relativ unversehrt und gesund aus. Sie hatte dunkelblondes langes Haar, welches ein wenig bräunlich wirkte. Einen kleinen Teil der Haare hatte sie zu zwei kleinen Zöpfen rechts und links gebunden. Die restlichen Haare hingen offen herunter. Die Augen der Blonden konnte Rin nicht erkennen, da sie die ganze Zeit damit beschäftigt war sich die Tränen wegzuwischen. Sie trug ein helles Kleid, welches zu Rins Erstaunen sehr sauber und unversehrt war. Erst jetzt fiel der Blauhaarigen auf, dass auf dem Schoß der Weinenden ein Vogel lag. Er war blau-schwarz und schien entweder zu schlafen oder er war… Rin schluckte. „He, nicht weinen“, versuchte sie die Kleine sanft zu beruhigen. Ein klein wenig half es, denn sie begann nun endlich mit zittriger Stimme etwas zu sagen: „Oni-san… er hat gesagt, dass du kommst.“ Verwirrt legte die Angesprochene den Kopf schief und verstand nicht recht: „Wer? Woher will er das wissen?“ Während die Blond sich mit der rechten Hand weiterhin das tränende Auge rieb, streckte sie die linke Faust in Rins Richtung: „Hier. Er hat gesagt, dass du es holen kommst.“ Immer noch nichtsahnend mustere Rin ihr Gegenüber und hielt zögerlich ihre Hand unter die Faust der Kleinen. Daraufhin ließ sie einen blauen tropfenförmigen Edelstein, welcher an einer Kette hing, los. Er purzelte in die Hand der Blauhaarigen. „Okay?“, musterte diese das Ding, „Und was soll ich damit?“ Weiter kam sie nicht, denn plötzlich bewegte sich einer der Trümmer über den beiden Mädchen. Die Ältere konnte grade noch so die Blonde packen und mit ihr aus der provisorischen Höhle flüchten. Im selben Moment fielen die massiven Gesteinsbrocken zusammen und die kleine Lücke war geschlossen. Schnell steckte sie den blauen Stein in ihre Hosentasche. Mit dem Mädchen im Arm und dem leblos wirkenden Vogel rannte Rin nun durch den strömenden Regen: „Keine Sorge, ich werde einen neuen Unterschlupf finden. Dir wird nichts passieren.“ Ihren Worten schenkte sie selbst kaum Glauben, doch konnte sie das dem kleinen Mädchen nicht offenbaren. Nach einer Weile entdeckte sie eine Tür, welche in ein Haus führte. Na ja, es war weniger ein Haus, mehr ein Haufen Gesteinsbrocken, unter welchem offenbar ein Erdgeschoss erhalten geblieben war. Ohne nachzudenken drehte Rin den steckenden Schlüssel in der Tür herum und setzte einen Fuß in den dunklen Raum. Plötzlich wurde sie in ein grelles Licht gehüllt, welches sie taumeln und zu Boden stolpern lies. Das Mädchen in ihren Armen begann sich langsam aufzulösen und verschwand vollends. Allein der merkwürdige Vogel blieb übrig. Dieser strahlte nun auch ein grelles Licht aus und Rin musste sich die Hände vor die Augen halten, um nicht zu erblinden. Kaum eine Sekunde später spürte sie etwas Schweres auf sie fallen und vernahm im gleichen Moment viele Menschenstimmen. Sofort riss das Mädchen die Augen auf und entdeckte die Fußgängerzone und die Schneiderei in welcher sie vor kurzem noch war. Ein dicker Felsbrocken fiel ihr vom Herzen und erleichtert atmete sie auf. Der fürchterliche Tagtraum war endlich zu Ende und diesen merkwürdigen Umhang war sie auch wieder los. Es dauerte kurz bis Rin endlich realisierte, dass quer über ihrem Schoß ein kleiner Junge lag. Er schien bewusstlos zu sein. „Ach du kacke“, zuckte die Blauhaarige zusammen, „Wo kommst du denn her?“ Der kleine Mann war vielleicht schätzungsweise acht bis zehn Jahre alt und hatte schwarz-hellblaue wuschelige Haare. Am Ansatz schwarz und die Unteren hellblau. Außerdem sah er sehr mitgenommen und verschrammt aus. Nicht nur seine Kleidung war komplett zerfetzt, nein, er hatte auch überall Verletzungen am Körper. Was war bloß mit ihm geschehen? Durch sanftes Rütteln konnte sie den Schwarz-blauhaarigen wecken woraufhin sie von zwei dunkelgrauen Augen erschöpft angesehen wurde. Einige Fußgänger blieben schon stehen und musterten den Ort des Geschehens neugierig, doch keiner kam auf die Idee Hilfe anzubieten oder einen Krankenwagen zu rufen. „Keine Sorge Kleiner, ich rufe dir einen Krankenwagen“, wollte Rin soeben in ihrer Tasche kramen, um ihr Handy zu suchen. „Nein“, ergriff er panisch ihren Arm, „Ich komme schon klar. Mach dir keine Sorgen.“ „Das glaube ich wohl kaum“, keifte sie ihn an, „Wer bist du? Wo wohnst du? Wo sind deine Eltern? Ich werde dich zu ihnen bringen.“ Etwas schwermütig stand der kleine Mann auf und klopfte sich den losen Dreck von der Kleidung: „Ich bin Skye. Und rede nicht so viel Blödsinn. Ich hab doch gesagt mach dir keine Sorgen. Außerdem wirst du meine Eltern nicht finden.“ Leicht lachte er, ehe er sich in Bewegung setzen wollte, um zu gehen. „Hey, warte!“, sprang das Mädchen auf und wollte ihm hinterher, „Lass mich dir doch helfen Skye-kun. Glaubst du echt, dass ich mich so leicht abwimmeln lasse?“ „Ja das glaube ich“, kam es trocken zurück, „Und jetzt lass mich zufrieden. Ich muss dringend jemanden finden.“ Leicht humpelnd verschwand der kleine Junge in der Menschenmasse und Rin schaute ihm wie angewurzelt hinterher. „Skye… Komisches Kind“, kratzte sich Rin am Kopf, „Dafür, dass er so klein ist benimmt er sich ganz schön erwachsen. Und stur! Ich kapiere gar nicht wie er sich mit diesen Verletzungen überhaupt noch bewegen kann. So ein Idiot. Soll er doch machen was er will.“ Beleidigt verschränkte sie ihre Arme vor der Brust, während sie nochmal an ihren Traum denken musste. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie von oben bis unten klitschnass war. Etwa durch den heftigen Regen? „Was?! War das vielleicht doch kein Traum? Unmög…!“, stockte sie und geriet plötzlich komplett in Panik, „Hä?! Wohin sind…?! Wieso…?!“ Rin schaffte es nicht einen Satz zu ende zu bringen, als sie völlig hysterisch ihren Brustbereich abtastete. „Weg…!“, erstarrte sie abrupt. Durch ihre lauten panischen Ausrufe zog sie mittlerweile erneut die neugierigen Blicke der Passanten auf sich. Diese mussten sich sicherlich bereits denken, dass das Mädchen komplett bescheuert war. Mit geducktem Kopf und einem schiefen Grinsen bewegte sich die Blauhaarige nun endlich, um aus der Menschenmasse zu einem ruhigeren Ort zu gelangen. „Ich verstehe gar nichts mehr. Was bitte passiert hier nur?!“, hatte sie kleine Tränen in den Augen. Sie traute sich gar nicht das Ganze genauer unter die Lupe zu nehmen, denn beim Laufen verspürte sie etwas ziemlich Ungewohntes abwärts der Hüfte. Nach nur wenigen Minuten stand sie schließlich außer Atem vor einer öffentlichen Toilette und verschnaufte erstmal, bevor sie in die verlassene Damentoilette ging. Dort angekommen musterte sie sich in dem großen Spiegel, welcher über den Waschbecken hing. „Sie sind wirklich weg“, starrte die Blauhaarige ungläubig in ihr Spiegelbild. Wieder fasste sie sich mit beiden Händen an ihre flache Brust und wusste nicht recht was sie denken sollte. „Oh Gott!“, riss sie plötzlich die Augen auf und griff schlagartig mit beiden Händen nach ihren mittelblauen durchnässten Haaren, welche mittlerweile nur noch schulterlang waren. Doch ihre Sorge um ihre nun kurze Frisur hielt nur kurz an, denn schnell stützte sie sich mit beiden Händen am Waschbecken ab und hielt ihr Gesicht sehr nahe an den Spiegel. Ein gelbes Augenpaar schaute sie nun an: „Verdammt was ist mit meinen Augen passiert?! Wie ist das überhaupt möglich solche stechend gelben Augen zu haben?!“ Kurz musterte sie diese noch, ehe sie wieder vom Spiegel abließ und besorgt dreinschaute: „Ich verstehe nicht was hier grade passiert. Wer bin ich? Wann habe ich mir die Haare abgeschnitten? Wo sind meine blauen Augen hin? Und was zum Teufel ist da in meiner Hose?!“ Mit einer Mischung aus Angst und Wut schloss Rin sich mit knallender Tür in einer der Toilettenkabinen ein und zog sich blitzartig die Hose herunter. Plötzlich vernahm man nur noch ein grelles ohrenbetäubendes Schreien, welches selbst die Vögel in den Baumkronen verjagte. Sekunden später stiefelte Rin mit purpurrotem Kopf aus der öffentlichen Einrichtung. Mit großen schnellen Schritten und gesenktem Blick lief sie schweigsam davon.   „Was hast du denn schon wieder angestellt? Du solltest doch nur deine Uniform anprobieren gehen“, beäugte Saito seine triefend nasse Schwester, welche soeben den Hausflur betreten hatte. „Die war zu groß. Es hat geregnet und gewittert“, kam es ernst aus der Blauhaarigen. Der Bruder musterte sie mit schiefgelegtem Kopf, da draußen die Sonne schien und kein Tropfen vom Himmel fiel in den letzten Stunden: „Ich glaube der Jetlag kommt grade bei dir durch. Husch husch in die warme Badewanne bevor du dich erkältest.“ „Wer bin ich?“, fragte Rin mit toternster Miene, was ihren Bruder ein wenig erschreckte, jedoch hauptsächlich verwirrte. „Was? Wer sollst du denn sein? Du bist Rin, meine Schwester“, verstand der Blonde die Frage nicht. „Nein“, trat sie näher an ihn heran, „Du musst wohl blind sein. Meine Haare sind plötzlich ab, meine Augen sind krass gelb geworden, meine Brüste sind weg und außerdem ist da… also…“ Mit knallroten Wangen sah sie verlegen zur Seite und hielt sich beide Hände vor den Schritt. Irritiert musterte der junge Mann das Mädchen, ehe er es endlich bemerkte. Es stimmte tatsächlich etwas nicht und er versuchte den Rest des abgebrochenen Satzes der Blauhaarigen zu erörtern: „Was? Außerdem ist da was?“ „Ich… Also…“, verlegen und knallrot blickte sie vorsichtig zum Blonden hinauf. „Rede schon“, rüttelte Saito das Mädchen an den Schultern, „So wortkarg kenne ich dich doch gar nicht. Was ist denn passiert?“ Tränen bildeten sich in ihren gelben Augen: „Ich weiß es nicht, aber ich bin nicht mehr ich. Da waren das unendliche Trümmerfeld und ein kleines Kind. Dann kam ein Gewitter auf und durchnässte uns alle. Als ich von dem Traum aufgewacht bin, war ich plötzlich ein Junge!“ Man merkte richtig, wie Rins Stimme immer lauter und zittriger wurde. Die Tränen flossen nun unaufhörlich und es war fast unmöglich gewesen für sie überhaupt noch etwas zu sehen. „Beruhige dich“, versuchte der Blonde erstmal die Situation wieder in den Griff zu bekommen und umarmte seine Schwester feste, „Natürlich bist du noch du. Meine kleine Schwester. Es gibt sicherlich für alles eine Erklärung. Ich werde für dich da sein und dem Rätsel auf die Spur gehen.“ Die beruhigenden Worte des jungen Mannes machten dem Mädchen wieder etwas Hoffnung und langsam konnte sie sich ein wenig beruhigen. Trotz allem wollte Saito erstmal das Phänomen genauer begutachten, um sicherzugehen, dass Rin nicht wieder irgendetwas dämliches ausgeheckt hatte. Wobei er zugeben musste, dass er kaum glaubte, dass sie plötzlich so ein perfektes Schauspiel hinlegen konnte für einen dummen Streich.   „Kann ich die Augen wieder aufmachen?“, kam es zögerlich von der Blauhaarigen. Sie stand mit umgebundenem Handtuch und ihrem Bruder im Badezimmer, während sie sich beide Hände vor die Augen hielt. Saito schnaubte, als er ihre Haare trockenföhnte: „Du solltest sie nie zumachen. Das habe ich jetzt schon tausendmal gesagt.“ „Aber…“, haderte Rin. „Mach sie endlich auf. Was soll denn bitte passieren?“, meckerte der Blonde, „Ich bin doch nicht dein Babysitter.“ Wortlos ertrug sie die provozierenden Worte ihres Bruders, denen sie normalerweise sofort Kontra gegeben hätte, nahm die Hände herunter und sah mit roten Wangen betrübt zur Seite. Ihr Bruder hatte darauf bestanden, dass sie sich warm abduscht, damit sie sich keine Erkältung einfing. Allerdings gestaltete sich das schwieriger als gedacht, denn Rin wehrte sich demonstrativ dagegen, weshalb der junge Mann das übernehmen musste. In der ganzen Zeit hatte das Mädchen sich die Hände vor die Augen gehalten und ihm das Leben schwer gemacht. Dazu kam noch, dass sie sowieso sehr allergisch auf größere Wassermengen reagierte, was ihre verängstigte Reaktion nicht unbedingt besserte. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die Beiden schließlich wieder aus dem Badezimmer heraus. Rin schmiss sich daraufhin geistesabwesend auf ihr Bett. Saito hingegen stieg die Treppe hinab, nachdem er seiner kleinen Schwester noch ein paar aufmunternde Worte mitgab. Er wollte in der Bibliothek die Bücher wälzen und nach Antworten suchen. Insgeheim machte er sich wohl die größten Sorgen um Rin, was er allerdings nicht vor ihr zugeben konnte. Natürlich war Saito ebenfalls in totale Panik verfallen, aber das konnte er seiner aufgelösten Schwester nicht auch noch antun. Irgendwer musste ja einen klaren Kopf behalten. Er konnte nur absolut nicht verstehen was hier vor sich ging und wie er diese merkwürdigen Ereignisse wieder rückgängig machen konnte. Fragen konnte er auch niemanden. Dazu war die ganze Geschichte zu surreal und absurd. Eher würden sie ihn für verrückt erklären und einweisen. „Hoffentlich geht’s ihr einigermaßen gut“, klappte er schnaubend eines der Bücher zu und sah aus dem Fenster der Bibliothek.   Da Rin vom Tag und der ganzen Reise total im Eimer war, dauerte es auch nicht lange, bis sie sich schlussendlich im Traumland befand. Zwar wälzte sie sich noch einige Male hin und her, doch wachte sie davon nicht wieder auf.   Velvet Room   Schon wieder hörte ich das plätschernde Wasser und diese sanfte Melodie. Dazu noch der Geruch nach frischem Regen… Panisch riss ich die Augen auf und stand wie erwartet wieder knöcheltief im Wasser dieser blauen Folterkammer. „Boah ne!“, meckerte ich. „Nette Begrüßung“, ertönte eine kindliche Stimme. Ich erkannte darin aber einen verstimmten Unterton. Sofort sah ich mich um und blickte in ein gelbes Augenpaar, die einer kleinen Knirpsin gehörten. Sie war einen ganzen Kopf kleiner, stand allerdings breitbeinig mit verschränkten Armen vor mir und starrte mich an. Fasziniert von ihrem leicht wuscheligen und langen platinblondem Haar musterte ich sie. Sie hatte sie zusammengebunden, aber dennoch konnte ich sehen, dass sie ihr bis zum Knie ragten. So eine Haarfarbe war wirklich sehr selten. Auf dem Kopf trug sie eine blaue Mütze mit einem kleinen schwarzen Schild und an den Armen blaue Armstulpen welche an ihrem blauen Oberteil festgeklippt waren. Dieses war in eine schwarze kurze Hose gesteckt und die wiederum wurde von schwarzen Hosenträgern gehalten. Darunter trug sie eine blau-schwarz-weiß karierte Leggings und schwarze Schuhe bis über den Knöchel. Außerdem hatte sie sich einen weißen Schal umgebunden und trug zudem einen weißen Gürtel lässig über der Hose. In ihrer Hand hielt sie ein Tablet. „Und wer bist du, Kleine?“, fragte ich irritiert. „Wer ist hier Klein? Ich bin eine Bewohnerin des Velvet Rooms“, begegnete sie mir harsch, „Mein Name ist Jayce.“ „Aha“, interessierte es mich eigentlich wenig und ich schaute mich weiter im Raum um, da ich diesen komischen Vogel suchte. Kaum hatte ich ihn gefunden, stapfte ich eilig durch das Wasser zu ihm: „Inko!“ „Willkommen, werter Gast“, begrüßte er mich freudig. Genervt stützte ich meine Hände auf seinem Tisch ab und kam ihm näher: „Unser Gespräch vom letzten Mal war noch nicht zu Ende!“ „Was fällt dir eigentlich ein so mit meinem Meister zu sprechen?!“, zog mich die Göre am Shirt zurück, „Und was heißt hier Inko? Sein Name ist Igor! IGOR!“ Um es mir einzuhämmern sagte sie es nochmal mit Nachdruck, doch eigentlich interessierte mich auch sein Name wenig. Ich wollte einfach nur endlich wissen was hier gespielt wurde. „Hey, du weißt doch bestimmt was hier abgeht und wieso ich plötzlich zu einem Jungen geworden bin, oder?“, ignorierte ich die Kleine und sprach zu dem alten Mann. „Wie mir scheint, hat deine Reise begonnen“, sprach er wieder wirres Zeug, „Wirf doch mal einen Blick in deine Hosentasche.“ Verwirrt griff ich in die beiden Taschen meiner kurzen Hose, welche ich frisch zum Schlafen angezogen hatte. Was sollte denn da drin sein? „Eh?“, war das einzige was mir über die Lippen kam, als ich aus meiner linken Tasche einen goldenen Schlüssel und diesen blauen Edelstein zog. Wie kamen die beiden Dinge nur in meine Tasche? Vor allem fragte ich mich, was das für ein Schlüssel war. Zu welcher Tür gehörte er bloß? Angestrengt dachte ich nach, da er mir sehr bekannt vorkam, jedoch kam ich auf keinen Nenner. „Für was ist denn dieser Schlüssel gut?“, musterte ich das Ding immer noch. Igor grinste: „Er wird dir Türen in neue Welten öffnen.“ „Was?“, sah ich ihn genervt an, „Dieses Rätselraten nervt!“ „Du wirst schon sehen wohin er dich zu führen vermag“, bekam ich nur als Antwort, was mir auch nicht wirklich weiterhalf. Und was es mit diesem Stein auf sich hatte durfte ich mir dann wohl auch selbst zusammenreimen.     Kapitel 2 - Neue Schule, Alte Bekannte --------------------------------------   Samstag, 04. April 2015 mittags   Es war bereits Mittag, als Rin endlich erwachte. Hungrig und verschlafen stieg sie die Treppe hinunter in die Küche. Dort hatte ihr Bruder ihr ein Schälchen Reis mit ein paar Beilagen bereitgestellt mit einem Zettel dran, welcher erklärte, dass es für sie sei und dass er in der Uni war. Beim Essen wäre sie beinahe wieder eingeschlafen. Auf die Zeitverschiebung kam sie immer noch nicht richtig klar. „Oh man bin ich müde“, gähnte sie herzhaft während sie sich noch eine Flasche Wasser organisierte und wieder die Treppe hinaufstieg, um sich anzuziehen. Beim Ausziehen der Hose plumpste etwas heraus und das Mädchen schreckte auf: „Der Schlüssel und der Edelstein?! Ich verstehe echt nicht mehr was hier Traum und was Realität ist.“ Während sie darüber nachdachte musterte sie den Schlüssel erneut: „Woher kenne ich dich?“ Leider kam sie auch dieses Mal auf keine Idee und entschloss den Schlüssel sowie den Edelstein an einem Lederband zu befestigen und als Kette zu tragen. Sah immerhin ganz nett aus als Schmuckstück. Kaum hatte sie es angelegt, musterte sie sich im Spiegel und plötzlich stockte ihr Atem. Schlagartig trat sie näher an ihr Spiegelbild heran, so nah, dass kaum noch etwas dazwischen gepasst hätte. Ihre Augen waren geweitet vor Schreck und sie verstand die Welt nicht mehr. „EH?!“, schrie sie laut und langgezogen aus, als im selben Moment etwas blau aufblitzte und ihre Wasserflasche fontänenartig explodierte. Durch den Spiegel konnte sie das plötzliche Phänomen zufällig begutachten und drehte sich daraufhin in Windeseile um, damit sie es in Echt sehen konnte. „Was…“, hob sie die leere Plastikflasche auf und konnte nicht glaube, dass sich diese von selbst entleert hatte. Sie kannte es von diesen Flaschen zwar, dass sie oft ausliefen, weil der Deckel nicht geschraubt wurde, sondern nur draufgesteckt. Aber dass eine solche Flasche einfach wie eine Fontäne schießen würde, das hätte sie nicht erwartet. „So langsam wird’s echt gruselig“, leicht zitterte sie und fasste sich mit beiden Händen an ihre Oberarme. „Außerdem…“, wandte sich Rin wieder ihrem Spiegel zu, „Brüste?! War ich nicht gestern noch ein Junge?!“ Es dauerte zwar etwas bis sie das endlich realisiert hatte, aber ja, seitdem sie aufgestanden war, war sie wieder weiblich. Noch eine ganze Weile starrte sie ungläubig in den Spiegel. Irgendwer trollte sie hier mächtig, das war klar. Ihre Haare waren wieder lang, ihre Augen wieder blau und ihre Brüste hatten wieder die normale Form. Außerdem war dieses andere Etwas endlich wieder weg. Sie vermochte gar nicht daran zu denken, lief jedoch knallrot an. Um den Gedanken wieder aus dem Kopf zu bekommen, schlug sie plötzlich mit ihren Handflächen auf ihre Wangen: „Genug jetzt. Ich muss Saito anrufen.“ Kurz suchte sie ihr Handy, welches noch auf dem Nachttisch lag. Es war ein altertümliches Klapphandy mit hübschem blau-schwarzem Karomuster, das ihr Bruder ihr vermacht hatte, als er sich vor einiger Zeit ein Smartphone kaufte. Klar hätte sie auch lieber eines gehabt, aber das war leider nicht drin. Die Familie war einfach immer knapp bei Kasse, weil der Vater bald mehr in seine Forschung investierte, als er herausbekam. Saito hatte zwar noch einen kleinen Nebenjob, aber selbst der brachte nicht genug ein, weshalb es in der Vergangenheit sogar manchmal knapp mit dem Essen geworden war. Die Blauhaarige wollte zwar auch in der Mittelschule bereits einen Nebenjob suchen, doch verbot es ihr ihr Bruder, da sie zu dieser Zeit noch zu jung war und sich außerdem auf die Schule konzentrieren sollte. Deswegen beschwerte sie sich nie darüber, wenn sie abgelegte und alte Dinge ihres Bruders bekam. Auch war ihr aus diesem Grund das Stipendium so wichtig. So hatte sie nicht nur die Chance auf eine Eliteschule gehabt, sondern auch die Schulkosten wären ihr erstattet worden. Leider hatte sie es gründlich versaut. Mit einem geknickten Schnauben klappte sie das Mobiltelefon auf und wählte geschickt mit wenigen Griffen Saitos Nummer. „Rin? Was ist denn los?“, hörte das Mädchen am anderen Ende ihren Bruder durchs Telefon. Kurz überlegte sie wie sie es formulieren sollte: „Saito-nii, sag mal… War ich gestern ein Junge?“ „Hä?“, kam es verwirrt von der anderen Seite der Leitung, „Wieso fragst du das? Hast du das echt vergessen?“ „Na ja…“, stockte Rin, „Ich hatte es so in Erinnerung, dass ich zu einem Jungen geworden bin mit stechend gelben Augen und kurzen Haaren und mit… du weißt schon.“ „Ja, das warst du ja auch“, war Saito immer noch irritiert, „Bist du etwa wieder normal?“ „Glaube schon.“ „Das ist echt merkwürdig. Ich konnte auch nichts finden, was dieses Phänomen erklären könnte. Vielleicht sind wir ja auch einfach nur gaga und haben halluziniert“, lachte der Blonde. „Als ob“, schmollte das Mädchen. „Ich muss wieder auflegen, Rin“, hatte er es scheinbar eilig, „Heute komme ich erst spät nachts nach Hause. Nach der Uni muss ich noch arbeiten. Vergiss deine Uniform nicht, okay?“ „Jaja, nerv nicht“, meckerte die Blauhaarige und beide legten auf. Genervt organisierte sich das Mädchen erstmal einen Lappen und einen Eimer, um die riesige Pfütze zu beseitigen. Gott sei dank wurde nichts Wichtiges nass. Das Bett hatte ein wenig abbekommen und die Wand, sowie das Fernsehtischchen. Der Fernseher selbst schien unberührt. Immerhin etwas. Aber Wasser würde sie heute definitiv keins mehr trinken. Mit einem Seufzer setzte sie sich auf ihr Bett und überlegte was sie heute wohl am Sinnvollsten treiben könnte. Für den Schulanfang hatte ihr Saito schon alles Weitere organisiert. „Oh Mist, ich habe ja ganz vergessen mich bei Amika zu melden. Sie wird mich umbringen“, verfiel Rin in leichte Panik und tippte sofort erneut auf ihrem Handy rum, bis es wählte. „Hallo?“, ertönte eine weibliche Stimme. „Hey, Ami. Ich bin’s“, meldete sich die Blauhaarige. Überrascht kam es aus der Leitung: „Oh, Rinacchi? Bist du endlich wieder da?“ „Ja, Gott sei Dank“, kratze sich das Mädchen am Hinterkopf, „Schon seit gestern eigentlich. Aber ich habe vergessen mich eher zu melden. Dazu war ich zu fertig, sorry.“ „Ach das macht doch nichts“, kam es freundlich von Amika. „Wollen wir uns treffen? Dann können wir uns erzählen was wir in dem Jahr alles versäumt haben. Ich muss dir unbedingt von Amerika erzählen. Da war doch die eine total eingebildete Zie…“, weiter kam Rin nicht, denn sie wurde von dem Mädchen unterbrochen: „Tut mir leid, Rin. Ich habe keine Zeit. Das könnte schwierig werden. Aber du kannst mir ja in der Schule alles erzählen.“ „Schule? Ich habe aber kein Stipendium mehr für die Suzuki Akademie. Dann sehen wir uns doch gar nicht“, war die Blauhaarige geknickt. „Quatsch, ich habe an die Aehara gewechselt. Ich will doch bei meiner besten Freundin sein“, lachte das Mädchen auf. „Echt?!“, strahle Rin bis über beide Ohren, „Du bist die Beste!“ Damit beendeten sie das Telefonat und die Blauhaarige freue sich nun doch auf die neue Schule. Zwar fand sie es schade, dass sie Amika nicht eher sehen konnte, doch das war schon okay. Im Laufe des Tages holte sie noch ihre Uniform ab, die nun endlich passte und vertrieb sich die Zeit mit Fernsehen und Manga lesen. Zwischendurch schaffte sie es sogar endlich mal ihren Koffer auszuräumen, den sie am gestrigen Tag gekonnt ignoriert hatte.     Montag, 06. April 2015   Laut klingelte und vibrierte Rins Handy vor sich hin. Völlig verschlafen und mit geschlossenen Augen tastete sie danach und ging genervt mit einem langgezogenem „Was?!“ ran. „Schläfst du immer noch, du Knalltüte?!“, hörte man Saito am anderen Ende der Leitung, „Steh auf, die kommst zu spät!“ Sofort riss das Mädchen die Augen auf und blickte auf ihre Uhr: „Oh Gott! Verdammt! Wieso hast du mich nicht geweckt?!“ Mit einem Satz sprang sie aus ihrem gemütlichen Bett und begann sich telefonierend mit einer Hand die Schlafkleidung auszuziehen. „Ich hab dich zweimal geweckt. Du bist sogar beim zweiten Mal aufgestanden und auf die Toilette gegangen“, klatschte sich der Blonde die Hand ins Gesicht. „Trotzdem!“, keifte sie ihn an und legte im selben Moment auf. Eilig machte sie sich fertig, schnappte sich ihr Bento, welches von ihrem Bruder bereitgestellt wurde und rannte aus dem Haus in Richtung U-Bahn. Die Wasserflasche, welche er ihr daneben gestellt hatte, ignorierte sie jedoch gekonnt. Nach wenigen Stationen musste sie schon wieder aussteigen und rannte weiter in die Richtung der Aehara High School. Die Blauhaarige war sich nicht sicher wo genau die Schule eigentlich war und hatte sich zuvor vorgenommen einfach der Schülermasse zu folgen. Aber sie war so spät, dass weit und breit keiner mehr da war. Von weitem ertönte die Schulklingel zur zweiten Stunde und sie wusste, dass sie gar nicht mehr weit sein konnte. Aber wo genau musste sie bloß hin? Als sie um die nächste Ecke rannte, krachte sie mit Karacho in jemanden hinein und fiel direkt auf ihren Hintern. „Aua“, gab sie nur von sich und musterte denjenigen in den sie reingekracht war. Er hatte rote schulterlange Haare und trug ebenfalls die Uniform ihrer Schule. Das schwarze Jackett mit dunkelblauen Streifen an den Seiten und Rändern und eine schwarze Hose. Dazu hatte er noch eine schwarze Mütze auf und einen rot-schwarzen Nietengürtel. Sein Jacket hatte er offen und sein weißes Hemd hing ziemlich unordentlich heraus. Aber urteilen durfte Rin nicht, denn auch ihr Blazer stand offen und ihre weiße Bluse hing über ihrem blau-schwarz kariertem Rock. Kurz musterte sie ihn und überlegte im Stillen: „Den kenne ich doch. Der war in meiner Mittelschulklasse. Zusammen mit seinem blöden Kumpel hat er mich doch immer fertig gemacht. Ob er wohl auch verschlafen hatte?“ Der Rotschopf rappelte sich wieder auf, klopfte den Staub von sich und hielt Rin seine helfende Hand hin: „Tut mir echt leid, ich hab dich nicht um die Ecke kommen sehen.“ „D-Danke“, griff das Mädchen nach seiner Hand, „Mir tut es auch leid, ich hab ja genauso wenig aufgepasst.“ Mit einem Ruck stand auch sie wieder auf den Beinen und klopfte sich ebenso den Dreck von der Kleidung. „Gehst du auch auf die Aehara?“, fragte der Junge verunsichert. „Sieht man doch, oder?“, grinste sie schief und verstand die Frage nicht so recht. Er legte den Kopf schräg und schaute Rin verwirrt an: „Du weißt aber schon, dass du dann an der Schule vorbeigelaufen bist, oder?“ „EH?“, war alles was die Blauhaarige geschockt herausbrachte. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie schon an der Schule vorbeigerannt war. Dabei sah sie sich doch extra suchend danach um. Kurz lachte ihr Gegenüber: „Du bist ja drollig. Komm, ich zeig dir den Weg.“ „Selber drollig“, war sie beleidigt. Er setzte sich allerdings einfach in Bewegung und das Mädchen folgte ihm etwas genervt. „Ich bin übrigens Akira Yoshida, und du?“, grinste er sie fröhlich an. Irritiert sah sie ihn von der Seite an, da sie bereits wusste wer er war, weil er in ihrer damaligen Klasse war. Die alte Leier wollte sie allerdings nicht wieder ausgraben, weswegen sie einfach nur ihren Namen nannte: „Rin Aikawa.“ „Freut mich dich kennenzulernen. Du bist neu an der Schule, oder?“, fragte er heiter. Mit einem kurzen Nicken bestätigte sie es. Er verschränkte die Arme hinter seinem Kopf: „Soll ich dich später in der Schule etwas herumführen?“ „Gerne“, kam ihr dieses Angebot sehr recht, obwohl sie trotzdem noch immer verwirrt darüber war, dass er sie einfach vergessen hatte. Eigentlich mochte sie ihn auch absolut nicht, weil er immer ziemlich gemein zu ihr gewesen war, aber er schien eigentlich kein schlechter Kerl zu sein. Also konnte sie ihm ja seine Chance geben. Endlich erreichten sie nun auch das Schultor und das Schritttempo der beiden hob sich etwas an. Um herauszufinden in welchen Klassen sie untergebracht waren, blieben sie kurz an der Infotafel stehen. „Ich bin in der 2B und du?“, fand Akira endlich seinen Namen in der Klassenliste. Rins Gesicht leuchtete förmlich, als sie sah, dass Amika ebenfalls in ihrer Klasse war: „Ich auch.“ „Das ist ja mal ein Zufall“, lachte der Rothaarige. Da sie die Eröffnungszeremonie leider verpasst hatten, machten sich die beiden Zuspätkommer direkt auf den Weg in die Klasse. Dort angekommen wurden sie natürlich zuerst einmal von ihrem Klassenlehrer gerügt, dann aber auf die noch freien Plätze verwiesen. Glücklicherweise hatte Amika ihrer besten Freundin einen Platz freigehalten, weswegen die Blauhaarige munter auf den Fensterplatz in der letzten Reihe zusteuerte. Akira nahm direkt auf dem Stuhl vor ihr platz und der Lehrer konnte endlich fortfahren. „Wie kann man denn am ersten Tag verschlafen?“, flüsterte Amika ihrer besten Freundin zu, „Und warum kommst du mit ihm zusammen?“ Sie deutete auf Akira, welcher die Konversation nicht zu bemerken schien. „Passiert halt. Ich hab ihn aus Versehen über den Haufen gerannt“, grinste die Blauhaarige ihre Freundin an. Sie hatte braune Augen und rotbraune Haare, welche ihr bis zur Schulter ragten und grade abgeschnitten waren. Ihre Uniform trug sie ordentlich zugeknöpft. Statt der schwarzen vorgeschriebenen Kniestrümpfe hatte sie allerdings eine schwarze Strumpfhose angezogen.   Nach einer gefühlten Ewigkeit klingelte es endlich zur Mittagspause und Akira drehte sich sofort zu Rin um: „Na wie siehts aus. Soll ich jetzt einlösen was ich versprochen hab?“ „Besser nach der Schule“, kramte die Blauhaarige ihr Bento heraus, „Ich würde gerne die Zeit zum Mittagessen nutzen.“ „Soll mir recht sein“, erhob er sich, um die Klasse zu verlassen, „Ich gehe mir kurz was zu Essen kaufen. Brauchst du auch irgendwas?“ Dankend lehnte Rin ab und der junge Mann verlies den Raum. Amika hatte das Geschehen die ganze Zeit beäugt und schien etwas verstimmt zu sein: „Bist du mit Yoshida-kun befreundet? Seit wann?“ „Ich weiß ja auch nicht. Seit ich ihm heute Morgen begegnet bin ist er so nett und scheint auch vergessen zu haben, dass er mich in der Mittelschule zusammen mit Kuro-kun immerzu schikaniert hatte“, zuckte Rin mit den Schultern. „Und was hat er dir versprochen?“, löcherte die beste Freundin weiter. „Ach, er hat mir nur angeboten die Schule etwas zu zeigen“, winkte das Mädchen ab, „Komm doch einfach mit, Ami. Dann kannst du dir auch gleich alles erklären lassen.“ „Gerne“, freute sie sich. Vielleicht sogar etwas zu sehr, was Rin allerdings nicht bemerkte. Sie redeten während dem Essen noch ein wenig über alles Mögliche, was sie verpasst hatten in dem Jahr, als Akira wieder zurückkam und auf Rins Tisch eine Dose Limonade abstellte. Wortlos setzte er sich, um seine soeben gekauften Sandwichs zu verschlingen und die Blauhaarige schaute nur verwirrt zu ihm herüber. „Yoshida-kun?“, fragte das Mädchen vorsichtig. „Ist für dich“, kam es nur knapp, ohne dass er sich zu ihr umdrehte. Verdattert starrte sie die Dose an: „D-danke. Aber warum?“ „Einfach so“, drehte er sich nun doch um und grinste sie an. Bevor die Blauhaarige noch irgendetwas anderes erwähnen konnte, stand Amika ruckartig von Tisch auf: „Ich gehe kurz auf die Toilette.“ Mit schnellem Schritt und ohne ihre beste Freundin vorher nochmal anzusehen, stiefelte sie davon. Verwirrt schauten ihr die beiden Zurückgelassenen hinterher. „Was ist der denn über die Leber gelaufen? Ist das deine Freundin?“, hing der Blick des Rotschopfes immer noch an der Tür, durch welche die Brünette soeben verschwand. „Ich weiß auch nicht was sie hat“, grübelte das Mädchen, als sie ihr Getränk öffnete und einen Schluck nahm. Ob Akira wohl bemerkt hatte, dass Rin nichts zum Trinken dabeihatte? Aber woher hätte er es wissen sollen? Sie hatte es doch mit keinem Wort erwähnt. Kurz bevor der Unterricht wieder weiterging kam die Brünette endlich wieder in den Saal und setzte sich wortlos. „War was?“, hakte Rin nach. „Was soll denn gewesen sein?“, kam es nur knapp zurück und die Unterhaltung war wieder beendet.   Nach dem Unterricht löste der Rothaarige nun sein Versprechen ein und führte die beiden Mädchen herum. Während Amika wortlos mit verschränkten Armen neben ihrer besten Freundin hertrottete, unterhielten sich die anderen beiden angeregt. Es schien der Brünetten zu missfallen, dass ihre beste Freundin plötzlich so einen guten Draht zu Akira hatte. Sie schlenderten durchs ganze Gebäude und der junge Mann zeigte den beiden wo sich die Fachräume befanden oder wo das Krankenzimmer war. Auch am Lehrerzimmer und diversen Clubs kamen sie vorbei. „Und hier sind die Clubräume der Sportclubs“, erklärte der Rotschopf. „Bist du denn eigentlich auch in einem?“, kam direkt die Frage von der Blauhaarigen. Angesprochener grinste nur schief und meinte: „Dazu habe ich leider keine Zeit. Nach der Schule arbeite ich meistens noch. Aber du könntest dich doch in einem Club einschreiben, Aikawa-chan.“ Kurz dachte sie darüber nach: „Ach, ich weiß nicht. Hier gibt es meine favorisierte Sportart bestimmt nicht.“ „Welche denn?“, hakte er nach. „Lacrosse“, war die Frage mit einem Wort beantwortet. Akira hob nachdenklich eine Augenbraue: „Also, die Sportart ist hier zwar kaum verbreitet, aber es gibt ein Lacrosse-Team an dieser Schule. Sollen wir mal vorbeischauen?“ „Ernsthaft?“, weiteten sich ihre Augen, „Wenn das geht, dann gerne.“ „Macht ihr mal“, meldete sich Amika plötzlich auch mal zu Wort, „Ich muss allerdings los. Hab noch was zu erledigen. Wir sehen uns morgen.“ „Oh, okay“, kam es verdutzt von der besten Freundin und sie verabschiedeten sich kurz und knapp. „Sie ist irgendwie seltsam geworden in diesem einen Jahr“, nuschelte Rin. Nachdem die beiden Verbliebenden den Sportplatz und die Sporthalle nach dem Team absuchten, klopften sie letzten Endes an die Tür des Clubraumes, welcher im Grunde nur eine Umkleidekabine war. Dort fanden sie das Team endlich. Die gemischten Mitglieder saßen zu fünft in der Kabine, aßen Süßigkeiten, spielten am Handy und tauschten sich über den neusten Klatsch aus. „Ihr seid das Lacrosse Team?“, ging Rin lieber nochmal auf Nummer sicher, „Wann trainiert ihr denn?“ „Trainieren? Wozu denn?“, kam es von einem genervten Mädchen. „Na ja…“, fehlten der Blauhaarigen etwas die Worte. Ein Junge mischte sich nun murrend ein: „Ist doch total egal. Nachdem unsere Senpais weg sind, hat das hier doch sowieso keinen Sinn mehr.“ „Bist du blöd?“, sah Rin missbilligend in die Rund, „Dann werbt doch welche von den Kouhais an! Außerdem kann man auch zu fünft trainieren! Wieso gebt ihr direkt auf?!“ Völlig genervt von der unmotivierten Gruppe, knallte das Mädchen die Tür des Clubraumes wieder zu und meckerte leise vor sich hin, während ihr Akira blöd guckend folgte. „Die sind doch total verblödet, oder? Wenn die da so unmotiviert rumhocken verbessern sie ihre Situation rein gar nicht“, verschränkte das Mädchen die Arme. „Wo du recht hast, hast du recht“, stimmt der junge Mann ihr zu, „Tritt dem Team doch bei und trete ihnen mal gehörig in den Hintern.“ „Ich will zwar schon gerne spielen, aber ich habe wenig Lust mich mit so einem unmotivierten Haufen anzulegen“, knurrte sie. „Verständlich.“ „Am liebsten würde ich gerne an die Suzuki Akademie wechseln. Die haben die am besten trainierten Sportclubs in der ganzen Gegend. Und das Lacrosse Team dort soll auch richtig klasse sein“, jammerte sie herum. Auf die Frage, weswegen sie dann an der Aehara High School war, bekam der Rotschopf eine kurze Erklärung darüber wie sie ihr Stipendium verloren hatte, und dass sich nur die Reichen der Reichen diese Schule leisten konnten. „Recht hast du ja“, grinste der junge Mann, „Ich könnte mir diese Eliteakademie auch niemals leisten. Man kann dort zwar einen klasse Abschluss machen, wonach einem alle Türen offenstehen, aber die Gebühren sind locker viermal so hoch wie die dieser staatlichen High School hier.“ „Wenn ich doch nur mein Sport-Stipendium wiederbekommen könnte“, schnaufte das Mädchen schwer. Kurz überlegte Akira: „Ich kenne da jemanden, bei dem ich mich mal erkundigen könnte. Vielleicht gibt es ja doch irgendeine Möglichkeit, dass sie es dir wieder anerkennen.“ „Ehrlich?!“, funkelten ihn zwei blaue Augen an. „Eh?“, erschrak er über Rins plötzliches Strahlen, lächelte dann aber lieb, „Ich kanns zumindest versuchen.“ „Das ist ja der Wahnsinn. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass es doch noch eine Chance gibt“, quiekte sie freudig auf und hüpfte hyperaktiv herum. Akira musste über Rins Freudentanz lachen: „Hätte nicht gedacht, dass dir das so viel bedeutet. Dann hänge ich mich doppelt rein.“ „Du bist der Beste“, strahlte das Mädchen immer noch. „Ich muss mich jetzt allerdings verabschieden. Die Arbeit ruft leider“, wollte er damit seinen Rundgang beenden. „Okay, dann will ich dich mal nicht aufhalten. Danke fürs Rumführen“, verabschiedete sie sich von ihm. „Habe ich doch gerne gemacht. Wenn du noch irgendwelche Fragen hast, dann nur raus damit, okay?“, winkte er ihr nochmal, ehe er ganz verschwand, „Tschüss, bis morgen.“ „Bis Morgen“, winkte auch sie ihm hinterher. Von weitem hätte sie schwören können, dass ihr ein blauer leuchtender Schmetterling um Akira herum aufgefallen war. Als sie sich die Augen rieb war er jedoch verschwunden. „Ich träume schon wieder“, kratzte sich die Blauhaarige am Kopf. Plötzlich ertönte aus dem Nichts eine merkwürdige Stimme: „I Am Thou… Thou Art I...“ Komplett verwirrt sah sich das Mädchen hektisch um, konnte aber keinen ausfindig machen, von dem es hätte kommen können. „Merkwürdig“, nuschelte sie, „I Am Thou? Thou Art I? Was zum Teufel soll das überhaupt bedeuten?“ „Das heißt soviel wie: Ich bin du. Du bist ich“, vernahm sie eine weibliche Stimme. Sofort fuhr Rin erneut herum, erblickte aber dieses Mal wirklich jemanden. Es war ihre Englischlehrerin, welche sie am heutigen Tag im Unterricht kennenlernte. „Ach so, danke, Sensei“, war die Blauhaarige immer noch perplex, denn selbst die Übersetzung machte die Aussage nicht weniger unverständlich. „Wo hast du das denn aufgeschnappt“, lachte sie. „Hab ich grad von ein paar Schülern gehört“, log Rin und grinste schief. Als ob sie ihr glauben würde, dass die Stimme aus dem Nichts aufgetaucht war. Trotzdem merkwürdig. Sie hatte diese Formulierung noch nie gehört. Selbst in dem ganzen Jahr in Amerika kam ihr nichts dergleichen unter. Was solls. Grübeln brachte sie hier nicht weiter. Stattdessen verabschiedete sie sich von ihrem Sensei und machte sich auf den Weg.   Kapitel 3 - Rins schlimmster Alptraum -------------------------------------   Dienstag, 07. April 2015   Endlich ertönte die Schulklingel, welche die Schüler in die Freiheit entließ. Kurz wanderte Rins besorgter Blick nach rechts auf den freien Platz, an welchem ihre beste Freundin Amika eigentlich saß. Heute war sie nicht zur Schule gekommen und auf die SMS, die das Mädchen ihr schickte, bekam sie noch immer keine Antwort. Auch ihre Anrufe in der Mittagspause wurden ignoriert. Es war recht ungewöhnlich, dass die Brünette einfach so fehlte und nicht antwortete. Ob wohl irgendetwas passiert war? „Können wir?“, ertönte Akiras Stimme direkt vor der Blauhaarigen. Allerdings bekam er keinerlei Reaktion von Angesprochener und versuchte es erneut: „Aikawa-chan? Alles okay?“ Leicht zuckte Rin zusammen, als sie ihren Namen hörte und registrierte nun endlich den Rothaarigen: „Oh, ja, sorry.“   Immer noch gedankenversunken wanderte Rin nun neben dem Rothaarigen her. Er hatte es geschafft ein Treffen mit seinem Bekannten für das Mädchen zu organisieren. Wenn sie Glück hatte bestand die Chance, dass sie eventuell ihr Stipendium zurückbekommen würde. Sie hoffte so sehr, dass es klappen könnte und sie am Ende doch noch an der Suzuki Akademie angenommen werden würde. So blieben ihr die Schulkosten erspart und sie hatte die Chance auf einen top Abschluss. Außerdem würde sie vermutlich vor Glück sterben, wenn sie in der besten Lacrosse-Mannschaft spielen könnte, die der Umkreis zu bieten hatte. Aber an all dies dachte die Blauhaarige zurzeit nicht, denn ihr schwirrte Amika noch immer im Kopf herum. Es musste doch einen triftigen Grund geben, weswegen sie von der Schule fernblieb und sich nicht mal meldete. Rin hatte ein wirklich merkwürdiges Gefühl und machte sich riesen Sorgen. „He, ist alles in Ordnung?“, blickte der junge Mann zu ihr herüber. „Was? Eh… ja“, stotterte sie herum. Nachdem kurzes Schweigen ausbrach, schnaubte das Mädchen schwer: „Okay, nein. Ich mache mir Sorgen um Ami. Es ist ungewöhnlich, dass sie sich nicht einmal gemeldet hat.“ „Sollen wir vielleicht einen kleinen Abstecher machen? Dann kannst du nach ihr sehen?“, schlug Akira vor. „Ich möchte nicht, dass dein Bekannter wartet. Das wäre unhöflich und würde keinen guten Eindruck hinterlassen“, blieb ihr Blick besorgt. Der Rothaarige hingegen winkte nur ab: „Blödsinn. Der hockt da noch den ganzen Tag in seiner Arbeit. Das kratzt den null, ob wir jetzt oder später vorbeischauen.“   Es dauerte nicht lange, bis sie endlich das zu Hause der Brünetten erreichten. Die beiden bogen soeben um die letzte Ecke, als Rin plötzlich tief einatmete, die Augen aufriss und wie zu Stein erstarrte. Akira zuckte durch die Reaktion des Mädchens sogar kurz zusammen und sah sie mit besorgter Miene an: „Aikawa-chan? Was ist denn passiert?“ Ohne ihren nach vorne gerichteten Blick abzuwenden oder ein Wort zu sagen, zeigte sie mit dem Finger auf eines der Häuser. Na ja, zugegebenermaßen konnte man es nicht mehr so nennen, denn es war teilweise in sich zusammengefallen und großflächig abgesperrt wegen Einsturzgefahr. „Das ist vor einigen Wochen abgebrannt. Da war ein großer Bericht in der Zeitung, weil es wohl auch Opfer gab“, blieb der Rotschopf zuerst wenig beeindruckt, „Warte… Das ist doch nicht das zu Hause deiner Freundin, oder?!“ „Doch“, bebte die Stimme des Mädchens förmlich. Sie war sprachlos und wusste nicht was sie sagen sollte. Warum war das Gebäude abgebrannt? Und was meinte Akira mit „Opfer“? War etwa jemand gestorben? Wo war ihre beste Freundin nun abgeblieben? Und am Wichtigsten: Wieso erzählte sie ihr nichts davon? Hatte sie kein Vertrauen mehr in ihre beste Freundin? So viele Fragen fuhren in dem Kopf der Blauhaarigen Achterbahn, dass sich ihre Augen verdrehten und sie in sich zusammensackte. Ihr Begleiter konnte sie grade noch rechtzeitig auffangen, bevor sie unsanft auf den Boden geprallt wäre. „Aikawa-chan!“, rief er und rüttelte an ihren Schultern, „Hey! Wach auf!“ Es dauerte nur Sekunden, bis sie wieder ihre Augen öffnete: „Was ist los?“ Völlig benebelt schaute sie in die blauen Augen des besorgten Akira und war schneller wieder bei Bewusstsein, als er dachte. Schlagartig sprang das Mädchen auf und lief näher auf das abgebrannte Haus zu. Ungläubig stand sie davor und konnte es immer noch nicht fassen. „Es ist einfach abgebrannt? Komplett abgebrannt? Warum bloß?“, murmelte sie vor sich hin und musste mit den Tränen kämpfen. „Hat sie dir nie etwas erzählt?“, trat der Rotschopf neben sie. Auf das Gebäude starrend schüttelte sie kurz den Kopf und der junge Mann tätschelte vorsichtig ihren Kopf: „Das tut mir echt leid.“ Nun wandte sie sich ihm zu: „Du sagtest doch eben, dass es Opfer gab, oder? Ist jemand gestorben? Wer? Und wie ist das passiert?“ Durchbohrt von Fragen musste er kurz überlegen: „Oh je. Das ist schon so lange her, als ich den Bericht überflogen hatte. Ich glaube es ist eine Frau gestorben und jemand wurde leicht verletzt. Ich weiß aber nicht genau wer. Und wie das passiert ist, war scheinbar unklar.“ „Eine Frau? Etwa Amis Mutter? Oh nein!“, hielt sie sich beide Hände an die Wangen, „Und wo wohnen sie jetzt?“ Ihr Begleiter zuckte mit den Schultern: „Wer weiß. Wir können ja mal einen Nachbarn befragen.“ Gesagt, getan, schritt das Mädchen zielstrebig auf das Haus links daneben zu und klingelte. Nachdem keiner öffnete versuchte sie es erneut, aber es war wohl keiner zu Hause. Sofort ging sie auf das Gebäude auf der rechten Seite zu. Dort wurde ihr zwar geöffnet, aber es konnte ihr keine Auskunft gegeben werden, weil besagte Mieter erst vor kurzem eingezogen waren und es da schon abgebrannt war. Auch in den Häusern gegenüber hatte das Mädchen wenig Glück und geknickt blieb sie auf der Straße stehen: „Das kann doch nicht wahr sein. Wo sind die alle und wieso weiß hier keiner was?!“ Akira grinste sie schief an und symbolisierte, dass er doch auch keinen Plan hätte wieso hier keiner brauchbare Informationen hatte. Schlussendlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als wieder zu gehen. Rins Sorgen wurden durch den versuchten Besuch nicht weniger und dem Rothaarigen tat es fast schon Leid, dass er ihr vorgeschlagen hatte bei Amika zu Hause vorbeizusehen. Aber besser so, als dass das Mädchen auf ewig Unwissend über die Geschehnisse blieb.   Endlich waren sie vor der Suzuki Akademie angekommen und Rin musste erneut über den riesigen Campus staunen. Sie hatte schon fast vergessen, was diese Schule doch für eine Eliteeinrichtung war. Direkt hinter der Mauer waren viele große Kirschbäume angepflanzt worden, welche zu dieser Jahreszeit in voller Blüte standen. Ging man durchs Tor, erstreckte sich ein langer Weg geradeaus ins Gebäude hinein. In der Mitte wurde der breite Pfad durch einen großen Springbrunnen kurz geteilt. Links und rechts am Wegrand waren große, lange Blumenbeete angelegt, welche sich vom Weg aus zu beiden Seiten in mehreren Reihen erstreckten. Zwischendurch waren einige Lücken in den Beeten, damit man dennoch problemlos hindurchschlüpfen konnte. Links war der Bau noch recht weitläufig, während er auf der anderen Seite vielleicht nur halb so lang war. Auf der kurzen Seite konnte man vom Eingangsbereich aus schon den überdimensionalen Sportplatz erkennen. Das Mädchen sah ein Fußballfeld, sowie ein Basketballfeld. Auch Baseball konnte sie erkennen. Mehr war für sie auf die Entfernung nicht zu sehen. Auf der linken Seite jedoch konnte sie am Ende einen großen gut belegten Fahrradplatz sehen. Das Schulgebäude selbst machte dann an den beiden Seiten einen Knick nach hinten zu einem sehr langen U. Einige Schüler, welche schon Schulschluss hatten, liefen den beiden entgegen und musterten sie merkwürdig. So zwei Gestalten mit der Uniform der staatlichen und billigsten Schule der Stadt fielen in dieser Eliteeinrichtung schon ein wenig auf. Peinlich berührt zog das Mädchen etwas den Kopf ein und starrte auf den Boden während sie zügig neben Akira herlief. Natürlich schaute die Blauhaarige somit auch nicht mehr nach vorne und krachte plötzlich in den Rücken einer stehenden Schülerin hinein und riss sie zu Boden. Beiden schrien sie vor Schreck kurz auf, bevor sie auf dem harten Asphalt aufkamen. Im selben Moment ging von Rin wieder ein kurzes blaues Leuchten aus und plötzlich schoss das Wasser des Springbrunnens vor ihnen für wenige Sekunden fontänenartig in die Luft. „Krass“, blieb der Rothaarige wie angewurzelt stehen und beäugte mit offener Kinnlade wie das Wasser für kurze Zeit verrücktspielte. Auch die anderen Schüler, welche in unmittelbarer Nähe waren, schauten nicht schlecht, als sie die Fontäne gesehen hatten. „Aua“, rappelte sich die Blauhaarige auf und entschuldigte sich, „Tut mir leid, ich hab dich nicht gesehen.“ Ein Mädchen mit eisblauen, knielangen Haaren saß vor ihr und umklammerte mit ihrer rechten Hand ein Buch. Schüchtern antwortete sie nur: „I-ist ja nichts passiert.“ Schnell half Rin ihr wieder auf die Beine und setzte sich schnell mit ihrem Begleiter wieder in Bewegung. Sie wollte nicht von den anderen Schülern angestarrt werden für ihre Blödheit. „Du rennst gerne in Leute, kann das sein?“, lachte Akira laut. Gespielt beleidigt blies das Mädchen ihre Wangen auf und sagte einfach nichts. Aber Recht hatte er dennoch. Manchmal war die Blauhaarige so sehr in ihrer eigenen Welt versunken, dass sie ihr Umfeld gar nicht mehr wahrnahm. „Hast du gesehen wie der Springbrunnen plötzlich kurz eskaliert ist? Das war echt einmalig“, lachte er immer noch. „Eskaliert?“, fragte sie irritiert, „Was war denn mit dem Brunnen?“ „Hast du nicht gesehen, wie da plötzlich eine meterhohe Fontäne raus geschossen kam?“, stutzte der Rotschopf. Das Mädchen schüttelte nur ihren Kopf und verstand nicht so ganz was da vorgefallen war. Vermutlich war das genau in dem Moment passiert, in dem sie in die Schülerin reingekracht war. Aber merkwürdig war es schon, denn vor einigen Tagen war ja etwas Ähnliches mit ihrer Wasserflasche passiert. „Na ist ja auch egal. Der Springbrunnen hatte sicher nur einen Defekt oder so“, zuckte der junge Mann mit den Schultern, „Aber hast du dir mal dieses Mädchen eben angeschaut? Ich finde ihr seht euch irgendwie ähnlich.“ „Findest du? Nur weil sie auch blaue lange Haare hat? Aber ihre sind so viel heller und länger als meine“, kurz nahm sie eine ihrer Strähnen in die Hand und musterte sie. Der Rothaarige musste überlegen: „Ich weiß auch nicht. Aber als ich euch da so zusammen gesehen habe, da dachte ich, dass ihr eine gewisse Ähnlichkeit miteinander habt.“ Da die beiden auf keinen klaren Nenner kamen, ließen sie die Diskussion darüber jedoch bleiben und Rin hoffte, dass sie schnell bei besagtem Bekannten ankamen. Nachdem Akira zielstrebig durch das halbe Gebäude gewandert war, blieb er schließlich vor einer Tür stehen. Ob das wohl das Zimmer des Direktors war? Das Lehrerzimmer war es definitiv nicht. Aber Rin konnte sich auch nicht vorstellen, dass der Direktor ausgerechnet hier seinen Raum hatte. Es waren zwar keine offiziellen Klassenzimmer, aber direkt nach diesem Raum erstreckte sich ein langer Gang mit diversen Clubräumen. Kaum hatte der Rotschopf geklopft wurde auch schon die Tür aufgeschoben und ein Mädchen mit schulterlangen hellbraunen Haaren stand vor den beiden. In ihrem Arm hatte sie einige Unterlagen umklammert und begrüßte die Ankömmlinge höflich. „Oh, Minatsuki-chan? Du hier?“, grinste Akira das Mädchen frech an. Scheinbar musste sie kurz überlegen: „Ah, bist du es Yoshida-kun? Wie geht’s, was führt dich denn her?“ „Gut soweit. Ach, das wird nur ein kurzer Besuch“, winkte er ab. Nur wenige Sekunden später verabschiedeten sie sich wieder voneinander und die Brünette verschwand den Gang entlang. Verwirrt beäugte Rin das Geschehen und verstand nicht so ganz woher er diese Schülerin wohl kannte. Immerhin ging sie auf diese Eliteakademie, war sicherlich stinkereich und hatte kaum etwas mit Leuten zu tun, die nur eine billige staatliche Schule besuchten. Sofort trat Akira in den Raum und sah sich suchend um: „Ah, hey, da bist du ja.“ Grüßend hob er eine Hand in Richtung einer riesen Bücher- und Papiermauer. Saß da etwa jemand dahinter? Auch das Mädchen trat nun in den Raum und schob die Tür hinter sich zu. „Wie wäre es mit einem ‚sorry‘ du ewiger Zuspätkommer!“, ertönte eine murrende männliche Stimmer hinter der Mauer. Grinsend kratze sich Angesprochener am Hinterkopf: „Ja ja, sorry. Mach doch keinen Elefanten draus. Du bist doch heute sowieso den ganzen Tag hier.“ War der Bekannte des jungen Mannes etwa ein Schüler? Wie konnte ihr ein Schüler wieder zu ihrem Stipendium behelfen? Irritiert musterte Rin wie Akira sich mit der Mauer unterhielt. „Ich hab aber besseres zu tun, als ewig zu warten“, erschallte erneut die Stimme, welche dem Mädchen nach genauerem Hinhören irgendwie bekannt vorkam. Allerdings konnte sie sie nicht zuordnen. Doch sie musste dem jungen Mann schon einmal irgendwo begegnet sein. Wer war das bloß? „Ist ja schon gut. Ich wurde nun mal aufgehalten, aber ich habe Aikawa-chan mitgebracht“, deutete er auf seine Begleitung und steuerte die Tür wieder an, „Ich bin dann mal kurz auf der Toilette.“ Mit großen Augen schaute die Blauhaarige ihm hinterher. Er wollte sie doch jetzt nicht etwa alleine lassen, oder? Kaum war er aus der Tür verschwunden ging Rin einige Schritte auf die errichtete Papiermauer zu: „Hallo, freut mich Sie kennenzulernen. Mein Name ist Rin Aikawa“, sie verbeugte sich so höflich sie konnte und versuchte somit einen guten Eindruck zu hinterlassen. Man hörte wie der Stuhl bewegt wurde und aus der Barrikade erschien plötzlich ein junger Mann im Alter des Mädchens. Gekonnte schwang er sich über die lange Tischreihe und setzte sich auf dessen Kante direkt vor dem Mädchen. Er war relativ groß und hatte kurze schwarze Haare. An den Seiten hingen jedoch zwei lange Strähnen herunter und sein Pony verlief schräg nach links. Dazu standen ihm zwei kleinere Strähnen vom Kopf ab. Seine Augen waren Goldbraun und sein Blick musterte das Mädchen ziemlich desinteressiert. Zum Erstaunen der Blauhaarigen trug ihr Gegenüber die Schuluniform. Und das ziemlich schlampig. Das schwarze Jackett mit gelb-karierten Akzenten stand offen und wurde an den Ärmeln hochgekrempelt und statt dem weißen Hemd trug er ein einfaches T-Shirt darunter. In passendem Gelb hatte er sich ein Dreieckstuch um den Hals gebunden. Die gelb-karierte Hose war das einzige was er nicht unordentlich angezogen hatte. Wie auch? Lediglich eine kleine Eisenkette zog sich von seinem linken Bein bis nach hinten. An ihr hing ein strahlend grüner Stein. Vermutlich ein Smaragd? „Und du bist gekommen, weil du dein Stipendium wiederhaben willst?“, legte er sein rechtes Bein über sein linkes und stützte seinen Kopf mit seinem Arm auf besagtem Bein ab. Statt einer Antwort starrte das Mädchen nur wie gelähmt auf die Person welche da vor ihr saß. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein, oder? Sie kannte den Schwarzhaarigen. Sie kannte ihn nur zu gut. Es war kein geringerer als der beste Kumpel von Akira, Rins größter Alptraum, Kuroya Ayumu alias Kuro. Wie oft hatte er sie in der Mittelstufe schikaniert, gedemütigt und sie vor ihren Freunden lächerlich gemacht? Sie hasste ihn. Abgrundtief. „Hey, warte mal“, legte Kuro den Kopf schief und musterte das Mädchen, „Du kommst mir bekannt vor.“ Panisch wich die Blauhaarige einen Schritt zurück. Die Angst stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben und der Schweiß tropfte ihr von der Stirn. Nie im Leben würde ihr der Vollidiot ein Stipendium geben. Vor allem verstand sie nicht wieso ausgerechnet er dazu bemächtigt sein sollte. Wieder meldete sich der junge Mann zu Wort: „Ah! Ich hab‘s! Du bist doch die Kleine aus der Mittelschule.“ Ein fieses, siegessicheres Grinsen legte sich über sein Gesicht und wieder fehlten dem Mädchen die Worte. „Was ist los mit dir? Hast du deine Stimme verloren?“, lachte er fies, „Oder hast du etwa Angst?“ Da er mit seinen Worten genau ins Schwarze traf, zuckte Rin unweigerlich zusammen. Trotzdem schaffte sie es nicht ihm Kontra zu geben. Was war bloß verkehrt mit ihr? Wenn ihre Freunde oder ihr Bruder sich über sie lustig machten, dann konnte sie immer schlagfertig irgendetwas heraushauen, um das Blatt zu wenden. Aber wieso versagte ihre Stimme jedes Mal bei diesem Kuro? Warum war ihr Kopf dann wie leergefegt? „Na, was soll’s. Dann kommen wir mal zum Thema. Du weißt schon, dass ich dir nicht einfach so ein Stipendium schenken kann, oder? Die Schule kann besseres mit ihrem Geld anfangen, als jemand talentlosen wie dich zu fördern“, plapperte er drauflos, „Also?“ Also was? Was wollte er bloß damit andeuten? Plötzlich sprang er vom Tisch auf und stellte sich unmittelbar vor das Mädchen. Er war gut einen Kopf größer als sie, was schon zur Einschüchterung reichte. Doch er setzte noch einen drauf, indem er seinen Rücken krümmte und ihr mit seinem Gesicht näherkam. Unweigerlich zog sie ihren Kopf zurück, blieb aber wie angewurzelt direkt vor ihm stehen. Nun sahen sich die beiden direkt in die Augen. Kuro frech-fröhlich grinsend und Rin mit weit aufgerissenen angsterfüllten Augen. In diesem Moment griff er nach der Kette, welche das Mädchen unter ihrer Bluse trug. Heraus purzelten der blaue Edelstein und der goldene Schlüssel. „Also?“, zog er das Wort lang, während er den Schlüssel verwundert begutachtete. „Was ist dein Preis, Aikawa?“, blickte er auf und starrte ihr direkt in die Augen. Wie jetzt ‚Preis‘? Was meinte er mit ‚Preis‘? Und was erlaubte er sich einfach an ihren Sachen herumzufummeln? Schlagartig wich das Mädchen endlich einige Schritte zurück und umklammerte feste ihre Oberarme. Dabei rutschte der Schlüssel aus Kuros Hand. Rins Blick verriet, dass sie mittlerweile noch viel verängstigter war als zuvor, was dem jungen Mann sichtlich gefiel. Laut lachte er auf: „Wahaha, was du bloß denkst. Als ob ich mich an jemanden wie dich freiwillig ranmachen würde.“ Dann deutete er mit dem Finger auf die Blauhaarige, stemmte seine andere Hand in die Hüfte und richtete seinen Rücken wieder auf: „Werde meine persönliche Assistentin!“ Hatte sie sich grade verhört, oder hat er das echt gesagt? Als ob sie für ihn den Sklaven spielen würde. Das Mädchen wusste ganz genau was sie sich dann tagein tagaus von ihm gefallen lassen müsste. Es reichte ihr ja schon, dass er scheinbar an diese Schule ging, auf die sie unbedingt wollte. In diesem Moment wurde plötzlich die Tür aufgeschoben und der Schwarzhaarige sah zu dieser hinüber. Rin hingegen hatte immer noch ihren geschockten Panikblick auf den jungen Mann gerichtet. „Man, Kuro“, ertönte Akiras Stimme, „Was hast du nun wieder angestellt?“ „Nichts. Wie kommst du darauf?“, verschränkte er die Arme und mimte pfeifend das Unschuldslamm. Genervt schob der Rothaarige die Tür wieder hinter sich zu: „Werde endlich erwachsen. Hast du wenigstens die Sache mit dem Stipendium geklärt?“ Durch die Anwesenheit ihres Klassenkameraden fühlte sich das Mädchen mittlerweile schon viel sicherer. Er schien vernünftiger zu sein als ihr schlimmster Alptraum und war auf ihrer Seite. Jedoch schritt der Schwarzhaarige wieder auf sie zu: „Ja ja, das ist schon geklärt. Aikawa weiß, was zu tun ist, nicht wahr?“ Er grinste sie hämisch an und schnappte sich im selben Moment erneut den Schlüssel: „Und wozu ist der jetzt gut?“ Etwas fester zog er daran, sodass sich der Knoten im Lederbändchen löste und die Kette nun mitsamt dem Edelstein ins Kuros Händen war. „Mensch, was soll das denn?“, stapfte Akira wütend auf seinen Kumpel zu und entriss ihm die Kette. Dabei musterte er den Schlüssel nun ebenfalls: „Das ist ja ein seltsames Teil. Ist der aus echtem Gold?“ Endlich bekam das Mädchen ihre Stimme zurück und antwortete noch etwas zittrig: „Ich weiß es nicht.“ „Und wozu ist der gut? Der sieht aus, als wäre er für irgendwas total Krasses“, war der Rothaarige sichtlich erstaunt. „Er war eines Tages da. Das ist sicherlich nur Schmuck“, erklärte Rin. „Meinst du?“, war sein Interesse immer noch geweckt, „Das muss ich testen.“ Sofort rannte er zur Tür hinüber, um den Schlüssel auszuprobieren. „Bist du blöd? Wieso sollte das Ding ausgerechnet in die Tür vom Schülerrat passen? Der sieht ganz anders aus“, schaute der junge Mann seinen Kumpel kritisch an. In dieser Zeit hatte Akira allerdings schon das gute Stück ins Schlüsselloch geschoben und versucht ihn zu drehen. Es klackte kurz und er ließ sich einmal herumdrehen. Mit aufgerissenen Augen schaute der Rotschopf schief grinsend zu den beiden herüber: „Hat das grade geklackt? Das hat doch nicht echt funktioniert, oder?“ Schweißperlen rannen ihm die Stirn herunter während Rin fassungslos zu ihm herübersah. Kuro hatte sich ziemlich schnell wieder gefasst und packte das Mädchen nun am Kragen: „Wo hast du den Schlüssel fürs Schülerratszimmer her? Das ist Diebstahl!“ Noch ehe er seine Wut vertiefen konnte, schob Akira besagte Tür auf und konnte seinen Augen nicht trauen: „EH?!“ Abwechselnd schaute er aus dem Fenster hinter sich und wieder aus der Tür heraus, dann deutet er mit dem Finger hindurch: „D-Das kann nicht sein.“ Verwirrt über die Reaktion des jungen Mannes, lies der Schwarzhaarige von seiner Diebin ab und beide liefen eilig zur Tür herüber und versuchten herauszufinden, was ihr Kumpel da so Unglaubliches sah. Im ersten Moment verstanden sie nicht was los war, doch dann bemerkten auch sie es. „Da ist ja Nacht!“, riefen beide im Chor und drehten sich ebenfalls herum, um aus dem Fenster des Schülerratszimmers zu schauen. Dort war helllichter Tag, während auf der anderen Seite die dunkelste Nacht herrschte. Etwas zittrig gab Akira der Blauhaarigen ihre Kette wieder, welche sie sich erneut umband. Dann ging er mutig in den Flur, um sich genauer umzusehen. Dabei formte sich ein dunkler braun-grauer Kapuzenumhang um ihn herum. Auch Kuro tat es ihm gleich und sie begutachteten ihre dazugewonnene bodenlange Robe. Rin jedoch blieb zittrig zurück und starrte die beiden nur panisch an. Sie kannte diesen Umhang. Den hatte sie in ihrem Traum einmal gesehen. Das war der schreckliche Traum, in welchem sie in dieser Trümmerlandschaft stand und das kleine Mädchen mit diesem Vogel fand. Was ging hier bloß ab? „Wo kommt denn jetzt das hässliche Ding her?“, sah der Schwarzhaarige an sich hinunter. Akira zuckte mit den Schultern: „Das wüsste ich auch gerne. Dieser Schlüssel hat uns wohl ein Portal in eine andere Dimension geöffnet.“ Frech grinste er seinen Kumpel an, welcher ihm mit der flachen Hand leicht auf den Kopf schlug: „Du zockst zu viel.“ „Aua.“ „Komm, Aikawa-chan. Lass uns das mal genauer ansehen, das ist interessant“, forderte Akira Rin dazu auf, auch durch die Tür zu gehen. Sie wollte nicht, das stand fest. Aber genauso wusste sie, dass die Jungs definitiv die Gegend unsicher machen würden. Egal ob sie mitkam oder nicht. Und alleine wollte sie hier nicht bleiben, weswegen sie sich zögerlich dazu entschied hinter den beiden herzulaufen. Auch bei ihr erschien wieder der dunkelbraun-graue Umhang, als sie zu den beiden herübertrat. Kuro jedoch hatte was an seinem neuen Kleidungsstück auszusetzen, riss es sich herunter und pfefferte es auf den Boden. „Blödes Teil. Als ob ich mit sowas Hässlichem durch die Gegend laufen würde“, knurrte er. Doch der Umhang hatte da seine eigene Meinung wie es schien, denn er materialisierte sich kurz darauf wieder an seinem Besitzer. Die Drei staunten nicht schlecht, als sich der Stofffetzen einfach mal eben so beamte. „Ist das grade echt passiert?“, war Akira sprachlos. Kuro hingegen wurde nur wütender: „Was soll denn der Scheiß?!“ Wieder riss er sich die Robe herunter, doch auch dieses Mal kehrte sie wieder zu ihrem Besitzer zurück. Einige Male wiederholte er es noch und auch der Rothaarige konnte es nicht lassen und versuchte es ebenfalls voller Neugier. Das Ergebnis blieb auch bei ihm das Gleiche. Rin stand währenddessen genervt da und schaute den Jungs gefühlte tausend Mal beim Ausziehen zu: „Leute? Das nervt. Glaubt ihr echt, dass der Umhang seine Meinung beim hundertsten Mal dann ändert?“ Vom Schwarzhaarigen bekam sie nur ein aggressives Zähneknirschen zu hören, ehe er den Gang entlang weiterging. Akira hingegen meinte belustigt zu ihr: „Nein, aber das ist witzig, wie der Umhang sich immer wieder zurückbeamt.“ Mit der Hand klatschte sie sich ins Gesicht und stöhnte: „Ernsthaft?“ Daraufhin setzten sich auch die beiden in Bewegung und folgten Kuro. Durch das ganze menschenleere Schulgebäude wanderten sie, konnten aber nichts Merkwürdiges ausfindig machen. Einzig der Strom funktionierte nicht, wodurch die Schüler wortwörtlich im Dunkeln tappten. Den Jungs machte das wenig, denn ihre Smartphones hatten eine Taschenlampe. Rin hingegen war in dieser Hinsicht aufgeschmissen und musste darauf achte den beiden dicht auf den Fersen zu sein. „Ich verstehe nicht was hier los ist“, kam es schließlich von Akira, „Ich hab den Schlüssel in der Tür gedreht und auf der anderen Seite wurde es Nacht und der Strom ist ausgefallen?“ „So könnte man es sagen. Die Frage ist nur warum?“, antwortete die Blauhaarige. Kuro plapperte dazwischen: „Ich gehe jetzt aufs Dach. Das ist der einzige Ort an dem wir noch nicht waren.“ Zu dritt machten sie sich daraufhin auf den Weg. Da gab es keine Diskussionen. Der Schwarzhaarige würde sowieso machen was er wollte, da waren sich die anderen beiden ziemlich sicher. Oben angekommen stellte Akira fest: „Die Straßenlaternen sind auch aus. Man würde ja gar nichts sehen, wenn der Mond nicht ein klein wenig Licht machen würde.“ Wo er Recht hatte, hatte er Recht. „Was ist denn das da hinten für ein Leuchten?“, krallte sich Rin am Schutzgitter fest und deutete in die Richtung der Wohnhäuser. „Das ist so weit weg, man kann fast gar nichts erkennen. Aber da hinten ist doch ein Wohnviertel, oder?“, kam es von dem Rotschopf. Etwas desinteressiert blickte nun auch Kuro in die Richtung und meinte trocken: „Sieht aus wie Feuer.“ Schlagartig rissen die beiden anderen geschockt ihre Augen auf und sahen sich gegenseitig an. Der Schwarzhaarige musterte sie daraufhin, als wären sie komplett bescheuert: „Was ist denn mit euch verkehrt?“ „Das ist doch die Richtung…“, stockte das Mädchen. Akira beendete dann ihren Satz: „… in der Amika Shiori wohnte.“ „Aber das muss ein anderes Haus sein“, erklärte die Schülerin, „Das von Ami ist doch schon vor Ewigkeiten abgebrannt.“ „Normalerweise schon…“, grübelte ihr Klassenkamerad. Kuro jedoch blieb weiterhin unbeeindruckt: „Na und? Ist doch nichts Ungewöhnliches, wenn es mal irgendwo brennt.“   Kapitel 4 - Hase und Affe -------------------------   Dienstag, 07. April 2015   Die drei Schüler standen noch immer auf dem Dach und versuchten herauszufinden was dort in der Ferne wohl niederbrannte. „Verdammt! Ich muss wissen was da los ist!“, stieß Rin panisch aus und noch ehe jemand darauf reagieren konnte, rannte sie wieder ins Gebäude. Ihr Ziel war es dem Feuer nachzugehen, falls es denn wirklich eines war. Schwermütig tastete sie sich durch die stockdunkle Schule und suchte den Ausgang, den sie sogar recht schnell finden konnte. Durch ihr vorheriges Rumgeirre mit den Jungs hatte sie den Gebäudeplan noch ein wenig im Kopf. Normalerweise hätte sie sich sofort verlaufen. Flink flitzte sie vom Schulcampus in die Richtung, aus welcher das Leuchten kam. Das sie überhaupt irgendetwas sehen konnte, um zu wissen wo sie hintrat, war ein Wunder bei dieser Dunkelheit. Es waren nicht nur die Straßenlaternen ausgefallen, nein, auch in den Häusern, an welchen sie vorbeikam war nicht eine Lichtquelle. Aber das konnte eventuell auch einfach daran liegen, dass es Mitten in der Nacht war und die Leute schliefen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam das Mädchen endlich an. Völlig außer Atem stützte sie ihre Hände auf die Knie und sah schwer atmend zu dem Gebäude, welches tatsächlich in Flammen stand. „Shit“, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn, „Es ist also wirklich Amis zu Hause.“ Schnell zückte sie ihr Handy, um die Feuerwehr zu alarmieren. Wieso auch immer das Gebäude erneut in Flammen stand, es musste gelöscht werden. Merkwürdig war nur, dass es noch nicht im Ansatz zerfallen war, wie sie es kurz zuvor gesehen hatte. „Was ist denn hier los? Mein Handy hat ja gar keinen Empfang“, tippte sie wie wild auf die Tasten und hielt anschließend das Telefon in die Höhe, um besser eine Verbindung herstellen zu können. Allerdings half es nichts und das erhoffte Signal blieb aus. Noch bevor Rin über neue Ideen nachdenken konnte, landete direkt vor ihr plötzlich ein Feuerball. Wurde sie etwa grade von dem Haus angespuckt? Eilig sah sie sich um und stellte fest, dass sie plötzlich umzingelt war. Rechts und links von ihr standen schwarze undefinierbare Schattenartige Wesen ohne feste Gestalt. Sie waren komplett in Feuer gehüllt und schossen wie wild mit Feuerbällen auf das Mädchen. „Oh Gott! Was sind denn das für gruselige Dinger?!“, schrie sie auf und versuchte den Feuerbällen auszuweichen. Sie hatte kaum Zeit, um Angst zu haben, denn die Geschosse flogen unaufhörlich von Seite zu Seite und sie musste auf akrobatische Art und Weise irgendwie ausweichen. Ihr Glück, dass Sport genau ihr Ding war. Es erinnerte sie sogar ein wenig an Völkerball. Dort wurde man auch von allen Seiten mit Bällen beschossen. Der einzige Unterschied darin bestand nur, dass die Bälle nicht in Flammen standen und tödlich waren. Das Ballspiel wäre ihr an dieser Stelle dann doch lieber gewesen. Während Rins Gedanken komplett zum Ballsport abdrifteten hatte sie einen Einfall: „Ich hab‘s! Ich lasse die Dinger einfach ein Eigentor schießen!“ Was auch immer sie damit gemeint haben könnte… Schnell bewegte sie sich in die exakte Mitte der Kreaturen, sodass sie eine Linie bildeten und es geschah, was das Mädchen sich erhoffte. Die in Flammen stehenden Kreaturen trafen sich gegenseitig und knockten sich somit teilweise aus. Das Feuerballgewitter ließ damit stark nach und die Blauhaarige führte eine Art Freudentanz auf. Dieser endete allerdings abrupt, als sie einen Schmerz an ihrem rechten Oberarm verspürte. Reflexartig griff sie danach und bemerkte, dass sie blutete. „Aua… Wie ist das denn jetzt passiert?“, jammerte sie herum. Einer der Feuergeschosse hatte sie am Arm gestreift. Es war nicht all zu schlimm, blutete jedoch ziemlich stark. Auch ihre Jacke war zerfetzt. Ihr Bruder würde sie dafür umbringen, das war sicher. So langsam verstanden die Gestalten, dass sie sich nur gegenseitig bekämpften und lenkten ihre Angriffe wieder zurück auf ihr eigentliches Ziel. Rin jedoch versuchte weiterhin auszuweichen, was ihr auch ganz gut gelang. Sie hatte gute Reflexe und konnte die Bälle in etwa abschätzen. Dadurch, dass sich schon einige der Wesen selbst k.o. geschossen hatten, bildete sich eine kleine Lücke auf der Seite, von welcher sie kam. Blitzschnell schlängelte sie sich hindurch, sodass sie endlich nicht mehr umzingelt war und rannte was das Zeug hielt davon. Natürlich blieb eine Reaktion der Monster nicht aus, wenn auch eher langsam, und sie folgten dem Mädchen. „Man sind die lahm“, schielte sie im Rennen hinter sich und konnte endlich wieder aufatmen, „Schnell zurück zur Schule. Ich muss die Jungs warnen, dass hier gruselige Gestalten rumlungern.“ Rin wollte soeben um die erste Ecke biegen, als ihr ein gigantischer schwarzer unförmiger Schatten gegenüberstand und den Weg versperrte. Er war locker so groß wie die Wohnhäuser in diesem Viertel. Wenn nicht sogar größer. Aber im Gegensatz zu den anderen Monstern war dieser nicht in Flammen gehüllt. Plötzlich veränderte das Wesen seine Form und riss zwei große runde rote Augen auf. Aus dem unförmigen Schatten wurde eine Art überdimensionales schwarzes Häschen. „Was zum Teufel…“, starrte Rin gen Himmel, um den Hasen zu begutachten, „Ein fetter großer Hase? Ohne diese blutroten Augen wäre er ja fast süß.“ Doch da sie schon Bekanntschaft mit den anderen bösartigen Gestalten gemacht hatte, erwartete sie nicht, dass ihr dieses Vieh wohlgesinnt war und ging in Stellung. Obwohl sie auch nicht so genau wusste was sie nun tun sollte. Von hinten kamen die Feuerschatten immer näher und von vorne wurde ihr der Weg von dem Hasen versperrt. „Ich bin also nur fast süß?“, ertönte plötzlich eine leicht verzerrte Stimme, welche der der Blauhaarigen verdammt ähnelte. Rin zuckte erschrocken zusammen und spannte ihren ganzen Körper an. Wo kam diese Stimme her? Doch nicht etwa von dem schwarzen Hasen? „W-wer bist du? Wieso klingt das wie meine eigene Stimme?“, zitterte das Mädchen. „Ich bin du und du bist ich“, grinste das Wesen plötzlich und ein Maul mit weißen spitzen Zähnen blitzte kurz heraus. Ungewöhnlich, dass ein Häschen solche Zähne besaß. „Was laberst du? Ich bin doch nicht du!“, keifte das Mädchen das Monster an. Wieder musste es böse grinsen: „Oh doch, ich wurde aus den Tiefen deiner dunkelsten Gefühle geboren. Ich bin ein Shadow, der durch deinen Hass angetrieben wird. Du hasst Amika, weil sie dir gegenüber schweigt.“ „NEIN!“, wurde die Kreatur mit lautem Schreien von dem Mädchen unterbrochen, „Ich hasse gar niemanden!“ Wieder lachte der Shadow laut auf und ging nun zum Angriff über. Sein schwarzes Fell verlängerte sich daraufhin und verformte sich zu Wasser, welches sich verselbstständigte und versuchte auf Rin einzudreschen. „Du hasst Ryuichi, weil du ihm egal bist!“, redete der Hase weiter auf das Mädchen ein. Wieder erntete er von Rin darauf ein lautes „Nein!“. Sie konnte sich grade noch so zur Seite werfen, um der Wasserpeitsche auszuweichen. Nachdem diese auf den Boden aufschlug, verteilte sie sich über den ganzen Boden und Rin wurde teilweise nass. Mit zittrigen Beinen stand sie auf. „Wasser…“, murmelte sie vor sich hin und hatte den vermutlich ängstlichsten Blick ihres Lebens im Gesicht. „Du hasst Akira, weil er dich vergessen hat“, kam es erneut von dem Shadow. Wieder stritt die Schülerin es lautstark ab. Daraufhin ging er erneut zum Angriff über. Nun formten sich aus seinem Fell mehrere dünne Wasserfäden. Ihnen auszuweichen erwies sich als äußerst schwierig, denn sie schlängelten sich geschickt um die Blauhaarige herum. Schnell versuchte das Mädchen davor wegzurennen, als sie feststellte, dass die feuerartigen Gestalten ja hinter ihr waren. Mittlerweile sogar so nah, dass Rin nun wirklich in der Zwickmühle saß. Plötzlich wurde sie an den Handgelenken gepackt und nach oben gezogen. Die Fäden aus Wasser hatten sie gefesselt und direkt vor die roten Augen des Shadows gehievt. Dieser grinste wieder: „Du hasst deine Mutter, weil sie nicht mehr da ist.“ Wie wild zappelte sie mit den Beinen herum und versuchte sich aus dem Klammergriff zu befreien: „Nein! Lass mich los!“ Es war aussichtslos und der Hase redete einfach belustigt weiter: „Du hasst Saito, weil er dich ständig aufzieht.“ Auch dieses Mal protestierte das Mädchen lautstark. Sie wollte es nicht mehr hören. Wieso sollte sie all die Menschen hassen, die ihr etwas bedeuteten? Doch ihr Gegenüber ließ sich nicht beirren und redete weiter: „Du hasst Kuro, weil er dich immer schikaniert.“ Schlagartig hörte die Schülerin auf herum zu zappeln, starrte den Hasen etwas irritiert an und Schweigen brach aus. Kurz darauf wurde es allerdings wieder von Rin gebrochen, welche nur trocken meinte: „Ja, okay. Den kann ich echt nicht leiden. Das ist der totale Volldepp.“ „Was?!“, stieß der Shadow erstaunt aus und seine Wasserfäden fielen von jetzt auf gleich kraftlos zu Boden. Das Spritzen erreichte einige der in Flammen stehenden Gestalten, welche daraufhin einige Schritte zurückwischen. Rin purzelte schließlich auch zu Boden, da sie nichts mehr oben hielt. Unsanft landete sie auf ihrem Hintern, welchen sie sich schmerzerfüllt rieb, als sie versuchte schnell wieder auf die Beine zu kommen. Etwas verwirrt über die plötzliche Machtlosigkeit des Shadows musterte sie diesen. Dann kam ihre eine Idee: „Du hast recht! Ich hasse sie alle!“ „Was?! Nein!“, schrumpfte der Shadow ein klein wenig. Im selben Moment landeten zwei Feuerbälle in unmittelbarer Nähe des Mädchens und ruckartig drehte sie sich um. „Oh Mist! Nicht die schon wieder“, fluchte Rin und versuchte erneut akrobatisch den Geschossen auszuweichen. Währenddessen versuchte sie weiterhin auf den Shadow einzureden: „Ich hasse sie für all die Dinge die sie mir angetan haben! Das ist wahr!“ Mit widerwilligen Protesten schrumpfte der Shadow immer weiter zusammen, bis er zu einem kleinen schwarzen Häschen wurde. Grade in dem Moment in dem einer der Feuergeschosse auf den Hasen zugeflogen kam, rannte Rin zu ihm herüber und konnte ihn knapp davor bewahren getroffen zu werden. Dadurch schürfte sie sich allerdings ihr linkes Knie auf und ein weiterer tödlicher Ball kam direkt auf ihren Kopf zugeflogen. Sie konnte ihn grade noch so zur Seite ziehen, sodass nur ein paar wenige Strähnen ihrer Haare etwas abbekamen. Fest umklammert hielt sie das Häschen und stand den Monstern gegenüber: „Aber weißt du, Kleiner, nur weil ich sie dafür hasse, heißt das nicht, dass ich sie nicht auch gleichzeitig lieben kann. Kein Mensch ist perfekt und jeder davon macht mal Fehler. Es ist das normalste der Welt, dass man mal sauer ist. Aber gleichzeitig habe ich auch vergeben gelernt. Und eine kleine Tat wiegt nicht so schwer, dass ich meinen Freunden nicht vergeben könnte. Dazu sind sie mir viel zu wichtig.“ „Aber warum?“, murmelte das immer schwächer werdende Tierchen, „Warum beschützt du mich?“ „Na ist doch klar“, grinste sie frech, „Du hast gesagt, dass du ein Teil von mir bist. Und ich habe keine Lust, dass ein Teil von mir hier draufgeht. Vor allem nicht so ein süßer.“ Die roten Augen des Tieres weiteten sich vor Erstaunen und noch ehe es etwas Weiteres erwähnen konnte, leuchtete es plötzlich in strahlend grellem Licht auf, welches in einem Strahl in den blauen Edelstein an Rins Kette fuhr. Etwas erstaunt darüber musterte sie ihren Stein. Dann ging plötzlich alles wie von selbst und sie riss ihn sich von der Kette, und feuerte ihn wie eine Knallerbse auf den Boden, sodass er zerbrach. „Per-so-na! Erscheine Kyusagi!“, rief sie ganz laut aus und bevor sie sich über ihre eigenen Worte wundern konnte, stieg eine Art Wasserstrudel aus dem zerbrochenen Stein empor. Dieser spritzte mit einem Ruck in alle Richtungen und es erschien ein menschenartiges weiblich wirkendes Wesen, welches über dem Boden schwebte. Das musste wohl besagte Kyusagi sein. Sie hatte strahlend weiße Haut, dunkelblaue kurze strubbelige Haare und war komplett in Blautönen gekleidet. Ein ballonartiger blauer Hut zierte den Kopf der Gestalt. Er hatte ein langes Schild, welches ihr ins Gesicht ragte und die Augen verdeckte. An der Mütze selbst standen zwei hasenohrenähnliche Spitzen ab, welche aus einem flauschigen Puschel herausragten. Sie trug ein bauch- und schulterfreies Top, an welches Netzträger angenäht waren. An den Oberarmen waren weiße flauschige Puschel angebracht, an welchem die langen Ärmel angenäht waren. Diese liefen in Pfoten ähnlichen Enden aus. Sie sah generell etwas so aus, als hätte man sie in ein Hasencosplay gesteckt. Auf der Hüfte trug sie einen bodenlangen Faltenrock, welcher an ihrer linken Seite sehr kurz war und nach rechts hinzu immer länger wurde. Am Saum besagten Kleidungsstückes war etwas des weißen flauschigen Materials angebracht. Dazu trug sie eine Netzstrumpfhose und blaue Absatzschuhe, welche an den Knöcheln ebenfalls mit den weißen Puscheln versehen waren. Außerdem konnte man den Edelstein, welchen die Oberschülerin zuvor zerbrach in der Mitte unterhalb der Schlüsselbeine Kyusagis erkennen. „Los, Attacke!“, rief Rin heraus, deutete mit ihrem linken Zeigefinger auf die Feuergestalten und wurde von ihrer Persona nur blöd angeschaut. Irritiert sah das Mädchen zurück und verstand nicht, wieso sie nicht loslegte. Dieser Hase konnte immerhin mit Wasser um sich schmeißen wie er wollte, oder? Das war doch die perfekte Chance die Monster zu plätten. „Jetzt komm schon“, stammelte das Mädchen hüpfend von einem Bein aufs andere, „Setzte so eine Wasserattacke ein und kill die Dinger. Weißt du noch? Wie diese Wasserpeitsche da?“ Kyusagi war von dem Befehl sichtlich irritiert und legte den Kopf schief, während sie nachzudenken schien. Rin zappelte weiterhin aufgedreht herum und versuchte mit Händen und Füßen zu erklären was sie meinte: „Weißt du nicht mehr? Du formst so ein bisschen Wasser in einen langen Strahl und dann, bäm, prügelst du damit auf die Teile ein und pustest ihnen das Licht aus.“ Als das Mädchen da so hyperaktiv herumhüpfte kamen natürlich wieder neue Feuergeschossen auf sie zugeflogen, denen sie versuchte auszuweichen. Nach weiterem sinnlosen Erklären wurde es Rin zu viel uns sie nahm einfach ihre Beine in die Hand und rannte zurück zur Schule. Immerhin waren diese Dinger so langsam, dass sie sie nicht einholen würden. Während sie sich gerade umdrehte zum Fliehen, transformierte sich ihr Edelstein wieder an ihrer Kette und die Persona verschwand wieder. Doch die Blauhaarige hatte besseres zu tun, als sich darüber im Moment den Kopf zu zerbrechen.   Nachdem die Schülerin zweimal falsch abgebogen war, erreichte sie endlich das Schulgelände und blieb wie erstarrt am Eingang stehen. Der ganze Platz zwischen Gebäudeeingang und Schultor war übersät mit den in Flammen stehenden Monstern. Auch ein verdammt großer, schwarzer Affe mit blutroten Augen befand sich dort und warf mit Gesteinsbrocken um sich. Ab und an sah man ein Grinsen von ihm ausgehen, durch welches seine spitzen weißen Zähne herausstachen. Es sah genauso aus wie bei dem großen Hasen wenige Minuten zuvor. Die Geschosse sämtlicher Monster im Vorhof richteten sich auf den Eingangsbereich am Schulgebäude. Rin selbst hatten sie wohl gar nicht bemerkt. „Da drüben sind sicherlich die Jungs“, murmelte sie und stürmte los, „Das ist meine Chance dort durchzuhuschen.“ Mit einem gekonnten Slalomlauf schlängelte sie sich zwischen den Gestalten hindurch und erreichte tatsächlich die beiden verausgabten Schüler. „Aikawa-chan! Da bist du ja!“, kam es von Akira, welcher sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte, „Wir haben uns solche Sorgen gemacht.“ „Ich nicht“, erwiderte Kuro kratzbürstig. Der Rothaarige blutete am Oberschenkel und wankte stark hin und her. Scheinbar hatte ihn einer der Feuerbälle gestreift. Sein Umhang war auch ziemlich gekürzt und am unteren Ende abgebrannt. Der Schwarzhaarige hingegen hatte kaum Schrammen. Er war nur leicht verdreckt an seinem Gewand. „Was ist denn mit deinem Arm passiert?“, musterte der junge Mann die offene Stelle an Rins Oberarm. Kurz erklärte sie: „Vermutlich dasselbe, wie bei deinem Bein, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Wir müssen hier weg!“ Kuro war die ganze Zeit auf das große Affenmonster fixiert und beachtete die beiden kam. „Was ist das denn für ein Affe?“, musterte die Blauhaarige die Gestalt. „Der behauptet die ganze Zeit merkwürdige Dinge über Kuro und beschießt uns mit Steinen“, erklärte der Verletzte knapp. Daraufhin wand sich das Mädchen an Kuro: „Ich glaube das ist dein Shadow. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist er ein Teil von dir, der aus deinen dunkelsten Gefühlen gebildet wurde.“ „Oho“, ertönte eine männliche verzerrte Stimme, welche der des Schwarzhaarigen verdammt ähnlich war, „Wie ich sehe kennt sich die Kleine ziemlich gut aus. Aber das wird dir auch nichts nützen!“ Wieder feuerte er einige Geschosse auf die kleine Gruppe, welche nur schwermütig ausweichen konnte. „Und wo ist deiner?“, stützte sie Akira ab. „Meiner?“, erwiderte er. Sie nickte: „Ja, dein Shadow. Hast du ihn auch bereits bezwungen?“ „Was meinst du?“, musterte er sie völlig irritiert. Daraufhin tippte sie ihm an seine Kette, an welcher ein gelber viereckiger Edelstein befestigt war: „Na, dein Shadow, welcher dann am Ende in den Stein fährt und zu deiner Persona wird. Die nebenbeigesagt dezent begriffsstutzig ist.“ Der Rotschopf legte den Kopf schief und sah das Mädchen verstört an: „Ist alles okay bei dir? Hast du dir den Kopf angehauen?“ „Nein, habe ich nicht“, war auch sie etwas irritiert. Schließlich drehte sie sich wieder Kuro zu und rief: „Du musst deinen Shadow akzeptieren! Dann wird er zu deiner Persona!“ „Sicher, dass du dir nicht den Kopf angehauen hast?“, hielt er Rin ebenfalls für blöd, „Außerdem, was soll ich da großartig akzeptieren?“ Mit einem Finger zeigte er auf den großen grinsenden Affen und keifte Rin zornig an: „Du nervst! Weißt du das eigentlich?! Da gibt’s nichts zu akzeptieren bei dem dummen Affen! Der hat mir ein paar Tatsachen aufgelistet! Wieso sollte ich die ablehnen?!“ Wortlos und leicht geschocktem über seinen Wutausbruch starrte sie ihn an. Irgendwie schien das anders zu sein, als bei ihr kurz zuvor. „Das Vieh hat vollkommen Recht!“, schnauzte er weiter, ohne seinen Blick von dem Mädchen abzuwenden, „Alle erwarten immer die Bestleistung von mir, drücken mir eine scheiß Schule und einen ganzen beschissenen Konzern aufs Auge und dann lassen sie mich alleine mit der Scheiße! Und zu allem Überfluss bin ich dann nur von dummen Idioten umzingelt, die zu blöd sind ihren Job richtig zu machen! Ständig muss ich allen ihren Kackhaufen hinterhertragen! Alle machen sie was sie wollen und keiner funktioniert! Und dann soll ich auch noch lieb und nett bleiben?! Vergiss es! Irgendwann reißt mir auch mal der Geduldsfaden und dann werden diese Spasten eben gefeuert und ersetzt! Ich gebe einen Scheiß auf die Gefühle der anderen, wenn die nicht spuren!“ Völlig überrumpelt von der heftigen Ansage Kuros, zog Rin ihren Kopf etwas zurück und starrte ihn nur verdattern an. Sie wusste nicht was sie darauf sagen sollte. Sie wusste nicht mal von was der junge Mann da überhaupt redete. „Er wird kleiner!“, rief der Rothaarige plötzlich heraus und alle schauten zu Kuros Shadow herüber. „Der ist ja niedlich geworden“, betrachtete das Mädchen den kleinen schwarzen Affen mit den roten Augen, welcher auf den Schwarzhaarigen zu gehopst kam. Vor ihm blieb er stehen und sah zu ihm hinauf, während Betrachteter ebenfalls zu dem kleinen Tierchen herunterschaute. Einige Sekunden veranstalteten sie ein Wettstarren, ehe das Äffchen mit einem Satz hochsprang, sich mit beiden Händen am Unterarm des jungen Mannes festkrallte und ihm mit mürrischem Blick am Arm herumknabberte. „Ey! Lass das du Mistvieh!“, schüttelte er seinen Arm, um den Affen wieder loszuwerden. Dieser jedoch biss sich mit seinen spitzen Zähnen fest und kämpfte gegen den Schwarzhaarigen an. Kurz darauf verwandelte er sich in einen hellen Lichtball, welcher in den grünen Edelstein an Kuros Hose hineinfuhr. Noch bevor der junge Mann auch nur irgendetwas auf die eigenartige Situation erwidern konnte, riss Akira Rin plötzlich zur Seite: „Achtung!“ Einer der Feuerbälle der anderen Kreaturen kam direkt auf sie zugeflogen und er schaffte es gerade noch so sie davor zu bewahren. Allerdings fiel er selbst so unglücklich, dass er sich den Kopf an einem der Gesteinsbrocken aufschlug und ohnmächtig wurde. „Yoshida-kun!“, schrie die Blauhaarige und rüttelte feste an ihm. Allerdings wachte er nicht auf und die Gestalten wurden nun wieder etwas aktiver und kamen den Schülern immer näher. Einige Feuergeschosse schlugen ringsherum um sie ein und sie hatten Mühe ihnen auszuweichen und gleichzeitig auf ihren ohnmächtigen Kumpel achtzugeben. „Verdammt!“, fluchte Kuro, „Das bringt doch alles nichts! Wir müssen dringend zurück ins Schülerratszimmer!“ Rins Plan war das schon seitdem ihr zum ersten Mal diese Gestalten begegneten, jedoch wurde sie von ihrem Shadow aufgehalten. Schnell nahm der Schwarzhaarige seinen Kumpel Huckepack und lief zügig ins Gebäude hinein. Gleichzeitig versuchte er mit seinem Handy für Licht zu sorgen, was gar nicht so leicht war. Endlich kamen sie im Flur des Schülerrats an und gingen ihn einige Meter, ehe sie endlich die offene Schiebetür erblickten. Bereits jetzt fiel den beiden ein Stein vom Herzen, denn sie hatten es geschafft den Monstern zu entkommen. Kaum standen sie im Schülerratszimmer, hatten sich ihre Umhänge in Luft aufgelöst und sie verschnauften direkt. Ihre Schuluniformen blieben allerdings zerfetzt und die Verletzungen heilten logischerweise auch nicht einfach wieder zu. Im gleichen Moment wurde die Tür hinter ihnen mit einem äußerst lauten Knall zugeschoben und alle beide zuckten heftig zusammen. Schlagartig drehten sie sich zurück, um zu sehen wie die Tür so einfach von selbst zuging. „Schnell! Schließt das Portal endlich ab!“, klatschte ein kleiner Junge mit der flachen Hand gegen die Schiebetür und Rin tat wie befohlen und drehte den Schlüssel einmal im Schloss herum. Es klackte kurz und der kleine Mann atmete erleichtert auf. Todesmutig schob die Blauhaarige danach die Tür einen winzigen Spalt auf, um einen Blick in den Flur zu erhaschen. „Es ist wieder Tag!“, drehte sie sich freudig zu Kuro um. Dieser war grade damit beschäftigt Akira abzusetzen und schien sich wenig für die Worte des Mädchens zu interessieren. „Sagt mal, was ist eigentlich verkehrt mich euch?“, verschränkte der kleine Junge die Arme vor seiner Brust. Rin kannte den Kleinen. Zwar musste sie kurz überlegen, doch erinnerte sie sich wieder daran. Als sie vor einigen Tagen in der Trümmerlandschaft war und wieder zurückgekommen ist, lag dieses Kind mit allerlei Verletzungen und zerfetzten Kleidern quer über ihrem Schoss. Nun trug er saubere Kleidung und seine Wunden schienen grob verheilt zu sein. Zu seinen schwarz-blauen Haaren trug er eine weiße Jacke mit schwarzen Streifen und einem flauschigen schwarzen Fellkragen. Die Jacke war ihm im Allgemeinen viel zu groß, doch das schien das Kind wenig zu stören. Darunter hatte er ein gelbes T-Shirt angezogen und eine hellblaue Dreiviertelhose mit kleinen Taschen an den Seiten. An den Füßen trug er kleine schwarze Stiefelchen, welche ihm bis knapp über die Knöchel ragten. Mit einem ziemlich wütendem Blick sah er in die beiden fragenden Gesichter der Schüler: „Ihr könnt doch nicht einfach das Portal offenstehen lassen! Was, wenn die Shadows in diese Welt vorgedrungen wären? Dann wäre sie ins völlige Chaos gestürzt!“ Man sah Kuro und Rin deutlich an, dass sie kein einziges Wort verstanden, doch der Kleine nahm das gar nicht wahr und schimpfte aufgebracht weiter: „Aber abgesehen davon steht es euch überhaupt nicht zu durch das Portal zu gehen! Gebt den Schlüssel sofort an die rechtmäßige Besitzerin zurück ihr Diebe!“ Verdattert darüber als Diebe bezeichnet zu werden sahen die Schüler zu dem Jungen hinüber. Kuro konnte es natürlich nicht lassen ihm sofort Paroli zu bieten: „Jetzt reicht‘s aber du kleiner Hosenscheißer! Ich lasse mich doch nicht als Dieb beschimpfen!“ „Genau!“, waren die beiden Mal einer Meinung, „Und wer soll überhaupt der rechtmäßige Besitzer sein. Ich habe das Ding hier doch nicht geklaut. Es war auf einmal in meiner Hosentasche.“ Der Junge stemmte die Hände in die Hüften: „Das kann überhaupt nicht sein! Die rechtmäßige Besitzerin ist Rin Aikawa! Und die sehe ich hier nirgends!“ Die Blauhaarige war so verwirrt über die Aussage, dass sie schon selbst an ihrer Existenz zweifelte, während der junge Mann dem Kind wieder Rede und Antwort stand: „Bist du dumm? Die steht doch direkt vor dir!“ Mit dem Finger deutete er auf Rin, was den Blau-Schwarzhaarigen dazu veranlasste näher auf sie zuzugehen. Kritisch musterte er sie und wandte sich dann wieder an Kuro: „Dir ist schon klar, dass das ein Junge ist, oder? Auch wenn er einen Rock trägt macht ihn das nicht automatisch weiblich. Ich suche ein Mädchen mit diesem Namen.“ Einige Sekunden legte sich ein Schweigen über den Raum, dann zuckte Rin zusammen und tastete sich panisch die Brust ab: „Nicht schon wieder!“ Erneut hatte sie das Geschlecht gewechselt. Nun schritt auch der junge Mann näher auf das Mädchen zu und betrachtete sie von oben bis unten: „Stimmt, du hast recht, Kleiner. Bist du etwa eine Transe?“ Er legte den Kopf schief und eine Hand an sein Kinn, als er sie leicht angewidert musterte. Sofort lief sie knallrot an und protestierte lautstark: „Nein! Ich bin ein Mädchen! Aus irgendeinem Grund werde ich neuerdings manchmal zum Jungen! Guck doch! Meine Haare sind plötzlich kurz und dunkler und meine Augen sind bestimmt wieder stechend gelb!“ „Du hattest doch totsicher eine Perücke auf und in die Augen kann man farbige Kontaktlinsen einlegen“, gegenargumentierte der Schwarzhaarige. Mit kleinen Tränen in den Augen jammerte sie weiter, um die Jungs davon zu überzeugen, dass sie wirklich ein Mädchen war: „Aber wieso sind dann meine Haare dunkler?“ „Dreck?“, kam es nur aus Kuro, welcher siegessicher grinste. Jedoch wurde das dämliche Gespräch zwischen den beiden von dem Jungen unterbrochen: „Ich glaube dir, Rin.“ Über die vertraute Anrede mit dem Vornamen stockte das Mädchen kurz ehe sie erleichtert aufatmete. Dann wurde der Kleine etwas ernster: „Hört zu, Rin, Kuro. In eurer Stadt tragen sich zurzeit seltsame Dinge zu, unerklärliche Phänomene treten auf und es wird Menschenopfer geben. Ihr habt beide die Kraft das alles zu verhindern, aber dafür müsst ihr kämpfen und eure Verbündeten suchen.“ „Was soll das denn heißen?“, fragte der Schwarzhaarige ernst nach, „Und wer bist du überhaupt?“ „Ich bin Skye und ich hab es mir zur Aufgabe gemacht über das Portal zu wachen“, schritt er mit ernster Miene auf das Fenster zu. Mit einem Ruck öffnete er es und sprang mit Leichtigkeit auf den Fenstersims: „Werdet nicht leichtsinnig und sagt mir bitte Bescheid, wenn ihr wieder durch das Portal gehen wollt, dann begleite ich euch. Macht‘s gut.“ Plötzlich sprang er einfach aus dem Fenster des dritten Stocks. Die beiden zurückgebliebenen Schüler bekamen den Schock des Lebens und rannten sofort auf dieses zu, um zu sehen, ob es ihm gutging. Jedoch konnten sie nichts weiter als einen blau-schwarzen Vogel mit 4 Flügeln davonflattern sehen und Rin hätte schwören können, dass sie schon wieder einen blauen Schmetterling vernommen hatte. Sie sah ihn um den Vogel herumschwirren zusammen mit einigen blauen Lichtpunkten. Kurz rieb sie sich die Augen, weil sie dachte, dass sie wieder halluziniert. Im selben Moment hörte sie eine ihr bekannte Stimme: „I Am Thou. Thou Art I.“ Als sie schnell ihre Augen wieder aufriss war der Vogel schon von dannen gezogen und eine passende Person, die zu der Stimme gehören könnte sah sie auch nirgends. Immerhin war sie mit den Jungs alleine in diesem Raum. „Sag mir nicht, dass er sich in einen Vogel transformiert hat“, staunte der Schwarzhaarige nicht schlecht und ignorierte den wandernden Blick der Blauhaarigen. So langsam wunderte sich Rin über gar nichts mehr und trat wieder vom Fenster weg. Sie verstand weder was vorgefallen war, noch was Skye ihnen erzählte. Eigentlich konnte es ihr auch egal sein, denn sie wollte im Moment nur ihre beste Freundin ausfindig machen und mit ihrer männlichen Gestalt aus der Öffentlichkeit verschwinden. Gott sei Dank fiel es kaum auf, dass sie zum Jungen geworden war, denn durch die Uniform nahm man direkt an, dass ein Mädchen darin stecken würde. Plötzlich sah sie in ihrem Augenwinkel schon wieder etwas blau aufleuchten und einen kleinen Schmetterling, welcher um den jungen Mann herumtanzte. Mit offenen Mund starrte sie den Schüler fassungslos an. Dann hatte sie sich also doch nicht verguckt? Und erneut ertönte die Stimme: „I Am Thou. Thou Art I.“ In derselben Sekunde verschwanden der Schmetterling und das Leuchten wieder. „Mund zu, es zieht“, kam es trocken aus dem Schwarzhaarigen, „Und starr nicht so, ich weiß, dass ich gut aussehe.“ „Von wegen!“, gab sie ihm Kontra, „Hast du den Schmetterling etwa nicht gesehen?“ „Schmetterling?“, hakte er nach. „Und die Stimme?“, kam die nächste Frage. Verwirrt schaute er sie an: „Ich glaube du hast Halluzinationen.“ Beleidigt blies sie ihre Wangen auf und verschränkte ihre Arme. Dieses Mal war sie sich sehr sicher, dass sie das nicht nur geträumt hatte. Gleich zweimal schwirrten die blauen Schmetterlinge in den Lichtpunkten herum und bei beiden Malen hörte sie diese eigenartige Stimme. Ein kurzes schmerzerfülltes Geräusch erreichte die Ohren der beiden Streithähne. Es war Akira, welcher langsam wieder aufzuwachen schien. „Wehe du sagst irgendwem, was mit mir passiert ist. Das muss geheim bleiben“, schaute sie Kuro mit mahnendem Blick an. „Und was wenn doch?“, grinste er sie hämisch an. Rin knurrte: „Das willst du nicht wissen.“ Mit einem Satz war das Mädchen durch die Schiebetür in den Flur getreten und feuerte besagten Gegenstand genervt zu, sodass er kurz knallte. Wütend auf den Schwarzhaarigen stapfte sie davon und machte sich auf den Heimweg. Sie wollte unter gar keinen Umständen, dass auch noch Akira dahinterkam, dass sie ab und an mal im falschen Geschlecht steckte. Es reichte schon, dass ihr Erzfeind es nun wusste. Kapitel 5 - Silberner Schlüssel ------------------------------- Kapitel 05: Silberner Schlüssel   Velvet Room   Ich nahm einen tiefen Atemzug von der angenehm duftenden Luft, welche nach frischem Regen roch. Dazu erklang eine sanfte Melodie, welche mir ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme verlieh. Moment, die Melodie kam mir verdächtig bekannt vor! Schlagartig öffnete ich meine Augen und fand mich schon wieder in dieser Folterkammer knöcheltief im Wasser stehend wieder. Verdammt. Wie oft sollte mir das denn in Zukunft noch passieren? Erstmal sah ich an mir herunter, weil ich wissen wollte, ob ich wieder mein Geschlecht gewechselt hatte. Erleichtert konnte ich aufatmen, denn ich war wieder weiblich. „Willkommen werter Gast“, erkannte ich Igors Stimme und stiefelte auf ihn zu. „Kann das endlich mal aufhören?“, stellte ich mich an seinen Tisch und stemmte die Hände in die Hüfte, „Wie oft muss ich diesen Alptraum noch träumen?“ Die Langnase lachte auf: „Wir werden uns wohl noch etwas häufiger sehen, denn ich werde dich auf deiner Reise immer begleiten.“ „Was für eine Reise?“, verstand ich mal wieder gar nichts und war erneut genervt davon, dass ich hier wohl nicht zum letzten Mal war. „Wie mir scheint bist du nun vollständig erwacht und hast sogar noch einen Kameraden gefunden“, kicherte Igor. Kurz musste ich überlegen was er meinen könnte. Dann fiel mir ein, dass er damit eventuell die Persona meinte. Und Kuro war wohl als mein Kamerad gemeint, da er als einziger ebenfalls eine besaß. Das würde ja wundervoll werden. Aber das hieß noch lange nicht, dass ich dazu gezwungen war irgendwas mit ihm zusammen zu machen. Immerhin hatte ich mir vorgenommen nicht nochmal in diese gruselige Welt hinter dem Portal zu gehen. „Oh, und neue Social Links hast du auch bereits geknüpft“, ertönte eine weibliche Stimme. Schnell drehte ich mich herum und sah das junge Mädchen wieder. Dieses Mal sah sie etwas anders aus. Ihre langen platinblonden Haare waren zu einem Zopf geflochten und statt dem Hut hatte sie dieses Mal nur einen blauen Haarreif auf dem Kopf. Die Hose war auch ausgetauscht gegen einen Tellerrock. Alles andere blieb wie gehabt. „Was sollen denn Social Links sein?“, musterte ich das Mädchen, welches auf ihrem Tablet herumtippte. Kurz ignorierte sie mich, weil sie etwas zu suchen schien, doch mir dauerte das zu lange: „Jayjay? Ignorier mich nicht!“ „Jayjay?“, legte sie fragend den Kopf schief, „Wer soll das sein?“ „Na du. Das ist von heute an dein Spitzname!“, grinste ich sie frech an. „Soll mir recht sein“, blieb sie auch weiterhin ruhig und tippte wieder herum. Heute war sie irgendwie eigenartig. Normal wäre sie aus der Haut gefahren und hätte mit mir angefangen zu diskutieren. Na ja, halb so wild. Mir war es auch eindeutig lieber, wenn sie ruhig blieb und mich nicht wegen jeder Kleinigkeit zur Rechenschaft zog. „Ah! Hier bist du ja“, hellte sich ihr Gesicht auf und sie erklärte, „Du bist bereits Verbindungen mit folgenden Arcanas eingegangen: Dem Magier, Der Kraft und mit dem Rad des Schicksals.“ „Und was soll das jetzt heißen?“, kapierte ich mal wieder gar nichts. „Social Links sind Bündnisse, die du mit anderen knüpfst. Jeder davon bekommt eine andere Arcana zugeordnet und hat verschiedene Stärken und Schwächen. Vertiefe deine Verbindung zu ihnen, damit sich die Arcana entwickeln kann und zu wahrer Stärke reift“, versuchte sie mir Klarheit zu schaffen. „Okay?“, hatte ich es natürlich immer noch nicht verstanden, „Und wo kann ich das nachschauen wie stark so eine Verbindung nun ist? Und woher weiß ich mit wem ich sie eingegangen bin?“ Kurz schnaubte die Platinblonde und meinte dann: „Dann schau doch bitte mal auf dein Smartphone. Dort sollte sich eine App installiert haben. Die zeigt dir das alles an.“ „Dafür, dass ihr immer so ultra schlau tut, seid ihr echt blöd“, kramte ich mein altes Klapphandy heraus und zeigte es ihr, „Auf dem Ding laufen keine Apps oder so ein neumodischer Kram.“ „Dann kannst du auch deine Social Links nicht einsehen“, zuckte das Mädchen mit den Schultern. „Nutz doch einfach euer Hokuspokus und macht daraus ein Smartphone oder zaubert mir eins her“, fuchtelte ich genervt in der Gegend herum. Warum war man heutzutage nur bei allem was man tat auf solch ein verdammtes Smartphone angewiesen? Laut schnaubte ich und wusste nicht mehr weiter. „Ich kann leider nicht zaubern. Das ist unmöglich aus deinem Klapphandy ein Smartphone zu machen. Kauf dir einfach eins“, bekam ich nur als Antwort. Das half mir nun wirklich nicht weiter und so langsam wurde ich wütend: „Sehe ich so aus, als könnte ich mir mal eben so ein Smartphone leisten?!“ Darauf bekam ich natürlich nur Schweigen entgegengesetzt. Die Platinblonde streckte daraufhin ihre Handfläche aus und meinte: „Hier, das kann ich dir geben.“ Zuerst kapierte ich nicht was sie meinte, denn ihre Hand war leer, jedoch begann sich dort langsam etwas zu materialisieren. Es war ein blauer Schlüssel mit goldenen Akzenten, welcher diverse Ähnlichkeiten mit dem Goldenen aufwies, den ich bereits besaß. „Okay, also im Dinge herzaubern seid ihr beide wirklich Weltmeister. Aber aus einem Klapphandy ein Smartphone machen oder ein Neues herzaubern könnt ihr nicht?“, griff ich genervt nach dem Schlüssel. Natürlich bekam ich auch darauf keine Antwort. Stattdessen erklärte mir die Kleine was es mit besagtem Gegenstand auf sich hatte. Immerhin das durfte ich scheinbar wissen. „Mit dem Schlüssel erreichst du uns jederzeit. Wenn du Fragen hast, dann komm einfach her“, lächelte die Platinblonde lieb. Ich hingegen sah sie nur ungläubig an: „Ja, aber was bringt mir das? Fragen kann ich euch tausende stellen, aber ich brauche auch Antworten.“ Entnervt schnaubte ich auf und betrachtet meinen neu dazugewonnenen Gegenstand: „Ich glaub ich brauch einen Schlüsselbund.“ Langsam wurde es wieder dunkler in der Höhle und ich wurde schläfrig. Aus dem Augenwinkel sah ich noch etwas Blaues um das Mädchen leuchten und ich hörte schon wieder diese blöde Stimme in meinem Kopf: „I Am Thou. Thou Art I.“ Wie viele von diesen Social Links sollte ich denn bitte noch bilden?   Mittwoch, 08. April 2015   „Jetzt steh endlich auf!“, rüttelte Saito zum wiederholten Male an seiner Schwester. Diese hatte jedoch so gar keine Lust dazu und knurrte nur: „Nee… Ich will nicht.“ „Du kommst wieder zu spät zur Schule!“, keifte er sie an. Nach fünf Minuten brachte er sie schließlich widerwillig dazu endlich aufzustehen. Prüfend sah sie nochmal an sich herunter, um zu sehen, ob sie noch ein Junge war. Glücklicherweise war dem nicht der Fall. Verschlafen machte sie sich fertig und stieg anschließend die Treppe hinunter in die Küche. Ihr Bruder stellte ihr bereits ihr Bento zurecht, als sie nach dem Toast suchte, welchen sie ziemlich ungleichmäßig mit Marmelade beschmierte. „Du, Saito-nii“, biss sie in ihr Brot und stellte im selben Moment wieder die Marmelade an den Platz zurück, „Hast du mitbekommen was bei Ami zu Hause vorgefallen ist? Sie war gestern nicht in der Schule und ich wollte sie im Anschluss besuchen. Allerdings ist das Haus der Familie niedergebrannt.“ Ein kurzer verwirrter Blick traf das Mädchen in diesem Moment: „Sag mir nicht, dass du das nicht wusstest?“ Rin zuckte mit den Achseln: „Es hat mir keiner erzählt. Ein Klassenkamerad meinte gestern nur, dass es damals in der Zeitung stand und auch, dass es scheinbar ein Opfer gab. Aber ich war in Amerika und keiner hatte zu mir auch nur ein Sterbenswörtchen gesagt.“ Bedrückt schaute sie zu Boden während Saito mit sich haderte. Es schien als wolle er seiner Schwester nichts darüber erzählen. „Also… Ja… Da war ein großer Bericht in der Zeitung. Darin stand geschrieben, dass Amika-chans Eltern mit leichten Verletzungen davongekommen sind. Ihre ältere Schwester Kaori hatte es allerdings nicht geschafft und ist bei dem Unfall gestorben“, mit betrübtem Gesicht sah der Blonde zur Seite, „Das Eigenartige an der Sache ist nur, dass Amika-chan als einzige von den Vieren unversehrt aus der Sache herauskam, obwohl sie sich angeblich ziemlich nahe im Zentrum des Feuers befand.“ „Das kann doch nicht sein“, fehlten der Blauhaarigen die Worte, „Kaori ist tot? Ich verstehe nicht warum mir Ami nie etwas erzählt hat. Bin ich etwa nicht mehr ihre beste Freundin? Ihr muss es ja schrecklich gehen nach dem Vorfall.“ „Das kann ich dir auch nicht sagen“, schüttelte Saito den Kopf, „Aber schön war es für Amika-chan sicherlich nicht.“ „Weißt du zufälligerweise wo sie nun wohnen?“, hakte das Mädchen nach, jedoch verneinte Angesprochener nur. Schnell biss das Mädchen noch zweimal in ihr Brot, bevor sie es komplett verschlungen hatte. Grade in dem Moment in dem sie sich ihr Bento schnappte, sah sie ein blaues Leuchten um ihrem Bruder. Und wie erwartet flatterte dort auch wieder ein blauer Schmetterling. „I Am Thou. Thou Art I“, ertönte in den Ohren der Blauhaarigen. „Schon wieder? Wie viele von den Dingern kann man schließen?“, schien sie sehr überrascht. Saito hingegen war nur irritiert: „Was? Schließen? Bist du wieder auf den Kopf gefallen?“ „Nerv mich nicht“, streckte ihm seine Schwester die Zunge heraus und verließ kurz danach das Haus. Der Blonde tat es ihr wenige Minuten später gleich. Rin wollte ihrem Bruder unter keinen Umständen noch mehr von den Geschehnissen erzählen, die um sie herum passierten. Deswegen verheimlichte sie ihm auch, dass sie am gestrigen Tag erneut das Geschlecht gewechselt hatte. Aber wie es schien klang dieses Phänomen jedes Mal einfach über Nacht ab. Sehr merkwürdig. Von der anderen Welt, der Wasserhöhle und den Personas wollte sie erst gar nicht anfangen zu berichten. Abgesehen davon, dass ihr Bruder sie dann definitiv erstmal für verrückt hielt, würde er sich dennoch unnötig Sorgen machen und vielleicht sogar seine ganze Zeit in Nachforschungen investieren. Zwar würde das dem Mädchen sehr helfen, doch sie konnte ihm nicht noch eine Last auferlegen. Es reichte schon, dass er nur am Arbeiten war und nebenbei noch irgendwie die schwere Uni schultern musste. Saito wollte Arzt werden und hatte ein entsprechendes Medizinstudium angefangen. Und das war echt nicht ohne, wie das Mädchen fand.   Darauf hoffend, dass Amika heute in der Schule sein würde, betrat Rin den Klassenraum. Leider hatte sie kein Glück, denn die Brünette ließ sich auch heute nicht blicken. Aber auch Akira war noch nicht da. Sorgen stiegen in der Blauhaarigen auf, da sie befürchtete, dass die Verletzung des Rotschopfes vielleicht doch schlimmer war als gedacht. Immerhin hatte sein Kopf den Boden geküsst. Ihre Sorgen wurden allerdings schnell wieder weggeblasen, denn gegen Ende der ersten Stunde schlug er endlich putzmunter auf. „Wenn du irgendwann mal pünktlich bist, mache ich drei Kreuze im Kalender“, kam es sichtlich genervt von ihrer Klassenlehrerin, Frau Yamamoto. Grinsend kratzte sich der junge Mann am Kopf: „Tut mir leid, Yamamoto-sensei. Ich hab den Wecker nicht gehört.“ Zur Strafe wurde Akira dazu verdonnert den Rest der Stunde auf dem Flur zu verbringen. Erst in der Mittagspause kamen die Beiden dann dazu sich richtig zu unterhalten: „Ich hatte heute Morgen schon Bedenken, dass du gar nicht mehr kommst.“ „Ach was“, biss der Rotschopf etwas von seinem Melonenbrötchen ab, „Ich hab nur verschlafen. Aber du warst gestern ganz schön schnell weg finde ich.“ „Ja, ich hatte es eilig“, war es nicht gelogen. „Kuro hat mir erzählt was passiert ist“, begann er den Satz und Rins Atem stockte. Sie würde Kuro umbringen und zu Kleinholz verarbeiten, das stand fest. Dabei hatte sie diesem Idioten extra noch klargemacht, dass er das Geheimnis für sich behalten sollte. Doch bevor sie irgendetwas sagen konnte, setzte der junge Mann fort: „Dieser kleine Junge ist echt eigenartig gewesen. Ein Wächter des Portals? Aber weißt du was? Ich hatte Recht damit, dass es ein Portal ist. Nur wissen wir nicht genau wohin es führt.“ Eine Weile plapperte er noch fröhlich weiter, jedoch schien es so, als ob er nichts von dem Geschlechtswechsel des Mädchens erfahren hätte. Rin berichtete dann auch noch, dass das Feuer, welches sie in dieser anderen Welt gesehen hatten, wirklich von Amikas Haus ausging. Auch, dass das Haus nicht im Ansatz verfallen war ließ sie nicht aus. Außerdem erzählte sie auch von ihrer Persona, mit welcher sie sich auseinandergesetzt hatte. „Wann wohl deine Persona erscheint?“, überlegte die Blauhaarige angestrengt. Der Rotschopf grinste schief: „Ich glaub ich hab gar keine Lust mich mit so einem brutalen Ding auseinanderzusetzen.“ „Ach so, das hätte ich ja beinahe vergessen“, wechselte Akira plötzlich das Thema, „Ich soll dir ja noch etwas von Kuro ausrichten. Er wollte, dass du heute nochmal vorbeikommst, weil ihr wohl noch genaueres besprechen müsstet wegen dem Stipendium. Und dann meinte er noch, dass du auf jeden Fall kommen sollst, weil er sonst irgendwas öffentlich macht.“ Rin zuckte kurz zusammen, als sie die letzten Worte ihres Gegenübers vernahm: „O-okay.“ Eigentlich hatte sie gar keine Lust sich nochmal mit dem Kerl auseinanderzusetzen, aber da er sie erpresste, musste sie wohl oder übel seiner Aufforderung nachkommen. Vor Ort konnte sie ihm ja immer noch sagen, dass sie keinen Bock drauf hatte sein Sklave zu werden. Auch wenn das scheinbar der einzige Weg war an die Akademie zu gelangen.   Nach der Schule, hatte der junge Mann es mal wieder eilig und verabschiedete sich schnell, da er zur Arbeit musste. Die Blauhaarige machte sich allerdings auf den Weg zum Lehrerzimmer, denn Akira hatte sie auf die Idee gebracht die Adresse von Amika über einen Lehrer in Erfahrung zu bringen. Gesagt getan, suchte sie ihre Klassenlehrerin und erklärte ihr, dass sie der Brünetten die Hausaufgaben bringen wollte und dass sie dafür eben die Adresse bräuchte. Es war wirklich recht einfach an die Adresse zu gelangen, blöderweise wusste sie nur absolut nicht wo sich besagte Straße befand und aus den Erklärungen von Frau Yamamoto wurde sie auch nicht schlau. Also beschloss sie es einfach mal auf gutes Glück zu versuchen. Nachdem sie einige Leute nach dem Weg fragte, gefühlte hundert Mal falsch abbog und selbst nicht mehr wusste wo sie war, schaffte sie es schließlich das gesuchte Haus zu finden. „Oh, was für eine Überraschung. Ich hab dich ja schon ewig nicht mehr gesehen, Rin-chan“, öffnete Amikas Mutter erstaunt die Tür. „Ja“, kratzte sie sich verlegen am Hinterkopf, „Ich kam auch erst vor einigen Tagen aus Amerika zurück.“ „Na, dann komm mal rein, Kleines“, bat die Mutter das Mädchen die Tür herein. „Ich habe übrigens auch erst gestern erfahren, was passiert ist. Das mit Kaori tut mir furchtbar leid“, sprach das Mädchen ihr Beileid aus. Die Mutter blickte traurig drein: „Ja. Uns allen. Aber es schien ein tragischer unerklärlicher Unfall zu sein. Leider werden wie nie erfahren was den Brand auslöste.“ Kurzes Schweigen brach herein, welches aber schnell wieder von der Blauhaarigen unterbrochen wurde: „Wie geht es Ami? Ich erreiche sie nicht und habe mir große Sorgen gemacht. Die Schulaufgaben habe ich auch gleich mitgebracht.“ „Ich weiß auch nicht“, begann die Mutter und schaute bedrückt zur Seite, „Sie schläft und wacht einfach nicht wieder auf. Heute Abend soll sie ins Krankenhaus verlegt werden.“ Verwirrt sah die Blauhaarige zu der Frau herüber, denn sie verstand nicht wieso ihre beste Freundin nicht aufwachen würde. Das ergab doch gar keinen Sinn, immerhin war sie zuvor ja noch putzmunter. Natürlich ließ es sich das Mädchen nicht nehmen und besuchte die schlafende Amika in ihrem Zimmer, während die ältere Frau wieder ihrer Hausarbeit nachging. Die Blauhaarige setzte sich zu ihrer besten Freundin auf die Bettkante und rüttelte leicht an ihr: „Ami? Wach auf.“ Wie erwartet tat sich nichts und Rin fuhr schwerere Geschütze auf, indem sie ihr in die Wange kniff und heftiger rüttelte. Doch auch das half alles nichts. Mit lautem Schnauben unterließ sie es schließlich und sah sich etwas in dem Zimmer der Brünetten um. Es war kleiner als ihr vorheriges. Generell wirkte das neue Haus kleiner, als das Alte. Amikas Zimmer sah eher unbewohnt und kahl aus. Es befanden sich, abgesehen vom Bett, ein Schreibtisch und ein Kleiderschrank darin. Sie hatte keinen Fernseher mehr und auch der Computer war weg. Vermutlich war alles niedergebrannt und sie konnte sich noch nichts Neues organisieren in der kurzen Zeit. Auf ihrem Nachttisch entdeckte die Blauhaarige einige Haarklammern, sowie das rote Smartphone des Mädchens. Dieses war ausgeschaltet. Rin vermutete, dass der Akku leergegangen war. Erreicht hätte man die Brünette ja leider so oder so nicht. Während Rin auf dem Nachttisch ihrer besten Freundin wühlte, fiel ihr eine Haarspange besonders ins Auge, denn es war ein etwas größerer roter Edelstein daran befestigt. Passend zur Brünetten hatte er eine Herzform und funkelte wunderschön. Verwirrt darüber nahm das Mädchen diesen auf und musterte ihn. Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern diese Haarklammer je gesehen zu haben. Wahrscheinlich war sie neu. Als das Mädchen besagten Haarschmuck wieder zurücklegen wollte, bemerkte sie ein rosa-rotes Armband auf dem kleinen Tischchen liegen. Es war das Armbändchen, welches ihr die Blauhaarige in der Grundschule geknüpft hatte. Ein Zeichen dafür, dass sie beste Freundinnen waren. Rin erstaunte es, dass Amika dieses hässliche schiefe Ding noch besaß, obwohl doch scheinbar all ihre anderen Sachen niedergebrannt waren. Prüfend nahm sie das Bändchen in die Hand, als davon plötzlich ein grelles Licht ausging. In Sekundenschnelle verwandelte sich das Armband und es formte sich ein silberner Schlüssel mit roten Akzenten daraus. Perplex starrte die Blauhaarige den soeben entstandenen Schlüssel an und verstand die Welt nicht mehr: „Wo kommt der denn jetzt schon wieder her?“ Kurz musste sie überlegen, ehe sie auf eine Idee kam und aufsprang: „Vielleicht muss ich das Ding in eine Tür stecken und Amis Seele hinter der Tür rausholen.“ Noch im selben Moment in dem das Mädchen auf die Zimmertür der Brünetten zuging, bemerkte sie was sie da für einen Müll von sich gab: „Oh man, dieses ganze Hokuspokus in letzter Zeit macht mich ganz blöd in der Birne. Als ob dieser komische Schlüssel die Tür zu Ami öffnen würde.“ Zwischen Bett und Tür blieb das Mädchen stehen und starrte das silberne Ding missmutig an. Man merkte richtig, wie ihr Hirn ratterte und sie heftig nachdachte. „Es ist absurd“, haderte sie mit sich selbst, „Aber… vielleicht ja auch nicht?“ Kurz fiel ihr Blick zur Tür, dann wieder zu dem Gegenstand und schlussendlich verlor sie die Beherrschung: „Ach verdammt! Ich probiere das jetzt aus. Sonst werde ich hier noch wahnsinnig.“ Hastig schritt sie auf die Tür zu und steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch. Als sie ihn drehen wollte blockierte er jedoch und das Mädchen zog ihn wieder heraus: „Geht nicht. Ist aber beruhigend. Sonst dreht mein Kopf noch komplett ab.“ Daraufhin klippte sie ihre neuste Errungenschaft zu den anderen Beiden. Am gestrigen Tag hatte sie sich einen großen Ring geschnappt, an welchem sie die beiden Schlüssel und den Edelstein festgemacht hatte. So konnte sie sich den Bund an den Gürtel hängen, welchen sie heute über ihrer Bluse trug. Als Kette wäre das Ganze sonst zu schwer geworden, vor allem jetzt, da es noch einer mehr wurde. Trotz allem konnte sie nicht leugnen, dass sie absolut keinen Schimmer hatte, was sie mit den ganzen Dingern anfangen sollte. Doch hielt sie es für sinnvoller, wenn sie alles vorerst bei sich trug. Noch einmal drehte sie sich zu ihrer besten Freundin und sah sie betrübt an: „Hoffentlich wachst du bald wieder auf, Ami.“ Daraufhin verließ sie den Raum wieder, verabschiedete sich von der Mutter und machte sich auf den Weg zur Suzuki Akademie. Natürlich machte sie wieder ungewollte Abstecher, da sie teilweise absolut nicht wusste wo sie war. Für so etwas hätte sie gut und gerne ein Smartphone gebrauchen können, aber das war leider nicht drin.   „Ich hab’s geschafft!“, stand sie breitbeinig vor dem Eingang der Schule und warf die Hände in die Luft. Einige der entgegenkommenden Schüler musterten sie daraufhin komisch und begannen zu tuscheln. Doch das interessierte das Mädchen dieses Mal wenig, denn sie war viel zu glücklich darüber, dass sie den Weg ganz alleine gefunden hatte. Schnell stiefelte sie zum Raum des Schülerrats, klopfte an und trat herein. „Hallo, wie kann ich dir weiterhelfen?“, grüßte sie eine freundliche und zarte Stimme. Sie kam von einem Mädchen, welches wohl zuvor in ihre Schreibarbeit vertieft zu sein schien. Bei genauerem Betrachten erkannt Rin das Mädchen sogar wieder. Es war die Selbe, welche sie am Tag zuvor vor dem Schulgebäude über den Haufen gerannt hatte. „H-Hallo“, kam es peinlich berührt aus der Blauhaarigen, „Und sorry nochmal wegen gestern.“ „Ach ist schon in Ordnung. Ich stand ja auch mitten im Weg“, kam es sanft aus dem Mädchen mit den eisblauen Haaren, welche lieb lächelte „Und? Was macht eine Schülerin einer anderen Schule denn hier? Wie heißt du denn?“ „Oh… ja! Kuro-kun hatte mich herbestellt, aber er scheint nicht da zu sein, oder? Ich bin Rin Aikawa und du?“, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. „Freut mich dich kennenzulernen, Aikawa-chan. Mein Name ist Ruri Miuna“, stellte sie sich nun auch vor. Dann überlegte sie kurz: „Hm… Er hat gar nicht gesagt, dass er heute jemanden empfängt. Ich glaube er müsste im Zimmer des Direktors sein.“ „Wo ist das denn?“, hakte die Blauhaarige nach. Daraufhin bekam sie von Ruri eine kleine Beschreibung, worauf sie sich bedankte und gehen wollte. Schnell drehte sie sich um und wollte grade aus der offenen Tür gehen, als sie erstarrt. „Huh?“, kam es verwirrt aus der Eisblauhaarigen, „Was ist denn los?“ Blöd grinsend wandte sich das Mädchen wieder herum: „Darf ich kurz was ausprobieren?“ Ohne die Antwort abzuwarten, schob sie die Tür wieder zu und die Eisblauhaarige konnte beobachten, wie die Schülerin einen silbernen Schlüssel zückte, ihn ins Schloss steckte und versuchte ihn zu drehen. Nachdem sie einige Sekunden rumgewackelt hatte, stellte sie fest, dass es nicht funktionierte und zog ihn wieder heraus. Schnell schob sie danach wieder die Tür auf, verabschiedete sich und war weg. Zurück blieb nur eine äußerst verwirrte Ruri.   Auf dem Weg zum Raum des Rektors grübelte Rin darüber nach, was der Schwarzhaarige dort wohl trieb. Aber treu-doof im Schülerrat auf ihn warten würde sie sicherlich nicht und wenn er am Ende doch keine Zeit hätte, dann hatte er eben Pech gehabt. Im dritten Stock vor besagtem Zimmer angekommen, klopfte das Mädchen kurz. Nachdem ein „herein“ von dem Schüler ertönte, trat sie hinein und schloss die Tür hinter sich. „Geht’s noch ein bisschen später? Willst du etwa doch, dass ich dein kleines Geheimnis verbreite?“, begrüßte Kuro seinen Gast höflich wie immer. Er saß auf dem Platz des Direktors und war mit ziemlich viel Papierkram beschäftigt wie es schien. „Vielleicht habe ich auch noch ein eigenes Leben und bin nicht dazu verpflichtet nach deiner Pfeife zu tanzen?“, gab sie ihm endlich mal richtig kontra, „Warum sitzt du überhaupt auf dem Stuhl des Direktors? Der wird mächtig sauer werden.“ Hämisch grinste das Mädchen schon, weil sie sich auf die Schimpfe freute, die der junge Mann sicherlich bekommen würde. Mittlerweile traute sie sich wirklich etwas mehr mit ihm zu diskutieren und sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Immerhin wusste sie genau, dass sie Akira auf ihrer Seite hatte, sollte der Schwarzhaarige wieder irgendeinen Unsinn anstellen. Damals hatte sie keinen der ihn zügelte. „Das geht dich einen feuchten Dreck an“, klatschte er zwei Papiere in Rins Richtung auf das Pult, „Setzen.“ Mit kaltem Blick starrte er das Mädchen an, welches noch immer mitten im Raum stand und verwies sie auf einen der beiden Stühle, die vor dem Tisch standen. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herunter und sie setzte sich ohne Widerworte. Na ja… Wer weiß. Vielleicht konnte sie ihm ja doch noch nicht so viel entgegensetzen? Der Typ war gruselig und unberechenbar. „Hier ist dein Arbeitsvertrag als meine Assistentin und dort deine Anmeldung fürs Stipendium auf der Akademie“, erklärte er herrisch, „Beides unterschreiben!“ Etwas einschüchternd wirkte er schon, doch die Schülerin wollte unter gar keinen Umständen als sein Sklave arbeiten und das versuchte sie ihm klarzumachen: „Ich unterschreibe das aber nicht.“ „Wer sagt, dass du eine Wahl hast?“, blickte er sie kritisch an. „Ich habe nie eingewilligt für dich zu arbeiten“, traute sie sich ihm die Meinung zu sagen. Wenn auch eher zaghafter, als man es von der aufbrausenden Rin kannte. „Soll ich also dein kleines Geheimnis ausplaudern?“, verzog er keine Miene und fuhr seine Schreibarbeit währenddessen fort. Die Blauhaarige knurrte vor Wut. Natürlich wollte sie nicht, dass er es ausplauderte, aber genauso wusste sie sich zu helfen: „Dann erzähle es doch herum. Wer würde dir denn so einen Schwachsinn glauben? Eher stecken sie dich in die Klapse.“ „Keine Sorge“, hob er nicht einmal seinen Blick, „Ich habe natürlich Beweise.“ Innerlich fluchte das Mädchen, konnte sich aber nicht zusammenreimen woher er Beweise haben sollte und wie diese aussehen sollten: „Du bluffst doch nur. Woher willst du bitte Beweise haben?“ Völlig entnervt schaute er die protestierende Schülerin an: „Kleine, selbst wenn ich keine hätte, würde ich einfach einen Detektiv auf dich ansetzen und die Informationen sammeln, die ich benötige! Jetzt unterschreib einfach den Scheiß!“ Eingeschüchtert schwieg die Schülerin und nahm sich vorsichtig das erste Formular. Natürlich griff sie zuerst mal nach den Unterlagen für ihr Stipendium und las es sich aufmerksam durch. Nach wenigen Minuten bemängelte sie dieses jedoch: „Das ist nicht wie mein altes Stipendium. Das Alte beinhaltete das kostenlose Wohnen im Wohnheim.“ „Bin ich Mutter Theresa oder was? Als ob eine Kröte wie du es verdient hätte da kostenlos zu wohnen! Das kannst du dir selbst finanzieren, wenn du da unbedingt hinziehen willst“, kackte er sie immer noch genervt an. Dieses Mal konnte das Mädchen jedoch nicht locker lassen: „Ich wohne am anderen Ende der Stadt. Das dauert Ewigkeiten jedes Mal hierherzufahren. Abgesehen davon ist die Bahn auch nicht grade billig.“ „Und das ist mein Problem, weil?“, schnaubte Kuro und schrieb weiter vor sich hin. Kurz musste sie überlegen, doch sie hatte schneller einen Geistesblitz, als sie dachte: „Wenn ich den Sklaven für dich spielen muss, dann wäre ich viel schneller da.“ Siegessicher grinste sie ihn an, als er mürrisch aufschaute und sie musterte. Anschließend begann er etwas am Computer herum zu tippen und wenig später spuckte der Drucker auf der anderen Seite ein Papier aus, welches er Rin wortlos hinschmiss. Das war doch tatsächlich der Antrag für das Wohnheim. Freudig füllte sie daraufhin die beiden Verträge aus und reichte sie zu dem jungen Mann herüber. „Da, jetzt muss nur noch der Rektor unterschreiben“, grinste sie immer noch. Doch ehe sie sich versah, hatte der Schwarzhaarige seine Unterschrift schon daruntergesetzt und das Papier zur Seite gelegt: „Der andere auch noch!“ Er deutete auf den Arbeitsvertrag, welcher noch immer unberührt vor dem Mädchen lag, doch dieses fing wieder an zu protestieren: „Warum hast du den Vertrag für mein Stipendium unterschrieben? Das muss der Direktor bewilligen. Hast du etwa vor den Vertrag am Ende zu zerreißen und mich dann mit dem Arbeitsvertrag auszunutzen?! Das mache ich totsicher nicht mit!“ „Herrgott bist du nervig! Siehst du hier vielleicht irgendwo einen Direktor?!“, wütend klatschte er dem Mädchen noch ein weiteres Papier vor die Nase, „Jetzt unterschreib einfach den verkackten Arbeitsvertrag und gut ist!“ Bevor sie diesen jedoch anrührte schaute sie auf das neue Schreiben, welches sie soeben von dem jungen Mann bekommen hatte. Es war eine Bestätigung für ihr Stipendium mit Stempel und Unterschrift von Kuro. Es bestätigte auch, dass ihr die Schuluniform gestellt wurde, welche sie beim Schneider bestellen musste. So langsam glaubte sie wirklich, dass es wohl alles mit rechten Dingen zuging und widmete sich nun dem Arbeitsvertrag. Dieser sah eigentlich recht normal aus und das Mädchen konnte nichts zu Bemängelndes feststellen. Sie staunte auch nicht schlecht, als sie las, dass sie sogar monatlich mit einem Festbetrag bezahlt wurde. Eigentlich dachte sie, dass sie ihr Stipendium mit der Arbeit abstottern musste. Umso besser also, dass sie sich etwas dazuverdienen konnte und ihr nebenbei keinerlei Kosten anfallen würden. Und Saito müsse nun auch nicht mehr für sie sorgen und hätte etwas mehr Geld für sich selbst zur Verfügung. Fast schon fröhlich unterschrieb sie auch das letzte Papier und schob es dem Schwarzhaarigen hinüber. Dieser nahm es wortlos entgegen, unterschrieb ebenfalls und schob Rin einen kleinen Blätterhaufen entgegen. „Hier sind deine Kopien der Verträge und diverse Informationen, sowie die Hausordnung der Schule“, erklärte er lustlos, „Les den Kram durch. Ab Montag gehst du dann in die 2C und arbeitest als meine Assistentin, kapiert?“ „Schon ab Montag? Normal dauert der Papierkram doch länger. So schnell bekomme ich doch niemals die Uniform“, war sie sichtlich erstaunt. „Dein Pech“, gab er nur von sich und vertiefte sich wieder in seine Schreibarbeit. Genervt von diesem unfreundlichen Idioten verließ Rin den Raum mit einer knallenden Tür und stapfte wieder aus der Schule heraus. Kuro schnaubte nochmal auf: „Ich glaube, dass ich mir mit dem Trampel grade keinen Gefallen getan habe.“   Auf direktem Wege machte sich die Schülerin schließlich auf zum Schneider und beantragte besagte Uniform. „Oh, ein Stipendium also?“, lächelte der Ladenverkäufer, „Du scheinst wirklich klug zu sein. Na, dann wollen wir mal sehen.“ Er tippte etwas auf seinem Computer ein, während Rin überlegte ihm zu widersprechen, dass es nur ein Sportstipendium sei. Jedoch beschloss sie den Besitzer in dem Glauben zu lassen, sie wäre sehr schlau. „Sieh mal einer an“, klatschte er sich freudig in die Hände, „Ich könnte tatsächlich noch etwas in deiner Größe dahaben.“ Erstaunt darüber sah die Blauhaarige zu wie er im Hinterzimmer verschwand und mit einem Haufen Klamotten wiederkam. Natürlich war das Mädchen gezwungen alles anzuprobieren und ging mit der Uniform in die Kabine. Zuerst probierte sie den Faltenrock an. Er war gelb-braun kariert und passte wie angegossen. Schließlich zog sie noch die Jacke drüber, welche ebenfalls gut anlag und sehr bequem war. Diese war weiß mit braunen und schwarzen Akzenten, sowie einer gelb-braun karierten Borte über dem Oberkörper und Rücken. Mit der Uniform trat sie aus der Kabine heraus und meinte nur: „Gibt’s die Jacke auch in dunkel?“ Der Verkäufer musterte sie merkwürdig und meinte nur: „Ich kann dir die reguläre Wolljacke hier anbieten, die ist schwarz. Aber die Uniform der Suzuki Akademie ist in der Regel hell gehalten. Nur das Jackett der Jungen ist schwarz.“ „Das ist ja blöd. Dann muss ich wohl oder übel diese helle Jacke hier nehmen“, war sie nicht sonderlich begeistert. Zwar war die Verarbeitung und der Stoff der Uniform der Suzuki Akademie ein klein wenig hochwertiger, doch mochte Rin die der Aehara High School im Gegensatz zu dieser tausend Mal mehr. Denn die war hauptsächlich schwarz und eher in dunklen Tönen gehalten. Da konnte nichts so schnell verdrecken. Schlussendlich hatte die Blauhaarige dann alles beisammen, was sie brauchte. Von Schuluniform bis hin zur Sportkleidung, sowie Wolljacke und Pullunder. Einzig beim Badeanzug verspürte das Mädchen großes Unbehagen. Gab es in der Akademie etwa Schwimmen als Pflichtfach? Denn es würden sie totsicher keine 20 Kuros ins Wasser bewegen. Nachdem sie den Gutschein von der Suzuki Akademie abgegeben hatte, konnte sie ohne weitere Probleme wieder gehen. Wer hätte gedacht, dass der Schneider alles vorrätig hatte? „Na ja, wobei. Ich als Schneider hätte auch keinen Bock auf diese reichen ungeduldigen Schnösel, die einen dann nur vollmeckern und fragen warum es nicht schneller geht“, dachte sich das Mädchen auf ihrem Heimweg nur.   Kapitel 6 - Familienverhältnisse --------------------------------   Donnerstag, 09. April 2015   Als Rin am Morgen in die Küche getorkelt kam, saß bereits ihr Bruder Saito am Tisch und frühstückte. Er hatte für die Blauhaarige ebenfalls etwas angerichtet und es gegenüber bereitgestellt. „Morgen“, rieb sie sich ein Auge und gähnte nochmal herzhaft. „Guten Morgen“, kam es vom Blonden, welcher soeben an seinem Kaffee nippte. Verschlafen nahm das Mädchen platz und begann den Reis mit den Beilagen zu futtern. Gerade als sie dazu ansetzen wollte von ihrem Stipendium zu berichten, hörten sie plötzlich ein lautes Knallen, als zeitgleich das ganze Haus wackelte. „Oh Gott, was hat er angestellt?“, sprang der Blonde vom Stuhl auf. Im selben Moment zuckte Rin heftig zusammen, verschluckte sich an ihrem Essen und hustete wie wild. Außerdem kippte zeitgleich plötzlich der Kaffee des jungen Mannes einfach so um, verteilte sich über dem ganzen Tisch und tropfte an der Kante herunter. „Ist mir ehrlichgesagt egal“, fand die Blauhaarige endlich ihre Worte wieder, „Aber deine Tasse ist umgekippt.“ „Wie ist das denn passiert?“, begutachtete Saito die Lache und holte schnell einen Lappen. Plötzlich hörte man ein Klacken und ein Türknallen und wenige Sekunden später stand auf einmal ein älterer dürrer Mann in der Küchentür. Er hatte schwarze lange verzottelte Haare, welche etwas bläulich schimmerten und zu einem Zopf gebunden waren. Sich am Türrahmen abstützend schnappte er heftig nach Luft. Der ältere Herr sah im gesamten sehr fertig aus. Seine Augenringe hatten schon Augenringe und sein weißer Kittel war völlig verdreckt. Außerdem wollte Rin gar nicht wissen wann er zuletzt ein Bad genommen hatte, denn er roch furchtbar nach Chemikalien und Schweiß. Desinteressiert wischte das Mädchen mit Saitos mitgebrachtem Lappen den Kaffee auf, ehe sie einfach weiter aß und das Geschehen ignorierte. „Ist alles in Ordnung, Papa?“, stützte der junge Mann seinen Vater sofort und half ihm, auf einem der Stühle am Tisch Platz zu nehmen. „Ja, ja. Ist nur was explodiert. Der Rauch ist hochgiftig, deswegen muss ich eine kleine Pause einschieben“, schnaufte er schwer. Saito setzte sich wieder: „Du solltest dich lieber beim Arzt mal abchecken lassen.“ „Blödsinn“, winkte er ab und entdeckte plötzlich seine Tochter, „Rin? Was machst du denn hier? Du bist doch in Amerika.“ „Offensichtlich nicht“, meinte sie schnippisch und stopft die Reste ihres Frühstücks schnell in sich hinein. „Ist sie sauer?“, fragte der Schwarzhaarige verwirrt den jungen Mann. „Mensch, ich habe dir doch gesagt, dass sie wiederkommt. Sogar das Datum und den Grund. Hörst du denn gar nicht zu?“, meckerte nun auch Saito, „Außerdem hat sie dir das doch sicherlich auch am Telefon gesagt.“ Man merkte, dass es der Blonde keineswegs böse mit seinem Vater meinte. Im Gegensatz zu Rin, welche sich nur noch ihr Bento schnappte und so schnell es ging die Haustür hinter sich zuknallte. Sie war sowieso schon enttäuscht darüber, dass er ihr nicht mal „hallo“ gesagt hatte, als sie wieder da war. Aber dass er komplett vergessen hatte, dass sie wiederkommt machte sie unendlich wütend. So wütend, dass ihr einige Tränen in die Augen stiegen: „Ich hasse ihn!“   „Ach so, und das Jahr ist schon vorbei?“, hakte der ältere Mann nochmal nach, „Seit wann ist Rin denn wieder da? Welcher Monat ist eigentlich?“ Genervt klatschte sich Saito die Hand ins Gesicht: „Komm doch endlich mal auf dein Leben klar. Seit fast einer Woche ist sie wieder da. Wir haben Anfang April 2015.“ „Das geht ja noch. Dachte schon sie wäre seit Längerem wieder da“, winkte der Schwarzhaarige ab und sein Sohn gab es so langsam auf und erhob sich vom Tisch, um das Geschirr wegzuräumen. „Mir ist das ja egal, ob du Zeit für mich hast, aber vielleicht wäre es sinnvoll, wenn du deiner Tochter mal etwas Aufmerksamkeit schenkst. Sie war wahnsinnig enttäuscht darüber, dass du sie nicht mal in Empfang genommen hast. Immer bist du im Keller verschollen“, murrte Saito herum, „Rin wächst hier auf, als wäre sie eine Vollwaise. Ich kümmere mich ja gerne um sie, aber ich bin kein vernünftiger Vaterersatz. Denk mal drüber nach!“ Der ältere Mann hatte mittlerweile seinen Kopf in die Arme gelegt und hing mit dem Oberkörper halb über dem Tisch. Es schien, als würde er schlafen und den Blonden völlig ignorieren. Laut schnaubend verließ Saito daraufhin die Küche und wenige Minuten später auch das Haus. Er war sich nicht sicher, ob sein Vater ihm gegen Ende überhaupt noch zugehört hatte, denn wie er ihn kannte war er wieder ohne Schlaf oder Essen tagelang wach gewesen. Der junge Mann hoffte nur, dass sich die Situation zwischen den beiden Familienmitgliedern wieder einrenken würde.   Etwas zu früh kam das Mädchen in der Schule an und setzte sich an ihren Platz im Klassenzimmer. Noch immer musste sie an ihren blöden Vater denken. Es fühlte sich für sie so an, als würde der Schwarzhaarige einen Dreck auf sie geben. Als würde es ihn überhaupt nicht interessieren, dass sie da war. Oder dass sie lebte. Eine Träne kullerte ihr über die Wange und schnell wischte sie diese mit dem Ärmel wieder weg. Betrübt blickte sie noch eine ganze Weile gedankenversunken aus dem Fenster, als sie plötzlich aus ihrer Welt gezogen wurde: „Aikawa-chan? Ist alles okay?“ Schlagartig zuckte die Blauhaarige zusammen, fuhr herum und blickte in zwei blaue Augen: „J-Ja. Alles gut.“ „Hast du geweint? Deine Augen sind ganz rot“, hakte Akira nach. Gespielt grinste sie: „Ach Unsinn. Im Moment fliegen viele Pollen. Das ist bestimmt nur eine allergische Reaktion oder so.“ „Willst du reden?“, ging der Rothaarige null auf ihre Ausreden ein. Ein kurzes Schweigen brach aus und das Mädchen lies bedrückt den Kopf hängen. Sie wollte nicht, dass jemand erfuhr wie es bei ihr zu Hause aussah. Es war ihr peinlich vor den Anderen zuzugeben, dass ihr Vater ein Freak war. „Ist gestern irgendwas mit Kuro passiert?“, ballte er die Faust, „Wenn ja, dann muss ich mal ein ernstes Wort mit ihm reden. Der kann nicht immer seinen Frust an anderen auslassen.“ Während der junge Mann in Rage geriet, schüttelte die Blauhaarige nur den Kopf, um zu symbolisieren, dass mit Kuro alles in Ordnung sei. Na ja, jedenfalls halbwegs. „Was denn dann? Hattest du zu Hause Streit?“, setzte er sich an die andere Seite ihres Tisches und sah sie mit ernstem und zugleich besorgtem Blick an. Ertappt vernahm der Rotschopf ein winziges Zucken und Rin hob ihren Kopf ein wenig an: „Ja, ich habe mich mit meinem Vater gestritten.“ Leicht tätschelte er den Kopf des Mädchens und lächelte lieb: „Mach dir keine Gedanken. Ich weiß zwar nicht um was es ging, aber ich bin mir sicher, dass es sich wieder einrenken wird. Was auch immer passiert ist, Eltern meinen es in der Regel nicht böse mit ihren Kindern. Sie wollen doch immer nur das Beste.“ „Ich weiß ja nicht“, nuschelte sie. „Doch, ganz bestimmt“, wurden Akiras Augen etwas traurig und er blickte zum Fenster hinaus. Ein kurzes Schweigen brach zwischen den beiden aus, welches schnell wieder von Rin unterbrochen wurde. Sie fuchtelte an ihrem Gürtel herum und versuchte den großen Ring mit den Schlüsseln abzubekommen. Als sie besagten Bund auf ihrem Tisch präsentierte, erklärte sie: „Ich war gestern endlich bei Ami. Sie kommt momentan nicht zur Schule, weil sie nicht mehr aufwacht. Gestern Abend müsste sie sogar noch ins Krankenhaus verlegt worden sein.“ Ein verwirrter Blick traf das Mädchen: „Wie sie wacht nicht mehr auf?“ „Ich weiß auch nicht, sie schläft und rein gar nichts kann sie aufwecken. Es gibt nicht mal einen gesundheitlichen Grund dafür. Ihr geht’s blendend“, erläuterte die Blauhaarige, „Aber mir ist etwas sehr Eigenartiges passiert.“ Gespannt hörte der Rotschopf zu, als das Mädchen mit dem linken Zeigefinger auf den dazugewonnenen silbernen Schlüssel deutete: „Das Ding hier. Ich hab das Freundschaftsbändchen, welches ich Ami in der Grundschule geknüpft hatte, auf ihrem Nachttisch gefunden. Als ich es berührte, formte sich daraus dieser silber-rote Schlüssel.“ „Was? Das ist ja eigenartig“, hob Akira den Bund hoch und musterte ihn genauer. „Das sind ja drei Schlüssel. Wozu sind die denn alle gut? Und dazu noch ein blauer Edelstein“, legte der junge Mann den Kopf schief, „Das klingt jetzt zwar merkwürdig, aber hast du den Silbernen mal irgendwo ausprobiert?“ Schief wurde er von seinem Gegenüber angegrinst: „So blöd es auch klingen mag, aber ja, ich habe das Ding getestet. An Amis Zimmertür und an der Tür zum Schülerrat an der Suzuki Akademie. Er passt nirgends. Und der Blaue ist uninteressant. Damit kommt man nur in eine Art Folterkammer.“ Mit kritischem Blick wurde die Blauhaarige gemustert: „Folterkammer? Aber der Silberne Schlüssel muss dann doch auch irgendwo passen. Wir müssen dann wahrscheinlich eine bestimmte Tür finden und nicht nur irgendeine. Und ich wette mit dir, dass dieses Teil hier irgendwas mit Shiori-chans Schlaf zu tun hat.“ „Meinst du? Das klingt alles so seltsam“, wusste Rin nicht recht was sie glauben sollte. Noch kurz überlegte der Rothaarige, bis er unwissend mit den Schultern zuckte und vom Thema ablenkte: „Sag mal, dieser Edelstein hier. Woher hast du den denn?“ „Warum fragst du?“, war Angesprochene neugierig, „Ich weiß auch nicht so genau wo der nun eigentlich herkommt. Ein kleines Mädchen gab ihn mir. Im Traum, glaube ich. Eines Morgens war er auf merkwürdige Art und Weise in meiner Hosentasche.“ Mit dem Klingeln und ihrer Klassenlehrerin, Frau Yamamoto, wurden die beiden schließlich unterbrochen. „In der Mittagspause gehen wir aufs Dach, okay?“, flüsterte Akira, „Ich will was ausprobieren.“ Ein irritiertes Nicken bekam er daraufhin als Antwort, bevor die beiden Schüler sich schlussendlich auf den Unterricht konzentrierten. Auch, wenn sie nicht wirklich Lust dazu hatten.   Zwischendurch versuchte Rin noch einige Male das Vorhaben des jungen Mannes herauszufinden, jedoch blieb er verschwiegen. Stattdessen saß sie nun allein und verlassen auf dem Schuldach und aß ihr Bento. Der Rothaarige wollte nachkommen, da er noch etwas organisieren würde. Genervt schnaubte das Mädchen und überblickte die Umgebung: „Ich frag mich was er vorhat. Wenn er nicht gleich hier aufschlägt, dann gehe ich wieder.“ Nachdem sie wenige Minuten herumjammerte, kam Akira endlich außer Atem auf dem Dach an. Im Mund hatte er ein Schnitzelsandwich von der Mensa und in den Händen schleppte er zwei schwere Blecheimer. Diese stellte er unmittelbar vor Rin auf den Boden und grinste sie frech an. Die Blauhaarige war nun völlig verwirrt, als sie auf die beiden Eimer voll Wasser starrte: „Was willst du denn damit? Blumengießen?“ „Schwachsinn“, biss er von seinem Sandwich ab, „Versuch mal das Wasser zu bewegen.“ „Hä?! Geht’s dir gut?“, stoppte die Blauhaarige mit dem Essen und blickte den selbstsicheren Rotschopf an. „Mach einfach mal“, stemmte er seine linke Hand in die Hüfte und kaute fröhlich weiter. Gezwungenermaßen stellte Rin ihr Bento beiseite und stand nun auf. Kurz starrte sie angewidert die Eimer an, da sie absolut keine Lust hatte mit Wasser zu hantieren. Sie hasste es. Langsam schritt sie nun auf einen der Behälter zu, nahm ihn am Henkel und stellte ihn einige Zentimeter weiter wieder ab. „Zufrieden?“, rieb sie ihre Hände aneinander, um das Feuchte daran wieder loszuwerden. „Nein? Du bist irgendwie schwer von Begriff“, stellte der junge Mann verwundert fest, „Du sollt das Zeug bewegen, ohne etwas davon zu berühren.“ „Willst du mich veräppeln? Wie soll das bitte gehen?“, kapierte die Blauhaarige nun gar nichts mehr. „Ich glaube, dass dieser blaue Edelstein dir magische Kräfte verleiht“, deutete er auf den Schlüsselbund am Gürtel des Mädchens, „Das würde jedenfalls den krassen Geysir am Springbrunnen der Suzuki Akademie erklären.“ „Du glaubst da doch selbst nicht dran, oder?“, verschränkte sie die Arme. Es würde zwar wirklich das Phänomen am Springbrunnen erklären, aber dennoch empfand das Mädchen es als vollkommen schwachsinnig. Der Brunnen hatte sicher nur einen Defekt an der Pumpe. Aber wenn sie genauer darüber nachdachte, dann fielen ihr noch weitere kleine Geschehnisse ein, an denen etwas faul sein könnte. Die Kaffeetasse am Morgen zum Beispiel war einfach umgekippt. Auch wenn das Haus wirklich heftig gewackelt hatte, so war es nicht unbedingt leicht einfach so einen vollen Becher umzuwerfen. Und wie sollte sie sich ihre Wasserflasche vor einigen Tagen erklären? Sie war von jetzt auf gleich fontänenartig leer gewesen. Je mehr die Blauhaarige darüber nachdachte, umso wahrscheinlicher war ihr Akiras absurde Idee geworden. Misstrauisch nahm sie beide Arme leicht nach vorne und konzentrierte sich auf einen der Eimer. Verkrampft starrte sie ihn an und knirschte mit den Zähnen. In diesem Moment ging ein schwaches blaues Leuchten von ihrem Edelstein aus und der Behälter begann tatsächlich zu wackeln, was sie leicht zusammenzucken lies. Ruckartig nahm sie ihre Arme wieder zurück und wich einen Schritt nach hinten, als der Wassereimer einfach wie aus dem Nichts umkippte. Panik machte sich in ihr breit und sie begann plötzlich zu kreischen und wisch noch ein paar wenige Schritte zurück. Ihre Panikreaktion versetzte den übrigen Wassereimer nun auch in ein leichtes Beben und plötzlich spitzte dessen Inhalt zu allen Seiten nach oben heraus. „Oh mein Gott! Was ist das?!“, rannte das Mädchen noch einige Meter vor dem gruseligen Geschehen davon. Der Rothaarige hingegen starrte wie angewurzelt zu den Behältern und konnte kaum fassen, was er da zu sehen bekam. Scheinbar wollte er selbst nicht wirklich glauben, dass Rin irgendwelche Fähigkeiten besaß. Durch seine Starre jedoch, bekam er eine ordentliche Ladung der Flüssigkeit ab und schreckte nun auch auf: „Ah! Kalt!“ Sofort wich er ein ganzes Stück zurück, allerdings war es da schon zu spät, denn er war bereits klitschnass geworden. „Na super“, sah Akira genervt an sich herunter, „Jetzt bin ich durchgenässt. Woher hätte ich ahnen sollen, dass du so ausartest?“ „Das ist schwarze Magie!“, schrie die Blauhaarige panisch von Weitem, „Oder das Zeug ist verflucht!“ Ihre Beine zitterten fürchterlich und sie konnte sich kaum noch auf ihnen halten. Akira merkte das natürlich und ging sofort auf sie zu: „Du brauchst keine Angst zu haben. Wenn du dich genug konzentrierst, dann kannst du sicher die Kontrolle darüber erlangen.“ Vorsichtig legte er ihr eine Hand auf die Schulter, um sie zu beruhigen. Allerdings sorgte das nur dafür, dass ihre Beine nachgaben und sie zusammenkrachte. „Was ist da grade abgegangen? Und wieso? Woher wusstest du, dass was passiert? Ich war das nicht!“, stammelte sie angsterfüllt. Akira hockte sich zu ihr herunter: „Beruhige dich. Es ist alles in Ordnung. Dein blauer Edelstein verleiht dir die Kraft einer Naturgewalt, das ist schon alles. Keine Flüche oder sonst was. Kuro und ich haben ähnliche Kräfte.“ Nun horchte Rin neugierig auf und blickte ihrem Gegenüber ins Gesicht: „Ehrlich?“ „Ja doch“, grinste er das Mädchen lieb an, „Kuro kann zum Beispiel Pflanzen schneller wachsen lassen. Auch, wenn das eine lustige Nebenwirkung hat. Seine Elementarkraft ist die Erde. Er hat einen Smaragd. Ich weiß auch nicht warum das passiert, aber das ist doch eigentlich supercool, oder?“ „Nebenwirkung?“, wurde das Gesicht der Blauhaarigen wieder bleich, „Was soll daran cool sein? Und was hast du für eine Kraft?“ Belustigt winkte der junge Mann ab: „Die Nebenwirkung ist lustig. Schau einfach mal genau hin, was passiert, wenn er seine Kraft einsetzt. Aber das ist ja alles halb so wild, denn es ist nicht garantiert, dass jedes Element am Ende einen witzigen Effekt erzielt.“ Aufmerksam und neugierig lauschte Rin den Erzählungen des Rotschopfes und die Farbe in ihrem Gesicht schien langsam aber sicher wieder zurückzukehren. „Ich selbst habe allerdings noch nicht herausgefunden, welche Elementarkraft meine ist“, kratzte sich Akira grinsend am Hinterkopf, „Aber egal welche es ist, das wird sowas von cool werden.“ „Woher willst du denn wissen, dass du auch so eine Fähigkeit besitzen wirst?“, hakte das Mädchen nach. Freudig deutete er auf seinen goldgelben Edelstein, welcher ihm um den Hals baumelte: „Na ja, wie es scheint braucht jedes Element einen Stein und den habe ich ja bereits. Einen Topas um genau zu sein.“ „Du kannst gerne meinen haben. Ich will das alles nicht“, sah sie ihn leicht verzweifelt an, „Außerdem kannst du dir trotzdem nicht sicher sein, dass dieses Ding wirklich so ein Stein ist, der dir zu einem Element verhilft.“ „Da hast du wohl recht. Aber ich spüre es einfach, es muss so ein Edelstein sein. Er war nämlich genau wie deiner und Kuros auch schon mal aufgeleuchtet. Ich habe nur absolut keinen Plan was daraufhin passiert sein sollte. Deswegen brauche ich deinen auch nicht, denn ich werde meinen zu kontrollieren lernen“, strahlte er das verdutzte Mädchen fröhlich an. Dieser jedoch entglitten nur die Gesichtszüge und sie schaute ihn ziemlich blöd an. „Findest du das normal? Das ist doch vollkommen bescheuert. Wie kannst du dich darauf freuen?“, protestierte Rin noch immer dagegen. Der junge Mann grinste auch weiterhin: „Das ist doch so als wäre man in einem Anime. Als wären wir auserkorene Helden, die die Welt retten. Und die Gegner sind diese Dinger auf der anderen Seite des Portals.“ Sprachlos starrte die Blauhaarige ihn an und konnte keine Worte fassen. Und dann sollte nochmal einer sagen, dass sie zu viele Mangas lesen würde. Der Typ war viel bescheuerter. Sie hatte sowas von gar keine Lust darauf sich nun noch intensiver mit Wasser auseinanderzusetzen.     Freitag, 10. April 2015   Am Morgen ließ Rin provokativ ihren Edelstein auf dem Nachttisch liegen, als sie die Treppe herunterstieg. Wenn das Ding dafür verantwortlich war, dass überall um sie herum Wasser verrücktspielte, dann wollte sie den Stein so weit weg haben wie nur möglich. Noch einmal gähnte sie herzhaft, da vernahm sie im Augenwinkel plötzlich ein blaues Leuchten aus ihrem Zimmer. Schlagartig stoppte ihr Gähnen und sie blieb mitten auf den Stufen stehen und sah sich blitzartig um. „Es wird doch nicht irgendwo wieder Wasser explodieren“, nuschelte sie mit weit aufgerissenen Augen. Doch bevor sie weiterdenken konnte wurde sie plötzlich unsanft von einem blauen Speedstreifen erwischt, welcher geradewegs in sekundenschnelle aus ihrem Zimmer geschossen kam. Die Blauhaarige geriet heftig ins Wanken und unter Schreien purzelte sie die letzte Hälfte der Treppe herunter. Mit dem Bauch landete sie auf den untersten Stufen, während sie ihren Kopf gerade noch so mit den Händen vom Flurboden abfedern konnte. Durch ihren ganzen Schwung hätte sie anschließend beinahe noch eine Rückwärtsrolle gemacht, diese konnte sie allerdings verhindern und lag nun ziemlich verheddert halb auf dem Flurboden und halb auf der Treppe. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, stand Saito direkt neben seiner Schwester in der Küchentür und begutachtete den menschlichen Knoten. „Aua~“, jammerte Rin ihn nur an. Krampfhaft versuchte sie wieder auf die Beine zu kommen, was ihr nach Kurzem endlich gelang. „Ist alles in Ordnung?“, sah er sie besorgt an und griff sich an den Kopf, „Wieso hab nur ich so eine talentlose Schwester?“ „Du nervst“, streckte ihm das Mädchen die Zunge heraus, während sie sich den Staub von der Uniform klopfte. Dabei fiel ihr auf, dass der zurückgelassene Edelstein wieder an ihrem Schlüsselbund am Gürtel hing. Erstaunt darüber, zweifelte das Mädchen an sich selbst, denn sie war sich ziemlich sicher, dass er auf ihrem Nachttisch liegen sollte. Allerdings fuhr ihr dann ein Geistesblitz durch den Kopf und sie zählte Eins und Eins zusammen. Dieser blöde Lichtstrahl, der sie die Treppe herunterwarf, war sicherlich der Stein gewesen, welcher seinen Besitzer vermisste. Glücklicherweise hatte sie sich nicht verletzt. Vermutlich würden nur ein paar blaue Flecken entstehen, aber das war halb so wild. Entnervt darüber drückte sie sich an ihrem Bruder vorbei in die Küche, um schnell zu frühstücken und ihr Bento zu holen. Wie es aussah, hatte ihr Bruder ihr wieder etwas zubereitet und sie musste nicht auf einen Marmeladentoast zurückgreifen. Freudig setze sie sich auf ihren Platz und ihr Bruder tat es ihr gegenüber gleich, wo er seinen angefangenen Kaffee weiterschlürfte. Scheinbar hatte er schon fertiggegessen. „In letzter Zeit schaffst du es ziemlich häufig vor der Uni noch schnell ein Frühstück zuzubereiten“, nahm Rin erstaunt ihre Stäbchen zur Hand. Normalerweise gab es irgendwelche Reste vom Vortag oder eben einfach nur einen schnellen Toast oder dergleichen. Doch noch bevor der Blonde irgendetwas erwidern konnte, hatte das Mädchen schon ihren Teller genauer inspiziert und verzog das Gesicht: „Ew… Was soll das denn?“ Angewidert hob sie eine angebrannte Garnele hoch. Sie kannte es von ihrem Bruder nicht, dass er Essen anbrennen lies. Aber am Meisten verwunderte sie die Garnele im Allgemeinen. „Ja… Das wollte ich dir gerade erklären…“, setzte ihr Bruder an. Allerdings wurde er von einer weiteren männlichen Stimme unterbrochen: „Das hab ich extra für dich gekocht, Rin. Dein Lieblingsessen. Okay, zugegeben, es ist ein kleines bisschen angebrannt, aber das bekomme ich schon noch auf die Reihe. Ich habe schon so lange nichts mehr gekocht.“ Selbstsicher stemmte der Vater seine Hände in die Hüfte und grinste seine Tochter an. Verdutzt darüber, dass sie ihn jetzt erst hinter der Anrichte stehen sah, starrte sie ihn erstmal an. Vor Schreck und Verwirrung purzelte die Garnele aus ihren Stäbchen wieder zurück zum gebratenen Gemüsereis, während Saito sich stöhnend die Hand ins Gesicht klatschte. „Ryuichi…“, knurrte sie und stand ruckartig auf, schlug die Hände auf die Tischplatte und sah ihn wütend an, „Willst du mich verarschen?!“ „Ryuichi?“, kam es verdutzt vom Vater, „Seit wann bin ich nicht mehr ‚Papa‘?“ Ihn ignorierend, stapfte Rin in den Hausflur und zog sich Jacke und Schuhe an, um zu gehen. „Warte doch, Rin! Dein Bento!“, hielt er der Blauhaarigen ihre Lunchbox hin. Rin allerdings ignorierte den Schwarzhaarigen und knallte Sekunden später die Haustür so fest hinter sich zu, dass das ganze Haus wackelte. Als der ältere Mann wieder in der Küche stand, hörte man nur Saito meckern: „Ich hab’s dir doch gesagt. Wie schwer von Begriff kann man eigentlich sein?“ Ebenfalls genervt von der Unfähigkeit seines Vaters, machte sich der junge Mann fertig, um zur Uni zu gehen. „Was habe ich denn falsch gemacht?“, verstand der Schwarzhaarige rein gar nichts mehr. „Du willst gar nicht ernsthaft versuchen dein Verhältnis zu Rin wieder zu verbessern, oder?“, unterstellte ihm der Blonde. „Doch. Sonst hätte ich doch nicht extra gekocht und eingekauft“, legte Ryuichi den Kopf schief, „Außerdem kann ich noch immer nicht in den Keller zurück.“ Ein genervter Blick traf den älteren Mann und Saito zog die Haustür zum Gehen auf: „Garnelen und Meeresfrüchte sind Mamas Lieblingsessen. Rin mag am Liebsten Reisomelette, Okonomiyaki und so ziemlich alles was Süß ist.“ „Oh, das hatte ich vergessen“, kratzte sich der Schwarzhaarige am Kinn und überlegte, „Aber das ist doch trotzdem kein Grund gleich so sauer zu werden. Die Garnelen waren doch nur leicht angebrannt.“ Nochmal musste der Blonde schnauben: „Vorhin habe ich dir doch extra nochmal gesagt, dass Rin gegen Krustentiere allergisch ist, oder?“ Ohne die Antwort seines Vaters abzuwarten, zog er die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Weg zur Uni. Er konnte es nicht fassen, dass der Mann es nicht mal ansatzweise versuchte sich dem Mädchen ordentlich anzunähern. Zwar fand er die Reaktion seiner Schwester auch ziemlich übertrieben, aber er konnte es ihr nicht wirklich verübeln. Außerdem kannte er sie. Es war normal, dass sie so leicht überkochte. Grübelnd blieb der Schwarzhaarige im Hausgang zurück und schien noch immer nicht so ganz zu verstehen was er nun falschgemacht hatte: „Was sind denn Krustentiere?“   Kapitel 7 - Holographic Third Eye --------------------------------- Freitag, 10. April 2015   Wütend kickte Rin ein kleines Steinchen vor sich her, als sie auf dem Weg zur Schule war: „Blöder Ryuichi. Was versucht der auf einmal den Vater zu spielen, wo er doch sonst immer in seinem Labor verschollen ist? Interessiere ich ihn so wenig, dass er sich nicht mal solche einfachen Dinge merken kann? Soll er doch wieder verschwinden. Ich brauch keinen Vater.“ Mit voller Wucht trat sie dieses Mal gegen den kleinen Stein, welcher in einer Hecke verschwand. Verärgert darüber nichts mehr zum Kicken zu haben, schlenderte sie weiter um die nächste Ecke. Dort kam sie wie immer an dem kleinen Spielplatz vorbei, welcher ganz in der Nähe ihres zu Hauses war. Normalerweise war er um diese Zeit menschenleer, doch von Weitem konnte das Mädchen ein Kind auf der Schaukel sitzen sehen. Allerdings schaukelte es nicht, sondern machte eigenartige Handbewegungen und schaute konzentriert vor sich hin. Bei genauerem Hinsehen erblickte sie den kleinen Jungen, welchem sie schonmal begegnet war. Neugierig stiefelte sie zu ihm herüber und blieb unmittelbar vor dem Schwarz-Blauhaarigen stehen: „Was machst du da, Kleiner?“ Er wirkte so, als tippe er auf eine unsichtbare Tastatur. Die Blauhaarige war fasziniert darüber, wie konzentriert der kleine Mann zu sein schien und wie geschickt und schnell er seine Finger bewegte. Leicht erschrocken schaute das Kind auf: „Huh? Rin? Was machst du denn hier? Und ich habe übrigens auch einen Namen. Skye!“ „Und was spielst du da Skye-chan?“, beugte sich Rin leicht vornüber. „Skye! Nix Chan!“, wanderte ein böser Blick zur Blauhaarigen, „Ich spiele nicht.“ Verwundert stemmte das Mädchen die Hände in die Hüfte und musterte das Kind. Es spielte also so eine Art IT-Mensch nach. Ob er vielleicht einen Science-Fiction Film gesehen hatte und ihn nun nachahmte? Erneut schaute er auf, da ihn der Blick der Blauhaarigen scheinbar störte: „Würdest du bitte aufhören mich so anzustarren?“ „Ich finde dich nur komisch“, legte Rin den Kopf schief, „Du wirkst, als wärst du halb erwachsen, spielst aber wie ein Kleinkind, dass einen coolen SciFi Film gesehen hat.“ Der Junge stoppte und sah an sich herunter, dann zu seiner Gesprächspartnerin: „Vielleicht sehe ich aus wie 10 Jahre oder so, aber das solltest du außer Acht lassen. Hier habe ich diese Gestalt, das kann ich nicht ändern. Ich bin der Portalwächter, das ist das Einzige, was von Belangen ist.“ „Hier?“, weiteten sich die blauen Augen des Mädchens, „Kommst du von einem anderen Planeten? Wie alt bist du wirklich? Bist du nur hier, um über das Portal zu wachen? Ist deine Haut dann blau oder grün oder so? ...“ „Herrgott, sei leise“, unterbrach er die Neugierige, „Ich bin einfach nur ein kurz geratener Mensch, okay?“ Man sah der Blauhaarigen an, dass sie ihm nur zur Hälfte glauben wollte, jedoch brachte der Junge sie schneller wieder auf andere Gedanken, als dass sie irgendetwas sagen konnte: „Ach stimmt ja, ich vergesse immer wieder, dass das hier ja unbekannt ist. Ich muss wirklich aussehen wie ein Volltrottel mit diesen Handbewegungen, oder?“ Leicht verwirrt über die Einsicht des Kleinen nickte Rin nur stumm und der Schwarz-Blauhaarige fuhr fort: „Ich tippe nicht wild und sinnlos in der Gegend herum, wie du vielleicht denkst. Vor mir sehe ich eine holografische Tastatur und diverse Bilder und Texte.“ Die Augen der Blauhaarigen weiteten sich erneut vor Erstaunen, weil sie nicht wusste, ob sie ihm diesen High Tech Kram glauben sollte. Daraufhin drehte der kleine Mann seinen Kopf etwas zur Seite und strich die Haare über seinem rechten Ohr weg. Zum Vorschein kam ein kleines weißes Ding, welches einem Ohrstöpsel ähnelte. Es war an der Ohrmuschel festgehakt, konnte aber wie es schien ziemlich einfach abgenommen werden Außerdem verlief ein kurzes schmales Stück in Richtung Gesicht. Es erinnerte ein wenig an ein zu kurz geratenes Headset. „Siehst du das da?“, tippte er symbolisierend auf das weiße Etwas, „Das nennt sich Holographic Third Eye. Kurz HTE. Es projiziert sozusagen ein interaktives Hologramm vor meinen Augen. Um es uneingeschränkt nutzen zu können, kann man es drahtlos mit Smartphones verbinden und dessen Funktionen und noch einiges mehr sozusagen holografisch verwenden.“ „Krass, dein eitsch thii ii ist ja so ähnlich wie bei SAO!“, funkelten die Augen der Blauhaarigen. Skye hingegen schien sichtlich verwirrt: „Was?“ „Was?“, kam es irritiert zurück. „Wie auch immer, es ist auf jeden Fall ziemlich nützlich. Ich bin grade dabei alles einzurichten, damit man sie benutzen kann“, tippte er auf der unsichtbaren Tastatur weiter. Die Blauhaarige sah ihm gespannt zu, schien aber nur die Hälfte zu verstehen: „Ich frage mich trotzdem wo du und dieses Ding herkommen.“ Laut schnaubte der Junge und stoppte seine Arbeit: „Wenn ich es dir sage, gibst du dann Ruhe?“ Schnell nickte das Mädchen und sah ihn erwartungsvoll an. „Also gut, aber es ist wichtig, dass du mir absolute Geheimhaltung schwörst“, sah er sie ernst an, „Sonst ist meine Mission massiv gefährdet.“ „Ich schwöre“, hielt sie sich die linke Hand aufs Herz und mit der Rechten streckte sie den kleinen Finger aus. Fragend sah sie der Kleine an und bewegte sich keinen Zentimeter. Daraufhin schnappte sich Rin ungeduldig den kleinen Finger des Kindes, hakte ihn ein und bewegte die Hand dreimal auf und ab. „Was machst du da?“, vernahm man deutlich die Fragezeichen in seinem Gesicht. Unschuldig sah das Mädchen zu ihm: „Na, ein Kleiner-Finger-Schwur. Wenn man sein Versprechen bricht, dann ist der Finger ab.“ „Klingt brutal für ein Versprechen“, blickte der Schwarz-Blauhaarige schief drein. „Jetzt erzähl schon“, stammelte Rin. „Ist ja gut“, kam es nur von ihrem Gegenüber, „Ich bin durch das Portal in deine Welt gelangt. Ursprünglich komme ich aus einer anderen Welt, weit weg. Das kannst du dir nicht mal in deinen kühnsten Träumen vorstellen.“ „Krass“, zeigte das Mädchen die totale Begeisterung, „Ich habe einen Außerirdischen gefunden. Er spricht unsere Sprache und ist nicht grün oder blau! Wahnsinn!“ Hyperaktiv hüpfte die Blauhaarige herum und freute sich wie blöde, während der kleine Mann sie nur ziemlich genervt musterte und leise vor sich hinmurmelte: „Man ist die dumm und naiv.“ Noch wenige Minuten tippte er auf seinem Hologramm herum, dann nahm er das weiße Teil von seinem Ohr herunter: „Rin!“ Sofort stoppte Angesprochene mit ihrem dämlichen Freudentanz und sah zu Skye herüber. „Hier!“, hielt er das HTE in die Richtung der Blauhaarigen, „Das ist für dich. Es wird dir auf der anderen Seite des Portals helfen. Hier ist es übrigens auch ziemlich nützlich.“ „Ich werde aber nicht mehr durch dein Portal gehen“, schritt sie auf ihn zu, „Das ist viel zu gruselig.“ „Es wird Menschenopfer geben. Du MUSST auf die andere Seite gehen, um sie zu retten“, sah der kleine Mann Rin mit ernstem Blick an, „Dazu bist nur du in der Lage. Nur du kannst die Schlüssel finden und die Tore öffnen.“ „Sorry, dass ich deinen dramatischen Auftritt unterbrechen muss, aber dir ist klar, dass Yoshida-kun beim letzten Mal das Portal aufgeschlossen hat, oder?“, stemmte sie die Hände in die Hüfte, „Das heißt also, dass mich keiner braucht und dass das auch jemand anderes machen kann.“ Genervt nahm sie ihren kompletten Schlüsselbund ab und drückte ihn dem Jungen in die Hand. Leicht traurig sah der kleine Kerl sie daraufhin an: „Ich weiß, dass ich dich dazu nicht zwingen kann und dass du im Moment sicher total unter Stress stehst durch all die merkwürdigen und angsterzeugenden Geschehnisse.“ Etwas überrascht sah das Mädchen zu Skye herunter und schien auf ein „aber“ zu warten. Jedoch blieb es aus und Schweigen legte sich über die beiden. In diesem Moment verselbstständigte sich der Edelstein erneut und unter einem blauen Leuchten hakte sich der gesamte Schlüsselbund wieder an Rins Gürtel ein. „Das ist ein Witz, oder? Ist das ein Bumerang?“, ließ sie genervt die Schultern hängen. „Dieser Saphir wurde aus deinem Herzen geboren. Er ist ein Teil von dir und das wird er immer bleiben. Verstehst du? Er verleiht dir die Macht neue Kräfte zu entfesseln und Menschenopfer zu verhindern. Es wird noch eine Hand voll Menschen geben, die dich unterstützen können, aber du bist dafür essenziell“, erklärte der Kleine. „Mir sind die anderen aber egal. Außerdem habe ich nie um Macht gebeten“, knurrte die Blauhaarige. Ernst sah er zu ihr hinauf: „Was, wenn deine Freunde zum Opfer werden? Sie schlafen ein, ihr Geist versinkt in der Dunkelheit und wenige Tage später sterben sie daran.“ „S-Sie schlafen ein?“, begann das Mädchen plötzlich zu zittern, „Ami… Sie wird sterben?!“ Betrübt blickte Skye zu ihr hinauf: „Ja… Wenn du nichts unternimmst. Denke darüber nach was du tun willst. Aber entscheide dich schnell.“ Mit diesen Worten ging er an der zur Salzsäule erstarrten Rin vorbei und verließ den Spielplatz. Noch eine Weile stand die Blauhaarige schockiert da und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Schließlich rief sie wie aus dem Nichts laut auf: „Warte! Es gibt also noch andere, die mir helfen?! Etwa diejenigen, die auch einen Edelstein besitzen?! Also Kuro und Akira?!“ Eine Antwort auf ihre Frage blieb jedoch aus, denn Skye schien schon über alle Berge verschwunden zu sein. Nachdenklich und mit besorgten Augen musterte sie den kleinen weißen Knopf in ihrer Hand, welcher ihr der Kleine kurz zuvor gab. „Er sagte, das Ding sei nützlich“, steckte sie den Stöpsel in ihr rechtes Ohr. Mit einem Mal erschien plötzlich ein holographisches Bild vor ihren Augen und Rin musste unweigerlich zusammenzucken: „Krass! Das sieht aus wie ein Laptop oder so. Nur ohne Laptop. Wie geht das?“ Aufmerksam las sie das Fenster, welches sich vor ihren Augen öffnete. Es erklärte, dass das Gerät nur für die Person gemacht ist, die sich mittels Augen- und Stimmerkennung dafür registrierte. Dementsprechend verlangte es die Bestätigung des Scannens der Augen und wollte, dass die Blauhaarige laut ihren Namen nannte. Kaum hatte sie Befohlenes getan öffnete sich eine Art Desktop. Es sah wohl eher aus wie der Homebildschirm eines Smartphones mit diversen vorinstallierten Apps. Allerdings wusste Rin damit wenig anzufangen, da sie kein solches Gerät besaß oder sich damit auskannte. Plötzlich ploppte ein kleineres Fenster vor dem Größeren auf, welches fragte, ob das Mädchen ihr Smartphone jetzt verbinden wolle. „Echt jetzt?“, stemmte sie genervt die Hände in die Hüfte, „Wieso wollen heutzutage alle Dinge mit dem Smartphone gekoppelt werden?!“ Schnaubend drückte sie mit ihrem linken Zeigefinger auf „Nein“ und das Fenster schloss sich wieder. Daraufhin konnte sie den Homebildschirm genauer begutachten. Einige wenige Apps waren dort vorinstalliert. Rin erblickte einen leeren Ordner für Fotos, eine Kamerafunktion, einen Webbrowser, welcher nicht funktionierte zwecks nicht vorhandener Internetverbindung, einen Kalender und zwei weitere Apps, mit dessen Namen sie überhaupt nichts anfangen konnte. Die eine war grau unterlegt, unbenannt und ließ sich nicht ansatzweise öffnen die andere war bläulich und nannte sich „SL“. Neugierig versuchte sie die blaue App zu öffnen, was ihr auch gelang. Ein weiteres großes Fenster öffnete sich über dem ersten und das Mädchen konnte viele kleine rechteckige Buttons erkennen. Sie sahen fast alle gleich aus. Es erinnerte sie ein wenig an Kartenrücken. Etwas weiter obendrüber stand breit und fett die Worte „Social Links“ und Rins Augen weiteten sich: „Das sind doch die Dinger, die Jayjay erwähnte, oder? Dachte dazu bräuchte ich ein Smartphone!“ Neugierig musterte sie die bläulich gehaltenen Rechtecke. Die meisten davon waren mit demselben Motiv versehen, welches eine Art Rahmen hatte. Innerhalb des Rahmens befanden sich Verzierungen und ein größerer Kreis. Darin war eine halbierte Maske zu sehen, welche halb blau und halb schwarz war. Und dann gab es da auch noch sechs willkürliche Karten, welche andere Motive aufwiesen und scheinbar mit römischen Zahlen durchnummeriert waren. Neugierig tippte sie die Nummer Eins an und ein kleineres Fenster ploppte vor ihr auf. Als Überschrift las sie „I. Magician“ und unmittelbar daneben erkannte sie ein Foto von Akira. Erstaunt erblickte sie unter dem Bild einen langen Balken, welcher in zehn Teile unterteilt zu sein schien. Einer davon war blau, die anderen grau unterlegt. „Hier kann ich also sehen mit wem ich so einen Link geschlossen habe? Und wenn ich Jayjay richtig verstanden habe, dann füllt sich der Balken, wenn ich mit Yoshida-kun Zeit verbringe automatisch?“, grübelte das Mädchen, „Und wozu soll das gut sein?“ Neugierig öffnete sie auch noch die anderen Social Links, um zu sehen mit wem sie alles Verbindungen eingegangen war und vor allem, um zu sehen wie weit der Balken sich gefüllt hatte. Schnell stellte sie fest, dass sich nur neue Fenster öffneten indem sie die Rechtecke antippte, welche durchnummeriert waren. Es schienen also wirklich Vorderseiten zu sein, die schon aufgedeckt waren. Der Reihe nach ging sie schließlich die paar Felder durch: „Die Nummer Null nennt sich also Fool? Das heißt doch sowas wie Idiot, oder?“ Kurz darauf sah sie daneben ein Bild von sich selbst und klatschte sich die Hand an die Stirn: „War ja klar, dass ich der Idiot bin. Auch wenn ich nicht kapiere wieso ich mit mir selbst eine Verbindung eingegangen bin. Das ist doch total wirr. Aber ich habe immerhin einen Balken. Genau wie Yoshida-kun.“ Nachdem sie die verbliebenen Buttons antippte, erkannte sie Jayjay als „V. Hierophant“, Skye als „X. Fortune“, Kuro als „XI. Strenght“ und Saito als „XIX. Sun“. Alle hatten sie bisher einen Balken. „Das ist wirklich merkwürdig“, legte sich das Mädchen die rechte Hand ans Kinn, „Kann es sein, dass das Tarotkarten sind? Aber warum? Bedeutet das irgendwas? Das ist so verwirrend!“ Man sah deutlich, wie dem Mädchen der Kopf qualmte und sie begann herum zu zappeln. Genervt schloss sie die App der Social Links und sah sich nochmal auf dem ersten Fenster, dem Homebildschirm, um. Am oberen Rand konnte sie in der Mitte in kleinen Zahlen die digitale Uhrzeit vernehmen, ganz links waren vier grau unterlegte senkrechte abgestufte Balken und direkt daneben stand „Kein Netz“. „Vielleicht verbindet sich das ja automatisch mit dem Internet, sobald es mit einem Smartphone verbunden ist, welches diese Funktion besitzt“, grübelte sie weiter über das merkwürdige Ding nach. Ihr Blick schweifte hin und her und plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Schreck: „Ach du kacke! Ich hab die erste Schulstunde ja schon verpasst! Wie lange stand ich hier rum?!“ Hastig rupfte sie sich den Stöpsel aus dem Ohr, steckte ihn in ihre Rocktasche und nahm die Beine in die Hand.   Es klingelte gerade zum Ende der zweiten Schulstunde, als Rin endlich im Schulgebäude ankam und ihre Hausschuhe anzog. Eilig hastete sie durch die Gänge und zog nach Luft ringend die Schiebetür ihres Klassenraumes auf. Ihre Mitschüler unterhielten sich bereits heiter, jedoch war der Lehrer noch da, welcher das Mädchen nun mit bösem Blick musterte: „Ach, begeben wir uns heute doch noch in die Schule?“ „Ähm“, kratzte sich Angesprochene am Hinterkopf, „Ich… wurde aufgehalten. Sorry.“ Nachdem sie das unangenehme Gespräch mit ihrem Lehrer beendet hatte, begab sie sich auf ihren Platz, wo sie direkt von Akira angesprochen wurde: „Wovon wurdest du denn aufgehalten?“ Sofort erzählte sie dem Rotschopf davon, dass sie Skye begegnet war und dass er ihr dieses holographische Gerät gegeben hatte. Dann regte sie sich darüber auf, dass heutzutage alles nur noch mit Smartphones gesteuert werden konnte. Den Teil mit der App über die Social Links ließ sie allerdings erstmal bewusst aus. Stattdessen fragte sie: „Du, Yoshida-kun, bist du schon mal in einem blauen Raum ohne Ausgang gewesen? Oder hast du auf deinem Handy eine komische, unbekannte App?“ Verwunderte und gleichzeitig verwirrte Blicke trafen die Blauhaarige: „Ähm, nein? Wieso fragst du sowas?“ „Ach nur so“, winkte sie ab, „Ich hatte letztens einen komischen Alptraum, deshalb.“ Mit dem Beginn der dritten Schulstunde wurde das Gespräch der beiden unterbrochen. Zwar war es Rin ganz recht, dass sie nicht weiter auf die Social Links eingehen musste, denn wie es schien war sie die einzige, die im Moment etwas damit anfangen konnte. Aber sie wollte noch unbedingt mit dem Rothaarigen über Amika sprechen und ihn um Rat fragen, denn das Mädchen befürchtete, dass ihre beste Freundin wirklich irgendwo in der Welt hinter dem Portal feststeckte.   Desinteressiert lauschte Rin schließlich mit halbem Ohr dem Unterricht, während sie in ihrem Schulheft herumkritzelte. Der langweilige Theoriekram machte sie richtig müde und sie hatte Mühe ihre Augen offenzuhalten. Akira hingegen hatte es mit dem Kampf aufgegeben und döste mit dem Kopf auf dem Tisch vor sich hin. Ihrem Lehrer schien es relativ egal zu sein, dass er schlief und machte einfach mit dem Unterricht weiter. Schlimmer wie Kaugummi zog sich die Zeit bis zur Mittagspause für die Blauhaarige. Umso erleichterter war sie, als es endlich klingelte. „Yoshida-kun. Können wir nochmal kurz reden?“, hakte Rin direkt nach, um ihn um seine Hilfe zu bitten. „Können wir das auf später verschieben?“, wendete er sich dem Mädchen zu, „Ich bin mit einem Kumpel verabredet.“ „Okay“, war die Blauhaarige ein wenig enttäuscht, konnte es aber nicht ändern. Mit einem „Sorry“ verließ der junge Mann schließlich den Raum und das Mädchen blieb alleine zurück. Gerade, als sie ihr Bento herauskramen wollte, um zu essen, fiel ihr auf, dass sie gar keines besaß. Das erinnerte sie wieder an ihren blöden Vater und ihre Enttäuschung wechselte zu Wut. Daraufhin schnappte sie sich ihren Geldbeutel und machte sich auf den Weg in die Mensa. Die Pause ging für das Mädchen dadurch recht schnell vorüber und ehe sie sich versah, begann der Unterricht schon wieder. Dieses Mal freute sie sich allerdings mehr darauf, denn sie hatte eine Doppelstunde Sport. Was gab es schöneres als sich zu bewegen und den ganzen theoretischen Kram und das Lernen bei Seite zu schieben? Nachdem alle umgezogen waren, versammelten sie sich auf dem Sportplatz, wo die Lehrerin erklärte was für den heutigen Tag anstand: „Okay, sind alle da? Dann beginnen wir zum Aufwärmen mit 10 Runden um den Sportplatz. Danach machen wir ein bisschen Zirkeltraining.“ Genervtes Stöhnen legte sich über die Schülergruppe, da keiner so wirklich Lust hatte sich zu bewegen. Einzig Rin schien voller Tatendrang. „Bist du irgendwie krank, Aikawa-chan?“, kam es von Akira, welcher soeben neben das Mädchen trat. „Warum?“, traf den Rothaarigen ein fragender Blick. „Du machst das hier doch nicht etwa gerne, oder?“, erklärte er sich. „Ich kann mir zwar schönere sportliche Aktivitäten als Zirkeltraining vorstellen, aber verkehrt ist daran doch nichts“, grinste sie energiegeladen, „Und jetzt komm, wir sollen laufen.“ Lustlos begann Akira schließlich neben dem Mädchen her zu joggen: „Mach mal langsamer. Ich hab keine Lust so schnell zu laufen.“ „Du Jammerlappen“, drosselte sie dennoch ihre Geschwindigkeit. „Sag mal, was wolltest du eigentlich vorhin bereden?“, hakte der junge Mann nach. „Ich weiß vermutlich wie wir Ami wieder aus dem Koma holen können. Aber dazu brauche ich deine Hilfe und die von dem Blödian leider auch“, fasste sie sich kurz. Der Rotschopf legte den Kopf schief: „Meinst du Kuro?“ „Ja, Skye hatte heute Morgen irgendwas davon erzählt, dass in der Welt hinter dem Portal Opfer sind, welche auf unserer Seite einfach einschlafen und nach ein paar Tagen sterben, sollten sie nicht gerettet werden“, erklärte sie, „Und ich wette, dass Ami eines dieser Opfer ist.“ „Hm, der Kleine weiß ganz schön viel“, bemerkte Akira, „Aber auf mich kannst du zählen, ich werde dich begleiten und dir helfen deine beste Freundin zu retten, sollte sie tatsächlich zum Opfer geworden sein.“ „Wirklich? Du bist der Beste. Dann prügeln wir uns gemeinsam durch die Feuerschatten und retten sie“, war die Blauhaarige wild entschlossen. Ihr Mitschüler lachte: „Ja genau. Und Kuro werde ich schon dazu überreden, dass er mitkommt. Je mehr wir sind, umso besser ist es.“ Erleichtert, nicht alleine gehen zu müssen nickte das Mädchen. „Wir sollten später unsere Nummern austauschen, dann kann ich auf LINE eine Chatgruppe erstellen. Das ist einfacher und wir können direkt eine Zeit ausmachen, in der jeder kann“, schlug der Rothaarige vor. Rin grinste ihn jedoch schief an: „Das könnte schwierig werden. Ich habe nur ein altes Klapphandy.“ „Wie geht das denn?“, fiel der junge Mann etwas von der Rolle, „Dann schreib ich dir eben eine SMS oder rufe dich an.“ Und wieder einmal machte sich bemerkt, dass es ziemlich hinderlich war als Einzige kein Smartphone zu besitzen. Vor allem war es auch sehr unnatürlich in diesem Jahrzehnt noch mit einem Klapphandy herumzulaufen, aber was sollte sie machen? Rin konnte sich nur einreden, dass sie auch gut ohne zurechtkam.   Als die Blauhaarige am Abend mit nassen Haaren aus dem Bad kam, bemerkte sie, dass ihr Handy aufblinkte. „Ob Yoshida-kun mir eine SMS geschickt hat?“, versuchte sie mit einem Handtuch ihre nassen Haare etwas zu trocknen. Gleichzeitig klappte sie das blinkende Gerät auf und setzte sich an die Bettkante: „Oh, ein verpasster Anruf. Aber nicht von ihm.“ Sie zog das Handtuch von ihrem Kopf herunter und hängte es sich um den Hals, als sie auf ihrem Mobiltelefon herumtippte und es sich Sekunden später an ihr Ohr hielt. „Hallo?“, ertönte eine männliche Stimme am anderen Ende des Telefons. „Hey“, entgegnete das Mädchen, „Hattest du mich angerufen, Shû?“ „Ach, Rinacchi du bist es. Ja ich hab dich angerufen du treulose Tomate“, hörte man ein kurzes Auflachen durchs Telefon. „Selber“, war sie gespielt eingeschnappt. „Du hättest dich ja mal melden können. Ich habe schon ewig nichts mehr von dir gehört. Wie ist es dir in Amerika ergangen?“, fragte er. „Woher weißt du überhaupt, dass ich wieder da bin? Das kam ja eher kurzfristig zustande“, hakte sie nach. Angesprochener erklärte sich daraufhin: „Ach, ich hatte ein paar Worte mit deinem Bruder geschrieben und mich erkundigt wie es dir da drüben so ergeht. Da hat er mir gesagt, dass du wiederkommst.“ Etwas verwirrt darüber, dass er sie nicht direkt gefragt hatte antwortete sie: „Du hättest mich doch auch selbst erreichen können. Übers Internet oder so. Aber dann weißt du ja sicher, warum ich wieder da bin.“ „Dich da drüben zu erreichen war hohe Kunst. Aber ja, ich weiß, dass du dich so dumm angestellt hast, dass du dein Stipendium verloren hast“, erschallte ein Lachen am anderen Ende des Telefons. „Wenigstens bin ich noch nie sitzengeblieben, Mister“, kontere die Blauhaarige sofort, „Und falls es dich interessiert: Ich habe mein Stipendium für die Eliteakademie hier in Aehara zurück.“ „Oho“, schien Shû überrascht. Noch eine ganze Weile unterhielten sie sich und erzählten was sie so verpasst hatten. Rin berichtete ihm auch davon, dass Amika grundlos ins Koma gefallen war. Allerdings ließ sie die Erwähnung dieser anderen Welt und der merkwürdigen Fähigkeiten, welche sie erlangte, bewusst aus. Das erschien ihr zu Abstrakt, als dass er es ihr geglaubt hätte. Nachdem die beiden aufgelegt hatten, bemerkte die Blauhaarige, das sie nun wirklich eine SMS von Akira bekommen hatte und öffnete diese: „Hey Aikawa-chan. Ich konnte ihn überreden. Wir treffen uns morgen Abend um 19 Uhr vor der Suzuki Akademie.“ Mit strahlendem Gesicht antwortete sie dem Rotschopf schnell und bedankte sich bei ihm. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr, verriet dem Mädchen, dass Saito nun auch endlich zu Hause sein müsste und sie verließ ihr Zimmer. Kurz klopfte sie an der Zimmertür ihres Bruders und trat gleichzeitig ein, ohne ein „herein“ abzuwarten. Konzentriert saß er an seinem Schreibtisch und schien irgendwas zu lernen. Er hatte nicht mal wirklich bemerkt, dass seine kleine Schwester den Raum betreten hatte. „Saito-nii, ich muss dir was sagen“, sprach sie vorsichtig. Kurz schreckte Angesprochener über die plötzliche Anwesenheit Rins auf: „Was hast du wieder angestellt?“ „Wieso muss ich immer gleich irgendwas angestellt haben?“, meckerte das Mädchen. „Weil du Rin bist“, begründete er. Verärgert schnaubte sie: „Toller Grund.“ „Ich habe mein Stipendium zurück und gehe ab nächster Woche auf die Suzuki Akadmie“, machte sie es kurz. Erstaunt darüber ließ der junge Mann von seinen Lernaufgaben ab und drehte sich nun vollständig zu der Blauhaarigen: „Das ist ja wunderbar, ich freue mich für dich. Vor allem entlastet das ein wenig die Haushaltskasse. Aber wie hast du das denn angestellt?“ „Na ja… da ist aber noch was“, kratzte sie sich verlegen am Hinterkopf, „Ich ziehe ins Wohnheim ab diesem Wochenende.“ „Das ist nicht dein Ernst, oder? Wie sollen wir dieses teure Wohnheim denn bitte bezahlen?“, fiel dem Blonden die Kinnlade herunter. „Jetzt jammere nicht, wir müssen gar nichts zahlen“, formte sie mit der linken Hand ein Peacezeichen und grinste frech. „Dann hast du ja sogar ein Upgrade auf dein altes Stipendium-Angebot bekommen“, überlegte Saito, „Aber findest du es wirklich sinnvoll ins Wohnheim zu ziehen? Ich halte das für Blödsinn.“ „Das ist kein Blödsinn. Überleg doch mal was wir dadurch sparen. Das Essen bekomme ich bezahlt im Wohnheim und ich muss mir auch keine Bahnkarten mehr kaufen, weil ich direkt neben der Schule wohne. Außerdem kann ich noch ein bisschen Geld nebenbei verdienen, weil ich als Kompromiss einen Assistentenjob angenommen habe. Und du musst auch nicht mehr so hart arbeiten und kannst dir etwas Freizeit gönnen“, erklärte die Jüngere lang und breit. „Warte, du hast einen Job angenommen? Du weißt doch ganz genau was ich davon halte. Was soll das denn bitte für eine Art von Arbeit sein?“, war der Blonde aufgebracht, „Außerdem finde ich es nicht sinnvoll, wenn du irgendwo ganz alleine wohnst. Hier ist dein zu Hause und nicht in irgendeinem Wohnheim.“ Rin hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Bruder so eine Diskussion beginnen würde. Eigentlich war sie der festen Überzeugung, dass er sich freute, da die Familienkasse somit wirklich um einiges erleichtert werden würde. Klar, er hatte ihr einen Nebenjob verboten, damit sie sich auf die Schule konzentrieren konnte. Jedoch steckte Saito in derselben Situation, da er ebenfalls für sein Studium lernen musste. „Ach das ist nur eine Art Laufburschenarbeit von einem anderen Schüler. Die sind doch alle stinkereich dort und können sich alles erkaufen“, erklärte die Blauhaarige ziemlich gelassen. Dass sie darauf allerdings so gar keine Lust hatte oder, dass besagter Schüler ein richtiger Idiot war, erwähnte sie besser nicht. „Das klingt eher so, als wärst du als Diener eingestellt. Ich glaub die Schüler werden dich auf dieser Schule noch zu mobben anfangen, weil du aus ärmlichen Verhältnissen kommst“, blickte der junge Mann besorgt drein. Rin stemmte daraufhin selbstbewusst ihre Hände in die Hüfte: „Als ob ich mich jemals mobben lassen würde. Du weißt schon wen du hier vor dir hast, oder?“ Gespielt freudig grinste sie ihren Gegenüber an, in der Hoffnung, er würde die Lüge nicht erahnen. Natürlich wurde sie schon häufig gemobbt und hat sich daraufhin still und heimlich in ihrem Zimmer zurückgezogen und nichts an sich herangelassen. Damals war ihr Sandkastenfreund Shû noch da. Er machte sich immer für sie stark. Aber seit er weggezogen war, hatte Kuro sie damals in der Mittelschule erstrecht auf dem Kicker und auch Akira zog bei den Schikanen mit. Mit einem tiefen Seufzer entgegnete Saito seiner Schwester: „Ich kann dich sowieso nicht aufhalten, oder?“ „Du hast es erfasst“, bekam er prompt als Antwort. „Aber eins musst du mir versprechen. Wenn du irgendwelche Probleme oder Sorgen hast, dann komm zu mir, ja?“, forderte der Blonde. „Worauf du dich verlassen kannst“, grinste das Mädchen ihren Bruder an, „Also mach dir keine Sorgen. Das wird schon alles werden.“ „Immer wenn du das sagst, mache ich mir nur noch mehr Sorgen“, grinste er schief.       Kapitel 8 - Schwere Bürde ------------------------- Samstag, 11. April 2015   Freudig packte Rin soeben das letzte Kleidungsstück in ihren Koffer, ehe sie ihn versuchte zu verschließen. Da sie ihn ein wenig überladen hatte, gestaltete es sich allerdings als eher schwierig, weshalb sie sich kurzerhand einfach auf ihn setzte. Danach ließ er sich mit Leichtigkeit verschießen. Im Anschluss stand sie vor dem nächsten Problem, der Treppe. Der Koffer war leider so schwer, dass sie ihn nicht anheben konnte und Saito war auch nicht da, um ihr zu helfen. Ryuichi würde sie sicher nicht um Hilfe beten, immerhin ignorierte sie diesen momentan gekonnt. „Ich glaube ich habe eine Idee“, legte sie ihren Koffer flach auf den Boden. Schwermütig schob sie das Teil zur ersten Treppenstufe. Kaum ragte der Koffer ein Stück über ihr, bahnte er sich von selbst seinen Weg nach unten. Mit Vollgas rutschte er binnen Sekunden geräuschvoll herunter und knallte mit voller Wucht und einem lauten Knall gegen die Wand, welche sich direkt gegenüber befand. Durch den Aufprall staubte es leicht und von oben sah das Mädchen wie die Wand ein wenig bröckelte. Schnell flitzte sie dem Gepäckstück hinterher und stellte es wieder auf die Rollen, als im gleichen Moment ihr Vater aus der Wohnzimmerbibliothek kam und leicht irritiert seine Tochter musterte. „Was ist denn passiert? Bist du mit dem Koffer die Treppe runtergefallen? Hast du dich verletzt?“, stellte er gefühlte tausend Fragen. Gekonnt ignorierte sie den Mann und begutachtete nun die unübersehbare Delle in der Wand. „Saito bringt mich um, wenn er das sieht“, dachte sie sich nur und verschwand in der Küche, aus welcher sie kurz darauf mit einem Kehrblech wiederkam. Erneut suchte der Schwarzhaarige das Gespräch mit seiner Tochter: „Rin, was hast du denn mit dem Koffer vor? Verreist du? Am Schuljahresanfang?“ Auch dieses Mal tat sie, als hörte sie den älteren Mann nicht, fegte die feinen Brocken vom Boden auf und entsorgte alles in der Küche. Zurück im Hausflur zog sie sich Jacke und Schuhe über und wollte soeben mit dem störrischen Koffer aus der Haustür, als Ryuichi sich vor sie stellte und ihr den Weg versperrte: „Ich lasse dich hier nicht raus, bis du mir eine Antwort gibst, junges Fräulein.“ „Was willst du eigentlich von mir, Ryuichi? Es kann dir doch egal sein wo ich hingehe“, motzte sie ihn an. „Kann es nicht“, gab er besorgt kontra, „Du bist meine Tochter und es ist mein Recht zu erfahren wo du hingehst. Du bist minderjährig.“ „Dann sag doch mal, wann du mir jemals ein Vater warst. Du bist immer nur da unten in deinem blöden Keller und scherst dich einen Dreck um Saito oder mich!“, wurde die Blauhaarige nun laut, „Und wenn du es unbedingt wissen willst: Ich ziehe aus! Und du hast überhaupt gar kein Recht mich daran zu hindern!“ Wutentbrannt stampfte sie wie ein kleines Kind einmal mit dem Fuß auf. Dem älteren Mann sah man deutlich an, dass er nicht wusste was er seiner Tochter entgegensetzen sollte, da sie leider im Recht war. Er hatte kaum mitbekommen wie seine eigenen Kinder herangewachsen waren und wusste im Grunde nichts über sie. Eigentlich hätte er für sie da sein müssen, gerade weil sie nur noch ihn hatten. „Jetzt lass mich endlich durch!“, hatte das Mädchen schon Tränen vor Wut in den Augen. Ohne, dass die beiden sich nochmal ansahen, bewegte sich der Schwarzhaarige von der Tür weg und verschwand wieder im Wohnzimmer. Endlich war für Rin der Weg frei und schwermütig verschwand sie mit dem störrischen Koffer und knallender Tür aus dem Haus. Zurück blieb ein bedrückter Ryuichi, welcher mit hängendem Kopf auf dem kleinen Sofa im Wohnzimmer saß und leise murmelte: „Ich habe versagt, Rikki. Tut mir leid.“   Endlich war Rin am Bahnhof angekommen, da fuhr auch schon ihre Bahn ein. Es fiel ihr schwer mit dem Koffer zwischen den Menschenmassen den Weg in das Gefährt zu finden. Abgesehen davon war sie sich noch nicht so sicher wie sie das schwere Ding über die Schwelle bekommen sollte. Gerade, als ihr Gepäckstück drohte festzustecken, griff eine Hand danach und hievte ihn in den Wagon. „D-danke“, war die Blauhaarige irritiert über die plötzliche Hilfe. „Kein Problem“, wurde sie von Akira angegrinst. Erstaunt starrte sie ihn an: „Du? Hier?“ „Ja, ich komme grade von der Arbeit. Ich durfte früher gehen, weil heute wenig zu tun war“, erklärte er knapp, „Und was hast du mit dem dicken Koffer vor?“ „Na, ich bin auf dem Weg ins Wohnheim. Meine Sachen müssen doch irgendwie dahinkommen“, antwortete sie ihm. „Macht Sinn. Aber hast du keine Hilfe? Der Koffer ist wahnsinnig schwer“, staunte der Rothaarige. „Habe ich nicht“, verneinte sie die Frage, „Aber das ist halb so wild, ich bekomme das alleine hin.“ Kurz überlegte der Schüler: „Dann helfe ich dir mit deinem Gepäck bis ins Wohnheim. Das ist ja noch ein Stückchen.“ „Quatsch, das brauchst du nicht. Den doofen Koffer schaffe ich schon alleine“, winkte das Mädchen ab. Sie wollte ihm keine Umstände machen nur wegen dieser Lappalie. Eigentlich war sie ja selbst dran schuld, dass sie den Koffer so überladen hatte. „Dir muss man die Hilfe echt aufzwingen, oder?“, lächelte Akira lieb, „Ich komme mit, keine Widerrede.“ Kurz stockte das Mädchen, weil sie nicht recht wusste was sie antworten sollte: „Ähm… D-Danke. Auch wenn es trotzdem nicht nötig gewesen wäre.“   „Oh mein Gott“, stockte Rin der Atem, als sie soeben mit Akira das Wohnheim betrat. Ihr Begleiter hingegen schien wenig beeindruckt und musterte eher das Mädchen, welches mit großen Augen über die geräumige Lobby des Wohnheimes staunte. Die Decke war enorm hoch für ihren Geschmack und mitten im Raum hing ein prunkvoller Kronleuchter. Die weißen Wände waren dezent mit goldenen Mustern bemalt und hier und da hingen Bilderrahmen und schicke Lampen, welche ziemlich teuer aussahen. Rechts und links an der Wand entlang standen vereinzelt moderne Beistelltischchen mit dazu passenden bequem wirkenden Sesseln und sogar die ein oder andere Couch, auf welcher auch zwei Personen Platz hatten. Vereinzelt saßen sogar kleine Schülergrüppchen dort und quatschten. In der Mitte der Empfangshalle war von der Eingangstür bis hin zu der breiten Treppe ein blauer breiter Teppich ausgelegt. An der rechten Seite des Eingangsbereiches befand sich eine große Rezeption, an welcher eine ältere Dame saß und irgendwas in einen Computer eintippte. Zwar langsam und halb blind, aber sie strengte sich definitiv an. Sie trug einen schwarzen Blazer und darunter eine weiße Bluse. Ihre Haare waren in einer Spange hochgesteckt und das Braun färbte sich schon langsam in Grau. „Hallo, Miya-oba-chan. Ich bringe dir eine neue Schülerin“, begrüßte der Rothaarige die Oma. Diese schaute schreckhaft von ihrem Tun auf, zog ihre Brille etwas nach unten und erblickte den jungen Mann: „Bist du es, Akira-kun? Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen.“ „Ja, ich bin es“, lächelte er die ältere Dame an. „Wie geht es dir denn mein Junge“, erkundigte sie sich. „Alles im Lot. Sieh mal, ich bringe dir jemand Neues“, deutete er auf die Blauhaarige, welche stumm das Geschehen betrachtete. „Oh wie schön. Wie heißt du denn mein Kind?“, lächelte die Oma sie freundlich an. Nun trat das Mädchen näher an den Tresen heran: „Ich bin Rin Aikawa.“ Auf die Aussage tippte die Dame mit zwei Fingern suchend auf ihrer Tastatur herum. Kurz darauf stoppte sie, ging mit dem Kopf näher an den Bildschirm heran und rückte sich die Brille zurecht. Mit leicht zugekniffenen Augen schien sie etwas zu lesen, dann wendete sie ihren Blick wieder zu ihrer neuen Schülerin: „Ich habe dich gefunden, Liebes. Dann bräuchte ich nur noch einige Informationen und deine Einverständniserklärung unter der Hausordnung.“ Schwermütig beugte sich Miya etwas nach unten, um in einer Schublade unter dem Schreibtisch diverse Papiere herauszukramen. Die beiden wartenden Schüler beobachteten sie dabei neugierig. „Also das hier ist erstmal die Hausordnung. Lies sie dir aufmerksam durch und gib mir dann bitte das letzte Blatt davon zurück, ja?“, legte sie die Papiere auf dem Tresen aus, „Hier haben wir einen Bogen mit allgemeinen Angaben, die wir brauchen. Und das hier lässt du bitte von deinen Eltern ausfüllen und unterschreiben.“ Leicht überfordert von dem ganzen Papierkram begutachtete das Mädchen die Schriftstücke und überlegte kurz: „Muss das von den Eltern ausgefüllt werden, oder kann das auch ein volljähriges anderes Familienmitglied machen?“ Die Braungrauhaarige legte den Kopf schief: „Na ja, dein Erziehungsberechtigter.“ Verstehend nickte sie, während sie alle Papiere an sich brachte. „So, mal sehen“, tippte die Rezeptionistin wieder auf der Tastatur herum, „Oh, dir wurde ja bereits eine Zimmernummer zugewiesen.“ Daraufhin begann sie erneut zu kramen und zog eine Chipkarte hervor, welche sie in ein Gerät steckte. Erneut betätigte sie eine handvoll Tasten auf dem Computer, ehe sie die Karte wieder herauszog und zusammen mit noch mehr Papier auf den Tresen legte. „Das ist deine Chipkarte für das Zimmer. Es ist die Nummer 407 im vierten Stock. Schreib zu deiner eigenen Sicherheit die Nummer auf keinen Fall auf die Karte. Wenn du sie verlierst, wissen die Leute wo du wohnst“, bläute sie der Schülerin ein, „Und das hier bitte ich dich auch durchzulesen. Das sind Informationen über den Ablauf im Wohnheim. Dinge wie die Öffnungszeiten des Speisesaals, die Wäschereinutzzeiten, wann der Wellnessbereich vom wem genutzt werden darf und so weiter.“ Noch mehr Informationen, die sich soeben in Rins Kopf anstauten und ihn zum Qualmen brachten. Die einzige Frage, die sie sich im Moment stellte war, wieso zum Teufel es hier einen Wellnessbereich gab. Aber je genauer sie darüber nachdachte, umso mehr erinnerte sie sich daran, was das hier für ein nobler Ort war. „Hörst du mir zu, Liebes?“, hakte Miya nach und auch Akira gab der gedankenversunkenen Blauhaarigen einen leichten Schubs. „Hä? Was?“, landete sie zurück in der Realität, „Tschuldigung.“ Ein liebliches Lächeln huschte der älteren Dame über die Lippen: „Denk bitte einfach nur daran mir die ganzen Unterlagen bis spätestens Montag ausgefüllt abzugeben, okay?“ Mit einem Nicken verabschiedeten sie sich von der netten Dame und schritten den blauen Teppich entlang in Richtung Treppe. „Muss ich jetzt jeden Tag bis in den vierten Stock laufen?“, jammerte Rin. Akira lachte sie hingegen aus: „Da sind doch zwei Aufzüge. Außerdem dachte ich, dass du Sport magst.“ Er warf ihr einen neckenden Blick zu, woraufhin er keine weitere Antwort erhielt. Nur eine beleidigte Blauhaarige, welche die Wangen aufblies, konnte er erblicken. Auf dem Weg durch den Eingangsbereich bis hin zu den Aufzügen fühlte Rin die neugierigen Blicke der anderen auf sich. Einige hörte sie sogar tuscheln. Sie fragten sich, wer ihre neue Mitschülerin wohl sei. Das Mädchen konnte auch Wortfetzen verstehen, die nicht so nett gemeint schienen. Vermutlich sah die Blauhaarige nicht versnobt genug aus für diesen Laden. Aber so unangenehm es auch war, sie machte sich trotzdem nichts daraus. Ändern konnte sie ihre Herkunft nun mal nicht. Kaum waren sie im Aufzug, sprach Akira sie an: „Nimm dir das bloß nicht zu Herzen. Die Leute hier wissen einfach nicht wie man mit Normalos wie uns umgehen soll. Sie fühlen sich uncool, und weniger erhaben als andere, wenn sie sich auf die Seite von Leuten wie uns schlagen.“ „Ach was. Als ob ich etwas auf jemanden geben würde, der mich beleidigt, ohne mich zu kennen“, winkte sie grinsend ab. Gleichzeitig fragte sie sich, wieso der Rothaarige das Thema ansprach. Sah sie etwa danach aus, als ob sie sich angegriffen und verletzt fühlte? Als der Aufzug im vierten Stock hielt, stiegen die beiden zügig aus und gingen den breiten Gang entlang auf der Suche nach Rins Zimmernummer. Dabei lasen sie die Schilder neben den Türen, welche sich rechts und links in etwas größeren Abständen erstreckten. Am Ende des Flurs blieben sie schließlich stehen, denn besagter Raum befand sich direkt an der Stirnseite. Irritiert fuchtele das Mädchen daraufhin mit der Schlüsselkarte herum, weil sie nicht genau wusste, wie sie damit eine Tür aufbekommen sollte. Der Rothaarige musste sich das Lachen regelrecht verkneifen, bis er schließlich die Karte an sich nahm und dem Mädchen erklärte, dass sie sie einfach nur durch den seitlichen Schlitz der Schlossvorrichtung ziehen musste. Kaum hatte der junge Mann dies getan, fiel die Tür mit einem leisen Piepton einen Spaltweit auf. Mit dem Koffer im Schlepptau stiefelte er schließlich als erstes in den Raum, stellte ihn ab und sah sich um. Rin tat es ihm gleich und trat ebenfalls ein, bevor sie die Tür hinter sich zuzog. „Wie riesig das ist“, sah sie sich mit großen Augen um. Auch Akira war dieses Mal ein wenig erstaunt: „Ja, es ist wirklich relativ groß. Hier gibt es aber auch weitaus kleinere Räume.“ „Das hat mich vorhin schon verwundert“, wendete sich die Blauhaarige dem jungen Mann zu: „Warum kennst du dich hier so gut aus? Selbst die nette Oma am Empfang wusste wer du bist.“ Schief grinste der Schüler sie daraufhin an: „Ach, das ist eine lange Geschichte. Vielleicht erzähle ich sie dir ein Andermal.“ Etwas enttäuscht lies Rin davon ab und Akira versuchte ihr daraufhin zu erklären, dass sie die Chipkarte in die Vorrichtung neben der Tür stecken musste, um den kompletten Strom nutzen zu können. Nur mit halbem Ohr hörte sie Gesprochenem zu, weil sie damit beschäftigt war jedes Detail in ihrem neuen zu Hause zu bestaunen. Zu ihrer Linken stand ein enorm großes bezogenes Bett, in welches bestimmt drei Leute passen würden. Rechts und links davon befanden sich sogar Nachttischchen und an der Wandseite links vom Bett erstreckte sich ein ziemlich großer Schrank. Vermutlich der Kleiderschrank. An der Fensterfront gegenüber der Tür befand sich ein langer Schreibtisch mit Schubladen und Stuhl. Direkt daneben war unter den Fenstern ein langes offenes Regal montiert. Auf der rechten Seite der Eingangstür war eine Sitzecke eingerichtet. Dort stand eine nicht unbedingt kleine Couch zusammen mit einem größeren Beistelltischchen. An der Wand hing sogar ein Fachbildfernseher und selbst einen hüfthohen Kühlschrank konnte die Blauhaarige erkennen. Etwas weiter Richtung Fensterfront entdeckte Rin eine weitere Tür und ließ es sich nicht nehmen diese schnurstracks zu öffnen. Völlig perplex stand sie daraufhin in einem Badezimmer mit großer Badewanne, zwei Waschbecken und einer Toilette. Mittlerweile überraschte sie gar nichts mehr, deswegen konnte sie das doppelte Waschbecken auch ziemlich einfach ignorieren. Aber wieso hatte sie ihr eigenes Bad? Das ist doch nicht normal in einem Schulwohnheim so einen prunkvollen Raum zu bekommen, oder? „Das ist ja wie in einem super teuren Hotelzimmer“, staunte Rin nicht schlecht, nachdem sie alles genauer inspiziert hatte. Der Blick ihres Begleiters schweifte ebenfalls herum: „Die Reichen können es sich scheinbar leisten.“ Kurze Stille erfüllte den Raum, in welcher die beiden Schüler immer noch damit beschäftigt waren zu realisieren was sie soeben gesehen hatten. Es dauerte jedoch nicht lange, bis der Rothaarige das Schweigen wieder brach: „Kann ich dich mal was fragen, Aikawa-chan?“ „Klar, schieß los“, schenkte ihm das Mädchen ihre Aufmerksamkeit. „Vorhin, als Miya-oba-chan meinte, dass deine Eltern unterschreiben müssen, da hast du gefragt, ob es auch jemand anderes unterschreiben kann“, setzte Akira an, „Sind deine Eltern etwa dagegen, dass du ins Wohnheim ziehst? Oder bist du womöglich abgehauen?“ Schweißperlen bildeten sich auf Rins Stirn, denn sie hatte nicht mit einer solch forschen Frage gerechnet. Eigentlich wollte sie nichts über ihre Familie erzählen, da sie sich dafür schämte. Vor allem für ihren Vater. „Na ja“, überlegte sie angestrengt, was sie ihm auftischen könnte: „Meine Mutter ist nicht mehr da und mit meinem Vater habe ich mich gestritten. Ich will ihn nicht fragen.“ „Oh entschuldige, das war unsensibel von mir. Ich wusste nicht, dass deine Eltern sich geschieden haben und getrennt leben. Aber vielleicht solltest du dich mit deinem Vater wieder versuchen zu vertragen. Immerhin ist er ja dein Vater“, bedauerte der Oberschüler die Situation des Mädchens. „Du brauchst dich nicht entschuldigen. Woher hättest du das denn wissen sollen?“, setzte die Blauhaarige an, „Aber nur, um es richtigzustellen: Meine Eltern waren nie verheiratet. Den Nachnamen haben mein Bruder und ich von unserer Mutter angenommen, mein Vater heißt Aoyama.“ „Ach so. Aber so oder so ist es sicherlich schrecklich für dich ohne deine Mutter aufzuwachsen. Kannst du sie denn wenigstens ab und an mal besuchen?“, traf der bedauernde Blick des Rothaarigen die Schülerin. Rin überlegte was sie ihm antworten sollte: „Das ist eine gute Frage, die ich leider mit einem ‚Nein‘ beantworten muss. Weißt du, meine Mutter ist gestorben, als ich noch recht klein war.“ „Oh Gott, ich bin heute ja der totale Fettnäpfchen-King“, weiteten sich die Augen des jungen Mannes, „Das tut mir wirklich leid, Entschuldigung. Ich wollte dich nicht traurig stimmen.“ Kurz lachte Angesprochene auf: „Keine Sorge, meine Mutter ist bereits schon so lange tot, dass ich durch sowas nicht mehr traurig werde.“ „Dennoch war es nicht nett von mir dich über dieses private Thema so auszufragen“, bedauerte Akira seine vorangegangenen Worte, „Aber ich werde mich mal wieder auf den Weg machen, dann kannst du dich in Ruhe einrichten. Wir sehen uns ja sowieso später wieder.“ „Oh, ja klar. Ich will dich nicht aufhalten“, antwortete die Blauhaarige, „Danke für deine Hilfe mit dem Koffer. Das war wirklich sehr nett gewesen. Wie kann ich mich denn bei dir erkenntlich zeigen?“ „Das brauchst du nicht“, winkte er ab und war kurz darauf mit einem „Tschüss, bis später“ wieder verschwunden.   Die Sonne war bereits fast untergegangen, als Rin viel zu spät am vereinbarten Treffpunkt erschien. Allerdings schien das nicht weiter schlimm zu sein, denn es war noch keiner der Jungs eingetroffen. „Komisch. Ich dachte wir treffen uns am Eingang der Suzuki Akademie?“, sah sich die Blauhaarige um und entdeckte im selben Moment Akira von Weitem näherkommen. Leicht außer Atem entschuldigte er sich: „Tut mir leid, dass ich zu spät bin.“ „Das macht nichts, ich bin auch eben erst gekommen“, wurde der Rothaarige von dem Mädchen schief angegrinst. „Hast du Kuro schon gesehen?“, fragte der junge Mann. Als Antwort bekam er nur ein Kopfschütteln woraufhin er sein Smartphone zückte und eine Nummer wählte. Die Schülerin beobachtete wie er kurz darauf wieder das Handy vom Ohr nahm und mit den Schultern zuckte. „Wahrscheinlich ist er noch in irgendwelche Arbeiten vertieft. Seit die Suzuki Akademie keinen Schulleiter mehr besitzt, hat Kuro doppelt so viel Arbeit“, betrat der Rotschopf das Gelände der Schule und machte sich mit dem Mädchen an seiner Seite auf zum Schulgebäude. „Wie meinst du das?“, hakte Rin nach, „Erledigt der Kerl etwa die Aufgaben des Direktors?“ Angesprochener legte den Kopf schief: „Wusstest du das nicht? Immerhin hat er doch dein neues Stipendium bewilligt, oder?“ „Das würde einiges erklären“, grübelte sie, „Aber ich verstehe nicht wieso ausgerechnet irgendein Schüler plötzlich die Schule übernimmt. Das macht doch gar keinen Sinn.“ „Die Akademie gehört dem Suzuki Konzern. Da ist das doch nicht verwerflich, wenn Kuro die Leitung übernimmt“, verstand Akira die Unwissenheit des Mädchens nicht, „Er ist doch der Erbe der Firma.“ „Bitte was?!“, riss die Blauhaarige die Augen auf, blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihren Gesprächspartner an. „Wusstest du das nicht?“, sah der Schüler überrascht zu ihr herüber. Völlig von der Rolle stotterte sie daraufhin nur herum: „A-aber… W-warum…? Wo-woher willst du das wissen? Er heißt doch nicht mal Suzuki. Sein Name ist Kuroya Ayumu.“ „Ja, in der Grund- und Mittelschule nannte er sich so“, winkte der Rothaarige ab, „Aber das war von seinen Eltern als Tarnung arrangiert. Die wollten verhindern, dass er anders behandelt wird. In Wirklichkeit heißt er Ayumu Kuroya Suzuki. Mit der Zeit machte das aber dennoch die Runde und jeder wusste es. Du etwa nicht?“ Immer noch sprachlos starrte die Schülerin ihn an und wollte gar nicht so recht begreifen was sie soeben hörte. Noch nie hatte sie auch nur ein Sterbenswörtchen darüber gehört. Außerdem war es trotz allem unglaubwürdig, denn sie verstand rein gar nicht, wie der Erbe eines so wohlhabenden Konzerns ein solch schlechter Mensch sein konnte. Kuro nahm sein Umfeld nie wahr und wenn doch, dann nur um jeden und alles zu beleidigen oder seine schlechte Laune an jemandem auszulassen. Im Unterricht war er auch oft nur am Schlafen und wenn nicht hat er geschwänzt. Wie konnte es also sein, dass so jemand zu einem reichen und schicken Konzern wie diesem gehörte? „Komm, wir suchen ihn endlich“, machte sich der Rothaarige wieder auf den Weg Richtung Gebäude. Dieses war schon so gut wie menschenleer, da es bereits recht spät war.   Nachdem die beiden im Schülerrat vergebens nach ihm Ausschau hielten, begaben sie sich schließlich auf den Weg zum Zimmer des Rektors. Dort fanden sie ihn dann tatsächlich vor. Allerdings anders als erwartet, denn er hatte seinen Kopf in seinen Armen auf dem Tisch vergraben und schlief friedlich über seinem Laptop. „Das ist wieder so typisch“, schritt Akira lachend auf seinen Kumpel zu, „Hey Kuro, wach auf! Du hast unsere Verabredung verpennt!“ Erst durch das Rütteln des Rothaarigen wachte die Schlafmütze auf, streckte sich und gähnte währenddessen genüsslich. „Wie wärs, wenn du nachts mal ein bisschen mehr schläfst?“, mahnte der junge Mann ihn, woraufhin er prompt eine pampige Antwort bekam: „Wie wäre es, wenn du mich nicht nervst. Du bist doch selbst nicht besser.“ Ein kurzer Blick des Schwarzhaarigen streifte seinen Laptop, woraufhin er jammernd die Hände über dem Kopf zusammenschlug: „Oh verdammt. Das muss heute noch fertig werden.“ „Dann machst du es eben danach. Kommt, wir gehen zum Schülerratszimmer“, drängelte Akira. Die Blauhaarige meldete sich nun auch zu Wort: „Denkst du nicht, dass wir auch diese Tür hier nehmen können? Der Schlüssel scheint ja angeblich in jedes Schloss zu passen.“ „Ja stimmt, da hast du recht. Es ist ja im Grunde egal welche Tür wir nehmen“, antwortete der Rothaarige. „Nein!“, stand plötzlich wie aus dem Nichts Skye in der Tür, „Es ist alles, nur nicht egal! Ihr müsst das Portal an einem verlassenen Ort öffnen. Und am besten nur bei öffentlichen Gebäuden und keinen Privathäusern. Wenn das auch nur irgendwer mitbekommt, haben wir ein Problem.“ „Wo kommst du denn schon wieder so plötzlich her?“, erntete der kleine Junge den verdatterten Blick Rins. „Ist doch scheißegal. Das Schulgebäude ist mittlerweile sowieso menschenleer“, meldete sich nun auch der Schwarzhaarige zu Wort, „Und selbst wenn, wo sollten wir dann deiner Meinung nach den Durchgang aufmachen?“ „Das weiß ich auch nicht, aber nicht hier“, verschränkte der kleine Mann die Arme. Eine Zeitlang grübelten alle angestrengt darüber nach. Einzig Kuro schaute konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops und begann zu tippen. „Wie wäre es mit der Einkaufsmeile. Das ist ein öffentlicher Ort“, schlug Akira vor. „Da sind doch viel zu viele Leute. Wir brauchen einen verlassenen öffentlichen Durchgang“, erklärte der Schwarz-blauhaarige erneut. Nun hatte auch das Mädchen eine Idee: „Und wie wäre es mit den Toiletten in der Einkaufsstraße? Die sind öffentlich und verlassen.“ „Du verstehst es nicht“, griff sich Skye genervt an die Stirn, „Dort sollen gar keine Leute hinkommen.“ „Der alte Geräteschuppen hinten am Sportplatz der Akademie ist öffentlich und keiner geht mehr rein, weil es einen neuen Großen gibt“, schaute Kuro nicht einmal von seinem Laptop auf. „Das nenne ich mal Multitasking“, klopfte der Rothaarige seinem Kumpel freudig auf den Rücken. Kurz dachte Skye über den Vorschlag nach, ehe er schließlich zustimmte: „Das klingt gut. Lasst ihn uns mal ansehen.“ „Na dann verzieht euch endlich. Ich muss mich konzentrieren“, scheuchte der Suzuki-Erbe seinen Besuch unhöflich weg. Sein bester Kumpel hingegen war da anderer Meinung, nahm den Schwarzhaarigen in den Schwitzkasten und zog ihn vom Stuhl auf: „Du kommst gefälligst mit. Schon vergessen, dass das abgemacht war?“ „Ich habe aber keine Zeit, um auf Entdeckungstour mit euch Idioten zu gehen. Diese Unterlagen hier sind wichtiger“, befreite sich Kuro wieder und plumpste zurück auf seinen Stuhl. „Na dann verpasst du wohl etwas“, grinste der kleine Mann freudig, „Ich hab hier ein hochentwickeltes technologisches Gerät, welches einem das Leben sowohl auf dieser als auch auf der anderen Seite des Portals, erleichtert. Das kleine Wunderding hier projiziert interaktive Hologramme und kann sich mit vielerlei anderer Geräte koppeln. Es nennt sich Holographic Third Eye oder kurz HTE“ Leicht ungläubig sahen Akira und Kuro zu dem kleinen weißen Ding, welches der Junge siegessicher präsentierte. Die Blauhaarige blieb derweil eher unbeeindruckt, da sie bereits wusste was das Teil konnte. „Jeder der mitkommt, bekommt eins. Man steckt es sich wie einen Ohrstöpsel ins Ohr und drückt dieses kleine Knöpfchen. Dann aktiviert es sich und der Spaß kann losgehen“, erklärte Skye. Auch die Schülerin meldete sich deswegen zu Wort: „Mir hat er auch schon ein Horo gegeben. Es ist wirklich ziemlich spaßig.“ „Horo?“, legte der Schwarz-blauhaarige den Kopf schief. Rin grinste daraufhin über das ganze Gesicht: „Ist einfacher zu merken und klingt viel besser als dein komischer und komplizierter Name.“ Während der Kleine noch mit der Umbenennung zurechtzukommen versuchte, forderte der Rothaarige sofort eines der Geräte und probierte es direkt aus. Seine Begeisterung beim Ausprobieren schien den Schwarzhaarigen von seiner Arbeit so dermaßen abzulenken, dass er die ganze Zeit nervös mit seinen Fingern auf dem Tisch herumtippelte. Plötzlich war jedoch seine Geduld am Ende und er stand ruckartig auf, stemmte seine Arme auf den Tisch und schaute in die Runde: „Okay, ich komme mit. Aber nur, weil ich weiß, dass ihr Schwachmaten ohne mich nicht klarkommen würdet.“ „Was soll das denn bitte heißen?!“, platzte dem Mädchen daraufhin der Kragen, „Ich brauche deine Hilfe nicht du eingebildeter Idiot! Yoshida-kun und ich bekommen das auch alleine hin!“ „Bekommt ihr nicht“, warf der kleine Junge Rin einen kritischen Blick zu, ehe er auf den Suzuki-Erben zuging und ihm sein Horo überreichte. „Okay, dann können wir ja jetzt endlich zum Schuppen!“, ignorierte selbst der Rothaarige den Wutausbruch der Schülerin.   Auf dem Weg dorthin trottete die Blauhaarige den Dreien genervt hinterher und kickte wütend immer wieder gegen ein kleines Steinchen. Natürlich verstand sie, dass Kuro gebraucht wurde, denn je mehr sie waren, umso besser. Aber es nervte sie, dass jeder seine eingebildete Aussage von eben einfach so hinnahm. Dadurch fühlte sie sich kleiner als sie war und das schmeckte ihr nicht. Sie wollte allen unbedingt beweisen, dass sie nicht auf diesen Blödmann angewiesen war und auch alleine super klarkam. „Wow, das ist wirklich ein Schuppen“, staunte Akira nicht schlecht, als sie hinter Bäumen und Büschen vor dem alten Holzschuppen stehenblieben. Er sah recht zerfallen aus und war wirklich klein. Rin vermutete ihn auf vielleicht grade mal fünf bis sechs Quadratmeter. Von innen war er stockduster, da er keine Fenster besaß. Aber so oder so wäre er dunkel gewesen, da die angebrachte Lampe schon lange nicht mehr zu funktionieren schien und es draußen mittlerweile auch schon dunkel war. Mit den Smartphones leuchteten die beiden jungen Männer in den alten Geräteschuppen hinein und man konnte eine dicke Staubschicht und einige Spinnenweben entdecken. Hier und da standen noch alte Sportgeräte herum, die keiner mehr zu brauchen schien. Ansonsten war dort nichts vorzufinden. „Komm, gehen wir rein“, forderte Skye schließlich und der Rotschopf und das Mädchen folgten ihm wortlos. Einzig Kuro blieb angewidert davor stehen: „Das ist ja echt ekelhaft. Hätte ich gewusst, dass es in dieser Bruchbude mittlerweile so dreckig ist, hätte ich sie nicht vorgeschlagen.“ „Jetzt komm rein und heul nicht rum du Jammerlappen“, keifte die Blauhaarige ihn an. Eine kleine Diskussion entstand mal wieder, welche von den Außenstehenden versucht wurde zu beenden. Schließlich drehte das Mädchen dann den goldenen Schlüssel im Schloss der zugezogenen Schuppentür von innen herum, wodurch plötzlich Licht durch die kleinen Löcher im Gebäude fiel. Vorsichtig lugte Rin durch einen kleinen Spalt der Tür und konnte erkennen, dass es tatsächlich helllichter Tag war. „Das ist wirklich eigenartig. Wieso ist es hier schon wieder die gegenteilige Uhrzeit? Beim letzten Mal war es hier dunkel, als es in unserer Welt hell war“, stellte Akira fest. „Vielleicht ist das ja dann immer umgekehrt“, meinte die Blauhaarige. „Kann sein.“ Nachdem alle endlich den heruntergekommenen Schuppen verlassen hatten, stellen sie fest, dass sie dieses Mal keine Umhänge aufgezwungen bekamen. Auch eine weitere Veränderung konnten sie wahrnehmen: Sie erblickten plötzlich andere Schüler, welche etwas entfernter auf dem Sportplatz ihre Clubaktivitäten ausführten. „Ich dachte hier gäbe es keine Menschen“, warf das Mädchen einen erstaunten Blick zu den gesichteten Schülern. „Scheinbar schon“, schien auch Kuro ein wenig verwirrt zu sein. „Leute, schnappt euch lieber irgendwas zur Verteidigung. Wer weiß, ob und wann diese Feuershadows wieder auftauchen“, schwang der Rothaarige einen alten Baseballschläger, welchen er im Schuppen fand. „Gute Idee“, tat Rin es ihm gleich und kam mit einem abgenutzten Lacrosseschläger wieder aus dem Holzhäuschen heraus. Der Schwarzhaarige jedoch hielt es nicht für nötig sich auch etwas zu suchen und blieb stattdessen stehen: „Wer braucht schon solchen heruntergekommenen Müll?“ „Findest du nicht auch, dass es besser ist, wenn wir uns wehren können?“, hakte sein Kumpel nach. „Doch“, zückte Kuro aus seinen Hosentaschen zwei Softair Pistolen „Deswegen hab ich die hier mitgenommen.“ „Und du Skye?“, wandte sich das Mädchen zu dem kleinen Jungen, welcher ebenfalls keine Anstalten machte, sich zu bewegen, „Willst du dir nichts suchen?“ „Nein“, erwiderte er, „Lasst uns lieber endlich aufbrechen.“   Kapitel 9 - RPG oder Wirklichkeit? ---------------------------------- Samstag, 11. April 2015 Auf der anderen Seite des Portals   „Wo genau wollen wir eigentlich hin?“, hakte Kuro nach, als die Gruppe zum Gehen ansetzte. „Na, wir wollen doch Aikawa-chans beste Freundin suchen und zurückholen“, erklärte Akira erneut. „Schon klar“, bekam er eine genervte Retourkutsche, „Aber wo?“ Nun mischte sich auch Rin in das Gespräch ein: „Ich will nochmal zu Amis altem abgebrannten zu Hause. Vielleicht finden wir dort irgendwelche Hinweise über ihren Verbleib.“ Alle schienen einverstanden mit dem Wunsch der Blauhaarigen und machten sich auf den Weg quer über den Sportplatz bis hin zum Schultor. Dabei wurden sie von den trainierenden Schülern blöd gemustert und angestarrt. Auch einige Lehrer waren anwesend, welche die Gruppe erblickten, aber nichts sagten. Es muss wohl wirklich komisch ausgesehen haben, wie die Vier während der Schulzeit einfach so übers Gelände streunten. Zumal außer dem Suzuki Erben keiner von ihnen eine Schuluniform trug und Skye sogar viel zu jung aussah, um überhaupt schon zur Oberschule zu gehen. Trotzdem sprach sie keiner darauf an, was das Mädchen auf Kuro schob, welcher hier scheinbar sowieso das Sagen hatte und machen durfte was er wollte. Es dauerte nicht lange, da hatten sie das Schultor schon passiert und wanderten zügig in die Richtung des angrenzenden Wohnviertels. „Findet ihr es nicht eigenartig, dass diese Welt ganz genauso aussieht wie unsere?“, fragte die Schülerin schließlich und sah sich ausgiebig um. Die beiden Oberschüler taten es ihr gleich und der Rothaarige stellte fest: „Ja, du hast recht. Im Vergleich zum letzten Mal erinnert mich diese Welt nun viel mehr an unsere eigene. Außerdem haben wir diese komischen Fetzen nicht mehr zwangsweise an.“ „Das ist wahr. Und bisher haben wir auch noch keinen dieser Feuershadows gesehen“, überlegte Rin, „Kennst du dich nicht mit dieser Welt aus, Skye? Wieso ist das so?“ Nun brachte sich auch der kleine Mann ins Gespräch ein: „Ich verstehe diese Welt ehrlichgesagt auch noch nicht so richtig.“ „Du bist doch der Wächter, oder nicht?“, blickte die Blauhaarige verdutzt drein. Unbeeindruckt zuckte der Junge mit den Schultern: „Na und? Das heißt ja nicht, dass ich mich auskenne, oder?“ Ein leises genervtes Schnauben entwich der Oberschülerin und sie gab es auf durch den Blau-Schwarzhaarigen irgendwelche Informationen zu erhalten. Nach einer kurzen Wanderung kam die kleine Gruppe endlich an besagtem Haus an und staunte nicht schlecht, als sie auf das angeblich abgebrannte Gebäude starrten. „Ich dachte es wäre niedergebrannt?“, war der Rothaarige der Erste, welcher seine Stimme wiederfand. „Das dachte ich eigentlich auch“, kratzte sich Rin am Hinterkopf, „Als wir zuletzt hier waren, stand es in Flammen und hat lichterloh gebrannt.“ Ratlos sahen sich alle an, ehe die Blauhaarige die Initiative ergriff und zur Haustür schritt, um zu klingeln. Da diese Welt trotz allem normal zu wirken schien, erhoffte sie sich ein Gespräch mit der Familie, um zu erfahren was passiert war. Jedoch öffnete auch nach wiederholtem Male keiner die Eingangstür. In dem Augenblick, in dem die Schülerin wieder zu ihren Mitstreitern zurückkehren wollte, kam ein Nachbar aus seinem Haus. Er erklärte ihr im Vorbeigehen, dass die Familie auf der Arbeit und in der Schule sei. Wieso hatte sie nicht selbst daran gedacht? Immerhin schien in diesem Moment ein ganz normaler Werktagmorgen zu sein. „Was jetzt?“, trottelte die Enttäuschte zurück zu der Kleingruppe, „Hat irgendwer eine andere Idee wo wir suchen könnten?“ Noch ehe die anderen die Möglichkeit hatten zu antworten, leuchtete der silber-rote Schlüssel an Rins Schlüsselbund kurz rötlich auf. „Sieht so aus, als will er benutzt werden“, deutete Skye auf besagten Gegenstand. „Vielleicht funktioniert er ja auf dieser Seite des Portals“, leuchteten die blauen Augen des Mädchens förmlich, „Dann führt er uns doch totsicher zu Ami, wenn ich ihn in der Haustür umdrehe!“ Hyperaktiv hibbelte sie herum und war schneller als der Schall zurück zur Tür gesprintet, um den Schlüssel im Schloss auszuprobieren. Erstaunlicherweise passte er hinein und ließ sich sogar drehen. Ein kurzes Klacken ertönte und der Weg ins Hausinnere lag frei. Aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten winkte Rin ihre Begleiter ungeduldig schneller zu sich: „Jetzt beeilt euch doch mal ein bisschen! Es ist offen! Der Schlüssel hat gepasst!“ Ohne darauf zu achten was vor ihr lag, betrat die Blauhaarige das Gebäude und ein langer ärmelloser Mantel mit großer Kapuze formte sich auf ihr. Im Gegensatz zu dem braungrauen bodenlangen Umhang war dieser mit Blautönen bedacht, welchen auf der Rückseite ein großes blaues wasserartiges Symbol zierte. Noch ehe sie realisieren konnte was soeben passierte, standen auch die anderen Drei im Inneren des Hauses. Während Akira im bekannten braungrauen Umhang dastand, formte sich auf Kuro ein langer grünbrauner Mantel mit Kapuze. Er hatte halb hochgekrempelte Ärmel und war am unteren Ende schon ziemlich angefressen. Auf dessen Rückseite war ein grünes pflanzenartiges Symbol zu sehen. Einzig bei Skye veränderte sich nichts am Aussehen. „Da sind sie ja wieder. Unsere vermissten unnützen Umhänge“, musterte Kuro sein neues Kleidungsstück zynisch. Ein leicht genervtes Schnauben Akiras erklang daraufhin: „Tz, ihr habt wenigstens ein fetziges Upgrade bekommen. Ich hab immer noch diese Lumpen hier an.“ „Das ist wirklich eigenartig“, zupfte das Mädchen an ihrem Mantel herum. „Ich glaube so abwegig ist das gar nicht“, kommentierte nun auch der Kleinste die Unterhaltung, „Ihr beiden habt euer Elementarsymbol auf dem Rücken von diesem Teil. Vermutlich dient er als eine Art Verstärker eurer Kraft oder so.“ Jeder der drei Oberschüler verzog auf diese Aussage hin sein Gesicht. „Ich will diese Kraft nicht! Und jetzt soll sie sich auch noch verstärken?!“, fiel die Blauhaarige aus allen Wolken. Auch der Suzuki Erbe schien wenig begeistert: „Das heißt doch nur, dass die Nachwirkungen auch viel stärker ausfallen, oder?“ „Nachwirkungen?!“, kam die schockierte Rin nicht weit, denn sie wurde von Akira unterbrochen: „Und was ist mit meiner Elementarkraft?! Ich hab doch auch einen Edelstein! Wieso aktiviert sich die Kraft nicht?!“ Leicht überrumpelt von den unzufriedenen Schülern, wich der kleine Mann einen Schritt zurück und versuchte sie wieder zu beruhigen: „D-das war doch nur so dahergeredet. Vielleicht ist es ja auch nur eine Art Schutzmantel oder so.“ Bevor der Rothaarige erneut protestieren konnte, wechselte Kuro das Thema: „Wo sind wir eigentlich? Das sieht hier echt merkwürdig aus.“ Nun sahen sich auch alle anderen um und stellten ebenfalls fest, dass dies keinesfalls Amikas gewöhnliches zu Hause sein konnte. Sie standen am Anfang eines ziemlich langen Korridors, welcher nur spärlich mit Wandfackeln beleuchtet war. Die Wände und der Boden bestanden aus massiven Backsteinen und waren sehr uneben. Ein kalter Luftzug pfiff deutlich hörbar in der kurzen Stille umher und der Blauhaarigen schlotterten die Knie. Ob vor Angst oder Kälte konnte sie nicht mal unterscheiden. „Brr, kalt“, rieb sie sich die Hände aneinander. Den Jungs schien es weniger auszumachen, da diese ein wenig dicker angezogen waren als sie selbst. Gerade, als sie ihnen den Rücken zuwendete und den Gang entlanggehen wollte, hielt ihr der Rothaarige seine Kapuzenjacke hin: „Hier, zieh die drüber.“ Erstaunt schaute sie das Kleidungsstück an: „Wirklich? Wirst du dann nicht frieren?“ „So schnell nicht“, grinste er sie frech an. Kurz bedankte sich das Mädchen und zog die Jacke schließlich unter ihrem Mantel an. Zwar war ihr nun wärmer, ihr Zittern jedoch wich nicht. Trotz alledem hielt sie das nicht davon ab sich nun auf den Weg ins Ungewisse zu stürzen. „Hey, warte!“, erschallte die Stimme des Schwarzhaarigen hinter ihr, „Willst du da wirklich reinlaufen? Dir schlottern doch vor Angst die Beine wie bei einem Rehkitz!“ „Ich habe keine Angst! Mir ist nur etwas kalt!“, keifte Rin den jungen Mann an, „Außerdem wartet am Ende des Weges vielleicht Ami. Ich muss da einfach weitergehen.“ Genervt schnaubend verschränkte Kuro seine Arme vor der Brust und folgte den anderen widerstandslos. Es war für ihn nur schwer zu übersehen, dass das Mädchen tatsächlich Angst hatte. Sie versuchte es zwar zu verleugnen, aber es fiel dennoch auf. „Ist echt alles okay bei dir? Das hier ist nämlich wirklich ein wenig gruselig“, lief der Rothaarige neben der Oberschülerin her. Diese ballte die Fäuste und versuchte zu lächeln: „Ach Blödsinn. Hier ist doch nichts gruselig. Es zieht nur ein wenig.“ „Wow, ich hab eine Map laden können!“, ertönte plötzlich die erstaunte Stimme Skyes und die Gruppe blieb stehen, „Da vorn kommt bald eine Abzweigung.“ „Hast du das Horo angeschaltet?“, wurde er fragend von Rin angesehen woraufhin er nur nickte. So zückten die anderen auch ihre eigenen Geräte, setzten sie auf und schalteten sie ein. „Kannst du echt alles sehen? Werden dir auch Personen angezeigt? Shiori-chan vielleicht?“, löcherte Akira den Kleinen mit Fragen. Dieser schüttelte nur den Kopf: „Nein, ich kann nur kleine Abschnitte sehen. Sonst nichts. Keine Menschen oder dergleichen.“ „Komisch, ich finde gar keine Karte“, suchte der Schwarzhaarige herum. Wie sich herausstellte, gelang es keinem außer Skye eine Navigationsapp zu verwenden. Bei allen anderen scheiterten die Suchergebnisse. „Dann bist du von jetzt an eben unser Navigator“, beschloss die Blauhaarige kurzerhand und setzte ihren Weg fort. Nach Kurzem kam wirklich eine Gabelung und die Truppe musste sich für den rechten oder den linken Weg entscheiden. Da keiner so recht wusste wo es wohl am Sinnvollsten wäre, übernahm die Oberschülerin einfach das Kommando und stiefelte nach links. Dort machte der Korridor einen kleinen Knick und kaum war sie um die Ecke gebogen, stoppte sie schlagartig. Wie aus dem Nichts schwebte plötzlich ein eigenartiges Wesen vor ihr. Es sah aus wie eine Elfe oder eine große Fee, welche ziemlich freizügig komplett in violett bekleidet war. Sie hatte dunkelbraune, leicht rötlich schimmernde Haare und durch ihre langen durchsichtigen Flügel hielt sie sich problemlos in der Luft. „Was ist das?!“, wich das Mädchen panisch einen großen Schritt zurück und rempelte dabei Akira an, welcher direkt hinter ihr stand. Standfest blieb er jedoch auf den Beinen und begutachtete nun ebenfalls leicht ängstlich das seltsame Geschöpf. Auch der Schwarzhaarige und der neu ernannte Navigator staunten nicht schlecht, als sie die fies grinsende Elfe betrachteten. Bevor jedoch irgendjemand der Truppe auf Rins Frage antworten konnte, gingen plötzlich Blitzgeschosse von dem Fabelwesen aus. Mit großer Mühe schaffte die Gruppe es den Angriffen auszuweichen und sich einige wenige Meter zu entfernen. Kuro versuchte derweil mit seinen Pistolen etwas auszurichten, um den Angreifer zu stoppen. Zwar war die Wirkung seiner Waffe deutlich stärker als er vermutete, doch richtete es dennoch wenig aus. Es verschaffte ihnen lediglich etwas Zeit zum Nachdenken. Mit wilden Tippbewegungen starrte der Kleinste der Gruppe angespannt vor sich: „Das Vieh scheint ein Shadow zu sein! Es heißt Pixie!“ „Die sieht aber ganz anders aus, als diese Feuershadows. Gibt’s davon etwa mehrere verschiedene?“, wandte sich der Rotschopf an den kleinen Mann. „Ja, ich habe schon den ein oder anderen gesehen, weiß allerdings nicht wie viele es davon wirklich gibt“, sah man Skye seine Sorge deutlich an, „Ruft eure Personas und kämpft! Mit den Waffen kommt ihr hier nicht weit.“ „Das sind die Dinger in den Edelsteinen, oder? Die können nicht kämpfen, das habe ich beim letzten Mal schon versucht!“, rief die Blauhaarige und sprang zeitgleich zur Seite, um einem weiteren Blitz auszuweichen. „Du musst nur die richtigen Befehle geben“, erwiderte der Schwarz-Blauhaarige daraufhin. Da die Oberschülerin auch keinen weiteren Ausweg mehr fand, tat sie wie ihr befohlen. Mit einem lauten „Persona!“ warf sie ihren Saphir wie eine Knallerbse zu Boden und aus den Splittern stieg in einem Wasserstrudel die ihr bekannte in blau gekleidete Frau empor. Die anderen beiden Oberschüler staunten nicht schlecht, als sie die Hasenfrau sahen und Kuro schien schnell zu begreifen was da soeben passierte, denn er tat es der Blauhaarigen gleich. Schnell nahm er seinen Smaragd in die Hand und zerdrückte ihn mit Leichtigkeit zwischen drei Fingern: „Persona! Erscheine Sarubi!“ Aus dem Splitterstaub formte sich ein Strudel von Blättern und Blüten und ebenfalls erschien eine Persona. Sie war männlich, stark gebräunt und trug einen längeren ärmellosen braunen Mantel mit einer großen Kapuze, auf welcher eine gelbe Gesichtsform genäht war. Grüne Knöpfe symbolisierten scheinbar die Augen und an den Seiten waren braune Öhrchen angebracht. Der Rest des Kleidungsstückes war mit gelben Akzenten versehen und die Knopfleiste zierten ebenfalls grüne Knöpfe. Passend zum Mantel, trug Sarubi eine kurze braun-gelbe Hose und um seine Hüfte war mehrfach ein schwarzer Gürtel geschlungen, welcher hinten lang herunterhing. Es sah ein wenig aus wie ein Schwanz. Generell erinnerte er vom Outfit her an einen Affen. An Armen und Beinen trug das affenähnliche Geschöpf gelbe Stulpen, um welche ebenfalls schwarze Gürtel geschlungen waren. An den Unterarmen besaß er außerdem noch grüne Schoner. Da die Kapuze weit ins Gesicht der Persona hing, konnte man es kaum erkennen. Lediglich zwei lange grüne Haarsträhnen ragten heraus. Ähnlich wie bei Kyusagi, sah man auch bei ihm den Smaragd, welcher seinen linken Oberarm zierte. „Ein Affe?“, war Rin ziemlich amüsiert über Kuros Persona zu sein, „Passt ja.“ Frech grinsend schielte das Mädchen zu dem Schwarzhaarigen herüber. Dieser jedoch ließ sich nicht ärgern und schien stattdessen auf dem Hologramm des Horos herum zu tippen. „Jetzt ist nicht die Zeit für so einen Blödsinn! Konzentriere dich gefälligst oder willst du hier sterben?!“, schimpfte Skye mit der Oberschülerin. Beleidigt blies sie sie Wangen auf und verschränkte die Arme. Dieser Blödmann von Kuro hackte so gut wie immer auf ihr herum und sie wollte ihm nun auch mal Saures geben. Dennoch sah sie ein, dass der Jüngste Recht hatte und es im Moment wichtigere Dinge gab. Genau in diesem Augenblick gingen wieder einige Blitze auf die Gruppe nieder. Rin schaffte es gerade so dem plötzlichen Geschoss auszuweichen und landete unsanft auf dem Hintern, während die anderen beiden Oberschüler getroffen wurden. Schwer atmend gingen sie in die Knie und hatten Schwierigkeiten wieder aufzustehen. Der Angriff war heftiger als gedacht und die Sinne der Blauhaarigen waren nun noch mehr geschärft. „Scheiße“, wischte sich der Suzuki Erbe fluchend mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht. Bevor ihr Gegner zum erneuten Angriff übergehen konnte, versuchte das Mädchen einen Weg zu finden zurückzuschlagen. Sie wusste, dass Kyusagi sie nicht verstehen konnte, also musste es einen anderen Weg geben. Wie Schuppen fiel es ihr plötzlich von den Augen und sie sah sich den Homebildschirm ihres holografischen Gerätes genauer an. Der grauunterlegte Button war nun blau gefärbt und ließ sich mit einem Antippen öffnen. Zu sehen bekam die Blauhaarige nun eine kleine Reihe an Informationen über ihre Persona. Zum Beispiel, dass sie vom Typ Wasser war oder welches Level sie besaß. Das erinnerte Rin ziemlich stark an eines dieser unzähligen RPGs, die es auf dem Markt gab. Folglich verstand sie auch direkt was die kleine Tabelle mit den wirren Worten zu bedeuten hatte. Da sie nichts auswählen konnte, versuchte sie einfach ihrer Persona eines der Worte zuzurufen: „Kyusagi, benutz Kiri!“ Tatsächlich schien die Hasenfrau dieses Mal zu verstehen was die Oberschülerin sagte und setzte sich in Bewegung. Mit ein paar flüssigen Armbewegungen feuerte sie gekonnt einen Wasserstrahl auf die Elfe. Diese blieb allerdings unversehrt und kicherte sich ins Fäustchen ehe sie erneut zum Angriff überging und weitere Blitze auf die Gruppe niedergingen. Rin erwischte es nun auch und sie plumpste erneut unsanft auf ihren Hintern. „Alles okay?“, erschallte Akiras Stimme hinter ihr. Kurz drehte sie sich um: „Geht schon. Sorge dich lieber um dich selbst.“ „Rin, benutze Dia!“, kam Skye scheinbar ein Geistesblitz. „Dia?“, sah sie ihn fragend an und ehe sie sich versah, wurde der Schwarzhaarige in eine Art heilende Woge gehüllt. Wie das Mädchen schnell nachlesen konnte stand besagtes Wort bei den anderen Befehlen ihrer Persona dabei. Es handelte sich scheinbar um einen Heilzauber, denn Kuro sprang energiegeladen wieder auf. „Doro!“, befahl er drauf hin laut und Sarubi feuerte mit einer Schlammmasse um sich. Der Angriff des Affen war eindeutig effektiver als Kyusagis und die Gegnerin war plötzlich problemlos besiegt und in glitzerndem Staub verflogen. „War ja klar, dass ich da ranmusste, damit das was wird“, grinste der Oberschüler das Mädchen von oben herab hämisch an. Diese rappelte sich wieder auf, ballte die Fäuste und gab ihm kontra: „Ach ja? Wer lag den von uns allen zuerst am Boden?!“ „Jetzt beruhigt euch doch bitte mal wieder“, versuchte Akira die beiden Streithähne auseinanderzubringen, „Seid lieber froh, dass wir das halbwegs heil überstanden haben.“ Widerwillig gab die Blauhaarige daraufhin Ruhe und wendete nochmals Dia an, um auch dem Rest der Truppe wieder Kraft zu verleihen. Anschließend verschwanden die beiden Personas wieder in den Edelsteinen, welche zu ihren Besitzern zurückkehrten. „Das erinnert mich irgendwie an ein Videospiel. Als seien wir in einem Dungeon oder sowas Ähnlichem“, merkte der Rotschopf an. Rin nickte: „Ja, das dachte ich auch schon. Aber das ist trotzdem zu echt für ein einfaches Game.“ „Lasst uns lieber umkehren. Ich werde das Gefühl nicht los, dass uns da noch weitaus stärkere Geschöpfe auflauern werden“, umklammerte Akira seinen Topas. Er hatte einen ziemlich gequälten Ausdruck in den Augen und blickte zur Seite. „Von mir aus können wir direkt gehen“, zuckte der Schwarzhaarige gleichgültig mit den Achseln, „Mein Papierkram wartet.“ Sofort protestierte die Oberschülerin gegen die beiden: „Nein, das können wir nicht tun. Ami ist vielleicht am Ende des Gangs und wartet darauf, dass wir sie hier rausholen.“ „Die Wahrscheinlichkeit, dass sie hier ist, ist sehr gering, Aikawa-chan“, versuchte der Rothaarige sie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, „Du hast sie doch selbst gesehen wie sie schlafend im Bett lag. Wie soll sie dann gleichzeitig hier sein?“ Darauf wusste das Mädchen allerdings keine Antwort mehr, denn der Oberschüler hatte Recht mit dem was er sagte. Amika konnte schlecht an zwei Orten gleichzeitig sein. Andererseits sagte Skye doch etwas in die Richtung, dass sie ihre beste Freundin befreien musste. Und je mehr sie darüber nachdachte, umso wahrscheinlicher fand sie es, dass sie in diesem Dungeon noch irgendetwas finden würde was ihr weiterhalf. „Macht doch was ihr wollt“, schnaubte Rin beleidigt, „Ich gehe weiter, denn ich glaube, dass es hier etwas gibt was mir weiterhelfen wird Ami zu retten. Ihr müsst ja nicht mitkommen.“ Daraufhin wandte sie sich von den Jungs ab und setzte ihren Fußmarsch fort. Der Schwarz-Blauhaarige war der Einzige, der ihr sofort folgte: „Warte Rin! Alleine ist das total gefährlich!“ Laut schnaubend und mit einem kurzen Lächeln im Gesicht setzte sich auch der Rothaarige in Bewegung, um dem Mädchen zu folgen. Seinen widerspenstigen Kumpel zog er dabei mit sich.   Es dauerte nicht lange, bis die Gruppe erneut vor einer Gabelung stand. Doch dieses Mal befand sich vor ihrer Nase eine Holztür, welche die Blauhaarige öffnen wollte. „Warte!“, wurde sie von Akira zurückgehalten, „In Games sind solche Räume immer gefährlich. Vielleicht sitzt da der Endgegner oder eine andere Falle überrumpelt uns.“ Rin sah ein, dass er Recht hatte und lies von der Tür wieder ab. Stattdessen fragte sie den Jüngsten, ob er auf seiner Map irgendetwas erkennen konnte. Allerdings verneinte er ahnungslos. Nach kurzem Hin und Her zwischen dem Rotschopf und der Oberschülerin, hatte sie es geschafft ihn zu überreden die Tür dennoch zu öffnen. Sollte es wirklich eine Art Bossraum sein, brachte sie das ihrem Ziel ja näher. Ihn zu ignorieren wäre da absoluter Blödsinn. Fest umklammerte die Blauhaarige ihren Lacrosse Schläger und öffnete vorsichtig die Tür. Sie erwartete das Schlimmste, konnte jedoch auf Anhieb nichts Verdächtiges sehen. „Sei vorsichtig“, kam es von Akira, als das Mädchen einen Schritt in den Raum gehen wollte. Zur Antwort bekam er nur ein kurzes Nicken und langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und sah sich wachsam um. Die restlichen Drei folgten ihr ebenfalls hinein, konnten allerdings auch nichts Gefährliches entdecken. Das Zimmer war verhältnismäßig groß und erinnerte an das zu Hause einer recht wohlhabenden Schülerin. Es befand sich ein hübsches Himmelbett darin mit passendem Kleiderschrank und Schreibtisch. In der einen Ecke war sogar ein kleiner Schminktisch mit Spiegel und allerlei Schmuck. An den rosaroten Wänden waren Poster von Boygroups und Schauspielern angebracht. Inmitten diesen hing ein großer Flachbildfernseher, welcher zwar an war, aber kein Signal fand. „Das sieht aus wie das Zimmer einer Möchtegernprinzessin“, zog Kuro die Augenbrauen hoch. „Irgendwie kommt mir das hier bekannt vor“, grübelte die Blauhaarige, „Ich glaube ich habe diesen Raum schon mal gesehen.“ Während Rin angestrengt darüber nachdachte wieso ihr das hier so vertraut war, fand der Rothaarige die Fernbedienung zum Fernseher und drückte auf der Suche nach einem Signal darauf herum. Tatsächlich brachte er die Kiste wieder zum Laufen und man sah das Zimmer, in welchem sie standen im TV. Vermutlich war es eine ältere Aufnahme, denn sie sahen sich nicht selbst dort stehen. Plötzlich rannte im Video ein brünettes Mädchen herein und man hörte sie wutentbrannt die Tür knallen: „Kaori hier, Kaori da! Was ist mit mir?! Ich bin wohl nur existent, wenn ich Mist gebaut habe oder was?“ Weinend setzte sie sich auf ihre Bettkante und zog die Beine heran. „Ami!“, rief Rin plötzlich heraus, „Das ist Amis Zimmer! Es wurde nur komplett umgeräumt!“ „Aber wieso gibt es hier eine solche Videoaufnahme von ihr?“, legte Akira den Kopf schief. „Ich weiß es nicht“, bekam er nur eine ahnungslose Antwort, ehe wieder alle dem weiteren Geschehen im Video zusahen. Plötzlich klopfte es an der Tür der Brünetten und eine junge Frau trat herein. Sie hatte hellbraunes langes Haar und war sehr modisch und hübsch gekleidet. Man hätte fast meinen können sie sei ein Model. „Wow wer ist denn diese Schönheit?“, kam es fast gleichzeitig von den beiden jungen Männern. Ein kritischer schiefer Blick der Blauhaarigen klärte die beiden schnell auf: „Amis Schwester Kaori.“ „Ami-chan? Ist alles in Ordnung?“, machte sich die Neuhinzugekommene scheinbar ernsthafte Sorgen um ihre kleine Schwester, „Ist etwas mit Mama und Papa vorgefallen? Magst du reden?“ Sie kniete sich vor die Jüngere und wollte ihr behutsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischen. Sofort schlug die Rotbraunhaarige ihre Hand weg und brüllte sie an: „Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Du bist so nervig! Die absolut perfekte Tochter! Wegen dir stehe ich immer nur im Schatten und wenn ich mal etwas Tolles vollbracht habe wird das nie anerkannt! Aber wehe ich baue Mist, dann werde ich gerügt und mit meiner perfekten Schwester verglichen! Ich hasse dich! Kannst du nicht einfach für immer verschwinden?!“ Genau in diesem Moment ging der Fernseher plötzlich aus. „Was ist denn jetzt los?“, versuchte Akira das Gerät wieder einzuschalten, jedoch erfolgslos. Nun meldete sich auch Skye wieder zu Wort: „Ich glaube, dass wir hier eine von Amikas Erinnerungen gesehen haben und sie hier vorerst endet. Vielleicht finden wir ja noch weitere dieser Fragmente.“ „Das bestätigt aber schon mal, dass dieser Ort mit ihr zu tun haben muss und uns vermutlich hilft sie wieder aufzuwecken“, stellte der Rotschopf fest. Kuro wechselte daraufhin schlagartig das Thema: „Warum heulst du jetzt?“ „Geht dich gar nichts an!“, wurde er von Rin angekeift, welche sofort wieder ihre Tränen wegwischte. Eigentlich wollte sie doch gar nicht weinen. Doch als sie ihre beste Freundin so gesehen hatte, war ihr einfach zum Heulen zumute. Außerdem fühlte sie sich nun auch noch verdammt schlecht, da ihr nie wirklich bewusst war, wie sehr es Amika zusetzte, dass sie immer im Schatten ihrer großen Schwester stand. Zwar wusste sie, dass ihre beste Freundin nicht gut auf Kaori zu sprechen war, doch dieses große Ausmaß, war ihr neu. „Lasst uns weitergehen“, riss die Oberschülerin wieder die Eingangstür auf und trat heraus. Dabei rannte sie direkt in einen weiteren Shadow hinein und schrie kurz auf. Mit dem Lacrosse Schläger prügelte sie gefühlsgesteuert auf den Gegner ein, welcher ein wenig zurückwich. Es handelte sich hierbei um ein gespensterähnliches Wesen mit Kürbiskopf, Hexenhut, violettem Umhang und einer Laterne in der Hand. Unter dem Umhang sah man allerdings nichts und die Kreatur wirkte wirklich wie ein echtes Gespenst. Kurz sammelte sich der Kürbiskopf und feuerte im Anschluss direkt einige Feuergeschosse auf das Mädchen. Akrobatisch verbog sie sich, um den Flammen auszuweichen, stolperte aber und fiel zu Boden. Sie sah schon die Flammenkugeln auf sich zukommen und kniff die Augen zusammen. Ihr Gesicht versteckte sie in ihren Armen, um sich wenigstens ein kleines Bisschen vor dem Feuer zu schützen. Wartend auf den Schmerz kauerte sie auf dem Boden und zitterte vor Angst. Aber sie verspürte nie eines der Geschosse. Stattdessen schreckte sie hoch, als sie plötzlich zwei warme Hände auf ihren Schultern verspürte. Es war Akira, der schützend vor ihr kniete. „Doro!“, erschallte Kuros Stimme und im selben Moment war das Geschöpf schon besiegt. Zum Glück hatte auch der Rothaarige nichts abbekommen, da sich Sarubi blitzschnell schützend vor die beiden stellte und den Gegner erledigte. Noch bevor sich die Oberschülerin bei ihrem vermeintlichen Beschützer bedanken konnte, war dieser knurrend aufgestanden und schlug wütend mit der unteren Faustseite gegen die Backsteinwand: „Warum kann ich nicht auch irgendetwas ausrichten? Ich hab doch auch einen Edelstein. Wo ist meine Persona?“ „Mach dich nicht unnötig verrückt und sei lieber froh“, klopfte der Schwarzhaarige seinem Kumpel auf die Schulter. „Keine Sorge, die Persona erwacht schon noch zur rechten Zeit“, kam es von dem kleinen Navigator, „Das war übrigens Jack O‘ Lantern. Ein weiterer Shadow.“ Nachdem der Suzuki Erbe das Mädchen nochmal ermahnte nicht einfach blindlinks loszurennen, waren die anderen beiden Jungs mal wieder damit beschäftigt die erneut ausgebrochene Diskussion der beiden zu schlichten. Noch lange wanderten die Vier ziellos durch das Labyrinth, kämpften erneut gegen Shadows und schafften es jedes Mal sie irgendwie zu besiegen. Völlig fertig landeten sie nach einer gefühlten Ewigkeit schließlich vor einem enorm großen Holztor, welches aus zwei Türen bestand. „Wenn das kein Bossraum ist, dann weiß ich ja auch nicht“, stemmte Akira die Hände in die Hüfte. „Aber wir sollten lieber umkehren und uns nochmal ausruhen. In diesem Zustand werden wir draufgehen“, stützte sich Kuro mit den Händen auf seinen Knien ab und schnaufte schwer. Auch Rin war total fertig und setzte sich einfach auf den Boden: „Was, wenn wir dann die Chance verpassen Ami zu retten? Vielleicht ist es nur noch ein simpler Kampf und dann haben wir es geschafft?“ „Das bezweifle ich“, verschränkte der Jüngste die Arme, „Die bisherigen Kämpfe waren relativ simpel und haben uns schon den Rest gegeben. Wenn wir jetzt unüberlegt da reinlaufen, sind wir alle tot. Das Risiko ist weit höher, als du dir vorstellen kannst.“ „Aber wir können doch nicht einfach kurz vorm Ziel aufgeben! Ami wartet doch nicht ewig! Vielleicht ist es morgen schon zu spät“, jammerte die Blauhaarige herum. Da es keiner der Jungs schaffte sie zu überzeugen, verlor der Schwarzhaarige schließlich die Geduld, schnappte sich die Oberschülerin an den Beinen und hängte ihren Oberkörper über seine Schultern. „Hey! Lass mich runter, du Arsch!“, hämmerte sie mit den Fäusten gegen seinen Rücken und wehrte sich heftig. „Halt endlich deine Klappe du Nervensäge!“, hatte der Ältere einen Todesblick aufgesetzt, „Ich laufe hier nicht in den sicheren Tod. Eher zerre ich dich wieder hier heraus.“ Schmollend gab sie schlussendlich nach und verstummte. Derweil hatte Skye etwas Interessantes in seinem Horo Menü entdeckt: „Wir können uns von hieraus teleportieren. Es ploppte eben ein Fenster auf mit der Frage, ob wir schnellreisen wollen.“ „Das ist ja wirklich wie in einem RPG“, stellte der Rotschopf fest, „Dann kommen wir später sicherlich auch wieder ganz schnell hierher zurück, oder?“ „Vermutlich“, zuckte der Kleine mit den Achseln und drückte kurz eine Taste, ehe sich die Gruppe wieder am Eingang befand. „Und? Kann man wieder dorthin zurückreisen?“, fragte der RPG-Vernarrte neugierig. Kurz checkte Skye, ob es ging und nickte dann: „Scheint zu funktionieren.“ „Klasse! Diese Welt ist doch ganz cool und leicht verständlich“, grinste der Rotschopf. „Werde nicht übermütig“, blieb der Schwarz-Blauhaarige auf dem Teppich, „Das hier ist kein Spiel. Es ist die Realität. Stirbst du hier, bist du wirklich tot.“ Kurz verzog Akira das Gesicht und schluckte. Wo der Kleine Recht hatte, hatte er Recht.   Schnell machte sich die Truppe auf den Weg zurück zur Schule, um durch den Schuppen wieder zurückzukommen. Dabei wurden sie von den einen oder anderen Passanten merkwürdig gemustert, weil sie alle ziemlich mitgenommen aussahen. Zum Glück war es bereits gegen Abend, wodurch die meisten Schüler schon zu Hause waren und die Vier problemlos über den Schulcampus streunen konnten. „Wir waren echt extrem lange da drin glaube ich. Ob es auf der anderen Portalseite nun schon am Morgen ist?“, überlegte Akira. Man vernahm ein leichtes Zucken Kuros und sein Blick verriet mittlere Panik: „Bloß nicht! Ich muss den Kram noch fertigmachen!“ Schief grinste sein Kumpel ihn an: „Sorry.“ Als sie sich endlich alle im Schuppen versammelt hatten, konnte Rin nun den goldenen Schlüssel im Schloss drehen, um wieder zurückzukommen. Es machte einmal kurz Klick und alle erwarteten schon die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen durch zu Holzritze zu sehen. Jedoch blieben sie aus und der kleine Raum wurde stattdessen stockdunkel. „Oh Gott, wie viel Zeit ist hier vergangen?“, riss der Schwarzhaarige schockiert die Augen auf. Vorsichtig öffnete das Mädchen schließlich die alte Schuppentür und lugte heraus: „Entweder ein kompletter Tag oder keine Sekunde. Ist ja merkwürdig. Hier ist immer noch stockduster.“ Nachdem alle wieder aus dem klapprigen Häuschen herausgefunden hatten, drehte die Oberschülerin den Schlüssel erneut, um den Durchgang wieder zu schließen. Dabei fiel ihr auf, dass ihre langen Haare verschwunden waren. Hatte sie etwa wieder kurze dunkelblaue Haare? Reflexartig fasste sie sich an den Kopf und musste leicht panisch feststellen, dass dem so war. Unter gar keinen Umständen durfte auch noch Akira von ihrem seltsamen Geheimnis Wind bekommen, weswegen sie schlagartig die Kapuze von der geliehenen Jacke weit ins Gesicht zog und eilig versuchte davon zu stolpern. Die beiden jungen Männer hatten es zwischenzeitlich geschafft ihre Handytaschenlampe einzuschalten und wollten den Weg weisen. Jedoch sahen sie das Mädchen nur noch von Hinten davonrennen. „Aikawa-chan?! Ist alles in Ordnung?“, rief der Rothaarige etwas verwirrt. Kurz drehte sie sich leicht um: „Ja, alles okay. Ich bin müde und gehe direkt schlafen.“ „Komm, lass sie und geh auch heim“, schien der Schwarzhaarige Rin zu durchschauen und nahm seinen Kumpel in den Schwitzkasten. „Aua!“, jammerte dieser, „Ist ja gut. Aber lass los.“ Daraufhin verabschiedeten sich die restlichen Drei voneinander und Kuro blieb als einziger zurück, um seinen Papierkram noch abzuarbeiten. Auf dem Weg zurück ins Rektorenzimmer fiel ihm seine vorherige Panikattacke wieder ein: „Verdammt! Welcher Tag ist denn nun?!“     Kapitel 10 - Verblüffende Ähnlichkeit -------------------------------------   Sonntag, 12. April 2015   „Nein, ich will nicht“, murmelte Rin im Halbschlaf vor sich hin, als sie ein sanftes Rütteln verspürte. Dieses jedoch lies nicht nach, weshalb sie sich umdrehte und unter der Decke verkroch: „Geh weg, Saito.“ „Es ist schon Nachmittag. Du solltest langsam mal aufstehen“, erklang eine Stimme. Nur wem gehörte sie? Es war nicht die ihres Bruders, aber dennoch kam sie ihr vertraut vor. Langsam öffnete sie die Augen und blinzelte in den mittlerweile hell erleuchteten Raum: „Wo bin ich?“ „Na, im Wohnheim“, kam prompt eine Antwort und das Mädchen erblickte Skye neben sich im Bett sitzen. Langsam rappelte sie sich auf und versuchte erstmal einen klaren Gedanken zu fassen. Sie war sich nicht mehr sicher wie sie gestern ins Wohnheim zurückgekommen oder was generell noch geschehen war. Als sie jedoch an sich heruntersah, stellte sie fest, dass sie nicht viel verpasst haben konnte, denn sie trug noch immer dieselben Sachen wie am Abend zuvor. „Hab ich etwa mit den dreckigen Klamotten geschlafen? Was ist denn gestern noch passiert?“, rieb sich die Blauhaarige angestrengt den Kopf. Der kleine Mann klärte sie daraufhin auf: „Du bist gestern wie von der Tarantel gestochen ins Wohnheim zurückgerannt, direkt ins Bett gefallen und hast im selben Augenblick schon wie ein Stein geschlafen.“ „Also ist eigentlich nichts passiert?“, legte die Oberschülerin den Kopf schief. „Kann man so sagen“, bestätigte der Schwarz-Blauhaarige, „Allerdings warst du mal wieder kurzzeitig vom anderen Geschlecht. Bist du deswegen so schnell weggelaufen?“ Jetzt, da er es erwähnte, erinnerte sie sich wieder daran. Erneut wurde sie zum Jungen. Und wieder direkt nachdem sie das Portal zurück in ihre Welt passierte. Ob das wohl miteinander zusammenhing? Außerdem schien sie nun wieder ihren gewohnten Körper zurückzuhaben, was wohl jedes Mal einfach über Nacht geschah. Noch kurz grübelte sie im Stillen vor sich hin, als sie schließlich wieder zu ihrem kleinen Gast herübersah: „Sag mal, was machst du eigentlich hier? Und wie bist du überhaupt reingekommen?“ „Das Fenster war gekippt“, kam nur eine kurze Antwort. Vermutlich war er in seiner Vogelgestalt hindurchgeflogen und so in das Zimmer gelangt. Die Blauhaarige beließ es aber dabei, da der Junge sie eher weniger störte und verschwand erstmal im Bad. Zuerst musste sie den Schmutz von sich abbekommen und duschen. Zwar hatte sie so absolut keine Lust auf das von oben herunterregnende Wasser, doch das war trotz allem besser als dreckig zu bleiben. Es dauerte nur kurz bis sie mit umgebundenem Badetuch wieder zurück in den Schlaf- und Wohnraum kam. Mit einem weiteren Handtuch rubbelte sie flüchtig ihre Haare ein wenig trocken und suchte derweil in ihrem Koffer nach ein paar frischen Kleidungsstücken. Skye, welcher noch immer da war, ignorierte die leicht bekleidete Oberschülerin und war total gebannt auf seine Handheldkonsole versteift. „Findest du es nicht auch eigenartig, dass in dieser Welt keine Zeit vergangen war, obwohl wir stundenlang auf der anderen Portalseite waren?“, zog das Mädchen ein schwarzes Top heraus. „Nein, eigentlich nicht“, wandte der Schwarz-Blauhaarige nicht eine Sekunde seinen Blick vom Bildschirm ab, „Mittlerweile finde ich gar nichts mehr eigenartig. Du etwa?“ Kurz dachte sie über seine Worte nach: „Irgendwie hast du da wohl Recht.“   Im Laufe des Tages machte sich Rin nochmals auf den Weg nach Hause, um mit Saito den benötigten Papierkram durchzugehen und um ihre restlichen Sachen zu holen. Zum Beispiel hatte sie beim ersten Mal ihre Lacrosse Ausrüstung nicht mitnehmen können oder andere Gebrauchsgegenstände sowie noch ein paar weitere Kleidungsstücke, die noch in die Lücken passten. Außerdem hatte sie nur den einen Koffer und musste diesen ja erstmal leeren, um weitere ihrer Sachen holen zu können. „Rin, warte“, wurde sie an der Haustür von ihrem großen Bruder aufgehalten. „Was ist denn, Saito?“, drehte sie sich zu ihm herum und bekam im selben Moment eine in Grautönen gehaltene Schildkappe mit den Worten „für dich“ auf den Kopf gesetzt. Etwas verwirrt sah die Blauhaarige nach oben und nahm das gute Stück daraufhin wieder ab, um es genauer zu begutachten. Auf der Unterseite des Schildes war ein großes LP gestickt und auch oben auf der Kappe zierten diese Initialen. Man konnte richtig erkennen wie aus den perplexen Gesichtszügen des Mädchens plötzlich ein aufhellendes strahlendes Lächeln wurde. „Oh mein Gott“, fiel Rin dem Blonden daraufhin um den Hals, „Du bist der beste Bruder den ich je hatte! Danke!“ „Nicht, dass du jemals noch einen hattest“, lachte nun auch der Ältere, „Aber als ich sie gesehen habe, musste ich sie dir einfach kaufen. Wo du diese Band doch so gerne hast.“ „Ja, ich liebe sie. Linkin Park ist die beste Band der Welt“, hüpfte sie aufgeregt herum und quiekte dabei. Nachdem sie ihren Freudentanz endlich beendete, sah sie ihren Bruder allerdings mit besorgter Miene an: „Aber die war bestimmt total teuer, oder?“ „Blödsinn. Das ist doch nur eine Kappe“, winkte er ab. Erleichtert darüber, dass der Blonde kein Vermögen dafür ausgegeben hatte, atmete sie auf. Nach Kurzem verabschiedete sie sich daraufhin wieder, um zurück zum Wohnheim zu gehen. In Saitos Blick sah man dabei deutlich, dass er nicht unbedingt glücklich darüber war, dass sie von nun an nur noch selten zu Hause sein würde. Immerhin kannte er seine Schwester ziemlich gut und fand seine Sorge um den kleinen Tollpatsch berechtigt. Aber es half ja nichts, denn schließlich konnte er sie nicht festbinden.   Im Laufe des Abends versuchte die Blauhaarige noch einige Male Akira telefonisch zu erreichen. Dies blieb allerdings erfolglos. Sie wollte unbedingt durch das Portal zurück, um Amika schnellstmöglich zu retten. Es wühlte sie innerlich wahnsinnig auf, dass sie im Moment nichts ausrichten konnte. Dabei rannte ihr doch die Zeit davon. Auch diverse Ideen um Kuro aufzuspüren schlugen fehl. In der Schule war er nicht vorzufinden und an die Villa der Suzukis kam sie nicht mal ansatzweise heran, da überall Sicherheitspersonal lauerte. Natürlich zog sie es auch schon in Erwägung einfach alleine zu gehen, aber Skye hielt sie mehrfach davon ab. „Was soll ich denn bloß machen?“, fiel sie entmutigt mit dem Rücken in ihr Bett und starrte an die Decke. „Schulvorbereitungen?“, hockte der Schwarz-Blauhaarige direkt neben dem Mädchen im Schneidersitz im Bett und war erneut mit seinem Videospiel beschäftigt. „Quatsch. Ich meine wegen Ami“, setzte sie sich wieder auf, „Jetzt sitze ich hier untätig herum und warte.“ Unbeeindruckt zuckte der Kleine mit den Achseln, wandte jedoch seinen Blick nicht einmal von der Konsole ab: „Ich sag ja: Schulvorbereitungen. Oder hast du bereits alles für Morgen zusammengepackt?“ Erst jetzt realisierte sie, dass der kleine Mann Recht hatte. Bislang hatte sie nämlich noch rein gar nichts für den morgigen ersten Schultag getan. Leicht genervt rutschte sie vom Bett herunter und begann damit ihre sieben Sachen zusammenzusuchen und für morgen alles griffbereit hinzustellen. Nachdem die Oberschülerin fertig war, bemerkte sie, dass sie eine SMS bekommen hatte. Erstaunt öffnete sie sie und stellte fest, dass sich Akira endlich gemeldet hatte. Er entschuldigte sich dafür, dass er nicht ans Handy gehen konnte, da er auf der Arbeit war. Zwar war es gut zu wissen wieso der Rothaarige nicht ans Telefon ging, allerdings brachte das Rin auch nicht weiter. Mittlerweile war es nun schon zu spät geworden, um nochmal einen Fuß vor die Tür zu setzen. So beschlossen sie einfach das Ganze auf den morgigen Tag zu verschieben. Herzhaft gähnte die Blauhaarige und streckte sich: „Ich glaub ich gehe so langsam mal ins Bett. Wann willst du eigentlich endlich nach Hause gehen, Skye?“ „Ich habe kein zu Hause“, sah er ausnahmsweise mal von seinem Gerät auf, „Deswegen bleibe ich ab jetzt hier.“ Ein äußerst irritierter Blick traf den Jungen. Die Oberschülerin wusste kurzzeitig absolut nicht was sie zu seinem plötzlichen Beschluss sagen sollte. Wenn er kein zu Hause hatte, wo wohnte er dann bisher? Und wieso um Himmelswillen wollte er so plötzlich bei der Oberschülerin im Wohnheim wohnen? Warum nicht bei jemand anderem? Außerdem glaubte sie nicht, dass es erlaubt war, dass ein kleiner Junge bei ihr im Zimmer wohnte. Zumal auch gar kein Bett für ihn bereitstand. So unglaublich viele Fragen stauten sich in ihrem Kopf, wodurch sie gar nicht mehr wusste was sie zuerst sagen sollte: „Was? Warum bist du…? Wo hast du…? Wie soll das…?“ „Beendest du auch noch einen deiner Sätze?“, hatte ihr selbsternannter neuer Mitbewohner seine Aufmerksamkeit bereits wieder seinem Videospiel geschenkt. „Ich verstehe nicht wieso du hier einziehen willst?“, ordnete die Blauhaarige ihre Gedanken wieder, „Zieh doch bei Kuro ein. Der hat zu hundert Prozent noch etliche Gästezimmer. Hier ist doch gar kein weiteres Bett mehr. Und abgesehen davon bekomme ich sicherlich Ärger, wenn herauskommt, dass du hier wohnst. Wo hast du denn bisher gewohnt? Geh doch dahin zurück.“ „Ich kann im Moment nicht zurück“, fiel seine Antwort kurz aus. „Ich meine ja auch nicht zurück auf deinen Heimatplaneten“, erklärte sich das Mädchen, „Nur dorthin zurück, wo du in letzter Zeit gewohnt hast.“ Verdattert sah der Kleine erneut von seinem Gerät auf: „Heimatplaneten? Hast du immer noch nicht verstanden, dass das ein Witz war?“ „Ein Witz?“, legte Rin den Kopf schief. Genervt klatschte sich Skye die Hand ins Gesicht: „Du bist wirklich unglaublich. Aber so oder so habe ich keine Bleibe. Außerdem bist du die Besitzerin des Portalschlüssels und ich der Portalwächter. Ist doch klar, dass wir dann auch zusammenbleiben müssen.“ „Nichts ist da klar. Warum bist du plötzlich kein Außerirdischer mehr? Und den doofen Schlüssel kannst du gerne haben“, hielt sie ihm den Schlüsselbund hin, „Hier. Und dann geh woanders hin. Versuchs mal bei Kuro.“ Sichtlich verzog der Schwarz-Blauhaarige das Gesicht: „Will ich aber nicht.“ „Wieso das denn jetzt?“, verlor die Oberschülerin langsam ihre Geduld. „Würdest du freiwillig bei solch einer gemeinen Person wohnen wollen? Mir gefällt es nicht wie er mit dir umgeht. Dabei dachte ich immer er sei ein netter Mensch“, schmollte der Kleine deutlich erkennbar. Erstaunt musterte die Blauhaarige ihn: „Er geht doch mit fast allen so um und benimmt sich wie ein riesen Arsch. Das sind eben diese reichen Volldeppen, die denken sie dürften sich alles erlauben.“ Liebevoll tätschelte sie dem Schmollenden den Kopf: „Mach dir nichts draus. Solche Menschen kann man leider nicht ändern, ich verstehe dich da voll und ganz. Wenn du willst kannst du ausnahmsweise vorerst gerne hierbleiben. Aber das ist dennoch keine Lösung.“ „Ehrlich?“, begannen seine Augen förmlich zu funkeln. „Ja, ehrlich“, bestätigte sie nochmal, „Ich weiß nur noch nicht wo du schlafen sollst. Hier steht ja nur ein Bett.“ „Das macht doch nichts. In dieses Monstrum vom Bett passen wir auch beide rein“, kroch er schlagartig unter die Decke und schien es todernst zu meinen. Wortlos starrte Rin ihn daraufhin an und schien nachzudenken. Konnte sie wirklich einfach so mit einem Jungen ein Bett teilen? Andererseits war er ja noch klein und es war tatsächlich genug Platz vorhanden. Was sollte also passieren? Noch einmal schnaubte sie hörbar, ehe sie sich geschlagen gab und ebenfalls unter die Decke kroch.   Montag, 13. April 2015   Als Rin am nächsten Morgen endlich von den Toten auferstand und sich ins Erdgeschoss zum Speisesaal begab, konnte sie ihren Augen nicht trauen. Sie stand plötzlich inmitten eines überdimensionalen Raumes, in dessen Zentrum ein gewaltiges Büffet aufgebaut war. Hinter diesem zauberten sogar noch einige Köche frische individuelle Speisen für die Schüler. Am Rande des Raumes standen ringsherum etliche Tische und Stühle, welche ebenso nobel wirkten wie das zuvor erblickte Büffet. Etwas fehl am Platz blieb die Oberschülerin wie angewurzelt mit offenem Mund im Eingangsbereich stehen. Sie wusste gar nicht, ob sie hier überhaupt reindurfte als einfacher Bürger. Jedoch schüttelte sie dann selbstbewusst den Kopf: „Quatsch. Ich bin genauso eine Schülerin, wie die anderen.“ Da alle Schüler ihre Uniformen trugen und doch recht normal wirkten, stach die Blauhaarige optisch so gut wie nicht heraus. Erst als sie orientierungslos mit zittrigen Beinen und ihrem leeren Teller dastand, zog sie einige wenige Blicke auf sich. Sie musste wohl sehr merkwürdig und unsicher herübergekommen sein. Mit mulmigem Gefühl in der Magengegend häufte sie sich einfach irgendwas auf den Teller, um schnellstmöglich aus dem Rampenlicht zu verschwinden. Als sie endlich an einem abgeschiedenen Tisch platznahm atmete sie schwermütig aus und begutachtete erstmal ihr blindlinks aufgetanes Essen. „Verdammt“, dachte sie im Stillen, „Sind das da drin Meeresfrüchte?“ Sie war doch gegen die meisten davon allergisch. Wie sollte sie das denn jetzt essen? Es wegzukippen würde sicherlich ziemlich eigenartig aussehen. Noch eine Weile stocherte sie mit den Stäbchen in ihrem Essen herum, ehe sich neben ihr plötzlich jemand räusperte und stehen blieb. Blitzartig sah die Blauhaarige auf und schaute in das hellblaue Augenpaar einer Schülerin. „Oh, du bist es“, kam es Rin über die Lippen. „Ist alles in Ordnung?“, hakte die neu Hinzugekommene vorsichtig nach, „Du bist doch Aikawa-chan, oder? Gehst du jetzt auch auf die Suzuki Akademie?“ „Ja, die bin ich. Ich hab mein Sportstipendium zurückbekommen und gehe ab heute auch zur Akademie“, kratzte sie sich verlegen am Hinterkopf. Dabei überlegte sie krampfhaft, wer diese eisblauhaarige Schönheit war, welche soeben mit ihr sprach. Sie war sich ziemlich sicher ihr bereits begegnet zu sein, allerdings konnte sie sich nichtmehr daran erinnern wer sie war geschweige denn wo sie sich schon mal über den Weg gelaufen waren. „Willst du dich setzen?“, bot die Oberschülerin der Anderen den freien Platz ihr gegenüber an. „Gerne. Vielen Dank“, erschallte die sanfte Stimme des Mädchens, welches sich soeben hinsetzte, „Und wieso isst du nun nichts?“ Kurz zuckte die Blauhaarige zusammen und stammelte dann: „Ähm… ich… also… Allergie gegen Meeresfrüchte.“ Sichtbar verdutzt blickte die Unbekannt zu ihr herüber: „Wieso holst du dir denn dann so etwas?“ „Na ja, ich war total überwältigt von diesem krassen Zeug hier, dass ich gar nicht darauf geachtet habe was ich mir genommen habe“, grinste sie schief. Leicht musste ihr Gegenüber kichern und bot ihr dann Hilfe an: „Willst du tauschen? Ich habe nur Gemüsereis.“ Rins strahlende Augen waren daraufhin wohl Antwort genug und die beiden tauschten ihre Gerichte. „Soll ich dich später ein wenig auf dem Schulcampus herumführen? Du kennst dich ja sicherlich noch nicht so gut aus, oder?“, bot sie der Neuen ihre Hilfe an. Dankend nahm sie diese sofort an und freute sich innerlich ein wenig, dass sie bereits eine so nette Bekanntschaft schließen konnte. Nachdem die beiden Mädels aufgegessen hatten, verabschiedete sich die Eisblauhaarige auch schon wieder: „Ich muss dann auch los. Im Schülerrat ist noch etwas Arbeit liegengeblieben, die ich noch vor dem Unterricht beenden muss.“ Mit einem verständnisvollen Nicken verabschiedete sie ihre Lebensretterin und grübelte noch einige Sekunden, ehe es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel. Das war Ruri Miuna, mit welcher sie soeben gefrühstückt hatte. Einige Tage zuvor traf sie sie bereits im Schülerratszimmer an, als sie Kuro suchte. Bevor die Blauhaarige dann auch den Speisesaal verließ, schnappte sie sich im Vorbeigehen noch zwei abgepackte Lunchpakete, welche sie zuvor vom Tisch aus gesehen hatte. Eines für die Schule, das andere für Skye, welcher sicherlich schon am Verhungern war. Als sie zurück in ihr Zimmer kam stellte sie dem kleinen Mann sein Essen bereit und schnappte sich ihre Tasche. Noch einmal sah sie zurück ins Bett, wo der Schwarz-Blauhaarige immer noch tief und fest schlief und durch nichts aufzuwachen schien. Rin musste kurz schmunzeln, denn das erinnerte sie an sich selbst. Ein Wunder, dass sie heute nicht verschlafen hatte und frühzeitig fertig war.   Endlich im Lehrerzimmer angekommen, meldete sich die Blauhaarige an und wurde im Anschluss von ihrem Klassenlehrer, Herr Nishima, mit zu ihrer neuen Klasse genommen. Es war ein recht junger Lehrer mit dunkelbraunen, gut durchgestuften schulterlangen Haaren. Sie schätzte ihn auf Anfang 30. Wie die Oberschülerin kurz darauf am Schild über der Klassenzimmertür erkennen konnte, handelte es sich bei ihrer neuen Schulklasse um die 2C. Nach einer kurzen Ansprache des Lehrers durfte sie schließlich eintreten und stellte sich nervös vor: „H-Hallo, ich bin Rin Aikawa und ab heute auch auf dieser Schule. Auf ein gutes Miteinander.“ Daraufhin verbeugte sie sich nochmal förmlich und ließ ihren Blick durch die Klasse schweifen. Erstaunt blickte sie dabei in ein ihr bekanntes Gesicht, welches sie lieb anlächelte. Es war Ruri, die sich soeben zu freuen schien, dass die Blauhaarige in ihre Klasse gekommen war. Doch leider war in ihrer Nähe kein Platz mehr frei, wie die Oberschülerin schnell feststellte. Lediglich in der letzten Reihe waren noch drei Tische nebeneinander frei, wovon ihr der an der Fensterseite zugewiesen wurde. Unvorbereitet folgte sie schließlich dem Unterricht und versuchte zu verstehen um was es ging. Da sie allerdings sowieso schon keine gute Schülerin war, gestaltete sich das als schwieriger als gedacht. Umso erleichterter war sie, als es endlich zur Pause läutete und sie ein wenig abschalten konnte. Jedoch war auch das keine Entspannung für das Mädchen, weil sie plötzlich von mehreren ihrer neuen Mitschüler belagert wurde, die ihr unzählige Fragen stellten. „Wieso bist du denn erst jetzt an unsere Schule gewechselt?“, fragte eine ihrer Klassenkameraden. Ein anderer junger Mann war ebenfalls sehr neugierig: „Wo warst du denn vorher?“ „Was machen deine Eltern denn beruflich?“, hörte die Fragerei nicht auf. Als die Blauhaarige dann endlich mal zu Wort kam, erklärte sie ihren neuen Mitschülern was immer sie wissen wollten: „Ich kommen eben erst von einem Auslandsjahr wieder. Da ich zwischenzeitlich mein Stipendium verloren hatte, war ich die erste Woche auf der Aehara Highschool. Aber nun habe ich es wieder und kann hier sein.“ Kurz überlegte Rin noch wie sie erklären sollte was ihr Vater arbeitete: „Mein Vater ist eine Art Wissenschaftler.“ Man konnte gut erkennen wie die Gesichtszüge der anderen Oberschüler etwas entgleisten, als sie ihr zuhörten. Eine der Schülerinnen hakte aus Neugier aber dennoch mit kritischem Blick nach: „Eine Art Wissenschaftler? Also kein richtiger oder wie? Und was erforscht er so?“ So langsam realisierte das Mädchen, dass die Klasse scheinbar nicht sehr begeistert von ihren Erzählungen war und versuchte sich irgendwie herauszureden. Blöderweise war das schwieriger als gedacht, denn sie hatte keinerlei Möglichkeiten mit irgendetwas anzugeben: „Ähm… also… Mein Vater arbeitet sehr hart und konnte schon den einen oder anderen Erfolg verbuchen. Er ist wirklich gut in seinem Job.“ „Klingt aber nicht so, als hätte er schon einen Durchbruch oder sowas gehabt“, legte eine andere Schülerin den Kopf schief. „Na ja…“, wurde die Neue immer weiter in die Ecke gedrängt und wusste sich nicht zu helfen. Natürlich kam dann auch irgendwann die Frage auf ihre Mutter. Allerdings gab die Stipendiatin darauf keine Antwort und schwieg ihre neuen Mitschüler mit leicht bedrückter Miene an. Das Thema wurde allerdings auch schnell wieder abgehakt, weil einer ihrer neuen Klassenkameraden es ziemlich plötzlich wechselte: „Bist du eigentlich Ruri Miunas Schwester? Ihr seht euch echt verdammt ähnlich.“ „Ja stimmt, jetzt wo du es sagst“, raunte es durch den halben Raum und viele erwartungsvolle Augenpaare durchlöcherten die Neue. „Ähm… Was?“, hatte sie diese Frage so gar nicht erwartet, „N-Nein? Ich kannte Miuna-chan bis vor kurzem nicht mal.“ „Vielleicht bist du ihr verschollener Zwilling?“, ertönte es aus dem Schülerhaufen. Was zum Teufel war mit der Fantasie ihrer neuen Klasse verkehrt? Hatten die zu viele Dramaserien gesehen? „Wann hast du Geburtstag, Aikawa-chan?“, fragte einer der Jungs vor ihr. „Am 1. Juli. Aber das ist Schwachsinn, dass wir verwandt sind“, fügte Rin hinzu. Auch die Eisblauhaarige wurde daraufhin nach ihrem Geburtsdatum gefragt: „Wir können gar keine Schwestern oder so sein. Ich wurde am 8. Juli geboren. Außerdem können sich unsere Familien gar nicht kennen, da der Firmensitz meiner Eltern in einer ganz anderen Stadt ist.“ Kurz ertönten die wildesten Ideen darüber, dass die beiden Mädchen doch noch auf irgendeine Weise verwandt sein könnten. Jedoch wurden diese schnell wieder verworfen, weil die Schüler selbst schon bemerkten, dass es völlig absurd klang. Immerhin ist man nicht gleich verwandt nur weil man sich etwas ähnlichsah. Das musste wohl einfach an den Haaren und Augen liegen, denn sie wiesen dieselben Farben auf. Der Unterschied bestand lediglich darin, dass Ruris im Gesamten heller waren. Es dauerte nicht lange, bis die Schülerschar schließlich gelangweilt von den Mädchen abließ und von dannen zog.   Als endlich die lang ersehnte Mittagspause heranbrach, zeigte Ruri der neuen Schülerin ein wenig den Campus und erklärte wo sie welche Räume und Einrichtungen finden würde. Auch auf dem Sportplatz kamen sie vorbei und natürlich stoppte Rin beim Mädchen Lacrosse Team und sah ihren neuen Teammitgliedern beim Trainieren zu. Man konnte richtig die Begeisterung in ihren blauen Augen sehen, die wohl auch einem der trainierenden Mädels auffiel. Sie hatte schwarze kurze Haare, welche zu einem seitlichen Zopf hochgebunden waren und kam schnurstracks auf die beiden Blauhaarigen zu. Direkt sprach sie den Neuzugang an: „Bist du neu hier? Ich habe dich noch nie gesehen.“ „Ja, ich bin seit heute an dieser Schule dank meines Sportstipendiums“, beantwortete sie die Frage. „Oh“, kam es erstaunt aus der Lacrosse Spielerin, „Für welche Sportart hast du denn ein Stipendium bekommen?“ „Für diese hier“, deutete die Oberschülerin auf die trainierende Mannschaft. Etwas überrascht blickte ihr Gegenüber drein: „Das ist ja merkwürdig. Es liegt gar keine neue Anmeldung vor. Wie heißt du denn?“ Die Stipendiatin legte den Kopf schief: „Ich bin Rin Aikawa. Heißt das, ich muss mir einen Anmeldebogen organisieren und den ausfüllen?“ „Schön dich kennenzulernen“, schüttelte sie ihr die Hand, „Mein Name ist übrigens Mikiko Sachihara. Ich bin die Kapitänin des Mädchen Teams. Und wenn du hier mitmachen willst, dann müsstest du dich wirklich erstmal anmelden.“ Verstehend nickte die Blauhaarige, ehe sie sich wieder verabschiedete. „Ich nehme an, dass du dich sofort anmelden willst, oder?“, hakte die Eisblauhaarige nach, „Wobei ich wirklich nicht verstehe, warum das nicht automatisch passiert ist. Immerhin hast du doch deswegen erst das Stipendium bekommen, oder?“ „Das verstehe ich auch nicht, aber Recht hast du, denn ich will mich am besten sofort anmelden“, winkelte sie voller Tatendrang ihre Arme an und ballte die Fäuste. Ruri kicherte leicht auf und gab ihr daraufhin im Schülerratszimmer eines der Anmeldeformulare, welches die Oberschülerin direkt ausfüllte. „Ich werde dann sofort alles in die Wege leiten“, nahm sie das ausgefüllte Papier an sich. „Was bin ich froh, dass ich dich kennengelernt habe und du auch noch im Schülerrat bist“, atmete Rin laut auf. Wieder musste die Eisblauhaarige ein wenig Schmunzeln und schien froh, dass sie eine Hilfe sein konnte. „Aber mal was anderes: Findest du, dass wir uns ähnlich sehen?“, legte die Stipendiatin den Kopf schief. „Also, wenn ich ehrlich bin, dann haben wir schon eine gewisse Ähnlichkeit was das Aussehen betrifft“, setzte die Eisblauhaarige an, „Unsere Haare sind sich ähnlich. Deine sind nur dunkler. Ebenso die Augenfarbe.“ „Das ist zwar wahr, aber verwandt sind wir dennoch nicht, oder? Ich habe noch nie irgendetwas von irgendwelchen Miunas gehört“, gestikulierte die Neue wild. Ihr Gegenüber nickte: „Da hast du Recht. Meine Familie und die Miuna Group sind in einer anderen Stadt ansässig. Nur ich bin hier. Außerdem haben wir beide unseren eigenen Stammbaum, oder?“ „Ja, in meinem Stammbaum habe ich noch nie von dir gehört“, kam es von der Oberschülerin, „Außerdem sind meine Großeltern alle schon gestorben und Onkel oder Tanten habe ich gar keine. Du könntest nicht mal eine Cousine oder sowas sein.“ „Ich glaub unsere Klassenkameraden haben einfach zu wilde Fantasien“, kicherte Ruri amüsiert. „Wem sagst du das?“, musste auch die Blauhaarige lachen. Daraufhin aßen die beiden Mädchen noch schnell ihre Bentos auf, ehe es wieder klingelte und der Unterricht weiterging.   In der letzten Schulstunde hatten sie erneut ihren Klassenlehrer Herrn Nishima, welcher verkündete, dass nun der Klassensprecher gewählt werden sollte. Es erstaunte Rin zwar, dass dies noch nicht geschehen war, andererseits brauchte sie das eigentlich gar nicht zu wundern, denn selbst in ihrer vorherigen Klasse an der Aehara High war dies noch nicht geschehen. Immerhin musste man doch erstmal ein Bild von seinen Mitschülern bekommen, bevor man jemanden auswählen konnte. Eines der Mädchen meldete sich auf die Worte des Lehrers sofort und rief herein: „Nehmen wir doch einfach Miuna-chan. Sie ist zuverlässig und hat den Job schon in der Vergangenheit erfolgreich ausgeführt.“ Ein allgemeines Raunen erfüllte den Raum und Rin konnte nur Zustimmung aus allen Mündern wahrnehmen. Ein Blick zu Ruri verriet ihr allerdings ihre Unsicherheit. Es kam ihr so vor, als wolle die Eisblauhaarige diesen Job lieber nicht übernehmen. Irgendwie verständlich, denn Klassensprecher zu sein erforderte eine Menge Zeit und Verantwortung. Da das Mädchen aber auch schon im Schülerrat vertreten war, hatte sie sicherlich nicht die vorausgesetzte Zeit auch noch diese Aufgabe zu übernehmen. „Ruhe! Meldet euch bitte, wenn ihr etwas zu sagen habt“, versuchte Herr Nishima die Schüler wieder zum Schweigen zu bringen. Nachdem es wieder still war, fuhr er fort: „Es wäre schön, wenn es noch andere Freiwillige gäbe. Ich glaube Miuna-chan ist durch ihre Arbeit als Schülersprecherin schon genug ausgelastet, findet ihr nicht?“ Deutlich hörbar verschluckte sich der Neuzugang daraufhin an ihrer Spucke und hustete laut. Dies zog für den Moment einige Blicke auf sie. Hatte die Blauhaarige richtig gehört? Ihre neue Freundin war nicht nur im Schülerrat, sondern sogar gleich die Schulsprecherin?! Ernsthaft? „Wie wäre es, wenn die Neue die Aufgabe übernimmt?“, meldete sich einer ihrer männlichen Mitschüler, was auf erneute Zustimmung der Klasse stieß. Auserwählte versuchte jedoch dieser Verantwortung direkt wieder zu entkommen: „Wäre es nicht besser, wenn das jemand übernimmt, der keine weiteren Verpflichtungen hat? Ich bin durch mein Stipendium voll auf den Sportclub fixiert und arbeite nebenbei auch noch.“ Während ihre Mitschüler verstimmt dreinblickten, sah der Klassenlehrer diesen Einwand als sinnvoll an: „Ja, es wäre wirklich gut, wenn das jemand übernimmt, der keine weiteren Aufgaben oder Clubaktivitäten hat.“ Kurz überlegte er, wen er auserwählen könnte, als sich Ruri meldete: „Nishima-sensei, ich würde das Amt des Klassensprechers übernehmen, wenn sonst keiner freiwillig möchte.“ Man hörte deutlich die Erleichterung der anderen Schüler, als sich die Eisblauhaarige aus eigenen Stücken meldete. Einzig die Stipendiatin schaute verdutzt zu ihr herüber. Hatte sie nicht eben noch so ausgesehen, als wolle sie die Aufgabe nicht übernehmen? Woher kam plötzlich ihr Sinneswandel? „Bist du dir sicher, Miuna-chan? Du hast doch schon genug Aufgaben“, hakte der Lehrer nochmal nach, woraufhin er nur eine nickende Zustimmung bekam. „Okay, sehr schön“, schlug er die Hände zusammen, „Wer möchte Stellvertreter sein? Vielleicht ein Junge?“ Erneut zogen alle die Köpfe ein, was den Erwachsenen schwer aufatmen ließ. Sein Blick glitt durch den Saal und blieb schließlich an einem Schüler Hängen: „Yutaka Hazuki. Du bist der Stellvertreter.“ Sofort stand ein größerer junger Mann mit dunkelbraunem strubbligem Haar stramm, versuchte sich aber herauszureden. Natürlich ließ sich der Lehrer von seiner Entscheidung nicht beeinflussen, wodurch Auserwählter völlig entnervt in seinen Stuhl zurücksackte. Danach dauerte es nicht mehr lange bis es zum Schulschluss klingelte. Sofort eilte die Blauhaarige daraufhin zur neu erwählten Klassensprecherin herüber und überfiel sie regelrecht: „Miuna-chan! Wieso hast du das Amt plötzlich angenommen? Du wolltest das doch gar nicht, oder? Und du bist Schulsprecherin? Wieso wusste ich das nicht? Bist du wahnsinnig so viel Arbeit auf dich zu nehmen?“ Total außer Atem musste Rin daraufhin erstmal wieder Luft holen. Diese Lücke nutzte Angesprochene, um sich kurz zu erklären: „Du hast Recht. Zuerst wollte ich es nicht, aber dann fiel mir ein, dass es gut ist, um Punkte zu sammeln. Außerdem wollte ich nicht, dass es jemandem aufs Auge gedrückt wird, der gar keine Zeit hat.“ „Aber du hast doch auch keine Zeit!“, jammerte die Oberschülerin sie voll. „Mach dir mal keine Sorgen“, lächelte Ruri einfach nur. „Das wird schwer“, legte die Besorgte den Kopf schief, „Trotzdem verstehe ich nicht, wieso du dich so übertrieben reinhängst in all das. Wie kann man freiwillig Schulsprecherin und Klassensprecherin sein? Bist du vielleicht auch noch Jahrgangsbeste, wie in einer Dramaserie?“ „Nein, bin ich leider nicht“, grinste sie schief, „Ich bin nur Zweitbeste. Aber ich muss mich einfach reinhängen, verstehst du?“ „Nicht wirklich“, klatschte sich die Blauhaarige die Hand ins Gesicht, „Wie kann man so perfekt sein? Wo ist der Haken?“ Kurz schwieg die Eisblauhaarige und sah unter sich, während ihr Gegenüber eine Antwort erwartete. Unwillkürlich konnte die Blauhaarige daraufhin den Gesprächen ihrer aufbrechenden Mitschüler lauschen. Sie vernahm die Unterhaltung zweier Mädchen: „Der Suzuki-Prinz war heute gar nicht da. Ob er vielleicht krank ist?“ „Das wäre ja schrecklich. Hoffentlich ist er morgen wieder da“, antwortet die Andere beim Herausgehen. Auch die Jungs hatten ihren Mitschülerinnen zugehört und fluchten nur: „Der soll ruhig öfters fehlen. Alle Mädels fliegen nur auf ihn, das nervt!“ Ein weiterer stimmte ihm zu: „Wo du Recht hast. Er raubt uns sämtliche Chancen bei den heißen Schnitten.“ „Und das obwohl er damals eine richtig krasse rebellische Phase hatte in der jeder Angst vor dem Kerl hatte“, vernahm die Oberschülerin eine weitere männliche Stimme. Was redeten die da nur? Und vor allem von wem? Die Blauhaarige musste direkt unwillkürlich an Kuro denken. Dieser konnte jedoch unmöglich als „Suzuki-Prinz“ gelten, da er der totale Rüpel war. „Dann gibt es an dieser Schule also noch einen anderen Suzuki“, grübelte die Stipendiatin im Stillen, „Ob er wohl mit Kuro verwandt ist? Vielleicht ein Bruder oder Cousin?“ Mittlerweile war der Klassenraum fast schon menschenleer, wodurch eine kurze Stille hereinbrach, die das Mädchen wieder zurück in die Realität katapultierte. Ruri saß immer noch schweigsam da, während Rin nun realisierte, dass sie irgendetwas tun musste. Hatte sie etwa einen Nerv getroffen mit ihrer Aufdringlichkeit? Sollte sie sich nun entschuldigen? Was passierte hier gerade? „Ähm… t-tut mir leid. Ich bin dir wohl zu nahe getreten“, kratzte sich das Mädchen am Hinterkopf und blickte verlegen in eine andere Richtung. „Nein, nein. Ist schon in Ordnung“, kam es sanft aus der Schweigsamen, „Aber du irrst dich, denn ich bin nicht perfekt. Im Gegenteil. Meine Eltern haben mich in dieser Stadt im Wohnheim einquartiert, weil sie mich hassen. Deshalb versuche ich eine gute Tochter zu sein, damit sie mich nicht mehr abstoßend finden.“ Ein schockierter Blick traf das Mädchen und der neuen Schülerin stockte regelrecht der Atem. Ihre Freundin schien ein ernsthaftes Problem in der Familie zu haben. Es erinnerte sie ein wenig an ihre eigene kaputte Familie. Doch im Gegensatz zu ihr selbst, schien es die Schulsprecherin wirklich sehr zu belasten, dass ihre Eltern sie nicht wahrnahmen. „Ach das ist doch Blödsinn. Deine Eltern sind durch die Arbeit sicher viel beschäftigt. Und damit es dir trotz allem gut geht, schicken sie dich eben auf diese abgefahren noble Akademie“, legte sie ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter. „Danke, Aikawa-chan“, lächelte die Eisblauhaarige bedrückt, „Trotzdem glaube ich das nicht. Aber wenn ich mich anstrenge wird das schon.“ „Sicher?“, erntete sie einen besorgten Blick. „Ja“, erwiderte Ruri gespielt fröhlich, „Nun beeil dich lieber mal. Du willst doch noch in den Club gehen, oder?“ Unsicher ließ sie schlussendlich von ihrer Freundin ab und wandte ihr den Rücken zu, um ihre Schultasche zu holen. Da ertönten plötzlich wieder die ihr bekannten Worte: „I am thou. Thou art I.“ Schlagartig drehte sich die Blauhaarig daraufhin zu der Klassensprecherin herum und durchlöcherte sie förmlich mit ihrem Blick. Angestarrte zuckte nur zusammen durch diese plötzliche Reaktion: „I-Ist alles okay?“ „Äh… J-ja. Sorry“, folgten die Augen der Oberschülerin dem blauen Schmetterling, welcher die Eisblauhaarige zuerst umkreiste und dann davonflog und verblasste. „Ein Social Link?“, murmelte sie nur. „Was ist das?“, wurde sie von der Schulsprecherin nur mit fragenden Augen angesehen. „N-nichts. Vergiss es“, grinste Rin schief und verließ mit einer kurzen Verabschiedung schnell das Klassenzimmer. Während sie eilig zum Club hechtete, schaltet sie kurz ihr Horo ein, um den neuen Social Link zu begutachten: „Miuna-chan ist also „The Empress“? Die Herrscherin? Wie soll das denn bitte zusammenpassen?“   Kapitel 11 - Laufbursche lauf! ------------------------------ Montag, 13. April 2015   Es war bereits später Nachmittag, als Rin freudig am Lacrosse Training auf dem Sportplatz teilnahm. Die Kapitänin, Mikiko Sachihara, wollte den Neuzugang auf ihr Können testen und unterzog sie einem kleinen Sondertest. Gebannt starrten die übrigen Mitglieder auf das Geschehen und staunten nicht schlecht, wie die Blauhaarige mit dem Ball im Schlägernetz ihre Gegner geschickt umdribbelte. Es wirkte beinahe so, als sei es das einfachste der Welt, wenn man dem Mädchen zusah, wie es mit leichten Sohlen Haken schlug und sich dem Tor näherte. Mit strahlendem Gesichtsausdruck schien sie völlig in ihrem Element zu sein, während sie versuchte zu punkten. Ihre letzte Gegnerin vor dem Tor schien sie allerdings nicht umgehen zu wollen. Stattdessen sprang sie unmittelbar vor dem Mädchen plötzlich überraschend in die Höhe und pfefferte zeitgleich den Ball mit voller Wucht problemlos ins Tor. Noch vollkommen perplex starrte die Torhüterin zu der Neuen herüber, welche mit Leichtigkeit wieder auf ihren Füßen landete. Eine kurze Stille legte sich über die Mannschaft, in der alle versuchten zu realisieren, was in den letzten Sekunden passiert war. Diese jedoch hielt nicht lange an, da die Oberschülerinnen zu jubeln begannen und den Neuzugang plötzlich voller Begeisterung belagerten: „Du bist ja wahnsinnig geschickt und flink!“ „In welcher Mannschaft warst du zuvor?“, wollten einige wissen. Andere gaben auch ihrer Begeisterung Ausdruck: „Du könntest glatt in die Startaufstellung kommen, wenn du so weitermachst.“ Wie wild plapperten sie noch kurz durcheinander und gaben Rin keinerlei Chance auch nur auf irgendetwas antworten zu können. Stattdessen kratze sich die Neue verlegen am Hinterkopf und grinste schief. Es dauerte kaum eine Minute, da ertönte plötzlich eine laute Trillerpfeife und schlagartig kehrte Ruhe ein. Mit suchendem Blick sah die Blauhaarige schließlich wer da soeben gepfiffen hatte. Es war Mikiko, die ihren Teamkameraden einen bösen Blick zuwarf, welcher scheinbar reichte, um für Disziplin zu sorgen. Sie hatte sich einfach die Pfeife geschnappt, welche noch immer um dem Hals der Managerin hing. Diese schien völlig überfordert mit der Situation und zitterte panisch. Bevor die Schwarzhaarige allerdings dazu ansetzen konnte die Mädchen zu tadeln, ertönte plötzlich eine andere Stimme am Spielfeldrand: „Entschuldigt die Störung. Ich müsste mir mal Aikawa-chan ausborgen.“ Sofort richteten sich alle Blicke zur unbekannten Stimme, welche einem Mädchen mit hellen brünetten Haaren gehörte. Sie waren auf ihrer rechten Seite teilweise zu einem kleinen Zopf zusammengebunden und eine rote Haarklammer fixierte den rechten Teil ihres Ponys nach hinten. Sie trug die Schuluniform der Akademie und Rin konnte an ihrer blauen Schleife erkennen, dass sie ebenfalls ins zweite Jahr ging. Statt der Uniformjacke hatte sie die schwarze langärmelige Strickjacke angezogen, welche an den unteren Knöpfen geschlossen war. Passend dazu trug sie die schwarze Bluse und den gelben karierten Rock. Statt der weißen Overknees hatte sie schwarze an und auch ihre Schuhe waren nicht die offiziellen braunen Lederslipper, die jeder tragen sollte. Die Brünette entschied sich stattdessen für braune Stiefeletten. Im Gesamtbild erschien sie der Blauhaarigen sehr sympathisch, da sie keiner dieser Langweiler war, die strikt die Regeln befolgten. Aber wer war sie und was wollte sie so plötzlich von dem Neuzugang des Lacrosse Teams?   „Entschuldige, dass ich dich einfach aus dem Training gerissen habe, aber es ist wirklich wichtig“, erklärte die Brünette, während die beiden Mädchen mit schnellem Schritt den Sportplatz verließen. „Was ist denn passiert?“, verstand die Blauhaarige gar nichts, „Und wer bist du eigentlich?“ „Ach stimmt, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Shina Minatsuki und ich gehe in die 2A. Wir sind uns schon mal begegnet. Weißt du noch?“, stellte sie sich vor. Kurz musste Rin überlegen wo sie ihr bereits über den Weg gelaufen war, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel: „Ach ja, stimmt. Du kamst aus dem Schülerratszimmer, als ich mit Yoshida-kun da war.“ „Genau“, nickte Shina mit einem Lächeln im Gesicht. „Bist du dann ein Mitglied des Schülerrats oder woher weißt du wer ich bin? Und wofür brauchst du mich?“, durchlöcherte sie ihre Entführerin. „Nein, nein ich bin kein Mitglied. Manchmal helfe ich nur etwas aus, wenn Not am Mann ist. Ich habe gar keine Zeit, für eine solche Aufgabe“, winkte sie ab, „Komm einfach mit. Alles Weitere klären wir dann, wenn wir da sind.“ Neugierig, aber zeitgleich etwas unwillig, folgte sie dem Mädchen zurück ins Schulgebäude. Eigentlich würde sie viel lieber mit dem Lacrosse Team trainieren, als durch die Gegend zu rennen. Schlussendlich standen die beiden Mädchen vor der Tür den Schülerrats, welche die Brünette sogleich aufzog und hineintrat. Verwundert darüber was die Blauhaarige hier sollte, trat sie ebenfalls ein und schloss die Tür wieder. „Na wurde ja auch mal Zeit, dass du hier eintrudelst, du Vertragsbrecherin!“, wurde der Neuzugang von einer ihr vertrauten Stimme angeraunzt. Kein geringerer als Kuro war es, der mal wieder mit seiner Höflichkeit glänzte. Er saß mit einem Haufen Papierkram und seinem Laptop alleine im Raum und schien ziemlich beschäftigt zu sein. „Was soll das denn heißen?!“, keifte Beschuldigte zurück, „Ich habe deinen dummen Vertrag nicht gebrochen!“ „Und was ist dann das hier?“, stützte der Schwarzhaarige seinen Kopf gelangweilt auf einer Hand ab, während er mit der anderen einen Zettel in die Höhe hielt. „Was soll damit sein?“, trat Rin näher heran, um erkennen zu können was er hochhielt, „Das ist meine Anmeldung fürs Lacrosse.“ „Du Schnarchnase sollst für mich arbeiten und nicht irgendwelche Bälle rumschmeißen! Hast du das etwa schon wieder vergessen?!“, meckerte der Suzuki-Erbe weiter herum. Genervt und voller Unverständnis ließ sie sich seine Worte nicht gefallen: „Selber Schnarchnase! Du hast vergessen dem Team Bescheid zu geben und mich anzumelden!“ „Warum zum Geier sollte ich dich im Lacrosse-Team anmelden?!“, schien langsam sein Geduldsfaden an seine Grenzen zu gelangen. „Bist du blöd? Ich habe ein Sportstipendium fürs Lacrosse!“, verschränkte das Mädchen die Arme, „Stand alles in den Unterlagen drin!“ Mit kritischem Blick starrte er das Mädchen kurz an, tippte daraufhin stillschweigend auf seinem Laptop herum und schnaubte daraufhin genervt. Siegessicher grinste Rin ihn an und war sichtlich amüsiert darüber, dass der ach so perfekte Suzuki-Erbe einen Fehler gemacht hatte. Entnervt fasste sich der Schwarzhaarige daraufhin an die Stirn, atmete laut aus und sah abwertend zur Stipendiatin herüber: „Eigentlich dachte ich ja, dass du nur bisschen dümmlich aussiehst. Aber wer hätte gedacht, dass du wirklich so hohl in der Birne bist, dass du nichts weiter kannst, als mit Bällen rumspielen? Deine Noten sind ja unterirdisch!“ „Geht’s noch?!“, wurde die Blauhaarige nun richtig wütend, „Wer ist hier bitte hohl?! Du warst es doch, der zu dumm war die Unterlagen richtig zu lesen! Außerdem waren meine Noten nur in Amerika so schlecht, weil ich Probleme mit der Sprache hatte!“ Gelangweilt schaute er wieder auf seinen Laptop, dann zurück zur wütenden Schülerin: „Nein. Das lag nicht an Amerika. Deine Noten in der Mittelschule sind genauso schlecht. Das ist ja erniedrigend für mich jemanden wie dich als meine Assistentin zu haben.“ Etwas überfordert und verwirrt zugleich blickte Shina während der Diskussion immer wieder vom einen zum anderen. Scheinbar hatte sie diesen Streit nicht kommen sehen. Generell sah sie sehr überrascht aus, schien sich aber mit der Dauer der Diskussion wieder zu fangen. Trotz allem hatte sie keine Idee, wie sie diese Situation entschärfen sollte. „Jetzt einen Rückzieher machen oder was? Du warst es doch der mich als Assistentin wollte, schon vergessen?!“, ließ sich Rin nicht mehr von ihm unterkriegen, „Und meine Noten waren gar nicht schlecht! Ich war im Durchschnitt!“ „Durchschnitt?!“, lachte Kuro hämisch und wollte soeben weiter auf der Oberschülerin rumreiten, als er unterbrochen wurde: „Jetzt reicht’s aber mal!“, wurde die Brünette laut, „Was ist los mit euch?! Sind wir hier im Kindergarten oder was?!“ Plötzliche Stille erfüllte den Raum und Kuro blickte ziemlich überrascht zu Shina herüber. Es hatte den Anschein, als hätte er niemals von ihr erwartet, dass sie so laut werden würde. Auch die Blauhaarige schaute irritiert zu dem Mädchen herüber, welches scheinbar von sich selbst etwas überrascht war und sich eine Hand vor den Mund hielt. Diese nahm sie jedoch schnell wieder herunter und schaute mit selbstsicherem Blick in die Runde: „Wir sind nicht hier zum Streiten. Lasst uns lieber eine Lösung finden.“ Kurz räusperte sich der Schwarzhaarige und versuchte sich zusammenzureißen. Vermutlich hatte er soeben eingesehen, dass er ziemlich kindisch herüberkam und war leicht peinlich berührt. Rin hingegen schien immer noch ein wenig verstimmt und schaute mürrisch drein. „Aikawa-chan kann doch nach dem Training noch arbeiten, oder? Und wenn das nicht reicht, gibt es ja auch noch das Wochenende. Um die verpasst Arbeit nachzuholen kann sie ja zusätzlich noch einen Wochenendtag abtreten. So muss keiner auf irgendwas verzichten“, versuchte die Brünette einen Kompromiss zu schließen. Während die Blauhaarige das Gesicht verzog, als sie Wochenendarbeit hörte, schien der Suzuki-Erbe ziemlich zufrieden zu sein: „Eigentlich ist das gar nicht mal so übel. Dann habe ich immer jemanden greifbar, weil ihr etwas versetzt arbeitet. Gut, ich bin einverstanden.“ Froh über seine Zustimmung atmete die Oberschülerin auf. Einzig der Neuzugang blieb verstimmt: „Dann habe ich ja gar nicht mehr frei.“ „Hast du einen anderen Vorschlag?“, hakte Shina kompromissbereit nach. Da dem Mädchen nichts Besseres einfiel, blieb sie stumm. Was hätte sie denn auch sonst vorschlagen sollen? Das Lacrosse Training würde sie sicherlich nicht ausfallen lassen und den Unterricht durfte sie nicht schwänzen. Und da es abgesehen von den Abenden unter der Woche scheinbar nur einer der beiden Wochenendtage betraf, war sie nochmal mit einem blauen Auge davongekommen. „Lasst uns das doch einfach mal ausprobieren mit diesem Zeitplan. Vielleicht ist das ja gar nicht so übel, wenn wir etwas versetzt arbeiten“, versuchte die Brünette die letzten Zweifel vorerst zu beseitigen. „Arbeitest du etwa auch für den?“, zeigte Rin mit dem Finger auf den Schwarzhaarigen, „Erpresst er dich mit irgendwas?“ Shina legte etwas verwirrt den Kopf schief, überlegte kurz und konnte noch antworten, bevor Kuro es tat: „Ja, ich arbeite als seine Assistentin. Wieso sollte er mich erpressen? Die Arbeit ist nicht übel und ich kann sogar einiges lernen.“ Es erweckte den Anschein, als würde die Brünette super mit ihrem Arbeitgeber zurechtkommen, was die Blauhaarige sichtlich irritierte. Wie konnte man mit einem Kotzbrocken wie diesem zusammenarbeiten? War ihr etwa nicht bewusste wie mies dieser Kerl in Wirklichkeit war? „Das ist aber ein Geheimnis, okay?“, legte sie ihren Zeigefinger auf die Lippen, „Ich möchte nicht, dass das die Runde macht.“ Verstehend nickte ihre neue Kollegin, fragte sich aber zugleich warum sie das Ganze geheim hielt. Generell verstand sie nicht was die Brünette dazu bewegte für diesen Vollidioten zu arbeiten. Aber im Moment wollte sie all das nicht genauer erörtern, sondern schnellstmöglich zurück zum Training.   Frisch geduscht machte sich Rin am frühen Abend nach dem Training auf den Weg zu Kuro. Wirklich Lust hatte sie nicht, aber da musste sie nun durch. Bei ihm angekommen erwartete sie wieder irgendwelches Gemecker. Dieses blieb jedoch aus und er schob ihr einen Zettel herüber und begann damit zu erklären, was sie erledigen sollte: „Hier habe ich dir aufgelistet was du heute noch abarbeiten musst. Zu den Adressen hier musst du hingehen und für mich dringliche Papiere abholen. Die Briefe hier müssen schnellstens zu den besagten Adressen gebracht werden. Außerdem muss das hier zur Bank und diese Kiste zum Waisenhaus im Aoichi-kû Viertel. Den Stapel kannst du zur Post bringen und mit diesem Schlüssel gehst du zum Suzuki-Postfach und holst meine Post ab. Wenn du mit dem Botengang fertig bist, kommst du wieder her und kümmerst dich um die Infoblätter. Die müssen zusammengetackert werden. Das war‘s dann vorerst.“ „Vorerst?“, fehlten der Blauhaarigen grade jegliche Worte und sie blickte mit aufgerissenen Augen zu dem ganzen Kram, der auf sie wartete. Wie sollte sie den Haufen Briefe auf einmal schleppen? Oder wie sollte sie die schwere Kiste ans andere Ende der Stadt befördern? Und an die riesigen Stapel der Infoblätter wollte sie erst gar nicht denken. Sie würde sicherlich eine Nachtschicht einschieben müssen, bis sie endlich fertig war. Nachdem Rin ihre Gedanken wieder geordnet hatte, entgegnete sie ihrem neuen Arbeitgeber: „Und wie soll ich deiner Meinung nach von A nach B kommen? Wenn ich die Straßenbahn oder U-Bahn nehmen soll, dann gib mir Geld. Ansonsten brauche ich einen Fahrer.“ „Einen Fahrer?“, lachte Kuro amüsiert, „Als ob ich einer Assistentin einen eigenen Fahrer geben würde. Nimm die Bahn oder laufe. Ist mir völlig egal, solange du den Kram am Ende abgearbeitet hast.“ Knurrend ballte das Mädchen die Fäuste und wollte soeben protestieren, als der Suzuki Erbe sogleich einen kleinen Anstecker aus seiner Hose kramte und auf den Tisch legte: „Hier nimm den.“ Neugierig nahm sie den rautenförmigen Pin auf und begutachtete ihn. Es war ein goldenes Glöckchen mit einer schwarzen Schleife auf einem bronzenen Hintergrund darauf abgebildet. Umrandet war der Anstecker mit einem dünnen schwarzen Rahmen und auf der Rückseite war sogar eine Seriennummer eingraviert. Im Gesamtbild wirkte er ziemlich edel und teuer, obwohl er dem Mädchen eher nutzlos erschien. „Was soll ich mit dem Teil? Gegen Geld eintauschen oder was?“, verschränkte sie die Arme. „Es fasziniert mich, dass du einfach gar nichts weißt“, schnaubte der junge Mann sichtlich genervt, „So gut wie jeder in dieser Stadt weiß, dass der Anstecker ein Symbol des Suzuki Multikonzerns ist und als eine Art Ausweis gilt. Damit kommst du beinahe überall rein, hast diverse Sonderrechte und kannst zum Beispiel auch kostenlos mit allen Bahnen innerhalb der Stadt fahren.“ „Krass“, bestaunte sie den kleinen Anstecker und merkte mal wieder, dass sie in einer ganz anderen Welt aufgewachsen war. „Noch eins“, mahnte der Schwarzhaarige, „Solltest du den Pin verlieren, gibt’s keinen Ersatz. Pass also lieber gut drauf auf.“ „Ja, ja. Ich bin ja nicht bescheuert“, war die Oberschülerin genervt von seiner Ermahnung, „Sag mir lieber wann wir Ami da rausholen. Das ist viel wichtiger.“ „Ich habe keine Zeit für so einen Kindergarten. Geh mit Akira dieses Spiel spielen oder lass es. Als ob deine Freundin an zwei Orten gleichzeitig ist“, meckerte er sie an. „Dann gehe ich eben alleine!“, streckte sie ihm die Zunge raus, „Ich bin eh nicht auf deine Hilfe angewiesen du Blödmann!“ „Solange du die Arbeit vorher erledigst ist mir das scheißegal“, zuckte der Oberschüler mit den Achseln. Knurrend vor Wut, schnappte sie sich den ersten Stapel mit den Briefen, welche zu den Adressen gebracht werden mussten und stiefelte davon.   Auf dem Weg zur Shiroshi Central Station versuchte Rin sämtliche Schreiben nach den Bezirken zu ordnen, um systematischer vorgehen zu können. Anschließend organisierte sie sich einen Plan der Bahnen und eine Stadtkarte. Am Informationsschalter fragte sie nach einer Fahrkarte und zeigte zugleich den Anstecker, welchen sie an ihrem Kragen befestigte. Sofort setzte sich der nette Herr am Tresen in Bewegung und kurz drauf, hatte er ihr eine kostenlose Jahresdauerkarte für U-Bahn und Straßenbahn innerhalb der Stadt ausgestellt. Erstaunt darüber wie viel Macht dieser einzelne kleine Pin hatte, begutachtete sie ihre neuste Errungenschaft und freute sich wie eine Bekloppte. Natürlich schaffte es die Oberschülerin nicht alles zu koordinieren und fuhr einige Male im Kreis oder wieder zurück, da es enorm viele Anlaufstellen gab. Sie versuchte zeitgleich die Stellen abzuklappern an welchen sie etwas abholen sollte, verlief sich regelmäßig und irrte wie eine verlorene Seele durch ganz Aehara. Es war absolut nicht von Vorteil, dass die Blauhaarige so orientierungslos war, denn dadurch büßte sie nur ihre kostbare Zeit ein. Gegen Ende ihrer Abholtour kam sie sogar bei der Autowerkstatt im Stadtbezirk vorbei. Sie fragte sich, was sie dort wohl abholen sollte und klopfte vorsichtig an der Tür ehe sie eintrat. „Kann ich dir weiterhelfen?“, vernahm die Oberschülerin eine männliche Stimme und suchte nach dessen Besitzer. „Äh ja“, fand sie einen violetthaarigen jungen Mann, welcher soeben damit beschäftigt war eine Flüssigkeit unter der Motorhaube eines Autos aufzufüllen, „Suzuki schickt mich, um was abzuholen.“ „Sag mal, hat der eine Meise?“, wandte der Violettharige seinen Blick nicht einmal von der Flüssigkeit ab. „Sowieso“, bekam er direkt eine Antwort, woraufhin er grinsen musste. Endlich war er mit dem Nachfüllen fertig, drehte den leeren Kanister wieder zu und schritt auf die Botin zu: „Ich nehme mal an, dass du noch kein Auto fahren kannst, oder?“ Leicht perplex schüttelte die Blauhaarige den Kopf zur Antwort, während sie den jungen Mann erstaunt anstarrte. Er hatte eine ziemlich auffällige Brandnarbe auf seiner rechten Gesichtsseite. Zwar waren seine Haare auf dieser Seite ziemlich lang und verdeckten einen Großteil davon, dennoch konnte man die Narbe nicht übersehen. Außerdem hatte er recht braune Haut. Rin fragte sich, ob er wohl aus dem Ausland war, konnte es aber nicht erraten. Vielleicht war er auch einfach nur häufig in der Sonne? In seinen Haaren trug er ein blaues Band, welches hinten gebunden wurde und an seinem freiliegenden Ohr erkannte das Mädchen zwei Piercings. Am Oberkörper hatte er sich eine schwarze Lederjacke übergezogen, welche mit magentafarbenen Akzenten gespickt war. Dazu trug er eine schwarze zerrissene Hose, die er in seine Stiefel gesteckt hatte. Grade, als der Mechaniker erneut ansetzen wollte, um etwas zu sagen, klingelte das Telefon im angrenzenden Büro. Mit einer schnellen Entschuldigung verschwand er daraufhin kurz, um den Anruf zu beantworten. Kaum eine Minute später war er auch schon wieder da und schritt auf die Oberschülerin zu: „Das war grad der Suzuki Knabe. Als hätte er hellgesehen oder so.“ „Was wollte er denn?“, hakte Angesprochene nach. „Hier“, wurden ihr ein Autoschlüssel und ein Brief hingehalten. Vermutlich war dort die Rechnung drin. „Nimm das einfach mit. Das Auto wird erst abgeholt, wenn wir bereits geschlossen haben, deswegen solltest du schon mal den Schlüssel holen. Da unser Autoparkplatz nicht abgesperrt wird, kann die Karre später problemlos mitgenommen werden“, erklärte der junge Mann. Daraufhin bedankte sich das Mädchen und machte sich wieder auf den Weg. Trotz allem fragte sie sich wer den Wagen wohl abholen würde und wieso erst so spät?   Noch längere Zeit war Rin mit ihrem Laufburschenjob beschäftigt. Sie kam noch einige Male zur Oberschule zurück, um geholte Dinge zu bringen und Wartendes mitzunehmen. Es dauerte seine Zeit bis sie alle weiteren Briefe zur Post gebracht hatte oder die Bank gefunden hatte. Auf halbem Weg fiel ihr dann auf, dass sie vergessen hatte Kuros Postfach bei der Poststelle zu leeren und musste sich erneut auf den Weg machen. Fertig mit der Welt kam sie schlussendlich mit Unmengen an Briefen und Päckchen wieder im Schülerrat an. „Du bist echt lahm“, begrüßte sie Kuro freundlich wie immer. „Ich war in fast jedem Stadtteil von Aehara!“, keifte sie ihn an, „Die Bahnen fahren leider nicht schneller!“ „Shina schafft das beinahe doppelt so schnell wie du und ist dann im Gegenteil zu dir schon mit allem fertig“, warf er ihr einen kritischen Blick zu. „Ich bin auch fertig!“, protestierte die Oberschülerin. Im selben Atemzug wanderte ein fordernder Blick des Suzuki-Erben von seiner neuen Assistentin hin zur Kiste, welche noch nicht im Waisenhaus abgegeben wurde. Quengelnd versuchte das Mädchen sich dagegen zu wehren das schwere Teil durch die Stadt zu schleppen, erhielt jedoch keine Gnade. Mühselig zerrte sie schließlich noch ihren letzten Wanderauftrag an besagten Ort, indem sie mit der U-Bahn die schnellste Route zum Hauptbahnhof wählte, um dort auf die Straßenbahn umzusteigen. Draußen war es mittlerweile sogar schon dunkel geworden, als sie endlich das Waisenhaus fand. Vorsichtig klingelte sie, woraufhin eine ältere grauhaarige Dame die Tür öffnete. „Guten Abend. Suzuki schickt mich, um diese Kiste hier abzugeben“, überreichte das Mädchen die schwere Box. „Ach wie schön, dass er an uns denkt. Ayumu ist so ein lieber Junge“, lächelte die Grauhaarige sanft, „Komm doch noch auf einen Tee mit rein Liebes. Die Kinder freuen sich sicher.“ Verlegen versuchte sie sich herauszureden: „Ähm… also. Ich habe eigentlich keine Zeit.“ Während die Blauhaarige versuchte sich aus der verzwickten Situation zu befreien, hatte die ältere Dame sie schon ins Gebäude geschoben und zum Teetrinken in einen gemütlich wirkenden Raum gesetzt. Einige der Waisenkinder waren noch wach gewesen und belagerten aufgeregt die Kiste, aus welcher sie allerlei Spielsachen herausholten. Aufgedreht tobten sie herum und freuten sich riesig darüber, was der Grauhaarigen ein freudiges Lächeln bescherte. „Onee-san?“, tippte plötzlich eines der Mädchen Rin an, „Wo ist Ayu-onii-chan? Kommt er uns mal wieder besuchen, um mit uns zu spielen?“ Komplett sprachlos starrte die Blauhaarige das Kind an und musste wirklich angestrengt darüber nachdenken, ob mit besagtem Ayumu wirklich Kuro gemeint war. Es war absolut undenkbar, dass dieser Vollidiot als ein lieber Junge betitelt wurde, geschweige denn, dass er mit den Kindern spielen würde. „Er kommt bestimmt bald mal wieder zu Besucht“, strich die Älteste der Kleinen über den Kopf, „Wie du weißt hat er ganz viel zu tun und fast gar keine Zeit zum Spielen.“ „Mano…“, schmollte die Kleine. Nun fand auch die Oberschülerin ihre Stimme wieder: „Ich sag ihm Bescheid, dass er mal wieder vorbeikommen soll, okay?“ „Ja!“, wandelte sich ihr Schmollgesicht in pure Freude.   Nach einer gefühlten Ewigkeit verabschiedete sich das Mädchen endlich wieder von den Kindern und der netten älteren Frau. Schnurstracks nahm sie daraufhin die nächste Straßenbahn zum Hauptbahnhof. „Ich verstehe nicht wirklich was hier grade abging“, grübelte sie im Stillen, „Welche Verbindung haben diese Menschen zu Kuro? Bin ich etwa die Einzige, die in ihm diesen unfreundlichen Mistkerl sieht? Selbst Minatsuki-chan scheint keine Probleme mit ihm zu haben. Sind die blind?“ Gedankenversunken stieg die Stipendiatin am Hauptbahnhof aus der Straßenbahn aus. Statt jedoch in Richtung der U-Bahn zu laufen, spazierte sie in eine komplett andere Richtung und stand kurz darauf vor einem Fastfood Restaurant. „Erstmal muss ich jetzt was essen“, stemmte das Mädchen ihre Hände in die Hüfte, „Den noblen Kram aus dem Wohnheim bin ich jetzt schon leid.“ In Gemütsruhe verdrückte sie genüsslich zwei Hamburger, bevor sie sich wieder auf den Weg machte. Kaum war Rin die Eingangstür hinausgegangen, lief sie gradewegs in einen großgewachsenen Kerl hinein. „Tut mir leid“, wich die Blauhaarige einen Schritt zurück, „Ich habe dich nicht gesehen.“ „Pass gefälligst besser auf!“, packte der Unbekannte die Schülerin am Kragen und sah sie zornig mit einem giftgrünen Augenpaar an. „I-Ich habe mich doch entschuldigt. Lass mich los“, versuchte sie sich aus dem Griff des Fremden zu befreien. „Vergiss es, Kleine“, verspürte ihr Gegenüber pure Aggression und machte Andeutungen sie verprügeln zu wollen. Jedoch wurde er beim genaueren Betrachten der Jüngeren auf ihren Anstecker aufmerksam und sein zorniger Ausdruck verwandelte sich in ein hämisches Grinsen: „Oho was haben wir denn da? Dein hübscher Anstecker hier verrät mir, dass du scheinbar einen Haufen Kohle wert bist. Das kommt mir gelegen.“ Wehrlos zitterte die Blauhaarige am ganzen Leib und verfiel in eine Starre, als der gruselige Kerl den Suzuki-Pin, an ihrem Kragen genauer begutachtete. Rins Blick wanderte währenddessen über den Rüpel. Er hatte schwarze, gut durchgestufte längere Haare, welche ihm weit ins Gesicht ragten und an den Spitzen giftgrün ausliefen. Über seine Nase zog sich eine waagerechte Narbe und seine Ohren zierte jeweils ein Piercing. Seine schwarze ärmellose Lederjacke mit giftgrünen Akzenten trug er offen über seinem dunkelgrünen Shirt und in seinen schwarz-grünen Springerstiefeln steckte eine weite, ziemlich zerfetzte schwarze Hose. Um seine Hüfte konnte Rin einen Nietengürtel und ein genauso grelles grünes Tuch hängen sehen. An seinen Händen hatte er sich schwarze fingerlose Lederhandschuhe angezogen und ab seinen Handgelenken ragten an den Unterarm aufwärts grüne flammenartige Tattoos hervor. Auch die beiden Ketten mit den violetten und silbernen Anhängern, welche der junge Mann um den Hals trug, blieben der Blauhaarigen nicht verborgen. Jedoch war das für die Oberschülerin alles zweitrangig, denn sie wollte einfach nur weg von der Gestalt. „Ey! Phoenix! Kommst du oder was?!“, erschallte eine männliche Stimme aus weiterer Entfernung. „Gleich!“, brüllte der Schwarz-grünhaarige zurück, „Hab hier was Interessantes gefunden!“ „Mach hinne!“, kam nur als Antwort zurück und das Gespräch der beiden war beendet. „Wo waren wir stehengeblieben?“, drückte er das Kinn der Schülerin nach oben, um ihr Gesicht besser sehen zu können. Plötzlich hörte man von weitem laute Motorengeräusche und einige Sekunden später kam ein Motorrad mit quietschenden Bremsen vor den beiden zum Stehen. Als der Fahrer den Helm abnahm, staunte Rin nicht schlecht, denn es handelte sich bei ihm um den Violetthaarigen, den sie zuvor in der Autowerkstatt angetroffen hatte. „Was willst du? Verpiss dich!“, raunzte der Schwarz-grünhaarige den Motorradfahrer genervt an. „Lass das Mädchen in Ruhe. Sie hat dir nichts getan“, blieb der Mechaniker ruhig. Verärgert schnalzte der Tätowierte mit der Zunge: „Tz. Das wird mir grad zu blöd.“ Ohne ein weiteres Wort zog er daraufhin von dannen, was die verängstigte Oberschülerin aufatmend hinterherschauen ließ. Dabei entdeckte sie auf der Rückseite seiner Jacke eine Art Logo, welches die Buchstaben „SD“ enthielt. Darunter prangerte ein grimmig blickendes Gesicht mit zwei Teufelshörnern. Noch bevor die Blauhaarige darüber nachdenken konnte was genau das wohl zu bedeuten hatte, klärte ihr Retter sie auf: „Das war der Anführer der Straßengang Suicide Demons. Dort ist er unter dem Namen Phoenix bekannt. Du solltest dich vor ihnen in Acht nehmen, denn sie schrecken vor nichts zurück.“ „Du kennst dich aber gut aus“, legte Rin den Kopf schief, „Aber danke, dass du mich gerettet hast. Obwohl ich nicht gedacht hätte, dass sich der Kerl so einfach vertreiben lässt.“ „Keine Ursache. Aber lauf gefälligst nicht im Dunkeln alleine herum, Kleine“, rügte er die Jüngere. „Ja, ja. Das war doch keine Absicht. Ich heiße übrigens Rin Aikawa und nicht Kleine“, erklärte sie. Auch der Violetthaarige stellte sich nun vor: „Konnte ich ja nicht wissen. Ich bin Kyoya Kitajima. Komm, ich fahre dich nach Hause, bevor noch so ein Unglück passiert.“ Bereits während er sprach, warf er der Oberschülerin seinen Zweithelm zu und zwang sie zum Aufsteigen. Zwar wollte sie ablehnen und lieber die Bahn nehmen, doch ließ sich der junge Mann nicht überzeugen und setzte sie an ihrem Wunschziel, der Suzuki Akademie Oberschule, ab.   Leicht übermüdet zog die Blauhaarige die Tür zum Schülerrat auf, um sich auf die letzte Aufgabe zu stürzen. Sie wollte endlich fertig werden und einfach nur noch in ihr Bett. Der Tag war viel zu anstrengend und ereignisreich gewesen. Sie hatte sogar vergessen sich nochmal bei Akira zu melden, um einen neuen Tag festzulegen, damit sie Amika weitersuchen konnten. Als Rin die Tür hinter sich zuzog machte sie sich schon darauf gefasst vom Suzuki-Erben angeschnauzt zu werden. Sie holte tief Luft, um direkt zu protestieren, jedoch blieb es mucksmäuschenstill. Ob er wohl nach Hause gegangen war? Suchend sah sich das Mädchen im Raum um und entdeckte den Schwarzhaarigen schließlich friedlich schlummernd vor seinem Laptop. Ihr sollte es recht sein, denn so konnte ihr keiner etwas Beleidigendes an den Kopf werfen. Zügig versuchte sie die Blätter wie befohlen aneinanderzuheften. Dabei machte sie mit dem Tacker einen enormen Lärm, da dieser bei gefühlt jedem zweiten Versuch klemmte. Es verging eine ganze Stunde ehe die Blauhaarige endlich ihre Arbeit beendete und sich geschafft streckte. Gestapelt legte sie Kuro den Papierhaufen hin und musterte den jungen Mann im selben Atemzug nochmal. Er schlief seelenruhig weiter, als wäre in der letzten Stunde nichts gewesen. Scheinbar war er ziemlich überarbeitet gewesen und hatte kaum Schlaf abbekommen. Ein wenig Leid tat er der Oberschülerin in diesem Moment ja schon. Allerdings würde sie es nicht wagen ihn zu wecken und ins Bett zu schicken, denn sie hatte absolut keine Lust oder Kraft auf eine erneute Diskussion. Stattdessen überlegte sie kurz was sie machen sollte, kam jedoch zu keiner Lösung und beließ ihn einfach in dieser unbequemen Position. Lediglich ihre Schuluniformjacke zog sie aus und hängte ihm um die Schultern, damit er sich keine Erkältung zuzog. Danach verließ sie schnurstracks das Schulgebäude und machte sich im Eilschritt auf zum Wohnheim. Da es draußen in der Nacht ohne Jacke ziemlich kalt geworden war zitterte sie leicht und verfluchte sich selbst: „Ich wusste es war ein Fehler. Warum kam ich dumme Nuss auch auf die Idee ihm meine Jacke umzuhängen? Als ob der Vollidiot krankwerden würde.“     Special 01 - So nah und doch so fern ------------------------------------ Dienstag, 24.12.2013   Voller Vorfreude baute Rin am Morgen den kleinen Weihnachtsbaum in einer Ecke der Küche auf. Mit roten und blauen Kugeln schmückte sie das gute Stück, behängte ihn hier und da mit goldenem Lametta und setzte schlussendlich auf seine Spitze einen großen goldenen Stern. Im Anschluss machte sie sich schnell auf den Weg zum Bäcker um die Ecke, bei welchem sie eine kleine Weihnachtstorte geordert hatte. Es sollte alles perfekt werden für den Abend, denn dann kam die kleine Familie endlich mal wieder zusammen. Auch ihre beste Freundin Amika würde kommen und sie würden alle einen schönen Abend verbringen. Die Geschenke für ihren Vater und Bruder, sowie ihre Freundin hatte das Mädchen bereits zusammen. Jetzt mussten nur noch die letzten Dinge erledigt werden. Als sie von der Bäckerei wieder zu Hause war, kramte sie noch weitere Dekoartikel heraus, mit denen sie den Rest des Hauses noch schmücken wollte. Hier und da hängte sie Girlanden auf, stellte Porzellanfigürchen hin und versetzte den Flur und die Küche mit Lichterketten in eine angenehmere Atmosphäre. „Endlich geschafft“, fiel die Mittelschülerin verausgabt auf einen Küchenstuhl und sah sich ihr Meisterwerk nochmal an. Mit einem Grinsen im Gesicht schloss sie daraufhin kurz ihre Augen und versuchte sich vorzustellen was die anderen wohl zu ihrer hübschen Dekoration sagen würden. „Ami findet es ganz bestimmt wunderschön. Saito wird sicherlich nur rummosern, dass ich es auch wieder wegräumen soll. Und Papa? Ob er es überhaupt bemerkt?“, mit kritischem Blick im Gesicht musste sie jedoch Schmunzeln. Es würde bestimmt ein gemütlicher Abend werden. So oder so. Plötzlich hörte die Blauhaarige, wie der Schlüssel im Haustürschloss gedreht wurde und sprang energiegeladen auf. Sie wusste genau, dass es ihr Bruder war, welcher endlich wieder von der Arbeit nach Hause kam. „Saito-nii!“, hüpfte sie aufgeregt im Hausflur herum, „Sieh mal, sieh mal! Wie findest du es?“ Mit dem Finger deutete sie auf die Weihnachtsdekoration und strahlte übers ganze Gesicht. „Sieht schön aus“, warf der Blonde einen kurzen Blick darauf, „Hast du Freunde eingeladen oder warum hast du so intensiv dekoriert? Das du mir das aber auch ja wieder wegräumst, wenn die Weihnachtszeit vorbei ist.“ „Wie meinst du das?“, wurde der Ältere mit großen erstaunten Augen gemustert. Dieser seufzte: „Na, was du rausräumst, räumst du auch selbst wieder weg.“ „Nein. Wieso denkst du ich hätte Freunde eingeladen?“, stellte sie ihre Frage ausführlicher, „Wir haben doch für heute Abend eine kleine Feier geplant. Wie immer.“ „Ich hatte dir doch schon vor Monaten gesagt, dass ich keine Zeit haben werde“, entgegnete der Blonde ihr. „Davon wusste ich gar nichts“, bekam er eine entsetzte Antwort, „Warum bist du nicht da?“ „Ich habe ein Date“, erklärte Saito kurz. Noch entgeisterter als zuvor starrte die Schülerin ihren Bruder an: „Du hast eine Freundin? Seit wann das denn? Wer ist sie? Kenne ich sie? Darf ich mitkommen?“ Mit tausend Fragen durchlöcherte sie ihn und hibbelte von einem Bein auf dem anderen herum. Nun war ihre Neugierde geweckt und sie wollte unbedingt wissen auf welchen Typ Frau der junge Mann stand. „Nein! Natürlich darfst du nicht mitkommen! Was geht denn nur manchmal in deinem Kopf ab?“, drückte Saito seine Hand in das Gesicht seiner Schwester, um diese somit zur Seite zu schieben. „Au, nimm deine Hand da weg, Baka-nii!“, versuchte die Mittelschülerin sie wieder wegzudrücken. In dieser Zeit hatte er es geschafft an ihr vorbei und zur Treppe zu gelangen, um kurz darauf in seinem Zimmer im ersten Stock zu verschwinden. Genau in diesem Moment ertönte das Handy der Blauhaarigen und sie nahm ab: „Hallo, Ami. Was gibt’s denn?“ „Hallo Rinacchi. Also um ehrlich zu sein habe ich da ein kleines Problem wegen heute Abend“, druckste sie herum. „Jetzt sag nicht, dass du auch nicht kannst! Saito hat mich schon versetzt“, jammerte Rin herum. „Ehrlichgesagt kann ich wirklich nicht“, versuchte sich die Brünette zu erklären, „Du weißt doch, dass der heiße Kerl mit dem ich seit paar Tagen zusammen bin heute unbedingt etwas mit mir unternehmen will. Ich habe ja versucht ihm zu sagen, dass ich nicht kann, aber er sagte, er würde mit mir schlussmachen, wenn ich nicht käme.“ „Ist das dein Ernst?“, konnte man das Entsetzen der Blauhaarigen klar und deutlich vernehmen, „Der Typ ist die Sache doch sowieso nicht wert. Was willst du mit jemandem, der zehn Jahre älter ist?“ „Es sind nur neun! Und ich liebe ihn nun mal“, stammelte Amika. „Ach, dann mach doch was du willst. Aber du schuldest mir was“, meckerte Rin sie an. „Du bist die Beste! Ich mache es wieder gut, versprochen“, ertönte die freudige Stimme ihrer besten Freundin. Mit einem lauten Seufzer legte die Mittelschülerin schließlich auf und setzte sich geschafft auf die unterste Treppenstufe: „Und was jetzt? Keiner hat Zeit. Fehlt nur noch, dass Papa auch was Besseres zu tun hat.“   Enttäuscht über die ganzen Absagen, saß Rin am Abend allein mit der Weihnachtstorte in ihrem Zimmer. Sie hatte sich den kompletten Kuchen gekrallt und aß mit einer Gabel davon, während sie mit ihrem Laptop im Internet unterwegs war. Da sich ihr Vater noch immer nicht hatte blicken lassen, gab sie es auf, dass er überhaupt noch erscheinen würde. Sicherlich hatte er mal wieder die Zeit im Keller vergessen und war mitten in einer seiner Forschungen. Dann machte sie sich eben einen schönen Abend mit einem Multiplayer Onlinegame, welches sie vor einigen Wochen entdeckt hatte und nun ziemlich verrückt danach war. Dort hatte sie bereits eine Freundin gefunden, die ihr von Anfang an alles erklärte und hin und wieder mit ihr spielte. Allerdings musste die Mittelschülerin schnell feststellen, dass auch diese nicht da war. „Wer hat nur dieses dumme Fest der Liebe erfunden?“, drosch sie wie eine Gestörte auf ihren Laptop ein, um eines der Monster zur Strecke zu bringen, „Da merkt man nur wie einsam man ist.“ Eine Mischung aus Wut, Eifersucht und Trauer machte sich in ihr breit. Es tat so höllisch weh, zu sehen, wie die liebsten Menschen besseres zu tun hatten, als mit ihr ein schönes Fest zu verbringen. Warum nur passierte ihr so etwas? Was hatte sie denn falschgemacht? Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr wandelte sich ihre Wut in reine Traurigkeit. Tränen bildeten sich in ihren Augen und sie begann unweigerlich zu weinen. Auch auf ihr Game hatte sie nun keine Lust mehr und stand vom Schreibtisch auf, um sich ins Bett zu legen. Dabei krallte sie sich eines ihrer Kissen, umarmte es fest und rollte sich ein. „Ich will nicht mehr“, murmelte sie zittrig, „Lass Weihnachten endlich vorübergehen.“ Noch eine Weile kullerten ihr die Tränen über die Wangen, bis sie schließlich vor Erschöpfung eindöste.   Plötzlich wurde Rin von einem lauten Signalton aus dem Schlaf gerissen. Sie zuckte kurz zusammen, ehe sie zu Sinnen kam und sich aufsetzte. Da ertönte das Geräusch erneut, welches scheinbar von ihrem Laptop kam. Die Blauhaarige musste nicht lange grübeln und wusste direkt was dieser Ton von ihr wollte. Er erklang immer, wenn ihre Freundin ihr eine Nachricht über das Spiel zukommen ließ. Schnell sprang die Mittelschülerin daraufhin auf und erspähte tatsächlich eine. „Aki-chan hat geschrieben! Sie ist online!“, erhellte sich der Gesichtsausdruck des Mädchens schlagartig. Schnell las sie die Zeilen: „Hallo Rin-chan. Hast du heute auch nichts Besseres zu tun?“ „Hey Aki-chan. Leider nicht. Ich wurde von meinen Freunden versetzt. Und du?“ „Ich musste arbeiten und kam eben erst nach Hause“, antwortete Rins Freundin, „Darf ich dir dann vielleicht etwas zur Aufmunterung zeigen? Du müsstest allerdings vor die Tür dazu.“ „Was denn?“, wurde das Mädchen neugierig. „Es ist oben beim Mizuiro Tempel in der Stadt, in der du wohnst.“ Etwas verwundert darüber, dass sich ihre Internetfreundin in Aehara auszukennen schien, stimmte sie dennoch zu. Die Wahrscheinlichkeit jedoch war ziemlich gering, dass sie in derselben Stadt wohnten. Trotzdem musste sie nochmal nachhaken: „Wohnst du etwa auch in Aehara? Wird das ein Offlinetreffen?“ „Das hatte ich nicht vor“, bekam sie nur als Antwort. „Und was genau wird mich dort oben dann erwarten?“, verstand die Blauhaarige nicht so ganz was sie dort nun sollte. Wieder kam nur eine kurze Antwort: „Glaub mir, das wirst du dann sehen.“ Neugierig wie sie war, machte sie sich natürlich sofort fertig und begab sich auf den Weg. Sie wusste, dass der Tempel jedes Jahr eine kleine Weihnachtsfeier abhielt und dort oben gegebenenfalls einige Menschen waren. Aber was dort wohl so besonders war?   Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Rin endlich auf dem großen Platz an und konnte von Weitem schon den gewaltigen Weihnachtsbaum in dessen Mitte sehen. Er war wunderschön mit allerlei goldenen und silbernen Kugel geschmückt. Auch Strohsterne zierten einige Äste und die Lichterketten brachten die Tanne förmlich zum Funkeln. An der Spitze des Baumes konnte das Mädchen einen sehr großen Kristallstern sehen, welcher durch die Lichter zu glitzern schien. „Woah! Wie schön der aussieht“, stand der Blauhaarigen der Mund offen. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, dass es am Tempel zur Weihnachtszeit eine solch schöne Tanne gab. Einige Besucher bewegte sich auf dem Platz vor dem Tempel um den Baum herum, plapperten vergnügt miteinander und tranken heiße Getränke. Diese wurden scheinbar an den Ständen ringsherum verkauft. Da die Mittelschülerin durch ihren Spaziergang auf den Berg auch etwas durstig geworden war, schlenderte sie an den Verkäufern vorbei, um zu sehen, was sie anboten. Es gab allerlei alkoholische Getränke, diverse Säfte, Amazake und noch vieles Weiteres. Rin war definitiv nicht abgeneigt davon etwas zu kaufen. Jedoch musste sie schnell feststellen, dass die Preise reinste Wucher waren und sie dafür definitiv keinen Yen verschleudern würde. Etwas enttäuscht davon durstig zu bleiben, entfernte sie sich wieder von den Ständen und schaute sich noch ein wenig weiter um. „Ich frage mich was Aki-chan mir zeigen wollte“, grübelte sie über ihre Worte nach, „Ob sie vielleicht den Baum gemeint hatte?“ Die Blauhaarige konnte definitiv nicht leugnen, dass die Tanne wunderschön war, aber irgendwie hatte sie sich nach den Worten ihrer Internetfreundin doch ein klein wenig mehr erhofft. Aber da der restliche Tag so enttäuschend für die Schülerin war, konnte sie sich dennoch sehr darüber freuen, dass wenigstens Aki versuchte sie aufzumuntern und für sie da zu sein. „Ist eigentlich totale Verschwendung, wenn ich mich nicht über die nette Geste freue“, murmelte das Mädchen vor sich hin, „Obwohl ich mir dennoch etwas mehr gewünscht hätte. Eigenartigerweise habe ich trotz allem auch darauf gehofft, dass ich ihr vielleicht doch noch begegnen würde. Aber sie sagte ja bereits, dass sie nicht da sein wird. Außerdem wissen wir ja auch gar nicht wer wir sind und könnten uns gar nicht finden.“ Erneut entwich der Schülerin ein kleiner Seufzer, als sie aus dem Augenwinkel eine ihr bekannte Person erblickte. Sofort fuhr sie herum und konnte nicht glauben was sie da sah. Da war doch tatsächlich ihr Bruder ebenfalls beim Mizuiro Tempel. Neugierig betrachtet sie ihn und versuchte sich gleichzeig zu verstecken. Sähe er sie, würde er sie sicherlich wieder nach Hause beordern oder ausschimpfen, weil sie allein losgezogen war. Außerdem war Rin tierisch neugierig darauf mit wem Saito ausgegangen war. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass der Blonde eine Freundin haben sollte und wollte unbedingt wissen wen er sich geangelt hatte. „Vielleicht hat er ja auch nur gelogen was die Sache mit der Freundin angeht und ist in Wirklichkeit nur mit seinen Kumpels unterwegs“, ging Rin einige mögliche Theorien durch. Geschickt schlängelte sich das Mädchen daraufhin durch die Menschenmasse, um ihrem Bruder auf die Schliche zu kommen. Dabei konnte sie auch endlich die Begleitung des jungen Mannes von Hinten entdecken. Es war tatsächlich eine junge Frau, welche er an seiner Seite hatte. Sie hatte hellbraunes langes Haar, das zu hübschen Locken zurechtgemacht war. Außerdem war sie zu ihrer schlanken großen Figur sehr modisch gekleidet und wirkte beinahe schon wie ein Model. „Wo hat er denn dieses hübsche Ding aufgerissen?“, war die Blauhaarige sichtlich entsetzt darüber, dass ihr großer Bruder auf solche Modepüppchen stand. Wobei sie sich nicht sicher war, ob sie mehr darüber entsetzt war, dass Saito auf solche Frauen stand, oder dass seine Begleitung auf solche Kerle wie ihn stand. Wie zum Teufel hatte er denn so eine abbekommen? Die Mittelschülerin konnte es einfach nicht verstehen. Ihre Neugierde war jedoch noch nicht gestillt, denn sie hatte die Schönheit bisher nur von hinten sehen können. Sie wollte unbedingt wissen, wie sie von vorne aussah. „Vielleicht hat sie ja ein schrecklich hässliches Gesicht oder so. Keine Frau, die wie ein Model aussieht, würde meinen Bruder freiwillig zum Freund nehmen. Jeden anderen. Aber nicht diesen Vollpfosten“, nuschelte das Mädchen vor sich hin. Erneut schlängelte sie sich schließlich durch die Besuchermenge, um einen weiteren Blick zu erhaschen. Es dauerte nicht allzu lange bis ihr das auch gelang, wodurch sich ihr Entsetzen nur noch weiter ausbreitete: „Das kann jetzt nicht wahr sein. Die kenne ich doch.“ Im wahrsten Sinne des Wortes fiel ihr die Kinnlade herunter, als sie die bildhübsche junge Dame von vorne zu Gesicht bekam: „Das ist doch Amis große Schwester. Das ist Kaori. Wann und wie ist das denn bitte passiert?!“ Diese unerwartete Information musste die Mittelschülerin erstmal verdauen, weswegen sie sich an den Rand der großen Plattform bewegte. Dort war es ruhiger und das Licht vom Fest drang kaum zu ihr herüber. Durch die angedeutete Finsternis konnte sie von dort oben die Stadtlichter viel besser wahrnehmen und staunte nicht schlecht, als sie sie sah: „Wow, mir war gar nicht bewusst wie schön die Stadt bei Nacht von hier oben aussieht.“ Ein wenig konnte sie sich durch die angenehme Aussicht von dem Schock beruhigen. Allerdings bemerkte sie, dass ihr dadurch auch kalt wurde. Zusätzlich wehte ein kühler Nachtwind, der dem Mädchen einen kalten Schauer über den Rücken jagte. „Brr ist das kalt geworden“, zitterte sie und rieb sich die Hände aneinander, „Ich hätte mir doch lieber eine dickere Jacke anziehen sollen.“ Plötzlich trat wie aus dem Nichts eine schwarze Gestalt neben sie und hielt ihr einen dampfenden Pappbecher hin. Er roch süßlich nach Amazake, wodurch der Schülerin das Wasser im Mund zusammenlief und sie völlig perplex einfach dankend nach dem Getränk griff. Es war so herrlich warm und passend zu ihrem Frieren, dass es ihr einen wohlig warmen Moment bescherte, in dem sie leichte Gänsehaut bekam. Erst nachdem sie die Flüssigkeit dankbar angenommen hatte, zuckte sie schreckhaft zusammen: „W-wer bist du eigentlich? Und warum gibst du mir Amazake? Ist da etwa was drin? Abführmittel?“ „Beruhige dich“, entgegnete ihr eine männliche Stimme, die recht amüsiert klang, „Das kannst du bedenkenlos trinken.“ Kritisch musterte sie daraufhin den Inhalt des Bechers und traute sich trotz allem nicht ihn zu trinken. Sie wollte unbedingt wissen wer dieser plötzlich auftauchende Kerl war und warum er ihr einfach so eines dieser überteuerten Getränke schenkte. Obwohl noch immer ein kleiner Schimmer Licht vom Fest zu den beiden herüberdrang, konnte Rin leider nicht erkennen, wen sie neben sich stehen hatte. Die männliche Gestalt trug zu ihrer hellblauen Jeans eine schwarze Jacke, dessen Kapuze ihm tief im Gesicht hing. Zusätzlich hatte er sich einen roten dicken Wollschal um den Hals gewickelt, der die Sicht in sein Gesicht noch weiter einschränkte. So gesehen sah er schon ein bisschen gruselig aus. „Mach dir keine Sorgen wegen dem Amazake. Ich würde dich niemals vergiften wollen oder dergleichen“, machte er eine kurze Pause, „Außerdem kennst du mich bereits. Ich bin Aki.“ „HAH?!“, fiel die Blauhaarige aus allen Wolken, „Niemals! Aki ist ein Mädchen!“ Kurz musste der Kapuzenträger amüsiert auflachen: „Habe ich dir das jemals bestätigt? Du hast es einfach nur angenommen.“ „Und warum hast du mich nie aufgeklärt?“, kapierte die soeben Verzweifelte gar nichts mehr. „Ich hatte den Eindruck, dass du mich dadurch weniger gerne mögen würdest“, erklärte er kurz. Sie verstand diesen Grund allerdings nicht: „Das ist doch total absurd.“ „Es ist wie es ist. Nun weißt du es ja“, stützte er sich mit seinen Unterarmen am Geländer ab, welches sich vor ihnen befand. „Ich verstehe aber nicht wie du mich finden konntest. Ich habe dir nie ein Bild von mir gezeigt“, tappte Rin noch immer in vielerlei Hinsicht im Dunkeln. „Wir haben viel geschrieben und du hast hin und wieder Aussagen zu deinem Äußeren gemacht“, erklärte sich Aki knapp. „Das ist ungerecht. Du weißt wer ich bin. Ich möchte dich auch sehen. Nimm die Kapuze herunter“, jammerte die Mittelschülerin herum. Kurz überlegte der Junge was er ihr entgegnen sollte: „Glaub mir, es ist besser du siehst mein Gesicht nicht. Das macht die ganze Sache nur unangenehm.“ „Was für ein gequirlter Mist. Warum sollte das die Situation unangenehm machen?“, meckerte das Mädchen unaufhörlich herum. Statt einer Antwort erntete sie allerdings nur sein Schweigen, welches symbolisierte, dass er es wirklich nicht wollte. Den Blick gen Stadt gerichtet nippte er an seinem eigenen Heißgetränk und einige lange Sekunden zogen ins Land. Auch Rin tat es ihm gleich und nahm einen kleinen Schluck ihres Amazakes, während sie ihn ebenfalls anschwieg. Plötzlich ertönte ein lauter Knall, welcher die Blauhaarige zusammenzucken lies. Am Himmel formte sich im selben Moment ein buntes Lichterspiel. Völlig aus dem Häuschen hibbelte die Schülerin herum und schien ihre vorherige Neugierde komplett vergessen zu haben: „Du wolltest mir ein Feuerwerk zeigen? Das ist ja der Wahnsinn. Ich dachte schon du meintest den doofen Weihnachtsbaum oder sowas.“ „Es sind immer wieder die kleinen Dinge, die dich unwahrscheinlich begeistern können“, musste Aki unweigerlich lächeln, „Das ist eines der Dinge die ich an dir so liebe.“ Rin musste zweimal hinhören, ehe sie verwirrt zu dem Kapuzenträger herübersah und knallrot anlief. Wie genau hatte er das bloß gemeint? Redete er von richtig echter Liebe oder war das nur so eine unbedeutende Aussage? Gefühlte Ewigkeiten verbrachte sie beim Anschauen des Feuerwerks damit seine Worte zu erörtern. Ob es angebracht war ihn danach zu fragen was genau er meinte? Sollte er aber nicht von echter Liebe gesprochen haben, wäre es ziemlich peinlich, wenn sie nachhaken würde. Andererseits würde sie es aber niemals erfahren, wenn sie stumm bliebe. Und je länger sie grübelte und die Zeit dadurch verflog, umso weniger konnte sie dieses Gespräch wieder aufnehmen. Nun machte es sie richtig wahnsinnig, dass sie nicht direkt nachgefragt hatte. Was war sie auch so unentschlossen?! Schlussendlich fasste sie sich doch ein Herz, drehte sich zu ihrem Internetkumpel um und fragte: „Wie genau hast du das denn gemei… huh?“ Mitten im Satz unterbrach sie sich selbst, da Aki nicht mehr neben ihr stand. Suchend sah sich das Mädchen um und versuchte ihn in der Dunkelheit ausfindig zu machen: „A-Aki-chan? Wo bist du?“ Er war wie vom Erdboden verschwunden und Rin musste sich eine kurze Zeitlang fragen, ob er wirklich dagewesen war oder sie nur halluziniert hatte. Als sie aber ihren Amazake sah, war sie sich sicher, dass er definitiv dagewesen war. Enttäuscht darüber, dass er einfach ohne ein Wort gegangen war, macht sich auch die Blauhaarige wieder auf den Rückweg. Sie wollte ihn im Game nochmal anschreiben und fragen warum er so schnell gegangen war. Und natürlich wollte sie versuchen aus ihm herauszuquetschen wer er eigentlich war. Sie hatte das Gefühl ihn zu kennen, aber irgendwie auch doch nicht. Immerhin schien er auch in Aehara zu wohnen und wirkte gleichalt. Vielleicht bildete sie es sich aber auch nur ein und vermischte es mit einer Art Wunschdenken.   „Mensch wo warst du so lange? Ich habe dich überall gesucht“, schimpfte ein junges Mädchen im Grundschulalter mit dem Kapuzenträger, welcher soeben wieder zur Mitte des Platzes zurückkam. „Sorry Ri-chan. Ich war pinkeln“, grinste er die Kleine schief an. Sie hatte dunkelrote Haare mit blauen Spitzen. Dazu trug sie einen schwarzgelben Mantel, Hotpants mit Overknees und hochgebundenen Chucks. Außerdem saß hinter ihren Ohren ein großer schwarzer Kopfhörer mit gelben Akzenten. „Sag das nächste Mal aber Bescheid, bevor ich mir wieder unnötige Sorgen machen muss“, belehrte sie den Älteren. „Ja, ja“, bekam sie daraufhin eine langgezogene Antwort. „Ich weiß was das bedeutet, Onii-chan!“, mahnte sie erneut, „Und wie läufst du überhaupt rum? Total suspekt.“ Noch während des Redens zog sie ihrem Bruder die Kapuze vom Kopf, damit er nichtmehr aussah wie ein Gangster. Darunter trug er zwar noch eine schwarze Mütze, die den Großteil seiner roten Haare bedeckte, aber den Gangsterlook war er wieder los. „Au, du hast mir ein Haar ausgerupft. Außerdem kann ich rumlaufen wie ich will“, rieb er sich den Kopf, „Und wieso warst du überhaupt allein? Wo ist Kuro hin?“ „Ich hab mich dann mal selbst um die Getränke gekümmert, nachdem du einfach verschollen warst, Akira“, kam soeben benannter mit drei dampfenden Bechern zu den beiden Geschwistern zurück.   Kapitel 12 - Vom Blitz getroffen -------------------------------- Mittwoch, 15. April 2015   Erschöpft von ihrem langen Tag, schleppte sich Rin in ihr Zimmer im Wohnheim. Unterm Arm hatte sie heute zusätzlich eine mittelgroße Pinnwand, welche sie zusammen mit ihrer Schul- und Sporttasche abstellte und sich streckte. „Wozu die Pinnwand?“, kam es von Skye, der sich in die Sitzecke gefläzt hatte und wie immer an seiner Konsole hing. „Sag mal, hast du nichts Besseres zu tun als dauerhaft zu zocken?“, ging die Blauhaarige gar nicht auf seine Frage ein, „Du bist den ganzen Tag hier in der Bude und gammelst vor dich hin.“ „Was soll ich denn sonst tun? Ihr geht ja zurzeit nicht mehr auf die andere Seite“, zuckte er mit den Achseln und richtete seinen Blick wieder auf sein Spiel. „Wie wäre es, wenn du auch in die Schule gehst?“, stemmte die Oberschülerin fordernd ihre Hände in die Hüfte. „Unmöglich“, kam es knapp zurück. Verständnislos bekam der kleine Mann daraufhin eine Retourkutsche: „Warum sollte das unmöglich sein? Wir werden dich die Tage in der Grundschule anmelden!“ „Grundschule?“, sah der Schwarz-Blauhaarige fassungslos von seinem Gerät auf, „Was soll ich bitte in der Grundschule? Außerdem kann ich mich unmöglich irgendwo anmelden. Braucht man dazu nicht einen Erziehungsberechtigten und einen Haufen Papierkram? Ich habe nichts davon.“ Grübelnd kratzte sich das Mädchen daraufhin am Hinterkopf: „Auch wieder wahr. Du sagtest ja bereits, dass du keinen hast der für dich sorgt. Dann müssen wir uns was anderes einfallen lassen.“ Damit war das Gespräch beendet und die Schülerin verschwand im Bad, um ihre Kleidung zu wechseln. Im schlabbrigen T-Shirt und kurzer bequemer Hose kam sie kurze Zeit später frisch geduscht wieder heraus. Eifrig kramte sie in einer ihrer Taschen und holte einen großen Umschlag heraus, mit welchem sie sich auf den Boden vor die Pinnwand setzte. Ein neugieriger Blick Skyes streifte sie, jedoch konnte er von seiner Ecke heraus nicht erkennen was genau sie da tat. Nach einer Weile schien die Blauhaarige endlich fertig mit ihrem Werk zu sein und platzierte das gute Stück auf der Kommode. Freudig grinste sie ihre Arbeit an, als plötzlich der kleine Junge neben sie trat. „Neugierig du kleiner Stalker?“, durchwuschelte sie ihm die Haare. „Schon“, kam mal wieder eine knappe Antwort. Erwartungsvoll betrachtete der Portalwächter das Brett, welches nun einige Fotos zierten. Auch ihren Stundenplan hatte Rin sicherheitshalber mal angepinnt. „Wer sind denn all die Leute auf den Fotos?“, schien er ziemlich wissbegierig zu sein. „Das da oben sind mein Bruder Saito und ich“, deutet sie auf ein Foto mit ihr und dem Blonden, „Es entstand letztes Jahr kurz bevor ich ins Ausland bin.“ Erstaunt trat der Schwarz-Blauhaarige daraufhin näher heran und deutete schließlich auf das Bild daneben: „Und das da? Ist das deine Freundin Ami?“ „Ja genau. Das war am Tag von unserem Mittelschulabschluss. Sie hatte total geheult, weil wir abgegangen sind und ich kurz drauf nach Amerika ging.“ Belustigt kicherte die Oberschülerin bei dem Gedanken, wurde aber sofort wieder ernst: „Wir werden sie retten. Morgen Abend gehen wir erneut auf die andere Seite.“ „Man merkt wirklich, dass sie eine gute Freundin ist. Du hast einige Fotos mit ihr“, bemerkte der Kleine. „Na klar“, lächelte die Schülerin leicht gequält. Erneut wollte er wissen, welche Person er dieses Mal ins Auge gefasst hatte: „Und wer ist diese blonde Schönheit?“ Er zeigte auf ein scheinbar älteres Foto auf welchem eine junge Frau freudig in die Kamera lächelte. „Das war meine Mutter“, erklärte das Mädchen leicht betrübt, „Sie ging von uns als ich noch ganz klein war.“ „Sorry“, erntete sie einen mitleidigen Blick. „Ach was. Ich mache mir da nichts mehr draus. Das ist schon ewig her. Nur manchmal frage ich mich, wie sich das anfühlt, wenn man eine Mutter hat, die einen umsorgt. Aber andererseits bin ich auch ziemlich froh, weil mich keiner ausschimpfen kann, wenn ich Mist gebaut habe“, lachte die Blauhaarige. Schneller als gedacht hakte der Kurze das Thema ab und löcherte erneut: „Und das da? Bist du das als kleines Kind? Wer ist das rosahaarige Mädchen neben dir?“ „Das ist ein Junge“, lachte Befragte belustigt, „Er wird schon seit jeher für ein Mädchen gehalten. Ich glaub das hat sich bis heute nicht geändert.“ „Was färbt der sich auch die Haare rosa?“, schien Skye nichts daran witzig zu finden. „Das ist ja das lustige“, hielt sich die Oberschülerin den Bauch vor Lachen, „Das ist seine Naturhaarfarbe.“ „Der ist wohl gestraft fürs Leben“, grinste der Junge schief, „Aber wer ist das nun?“ „Das ist mein ehemaliger Nachbar und Sandkastenfreund Shû. Wir haben damals immer irgendwelchen Mist fabriziert und kamen jeden Tag total verdreckt nach Hause“, schwelgte sie in alten Erinnerungen, „Aber leider habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen, da er umgezogen ist.“ „Klingt schön“, kam es wieder ziemlich knapp und emotionslos aus dem kleinen Mann heraus, ehe er von der Pinnwand abließ, „Ich bin müde. Lass uns schlafen. Und irgendwann laden wir Pinky dann mal ein.“ „O-okay? Manchmal kann ich deinen Gedankengängen nicht ganz folgen“, krabbelte auch die Schülerin ins Bett.     Donnerstag, 16. April 2015   Außer Atem kam Rin kurz nach Mitternacht am verabredeten Ort, dem alten Schuppen auf dem Oberschulcampus, an. Akira und Kuro erwarteten die Schülerin bereits. „Wurde ja auch mal Zeit, dass du hier eintrudelst“, verschränkte der Schwarzhaarige mürrisch die Arme. Sein Kumpel hingegen war weniger schlecht gelaunt und eher in Sorge: „Ist alles in Ordnung?“ „Tut mir leid“, schnaufte das Mädchen noch immer ein wenig schwerfällig, „Ich bin kurz eingenickt und habe verschlafen.“ „Ach, ist doch halb so wild“, winkte der Rothaarige ab, „Du bist außerdem nicht die Letzte. Skye fehlt ja auch noch.“ Mit einem schiefen Grinsen legte sie ihre Haare nach vorne über die Schulter, um den Blick auf ihren Rücken freizugeben. Dort erblickten ihre beiden Gefährten in der Kapuze ihrer ärmellosen Jacke einen kleinen Vogel friedlich schlafen. „Wieso hast du da einen Vogel drin? Lebt der noch?“, zog Akira sichtlich irritiert eine Augenbraue hoch. Auch der Genervte kam nun neugierig ein wenig näher, um das blau-schwarze Wesen genauer zu betrachten: „Ist das wirklich Skye? Als ich ihn damals in dieser Form sah dachte ich, dass ich mich verguckt habe.“ „Wie kann das denn sein?!“, verlor der Rothaarige völlig die Fassung, „Der Kleine ist doch ein Mensch und kein Tier!“ „Kalt…“, ertönte plötzlich ein leises Murmeln aus der Kapuze und das Tierchen öffnete schwerfällig die Augen. Es schien beinahe so, als hätten die langen Haare der Schülerin Wärme und Schutz gespendet. Trotz allem war es verwunderlich, dass er ausgerechnet deshalb aufwachte und nicht schon eher. Immerhin war Rin die ganze Strecke vom Wohnheim bis zur Schule gerannt. Mit einem Satz sprang Skye schließlich heraus, breitet seine vier Flügel aus, um nicht direkt abzustürzen und verwandelte sich innerhalb einer Sekunde wieder in seine menschliche Gestalt. „Er ist es also wirklich?“, fiel Akira die Kinnlade herunter. Der Schwarz-blauhaarige jedoch ignorierte den noch immer Fassungslosen und animierte die Kleingruppe endlich aufzubrechen: „Na los. Gehen wir endlich.“   Nach einem Fußmarsch auf der anderen Portalseite, erreichten sie endlich Amikas Wohnsitz, in welchem sie den Dungeon erneut betraten. Wieder musste das Mädchen zittern, als ein kalter Luftzug an ihr vorbeizog: „Mir war gar nicht mehr bewusste wie kalt das hier eigentlich ist.“ Um sich vor der Kälte zu schützen, versuchte sich die Schülerin in ihren blauen mantelartigen Umhang zu mummeln. Es half allerdings wenig. Nur ihre Begleiter sahen sie irritiert an. „Es ist zwar schon recht kühl, aber kalt ist es doch nicht“, stellte der Schwarzhaarige fest. Sein Kumpel hingegen bot der Frostbeule Hilfe an: „Willst du meine Jacke haben?“ Noch ehe er es schaffte sie ihr zu übergeben, fanden sich die vier vor dem riesigen Tor wieder, an welchem sie zuletzt pausierten. „Was ist denn jetzt passiert?“, schaute sich Rin ruckartig um. Der Jüngste klärte sie auf: „Ich habe uns an unseren letzten Standort zurückgebracht.“ Verstehend sah sie zu ihm herüber und stellte dann fasziniert fest, dass ihr plötzlich gar nicht mehr kalt war: „Eigenartig. Ist es hier auf einmal wärmer geworden? Das ist ja sogar richtig angenehm.“ „Ich finde es hier extrem warm“, zupfte Kuro an seinem Oberteil herum, um etwas kühle Luft abzubekommen. Auch Akira war der gleichen Meinung und band sich seine Kapuzenjacke um: „Es ist definitiv wärmer geworden. Vielleicht sogar ein paar Grad zu viel.“ „Wie lange wollt ihr noch über die Temperatur reden?“, versuchte Skye dem Gespräch ein Ende zu setzen, „Lasst uns endlich sehen was sich hinter dem Tor hier verbirgt.“ Ihm zustimmend, umklammerten alle mit festem Griff ihre Waffen und stießen die beiden Torflügel auf. „Das ist ein so klischeehaftes Ereignis in jedem Rollenspiel“, ging Akira in Stellung, „Hinter dem großen Tor wartet der Endboss, den man besiegen muss, um irgendwen oder -was zu retten.“ „Haltet euch bereit“, richtete der Suzuki Erbe seine Pistolen in Richtung des sportplatzgroßen Raumes, welcher sich vor der Gruppe erstreckte. Mutig ging die Blauhaarige einige Schritte in den großen Saal hinein und sah sich vorsichtig um. Die Jungs taten es ihr gleich und kamen direkt hinterher. „Hier ist nichts und niemand“, bemerkte die Schülerin, als es im selben Moment plötzlich Blitze von der Decke regnete und sich die Eingangstür wie von Geisterhand mit einem lauten Knall selbst verriegelte. Während die Gruppe damit beschäftigt war den Blitzen auszuweichen, manifestierte sich in der Mitte des Raumes eine gewaltig große Gestalt, die ein wenig aussah wie ein überdimensionaler Widder. „Jetzt sitzen wir wie die Ratten im Käfig fest!“, rief der Rothaarige seinen Kameraden zu, „Ruft eure Personas, sonst gehen wir noch drauf!“ Etwas ängstlich fragte Rin: „Was ist das für ein Ding?“ „Sieht aus wie ein Widder“, kam es vom Schwarzhaarigen, welcher soeben seinen Smaragd zwischen den Fingern zerdrückte, „Persona!“ Auch das Mädchen tat es ihm gleich, warf ihren Saphir zu Boden und beschwor ebenfalls ihre Persona. Die Blitze wurden langsam weniger und verflüchtigten sich kurz drauf. Der perfekte Moment für die Blauhaarige, um einen Angriff zu starten: „Kyusagi, setz Kiri ein!“ Wie befohlen bewegte sich die Persona und feuerte einen heftigen Wasserstrahl auf ihren Gegner ab. Dieser machte keine Anstalten auszuweichen und ließ sich einfach treffen. Freudig winkelte die Schülerin daraufhin die Arme an und ballte die Fäuste: „Ja! Treffer!“ „Freu dich lieber nicht zu früh“, begutachtete Skye das Wesen, „Es schien ihm nichts ausgemacht zu haben.“ Erschrocken musste sie feststellen, dass er recht hatte: „Oh nein. Wie kann das denn sein?“ Kuro konnte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen und gab Sarubi nun auch einen Befehl: „Doro!“ Dieser begann damit Schlamm und Gestein abzufeuern. Wieder traf es den Widder problemlos, doch dieses Mal zuckte er und wich einige Schritte zurück. „Es scheint zu wirken!“, hellte sich das Gesicht des Jüngsten auf. Die anderen freuten sich ebenfalls und konnten einen kleinen Lichtblick sehen. Auch der Rothaarige hatte nun das Gefühl etwas ausrichten zu können: „Kuro, kannst du mir ein paar kleine Brocken vorbereiten? Die schleudere ich ihm mit voller Wucht über.“ Zustimmend nickte angesprochener, breitete eine Hand aus und riss einen Teil der Steinwand mit seinen Erdkräften herunter. „Genial!“, krallte sich sein Kumpel den erstbesten Stein, warf ihn in die Höhe und schlug mit voller Wucht mit seinem Baseballschläger dagegen. Mitten im Gesicht des Gegners prallte das Flugobjekt auf und rieselte langsam zu Boden. Dem Tierwesen gefiel das gar nicht und es stampfte wütend mit den Vorderbeinen auf. Daraufhin setzte ein erneuter Blitzhagel ein und die Gruppe war wieder damit beschäftigt auszuweichen. Während Rin auf akrobatischste Art und Weise den Geschossen ausweichen konnte, hatten ihre beiden Mitschüler größere Probleme. Bei einem der Ausweichmanöver fiel der Rothaarige zu Boden und wurde am Arm von einem der Blitze getroffen. „Akira!“, kam ein besorgter Schrei von Kuro. Durch die Ablenkung wurde der Schwarzhaarige jedoch unaufmerksam und an seinem Bein streifte ihn einer der Angriffe, sodass es ebenfalls zu bluten begann. Der plötzliche Schmerz ließ auch ihn zu Boden gehen, als die Attacken endlich weniger wurden und erloschen. Besorgt schaute die Blauhaarige zu ihren beiden Begleitern herüber: „Verdammt! Was macht ihr denn da? Geht’s euch gut?“ „Mir ist doch gar nichts passiert“, stand der Suzuki Erbe mit wackligen Beinen wieder auf, „Heile lieber mal Akira!“ Mit knirschenden Zähnen betrachtete sie wie er schwer atmend versuchte sich aufrechtzuhalten. Es machte sie wütend, dass er ihr eine so offensichtliche Lüge auftischen wollte. Trotz allem hatte er Recht. Akira brauchte dringender Hilfe, denn im Gegensatz zu seinem Kumpel lag dieser bewusstlos am Boden. „Dia!“ befahl das Mädchen und Kyusagi stellte einen Teil seiner Kraft wieder her. Langsam kam der Rothaarige wieder zu sich und versuchte aufzustehen. Jedoch schien er nicht mehr fähig zu kämpfen und Rin versuchte ihn mühselig an den Rand des Saales zu befördern: „Halte dich fest. Ich bringe dich zur Seite.“ „Blödsinn! Ich kann noch weiterkämpfen“, fluchte der Schüler über sich selbst. Warum nur passierte immer ihm so etwas? Er konnte sich doch jetzt nicht einfach aus dem Kampf zurückziehen. Täte er das, wäre er doch völlig nutzlos. Selbst Skye, welcher nicht kämpfen konnte, war der Gruppe durch seine Navigation nützlicher als er selbst. Wann erwachte bloß endlich seine Persona? Er wollte doch auch helfen und das Mädchen auf der Suche ihrer besten Freundin unterstützen. „Rede doch keinen Mist!“, mischte sich nun auch der Kleinste ein, „So bist du uns nur ein Klotz am Bein. Komm rüber zur Seite.“ Mürrisch tat er was ihm befohlen und gesellte sich zu dem Schwarz-blauhaarigen. An der Wand war wohl wirklich der sicherste Ort für ihn. Dort konnte man die Angriffe besser sehen und die Wahrscheinlichkeit war geringer, dass man hier etwas abbekam. Erneut startete Kuro daraufhin einen Angriff und ließ Sarubi wieder mit seiner Elementarkraft angreifen. Wie sich durch die zurückschreckende Reaktion ihres Gegners herausstellte, waren seine Erdkräfte ziemlich effektiv gewesen. „Sehr gut!“, ertönte Skyes Stimme wieder, „Erde scheint ziemlich effektiv zu sein. Sein Element muss vermutlich Elektro sein, deswegen hatte Wasser auch keine Wirkung! Versuch also was anderes, Rin!“ „Na der ist vielleicht lustig“, grinste das Mädchen schief und studierte nochmals die Attacken ihrer Persona. Daraufhin fand sie eine Attacke, die hilfreich aussah: „Los Kyusagi! Single Kick!“ Wie der Häsin befohlen, startete sie einen Angriff. Es handelte sich dabei um einen physischen, weshalb sie ihrem Gegner mit voller Kraft einen festen Tritt verpasste. Getroffen zuckte dieser zurück, schaffte es aber trotzdem unmittelbar danach einen einfachen Gegenangriff auf die Persona zu starten. So traf er mit einem leichten Elektroschock problemlos die Angreiferin. Diese ging mit einem lauten Aufschrei zu Boden, verflüssigte sich und kehrte in Form des Saphirs an den Schlüsselbund seiner Besitzerin zurück. Im selben Moment kippte auch das Mädchen vor inneren Schmerzen um und krümmte sich. „W-was ist das?“, rang die Blauhaarige nach Luft. Mit einer Hand knüllte sie krampfhaft ihr Shirt auf Brusthöhe zusammen und zog ihre Beine so nah heran, dass sie beinahe ihren Kopf berührten. „Aikawa-chan! Was ist los?!“, erschallte Akiras besorgte Stimme im Raum. Am liebsten wäre er wohl direkt zu ihr gestürmt. Dazu fehlte ihm jedoch die Kraft. Skye hingegen hielt es nicht lange neben dem Rothaarigen und er rannte zur Verletzten. Vorsichtig rüttelte er an ihr: „He, was hast du denn? Wo hast du Schmerzen?“ Statt einer Antwort, bekam er nur einen schmerzerfüllten Blick, in welchem der kleine Mann leichte Panik ablas. Was hatte die Oberschülerin bloß? Ob es vielleicht mit ihrer Persona zusammenhing? „Sie ging zu Boden, als auch Kyusagi getroffen wurde. Vermutlich hing das zusammen“, gesellte sich Kuro mit schnellem Schritt zu den beiden, „Du sagtest doch mal so einen Kram, dass sie aus unserem Herzen geboren wurden.“ „Ja, aber dass Rin solche großen Schmerzen hat ist doch nicht mehr normal“, stieg die Verzweiflung in dem Schwarz-blauhaarigem. Noch ehe sie das Gespräch weiterführen konnten, begann plötzlich wieder ein Blitzgewitter auf sie niederzuregnen. „Achtung!“, versuchte der Rothaarige seine Kameraden zu warnen. Allerdings zu spät, denn erneut wurde der Suzuki-Erbe von einem der Angriffe gestreift. Dieses Mal erwischte es ihn nur leicht an der Wange, an welcher ein kleiner blutender Schnitt zurückblieb. Das Ganze schien ihn aber wenig zu interessieren, denn seine Aufmerksam galt noch immer der Verletzten. Was sollte er bloß tun? Da sie nun außer Gefecht war, musste er ganz allein gegen diesen gewaltigen Widder ankommen. Außerdem musste er auch zusehen, dass seinen Kameraden nichts geschah. Wie konnte er gleichzeitig sich selbst und die anderen schützen, während er gegen dieses Wesen ankämpfen musste? Es war praktisch unmöglich. Strenggenommen hatte somit sein letztes Stündlein geschlagen und das wusste er auch. Schweißperlen rannen ihm die Stirn herunter und er dachte angestrengt nach, welcher Ausweg ihm noch blieb. Aufgeben würde er nicht. So viel stand für ihn fest. Mit knirschenden Zähnen breitete Kuro schließlich seine Hände in ihre Richtung aus und konzentrierte sich angestrengt. Er sah ziemlich verkrampft und verzweifelt aus, als plötzlich wie aus dem Nichts der Boden unter dem Mädchen leicht bebte und die Erde sich blitzschnell verformte. Es entstand ein kleiner Unterschlupf, welcher sowohl die Schülerin als auch Skye vor den Blitzen schützte. Einzig der Schwarzhaarige selbst war nicht geschützt und bekam noch den ein oder anderen Angriff ab. Allerdings hatte er jedes Mal unverschämtes Glück, denn die Angriffe streiften ihn immer nur und fügten ihm lediglich einige schmerzhafte Schnittwunden zu. Trotz allem blieb er tapfer auf den Beinen und versuchte zu kämpfen. „Na komm schon, Sarubi! Den machen wir doch mit Links platt! Doro!“, rief Kuro seiner Persona zu, welche sich sofort in Bewegung setzte. Zusätzlich zu den Erdangriffen des Affen, sah der Oberschüler wie kleine Gesteinsbrocken auf den Widder abgefeuert wurden. Es war Akira, welcher es nicht auf sich sitzen lassen konnte, dass sein Kumpel allein an der Front stand. Zwar hatte das Blitzgewitter wieder aufgehört, dennoch wollte der Schwarzhaarige, dass sein Kamerad sich nicht einmischte: „Hör auf Akira! Du hast doch gar keine Kraft mehr! Am Ende muss ich auch noch ein Erdschutz für dich erschaffen. Dazu fehlt mir die Energie!“ „Blödsinn! Mir geht’s gut!“, kam eine verstimmte Retourkutsche, „Konzentrier dich auf den Kampf und nicht auf mich!“ „Wie du meinst“, wendete sich der Erdelementar wieder dem Geschehen zu. Wieder und wieder hetzte er Sarubi auf den Gegner, attackierte ihn mit seinen eigenen Erdkräften, wich seinen Blitzgeschossen aus und wurde dabei tatkräftig von seinem Kumpel Akira unterstützt. Nach einiger Zeit brach das Geschöpf schließlich zusammen und ging mit einem dumpfen Knall zu Boden. „Gleich haben wir ihn!“, jubelte der Rotschopf siegessicher. Mit breitem Grinsen gab Kuro seiner Persona daraufhin einen erneuten Befehl: „Na los, setze nochmal Doro ein!“ Ein regelrechter Erdhagel mit Schlamm und Gesteinsbrocken prasselte erneut auf das überdimensionale Tier nieder, welches kurz darauf plötzlich zu Staub verpuffte. „Er ist weg“, sackte der Suzuki-Erbe erleichtert zu Boden, „Wir haben es geschafft!“ Noch immer fassungslos starrte er nach vorne, wo wenige Sekunden zuvor noch das riesige Wesen wütete. Er hätte nicht gedacht, dass sie es schaffen würden es zu besiegen. Wenn er ehrlich war, dachte er, er würde hier nicht mehr lebendig rauskommen. Nach Luft ringend versuchte der Oberschüler sein Herz wieder zu beruhigen. Erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr er sich doch verausgabt hatte. Jeder einzelne Schnitt an seinem Körper pochte wie wild und all seine Glieder brannten vor Schmerz. „Du warst klasse!“, setzte sich Akira neben den Schwarzhaarigen, „Ohne dich wären wir alle draufgegangen.“ „Ich dachte auch schon wir seien alle dem Tode geweiht. Aber wie geht es dir und deinem Arm?“, wechselte der Held des Tages das Thema. „Einigermaßen gut. Dieser Elektroschock hatte mir zwar ganz schön zugesetzt, aber nun geht es wieder. Ich habe nur noch diese blöde Wunde“, deutete der junge Mann auf seinen Arm, „Was ich aber nicht verstehe ist, wieso du keine Elektroschocks abbekommen hast. Nur Schnittwunden sind bei dir entstanden.“ „Vermutlich liegt das an seinem Element“, kroch Skye aus dem Unterschlupf und gesellte sich zu den beiden Jungs, „Erde ist effektiv gegen Elektro. Andersherum hat es aber keinerlei Wirkung.“ „Leuchtet irgendwie ein“, nickte der Schwarzhaarige. Auch sein Kumpel nickte verstehend, ehe er schlagartig das Thema auf die Oberschülerin lenkte: „Ach herrje. Durch das ganze Adrenalin habe ich Aikawa-chan total vergessen! Geht es ihr besser?“ „Ja, es ist alles wieder in Ordnung. Sie kommt gleich und dann müssen wir erstmal unsere Wunden versorgen“, versuchte der Schwarz-blauhaarige scheinbar wieder davon abzulenken.   Währenddessen saß eine verzweifelte Rin in ihrem Gesteinsversteck. Sie hatte Glück, dass der Schmerz wieder komplett vergangen war. Lediglich etwas erschöpft war sie noch. Jedoch war das definitiv ihr kleinstes Problem, denn sie war völlig unerwartet plötzlich wieder zum Jungen geworden! Gott sei Dank konnten ihre Kameraden sie jetzt nicht sehen, da die Öffnung des Baus zur anderen Seite ging. Trotzdem musste sie schleunigst wieder zum Mädchen werden. Bislang hatte sie doch immer nach einer Runde Schlaf wieder ihre alte Gestalt. Aber sie konnte sich ja jetzt schlecht schlafen legen. Skye war ihr da auch keine große Hilfe, denn er wusste ebenfalls keine Antwort auf ihr Problem. Laut schnaubte sie einmal auf und ließ den Kopf hängen, als plötzlich eine Gestalt vor ihr auftauchte. Schlagartig zuckte sie zusammen, da sie mit niemandem gerechnet hatte. „Ey, heil mich“, ging Kuro vor ihr in die Hocke. „Siehst du nicht, dass ich grad andere Probleme habe?!“, fauchte sie ihn im Flüsterton an. Was erlaubte sich der Kerl ihr einfach Befehle zu erteilen? Sie war doch nicht sein Sklave! „Oh, bist du wieder zum Transvestiten geworden?“, kam es recht gelangweilt aus dem Schwarzhaarigen. „Das ist nicht lustig!“, fuhr sie ihn, noch immer im leisen Ton, an, „Schrei das nicht so durch die Gegend und hilf mir lieber! Dann heile ich dich von mir aus auch.“ „Wie soll ich dir denn helfen? Was weiß denn ich warum du das tust?“, plumpste der Erdelementar auf den Po und setzte sich im Schneidersitz vor die Verzweifelte. Genervt von seiner Art keifte sie ihn erneut an: „Du weißt genau, dass ich das nicht mit Absicht mache! Es passiert einfach.“ „Dann erzähl doch mal wann das bisher immer passierte“, stützte er seinen Kopf gelangweilt auf den Arm und sah die Blauhaarige fordernd an. Diese musste kurz überlegen: „Na ja, wenn ich so drüber nachdenke ist das bisher eigentlich immer nur dann passiert, wenn ich durch das Portal wieder in unsere Welt zurückgereist bin. Als ich mich dann abends schlafengelegt habe, bin ich morgens wieder als Mädchen aufgewacht.“ „Dann ist das hier also die erste Ausnahme?“, grübelte er angestrengt nach. Mit einem Nicken des Mädchens brach eine kurze Stille herein. Es dauerte nicht lange, bis der Suzuki-Erbe sie aber wieder brach: „Lass Kyusagi dich heilen.“ „Wieso das denn jetzt auf einmal?“, verstand die Persona-Userin nicht worauf ihr Gegenüber hinauswollte, „Ich habe grad andere Sorgen als irgendwelche minimalen Verletzungen.“ „Kannst du nicht einmal das machen, was man dir sagt?“, erntete sie mal wieder einen genervten Blick. „Nein“, blies sie ihre Wangen auf, „Nicht wenn der Befehl von dir kommt.“ „Na dann bleib ebenso wie du bist“, stand der junge Mann schwerfällig wieder auf und wollte wieder zurück zu den anderen beiden gehen. „Warte“, krallte sie sich mit der Hand an seinem Hosenbein fest, „Ich mache es ja schon.“ Wenige Sekunden später erschien ihre Persona, welche von Rin den Befehl zu Heilung erhielt. In Energie gehüllt verspürte die Oberschülerin eine angenehme Wärme, welche ihr zu neuer Kraft verhalf und ihre letzten Schmerzen davonblies. Nach Kyusagis getaner Arbeit sah Betroffene an sich herunter und konnte es kaum fassen, als soeben eine Strähne ihrer langen Haare über ihre Schulter fiel. Sie war tatsächlich wieder sie Alte! „Wie geht das denn?“, konnte sie es einfach nicht glauben, dass diese simple Idee ihr half. Mit verschränkten Armen und siegessicherem Blick sah der Schwarzhaarige zu ihr hinunter: „Ich hab‘s ja gesagt.“ „Halt die Klappe“, knurrte sie ihren Retter an, während sie auch endlich aufstand, „Sag mir lieber wieso das geholfen hat und wie du darauf gekommen bist.“ „Halte gefälligst erst dein Versprechen ein“, forderte er. „He…“, ignorierte die Blauhaarige seine Forderung und sah ihn verdutzt an, „Seit wann bist du kleiner als ich?“ „Bin ich gar nicht!“, wendete der junge Mann seinen Blick ab. „Natürlich! Eigentlich bist du einen ganzen Kopf größer als ich“, versuchte sie seine jetzige Größe zu bestimmen, „Jetzt gehst du mir nur noch bis zur Stirn!“ „Ist doch egal! Mach lieber hin und halte dein Versprechen!“, fühlte sich der Oberschüler sichtlich unwohl in seiner Haut. Mit einem schadenfreudigen Kichern entgegnete sie ihm: „Das ist ja total witzig. Schämst du dich etwa dafür, dass du so winzig geworden bist? Ist das etwa der Nebeneffekt, deiner Kräfte?“ Sie ignorierend blickte er weiterhin in eine andere Richtung, während sie ziemlich viel Spaß daran hatte auf ihm herumzuhacken. So, wie er es sonst bei ihr tat. Allerdings hatte der Schwarzhaarige nach Kurzem dann doch genug, wandte sich wieder zu ihr und brüllte sie aggressiv an: „Jetzt halt endlich deine dumme Schnauze! Du Versprechens-Brecher!“ Ruckartig zuckte das Mädchen plötzlich zusammen und war starr vor Angst. Seine plötzliche aggressive Ader kam unerwartet. In letzter Zeit warf er ihr nur gemeine Worte an den Kopf, ohne dabei zu Brüllen oder angriffslustig zu werden, weswegen sie nun sehr perplex war. Kleinlaut befahl sie der Häsin schlussendlich auch auf Kuro „Dia“ zu wirken, welcher daraufhin wieder auf Normalgröße wuchs. Mit großen Augen starrte sie dieses Ereignis an und plötzlich schien es ihr wie Schuppen von den Augen zu fallen. Durch die Erschöpfung des Schwarzhaarigen schrumpfte er und mit der Energiezufuhr wuchs er wieder. Vermutlich dachte er, dass es bei Rin genauso sei, dass sie bei Erschöpfung das Geschlecht wechselte und sobald sie wieder Energie hatte, sich alles wieder normalisierte. Also hatte wahrscheinlich auch sie eine echt dämliche Nebenwirkung durch ihre unnötigen Kräfte erlang. Das schien jedenfalls die einzige logische Erklärung zu sein. Allerdings hätte sie dann doch lieber mit dem Kerl ihr gegenüber getauscht. „Na geht doch“, sah der junge Mann freudig an sich herunter. „Du bist trotzdem ein Idiot!“, wurde ihm frech die Zunge herausgesteckt, bevor Rin zu Akira und Skye rüberging, um sich auch um sie zu kümmern. „Was habt ihr denn so lange bequatscht? Hat er dich wieder geärgert?“, fragte der Rothaarige neugierig nach. Die Oberschülerin jedoch winkte nur ab: „Ach vergiss es einfach. Bei dem ist eh Hopfen und Malz verloren.“ „Hey, sei gefälligst mal etwas dankbarer zu deinem Lebensretter“, meldete sich dieser zu Wort. „Wieso sollte ich?“, kam eine patzige Antwort zurück. Noch ehe die beiden Streithähne erneut in Fahrt kommen konnten, versuchte Akira das Gespräch in eine andere Richtung zu drücken: „Wisst ihr was ich nicht verstehe? Wenn das der Endboss war, wo ist denn dann nun Shiori-chan?“ Suchend sah sich die Kleingruppe im ganzen Raum um und stellte fest, dass er recht hatte. Weit und breit war nichts und niemand zu sehen. Gegenüber dem Eingangstor lag in der Ferne lediglich ein weiteres Tor. Vermutlich der Ausgang? „Ich bin dafür, dass wir durch das große Holztor da gehen. Ami ist bestimmt direkt dahinter“, zeigte die Blauhaarige mit dem Finger in besagte Richtung. Der Suzuki Erbe hingegen war skeptisch: „Das ist noch immer unlogisch. Wer sagt, dass wir sie finden müssen? Ihr Körper liegt im Krankenhaus und nicht in diesem Labyrinth. Vielleicht hat es schon ausgereicht dieses Ding zu erledigen und sie ist mittlerweile wieder putzmunter.“ „Eine Garantie dafür haben wir aber trotzdem nicht!“, keifte Rin ihn an. Wütend machte sie sich daraufhin einfach auf den Weg zum vermuteten Ausgang, als ihr Skye hinterherkam: „Du weißt doch, dass er es nicht böse meint. Nach diesem gefährlichen Kampf ist es aber nicht verwunderlich. Wenn ihr am Ende wirklich draufgeht, ist keinem geholfen.“ „Ich weiß“, schnaubte das Mädchen laut auf, „Aber ich bin bereit dieses Risiko einzugehen. Täte ich es nicht, würde ich es mein Leben lang bereuen.“ „Du bist wirklich mutig.“ Kurz verweilten die beiden vor der großen Holzdoppeltür, ehe sie diese gemeinsam aufstießen. Auch die Nachzügler hatten sich nun wieder zu ihnen gesellt und gemeinsam sahen alle in einen langen Gang.     Special 02 - Die Liebesbrief-Norm --------------------------------- Valentinsspecial   Ende März 2014   Es war früh am Morgen, als ein Mädchen in Matrosenuniform durch die Straßen von Aehara rannte. Ihr Schulrucksack hing nur über der linken Schulter und wurde zusätzlich mit ihrer linken Hand festgehalten. In der Rechten hielt sie eine angebissene Scheibe Toast, welche ziemlich ungleichmäßig mit Marmelade bestrichen war. Im Wind wehten ihre langen mittelblauen Haare, welche völlig zerzaust waren, als hätte sie diese vergessen zu bürsten. „Verdammt!“, stoppte sie ungeduldig an einer roten Fußgängerampel, „Ich komme zu spät! Und das am letzten Schultag!“ Kaum war das Signal wieder auf Grün umgesprungen, rannte die Schülerin weiter. Bis zum Schulgebäude hielt sie problemlos ihre Geschwindigkeit und kam sogar noch vor dem Klingeln bei den Schuhfächern am Eingang an. Kurz stützte sie die Hände auf die Knie und schnaufte schwer: „Mist, ich muss mehr trainieren.“ Danach rappelte sie sich schnell wieder auf und wischte den Schweiß von der Stirn, ehe sie zügig die Straßenschuhe auszog. Als die Blauhaarige ihr Schuhfach öffnete, um die Hausschuhe herauszuholen, flatterte ihr ein roter Briefumschlag entgegen. „Was ist das denn? Wieder eine Herausforderung im Sport?“, hob sie den Brief vom Boden auf. Grade als sie ihn öffnen wollte ertönte die Schulklingel zum Unterricht, wodurch die Schülerin erschrak und zusammenzuckte. Eilig wechselte sie ihre Schuhe und warf die Ausgezogenen ins Fach, ehe sie zu ihrem Klassensaal rannte. Tatsächlich schaffte sie es noch vor dem Lehrer und schmiss ihre Tasche zusammen mit dem Umschlag auf den Tisch, als sie sich fertig mit der Welt auf ihren Stuhl fallenließ. „Das war knapp“, schnaubte sie geschafft und hing wie ein nasser Sack zurückgelehnt über der Stuhllehne. „Allerdings“, ertönte eine weibliche Stimme neben ihr. Diese gehörte einer Schülerin mit rot-braunem schulterlangem Haar, welche die Zuspätkommende angrinste. „Und? Was ist dieses Mal die Ausrede, Rinacchi?“, legte die Brünette neugierig den Kopf schief. „Keine Ausrede“, richtete sich Angesprochene wieder auf, „Ami, du glaubst es nicht: Mein Bruder hat vergessen mich zu wecken!“ „Wie ich dich kenne hatte er es nach dem dritten Mal aufgegeben“, zog ihre beste Freundin eine Braue hoch. Noch ehe sie darüber diskutieren konnten, kam endlich der Klassenlehrer die Tür herein und begann den Unterricht. Wobei man am letzten Schultag der Mittelstufe jetzt nicht von effektivem Unterricht sprechen konnte. Sie würden nun ein paar Stündchen im Klassenraum verbringen und im Anschluss in die große Aula zur Abschlusszeremonie gehen. Dennoch war strikte Anwesenheitspflicht. „Was ist das eigentlich?“, tuschelte Amika und deutet auf den Brief. Die Blauhaarige winkte nur gleichgültig ab: „Ach, nur eine Herausforderung oder so. War heute Morgen in meinem Schuhfach.“ Neugierig wie ihre beste Freundin war, schnappte sie sich das Schriftstück und öffnete es einfach. Rin schien das eher kaltzulassen, denn sie starrte weiterhin nach vorne zum langweiligen Geschehen, welches sich „Unterricht“ schimpfte. Durch den ganzen Stress am frühen Morgen, hatte das Mädchen mittlerweile echt Schwierigkeiten ihre Augen offenzuhalten. Jetzt, da sie endlich saß und zur Ruhe kam, kehrte ihre Morgenmüdigkeit wieder zurück. Gerade, als sie gedankenlos am Dösen war, wurde sie von der Brünetten mehrfach schnell hintereinander auf den Oberarm geschlagen. Schreckhaft zuckte Rin daraufhin zusammen: „AU!“ Sofort drehte sich die komplette Klasse zur Aufgeschrienen herum und musterte sie. Natürlich wollte jeder wissen was los war, doch der Klassenlehrer duldete diesen Aufruhr nicht: „Aikawa! Möchtest du uns etwas mitteilen?!“ Mit strengem Blick sah er sie an und bekam eine beschämte verneinende Antwort. Nachdem alle wieder ihren Blick abgewandt hatten, zickte Rin ihre beste Freundin leise an: „Was sollte das?!“ „Sorry“, grinste diese nur schief. Sie kramte daraufhin den unter der Bank versteckten Brief wieder heraus und legte ihn der Blauhaarigen hin: „Ließ.“ Aufgeregt und mit einem sichtlich erfreuten Gesichtsausdruck sah die Brünette ihrer Mitschülerin dabei zu, wie sie die kurzen Zeilen las. Sie konnte es nicht abwarten den Blick des Mädchens zu sehen. Sekunden später drehte Rin den Kopf zur Wartenden herum und blickte ziemlich kritisch drein: „Als ob.“ Daraufhin faltete sie das Schreiben zusammen und verstaute es unter ihrer Bank. „Jetzt sei doch nicht so“, stammelte die Brünette, „Der ist sowas von Echt. Ein waschechter Liebesbrief!“ „Dir ist aber schon klar, was da für ein dämlicher Murks steht, oder?“, konnte sie es nicht fassen. „Ja, ich hab ihn doch auch gelesen“, nickte Amika aufgeregt, „Da stand: Liebe Aikawa-chan, ich bin schon lange in dich verliebt. Wenn du wissen willst wer ich bin, dann komm nach der Abschlusszeremonie hinter den Geräteschuppen.“ „Du kannst es auswendig?“, erntete die Schwärmerin wieder einen ungläubigen und verstörten Blick. „Natürlich. Das ist doch total romantisch“, musste die Mittelschülerin ein leises Quieken unterdrücken. „Du spinnst! Der Brief ist sowas von fake. Da will mich nur wieder einer der beiden verarschen“, stützte Rin den Kopf auf ihren Händen ab, „Abgesehen davon wurden da sämtliche Liebesbriefregeln gebrochen.“ Verdutzt blickte die Brünette drein: „Hä?“ „Na, du weist schon. So ein Liebesbrief ist nur dann korrekt und ansprechend, wenn er auch richtig geschrieben ist“, zuckte sie mit den Schultern. „Da sind doch gar keine Rechtschreibfehler drin gewesen?“, kapierte Amika gar nichts mehr. Genervt kam es von der Blauhaarigen: „Das meine ich doch auch gar nicht. Es gibt eine Norm in der man solche Briefe aufsetzt. Und die stimmt nicht. Das ist komplett durcheinander.“ „Eine Norm? Regeln? Meinst du die Zeilenabstände?“, versuchte ihre beste Freundin herauszufinden was gemeint war. „Ich erkläre es dir in der Pause“, schlug sich Rin die Handfläche an die Stirn.   Während die beiden Mädchen, allen voran Amika, auf die Pause warteten, gingen der Blauhaarigen ziemlich viele Gedanken durch den Kopf. Auf das Geschehen im Klassenzimmer konnte sie sich schon lange nicht mehr konzentrieren und müde war sie nach dieser Aktion nun auch nicht mehr. Zwar versuchte sie ihrer besten Freundin klarzumachen, dass sie nur wieder verarscht wurde, doch irgendwie wollte sie auch selbst daran glauben, dass es wahr sein könnte. Allerdings gab es da so zwei Kerle in ihrer Klasse, die ihr das Leben gerne mal zur Hölle machten: Akira Yoshida und Ayumu Kuroya. Innerlich versuchte sie sich darauf vorzubereiten, dass sie nur wieder zum Narren gehalten wurde, damit der Schmerz am Ende nicht zu heftig ausfallen würde. Trotzdem schweiften ihre Gedanken immerzu um den blöden Brief. Es wäre ihre erste richtige Liebeserklärung von einem Jungen und sie wollte einfach dran glauben, dass es jemand ernst meinte und sie wirklich mochte. Sie seufzte schwer. Aber selbst, wenn es ernst gemeint war, so musste sie dem armen Jungen dennoch eine Abfuhr erteilen. In wenigen Tagen würde sie die Reise zu ihrem Auslandsstipendium antreten. Ganze drei Jahre wäre sie dann in Übersee und könnte nie und nimmer eine Beziehung aufrechterhalten. Auch wenn sie sich das gerne erträumte, so musste sie doch realistisch bleiben. Vielleicht würde sie ja dann in Amerika einen netten Jungen kennenlernen? Erneut musste die Blauhaarige schwer seufzen. Egal wie es am Ende kommen wird, es würde keine romantische Liebesbeziehung zustande kommen. Abgesehen davon müsste ihr der Kerl ja auch gefallen. Aber so eine Beziehung wäre prinzipiell schon etwas Feines. Noch einige weitere Male hielt das Mädchen ein Seufz-Konzert ab, woraufhin sie mehrfach von Amika fragend angesehen wurde.   Als es endlich zur kurzen Pause klingelte konnte die Brünette nichts mehr halten: „Jetzt erzähl schon. Wieso willst du dem Brief nicht glauben? Was für eine Norm stimmt nicht? Und warum seufzt du die ganze Zeit vor dich hin?“ „Na überleg doch mal“, setzte Rin an, „Es gibt zwei Arten solcher Briefe. Entweder man schreibt ganz normal, dass man den Empfänger liebt und setzt seinen Namen drunter oder man schreibt, dass man denjenigen treffen möchte. Und dann nennt man Ort und Zeit, schreibt aber nicht dazu, dass man sich in diesen verliebt hat.“ „Okay?“, erntete die Blauhaarige einen kritischen Blick. „Das ist einfach so, glaub mir. Und man schreibt auch niemals ‚Ich habe mich in dich verliebt‘, sondern klipp und klar ‚Ich liebe dich‘. Wie soll man sowas denn sonst ernst nehmen“, sprach sie voller Überzeugung. Als ihre beste Freundin soeben dazu ansetzte was zu sagen, flog plötzlich eine Papierkugel gegen den Kopf der Blauhaarigen. Mit einem lauten „Aua!“ fuhr Abgeschossene herum. Schräg vor ihr erspähte sie das freche Grinsen Akiras, welcher ihr den Müll offensichtlich mit voller Absicht gegen den Kopf geworfen hatte. „Ups. Da habe ich wohl den Mülleimer verfehlt“, lachte er und wandte sich wieder von ihr ab. „Der steht doch ganz woanders!“, fuhr sie aus der Haut, wurde jedoch von ihrer besten Freundin zurückgehalten. „Ignorier ihn“, redete Amika auf sie ein, „Erklär mir lieber woher du deine Liebesbriefweisheiten hast. Das ist doch völliger Mist. Ist doch komplett egal wie das da drinsteht.“ „Nein ist es gar nicht. In Mangas läuft das immer so ab. Und früher oder später kommen sie dann zusammen. Aber bei so einem Chaos kann das doch nichts werden“, verschränkte sie die Arme. Fassungslos starrte die Brünette sie an. Versuchte Rin ihr soeben klarzumachen, dass der Liebesbrief fake war, weil er der Manga-Norm nicht entsprach? Das konnte unmöglich ihr Ernst sein. „Äh… Rinacchi? Du weißt aber schon, dass Mangas fiktiv sind, oder?“, versuchte sie ihre Freundin zur Vernunft zu bringen. „Nur weil die Charaktere in Echt nicht existieren, heißt das nicht, dass die Handlungen unecht sind“, zuckte sie mit den Schultern. Ihr Gegenüber griff sich noch immer fassungslos an die Stirn: „Ich sag es mal anders. Es gibt auch Mangas, in denen solche ‚chaotischen‘ Liebesbriefe geschrieben werden. Es gibt sogar welche in denen nur von ‚mögen‘ und nicht von ‚lieben‘ die Rede ist.“ „Nein, nein, nein, das kann nicht sein“, winkte die Blauhaarige direkt ab, „Ich kenne tausende Mangas. Das ist nie der Fall.“ Laut schnaubte Amika: „Von mir aus, dann denk eben was du willst. Aber du solltest wissen, dass wir nicht im Manga sind und dieser Brief echter als echt ist.“ „Willst du wetten, dass er es nicht ist? Der Verlierer schuldet dem Gewinner ein Eis“, schlug die Schülerin siegessicher vor. Freudig gab die Brünette ihr die Hand darauf: „Dann schuldest du mir nach der Schule ein Eis.“ „Abwarten“, bekam sie nur als Antwort. Nachdem die Wette besiegelt war, wollte Rin nochmal ganz schnell zur Toilette gehen, doch kaum war sie aus dem Klassenraum herausgeeilt, stand ihr einer ihrer Mitschüler im Weg. Es war kein geringerer als Kuro, welcher sich vor der Schülerin breitmachte und ihr mit dem Finger gegen die Stirn schnipste: „Du bist wirklich dumm wie Brot.“ „Au!“, hielt sie sich die schmerzende Stelle. Doch noch ehe sie ihm kontra geben konnte, war er auch schon in die Klasse zurückgegangen. „So ein Blödmann“, nuschelte das Mädchen, „Was habe ich den beiden nur getan, dass sie immer so fies sind?“   Nach der Abschlusszeremonie, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, war Rin schließlich im Klammergriff einer Heulboje namens Amika gefangen. „Nie wieder können wir hierher zurückkehren“, heulte sie wie ein Schlosshund, „Nie wieder werden wir diese schöne Zeit nochmal erleben dürfen. Und dann bist du auch noch weit weg.“ Unaufhörlich jammerte und weinte sie, da sie das Abschiednehmen so mitnahm. Die Blauhaarige hingegen war ziemlich gefasst und eher mit etwas Angst vor dem Ungewissen bedacht. Sie wusste noch nicht was genau sie in Amerika erwarten würde und ob sie sich dort gut einleben könnte. Außerdem kannte sie dort ja auch keinen und konnte sich an niemanden wenden, wenn sie Probleme bekommen sollte. Auch hatte sie etwas Angst davor den Verfasser des Briefes nun anzutreffen. Sie war mittlerweile gar nicht mehr so sicher was sie erwarten würde. Irgendwie hoffte sie ja, dass ihre beste Freundin recht behielt, andererseits wollte sie sich keine großen Hoffnungen machen. Vielleicht stand dort am Ende ja auch gar keiner und sie wurde nur veralbert. Abgesehen davon fragte sie sich schon den ganzen Tag, wer ihr diesen Brief geschrieben hatte. Sie zog einige mögliche Jungs in Betracht. Manche davon machten potenziell Sinn, andere hingegen waren eher Wunschdenken. Je mehr sie daran dachte, umso chaotischer wurde es in ihrem Kopf. „He, Ami. Lass mich endlich los“, kam es von der eingequetschten Schülerin, „Du zerdrückst mich noch.“ „Aber wenn ich dich loslasse gehst du weheeg…!“, heulte Amika wie ein kleines Kind. „Ich komme immer wieder zu dir zurück“, tätschelte die Blauhaarige ihr den Kopf. Es dauerte kurz, bis sie die Brünette davon überzeug hatte endlich loszulassen. Sie sahen sich ja sowieso gleich wieder, um Eis essenzugehen. Rin musste nur noch schnell die Entscheidung bringen, wer die Glückliche war, die zahlen musste.   Ziemlich langsam schlenderte Rin in die Richtung des abgelegenen Geräteschuppens. Je näher sie ihrem Ziel kam, umso weniger Schüler fand sie vor. Auch wurde ihr Herzrasen immer heftiger. Obwohl es nur darum ging, dass jemand anderes in sie verliebt war, konnte sie ihre Aufregung und das stark pochende Herz nicht unterdrücken. Am liebsten wäre sie nicht hingegangen, denn prinzipiell hatte es für sie sowieso keinen Sinn. Allerdings wäre ihre Neugierde dann nie gestillt. Sie wollte unbedingt wissen wer ihr den Liebesbrief untergejubelt hatte. Außerdem würde sie die Wette mit ihrer besten Freundin automatisch verlieren, wenn sie kneifen würde. Sie schnaubte einmal laut, ballte ihre Fäuste und ging sicheren Schrittes zum verabredeten Ort. Weglaufen war keine Option mehr, denn jetzt war Zähne zusammenbeißen angesagt. Wie würde das denn aussehen, wenn diejenige, die das Geständnis bekommt nervöser wäre als der der sich offenbarte? Total unromantisch und lächerlich. Von Weitem konnte die Schülerin bereits einen Jungen vor dem Schuppen stehen sehen. Er hatte eine schwarze Mütze auf dem Kopf und trug die Schuluniform recht schlampig. „Ist das Yoshida-kun?“, musste Rin die Augen zusammenkneifen. Plötzlich war sie sich gar nicht mehr sicher, ob sie wirklich weitergehen sollte. Akira hatte sie hundertpro wieder mal auf die Schippe genommen und machte sich nun lustig. Einige lange Sekunden haderte das Mädchen wirklich, ob sie nicht doch umdrehen sollte. Jedoch fasste sie sich ein Herz und beschloss ihm mal so richtig die Leviten zu lesen für all seine Gemeinheiten. Dieser gefakte Liebesbrief setzte dem Ganzen nämlich wirklich die Krone auf. Als sie dann nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, bemerkte sie, dass sie sich geirrt hatte. Es war gar nicht der Rotschopf, welcher da vor dem Gebäude wartete. Sie kannte den Jungen nicht. Er sah ihm nur ähnlich. „Wer bist du?“, fragte die Blauhaarige prompt, als sie bei ihm zum Stehen kam. Ein verwunderter Gesichtsausdruck traf sie: „Äh… Arata Sakurai.“ „Ah, okay. Ich hab dich noch nie gesehen, deswegen…“, erklärte sie die Frage. „Macht nichts“, lächelte er freundlich, „Dafür kenne ich dich. Du bist hier das Sport-Ass schlechthin.“ Kurz musste sie schmunzeln, ehe sie überlegte wie sie anfangen sollte. „Du, hör mal. Also genau deshalb solltest du eines wissen“, stammelte die Blauhaarige, „Ich habe ein Sportstipendium in Übersee bekommen.“ Wieder traf sie ein überraschter Blick und der arme Kerl schien ziemlich überfordert mit dieser Info zu sein. „Wie soll ich es am besten sagen. Na ja… Ich freue mich wirklich über dein Geständnis und den Brief. Ehrlich, das ehrt mich, da es mich irgendwie glücklich macht zu wissen, dass es jemanden gibt, der mich mag“, machte sie eine kurze Pause und verbeugte sich dann tief, „Aber ich kann nicht mit dir zusammen sein. Immerhin bin ich für 3 Jahre auf einem anderen Kontinent. Es tut mir schrecklich leid.“ Einige lange Sekunden zogen ins Land und Schweigen brauch über die beiden, ehe sich die Heruntergebeugte langsam wieder aufrappelte und dem Schüler ins Gesicht schaute. Dieser starrte sie fassungslos an und wusste nicht recht was er darauf antworten sollte. „Sag doch was“, stammelte die Schülerin. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und schaute in eine andere Richtung: „W-was soll ich denn sagen?“ „Na was du denkst?“, schaute Rin besorgt drein. „Was ich denke?“, hakte er nach, „Wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich das grad nicht. Ich weiß ja nicht mal von was du da generell redest.“ Nun war es die Blauhaarige, die überrascht dreinblickte: „Na von dem Liebesbrief? Den, den du mir in mein Schuhfach gelegt hast. Du hast geschrieben, dass du mich liebst und mich hier treffen willst.“ Plötzlich kam ein brünettes Mädchen aus der Richtung der Clubräume angerannt und schimpfte wie wild mit dem Wartenden: „Ist das wahr, Arata?! Spinnst du oder was?! Willst du mir etwa fremdgehen?!“ Sofort erntete der Mützenträger eine Ohrfeige der Brünetten, ehe sie wütend unter Tränen davonrannte. Natürlich machte sich Arata ebenfalls auf die Socken und rannte ihr hinterher: „Wieso fremdgehen?! Ich hab nie einen Liebesbrief geschrieben! He, jetzt warte doch mal!“ Noch einige Sekunden starrte Rin sichtlich irritiert in die Richtung, in der die beiden verschwunden waren. Sie waren schon gar nicht mehr zu sehen und trotzdem wendete sich ihr Blick nicht ab. Was war da eben passiert? War er etwa nicht der Verfasser des Briefes? Aber er stand doch am Geräteschuppen. Oder? Plötzlich erschallte lautes Gelächter und Akira kam um die Ecke gebogen. Er hatte sich scheinbar versteckt und das ganze Szenario mitangehört. Wie peinlich war das denn? Vor Scham lief die Schülerin knallrot an und blickte gen Boden. Wütend darüber, dass er sie auslachte, ballte sie ihre Fäuste und zog die Schultern hoch und den Kopf ein. Was sollte sie ihm entgegensetzen? Was bloß? Das konnte sie doch nicht mit sich machen lassen. Schon wieder schikanierte er sie maßlos. Am liebsten hätte sie ihn angeschrien und kurz und klein geschlagen. Sie wollte ihm mitteilen, dass er ein verdammter Arsch war und sie ihn nie wiedersehen wollte. Doch statt ihrer gewünschten Taten stand sie nur starr da und hoffte, dass er endlich verschwinden würde. Denn egal welche Bewegung sie als nächstes gemacht hätte, sie hätte ganz sicher angefangen zu weinen. Das war definitiv das letzte was sie im Moment wollte. Dem Feind Schwäche zeigen machte diesen immerhin nur stärker. Stattdessen kämpfte sie mit sich selbst, atmete tief durch und versuchte den dicken Kloß, der sich in ihrem Hals gebildet hatte herunterzuschlucken. „Warum fragst du auch nicht, ob er es war, der den Brief geschrieben hatte?“, blieb er grinsend vor ihr stehen, „Du bist echt unterhaltsam.“ Wieder lachte er, während Rin die Zähne zusammenbiss und versuchte sich zu kontrollieren. „Aber bisschen blöd bist du schon. Da stand hinterm Geräteschuppen und nicht davor“, verschränkte er seine Arme. Noch mitten in seinem Satz hob die Blauhaarige ihren Kopf und schaute ihn voller Entsetzen an: „D-das warst du?!“ „Ja, war doch lustig. Ich wollte mal sehen wie du reagierst, wenn ich dich ein bisschen verarsche“, grinste er hämisch und zuckte mit den Achseln, „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es hier irgendwen gibt, der sich in jemanden wie dich verl…“ Bereits mitten in seinem Satz kullerten Rin dicke Tränen die Wangen herunter. Mit größter Mühe versuchte sie diese zu stoppen, doch es half nichts. Stattdessen wurden es immer mehr und ihre Sicht drohte schon zu verschwimmen. Ihr Gegenüber war so überrascht davon, dass er sogar mitten in seinem Satz aufgehört hatte zu sprechen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass das Mädchen plötzlich zu weinen beginnen würde. Sonst heulte sie auch nie, wenn er sie mal etwas ärgerte. Sofort registrierte die Mittelschülerin, dass sie die Flucht ergreifen musste. Es war der perfekte Zeitpunkt, denn Akira hielt soeben seinen Mund. Und wer wusste schon wie lange das noch anhalten würde, bis er wieder etwas Gemeines von sich gab. Immerhin hatte sie Schwäche gezeigt, was sie noch angreifbarer machte. Doch ihre Beine wollten sich nicht bewegen. Es verstrich eine gefühlte Ewigkeit ehe ihr Gegenüber plötzlich Luft holte und erneut dazu ansetzte etwas zu sagen. Panik und Angst breiteten sich in diesem Moment in ihr aus. Sie musste weg, bevor er noch viel gehässigere Dinge zu ihr sagte. Hätte er ja Unrecht mit dem was er sagte, würde sie sicherlich nicht so weinen. Doch die unverblümte Wahrheit tat ihr mehr weh, als sie dachte. Es war offensichtlich, dass es nie jemanden geben würde, der sich ernsthaft in sie verlieben würde. Sie wusste es. Und doch weinte sie. „Aikawa-chan, i-ich…“, kam der Rothaarige nicht weit, denn endlich löste sich Rins Starre und sie rannte wie von der Tarantel gestochen davon. Noch ein paar wenige Minuten blickte Akira in die Richtung, in der die Blauhaarige verschwunden war. Es dauerte, bis sein Hirn die Geschehnisse sortiert und bearbeitet hatte. Er konnte nicht verstehen was soeben passiert war. Eigentlich dachte er, dass es lustig werden würde. Genauso wie immer. Warum kam es anders? Fluchend schritt er auf den nächsten Baum zu und prügelte auf diesen ein: „Fuck!“ Kurz wurde er dabei beobachtet, dann zeigte sich sein bester Kumpel endlich. Er hatte die ganze Szene im Verborgenen mitangesehen. „Sag einfach nichts“, keifte der Rotschopf ihn an. „Du bist der unfähigste Mensch, den ich kenne“, ignorierte Kuro seine Bitte und sah ihn kritisch an. „Ich hab doch gesagt du sollst die Klappe halten!“, stapfte Akira mit hochrotem Kopf wutentbrannt davon.   Ziemlich lange wartete Amika am Schultor auf ihre beste Freundin, bis sie endlich eintraf. Die Brünette hatte sich zwar noch mit einigen ihrer Mitschüler unterhalten und sich verabschiedet, allerdings waren so langsam alle nach Hause gegangen. Geknickt kam die Blauhaarige dann endlich bei ihr an und redete kein Wort. „Wo warst du so lange? Ich stehe hier seit einer halben Stunde und sorge mich“, meinte die Brünette, „Hast du geweint?“ „Ich war nochmal auf der Toilette“, wendete Rin ihren Blick ab. Kurzes Schweigen brach herein, da ihre beste Freundin nicht wusste was sie sagen sollte. Sie verstand absolut nicht was passiert war. Es war offensichtlich, dass die Zuspätkommende geweint hatte. Jedoch verstand sie den Zusammenhang nicht. „Du schuldest mir ein Eis“, blies die Blauhaarige die Wangen auf und stiefelte mit einer Mischung aus Wut und Traurigkeit voraus. Kapitel 13 - Die perfekte Tochter --------------------------------- Donnerstag, 16. April 2015 Auf der anderen Portalseite   „Oh nein, noch mehr Gänge?“, jammerte Rin, als sie die große Holztür aufstieß und in einen endlosen Korridor blickte. Skye stellte fest: „Ich befürchte wir haben da wohl noch den ein oder anderen vor uns.“ „Jetzt sag nicht, dass dieses Theater noch immer kein Ende gefunden hat?!“, kam es ziemlich entsetzt und genervt von dem Suzuki Erben. „Wenn ich jetzt raten müsste, würde ich fast schon sagen, dass wir wahrscheinlich erst die Hälfte des Dungeons überstanden haben“, dachte Akira scharf nach, „Das Ganze hier ist sehr videospielorientiert. In Games gibt es oft einen Zwischenboss, bevor man den tatsächlichen Endgegner erreicht.“ Genervtes Augenrollen überkam den Schwarzhaarigen daraufhin, während sich die Oberschülerin nicht halten konnte und erneut vorpreschte. Sie wollte endlich ihre beste Freundin wiedersehen un mit ihr reden. Alles sollte wieder wie früher werden. Der Schwarz-blauhaarige kam dem Mädchen zügig hinterher, welches sich immer schneller von den übrigen beiden entfernte. Zwar wurde ihnen dank Rin wieder etwas Energie gespendet, jedoch waren sie noch immer sehr angeschlagen durch den Kampf mit dem Widder. Auch die Schülerin war eigentlich noch sehr ausgepowert, aber ihr Wille trieb sie an und gab ihr Kraft. „Jetzt mach doch mal langsam“, kam der Jüngste mit kurzen schnellen Schritten näher, „Am Ende verlieren wir uns noch. Es sind alle ziemlich fertig und können kein solches Tempo halten. Wir werden deine beste Freundin schon retten.“ Durch seine Worte verlangsamten sie sich etwas und versuchte sich anzupassen: „Du hast ja recht. Am Ende renne ich nur wieder in irgendeinen blöden Shadow rein.“ „So ist es“, bekam Kuro ihre Worte zu Ohr, „Ich kann dich nicht jedes Mal retten, wenn du wieder in Lebensgefahr bist, weil du kopflos rumrennst.“ „Ey! Das ist doch gar nicht wahr! Außerdem habe ich nie darum gebeten, dass du in meine Kämpfe eingreifst“, keifte sie den jungen Mann wutentbrannt an. Dieser zuckte nur gleichgültig mit den Achseln: „Na dann lasse ich dich beim nächsten Mal eben draufgehen. Allein überlebst du hier niemals.“ „Du redest kompletten Müll! Ich werde dir beweisen, dass ich auch sehr gut ohne dich klarkomme!“, meckerte sie unaufhörlich herum. Während sich die zwei Streithähne wieder mal bekriegten, warfen sich die übrigen beiden nur einen genervten Blick mit Kopfschütteln zu. So langsam hatten auch sie keine Lust mehr den unnötigen Sticheleien beizuwohnen und schalteten auf Durchzug. Nach wenigen Minuten endete der ewig lange Gang endlich vor einer normalgroßen Tür. Erneut fand eine kurze Beratungsrunde statt, ehe sich alle einig waren, dass es nichts brachte darüber nachzudenken welche Gefahren dahinter lauern könnten. So öffneten sie besagtes Hindernis und traten in einen Raum, welcher wie eine Küche aussah. Sie war recht groß und es befand sich sogar ein Esstisch darin, auf welchem ein Laptop stand. Ansonsten sah sie recht ordentlich und sauber aus. Küchengeräte waren kaum zu sehen, da scheinbar alles in den vielen Schränken verstaut war. „Ich kenne diese Küche“, setzte die Blauhaarige an, wurde aber von Kuro unterbrochen: „Lass mich raten. Es ist Shioris Küche?“ „Besserwisser“, streckte sie ihm daraufhin die Zunge heraus. Akira hingegen, blendete das erneut aus und schritt auf den Laptop zu: „Was meinst du, Skye? Ob der Laptop vielleicht den Fernseher vom letzten Mal ersetzt? Ob wir wieder irgendetwas zu sehen bekommen?“ „Kann schon sein“, überlegte der Kleine. Experimentierfreudig setzte sich der Rothaarige daraufhin an den Tisch und begann damit auf dem Laptop herumzutippen. Gebannt sahen die beiden Jungen auf den Bildschirm, welcher von schwarz plötzlich auf eine Projektion des Raumes wechselte. Allerdings war es wie beim letzten Mal und sie konnten sich selbst nicht sehen. Stattdessen stand eine ältere Dame mit dunkelrotem Haar an der Kücheninsel und schien etwas zu Essen zuzubereiten. „Hört endlich auf zu zanken und kommt rüber“, winkte Akira seine Kameraden zu sich, „Wir haben hier wieder eine Art Erinnerung von Shiori-chan!“ „Echt?“, sprang die Blauhaarige sofort darauf an und zischte zum Laptop herüber.   Soeben kam Amika in den Raum: „Okaa-san, ich brauche noch deine Genehmigung für die Klassenfahrt.“ Die Brünette hielt der älteren Dame einen Zettel hin und schien eine Unterschrift auf diesem zu erwarten. Allerdings machte ihre Mutter keine Anstalten sich zu bewegen und kochte einfach weiter. „Kaa-san?“, hakte die Schülerin vorsichtig nach. Nun drehte sich Angesprochene herum: „Glaubst du wirklich, dass ich dir diesen Spaß unterschreiben werde? Du hast mir gestern eine Klausur mit nur 45 Punkten vorgelegt. Die Woche davor sogar eine mit nur läppischen 32!“ Betroffen schwieg die Brünette auf die Ausschimpfe der Rothaarigen vor ihr. Sie wusste, dass sie Recht hatte, konnte aber nichts entgegenbringen, was sie ein wenig entlasten könnte. „Nur über meine Leiche gehst du da mit. Erstmal wird gelernt mein Fräulein. Wenn deine Noten besser sind, können wir gerne nochmal darüber reden“, schimpfte sie weiter. „Aber bis dahin ist der Ausflug doch schon vorbei“, stammelte die Schülerin hilflos. Gleichgültig zuckte die Mutter daraufhin mit den Achseln: „Das ist dann dein Pech. Du wusstest genau was dir blüht, wenn du schlechte Noten mit nach Hause bringst. Deine Schwester Kaori hat niemals so schlechte Klausuren wie du geschrieben. Sie geht sogar währenddessen noch jobben und verdient sich ihr eigenes Geld. Du solltest dir mal eine Scheibe von ihr abschneiden und mal den Hintern hochbekommen!“ Zornig stocherte die Ältere mit Stäbchen in der Pfanne auf der Herdplatte herum. Sie schien soeben etwas Fleisch anzubraten. „Wieso fängst du schon wieder mit diesem Mist an?!“, erhob nun auch Amika wütend ihre Stimme, „Immer nur vergleichst du mich mit Kaori! Ich bin leider nicht so perfekt wie deine Lieblingstochter! Und weißt du was?! Ich will es auch gar nicht sein!“ Die Brünette wurde immer lauter und hatte bereits Tränen in ihren Augen, als im selben Moment eine plötzliche hohe Flamme in der Pfanne entfachte. Beide wichen sie daraufhin schreckhaft zurück, als Sekunden später das Feuer wieder wie weggeblasen war. Gleichgültig und noch immer zornig, verließ die Jüngere mit einem Türknallen den Raum: „Ich hasse dich!“ „Das wird dir auch nichts bringen“, murrte die Mutter leise und im selben Moment wurde der Laptopbildschirm wieder schwarz.   „Habt ihr diese gewaltige Flamme grad gesehen? Ob die vom Fett in der Pfanne kam?“, staunte Akira nicht schlecht. Auch die Blauhaarige schien völlig fasziniert zu sein: „Die war echt riesig. Wie in diesen Profiküchen, wenn die Köche Öl in die Pfanne gießen.“ „Wenn jemals in einer Küche Fette anfangen zu brennen, dann solltet ihr lieber um euer Leben rennen“, griff sich der Schwarzhaarige genervt an die Stirn, „Was bei den Köchen entflammt ist der Alkohol, den sie dazugeben, wenn sie beispielsweise etwas flambieren wollen. Ansonsten bringt die Flamme nicht sehr viel, weil sie das Essen unter Umständen zu lange zu stark erhitzt und es dadurch nicht mehr schmeckt.“ Mit großen faszinierten Augen wurde Kuro daraufhin von seinen Gruppenmitgliedern sprachlos angestarrt. Warum zum Henker kannte er sich mit so etwas aus? Kochte er etwa gerne? Und selbst wenn. Wozu sollte er flambieren können? Kein normaler Mensch brauchte sowas. „Erzähl uns doch keine Ammenmärchen. Ich weiß ganz genau, dass du nur wieder große Sprüche machst, um schlau dazustehen“, wollte sich die Blauhaarige nicht geschlagen geben, „Als mein Bruder letztens Sake in die Pfanne gekippt hat, hatte auch nichts gebrannt. Und da ist ja wohl Alkohol drin.“ Siegessicher grinste das Mädchen den Älteren daraufhin an und verschränkte die Arme. Dieser hingegen rollte nur genervt mit den Augen und fand schon gar keine passenden Worte mehr. Schließlich schnaubte er einmal laut: „Deine Blödheit macht mich immer wieder sprachlos. Damit Flammen entstehen, benötigt man mindestens 40 Volumenprozent Alkohol. Sake weist maximal die Hälfte davon auf.“ „Ach so“, schien die Schülerin ernsthaft darüber nachzudenken, „Und wer ist hier bitte blöd?!“ „Aber wie ist dann das kurze Feuer in der Pfanne bei Shioris Mutter entstanden?“, wechselte der Rothaarige zurück auf das Ursprungsthema bevor die erneute Stichelei in volle Fahrt geriet. Nun mischte auch der Kleinste wieder mit: „Ich vermute, dass das Amikas Werk war. Wenn auch unbewusst.“ „Denkst du, dass sie das Feuerelement besitzt?“, hakte der Schwarzhaarige nach. „Könnte sein“, nickte Skye zustimmend, „Allerdings kann ich das nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht hatte auch noch ein weiterer Faktor eingewirkt, den wir nicht zu sehen bekamen.“ „Warte mal“, machte der Suzuki Erbe eine kurze Pause, „Wenn sie die Macht über das Feuer hat. Kann es dann sein, dass sie für den Hausbrand verantwortlich ist? Hat sie ihre Schwester absichtlich umgebracht?“ „Jetzt halte aber mal die Luft an!“, wurde Rin plötzlich laut, „Spinnst du eigentlich komplett? Als ob Ami ihre Schwester umbringen würde!“ Zornig ballte sie die Fäuste und knurrte den Ältesten wutentbrannt an. Sie konnte es nicht glauben, dass er auf solch eine absurde Idee kam. Selbst wenn ihre beste Freundin solche Kräfte besaß, hieß das noch lange nicht, dass sie Kaori umgebracht hatte. Wahrscheinlich hatte sie sie nur nicht unter Kontrolle, ähnlich wie bei der Blauhaarigen, und hatte deshalb unabsichtlich irgendetwas leicht entzündliches entflammt. Oder aber es hatte nichts mit alledem zutun und es war ein einfacher Unfall. „Ich schließe es nicht aus. Jeder könnte verdächtig sein. Wer sagt, dass deine Freundin so ein Unschuldsengel ist?“, blieb Kuro ernst. Das Mädchen zuckte auf seine Aussage hin auf einem Auge und versuchte merklich einen weiteren Wutausbruch zurückzuhalten. Jedoch war es wohl kaum verwunderlich, dass sie sich nicht zügeln konnte. Stattdessen brüllte sie plötzlich laut, holte mit ihrem linken Arm aus und stürmte völlig außer sich auf den Provozierenden zu. Dieser machte zuerst keine Anstalten sich zu bewegen, merkte aber schnell, dass es seine Angreiferin bitterernst meinte und versuchte in Deckung zu gehen. Im Bruchteil einer Sekunde bewegte sich auch Akira plötzlich und konnte sich zwischen die beiden drängen. Mit offenen Armen versuchte er das Mädchen abzufangen, welches geradewegs in ihn rannte. Obwohl Rin noch versuchte zu bremsen, krachte sie mit voller Wucht in den Rothaarigen hinein und ging mit einem schrillen Schrei in seinen Armen zu Boden. Gleichzeitig klapperte es im Spülbecken äußerst eigenartig, als plötzlich eine starke Wasserfontäne aus diesem herausschoss. Noch im selben Moment erlosch sie wieder und lies einen kurzen Nieselregen auf die Kleingruppe niedergehen. Der Suzuki Erbe wusste gar nicht wovon er eigentlich in diesem Augenblick vor Schreck zusammenzuckte. Es passierte alles nur im Bruchteil einer Sekunde. Irritiert darüber was soeben passierte, lag die Oberschülerin auf dem Bauch der Länge nach auf dem Rothaarigen. Ihre Gesichter waren unmittelbar voreinander und sie starrten sich gegenseitig in die tiefblauen Augen. Noch ein Stückchen näher und ihre Lippen hätten sich berührt. Rin wollte sich gar nicht ausmalen wie viel peinlicher das noch hätte werden können, wenn diese paar Zentimeter nicht gewesen wären. Es war schon schlimm genug, dass sie auf dem jungen Mann lag und durch ihre Schockstarre keinerlei Anstalten zum Aufstehen machte. „Habt ihr euch grad geküsst?“, ertönte die erschrockene Stimme des Kleinsten, welcher es aus seinem Winkel nicht richtig erkennen konnte. Beide liefen sie dadurch plötzlich purpurrot an und schnell rappelte sich die Blauhaarige endlich wieder auf: „W-was? N-nein! Wie kommst du auf so einen Stuss?!“ Man merkte nur unschwer wie sie immer lauter wurde und die Panik in ihr hinaufkroch. „Lasst uns endlich hier verschwinden und einen anderen Weg suchen“, stand auch Akira auf. Jedoch schien er die Ruhe in Person zu sein. Als hätte ihm dieser kleine Sturz nicht im Geringsten etwas ausgemacht. Zügig zog er die Tür wieder auf, durch welche sie vor wenigen Minuten in diese Küche gelangten. Jedoch machte er keinen weiteren Schritt mehr, sondern starrte lediglich in den Gang: „Hah?! Die Wände haben sich verändert!“ Ungläubig begutachteten nun auch die restlichen Drei den Korridor und mussten feststellen, dass es keine Einbildung war. Es führte nun ein Weg nach rechts und einer nach links. Damit die Gruppe endlich vorankam, übernahm der Rotschopf dieses Mal die Führung und schlug den rechten Gang ein. Das Mädchen bildete das Schlusslicht und schlurfte mit einer Mischung aus Zorn und peinlicher Berührung schweigend hinter dem Schwarzhaarigen her. Wäre er nicht gewesen, wäre sie nicht sauer geworden. Und wäre sie nicht sauer geworden, hätte sie auf keinen losgehen müssen. Dann wäre auch Akira nicht zwischen sie gesprungen und hätte sie abgefangen. Diese ganze peinliche Situation wäre also nie zustande gekommen, gäbe es diesen reichen Pinkel nicht. Plötzlich überkam es sie und mit einem lauten wütenden Knurren holte sie mit ihrem Lacrosseschläger aus. Sekunden später knallte das Obere des Schlägers völlig unvorbereitet auf Kuros Hinterkopf auf. „Du bist ein Idiot!“, schrie sie ihn unterdessen an. Angeschriener zuckte schmerzhaft zusammen und zog reflexartig den Kopf ein, als er sich zu seiner Hinterfrau umdrehte: „Sag mal spinnst du?! Was soll das?“ „Frag nicht so dumm! Das hast du verdient“, blähte das Mädchen die Wangen auf und verschränkte die Arme, „Außerdem war das nicht mal fest, du Jammerlappen!“ Hochnäsig ging sie an ihm vorbei und stieß an die Spitze der Gruppe vor. Mit geballten Fäusten sah er ihr wütend hinterher. Er dachte bereits über seinen Rachefeldzug nach, da entkrampfen sich seine Muskeln wieder und er nuschelte in seinen Bart: „Nervige Ziege. Was habe ich denn verbrochen?“ Daraufhin schaute er mürrisch und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf, während er den anderen unauffällig folgte. Kurze Zeit und ein paar Shadows später landete die Kleingruppe jedoch in einer Sackgasse, an dessen Ende ein großes Schmuckkästchen platziert war. Das war das einzig Auffällige, was sie bisher in dem Korridor zu sehen bekamen. Ansonsten gab es nur Steinwände, Steinwände und nochmal Steinwände. „Wieso steht hier so eine Kiste?“, legte der Rothaarige den Kopf schief. Die Schülerin hingegen fragte nicht großartig, ging in die Hocke und öffnete das zu groß geratene Kästchen. Zu sehen bekam sie allerdings keinen Schmuck, sondern zwei schwarze Dosen mit einem großen roten „M“. Die Blauhaarige nahm sie heraus und begutachtete sie kritisch: „Leute? Sind das Energydrinks? In einer Schmuckschachtel? In dieser unwirklichen Welt?“ Auch die anderen traten nun näher und sahen sich die Drinks genauer an. Etwas Auffälliges konnten sie aber auch nicht entdecken. „Scheint ein stinknormales Monster Energy zu sein“, öffnete der Mützenträger eine der beiden Dosen. Ein kurzes Zischen ertönte und ein süßlicher Geruch erfüllte den Gang. Schnell nahm der junge Mann einen Schluck und schien es zu genießen: „Jap. Das ist definitiv Monster. Ein richtig gutes sogar.“ Durstig trank er daraufhin nochmals einen großen Schluck und grinste freudig über die kühle Erfrischung. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich nun besser. Wahrscheinlich lag es wohl einfach daran, dass er etwas ausgetrocknet war. „Ähm… Akira?“, weiteten sich die Augen des Schwarzhaarigen, welcher auf den Arm des Rothaarigen deutete. Die Wunde, die er hatte, als er von einem der Blitze getroffen wurde, begann sich soeben zu minimieren. „Ist das so eine Art Zaubertrank, der heilende Wirkungen hat?“, legte das Mädchen den Kopf schief. „In Videogames wäre der Energydrink jetzt wahrscheinlich als >Medizin< oder sowas betitelt“, blickte auch Akira schief drein, „Was geht in dieser Welt bloß ab?“ „Wie ironisch ist denn das?“, musterte Kuro die übrige Dose kritisch, „Ein Energydrink, der Energie auffüllt? Was Dümmeres ist denen wohl nicht eingefallen?“ Während die Gruppe noch weiter über das Thema redete, setzten sie sich wieder in Bewegung, um den ganzen Weg zurückzulaufen. Auf halber Strecke liefen sie auch dieses Mal wieder Shadows über den Weg. Darunter trabte sogar eine Art Pferd mit Ritter und Lanze an. „Versteckt euch“, rief Skye seinen Kameraden im Flüsterton zu, „Der sieht ziemlich stark aus!“ „Wo sollen wir uns denn verstecken, du Schlaumeier?“, kam es zynisch vom Schwarzhaarigen. Rin hingegen ging gar nicht weiter darauf ein und preschte mal wieder kopflos voran: „Wir müssen zuschlagen, solange er uns noch nicht entdeckt hat. Weglaufen ist bei diesen Gängen sowieso nicht drin!“ Mit lautem Kampfgebrüll stürmte die Oberschülerin auf das Wesen zu und griff es mit ihrem Lacrosseschläger aus dem Hinterhalt an. Wie zu erwarten brachte das allerdings nicht viel. Lediglich seine Aufmerksamkeit und Wut hatte das Mädchen damit geweckt, wodurch er mit seiner Lanze zum Gegenschlag ausholte. Im selben Moment wurde die Blauhaarige von etwas an der Taille gepackt und nach oben gezogen, sodass sie der Lanze um Haaresbreite entkam. „Das war knapp“, atmete die in der Luft hängende laut auf. Eine Art Wurzel hatte sie umwickelt und hochgezogen. Plötzlich erschien Sarubi, welcher auf Kuros Befehl hin den Reiter attackierte. Dieser wich daraufhin getroffen zurück, schien allerdings robuster zu sein als die vorherigen Shadows, welchen sie in den Gängen begegnet waren. Natürlich konnte die Schülerin es nicht auf sich sitzenlassen, dass mal wieder der Suzuki Erbe den ganzen Ruhm einheimsen wollte und beschwor auch ihre Persona: „Los, Kyusagi. Dem treten wir kräftig in den Hintern: Single Kick!“ Durch den starken physischen Angriff wich der Attackierte erneut zurück, schien aber trotz allem noch immer nicht besiegt zu sein. Wie wild regte sich das Mädchen daraufhin auf, strampelte in der Luft herum, und hätte das Wesen am liebsten selbst vermöbelt. Wieder startete es eine Gegenattacke und schleuderte dieses Mal einen großen Feuerball auf die Jungs, welche sich ziemlich schnell an die Seitenwände flüchteten. Nur Rin hing weiterhin unberührt in der Luft und meckerte unaufhörlich: „Verdammt! Lass mich runter du Arsch. Ich trete diesem Ding höchstpersönlich in den Hintern!“ „Setz einen Wasserangriff ein, Rin! Der Shadow ist vom Feuertyp!“, ignorierte der Jüngste ihr Gestammel. „Was du nicht sagst“, schien die Blauhaarige wenig beeindruckt, „Da wäre ich jetzt nach dem Feuerball nie draufgekommen.“ Schnell befahl die Oberschülerin schließlich einen Wasserangriff und die Häsin spülte den Ritter mitsamt dem Pferd einfach davon. „Geschafft“, warf das Mädchen freudig die Arme in die Luft. „Das war aber mehr Glück als Verstand, du Vollidiot“, kam es mal wieder schnippisch von ihrem Lieblingskamerad, „Hätte ich dich nicht vor seiner Lanze gerettet, wärst du bereits mausetot.“ „Gar nicht wahr! Du willst nur nicht eingestehen, dass ich auch was auf dem Kasten hab!“, keifte sie den Schwarzhaarigen an. „Ist das nicht vollkommen egal, Leute?“, griff sich der Rothaarige leicht genervt an die Stirn. „Das war Berith. Im Vergleich zu den anderen schwachen Shadows, denen wir begegnet sind, war der gut dreimal so stark. Wir hatten wirklich Glück, dass wir heil aus der Sache herausgekommen sind“, sprach der Schwarz-blauhaarige ernst. Wieder mal ignorierte er den Streit und bezog sich nur auf die wichtigen Dinge. Was sein geistiges Alter anging, so war er weitaus reifer als so manch anderer der Truppe. „Ist doch egal. Plattgemacht ist plattgemacht“, war es Rin vollkommen gleichgültig, „Und jetzt lasst mich endlich hier runter.“ Wie wild strampelte sie erneut herum und zog an den Wurzeln, welche sie fest umklammerten. Jedoch rührten sie sich keinen Millimeter. Mit einem schnellen Schuss seiner Softair befreite Kuro sie schließlich mit Leichtigkeit, woraufhin sie ziemlich plötzlich herunterstürzte und unsanft auf ihrem Hintern landete. „Aua! Das ging doch auch sanfter!“, rieb sie sich beim Aufstehen das Hinterteil. Zur Antwort bekam sie jedoch nur ein gleichgültiges Schulterzucken vom Verursacher, bevor die Kleingruppe ihren Fußmarsch fortsetzte. „Findet ihr nicht auch, dass es immer wärmer wird?“, meldete sich der Rothaarige zu Wort, welchem schon der Schweiß im Gesicht stand. Aber auch die anderen Gruppenmitglieder waren am Schwitzen. Skye hatte seine Jacke bereits ausgezogen und umgebunden und auch Kuro legte soeben seinen dünnen Schal ab. „Verglichen mit dem Anfang ist das hier wirklich die reinste Sauna“, wischte sich auch die Oberschülerin den Schweiß von der Stirn. Ungewöhnlicherweise bekam sie vom Suzuki Erben Bestätigung: „Ausnahmsweise hast du mal Recht.“ „Was soll das nun schon wieder heißen?!“, ballte das Mädchen erneut die Fäuste, als sie frech von ihm angegrinst wurde. „Könnt ihr nicht einmal aufhören zu zanken? Das nervt langsam“, jammerte nun auch der Mützenträger. Beschämend sah die Blauhaarige zu Boden. Sie wollte ihn nicht nerven. Eigentlich fand sie sich selbst etwas nervig, aber sie wollte und konnte den Schwarzhaarigen nicht einfach auf sich herumhacken lassen. Es schmeckte ihr nicht, dass er sie ständig schlechtmachte. „Wir zanken doch gar nicht. Ich sag nur die Wahrheit“, zuckte Angesprochener unschuldig mit den Achseln. Mit einem Klapps auf den Hinterkopf seines Kumpels, beendete der Rothaarige die Diskussion: „Schluss jetzt!“ Nach einer Weile und einigen Kreuzungen kam die Gruppe wieder an einer Tür an, welche von der Schülerin nach einer kurzen Beratung geöffnet wurde. Erneut standen sie in einem Teil von Amikas altem zu Hause. „Durchwandern wir jetzt das ganze Haus, bis wir sie endlich gefunden haben?“, jammerte die Blauhaarige herum. Genau wie der Rest der Truppe schien auch sie keine Lust mehr zu haben und wollte einfach nur ans Ziel gelangen. Sie waren alle mittlerweile mehr als erschöpft und brauchten demnächst eine Pause. „Jetzt sind wir also im Hausflur gelandet, oder wie?“, sah sich Akira neugierig um, „Seht ihr hier irgendwo einen Bildschirm? Wir finden doch sicherlich wieder eine dieser Erinnerungen.“ Schnurstracks lief Kuro daraufhin auf einen der Bilderrahmen an der Wand zu: „Seht mal. Das ist doch ein digitaler Fotorahmen, oder?“ „Tatsächlich“, trat sein Kumpel neben ihn und versuchte den schwarzen Rahmen zum Laufen zu bekommen. Allerdings erfolglos. Unterdessen sah sich die Schülerin ein wenig um und testete einige der Türen, welche an den Hausflur anschlossen. Jedoch ließ sich keine öffnen. Auch ein Schlüsselloch war nicht vorhanden. Nur der Durchgang zum Wohn- und Esszimmer war offen. Ohne große Umschweife betrat sie den Raum und sah sich um. Es war alles genauso, wie sie es in Erinnerung hatte. Der Esstisch, das große Fenster dahinter, die Couch, der übergroße Fernseher, der gemütliche Kamin und die Schränke, in dessen Mitte eine große Vitrine stand. Darin waren Pokale und Medaillen ausgestellt, welche Amikas Eltern und ihre große Schwester in der Vergangenheit erkämpft hatten. „Hier bist du“, betrat der Rothaarige zusammen mit den anderen beiden das Wohnzimmer, „Der Bilderrahmen war ein Flopp. Vielleicht ist hier ja ein Hinweis.“ Noch ehe er zu ende gesprochen hatte, nahm der Jüngste ein Handy vom Esstisch, um welches sich alle neugierig versammelten. „Meinst du nicht, dass der große Fernseher die sinnvollere Wahl wäre?“, überlegte das Mädchen. Aber noch bevor die Truppe darüber diskutieren konnte, fand das Mobiltelefon ein Signal und gab ein Bild wieder:   In der Hocke saß Amika vor dem großen Kamin und wärmte ihre Hände am offenen Feuer. Der Raum war bis auf das Licht des Feuers dunkel und verlassen. Mit betrübter Miene schaute sie dem Flackern zu, als ihr eine Träne die Wange herunterkullerte. „Das ist fies“, murmelte das Mädchen, „und unfair.“ Schnell wischte sie sie wieder weg und schniefte laut. „Es ist Weihnachten. Alle sind ausgegangen und ich habe Hausarrest“, konnte man sie durch ihr Wimmern nur schwer verstehen, „Wegen diesen dummen Noten. Das ist doch vollkommen unmenschlich. Blöde Schule.“ Plötzlich flackerte das Feuer für einen kurzen Moment deutlich höher auf, wodurch die Brünette erschrak und auf ihren Hintern plumpste. „Schon wieder? Was war das? War ich das?“, näherte sie sich dem Kamin wieder und streckte vorsichtig ihre Hand nach dem Feuer aus. Erneut flackerte es wie wild herum und die Traurigkeit der Schülerin schien der Begeisterung zu weichen, als plötzlich der Bildschirm des Handys wieder schwarz wurde.   „Na, wenn das nicht Beweis genug ist, dass sie das Feuer kontrollieren kann, dann weiß ich auch nicht“, verschränkte Akira nachdenklich die Arme. Die Blauhaarige legte ihren Kopf schief: „Sie hat also tatsächlich das Feuerelement?“ Eine kurze Zeit stand die Gruppe schweigend da und starrte nachdenklich auf den schwarzen Handybildschirm. Keiner wollte aussprechen was er dachte. Jedoch war es eindeutig, dass alle die Brünette mit dem Brand in Verbindung brachten, welcher Kaori auf dem Gewissen hatte. Wortlos verließ Rin kurz darauf das Wohnzimmer und ging in den Hausflur zurück. Nach weiteren Hinweisen suchend sah sie sich um, als auch der Rest zu ihr stieß. „Suchst du etwas?“, hakte der Schwarzhaarige nach. Doch noch bevor das Mädchen antworten konnte, erhob Skye seine Stimme: „Hey! Wir können zurück!“ „Ist hier wieder so ein Schnellreisepunkt?“, fragte der Rothaarige irritiert nach. „Ja“, nickte der Jüngste, „Es wurde mir soeben angezeigt. Lasst uns zurückgehen und eine Pause machen.“ Abgesehen von der Oberschülerin schienen alle erleichtert darüber zu sein. Zwar waren sie am Ende ihrer Kräfte angelangt, doch wollte die Blauhaarige nicht wieder zurück. Sie konnte nicht schon wieder ohne ihre beste Freundin heimkehren. „Ich bleibe hier“, verfinsterte sich ihr Blick und sie ballte die Fäuste, „Geht ihr ruhig und ruht euch aus. Ich werde dieses Mal nicht ohne Ami gehen.“ „Schon wieder die gleiche Laier?“, schnaubte der Suzuki Erbe laut. „Das hat doch keinen Sinn. Alleine würdest du in den Tod rennen. Abgesehen davon bist du genauso fertig wie wir alle. Sieh dich doch mal an“, kam es besorgt von dem Rothaarigen. Der Sturkopf hingegen wollte so gar nicht einsehen, dass ihre Kameraden völlig recht hatten und wurde immer lauter. Fast schon schreiend protestierte sie dagegen jetzt einfach heimzugehen. Dabei stiegen ihr sogar Tränen in die Augen und keiner der Jungs wusste was er dagegen tun sollte. Kuro war es, der sie mit lauter Stimme endlich unterbrach: „Du nervst!“ Gleichzeitig schlug er ihr mit der flachen Handseite in den Nacken, wodurch sie plötzlich wortlos einsackte. Geschickt fing der Schwarzhaarige sie auf und nahm sie huckepack. Bewusstlos hing sie daraufhin mit dem Kopf auf seiner Schulter. „Na geht doch“, schien der Schwarzhaarige ziemlich zufrieden zu sein. Sein bester Kumpel hingegen konnte es nicht fassen: „Hast du sie grad bewusstlos geschlagen? Geht’s noch?!“ „Ach komm schon. Was hättest du denn gemacht? Wir hätten hier noch ewig gestanden und versucht sie zur Vernunft zu bringen“, meckerte er ihn ebenfalls an. „Es ist auch nicht meine Idealvorstellung gewesen, aber was solls? Bevor sie sich sinnlos in Gefahr begibt ist das immer noch die beste Lösung“, zuckte der Schwarz-blauhaarige recht gleichgültig mit den Achseln. „Ich bin hier echt nur von Idioten umgeben“, verdrehte der Rothaarige die Augen.     Kapitel 14 - Überschwemmung --------------------------- Freitag, 17. April 2015   Mit einem lauten Schrei fuhr Rin aus dem Schlaf hoch. Skye, welcher bis eben neben ihr schlief, zuckte gewaltig zusammen und rieb sich daraufhin müde die Augen. Schwer atmend und mit weit aufgerissenen Augen schnaubte sie laut, während ihr die Schweißperlen von der Stirn tropften. „Warum schreist du denn?“, murmelte der Jüngere verschlafen. „Mich hat ein Shadow verfolgt und mit einem Feuerball abgeschossen. Ich konnte Ami deshalb nicht retten und sie ist gestorben“, erklärte sie kurz. „Das war nur ein dummer Traum“, jammerte der Schwarz-Blauhaarige und drehte sich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen. Die Blauhaarige dachte noch eine Zeit lang darüber nach, bis ihr auffiel, dass sie ihre Kleidung von gestern noch trug. Je mehr sie darüber grübelte, umso mehr fragte sie sich, wie sie überhaupt ins Wohnheim zurückgekommen war. „He, Skye. Sag mal, wie bin ich gestern ins Wohnheim gekommen?“, legte sie den Kopf schief, „Das letzte woran ich mich erinnere ist, dass ich im Dungeon bleiben wollte. Ich bin nie nach Hause gegangen.“ „Kuro hat dich ausgeknockt und hergeschleppt“, murmelte Angesprochener knapp. „Er hat was?!“, wurde das Mädchen wütend, „Wie kann er es wagen mich einfach umzuhauen?!“ Doch statt einer vernünftigen Antwort ihres Gesprächspartners bekam sie nur ein leises Murren und ein „Ich will schlafen.“ Da das Mädchen ausnahmsweise viel zu früh wach war, ging sie erstmal unter die Dusche und machte sich in Gemütsruhe für die Schule fertig. Grade als sie die Treppe hinunterstieg, kam ihr Shina entgegen. Sie hatte ein Handtuch über den Schultern und komplett durchnässtes Haar. „Guten Morgen, Aikawa-chan“, lächelte sie die Blauhaarige an. Diese antwortete irritiert: „M-Morgen. Wieso bist du so nass?“ „Ach, ich war nur eine Runde schwimmen. Am Morgen ist das Schwimmbad noch so schön leer“, erklärte sie. „Schwimmbad?“, erntete die Brünette einen unwissenden Blick. „Wusstest du das nicht? Im Keller ist ein Wellnessbereich mit allem Drum und Dran“, deutete das Mädchen mit dem Finger zum Boden, „Wenn du willst können wir gerne mal gemeinsam schwimmen gehen. Das ist total erfrischend.“ Schief grinsend wich die Blauhaarige jedoch zurück: „Nein danke, lass mal. Ich bin ziemlich wasserscheu.“ „Ich kann dich ja schlecht zwingen“, zuckte Shina mit den Schultern, „Jetzt muss ich aber los, sonst komme ich noch zu spät.“ „Na dann aber schnell“, lachte die Blauhaarige. „Wir sehen uns ja später. Mach‘s gut Aikawa-chan“, zog die Durchnässte an ihr vorbei. Schnell drehte sich nach unten Gehende nochmal um: „Nenn mich doch einfach nur Rin.“ Auch Angesprochene wandte sich nochmal herum: „Gerne. Dann nenn du mich auch beim Vornamen, Rin.“ Freudig grinste sie: „Wird gemacht, Shina.“ Kurz darauf verabschiedeten sich die beiden Schülerinnen voneinander und gingen ihrer Wege.   Herzhaft gähnend hatte Rin ihren Fensterplatz in der Klasse eingenommen, als eine ihrer Mitschülerinnen aufgebracht in den Raum gestürmt kam. Deutlich hörbar tuschelte sie mit den anderen Mädels: „Ihr werdet es nicht glauben, aber der Suzuki-Prinz kommt heute endlich wieder in den Unterricht.“ „Ehrlich?“, hakte die Eine nach, während eine Andere kritisch nachfragte: „Was macht dich so sicher?“ „Ich habe ihn vorhin mit Schulbüchern in der Hand gesehen“, erklärte sie schnell. Neugierig wie die Blauhaarige war, stieß sie zu der kleinen Mädchengruppe hinzu und versuchte mitzureden. Sie hörte nun schon zum zweiten Mal von besagtem Prinzen und konnte sich absolut keinen Reim darauf bilden wer das sein sollte. Es musste scheinbar einer von Kuros Verwandten sein, der ebenfalls diese Schule besuchte. Aber wer? Abgesehen davon konnte sich Rin kaum vorstellen, dass dieser Fiesling einen prinzenhaften Verwandten hatte. Vielleicht war es ja auch gar kein Schüler, sondern einer der Lehrer? Das machte jedenfalls in den Augen der Blauhaarigen am meisten Sinn. „Wer soll denn dieser Suzuki-Prinz sein?“, unterbrach die Neugierige ziemlich direkt das Gespräch der aufgebrachten Hühner. Diese hingegen sahen die Unwissende kritisch an: „Ist das dein Ernst? Du kennst ihn nicht?“ Eine Andere nickte: „Jeder hier kennt ihn.“ „Er ist wie ein unerreichbarer Märchenprinz. Herzensgut, gutaussehend, klug und stark“, schwärmten sie weiter. Genauso schlau wie vorher hob Rin eine Augenbraue und musterte den Mädchenhaufen äußerst kritisch. „Die haben doch alle einen Dachschaden“, murmelte sie vor sich hin, „Als ob es so einen Kerl geben würde. Wir sind doch nicht im Manga.“ „Na ja, solange ihr nicht von Kuro redet, ist es mir eigentlich egal. Der Kerl ist nämlich das Letzte“, schnaubte die Oberschülerin laut. „Wer soll das denn sein?“, nahm eine der Hühner das Gespräch wieder auf. Rin hingegen winkte nur ab: „Ach niemand besonderes. Vermutlich nur ein Verwandter eures Prinzen. Einer von der fiesen Sorte.“ „Der Prinz kann gar keine böswilligen Verwandten haben. Dazu ist er viel zu nett“, bekam sie eine empörte Retourkutsche. Erneut musste die Blauhaarige genervt seufzen und feststellen, dass sie gegen die geschlossene Front dieser Fangirls nicht ankam. Erst als es klingelte und der Lehrer hereinkam, löste sich der Mädchenhaufen zwangsweise auf. Von besagtem Prinzen war jedoch keine Spur. Als die zweite Schulstunde heranbrach und Rin mit müden Augen versuchte dem Unterricht zu folgen, wurde sie durch ein lautes Klopfen an der Tür plötzlich hellwach. Erwartungsvoll starrte die Klasse nun zum Eingang, als dieser geöffnet wurde. „Entschuldigt die Verspätung“, kam es knapp vom Neuankömmling. Im selben Moment begann die halbe Klasse zu tuscheln und wurde ziemlich unruhig. Wobei sich Rin nicht sicher war, ob die Unruhe Freude oder Ärgernis mit sich brachte. Während die Mädchen sehr aufgebracht und freudig wirkten, schnaubten viele der Jungs genervt, rutschten tiefer in den Stuhl oder befassten sich intensiver mit den Schulaufgaben. Insgesamt war es ein recht eigenartiger Anblick, der sich der Neuen gerade bot. Das war allerdings eher eine Nebensache, denn vielmehr starrte sie den neu Hinzugekommenen Kerl an. Es war kein geringerer als Kuro, welcher soeben wieder die Tür hinter sich schloss und auf dem freien Platz direkt neben Rin platznahm. „Was machst du hier?“, knirschte die Blauhaarige mit den Zähnen und sah ihn deutlich böse an. „Lernen?“, grinste er sie freundlich an. In seinem Grinsen hätte ein Außenstehender keine böswilligen Hintergedanken lesen können. Das Mädchen jedoch wusste ganz genau, dass er sie auf die Palme bringen wollte. „Du weißt genau das ich das nicht meinte“, keifte sie ihn leise an, „Seit wann bist du in dieser Klasse? Und warum bist du die ganze Zeit nicht hier gewesen?“ „Ich hatte eben einiges zu tun“, zuckte er mit den Schultern und packte seine Unterrichtsmaterialien aus. Verärgert über seine schwammigen Aussagen, wandte sich die Schülerin vom Schwarzhaarigen ab und versuchte sich wieder auf den Unterricht zu konzentrieren. Dabei spürte sie durchweg grimmige Blicke ihrer Mitschülerinnen. Was war bloß los mit ihnen? Zuerst hatten sie von einem Prinzen geredet, dann kam Kuro herein, aber angeblich kannten sie niemandem mit diesem Namen und jetzt schienen die Mädels aus irgendeinem Grund sauer auf sie zu sein. Und wer der blöde Prinz sein sollte wusste sie auch immer noch nicht. Ihr neuer Sitznachbar totsicher nicht. Oder doch? „Wo ist der Anstecker, den ich dir gegeben habe?“, ertönte leise die Stimme des Schwarzhaarigen, „Du hast den doch nicht ernsthaft verloren, oder?“ Ein böser Blick traf den Suzuki-Erben und leise zischte Angesprochene: „Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Er ist im Wohnheim.“ „Wieso steckst du ihn nicht an?“, verstand er nicht. Mit verschränkten Armen lehnte sich die Blauhaarige im Stuhl zurück: „Weil ich ihn grade nicht brauche. Ich bin nicht bei der Arbeit.“ Seit sie auf ihrem ersten Botengang von diesem Phoenix bedroht wurde, machte es ihr etwas Angst den Suzuki Anstecker offen zu tragen. Er bedeutete, dass die Schülerin einen gewissen Wert hatte und leichter zum Opfer solcher Typen werden konnte. Das wollte sie lieber vermeiden. „Du bist immer bei der Arbeit, also trag ihn bei dir“, befahl Kuro kompromisslos. „Ich bin nicht dein Sklave“, knurrte die Blauhaarige ihn an. „Mach‘s einfach“, wandte er sich wieder von ihr ab und das Gespräch war beendet.   Als es endlich zur Mittagspause klingelte, stand der Schwarzhaarige direkt auf und drehte sich nochmal zu Rin um: „Hol mir was aus der Cafeteria und komm dann ins Schülerratszimmer.“ „Wieso sollte ich?“, protestierte das Mädchen. Doch es brach keine Diskussion los. Stattdessen wurde sie ignoriert und der junge Mann verließ, umlagert von seinen Mitschülerinnen, den Raum. Sie boten ihm ihre Hilfe an oder fragten ihn, ob er mit ihnen zu Mittag essen würde. Allein bei dem Gedanken lief der Blauhaarigen ein eisiger Schauer den Rücken hinunter und sie schüttelte sich. Nach kurzem Überlegen machte sie sich dann aber auch auf den Weg. Zwar wollte sie ihm kein Mittagessen organisieren, jedoch war ihr auch klar, dass es in gewisser Weise ihr Job war seine Aufträge auszuführen. Etwas Besseres hatte sie sowieso nicht zu tun. Grade als sie mit ihrer mitgebrachten Bentobox und dem gekauften Essen für Kuro auf dem Weg ins Schülerratszimmer war, wurde sie auf halbem Weg von zwei Mädels ihrer Klasse belagert. Mit verschränkten Armen standen sie vor der Blauhaarigen und blockierten ihr den Weg: „Was hast du mit dem Suzuki Prinz zu schaffen?“ „Nichts?“, blickte die Oberschülerin völlig überrumpelt zu den beiden Mädchen, „Ich kenne ihn doch nicht mal.“ „Lüg uns nicht an! Im Unterricht habt ihr doch die ganze Zeit getuschelt“, bekam der Neuzugang an den Schultern einen Schubser und taumelte eins, zwei Schritte zurück. „Meinst du Kuro? Ist er etwa euer sogenannter Prinz?“, verstand das Mädchen noch immer nichts, „Seid ihr masochistisch veranlagt?“ „Wie kannst du ihn so schamlos anreden?! Noch dazu mit einem so niederen Namen?“, schienen ihre Mitschülerinnen völlig empört. „Zeige ihm gefälligst Respekt und nenne ihn Suzuki-sama! Und wage es ja nicht ihm zu nahe zu kommen!“, wurde Rin bedroht. Diese jedoch blieb erstmal standhaft: „Ich nenne ihn wie es mir gefällt. Und ob ich diesem Idioten nahekomme oder nicht, geht euch nichts an. Außerdem lässt es sich nicht vermeiden, dass ich ihn jeden Tag sehe, denn ich arbeite für ihn!“ „Du gehörst also tatsächlich zum niederen Volk?“, schritt eine der beiden direkt vor das Mädchen und packte sie am Kinn, „Wie auch immer du es geschafft hast dich bei ihm einzuschleimen, du wirst es noch bereuen.“ Damit war für die Übeltäterinnen das Gespräch beendet und sie stießen das Mädchen unsanft zu Boden. Dabei fiel Rins Bento so unglücklich herunter, dass es aufging und sich über dem Fußboden verteilte. Doch das war noch nicht genug, denn ihre Klassenkameradinnen traten bei ihrem Abgang nochmal absichtlich auf das herumliegende Essen. Auch über das Mittagessen für Kuro liefen sie gradewegs drüber. Kaum waren die Mobberinnen um die nächste Ecke gebogen, kam Shina zur Blauhaarigen geeilt: „Ist alles in Ordnung?“ „Hast du das mitbekommen?“, hockte Verspottete noch immer auf ihren vier Buchstaben. Kurz haderte die Brünette mit sich: „J-ja habe ich. Tut mir leid, dass ich nicht eingegriffen habe.“ Man merkte, dass es ihr wirklich leidtat. Verübeln konnte Rin es ihr jedenfalls nicht. Eher versuchte sie derzeit ihre Gedanken zu ordnen. Sie verstand noch nicht so recht warum ihre Mitschülerinnen so fies zu ihr waren. Eigentlich hatte das Mädchen doch gar nichts verbrochen, oder? Für ihre Herkunft konnte sie ja nichts und dass sie den Suzuki-Erben kannte und für ihn arbeitete, war nicht unbedingt ihr Wunsch. „Ach, die sind doch total durchgeknallt“, sprang die Blauhaarige wütend auf, „Das war mein Mittagessen!“ Perplex schaute die Brünette zu, wie Gemobbte sauer rummurrte und das herumliegende Essen aufsammelte. Kurz darauf fasste sie sich allerdings wieder und half ihr schnell beim Aufräumen. „Wenigstens ist Kuros Essen noch halbwegs heil“, hielt Rin die Tüte mit dem zertrampelten Essen in die Höhe. „Ich bezweifle, dass er das noch essen wird“, legte Shina kritisch den Kopf schief. Ihr Gegenüber lachte nur herzhaft: „Wenn er nicht will, dann esse ich es eben.“ „Du bist wirklich stark“, murmelte die Brünette leise, als sich beide wieder auf den Weg zum Schülerrat begaben. „Hast du was gesagt?“, hatte sie ihre Kollegin nicht recht verstanden. Diese schüttelte nur den Kopf: „Nein, nein. Nur ein kleines Selbstgespräch.“   „Das macht dann 6000 Yen (ca. 50 Euro)“, schmiss Rin die Tüte mit Kuros Mittagessen direkt vor seine Nase. „Was soll das denn sein?“, blickte der junge Mann das zermatschte Gericht angewidert an. Kurz überlegte die Blauhaarige: „Ziemlich überteuerter Curryreis mit Schnitzel.“ „Das sehe ich auch“, keifte er sie an. „Iss es, oder lass es. Nur gib mir mein Geld wieder“, stemmte sie die Hände in die Hüfte. „Warum hast du das bezahlt? Bist du dumm?“, hob der Schwarzhaarige eine Augenbraue. Noch bevor die Oberschülerin erneut ausflippen konnte, funkte nun Shina dazwischen: „Wenn du den Anstecker kurz vorzeigst, bekommst du das Essen in der Cafeteria umsonst.“ Aus ihrer Strickjackentasche zog sie den Bronzefarbenen Anstecker mit dem Glöckchen darauf, welchen auch die Blauhaarige besaß. „Echt jetzt?“, fiel das Mädchen aus allen Wolken, „Das sagt ihr mir jetzt erst?!“ „Ich hab dir am Anfang erklärt, dass du mit dem Pin diverse Sonderrechte hast. Hör halt zu“, zuckte der Schwarzhaarige gleichgültig mit den Schultern. „Du bist aber nicht ins Detail gegangen“, wurde das Mädchen immer lauter, „Außerdem wusstest du, dass ich das Ding heute im Wohnheim gelassen habe!“ „Ach stimmt ja. Da war was“, fiel es Kuro wieder ein. Kurz darauf setzten sich die neu Hinzugekommenen endlich. Während die Brünette ihrer Kollegin etwas von ihrem Mittagessen abgab, stocherte der Suzuki-Erbe missmutig in seinem Curryreis herum. „Wo ist dein eigenes Essen hin? Hattest du nicht vorhin noch etwas dabei?“, verstand der junge Mann nicht, wieso sich die Mädels ein Bento teilten. Kurz stockte Angesprochene, fand aber schnell wieder Worte: „Das geht dich gar nichts an.“ Unter gar keinen Umständen wollte die Oberschülerin, dass er etwas von der Mobbingaktion gerade eben mitbekam. Es war schon peinlich genug, dass sie gegen diese dämlichen Mädchen so wehrlos war. Noch bevor sich das unangenehme Gespräch vertiefen konnte, ging die Tür auf und Ruri trat herein: „Entschuldigt die Verspätung. Auf halbem Weg haben mir die Lehrer noch Aufgaben aufs Auge gedrückt.“ „Schon okay. Setz dich einfach“, kam es freundlich aus dem schwarzhaarigen. „Und warum sind wir nun alle hier? Ich habe sicherlich keine Lust mit dir zusammen zu essen“, provozierte Rin mal wieder. „Ich habe heute Nachmittag einen Termin, deshalb werde ich nicht in der Schule sein und kann euch später keine Aufgaben verteilen“, fing er an. Jubelnd wurde er jedoch von der Blauhaarigen unterbrochen: „Juhu wir haben frei!“ „Das glaube ich eher weniger“, grinste die Brünette schief und Rins Laune sank wieder in den Keller. „Shina, dich brauche ich wieder im Suzuki Anwesen. Wäre super, wenn du direkt nach dem Unterricht dorthin kommen würdest.“ Mit einem kurzen Nicken ihrerseits setzte er fort: „Da ich derzeit einfach zu nichts komme, weil der Schulleiter fehlt, muss ich dir als Schulsprecherin etwas mehr aufs Auge drücken, Ruri. Ich hoffe das ist okay? Du bekommst von mir Rin zur Verfügung gestellt.“ „Ja, mach dir keine Sorgen. Ich hab dir ja damals gesagt, dass ich dich unterstützen werde“, bejahte die Eisblauhaarige sofort. „Danke. Hier sind die Unterlagen, die noch bearbeitet werden müssen“, tippte er einen Stapel Ordner an, welcher unmittelbar neben ihm lag. Noch kurz unterhielt er sich mit den beiden Mädels, während die Blauhaarige gleichgültig vor sich hindöste. Erst als das Klingeln zum Unterricht ertönte wurde sie wieder wach und begab sich zusammen mit Ruri zurück zum Unterricht. Der Schwarzhaarige wollte nachkommen, da er nochmal schnell am Lehrerzimmer vorbeimusste, während Shina in ihre eigene Klasse zurückging. „Was haben wir jetzt eigentlich?“, dachte Rin laut nach. Die Antwort ihrer Begleiterin kam schnell: „Schwimmen.“ „S-schwimmen?!“, fiel die Oberschülerin aus allen Wolken. „Ist das ein Problem?“, verstand die Eisblauhaarige nichts. „Ich glaub ich schwänze. Auf jeden Fall werde ich nicht in die Nähe dieses Schwimmbeckens gehen“, erklärte sie knapp. „Bist du wasserscheu, oder hast du Angst?“, fragte die Jüngere, „Kannst du dann überhaupt schwimmen?“   Irgendwie hatte es Ruri geschafft den Angsthasen in den Badeanzug zu stecken und nun stand sie zusammen mit ihren Mitschülern in der Schwimmhalle. Innerlich fluchte Rin, dass sie in ihre Sporttasche damals auch den Badeanzug gestopft hatte. Hätte sie das nicht getan, hätte sie nun eine gute Ausrede nicht teilnehmen zu müssen. Aber wie erklärte sie nun, dass sie unter gar keinen Umständen ins Wasser konnte? Während sie überlegte, hörte sie die Mädchen leise tuscheln. Einige schienen enttäuscht darüber, dass ihr Suzuki Prinz abwesend war. Sie hatten tatsächlich recht. Kuro war nirgends zu entdecken. Dabei sagte er, dass er nur schnell was erledigen würde und dann direkt nachkäme. Im Grunde war es ihr aber egal, ob er noch auftaucht oder nicht. Bei ihrem Problem konnte er ihr eh nicht helfen. Besser gesagt, wollte sie ihn nicht um Hilfe bitten. „Okay, auf gehts. Zum Aufwärmen schwimmt ihr bitte zehn Bahnen“, befahl die Schwimmlehrerin und pfiff einmal kurz in ihre Trillerpfeife. Sie hatte schwarzes langes Haar, welches lockig aus ihrem Zopf herauswallte. Dazu sah sie wirklich jung aus und hatte eine Wahnsinns-Figur. Die Jungs hatten totsicher Spaß an diesem Unterricht. „Komm, Aikawa-chan“, zog die Eisblauhaarige das Mädchen am Handgelenk, „Ich helfe dir.“ Ein paar wenige Schritte machte Rin, ehe sie standhaft stehenblieb: „Nein, nein, nein, nein. Ich bleib einfach hier. Geh du nur. Das ist keine gute Idee, dass ich da reingehe.“ „Bist du dir sicher? Du brauchst keine Angst vor dem Wasser zu haben. Das tut dir schon nichts. Außerdem bin ich ja auch bei dir“, lächelte Ruri sanft. Ein schiefes Grinsen kam daraufhin zurück: „Glaub mir, es ist wirklich besser, wenn ich einfach hierbleibe.“ „Na gut“, lies sie schließlich von ihr ab und begann damit ihre Bahnen zu schwimmen. „Warum stehst du noch hier?“, kam die junge Frau auf die Schülerin zu. „Na ja… Ich… Also… Ich kann da nicht reingehen, Ayase-sensei“, stammelte die Blauhaarige. Allein beim Anblick der großen Wassermasse hatte sie eindeutig schon genug Adrenalin und Panik angestaut. Unter gar keinen Umständen konnte sie da reingehen. Sie würde sterben vor Angst. „Gibt es auch einen Grund warum du nicht kannst?“, schien die Lehrerin nicht überzeugt zu sein. Der Blick der Schülerin wanderte nervös von einer Ecke in die andere und erneut stammelte sie: „Ich kann nicht schwimmen.“ „Glaubst du wirklich, dass ich dir das abkaufe? Das lernt man bereits in der Grundschule“, drückte sie der Oberschülerin eines der blau-weißen Schaumstoffbretter in die Hand, „Und jetzt ab ins Wasser.“ Mit ernstem Blick sah sie Rin an und deutete mit dem Finger aufs Schwimmbecken. In Schockstarre verfallen, blickte die Oberschülerin die Schwarzhaarige panisch an und bewegte sich nicht einen Millimeter. Stattdessen rann ihr der Schweiß unaufhörlich von der Stirn und ihre Hirnzellen ratterten wie wild, um eine gute Ausrede zu finden. „I-ich bin krank“, hustete Rin gekünstelt. Genervt verschränkte die Lehrerin ihre Arme: „Nein, bist du nicht. Wenn du keinen vernünftigen Grund hast nicht schwimmen zu gehen, geh endlich rein und schwimm deine Bahnen. Das wird dich nicht umbringen.“ „Doch wird es“, kam direkt eine Antwort. „Jetzt reichts“, packte sie das Mädchen und ging mit ihr aufs Becken zu. Panisch jammerte diese, strampelte und quiekte herum. Doch es half nichts. Nur wenige Meter vor dem Schwimmbecken, kam plötzlich ein blauer Lichtblitz aus den Umkleiden direkt auf die Blauhaarige zugeflogen. Es war der Saphir, welcher mit voller Wucht in der Hand seiner Besitzerin stoppte. Warum nur kam er plötzlich angeflogen? Sie hatte doch keine andere Wahl als ihn abzulegen. Es war ja nicht so, als hätte sie ihn dort gelassen, weil sie ihn verstieß. Skye erwähnte jedenfalls mal, dass man den Stein ablegen konnte und er nicht wie ein Gummiband zurückschnellen würde, wenn man ihn nicht ablehnte. Da sie jetzt allerdings ihren Saphir wiederhatte, konnte sie ihre vollen Kräfte einsetzen. Dieser Segen war allerdings ihr Fluch, denn durch ihre Panikattacke hatte die Schülerin ihre Kräfte noch viel weniger unter Kontrolle, als sowieso schon. Langsam wurde das Wasser unruhig und leichte Wellen kamen auf, als es die Schwimmlehrerin mit Rin endlich zum Beckenrand geschafft hatte. Mittlerweile kam kaum noch Gegenwehr von der Blauhaarigen, da diese durch den Saphir und die immer stärker werdenden Wellen auf ein neues Problem gestoßen war. Ihre unnötigen Kräfte mussten unbemerkt bleiben. Der Saphir durfte von keinem gesehen werden. Und am Wichtigsten war, dass sie sich unter gar keinen Umständen so sehr verausgabte, dass sie am Ende zum Jungen wurde. Das wäre wohl das Peinlichste was ihr passieren könnte. Ihre Zweifel waren wirklich berechtigt. Wenn Kuro Recht behielt, dann verwandelte sie sich nur, wenn sie sich zu sehr mit ihrer Kraft verausgabt hatte. Und die riesige Wassermenge dieses enorm großen Schwimmbeckens zu bewegen, würde sie ganz sicher sehr erschöpfen. Noch während Rin alle möglichen Gedanken durch den Kopf schossen, hatte es Ayase-sensei bereits geschafft das Mädchen ins kühle Nass zu werfen. Gleichzeitig wandelten sich die leichten Wellen ziemlich plötzlich in Sekundenschnelle in immer Heftigere, bis schließlich das Wasser überallhin schwappte. Schreiend versank die Blauhaarige starr vor Angst wie ein schwerer Stein in den Wellen. Auch ihre Mitschüler gerieten durch den plötzlichen Wellengang total in Panik und schrien. Sie hatten Schwierigkeiten nicht unterzutauchen und zu ertrinken. Einige wurden sogar mit den Wellen aus dem Becken gespült. Sekunden später stoppten die heftigen Wellen wie aus dem Nichts und alles schien wieder wie vorher. Noch während die Schwimmlehrerin starr vor Schreck aufs Becken sah, rappelten sich die Schüler wieder auf, schwammen an den Beckenrand und kamen aus diesem schnurstracks heraus. Im selben Moment kam plötzlich Kuro aus der Jungenumkleide angerannt und sprang äußerst eilig ins Wasser. Suchend sah er sich Unterwasser um und versuchte seine neuste Assistentin zu finden. Er hatte noch sehen können, wie sich das Mädchen sträubte ins Becken zu gehen und von der Lehrerin einfach hineingeworfen wurde. Da schlugen auch schon heftige Wellen auf, welche ihm direkt klarmachten, dass er Handeln musste. Mehr Sorgen bereitete ihm in diesen wenigen Sekunden jedoch eher die plötzlich wiederauftretende Ruhe des Wassers, nachdem es so gewütet hatte. Es war definitiv Rin, welche für das Phänomen verantwortlich war. Doch da es so abrupt endete befürchtete der Suzuki-Erbe nichts Gutes. Damit sollte er auch Recht behalten, denn er fand die Blauhaarige schließlich regungslos am Boden treiben. Jedoch konnte er seinen Atem nicht mehr länger halten und schwamm erstmal wieder an die Wasseroberfläche, um in Windeseile nach Luft zu schnappen und zum Grund des Schwimmbeckens zu tauchen. Am Handgelenk zog er die Schülerin schnell nach oben und hielt sie über Wasser. „Schnell! Sie hat eine Menge Wasser geschluckt und atmet nicht“, hievte er sie über den Beckenrand und forderte die Hilfe der Lehrerin, als er zeitgleich aus dem Wasser sprang und schon neben der Bewusstlosen kniete. Da er nicht darauf warten konnte, bis die Schwimmlehrerin endlich in die Gänge kam setzte er bereits dazu an ihr selbst eine Mund-zu-Mund-Beatmung zu verpassen. Schnell hielt er ihre Nase zu, hob das Kinn etwas an und kam ihr mit seinen Lippen näher, als sie im selben Moment eine große Menge Wasser heraushustete, welches mitten im Gesicht des Suzuki-Erben landete. Nach Luft ringend hustete sie und wurde von Ayase-sensei aufgesetzt: „Ist alles in Ordnung?“ Kuro hingegen plumpste erleichtert auf seinen Hintern und strich sich mit einer Hand die nassen Haare aus dem Gesicht. Zwar sagte er nichts, doch konnte man erkennen wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. „Kannst du wirklich nicht schwimmen?“, hakte die Lehrerin besorgt nach. Unter Husten erklärte die Oberschülerin knapp: „Hab ich doch gesagt.“ „Tut mir leid. Ich habe diese Ausrede schon zu oft gehört und sie deshalb nicht für voll genommen“, entschuldigte sich die junge Frau bei ihr. „Kannst du sie ins Krankenzimmer bringen, Suzuki-san? Aikawa-chan sollte unbedingt durchgecheckt werden“, bat sie den Retter um Hilfe. Während dieser zustimmend nickte, kam Ruri hinzu, welche sich in ein großes dickes Badetuch gewickelt hatte und zu frieren schien. Sie hatte das Badetuch der Blauhaarigen dabei und legte es dieser um die Schultern. Sofort wickelte sich das Mädchen wortlos darin ein. Sie zitterte stark. Ob vor Angst oder Kälte konnte sie selbst nicht sagen. Daraufhin schnappte sich der Schwarzhaarige die unter Schock stehende und trug sie in seinen Armen zum Krankenzimmer.   In besagtem Raum angekommen, setzte Kuro sie endlich auf einem Hocker ab und sah sich nach der Krankenschwester um. Jedoch war sie nirgends zu sehen. Sie musste wohl grad irgendwo unterwegs sein. „Du bist echt schwer und supernervig. Weißt du das eigentlich?“, murrte der Schwarzhaarige wie immer herum, „Warum hast du das ganze Schwimmbad überschwemmt? Hast du echt so krasse Angst vor ein bisschen Wasser, dass du direkt so sehr ausartest? Du hättest deine Mitschüler töten können! Das ist dir klar, oder?“ Statt der erwarteten Retourkutsche, in welcher die Oberschülerin den Suzuki-Erben beschimpfte, kam nichts. Totenstille erfüllte den Raum, als plötzlich ein leises Schniefen ertönte. Als der Schwarzhaarige soeben endlich ein weiteres Handtuch fand, drehte er sich schlagartig wieder zu ihr um: „Heulst du jetzt etwa?“ Langsam ging er vor ihr in die Hocke, hängte das gefunden Tuch über ihre nassen Haare und versuchte ihr nach unten hängendes Gesicht zu erspähen. Unaufhörlich rieb sie sich die Augen und wischte die Tränen weg. Sie versuchte wirklich aufzuhören, aber es ging einfach nicht. Kuro hatte Recht. Sie hatte alle in Lebensgefahr gebracht. Es war ganz allein ihre Schuld, weil sie ihre Kräfte nicht unter Kontrolle hatte und weil sie diese höllische Angst vor dem Wasser hatte. Aber wie sollte sie sie bekämpfen? Und wie sollte sie es schaffen diese unheimliche Kraft unter Kontrolle zu bringen? Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr musste sie weinen. „Hey“, kam es dieses Mal sanfter aus dem Schwarzhaarigen, „Zu Beginn hatte ich meine Kräfte auch nicht unter Kontrolle. Wollte ich Blumen zum Blühen bringen, verwelkten sie.“ Daraufhin stand er kurz auf, ging zum Fenster und pflückte aus dem Blumenkasten eine noch geschlossene Gerbera. Wieder ging er vor dem Mädchen in die Hocke und versuchte sie vom Weinen abzulenken: „Hier für dich.“ Vorsichtig nahm er ihre Hand und drückte ihr die Blume in diese. Für den Moment hörte die Blauhaarige mit Weinen auf und schniefte nur noch etwas. „Pass gut auf“, hielt er ihre Hand, in welcher die Pflanze war. Ganz langsam begann diese damit aufzublühen und wuchs zu einer wunderschönen Blume heran. „Genauso schön wie die Gerbera blüht, wirst auch du eines Tages erblühen und deine Kräfte unter Kontrolle haben und deine Angst besiegt haben. Versprochen“, lächelte Kuro sie lieb an. Sein Versuch der Aufmunterung schien Wirkung zu zeigen, denn sie musste unweigerlich schmunzeln, obwohl ihr noch eine letzte Träne die Wange herunterkullerte. Schnell wischte sie sie ab und sah den jungen Mann daraufhin mit einem gequälten Lächeln an: „Du bist gruselig, wenn du nett bist.“ Mit dieser Aussage hatte er nun so gar nicht gerechnet, weswegen er peinlich berührt aufstand und ihr grob mit dem Handtuch durch die Haare wuschelte, um diese zu trocknen: „Und du bist wie immer mega nervig.“ „Aua was machst du da, du Grobian?!“, meckerte sie ihn an. Abrupt hörte er damit auf und zog die Tür zum Gehen auf: „Ich such die Krankenschwester und du bleibst schön hier sitzen, damit das klar ist!“ „Du hast mir gar nichts zu befehlen!“, keifte Rin ihn an. Damit verschwand er aus dem Raum. Kaum war er um die nächste Ecke gebogen, blieb er stehen, schlug mit der Unterseite der Faust gegen die Wand und stützte sich dann mit seinem Unterarm an dieser ab: „Kacke!“ Mit der anderen Hand fasste er sich an die Stirn, während er nicht zu wissen schien, ob er sauer war oder nicht. Leise murmelte er: „Ich hab auf ihr herumgehackt, obwohl sie eh schon am Boden war und sie so zum Heulen gebracht. Wie unreif war das denn bitte? Und diese dämliche Aufmunterung erst… So uncool.“ Während ihm die Schamesröte ins Gesicht stieg, sackte er langsam zu Boden und blieb in der Hocke sitzen. Im selben Moment kam die Krankenschwester an ihm vorbei: „Suzuki-san? Ist alles in Ordnung? Wieso hockst du hier durchnässt in Badehose rum?“ Besorgt ging auch sie in die Hocke und wollte sich um den jämmerlich wirkenden Klops kümmern. Dieser jedoch winkte nur ab: „Alles gut. Im Krankenzimmer wartet eine Patientin.“ Etwas unsicher über seine Aussage stand die gute Frau wieder auf und begab sich schließlich zur wartenden Rin. Grade als auch Kuro sich wieder aufrappeln wollte nieste er ziemlich heftig. „Scheiße“, schniefte er und machte sich zurück auf den Weg in die Schwimmhalle. Er brauchte dringend Schuhe und etwas Warmes und Trockenes zum Anziehen.   Kapitel 15 - Beunruhigende Zeilen --------------------------------- Velvet Room   Eine mir bekannte sanfte Arie erreichte wiedermal meine Ohren und der angenehm reine Duft nach frischem Regen ließ mich meine Augen öffnen. Nur um im selben Moment festzustellen, dass ich mich schon wieder in dieser Folterkammer befand. „Wieso?“, stammelte ich sichtlich genervt, „Ich dachte der Spuk ist vorbei?“ Fast schon panisch sprang ich währenddessen im knöcheltiefen Wasser von einem Bein zum anderen, bis mir die Idee kam auf einen der kleinen Felsen zu klettern, welche an die unförmige Höhlenwand anschlossen. „Hör gefälligst auf herum zu jammern und sei lieber dankbar für die Hilfe des Meisters“, bäumte sich JayJay vor mir auf. Dieses Mal hatte sie wieder eine kurze schwarze Hose statt dem Rock an und ihre langen platinblonden Haare waren zu einem normalen Pferdeschwanz gebunden. „Dann hört gefälligst auf mich immer wieder herzuholen!“, gab ich ihr direkt Gegenworte, „Und überhaupt, was sollen diese Persönlichkeitsstörungen?!“ „Welche Persönlichkeitsstörungen? Hast du ne Macke?“, verzog das Mädchen irritiert das Gesicht. Da sich die Blonde dessen nicht bewusst zu sein schien, wusste ich nicht recht, wie ich ihr erklären sollte, dass sie sich jedes Mal anders benahm. Entweder war sie ruhig und freundlich oder so wie jetzt. Laut und tendenziell eher unfreundlich. Es war wirklich so, als hätte sie zwei unterschiedliche Persönlichkeiten über die sie sich nicht im Klaren war. Wie ich jedoch feststellte, konnte man am Aussehen ziemlich leicht ausmachen, welche der beiden soeben das Machtwort ergriff. Die Ruhige und Freundliche war mädchenhafter angezogen, während die Aufbrausende mit den Hosen und dem einfachen Pferdeschwanz eher burschikoser wirkte. Aber auch die Gestiken verrieten es ziemlich schnell, da sie unterschiedlich wie Tag und Nacht waren. „Willkommen in meinem Velvet Room“, ergriff nun Igor endlich das Wort. Seine nervige Assistentin ignorierend versuchte ich erneut herauszufinden, was mich wieder herführte: „Warum hast du mich schon wieder hergebracht?“ „Wie mir scheint hast du viel Neues herausgefunden. Aber ob es dafür ausreicht, sie zu retten?“, grinste die Langnase mich an, als hätte ich zuvor nichts gefragt, „Die Zeit wird langsam eng. Ihr Schicksal scheint besiegelt zu sein.“ Angestrengt spannte ich mein Gesicht an und versuchte den wirren Worten des alten Knackers zu folgen. Was zum Teufel redete er da? Etwa von Ami? Wollte er mir vermitteln, dass sie sterben würde? „Drück dich mal aus. Willst du mir sagen, dass Ami bereits verloren ist?“, kam es nicht gerade freundlich aus mir heraus. Das fand wohl auch JayJay, welche mich direkt zurechtwies: „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du den Meister nicht so respektlos behandeln sollst?!“ „Nerv mich nicht“, knurrte ich sie an. Amüsiert kicherte Igor: „Eins solltest du wissen, mein werter Gast: Wenn der Bulle bald erscheint, das Opfer nicht ist vereint, der Bock des Schlachtfeldes abdankt, der Weg deines Schicksals wankt.“ Mit geöffnetem Mund und verengten Augen starrte ich den alten Mann äußerst verwirrt an. Es war nicht zu übersehen, dass ich seine ach so poetischen Worte absolut nicht verstand. „Was? Red‘ so, dass man dich versteht“, meckerte ich ihn an. Doch mein Gegenüber schien sich zu amüsieren: „Du wirst es schon noch verstehen, mein Kind. Aber nun ist es Zeit zu gehen.“ Hatte er mich grade Kind genannt? Entsetzt darüber wollte ich ihn anschnauzen, jedoch kamen keine hörbaren Worte aus meinem Mund und der Raum entfernte sich in Windeseile, ehe es stockdunkel wurde.   Samstag, 18. April 2015   Eine ganze Weile schon klingelte Rins Wecker lautstark vor sich hin, doch aufwecken konnte er sie nicht. Nur Skye, welcher ebenso schwer wachzubekommen war, wurde kurz darauf auf das Geräusch aufmerksam und murrte leise in unverständlichen Buchstaben herum. Allerdings schaltete das den nervigen Ton auch nicht aus, weswegen er sich aufsetze und erstmal nach dem Ursprung dessen suchte. Schnell machte er das Handy der Blauhaarigen ausfindig, welches auf ihrem Nachttisch durch das starke Vibrieren herumrutschte und dabei eine laute Melodie von sich gab. Da der Jüngere nicht aufstehen wollte, krabbelte er einfach zur Hälfte über die Oberschülerin und streckte angestrengt seinen Arm nach dem Telefon aus. Gerade als er es endlich erreichte, verlor er jedoch das Gleichgewicht und fiel unsanft auf das Mädchen, welches er damit schlagartig weckte. Während sie zu sich kam, schaffte er es endlich das Weckgeräusch abzustellen. Da Skye noch total müde und durch die Aktion geradeeben völlig erschöpft war, senkte er seinen Kopf wieder und blieb ausgestreckt wie tot über Rin liegen. Diese hingegen rappelte sich langsam auf und versuchte zu realisieren, was hier eigentlich los war. Den Kopf reibend blinzelte sie verschlafen in den Raum, als sie bemerkte, dass der kleine Mann quer über ihrem Schoß lag und weiterzuschlafen schien. Allerdings wunderte sie sich deshalb schon gar nicht mehr, denn der Kleine war schwieriger aus dem Bett zu bekommen als sie selbst. Und das sollte wirklich etwas heißen. „Der Bulle erscheint bald und der Bock bedankt sich beim Schlachtfeld?“, brummte der Kopf der Schülerin, „Und irgendwas mit einem Opfer und meinem Schicksal?“ Der Schwarz-blauhaarige hörte diese Worte natürlich und knurrte müde vor sich hin: „Was redest du da für einen Müll?“ „Ich hatte einen merkwürdigen Traum, in dem mir jemand sowas ähnliches gesagt hat. Das muss irgendwas mit Ami zu tun haben. Ich glaube es bleibt nicht mehr viel Zeit sie zu retten, aber genaueres verstehe ich nicht“, versuchte sie sich zu erklären. „Hattest du etwa eine Traumvision?“, wurde er nun so langsam neugierig. Sie schüttelte allerdings den Kopf: „Nein, manchmal lande ich im Traum an einem anderen Ort. Ich bin nicht mal sicher, ob er wirklich existiert. Aber das was dort passiert, ist manchmal in irgendeiner Weise nützlich. Ich verstehe es nur nicht.“ „Ich wills gar nicht wissen“, winkte der Jüngere ab, „Sag mir einfach nur genau was du gehört hast.“ „Wenn ich das noch wüsste“, verschränkte das Mädchen die Arme und blickte grimmig drein, als sie versuchte sich zu erinnern. Plötzlich holte ein Klopfen an der Tür die Blauhaarige wieder aus ihren Gedanken. Wer das wohl sein könnte? Nachdem sie ihren heimlichen Mitbewohner von sich geschoben hatte und sich erhob um die Tür zu öffnen, nahm dieser seine Vogelform an, um sich somit besser zu verstecken. Als Rin dann schließlich dem Unbekannten öffnete, fand sie nichts außer einem blauen Briefumschlag mit goldenem Wachssiegel mit eingraviertem „V“ am Boden. Am Ende des Flurs konnte sie jedoch noch jemanden von hinten laufen sehen. Er sah aus wie ein Mittelschüler, könnte aber auch noch Grundschüler sein. Da war sie sich nicht ganz sicher. Allerdings kam der Blauhaarigen das Outfit des Jungen äußerst bekannt vor. Er trug eine blau karierte lange Hose, über welcher ein weißer Gürtel hing. Dazu schwarze Schuhe und einen schwarzen Pullover mit blauen Ärmeln, unter welchem schwarze Hosenträger hervorblitzten. Um den Hals hatte er ein weißes Tuch gebunden und auf dem Kopf trug er eine blaue Mütze. Seine kurzen strubbeligen Haare waren platinblond. „JayJay?!“, stieß Rin nur verwundert aus, woraufhin sich der Platinblonde umdrehte und grinsend seinen Zeigefinger über seine Lippen legte. Sekunden später war er dann schließlich um die nächste Ecke gebogen und obwohl die Oberschülerin ihm nachrannte, konnte sie ihn nicht mehr ausfindig machen. So langsam verstand sie gar nichts mehr, denn sie war der festen Überzeugung, dass sie einen Jungen gesehen hatte. Allerdings konnte das doch nicht sein. Wechselte JayJay etwa auch ab und an mal das Geschlecht? Genau wie sie selbst? Unterdessen hatte Skye den Brief aufgehoben und bereits geöffnet. Als das Mädchen endlich wieder im Zimmer war, las der Schwarz-blauhaarige die Zeilen vor: „Wenn der Bulle bald erscheint, das Opfer nicht ist vereint, der Bock des Schlachtfeldes abdankt, der Weg deines Schicksals wankt.“ Mit geweiteten Augen kam es wie der Blitz aus der Zuhörerin: „Ja! Genau das war es! Das waren die exakten Worte! Ich kapier nur nicht was es bedeutet.“ „Na ja, auf jeden Fall bedankt sich der Bock nicht beim Schlachtfeld, sondern zieht sich davon zurück“, fasste sich der kleine Mann nachdenklich ans Kinn, „Wir müssen rausfinden wer dieser Bulle und der Bock sein sollen. Sollte es wirklich etwas mit deiner Freundin zu tun haben, könnte es äußerst nützlich sein.“ Plötzlich lachte die Oberschülerin lauthals los und bekam sich gar nicht mehr ein: „Der Bock hat keinen Bock?“ Der Jüngere hingegen war mehr als verdutzt und konnte seinen eigenen Sinnen nicht glauben, als er die Ältere so kindisch umhertollen sah. Es dauerte kurz bis er verstand worüber sich die Blauhaarige so sehr amüsierte, denn der Witz war einfach viel zu schlecht. Schnaubend griff er sich an die Stirn und ignorierte sie einfach. „Ich wünschte, ich könnte auch so unbeschwert sein“, schmiss er sich in die Sitzecke und starrte nachdenklich auf das Schreiben. Rin hingegen winkte positiv gestimmt ab: „Mach dir keine Sorgen. Heute gehen wir wieder rüber. Und dieses Mal schwöre ich, dass wir mit Ami zurückkehren werden. Egal ob wir diese wirren Worte entziffert haben oder nicht.“   Am Abend warteten Kuro, Rin und Skye bereits vor dem alten Schuppen auf dem Sportgelände. Einzig Akira fehlte noch. „Warum kommt eigentlich immer irgendwer zu spät?“, murrte der Schwarzhaarige herum. „Willst du damit auf irgendetwas anspielen?“, zischte das Mädchen leicht verärgert. Ihr Gesprächspartner ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen: „Und wenn schon.“ Der Jüngste hatte schon die Befürchtung, dass gleich wieder eine Diskussion zwischen den beiden Streithähnen ausbrechen würde. Allerdings bewahrheitete sich diese nicht. Stattdessen brach ein unheimliches Schweigen aus, was vermutlich daran lag, dass sie einfach keine Lust hatten ihre Kraftreserven für Blödsinn aufzubrauchen. Obwohl der Schwarz-blauhaarige wusste, dass die Oberschülerin vermutlich die Letzte war, die logisch dachte, hielt er diesen Grund dennoch am naheliegendsten. Abgesehen davon war die Blauhaarige den ganzen Tag für den Suzuki-Erben auf Achse gewesen, sodass sie sowieso etwas erschöpft war. Nichtsdestotrotz war sich Skye für den Moment gar nicht mehr sicher was ihm lieber war. Die nervigen Streitereien oder das peinliche Schweigen. Ein paar Mal unterbrach der Schwarzhaarige die Stille mit Niesen. Es schien beinahe so, als hätte er sich eine kleine Erkältung eingefangen. Wahrscheinlich vom Vortag, an welchem er durchnässt in Badehose durch die Gegend gerannt war. Dementsprechend war die Blauhaarige leicht in Sorge, da es in gewisser Weise ja ihre Schuld war. Eigentlich wartete sie noch auf irgendwelche fiesen Worte des jungen Mannes, jedoch blieb er stumm. Kurz darauf kam der Rotschopf dann endlich und alle atmeten leise auf: „Entschuldigt die Verspätung. Ich musste Überstunden schieben.“ Da es um seinen Job ging, konnte ihm keiner böse sein und die Warteten winkten nur ab. Der Schwarzhaarige wunderte sich allerdings über den großen Rucksack seines Kumpels: „Was schleppst du denn da mit dir rum?“ „Ihr werdet Augen machen“, grinste Akira voller Vorfreude, als er den Rucksack abnahm und öffnete. Zu sehen bekamen seine Kameraden eine Tasche, welche randvoll mit verschiedenen Monster Energydrinks gefüllt war. „Oh wow“, staunte das Mädchen nicht schlecht, „Das ist gar keine dumme Idee. Immerhin haben diese Dinger heilende Wirkungen im Dungeon.“ Kuro hingegen sah darin eher ein Problem: „Das ist ja schön und gut, aber wer sagt, dass die Energydrinks von dieser Seite die gleiche Wirkung haben wie die Getränke von der anderen Seite. Abgesehen davon ist das Gepäck beim Kampf doch eher im Weg.“ „Unrecht hat er nicht“, nickte der Jüngste zustimmend. Trotz allem ließen sich die anderen beiden von dem negativen Gerede nicht beirren und plädierten dennoch darauf den Proviant mitzunehmen. Als die Kleingruppe soeben aufbrechen wollte, wurde sie vom Schwarz-blauhaarigen aufgehalten: „Moment noch. Jetzt, da wir alle komplett sind, würde ich gerne noch eine Kleinigkeit besprechen.“ Aus seiner Jackentasche zücke er den blauen Brief, welchen er seit dem Morgen zu entschlüsseln versuchte. Kurz erklärte er den Unwissenden wie es dazu kam und hoffte endlich auf eine Lösung der wirren Worte. „Wir müssen das Ganze Stück für Stück analysieren und nicht als Gesamtpaket sehen, denke ich“, überlegte der Schwarzhaarige. Auch der rothaarige Mützenträger half angestrengt mit: „Na dann widmen wir uns mal dem ersten Teil.“ „Das wäre: Wenn der Bulle bald erscheint“, las der Kleinste erneut vor. „Okay, das heißt doch eigentlich so viel wie, dass in Zukunft etwas in Erscheinung tritt. Aber ob das wirklich ein Bulle ist? In wie weit sollte uns ein Bulle helfen Shiori-chan zu retten?“, gab Akira seine Meinung kund. Sein Kumpel baute darauf auf: „Vielleicht ist das ja weniger materiell gemeint. Eventuell eine Redensart oder etwas anderes was mit einem Bullen zu tun hat. Nur was?“ Ratlos schwieg die Gruppe eine kurze Zeit, ehe sie beschlossen den nächsten Abschnitt unter die Lupe zu nehmen. Wieder las der Jüngste: „Das Opfer nicht ist vereint.“ „Mit dem Opfer ist definitiv Ami gemeint“, gab nun auch Rin selbstbewusst ihren Senf dazu. „Ach was“, sah der Suzuki-Erbe die Oberschülerin unbeeindruckt an, „Da wären wir jetzt nicht drauf gekommen du Blitzmerker.“ „Die Frage ist eher wie genau es gemeint ist, dass sie nicht vereint ist“, überlegte der Rothaarige. „Entweder es bezieht sich darauf, dass sie mit uns nicht vereint ist, oder der Geist mit ihrem Körper. Aber prinzipiell kommt es eigentlich aufs selbe bei raus. Oder was meint ihr?“, legte Skye den Kopf schief. Dieses Mal waren sich alle einig, dass damit sicherlich so etwas gemeint sein musste, weswegen die nächste Zeile dran war: „Der Bock des Schlachtfeldes abdankt.“ „Der hat’s in sich“, schnaubte Kuro. Sein Kumpel hingegen schien weitaus verwirrter: „Ein Bock, der sich beim Schlachtfeld bedankt?“ „Oh man. Du kannst Rin wirklich die Hand geben“, griff sich der Schwarz-blauhaarige an die Stirn, „Das bedeutet, dass der Bock das Schlachtfeld verlässt. Die Frage ist nur, wer oder was ist dieser Bock und was ist mit dem Schlachtfeld gemeint?“ „Ich finde es trotzdem nicht abwegig, dass es etwas mit Dankbarkeit zu tun hat“, blähte das Mädchen die Wangen auf. „Sind wir hier von Idioten umgeben?“, rollte der Schwarzhaarige mit den Augen, „Das hat nichts mit Dankbarkeit zu tun. Das ist ein altes Wort, welches genutzt wurde, wenn zum Beispiel ein Soldat dem Dienst abdankt. Das heißt er quittiert. Er geht. Er kündigt. Oder wenn ein König dem Thron abdankt, dann verzichtet er auf diesen. Egal wie du es drehst und wendest. Es geht darum, dass besagter Bock geht oder verschwindet.“ „Ist ja gut, du Besserwisser“, war die Oberschülerin sichtlich genervt, „Dann erklär uns mal was der Satz bedeutet.“ „Das sind irgendwelche Synonyme oder Metaphern, dessen Bedeutung wir herausfinden müssen“, starrte der Älteste den Brief an, als würde in den Wörtern die Antwort stehen. Während er zusammen mit dem Jüngsten der Gruppe den Teilsatz versuchte zu erörtern, hatten die beiden übrigen Oberschüler bereits aufgegeben und standen gelangweilt umher. „Mit dem Schlachtfeld könnte doch der Dungeon gemeint sein, oder?“, überlegte Skye angestrengt. Sein Gegenüber konnte auf diese Idee aufbauen: „Könnte der Bock dann vielleicht dieses blitzespeiende Widder-Ungetüm gewesen sein? Das ist doch ein Bock.“ „Dann ist der Bulle vielleicht unser Endgegner!“, lies der Ideenfluss der beiden nicht nach. „Gut möglich“, nickte Kuro. „Aber der letzte Teil des Gedichtes ist widersprüchlich“, stellte der Portalwächter fest, „Der Weg deines Schicksals wankt.“ Kurz musste der Ältere überlegen: „Grob übersetzt ist der Teil negativ zu sehen, nehme ich an. Was so viel heißt wie: Wenn vorheriges eintrifft, passiert was Schlimmes. Wenn der Schicksalsweg wankt, bedeutet das vielleicht den Tod?“ „Ich sterbe?“, platze die Blauhaarige plötzlich wieder in die Gedankenwelt der beiden hinein. „Nein, sei still“, hielt der Schwarzhaarige ihr ignorant seine Hand vor den Mund, während er nochmal den gesamten Satz durchlas, „Irgendwo haben wir einen Denkfehler drin, Skye.“ „Ja. Aber wo. Bisher klingt es so, als würde man uns davon abraten weiterzugehen, weil Rin sonst im finalen Kampf das zeitliche segnet. Es ist von den Bedingungen alles eingetroffen. Der Bock wurde von uns erledigt und hat das Schlachtfeld verlassen. Amika ist in vielerlei Hinsicht nicht vereint und wenn wir Pech haben erscheint dann im letzten Gefecht der Bulle, womit Rins Schicksal besiegelt ist“, erläuterte der Jüngste nochmal alles. „Also gehen wir nicht weiter?“, versuchte der Rothaarige die Kernaussage zu verstehen. Mit einem Nicken der beiden Kerle gaben sie ihm zu verstehen, dass dies ihre finale Interpretation der wirren Worte war. Rin hingegen schien da anderer Meinung: „Das ist doch absoluter Käse! Da steht nirgends, dass ich sterbe. Nur irgendwas von einem wackelnden Schicksal. Wir gehen jetzt diesen Bullen bei den Hörnern packen und holen Ami zurück! Abmarsch!“ Im Befehlston marschierte sie voran in den Schuppen. Doch keiner der anderen folgte ihr. Stattdessen versuchten sie das Mädchen umzustimmen. Immerhin wollte keiner einen Kameraden in den Tod reißen. „Nein, wir gehen nicht“, zog Kuro die Blauhaarige wieder aus dem wackeligen Holzbau und entriss ihr den Portalschlüssel. Die übrigen beiden sahen zur Seite und ignorierten ihr Gestammel. Sie wussten nicht was sie hätten sagen sollen, denn ihre Kameradin in den Tod rennen zu lassen wäre unverantwortlich. Andererseits ließen sie somit auch Amika im Stich. Jedoch konnten sie sich nicht sicher sein, dass sich die Brünette wirklich am Ende des Dungeons befand und eigentlich auf Rettung wartete. Allerdings war genauso unsicher, ob Rin tatsächlich ihr Ende bevorstand. Oder ob sie sich selbst damit ebenfalls umbringen würden oder nicht. Diese Welt hinter dem Portal war gefährlich. Das war das Einzige in dem sie sich sicher sein konnten. Sie zu meiden war eindeutig das Richtige. „Gib mir den Schlüssel wieder!“, rangelte sie fuchsteufelswild mit Kuro, „Ihr seid solche Memmen. Nur weil ihr ein paar komische Worte lest zieht ihr alle den Schwanz ein?!“ Darauf bekam sie keine Antwort. Eher trübten sich die Gesichter der Drei immer mehr. Sie wussten, dass sie Feiglinge waren. Doch den Tod, das endgültige Ende, als Gegner zu haben, war eindeutig zu riskant. Hoch hinauf hielt der Schwarzhaarige den goldenen Schlüssel, sodass die Schülerin nicht herankam. Er war sowieso schon einen Kopf größer und somit nochmal schwerer zu erreichen. „Jetzt gibt ihn schon her!“, begann die Blauhaarige wütend mit der Unterseite ihrer Fäuste auf seine Brust einzuhämmern. Sie war ein Sturkopf. Das war ihr bewusst. Manchmal war sie auch ein Feigling, aber noch nie hat sie ihre wenigen Freunde zurückgelassen. Und egal wie es für sie am Ende ausgehen würde, sie würde alles daran setzen Amika zu retten. „Gib es doch endlich auf! Wenn du da rübergehst findest du nur deinen Untergang!“, versuchte der Suzuki-Erbe sie zur Vernunft zu bringen. „Er hat recht. Wir werden alle sterben, wenn wir uns nochmal in die Höhle des Löwen begeben“, versuchte Akira seinen Kumpel zu unterstützen. Zornig knurrte sie: „Macht doch was ihr wollt! Ich brauche keine Hilfe von solchen Feiglingen! Wenn ihr Angst habt, dann bleibt von mir aus hier, aber versucht nicht mich aufzuhalten!“ Da durch ihr Gestammel und Geschrei und auch ihre Schläge der junge Mann nicht einknickte, versuchte sie anderweitig an den Schlüssel zu gelangen, welcher noch immer hoch in die Höhe gehalten wurde. Zum Erstaunen aller ging Rin einige Schritte zurück, ehe sie plötzlich lossprintete, vor dem Schwarzhaarigen absprang und sich wie ein Affe von vorne an seinen Oberkörper hängte. Völlig perplex von ihren plötzlichen Bewegungen konnte Kuro nicht mehr ausweichen und hatte nun eine tollwütige Oberschülerin vor der Brust hängen, welche unaufhörlich zum Schüssel nach oben starrte. Doch dabei blieb es nicht, denn sie zog wie wild an seinem Arm, hängte sich beinahe mit vollem Körpergewicht daran und schaffte es ihn langsam herunterzuziehen, um ihm ihren geliebten Schlüssel wieder abzuknöpfen. Kaum hatte sie ihn in Händen, löste sie ihre Umklammerung und setzte ihre Füße wieder auf den Boden auf. Immer wieder redeten die Jungs auf das mit Adrenalin vollgepumpte Mädchen ein und versuchten sie davon abzubringen, aber die erwünschte Wirkung wandte sich ins Gegenteil und die Blauhaarige schien immer penetranter zu werden. Da sie endlich wieder den Portalschlüssel in den Händen hielt, musste sie sich beeilen und schnell zum Schuppen, um das Portal zu öffnen. Mittlerweile war ihr klar, dass sie auf sich alleine gestellt war. Auf diese Memmen von Kerlen konnte sie verzichten. Kaum hatte sie einen Fuß vor den anderen gesetzt, um los zu sprinten, wurde ihr Fußknöchel von etwas festgehalten und sie fiel unsanft zu Boden. Kein geringerer als der Suzuki-Erbe war es, der eine Wurzel um ihren Fuß geschlungen hatte. „Kuro! Du Arsch!“, wütete das Mädchen noch immer, „Mach mich wieder los!“ Mittlerweile hatte sie bereits Tränen vor Wut in den Augen. Statt Gegenworten, bekam sie dieses Mal allerdings Taten zu spüren. Es war Skye, welcher sie mit einem geschickten Kniff im Genick k.o. setzte und ihr direkt darauf ihren Schlüssel entriss. „Kuro, nimm sie mit“, kam es ernst und auch ein wenig kalt aus dem Jüngsten. „Ist das nicht etwas brutal?“, schien dem Mützenträger diese Methode so gar nicht zu gefallen. Mit einer kurzen Handbewegung lies der Schwarzhaarige die Wurzel wieder verschwinden und hob die Bewusstlose vorsichtig an. In seinen Armen trug er das Mädchen daraufhin bin zum Schultor, an welchem bereits eine Limousine auf ihn wartete. „Hey…“, stammelte Akira, „Also… Pass auf sie auf, okay?“ „Umsonst mache ich das hier immerhin nicht“, versuchte er seinen Kumpel zu beruhigen. Akira schien aufgebrachter zu sein, als der Schwarzhaarige dachte. „Mach dir keine Sorgen“, huschte Skye ein kurzes Lächeln über die Lippen. „Pass einfach auf, dass er sie nicht schikaniert. Aikawa-chan ist schon genug gequält“, schaute der Rotschopf verlegen in eine andere Richtung. „Was denkst du manchmal von mir?“, spielte Kuro den Beleidigten. Schließlich stieg er zusammen mit der Bewusstlosen ein. Auch der Kleinste tat es ihm gleich und gesellte sich ebenfalls auf die Rückbank. Einzig Akira blieb alleine und geknickt zurück. So hatte er sich den Abend nicht vorgestellt. Eigentlich war er der festen Überzeugung sie würden es am heutigen Abend endlich schaffen Rins beste Freundin zu retten. Das blieb wohl nun auf ewig unmöglich. Kapitel 16 - Konfrontation -------------------------- Sonntag, 19. April 2015   Es war früh am Morgen, als sich Akira auf dem Weg zu seinem besten Kumpel Kuro machte. Der Rotschopf hatte die vergangene Nacht kaum ein Auge zugetan, weil er sich um Rin sorgte. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass die anderen beiden Jungs so gefühlskalt mit ihr umsprangen. Zuerst knockte der Suzuki-Erbe das Mädchen im Dungeon aus, dann war es Skye, welcher die Blauhaarige handlungsunfähig machte. Zwar verstand der Mützenträger, dass sie das nicht taten um die Oberschülerin zu ärgern, eher im Gegenteil. Dennoch war er mit der Methode und der eisigen Gleichgültigkeit der beiden nicht einverstanden. Seufzend kam er schließlich an der großen Villa an und wurde auch schon hereingebeten. „Guten Morgen Yoshida-san“, wurde ihm die Tür von einem älteren Mann mit schwarzem Haar geöffnet. Er trug vornehme Kleidung, welche in schwarzen Farben mit gelben Akzenten gehalten war. Außerdem zierte der Suzuki-Pin sein Jackett, welchen auch Rin bekommen hatte. Allerdings war dieser nicht bronzefarben, sondern in Silbertönen. „Morgen, Joel. Du weißt doch, dass ich es nicht leiden kann, wenn du mich so förmlich ansprichst“, hatte der junge Mann einen gequälten Ausdruck im Gesicht, „Kannst du mich zu Kuro bringen?“ „Entschuldige bitte, Akira-san“, verbeugte sich der ältere Herr. Sein Gegenüber hob jedoch nur eine Augenbraue und sah ihn genervt an. Der Butler des Hauses schien trotz allem die höfliche Anrede nicht komplett unter den Tisch fallenlassen zu können. „Der junge Herr wünscht im Moment nicht gestört zu werden“, verweigerte der Schwarzhaarige die Bitte, „Wenn Sie möchten, dürfen Sie gerne so lange hier warten.“ „Es ist aber wirklich wichtig. Abgesehen davon bin ich genau deswegen gekommen, weswegen er nicht gestört werden darf“, stammelte der Oberschüler. Schlussendlich bekam er seinen Willen und wurde vom Butler in die große Empfangshalle hereingebeten. Sie war wirklich prachtvoll und funkelte vor Sauberkeit. Ringsherum um den gewaltigen Saal waren Türen zu sehen. Wohin sie alle führten wusste selbst Akira nicht. Vielleicht wusste er es mal, aber das Haus war zu groß, um sich alles merken zu können, wenn man nicht all zu oft zu Besuch war. Mitten im Raum erstreckte sich eine breite Treppe, welche in den ersten Stock führte. Dort war rundherum ein Geländer angebracht, über welches man ins Erdgeschoss sehen konnte. Der Rothaarige blieb aber unten und steuerte zielstrebig auf eine der rechten Türen zu. Nach kurzem Klopfen öffnete er sie und betrat den Raum. Es war ein großes Zimmer, welches chaotisch wirkte. Überall standen Aktenschränke und die Tische waren übersät mit Papierkram und all diesen Dinge, von denen der junge Mann lieber nichts Genaueres wissen wollte. Zwar standen auch Computer bereit, aber diese waren eher das Mittel zum Zweck und weniger zum Vergnügen gedacht. Ein richtiges Arbeitszimmer eben. Sein Blick blieb aber schließlich an Kuro und Skye hängen, welche sich gegenüber an einem Schreibtisch saßen und geistesabwesend auf den blauen Brief starrten. Sie waren so konzentriert, dass sie nicht einmal bemerkt hatten, dass Besuch gekommen war. Grade als Akira etwas sagen wollte, knallte plötzlich der Kopf des Kleinsten auf die Tischplatte auf. Von dem dumpfen Knall zuckte der Schwarzhaarige zusammen und sah zu ihm herüber. „Aua…“, jammerte Erschöpfter und hob seinen Kopf wieder an. Schmerzerfüllt hielt er sich die Stirn und hatte bereits eine winzige Träne im Auge. „Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, dass du ins Bett gehen sollst, wenn du müde bist. Es ist bald wieder Tag. Du bist echt sturer als Rin“, meckerte der Suzuki-Erbe den Kleinsten nur an. „Es ist bereits Tag“, räusperte sich der Rotschopf, „Wie wäre es, wenn ihr beide ins Bett geht?“ Überrascht, dass noch jemand im Raum war, schnellten die Blicke der beiden Sitzenden zu Akira. Es dauerte kurz bis sie realisiert hatten, wer da zu ihnen sprach. „Akira? Seit wann bist du denn da?“, fiel der Schwarzhaarige aus allen Wolken. „Seit gerade eben“, bekam er als Antwort, „Habt ihr wirklich die ganze Nacht auf diese vier Zeilen gestarrt? Habt ihr wenigstens etwas herausgefunden?“ Zwei frustrierte Augenpaare trafen den Neugierigen, welche bereits Antwort genug waren. Sie waren wohl kein Stück weiter. „Ich frage mich langsam ob wir zu vorschnell den Schwanz eingezogen haben“, hielt sich Kuro ernst die Hand ans Kinn, „Vielleicht stirbt unser Trottelchen ja gar nicht, sondern irgendwas anderes passiert. Irgendwas, das nicht so brutal und endgültig ist. Zwar auch unschön, aber nicht tödlich.“ „Verstehe“, kam der Mützenträger etwas näher heran. Der Jüngste hingegen schnaubte nur genervt: „Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber was soll denn dann passieren? Da steht: Der Weg deines Schicksals wankt. Wird sie vielleicht krank? Stirbt sie doch? Was ist gemeint? Welches Risiko gehen wir ein? Und wie zum Geier sollen wir es verhindern?“ „Ist es überhaupt richtig nicht mehr auf die andere Seite zu gehen? Verhindern wir es indem wir hierbleiben, oder indem wir gehen? Oder ist es gar nicht aufzuhalten?“, setzte Kuro all die offenen Fragen fort. Schweißperlen rannen Akira von der Stirn und er wich überfordert einen Schritt zurück: „Äh… Kann es sein, dass die ungelösten Fragen sich über Nacht vermehrt haben? Das ist ganz schön kompliziert.“ Entmutigtes Seufzen entwich den beiden Übermüdeten und ihre Köpfe sanken langsam zur Tischplatte. Zur Verwunderung des Übrigen sogar ziemlich synchron. „Das bringt doch alles nichts. Geht sofort ins Bett. Alle beide“, sorgte sich der Rotschopf. Dieser bekam allerdings nur ein verneinendes Murren zur Antwort. „Ihr seid beide reif genug, um zu wissen, dass man in eurem Zustand sowieso nicht mehr vernünftig nachdenken kann. Jetzt steht gefälligst auf und schlaft eine Runde“, zerrte er bereits an ihnen. Einsichtig erhoben sie sich und trotteten nach oben in den ersten Stock, gefolgt vom Rothaarigen. Dort bog Kuro zum Gästezimmer ab. Sein Kumpel schien etwas irritiert: „Wo gehst du hin? Dein Zimmer ist doch dort drüben?“ „Das ist besetzt“, gähnte der Schwarzhaarige herzhaft, ehe er mit dem Kleinsten im Raum verschwand. Verwundert über seine Worte, blieb Akira allein im Flur zurück. Wie meinte er das denn? Wieso besetzt? Seine Frage klärte sich allerdings recht schnell auf, denn er konnte das Dienstmädchen fragen, welches vor dem Zimmer stand und Wache hielt. Sie trug ein schwarzes Maidkleidchen mit süßen Rüschen und gelben Akzenten. Dazu hatte auch sie einen Suzuki-Pin angesteckt. Ihre Haare waren schulterlang und rosafarben. Kurz erklärte sie ihm, dass dieses Zimmer ausgewählt wurde, weil es im Vergleich zu den Gästezimmern ein integriertes Badezimmer hatte und das Türschloss schwerer zu knacken war. „Shizuka, ich weiß, dass keiner rein oder raus soll, aber kannst du mich bitte reinlassen?“, schlug der Oberschüler seine Hände zusammen und verbeugte sich. Die junge Dame schien damit etwas überrumpelt und schreckte ein wenig zurück: „W-was? D-Das geht doch nicht. Der Befehl kam direkt vom jungen Herrn. Ich kann dich wirklich nicht durchlassen.“ „Ach, dann ist das doch gar kein Problem“, winkte der Rothaarige ab, „Ich nehme die Schuld auf mich, sollte etwas passieren.“ Noch eine kurze Weile musste er sie bearbeiten, ehe sie endlich nachgab. Wüsste sie nicht, dass Akira der beste Freund des Suzuki-Erbens war, hätte sie sich nicht breitschlagen lassen. Doch so konnte er sie erweichen. Im Raum angekommen, verschloss das Dienstmädchen von außen sofort wieder das Türschloss. Der Hereingelassene sah sich derweil um. Zu seiner Rechten stand wie gewohnt das große Sofa mit Fernseher und allem Drum und Dran. Direkt daneben an der rechten Wandseite befanden sich zwei Türen, die, wie er wusste, zum Badezimmer und zu einem begehbaren Kleiderschrank führten. Im Anschluss stand das große Bett, neben welchem zwei Nachttische platziert waren. Zu seiner linken Seite erstreckte sich eine Fensterfront, welche auch an der anschließenden Wand geradeaus zu sehen war. Ansonsten wirkte der Raum völlig kahl und ungenutzt. Im Bett bewegte sich plötzlich eine Gestalt. Keine geringere als Rin war es, die sich unruhig hin und her wälzte. Vorsichtig schritt der junge Mann aufs Bett zu und setzte dich auf dessen Kante. Behutsam rüttelte er dann an ihrer Schulter, um sie zu wecken: „Hattest du einen Alptraum?“ „Sie haben mich schon wieder schikaniert und sogar zusammengeschlagen“, murmelte das Mädchen verschlafen und blinzelte in den hell erleuchteten Raum. Sichtlich irritiert über ihr Aussage schaute er sie an. Wieso träumte sie etwas Derartiges? Benebelt setzte sich die Schülerin im Bett auf und versuchte erstmal wachzuwerden, um zu realisieren wo sie sich befand. Ihre Haare waren völlig zerzaust und ihr Kopf brummte. Mühselig versuchte sie sich daran zu erinnern was passiert war und wo sie sich soeben befand. Als sie Akira endlich auf der Bettkante realisierte zuckte sie schreckhaft zusammen: „Wa- wie… Du hier? Wo bin ich?“ „Alle haben sich Sorgen um dich gemacht, deswegen wurdest du hergebracht“, bekam sie nur eine schwammige Antwort. „Sorgen?“, verzog die Blauhaarige das Gesicht, „Sag mir nicht, dass wir Ami noch immer nicht gerettet haben.“ Betroffen schaute der Rothaarige zur Seite: „Es ist einfach zu riskant. Deswegen haben wir beschlossen dich erstmal zu Kuro nach Hause zu bringen, bis wir wissen was uns erwartet.“ Wütend sprang die Oberschülerin daraufhin aus dem Bett: „Ihr habt das also beschlossen?! Mich fragt keiner oder was? Meine beste Freundin liegt im Koma und der einzige Weg sie zu retten liegt in unserer Hand. Wollt ihr sie einfach sterben lassen oder wie denkt ihr euch das?! Ihre Familie ist jeden Tag im Krankenhaus und sitzt weinend an ihrem Bett. Diesen Anblick ertrage ich langsam nicht mehr. Wenn ihr solche Angst habt, dann bleibt gefälligst hier, aber haltet mich nicht gegen meinen Willen auf!“ „Wir machen uns doch nur Sorgen um dich. Durch deine Gefühle bist du nicht mehr ganz klar. Alleine würdest du draufgehen“, versuchte er sie zur Vernunft zu bringen. „Erzähl mir doch keine Märchen“, verschränkte Rin die Arme, „Wann habt ihr zwei euch jemals um mich gesorgt? Im Grunde bin ich euch doch egal!“ Noch mitten im Satz steuerte sie die Türen neben dem Bett an, um festzustellen, dass dort kein Ausgang war. Akira stand derweil auf und versuchte hartnäckiger den Heißsporn wieder abzukühlen: „Du bist uns nicht egal. Nicht im Geringsten. Wir sind doch Freunde… Da macht man sich nun mal Gedanken um den anderen.“ Kurz stoppte das Mädchen in ihrem Tun und starrte den Rotschopf mit ungläubigem, gefühlskaltem Blick an. Scheinbar überlegte sie was sie mit dieser Aussage anfangen sollte, denn sie empfand sie mehr als eigenartig. Aus ihrem Blickwinkel sah das alles ganz anders aus. Schnell schritt sie zur tatsächlichen Eingangstür und rüttelte an dieser. Allerdings war sie abgeschlossen und bewegte sich keinen Millimeter. Auch hämmern und lautes Rufen öffneten diese nicht, woraufhin sie sich fluchend umsah. „Ich glaub ich habe da was verpasst. Seit wann sind wir Freunde? Kuro und du, ihr seid nur meine Sprungbretter. Glaub mir, ich hätte gerne auf euch verzichtet!“, schnauzte sie ihn ohne Rücksicht auf seine Gefühle an, „Wir sind ein Zusammenschluss von Menschen, die zufällig das gleiche Ziel verfolgen und sich gegenseitig von Nutzen sind.“ Erschrocken über ihre harten Worte starrte er sie nur sprachlos an, wie sie von Fenster zu Fenster wanderte und hinausschaute, als suchte sie etwas. „Guck nicht so dumm“, warf sie ihm einen bösen Blick zu, „Ich habe viel zu lange geschwiegen. Deine scheinheilige Masche zieht nicht mehr! Beinahe hättest du mich damit sogar um den Finger gewickelt und mich die Schikanen von damals vergessen lassen. Du kannst mir nicht weismachen, du hättest all das vergessen!“ Noch immer brachte der junge Mann kein Wort heraus und schaute betroffen zu Boden. Er wusste genau was sie meinte. Genauso wie ihm klar war, dass sie jedes Recht hatte wütend auf ihn und Kuro zu sein. Eigentlich dachte er, er könnte einfach einen Neuanfang wagen, indem er Vergangenes unter den Teppich kehren würde. Seine Gleichung schien allerdings nicht so ganz aufzugehen. Ihm war klar, dass er nun den Tatsachen ins Auge sehen musste, weswegen er seinen Kopf wieder hob und gewillt war endlich etwas zu sagen. Allerdings konnte er das nicht mehr, denn die Tatsache, dass Rin plötzlich eines der Fenster aufriss und blitzschnell auf die Fensterbank sprang, brachte ihn aus dem Konzept. Was hatte sie vor? Sie waren doch im ersten Stock! Doch noch ehe der Oberschüler es schaffte darauf zu reagieren, war das Mädchen auch schon aus dem Fenster gesprungen. Panisch rannte Akira daraufhin zu diesem und schaute hinunter, ob es der Blauhaarigen gut ging. Sie war in einer Hecke gelandet und schien unversehrt zu sein. Doch was sollte er nun tun? Hinterherspringen würde er nicht so glimpflich überstehen wie die junge Sportlerin. Er musste auf normalem Weg aus dem Raum heraus und hinterher. Lautstark hämmerte er mit den Fäusten gegen die Zimmertür: „Shizuka, mach schnell auf!“ Wie befohlen tat sie dies und der junge Mann stürmte regelrecht heraus, den Flur entlang bis zum Gästezimmer. Dort riss er ohne Vorwarnung die Tür auf: „Schnell! Sie ist aus dem Fenster gesprungen und abgehauen!“ Noch halb im Satz knallte er sie auch schon wieder zu, stürmte ins Erdgeschoss und raus aus dem Gebäude. Suchend sah er sich in dem gewaltigen Garten um, in welchem das Mädchen gelandet war. Das würde schwerer werden als eine Nadel im Heuhaufen zu finden. Zumal er nicht mal sicher sein konnte, ob sie noch da war, oder schon das Grundstück in eine andere Richtung verlassen hatte. Andererseits würde sie ohne den Portalschlüssel sowieso nicht weit kommen, also vermutete Akira das Mädchen noch irgendwo in der Nähe. Vermutlich würde sie Skye aufsuchen, welcher das gute Stück derzeit besaß. Aber so oder so musste er sie aufspüren. Er wollte unbedingt mir ihr sprechen. Es dauerte keine fünf Minuten, da hatten sich auch Kuro und Skye zu dem Suchenden gesellt und nach einer Erklärung verlangt. „Wir haben keine Zeit für lange Erklärungen. Erstmal sollten wir sie finden“, war der Rothaarige panisch, „Ich muss unbedingt mir ihr sprechen!“ Ohne groß weiterzufragen nickte sein Kumpel einfach und setzte sich in Bewegung. Auch der Jüngste tat es ihm gleich, verwandelte sich jedoch in seine Vogelform, um von oben aus besser zu sehen.   Eine ganze Weile suchten sie nach der Ausreißerin, bis Skye sie schließlich in der letzten Ecke verloren rumirren sah. Es hatte beinahe den Anschein, als hätte sie ihre Orientierung verloren. Schnell konnte der Kleinste die jungen Männer zu ihr lotsen und sie umzingeln. „Hier bist du also“, stellte der Suzuki-Erbe fest. Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen und setzte bereits zur Flucht an. Dieses Mal gelang ihr das aber nicht so leicht, denn während ihr die Jungs im Weg standen, schnitten ihr auch die Bäume und Sträucher den Fluchtweg ab. Plötzlich wurde die Blauhaarige an den Armen gepackt und hochgezogen, sodass sie wenige Centimeter über dem Boden hing. Natürlich war es kein geringere als Kuro, der sich mal wieder der Hilfe der Natur bemächtigte. „Hey! Was soll das?! Lasst mich sofort wieder runter!“, wurde sie erneut wütend. „Kann mir mal einer erklären was hier nun los ist?“, war auch der Schwarzhaarige sichtlich gereizt von der Verfolgungsjagt übers ganze Areal. „Es ist meine Schuld. Könnt ihr uns beide vielleicht einen Moment alleine lassen?“, stammelte Akira. Etwas widerwillig taten Skye und Kuro ihm den Gefallen und entfernten sich etwas von den beiden. „Es tut mir leid, ehrlich“, verbeugte sich der Rothaarige vor der Oberschülerin. Eigentlich wollte diese direkt wieder ausflippen, war jedoch von der Entschuldigung überrumpelt. Das hatte sie nicht kommen sehen. „Bitte höre mich an. Ich möchte mit dir reden und erklären was in mir vorgeht. Wieso all das in der Vergangenheit geschehen ist und warum ich dich zu Beginn des zweiten Oberschuljahres angelogen habe. Natürlich kannte ich dich. Da habe ich mich nur dumm gestellt“, sah der junge Mann betroffen zur Seite. „Was soll es denn da noch zu erklären geben? Kaum war Shû-chan weggezogen hast du mich zusammen mit Kuro zum Narren gehalten! Tagein tagaus habt ihr eure Späße mit mir getrieben und mich beleidigt oder ausgelacht. Ihr habt mich angerempelt, dass ich Treppen runtergestürzt bin, mich in Schneeberge geschubst, mir im Sport Bälle an den Kopf geworfen, meine Schulsachen versteckt und einmal sogar meine Schuhe aus dem Fenster geworfen! Der Gipfel war dieser gefakte Liebesbrief! Soll ich noch mehr aufzählen?“, zappelte Rin wie wild herum, „Und warum werde ich hier nun festgebunden? Was habe ich denn verbrochen?!“ Ihre Stimme bebte und sie musste sich wirklich zusammenreißen, um nicht vor Wut zu weinen. Sie konnte nicht verstehen, warum sie schon wieder so in die Enge getrieben und von den beiden so schlecht behandelt wurde. Auch verstand sie nicht was in letzter Zeit abging, denn Akira war ungewöhnlich nett zu ihr. Einzig der Schwarzhaarige war noch immer ein Arsch, was eigenartigerweise der Rest der Welt nicht so zu empfinden schien. Durch die Voraugenführung seiner vergangenen Missetaten, wich der Mützenträger einen Schritt zurück. Er wusste zwar ganz genau was er in der Vergangenheit getan hatte, jedoch ließ ihn die Aufzählung einiger seiner Taten schwer schlucken. Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals und Unbehagen machte sich weiter in ihm breit. Mittlerweile hatte er das Gefühl, dass die Worte, die er der Schülerin sagen wollte nur Ausreden waren. Eigentlich konnte er das was er ihr angetan hatte nie wiedergutmachen. Am liebsten wäre er sofort weggerannt, um dieser Situation zu entgehen. Aber jetzt hatte er endlich die Chance sich richtig zu entschuldigen und Reue zu zeigen. Er wollte sich doch um jeden Preis mit ihr vertragen. „Es tut mir wirklich leid, dass du festgebunden wurdest. Aber hätte Kuro das nicht getan, wärst du wieder weggelaufen. Das kannst du nun wirklich nicht leugnen. Ich möchte nur, dass du mich kurz anhörst. Dann kannst du selbst entscheiden, ob du gehst oder bleibst“, meinte Akira ruhig. Beleidigt blähte die Blauhaarige daraufhin ihre Wangen auf und starrte wortlos zur Seite. Wie es aussah akzeptierte sie es und wartete darauf, dass ihr Gegenüber endlich sagte was er loswerden wollte. „Ich war damals wirklich dumm und unbeholfen. Es fiel mir außerordentlich schwer neue Freunde zu finden. Schon in der Grundschule wurde ich auf dich aufmerksam und wusste nie wie ich dich ansprechen sollte. Mir gefiel deine befreite und unbeschwerte Art. Du warst immer irgendwie am Lachen und hast die Leute in deinem Umfeld damit angesteckt. Oft hast du auch mal über die Stränge geschlagen und wurdest dann gerügt. Das war echt witzig“, musste er unweigerlich Schmunzeln, „Am meisten habe ich dich beim Sport bewundert. Da warst du schon immer so wahnsinnig talentiert und wirktest wie jemand, der einfach alles schaffen konnte. Im Unterricht hingegen warst du die komplette Niete. Der Kontrast war wirklich amüsant.“ „Komm endlich zum Punkt und hör auf mich eine Niete zu nennen!“, schnauzte Rin ihn gereizt an. „Sorry“, kratzte er sich am Hinterkopf, „In der Mittelschule beschloss ich dann endlich, dass ich dich auf mich aufmerksam machen musste. Irgendwie nahmst du mich zuvor nie wahr. Als wäre ich Luft gewesen.“ Stirnrunzelnd betrachtete das Mädchen ihn, wie er versuchte die richtigen Worte zu finden. Was genau wollte er ihr vermitteln? Etwa, dass er sie mobbte, weil er ihre Art nicht ertragen konnte? „Na ja, unbeholfen wie ich war, kam ich nicht auf die Idee dich einfach anzusprechen. Deswegen versuchte ich durch kleine Streiche deine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ich dachte die ganze Zeit du fändest das auch witzig und habe deine Reaktionen falsch gedeutet. Das war einfach alles total kindisch was ich da abgezogen habe. Aber das habe ich zu spät realisiert. In dem Jahr in dem du nicht da warst, habe ich erst bemerkt wie fies ich eigentlich zu dir war und wie sehr ich dich damit verletzt habe“, machte er eine kurze Pause, „Es tut mir wirklich aufrichtig leid.“ Daraufhin verbeugte er sich tief: „Ich erwarte nicht, dass du mir je vergibst. Da kann ich dich natürlich voll und ganz verstehen. Aber wenn es irgendetwas gibt was ich tun kann, dass du deine Meinung änderst, dann sag es mir. Ich tue alles.“ „Du willst mich verarschen oder?!“, fluchte Rin und strampelte wütend wie wild herum, „Was soll das denn für eine dumme Ausrede sein?! Du hast mich jahrelang gemobbt, weil du Aufmerksamkeit wolltest?! Das ich nicht lache! Dir ist schon klar, was du und Kuro alles angestellt habt oder?“ „Mir ist das durchaus klar und im Nachhinein auch ungeheuer peinlich. Allerdings trifft Kuro da jetzt keine so große Schuld. Er hatte eigentlich nur das freche und beleidigend ehrliche Mundwerk. Alles andere ging von mir aus“, verteidigte er seinen besten Kumpel. Auf diese Aussage hin musste die Blauhaarige wirklich scharf nachdenken. Sie hatte die Taten als Schikanen von beiden eingeordnet, weil sie sowieso immer zusammen herumhingen. Aber je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr fiel ihr auf, dass er recht zu haben schien. Kuro beleidigte sie zwar ziemlich häufig und lachte sie immer zu aus, aber alle anderen Taten gingen tatsächlich nur von Akira aus. Wieso nur empfand sie dann den Schwarzhaarigen teilweise noch gemeiner als ihr derzeitiges Gegenüber? Aber nichtsdestotrotz hingen dennoch beide in der Sache mit drin und so wirklich vergeben konnte sie Akira nicht. Auch wenn er den Mumm hatte sich aufrichtig zu entschuldigen, so war sie noch immer tierisch wütend auf ihn. „Ich kann es einfach nicht fassen, dass du mit einer dummen Entschuldigung angekrochen kommst. Erinnerst du dich noch daran was du am letzten Mittelschultag angestellt hast? Das war wirklich der Höhepunkt!“, war sie noch immer fassungslos. „Ja“, nickte er kurz, „Das weiß ich noch. Auch das tut mir unwahrscheinlich leid.“ Daraufhin schaute er in eine andere Richtung, während die Blauhaarige zornig fauchte: „In meinem Schuhfach lag morgens ein Liebesbrief. In dem stand unter anderem, dass ich nach dem Unterricht zu einem bestimmten Ort kommen soll, wenn ich wissen will wer den Brief verfasst hatte. Als ich da ankam standst du da rum und hast auf mich gewartet, nur um mir zu sagen, dass du mich verarscht hast!“ Kurzes Schweigen brach aus, in dem das Mädchen sauer zu ihrem Gegenüber sah. In der Hoffnung er würde endlich seinen Kopf heben und sie mal direkt ansehen. In der ganzen Zeit hatte er es nicht einmal geschafft Rin in die Augen zu sehen. Immer nur starrte er betroffen zur Seite oder auf den Boden, als wolle er ihr ausweichen. „Also… Das war so…“, begann der junge Mann. „Gibt es jetzt wieder eine dumme Ausrede? Wie kann man sich denn aus so etwas noch herausreden?!“, wütete sie noch immer, „Ich hatte mir den ganzen Tag Gedanken gemacht und freute mich wahnsinnig, dass es jemanden gab, der mich wirklich mochte. Dann habe ich die ganze Zeit rumüberlegt wie ich das am besten anstelle der Person zu sagen, dass ich nicht mit ihr zusammen sein kann, weil ich ins Ausland gehen würde. Zu glauben, dass irgendwer warten würde, wäre ziemlich dämlich. Allerdings wars ja auch schon dämlich genug von mir zu glauben, dass es jemanden gab, der sich in mich verliebt haben könnte. Und ich dumme Kuh freue mich auch noch wie der letzte Volltrottel! Dann stehst du da und sagst du hast mich verarscht! Dir kam doch niemals in den Sinn auch nur einmal an meine Gefühle zu denken!“ Dieses Mal kullerten ihr vor Wut die Tränen wasserfallartig die Wangen hinunter. Sie konnte sie einfach nicht mehr zurückhalten und schluchzte laut. Erneut brach eine peinliche Stille heran, in der nur das Schniefen der Schülerin zu hören war. Akira wusste einfach nicht mehr was er noch tun sollte. Rin hatte vollkommen recht mit allem was sie sagte. Egal was er jetzt noch erwidern würde, es würde sowieso nichts bringen. Plötzlich ertönte ein Rascheln in einem der Büsche und Kuro trat in Erscheinung. Er versteckte sich scheinbar die ganze Zeit dort und hatte die beiden belauscht. Selbstsicher schritt er auf das noch immer gefesselte Mädchen und schnipste ihr mit seinem Finger gegen die Stirn: „Du denkst echt nur an dich, oder?“ „Aua! Was soll das denn heißen?! An wen denn sonst? Er war es doch, der mich durchweg schikaniert hat. Und du warst genauso wenig unschuldig!“, keifte sie den Suzuki-Erben an. Dieser starrte Rin ernst ins Gesicht und zeigte währenddessen mit dem Finger auf seinen besten Kumpel: „Findest du es in Ordnung ihn jetzt so runterzubuttern? Dafür, dass er es eigentlich nie wirklich böse mit dir meinte? Nicht nur du hast Gefühle. Der Kerl ist einfach nur ein riesiger unbeholfener Trottel. An dem Tag an dem er auf dich wartete wegen dem Brief zog er einfach nur den Schwanz ein. Das hat er bis heute zutiefst bereut. Und damit ging er mir echt noch lange auf den Sack.“ Geschockt starrte die Blauhaarige Kuro mit weit aufgerissenen Augen an. Sie musste kurz verarbeiten was sie soeben hörte. Hatte sie irgendwo einen Denkfehler, oder versuchte der Schwarzhaarige ihr gerade das mitzuteilen, was sie verstand? Das konnte unmöglich sein. Nie und nimmer. „Akira!“, wandte sich sein Kumpel mit strengem Ton an ihn, „Jetzt mach schon.“ Völlig überfordert wanderte der Blick des Rotschopfes nervös hin und her. Zudem wich er erneut einen Schritt zurück und wüsste es der Suzuki-Erbe nicht besser, so sah es aus, als würde er gleich wegrennen wollen. Dies wusste er aber zu verhindern, indem er sich hinter ihn stellte, an den Schultern packte und näher zur Blauhaarigen schob. Diese sah die beiden jungen Männer nur verwirrt an. Was geschah hier nur? Noch immer starrte Akira zur Seite und konnte das Mädchen nicht anschauen. Nervös kaute er dabei auf seiner Oberlippe herum. „Akira!“, kam es mit strengem Ton aus dem Schwarzhaarigen. Benannter zuckte betroffen zusammen und zitterte am ganzen Leib: „I-ich… A-Also… Das ist kein guter Zeitpunkt.“ „Das ist ein perfekter Zeitpunkt“, wurde er von Kuro gedrängt. In den nächsten Sekunden verstrich eine gefühlte Ewigkeit, bis der Rothaarige endlich seinen Kopf hob und der Oberschülerin tatsächlich ins Gesicht sah. Mit ernstem und zugleich reuevollem Blick starrte er sie förmlich an. „Aikawa-chan“, begann er und sie zuckte unweigerlich zusammen. Ihr schien die plötzliche Konfrontation ziemlich unangenehm zu sein. Doch entkommen konnte sie leider nicht. Genauso wenig wie ihr Gegenüber. Erneut holte Akira tief Luft und schien all seinen Mut zusammenzunehmen: „I-Ich wollte dich wirklich nie böswillig verletzen. Das alles tat ich nur um deine Aufmerksamkeit zu bekommen und dir näherzukommen. Ich wusste, dass du ins Ausland gehen würdest, deswegen wollte ich dir zum Abschluss meine Gefühle gestehen. Ich liebe dich. Heute genauso wie damals.“ Völlig überrumpelt und definitiv überfordert mit der Situation starrte Rin mit weit aufgerissenen Augen ungläubig in die Leere. Hatte er das grade wirklich gesagt? Noch im selben Moment lies Kuro seinen Kumpel los und befreite die Blauhaarige mit einer Handbewegung. Während in einer Baumkrone ein lautes ungläubiges „WAS?!“ ertönte, ergriff der Rothaarige die Flucht. Zeitgleich plumpste das Mädchen auf ihren Hintern, da ihre Beine zu zittrig waren, um sie zu halten, als Skye mit lautem Rascheln aus dem Baum fiel und in einem Busch landete. Für einen Moment hätte die Schülerin schwören können einen blauen Schmetterling um den davonrennenden Akira kreisen zu sehen, war sich aber unsicher, ob es nicht doch eine Halluzination war. Auch der Schwarzhaarige setzte sich schließlich geschafft auf den Boden: „Ich verstehe es immer noch nicht. Was war denn da vorhin passiert, dass ihr plötzlich auf dieses Thema zu sprechen kamt?“ Rins motzige Antwort darauf fiel jedoch eher nichtssagend aus: „Ihr gebt mir gefälligst meinen Schlüssel wieder. Ich gehe heute noch Ami retten und das notfalls auch allein. Auf dieses irreführende Stück Papier pfeif ich.“     Kapitel 17 - Des Rätsels Lösung ------------------------------- Sonntag, 19. April 2015   Es war bereits dunkel geworden, als Rin soeben aus dem Wohnheim kam. Sie war auf dem Weg zum Schulgelände, um sich dort mit Skye und Kuro zu treffen. Nachdem sie die beiden am Morgen noch ewig lange genervt hatte, ließen sie sich breitschlagen doch nochmal in den Dungeon zu gehen. Auch, wenn sie doch eher gemischte Gefühle hatten. Dem Mädchen war das allerdings egal, denn für sie zählte nur ihre beste Freundin. Da war ihr jedes Mittel recht. Abgesehen davon war sie dann doch irgendwie froh, dass die zwei sie begleiten würden. Alleine hätte sie sicherlich große Schwierigkeiten, aber das würde sie niemals zugeben. Nicht vor diesem Vollidioten, der ihr noch immer das Leben zu Hölle machte. Kuro war ihr in dem Moment aber um Längen lieber als Akira. Nach der Aktion am Morgen wollte sie ihn am liebsten nicht mehr wiedersehen. Wie sollte sie ihm nach seiner Liebeserklärung je wieder unter die Augen treten? Wer hätte gedacht, dass der Kerl, der sie jahrelang gemobbt hatte eigentlich in sie verliebt war? Das war der Blauhaarigen zu abstrakt, um es wirklich glauben zu können. Aber seine Gefühle, die er vorhin zum Ausdruck brachte erschienen ihr so ehrlich. Wenigstens die Entschuldigung wollte sie ihm glauben. Als die Schülerin endlich beim Schuppen ankam, war noch keine Menschenseele zu sehen. „Wo stecken die beiden?“, zückte sie ihr Klapphandy und checkte die Uhrzeit. Es waren noch 5 Minuten bis zur verabredeten Zeit, aber wenn sie ehrlich war, dann war es das erste Mal, dass sie so viel früher da war. Bislang kam sie immer zu spät. Nachdem sie kurz wartete, tauchte auch schon eine weitere Gestalt in der Dunkelheit auf. „Da seid ihr ja endlich!“, rief das Mädchen ungeduldig. „Entschuldige, dass du warten musstest“, kam eine reuevolle Antwort. Schreckhaft wich die Blauhaarige einen Schritt zurück. Der Suzuki-Erbe würde niemals eine solch höflich Antwort geben. Abgesehen davon wusste sie ganz genau wem diese Stimme gehörte. Es war kein geringerer als Akira, welcher sich soeben neben die Wartende gesellte. „W-Was machst du hier?“, stammelte sie nervös. Auch der Rothaarige war angespannt: „Na ja… Mir wurde gesagt, dass ihr geplant habt doch zu gehen.“ Daraufhin brach eine peinliche Stille aus. Keiner der beiden wusste was er sagen sollte nachdem was zwischen ihnen vorgefallen war. Löcher in die Luft starrend sahen sie sich kein einziges Mal an. Nachdem einige Minuten ins Land gezogen waren, hielt es das Mädchen nicht mehr aus und holte ihr Handy heraus. Schnell drückte sie ein paar Tasten und dann wählte es auch schon. „Wo zum Teufel bleibt ihr?!“, schrie sie wutentbrannt in ihr Telefon, „Es ist bereits 20 Minuten nach der verabredeten Zeit!“ Zur Antwort bekam sie nur eine ziemlich schläfrige Stimme zu hören: „Schrei doch nicht so, du Trampel.“ „Schläfst du noch? Mach dass du mit Skye endlich herkommst!“, keifte die Oberschülerin ihren Kameraden an und legte dann einfach auf. Während sie noch wütend herummurrte, konnte sich Akira ein leises Kichern nicht verkneifen. „Was ist daran so lustig?“, fuhr sie ihn genervt an. Dieser wich ertappt einen Schritt zurück und hob unschuldig die Hände: „Nichts, nichts. Es ist nur…“ Ein fragender Blick traf ihn, welcher darauf wartete, dass er seinen Satz beendete. Leichte Röte stieg ihm ins Gesicht und er grinste: „Du bist süß. Ich mag deine ehrliche direkte Art einfach sehr.“ Mit weit aufgerissenen Augen sah sie sprachlos zu ihm herüber und lief knallrot an. Wieso sagte er plötzlich so etwas? Das machte sie doch nur noch viel nervöser und verschlimmerte die momentane Gesamtsituation. Es dauerte noch eine kurze Weile, bis die beiden Zuspätkommer sich endlich dazugesellten. Natürlich ernteten sie von der Blauhaarigen nochmals ordentlich Anschiss, ehe sie endlich aufbrechen konnten.   Nur kurze Zeit später befand sich die Kleingruppe endlich wieder im Dungeon von Amika. Skye hatte sie vom Eingang aus zurück zur letzten Stelle teleportiert und nun standen sie wieder im Hausflur. „Und jetzt? Wie soll es weitergehen?“, hatte Kuro wenig Motivation. „Ich weiß es auch nicht genau“, erwiderte der Rothaarige, „Aber wir müssen auf jeden Fall vorsichtig sein, denn wer weiß welches Schicksal uns erwartet. Nachdem was in diesem blauen Brief stand, habe ich ein echt mulmiges Gefühl.“ „Drauf geschissen. Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand“, konnte Rin den beiden Jammerlappen nicht mehr zuhören. Willensstark setze sie sich in Bewegung und checkte die angrenzenden Türen. Irgendeine musste sie doch weiterbringen. Tatsächlich war dem auch so und das Mädchen trat in ein Badezimmer herein. Es war nicht unbedingt klein, aber auch keines dieser noblen unnötig großen Bäder. In einem Regalschrank, konnte Skye einen eBook Reader ausfindig machen: „Ob wir wieder etwas zu sehen bekommen?“ Noch bevor jemand die Frage beantworten konnte, erhellte sich das Display und ein Bild erschien.   Amika kniete vor der Badewanne, welche mit Wasser gefüllt war und hielt eine Zeitschrift in den Händen. Fixiert auf das Papier, welches sie demonstrativ über die Wanne hielt atmete sie tief ein und schloss die Augen. Nur Sekunden später öffnete sie diese wieder und starrte das Schriftstück konzentriert an. Es begann plötzlich zu dampfen und bekam eine leichte schwarze Färbung an den Außenseiten, als es plötzlich in Flammen aufging. Vor Schreck zuckte die Rotbraunhaarige heftig zusammen, quiekte einmal kurz auf und ließ die Zeitschrift fallen. Diese plumpste ins Wasser und mit einem kurzen Zischen war das Feuer wieder gelöscht.   Damit färbte sich der Bildschirm wieder schwarz. „Sie hat also damit geübt“, stellte die Blauhaarige fest. „Und im Anschluss das ganze Haus und ihre Schwester abgefackelt“, verschränkte der Suzuki-Erbe die Arme. „Das wissen wir doch überhaupt nicht“, war das Mädchen sichtlich verärgert, „Hör auf Ami irgendwelche Dinge zu unterstellen!“ Auch wenn sie wusste, dass es nicht komplett auszuschließen war, so wollte sie dennoch nicht glauben, dass ihre beste Freundin ihr eigenes Heim niedergebrannt hatte. Egal ob mit oder ohne Absicht.   Nach einer Weile des Suchens, fand die Kleingruppe endlich eine weitere Tür, welche sich öffnen ließ. Bereits vor dem Betreten wusste Rin schon, dass es sich hierbei um Amikas Zimmer handelte. Natürlich behielt sie recht und erneut betraten sie den weiblich wirkenden Raum, um diesen nach Hinweisen abzusuchen. Es dauerte nur kurz, bis sie schließlich auf dem Computerbildschirm ein Signal reinbekamen.   Die Brünette platzierte soeben drei nicht angezündete Kerzen nebeneinander auf dem Boden unter dem Fenster. Danach ging sie einige Schritte zurück und stellte sich seitwärts in deren Richtung, während sie den rechten Arm ausstreckte, die Finger zu einer Pistole formte und ein Auge zukniff. Das andere richtete den Blick hinweg über die zielende Hand auf die Leuchtkörper, als im selben Augenblick plötzlich eine kleine Flamme an ihrem Zeigefinger flackerte. In Sekundenschnelle feuerte das Mädchen diese auf eine der Kerzen, welche sich augenblicklich entzündete. Erfreut über ihren Erfolg entwisch Amika ein Grinsen und sofort startete sie den nächsten Versuch. Auch dieser gelang direkt und die Schülerin quiekte vor Freude auf und legte beinahe schon einen Freudentanz aufs Parkett. Schließlich wurde sie aber wieder ernst und konzentrierte sich auf ihren letzten Versuch. Wieder flackerte die kleine Flamme an ihrem Zeigefinger auf, als die Brünette noch einmal tief einatmete, um diese abzufeuern. Plötzlich klopfte es allerdings an ihrer Tür, was sie zusammenzucken lies. Völlig aus dem Konzept feuerte sie versehentlich das kleine Geschoss ab, welches sein Ziel jedoch verfehlte und den Vorhang traf. Fluchend eilte das Mädchen schnell zu diesem, um die noch kleine Flamme schnellstmöglich zu löschen. Gerade als ihre Zimmertür aufging hatte sie das Feuerchen glücklicherweise aus dem Vorhang geklopft. Zurück blieben nur eine verkohlte Stelle und etwas Rauch, welcher fürchterlich stank. „Was ist denn hier passiert?“, betrat Kaori irritiert den Raum. „Was willst du?“, bekam sie nur eine motzige Antwort. Kurz haderte die Hellbraunhaarige: „Also… Eigentlich suche ich nur das Lexikon.“ „Ist nicht bei mir“, fiel die Antwort kurz aus. „Sag“, kam es vorsichtig aus der Älteren, „Geht es dir gut? Ist alles okay bei dir? Du weißt ja, dass du immer mit mir reden kannst.“ „Lass mich einfach in Ruhe und geh!“, meckerte sie die Besorgte verärgert an.   Damit endete die Szene und der Bildschirm verdunkelte sich wieder. „Ich kapier das nicht“, griff sich Akira nachdenklich ans Kinn, „Shiori-chan scheint ihre Schwester zu hassen, während diese immer nett zu ihr ist. Einzig ihre Mutter stellt die beiden immer gegenüber und macht sie damit schlecht. Trotzdem ist das aber kein Grund warum sie sie nicht leiden kann. Oder?“ „Vielleicht ist es ja auch einfach nur die Eifersucht, welche sie antrieb ihre Schwester umzubringen“, ging Kuro darauf ein. Die Blauhaarige war da allerdings anderer Meinung: „Sie hat Kaori nicht umgebracht! Nie und nimmer!“ „Spekulieren bringt uns nicht weiter“, warf der Jüngste nur ein, bevor die Gruppe beschloss weiterzusuchen. „Wann finden wir endlich Ami? Dieses ewige Gesuche ist so nervig“, quengelte Rin herum. „Nerv nicht. Du weißt genau, dass sie im Koma liegt“, entgegnete der Schwarzhaarige leicht genervt. Sofort gab das Mädchen wieder Kontra: „Aber wir sind doch hier, um sie zu retten! Da muss sie doch auch irgendwo sein!“ Noch eine Weile mussten die anderen beiden das Gezanke der Streithähne ertragen, ehe sie im Wohnzimmer angelangten. „Irgendetwas ist hier seltsam“, schaute sich der Rothaarige um. „Hier ist es extrem kalt“, fröstelte es die Oberschülerin. Auch der Suzuki-Erbe meldete sich dazu zu Wort: „Es ist echt eigenartig, dass es immer wärmer wurde, bis wir alle schwitzten. Und jetzt ist es wieder so angenehm kühl wie zu Beginn.“ „Sind wir etwa wieder am Anfang?“, riss die Blauhaarige entsetzt die Augen auf. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, überlegte Skye, „Aber trotzdem ist hier etwas anders als zuvor.“ Noch während die Kleingruppe darüber nachdachte, betrat plötzlich eine weitere Person den Raum. Geschockt zuckten sie alle vier zusammen und starrten das Mädchen an, welches in der Tür stand. Dieses jedoch hatte ihren Blick in den Raum hineingerichtet. Sie starrte förmlich zur Vitrine, in welcher all die Pokale der Familie prangerten. „Ami!“, konnte es Rin kaum fassen, „Da bist du ja!“ Freudig schnellte sie zu ihrer besten Freundin und wollte dieser um den Hals fallen. Allerdings misslang ihr dies, weswegen sie mit der Stirn gegen den Türrahmen dahinter knallte. Schmerzerfüllt taumelte sie einige Schritte zurück und wurde unfreiwillig von Kuro vorm Fallen bewahrt. „Aua. Was war das?“, hielt sie sich die Stirn. Die Blauhaarige überkam ein Schwindelanfall, weswegen es ihr schwerfiel geradeauszusehen oder gar auf den Beinen zu bleiben. Hätte sie der Schwarzhaarige nicht an den Schultern festgehalten, wäre sie schon längst umgekippt. Ungläubig wurde die Brünette von der Kleingruppe gemustert, ehe Akira der erste war, der wieder Worte fand: „Bist du soeben durch Shiori-chan hindurchgefallen?“ „Scheint so“, nickte der Jüngste. „Ob das vielleicht ihr Geist ist? Den müssen wir einfangen und zurückbringen“, ballte Rin entschlossen die Fäuste. „Ich bezweifle es ja“, schaute der Schwarzhaarige kritisch drein. Im nächsten Moment, hatte Amika die Vitrine geöffnet und starrte die ganzen ausgestellten Pokale und Medaillen ihrer Familie an. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verfinstert und wirkte sehr aggressiv. „Wieso kann sie die Vitrinen Tür berühren? Ich konnte Ami nicht anfassen“, zog die Oberschülerin eine Augenbraue hoch. Auch ihre Teamkameraden wussten darauf keine Antwort und beobachteten gebannt das weitere Geschehen. Die Brünette erhob soeben ihre rechte Hand und machte daraufhin eine kurze Fingerbewegung. Plötzlich entfachte eine Flamme inmitten der Ausstellungsstücke, welches sich in Windeseile ringsherum ausbreitete. Die Verursacherin drehte sich wieder herum, sodass die Gruppe sie sehen konnte, als sie lautstark zu Lachen begann. Ihre Augen waren plötzlich gelb und leuchteten grell, während ihr rachsüchtiger Blick voller Freude und Genugtuung war. „Wahahahar! Brenne! Brenne alles nieder und lass nichts mehr übrig!“, war die Stimme der Brünetten leicht verzerrt. Voller Angst, hatte Rin sich am Arm des Suzuki-Erben festgekrallt: „W-Wer ist das?“ Sie zitterte am ganzen Leib und konnte kaum ihren Augen trauen. Auch die Jungs waren völlig erstarrt und noch ehe sie sich versahen, stand das komplette Zimmer plötzlich in Flammen. Die Temperatur stieg ins unermessliche und das grelle Flackern des Feuers blendete schrecklich. Noch während sie dagegen ankämpften zu erblinden, wurde es plötzlich stockfinster. „Was ist denn jetzt los?“, ertönte Akiras Stimme. Doch bevor jemand darauf eingehen konnte, entzündeten sich auf einmal Wandfackeln der Reihe nach und die Gruppe stand in einem riesigen Raum. Dieser war ringsherum aus alten Steinmauern errichtet und wirkte sehr alt. Die Beleuchtung war eher schlecht als recht und man konnte kaum etwas erkennen. „Passt bloß auf! Das scheint der Bossraum zu sein“, zückte der Rothaarige seinen Baseballschläger. Das machte die Angst der Blauhaarigen jedoch nicht besser und so krallte sie sich nur noch fester an Kuros Arm. „Au! Was soll das denn?“, beschwerte sich der Schwarzhaarige, „Lass mich endlich los du Angsthase!“ Erst jetzt realisierte das Mädchen, dass sie sich an den jungen Mann geklammert hatte und wich peinlich berührt einen Schritt zurück. „Ich hab keine Angst!“, protestierte sie und ballte die Fäuste. Jetzt war definitiv der falsche Moment, um Schwäche zu zeigen. Generell durfte sie sich so etwas vor den beiden Spinnern niemals erlauben. Das machte sie nur angreifbar. „Und wo ist jetzt der Stier?“, sah sich Kuro um. Irritiert kam darauf eine Gegenfrage von der Oberschülerin: „Welcher Stier?“ „Er meint den Bullen, welcher in dem Brief erwähnt wurde. Da stand doch geschrieben, dass wir Amika gerettet haben müssen, wenn der Widder vom Schlachtfeld verschwindet und bevor der Stier dann in Erscheinung tritt“, erklärte Skye, „Und da der Widder von uns im Zwischenkampf besiegt wurde, erwartet uns nun der Stier.“ „So siehts aus. Und wenn wir den Bullen nun direkt in die Knie zwingen, dürfte doch alles gut ausgehen“, beendete der Suzuki-Erbe die Erklärung des Jüngsten. „Widder und Stier?“, grübelte die Blauhaarige, „Irgendwie kommt mir das bekannt vor.“ Plötzlich ertönte ein lautes Knurren und ein großes blutrot leuchtendes Augenpaar starrte die Kleingruppe an. Wie aus dem Nichts schleuderte es große Feuerbälle auf sie, welchen sie schwermütig versuchten auszuweichen. Durch die zusätzliche Lichtquelle konnten die Schüler endlich erkennen wer oder was ihnen dort gegenüberstand. Es handelte sich hierbei um ein großes schwarzes Wesen mit leuchtend roten Augen, welches den Umrissen nach zu urteilen an einen Tiger erinnerte. „Das ist aber kein Stier!“, stellte das Mädchen fest. Völlig außer Atem kam sie endlich zum Stehen. Sie konnte von Glück reden, dass sie nichts abbekommen hatte. Anders sah es da allerdings bei dem Rothaarigen aus. Dieser wurde gestreift, weshalb sein Umhang und auch seine Kleidung angesengt waren. Verletzt war er Gott sei dank nicht. Skye hatte sich wieder in eine defensive Ecke verkrümelt und war unversehrt. Auch der Suzuki-Erbe, welcher neben seinem besten Kumpel stand, wurde nicht getroffen. „Sehe ich selbst!“, kam es genervt von Kuro. „Haben wir uns etwa verrechnet?“, schnaufte der Mützenträger schwer, „Wo ist der Bulle?“ „Ich weiß es nicht“, knirschte der Schwarzhaarige mit den Zähnen, „Aber wir haben im Moment ein anderes Problem.“ „Jetzt weiß ich es wieder!“, erhellte sich Rins Gesicht. Erstaunt sahen die Jungs zu dem Mädchen herüber und der Rothaarige hakte nach: „Was denn? Hast du das Rätsel gelöst?“ „Als ob“, zog der Älteste eine Braue nach oben. Doch noch ehe die Oberschülerin zu Wort kommen konnte, hatte der Tiger wieder einen Angriff gestartet. Er spuckte Feuerbälle auf die Truppe, welche erneut zum Ausweichen gezwungen wurde. „Verdammt“, fluchte Rin lauthals, „Das hört ja gar nicht mehr auf!“ „Ruft eure Persona und startet den Gegenangriff!“, versuchte der Kleinste zu helfen. Er hatte zwar recht, aber solange sie mit Ausweichen beschäftigt waren, gestaltete sich das doch eher schwierig. Sie mussten warten, bis wieder eine Angriffslücke erschien. Zu ihrem Glück hörte das Dauerfeuer recht schnell wieder auf und obwohl die drei Schüler bereits am Ende waren und schwermütig atmeten, schafften es die beiden Persona User ihre Helfer zu rufen. „Kyusagi, bekämpfe das Vieh mit Wasser. Kiri!“, befahl die Blauhaarige der Häsin. Auch Kuro nutzte die Gelegenheit: „Wir werden nicht verlieren! Sarubi, setz Doro ein!“ Sofort griffen die beiden Persona mit einem Wasserstrahl und Unmengen Matsch und Erdbrocken an. Ihr Gegner ließ sich das allerdings nicht so leicht gefallen und startete den Gegenangriff mit einem Feuerstrahl. Die Attacken prallten aufeinander und drückten sich gegenseitig in die jeweilige Richtung. Einige lange Sekunden verstrichen, in denen alle gebannt auf eine Entscheidung warteten. Eigentlich sollte es eine Leichtigkeit sein gegen das Feuer anzukommen, denn sowohl Wasser als auch Erde waren effektiv. Trotzdem war es ein echt harter Kampf. Plötzlich gab es eine Explosion von den immerzu aufeinanderprallenden Elementarangriffen und die Schüler wurden unsanft an die Wand zurückgeschleudert. Auch der Riesentiger hatte ein wenig was abbekommen und wich zurück. „Ich glaube ich habe da was gesehen“, starrte Skye in die Ferne, „Schaltet die Kommunikationsfunktion eures Horo an. So können wir in Verbindung bleiben.“ Sofort rannte der Jüngste wie von der Tarantel gestochen los und verschwand noch hinter dem bösartigen Wesen. Schmerzerfüllt rappelten sich die Angesprochenen wieder auf und versuchten erstmal zu realisieren was soeben passiert war. „Manchmal verstehe ich ihn echt nicht“, hielt sich das Mädchen den schmerzenden Kopf, „Jeder andere hätte erst geschaut, ob es uns gutgeht.“ „Das musst du gerade sagen, du Hohlbirne“, wurde sie mal wieder von dem Schwarzhaarigen zurechtgestutzt, „Wenn du dir was in den Kopf gesetzt hast, dann vergisst du auch alles andere um dich herum.“ Da sie genau wusste, dass er recht hatte, gab sie keine Antwort und schmollte einfach. In dieser Zeit aktivierten alle wie befohlen den Modus an ihrem Horo. Akira nutzte den Moment allerdings auch, um nochmal nachzuhaken was Rin vorhin erzählen wollte: „An was hast du dich eigentlich vorhin erinnert? Hast du das Rätsel gelöst?“ „Hm? Welches Rätsel?“, stand die Blauhaarige mal wieder heftig auf dem Schlauch. „Der Brief mit dem wirren Zeug, du Nervensäge“, schnipste der Suzuki-Erbe mit dem Finger gegen ihre Stirn. „Au. Was soll das?!“, keifte sie ihn an. Der Rothaarige versuchte das schnellstmöglich zu unterbinden: „Leute, hört auf mit dem Kindergarten. Wir haben keine Zeit für sowas. Unser Gegner kann jeden Moment wieder angreifen! Also? Hast du es gelöst?“ Die beiden Streithähne zuckten reuevoll zusammen und Rin konnte ihm nur kleinlaut antworten: „Ich hab doch vorhin gesagt, dass mir das bekannt vorkommt. Der Widder und der Stier meine ich.“ „Und? Was hast du rausgefunden?“, musste der Mützenträger es dem Mädchen aus der Nase ziehen. Erwartungsvoll wurde sie von den beiden jungen Männern gebannt angestarrt. Die Antwort würde das Rätsel um Leben und Tod sicherlich endlich lösen können. „Na ja… also. Wisst ihr. Der Widder und der Stier“, machte sie eine zögerliche Pause, „sind Sternzeichen.“ Mit einem schiefen Grinsen schaute sie zu den beiden Kerlen herüber. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie gleich Schimpfe für ihre dumme Antwort kassieren würde. Allerdings wurde sie nur mit großen Augen angestarrt, was sie wirklich sehr verunsicherte: „H-He… Was ist los?“ Schlagartig wandte sich der Rothaarige zu seinem Kumpel: „Was genau stand nochmal in dem Brief?“ Dieser schien genauso geschockt und zitierte die Zeilen nochmal: „Wenn der Bulle bald erscheint, das Opfer nicht ist vereint, der Bock des Schlachtfeldes abdankt, der Weg deines Schicksals wankt.“ „Das ist die Deadline!“, kam es fassungslos aus den beiden Kumpels geschossen. „Wann genau?“, hakte Akira nach. Kurz tippte der Schwarzhaarige auf der holografischen Tastatur des Horo herum. In dieser Zeit sah das Mädchen immer wieder sichtlich irritiert von einem zum anderen. Es war kaum zu übersehen, dass Rin gar nichts verstand. Hatte sie etwa widererwarten etwas Nützliches von sich gegeben? Konnten sie das Rätsel lösen? Aber was war die Antwort und wieso hatten die Jungs etwas entdeckt was sie nicht verstand? „Oh Mist“, blickte Kuro auf, „Wir haben noch knapp 24 Stunden ehe der Wechsel stattfindet. Ansonsten werden wir Shiori nicht mehr retten können!“ „24 Stunden? Woher weißt du das?“, stammelte das Mädchen. „Achtung!“, rief Kuro plötzlich. Blitzschnell reagierte sein Kumpel auf den Warnruf und warf sich schützend vor die Blauhaarige. Ihr Gegner hatte sich wieder aufgerappelt und griff sie erneut mit Feuerbällen an. Der Suzuki-Erbe schaffte es gerade noch so sich zur Seite zu werfen, um dem Geschoss auszuweichen. Die Schutzmauer, die er Sekunden später vor seinen Kameraden errichtete kam allerdings zu spät. Der Mützenträger wurde mit voller Wucht am Rücken getroffen und fiel Rin direkt in die Arme. „Yoshida-kun!“, schrie das Mädchen panisch. Entkräftet kam es aus ihm: „Geht es dir gut?“ „Ja, du Idiot musstest ja auch unbedingt dazwischen springen“, hatte sie bereits Tränen in den Augen, „Halte durch, okay? Ich helfe dir irgendwie!“ „Weine nicht. Solange es dir gutgeht, bin ich froh“, wischte er ihr mit zittriger Hand eine Träne aus dem Gesicht. Kurz stockte Rin, kam dann aber auf eine Idee und kramte aus der Tasche des Rothaarigen eine der Energydrinks, die er mitgebracht hatte. „Hier, Akira. Trink das“, hielt sie ihm eine schwarze Dose mit roter Aufschrift entgegen. Vorsichtig nippte er daran und wurde erwartungsvoll angesehen: „Wirkt es? Obwohl es von der anderen Seite ist?“ Noch einmal nahm er einen Schluck und nickte: „Ich denke schon. Aber nicht so schnell wie letztes Mal.“ „Letztes Mal warst du ja auch nicht so schwer verletzt!“, blickte die Blauhaarige besorgt drein. „Ich will euer Geturtel ja nur ungern unterbrechen“, ertönte die Stimme des Schwarzhaarigen durchs Horo, „Aber ich brauch hier vorne mal etwas Unterstützung!“ „Alleine zu schwach?“, amüsierte sich das Mädchen prächtig, bekam aber keine Antwort mehr. Sofort stand sie auf und wollte zu ihrem Kameraden eilen, wurde aber von Akira am Handgelenk festgehalten: „Versprich mir vorsichtig zu sein. Ich will dich nicht verlieren, Rin-chan.“ Erschrocken sah sie ihren geschwächten Teamkollegen an und wurde knallrot. War das erneut eine Art Liebeserklärung? Und hatte er sie soeben beim Vornamen genannt? Sie musste sich verhört haben. Oder? „O-Okay“, brachte sie unsicher heraus und stürmte los. Auf halbem Weg ertönte Skyes Stimme durch das Drahtlosgerät: „Ich hab Amika gefunden. Sie liegt bewusstlos hier hinten.“ „Was wirklich?!“, konnte es das Mädchen kaum fassen, „Ich komme zu euch!“ „Ey! Renn nicht kopflos herum!“, wurde sie von Kuro zurechtgestutzt. „Tu ich doch gar nicht!“, protestierte sie direkt. Im selben Moment ging plötzlich direkt vor ihr eine große Feuerkugel zu Boden und Rin stoppte schlagartig. „Hab ich’s nicht gesagt?“, murrte der Suzuki-Erbe. Wütend kam direkt die Retourkutsche: „Klappe!“ „Was willst du da hinten überhaupt?! Hier spielt die Musik. Skye passt schon auf sie auf“, wich der Schwarzhaarige einer Attacke aus, „Abgesehen davon ist das eh nicht ihr echter Körper!“ „Echt oder nicht, sie braucht mich! Außerdem glaube ich, dass wir sie auch brauchen“, versuchte die Schülerin ihren Standpunkt zu vertreten. Ihr Gesprächspartner verzog nur das Gesicht: „Wozu sollen wir sie brauchen? Sie hat keine Persona, um das Ding zu besiegen.“ „Ich denke Rin hat nicht ganz unrecht“, mischte sich der Kleinste ein, „Dieser Tiger ist ein Shadow, der aus ihren Gefühlen und Gedanken entsprungen ist. Theoretisch kann sie ihn kontrollieren. Denke ich jedenfalls.“ „Na von mir aus“, schnaubte der Erdelementar, „Ich lenk das Monster ab und du schleichst an ihm vorbei.“ „Geht klar“, streckte das Mädchen den Daumen nach oben. Gesagt getan huschte die Oberschülerin geschickt an dem Tierwesen vorbei. Zwar verfolgten seine Augen die Blauhaarige, doch mit einem Treffer Sarubis war seine Aufmerksamkeit wieder auf Kuro gelenkt. Erneut startete es einen Feuerangriff und der junge Mann hüpfte wieder von einem Bein auf das andere. Mittlerweile war er der einzige Übrige, welcher sich dem Monster stellte. Das machte es für ihn um einiges schwerer. Zwar musste er sich keine Sorgen um seine Kameraden machen, doch je mehr Zeit verstrich, umso höher war die Wahrscheinlichkeit, dass Akiras Schutzwand nachgab oder er selbst kampfunfähig ging. Das wäre das Ende. Unterdessen kam Rin endlich bei ihrer besten Freundin an, welche von Skye bewacht wurde. „Skye! Wie geht es ihr?“, richtete sie die Frage an den Jüngsten. Dieser schüttelte nur den Kopf: „Sie ist noch immer bewusstlos. Aber ich denke es geht ihr gut.“ Vorsichtig rüttelte die Blauhaarige an der Regungslosen und redete unaufhörlich auf sie ein. Es verstrichen ein paar Minuten, bis die Brünette plötzlich eine Reaktion zeigte. Ihre Finger bewegten sich zaghaft und sie verzog ihr Gesicht. Langsam kam das Mädchen endlich wieder zu sich. Mit stechend gelben Augen sah Amika in die strahlend blauen ihrer Freundin. „Oh nein“, zog die Blauhaarige erschrocken die Luft ein, „Sie ist noch immer nicht sie selbst.“ Noch etwas gerädert rappelte sich die soeben Erwachte endlich auf und sah sich irritiert um: „Wo bin ich? Und was ist das für ein Ding?“ Zum Erstaunen aller war die Stimme des Mädchens normal. Generell schien sie bis auf die Augenfarbe wieder die Alte zu sein. Zudem zeigte sie große Angst vor der momentanen Situation und dem erschreckenden Tiger. „Das hier ist eine Art Dungeon, der durch deine wahren Gefühle entstanden ist“, erklärte Skye ruhig, „Denke ich jedenfalls.“ „Was soll das heißen?“, zitterte das Mädchen am ganzen Leib. Plötzlich drehte sich das schwarze Wesen zur Brünetten herum und sprach mit verzerrter Stimme zu ihr: „Wie ich sehe bist du endlich aufgewacht. Das ist gut, dann kannst du mir ja nun noch etwas mehr deiner Macht verleihen, um diese lästigen Schmeißfliegen loszuwerden.“ „Wer bist du?“, bebte die ängstliche Stimme Amikas. „Ich bin du“, machte der Tiger eine kurze Pause, „Und du bist ich.“ Verstört blickte sie in die blutroten Augen ihres Gegenübers: „Als ob ich so ein hässliches Ding wäre. Niemals!“ Ihre ablehnenden Worte lösten im Zentrum des Gegners eine Druckwelle aus, welche alle Gruppenmitglieder nach hinten stieß. Außerdem schien das lästige Vieh an Energie gewonnen zu haben. „Verdammt!“, erschallte Kuros Stimme durch das Horo, „Meine Angriffe prallen einfach ab! Was ist da los bei euch?!“ Eine Antwort bekam er nie, denn ihr Gegner begann nämlich soeben wieder damit Feuerbälle zu spucken. Dieses Mal waren sie aber um einiges größer und heißer. „Kyusagi!“, rief Rin nach ihrer Persona, „Halte uns mit Kiri diese Feuergeschosse vom Leib.“ Während die Häsin tat wie ihr befohlen, kniete sich die Blauhaarige vor ihrer besten Freundin und Skye und umarmte beide schützend. Dem Kampf hatte sie den Rücken zugewandt und hoffte, dass Kysuagi es schaffte sie alle zu beschützen. Sie selbst war sich dabei gar nicht mal so wichtig. Einzig die Menschen, an denen ihr etwas lag, wollte sie vor Schaden bewahren. Sekunden später kam dann auch endlich der Suzuki-Erbe angerannt und forderte seine Persona zur Mithilfe auf. Er selbst stürmte auf die Schutzsuchenden zu: „Bist du bescheuert du Idiotin? Was drehst du dem Kampf den Rücken zu?!“ Noch ehe er sie erreicht hatte, kam jedoch plötzlich eines der Feuergeschosse durch und schlug direkt auf dem Rücken des Mädchens ein. Diese sackte daraufhin in sich zusammen und ging zu Boden. Erstaunlicherweise war ihr blauer Umhang völlig unversehrt. Trotz allem hatte ihr der Angriff stark zugesetzt. „Scheiße!“, fluchte der Schwarzhaarige vor sich hin, „Ich bin schon wieder zu spät.“ „Rinacchi!“, stieß Amika besorgt aus und sah sofort nach ihrer am Boden liegenden besten Freundin. Auch der Kleinste schien sehr besorgt und wollte wissen, ob es ihr gutging. Als Kuro endlich angekommen war, schlitterte er durch seinen Schwung noch ein paar Centimeter über den Gesteinsboden, während er schon in die Hocke ging und seine Handflächen konzentriert auf diesen unter sich presste. Es formte sich eine kleine mauerartige Erhöhung vor der am Boden Liegenden, ehe er stürmisch näherkam und vor ihr kniete. „Geht es dir gut? Kannst du aufstehen?“, versuchte er dem Mädchen zu helfen. Diese rappelte sich nur schwermütig auf: „Geht so.“ „Komischerweise hast du keine Verbrennungen davongetragen. Ob das an dem Umhang und deinem Wasserelement liegt?“, war der Suzuki-Erbe zwar erleichtert, aber auch verwirrt, „Aber der Zusammenprall war heftig. Lass Kyusagi dich heilen, bevor du weißt schon was passiert.“ Kurz musste sie nachdenken was er meinte, bis es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Sie war erschöpft genug, dass ihr eigenartiger Nebeneffekt jeden Moment ihr Geschlecht wechseln könnte. Aufgrund dessen, gab sie ihrer Persona den Befehl „Dia“, welcher sie im Handumdrehen mit Energie betankte. Zwar war es noch lange nicht genug, aber wenigstens konnte sie sich wieder auf den Beinen halten. „Ha, du bist echt armselig, kleine Amika“, ertönte erneut die verzerrte Stimme ihres Gegners, „Wieso spielst du Sorgen um jemanden vor, den du verachtest? Immerhin hasst du sie doch. Deine angeblich beste Freundin. Sie hat dich einfach im Stich gelassen und ist abgehauen.“ „Das stimmt doch gar nicht!“, sprang die Brünette auf und protestierte lautstark gegen das Monster, „Ich würde sie niemals hassen!“ Erneut wurde der Tiger mit Kraft betankt und es erschienen sogar zwei weitere Shadows. „Das sind zwei Pixies! Wo kommen die denn her?“, kam Rin hinter der Mauer hervor. „Wir müssen sie aufhalten! Sie sind vom Elektro Element. Kuro!“, rief der Jüngste. Sofort nahm Angesprochener es in die Hand: „Verstanden!“ Da er das Erdelement besaß, welches effektiv dagegen war, hatte er sowieso keine andere Wahl, als sich den Pixies zu stellen. Er wusste ganz genau, dass Rin gegen die beiden Schwierigkeiten haben würde. „Oh und wie das stimmt“, amüsierte sich das Geschöpf über die Brünette, „Aber das ist nicht der einzige Grund. Außerdem bist du total eifersüchtig auf sie. Dein Schwarm hat nämlich nur Augen für sie!“ „Nein! Ich bin doch nicht eifersüchtig! Das ist komplett an den Haaren herbeigezogen!“, gab das Mädchen nicht nach. Wieder manifestierten sich weitere Shadows und umzingelten die Gruppe. „Ami, du musst aufhören dem Ding zu widersprechen! Das macht alles nur schlimmer!“, packte die Blauhaarige das Mädchen an den Schultern. Diese weinte mittlerweile schon und war völlig verzweifelt: „Aber das stimmt doch gar nicht was er da sagt.“ Immer mehr neue Shadows füllten den Raum. Sie waren kaum noch zählbar. „Vielleicht übertreibt er, aber deine wahren Gefühle kannst du nicht einfach ignorieren“, sah Rin ihr mit ernstem Blick ins Gesicht, „Mach dir keine Sorgen. Ich kann dich verstehen, denn ich weiß jetzt, dass du dich einsam gefühlt hast. Und es tut mir wirklich leid, dass ich nicht für dich da war wie es sich gehörte.“ Schluchzend vor Erleichterung fiel Amika ihr um den Hals. Sie brachte kein Wort heraus, aber Rin wusste ganz genau, dass ihr Herz leichter wurde. Denn die neu dazugekommenen Shadows minimierten sich wieder. „Hey was soll das?! Nein!“, fluchte der Tiger, welcher an Kraft verlor. Die Truppe atmete erleichtert auf. Endlich hatte das Mädchen es eingesehen und konnte ihren Gegner nicht mehr bestärken. Das war die Chance für einen Gegenangriff, zu welchem sich Kuro sofort bereitmachte. Allerdings ertönte noch einmal die verzerrte Stimme der schwarzen Gestalt: „Aber trotzdem hast du vor Zorn deine eigene Schwester ermordet! Wahahahar!“ Erschrocken zuckte die Brünette zusammen, konnte das jedoch nicht auf sich sitzen lassen: „Ich habe Kaori nicht umgebracht! Das war ein Unfall! Das hat selbst die Polizei gesagt!“ „Nein, nicht!“, stieß Skye panisch aus, doch es war zu spät. Seine ganze verloren Kraft, kehrte in vielfacher Ausführung zu dem Tiger zurück. Und mit dieser auch unzählige Shadows, die sich zum Kampf bereitmachten. Darunter waren nicht nur Pixies sondern allerlei verschiedene Arten. Der Kürbiskopf mit seiner Laterne tauchte wieder auf. Genauso wie der Reiter mit seinem Pferd. Zum ersten Mal bekamen sie auch neue Gesichter zu sehen, denn unter der Shadowarmee befanden sich noch eine weitere Elfensorte mit blonden Zöpfen und rosagelben Schmetterlingsflügeln. Zudem konnten sie noch eine weitere Spezies entdecken, welche in einem goldgelben Topf saß und nur einen türkisenen Kopf mit leuchtend roten Augen herausstreckte. „Das sind Pixie, Jack O’Lantern, Berith und die neue Elfe heißt Hua Po. Der Gnom ist Agathion!“, gab Skye seine Informationen bekannt und schmiedete direkt einen Plan, „Rin, übernimm du die Feuerfront und bekämpfe Jack O’Lantern, Berith und Huo Po. Die Elektroangreifer Agathion und Pixie gehören dir, Kuro!“ „Alles klar“, kam es von beiden wie aus einem Munde und sie stürmten los. Rücken an Rücken versuchten sie den mit Shadows ausgefüllten Raum zu säubern. Skye versuchte derweil den Rotschopf zu erreichen: „Akira! Wie ist die Lage bei dir? Geht’s dir gut?!“ „Geht so!“, kam es nur zurück. „Wenn du es schaffst, dann versuch zu uns auf die andere Seite rüberzukommen. Da bist du sicherer“, versuchte der Jüngste weiter zu koordinieren. „Das wird nicht funktionieren!“, ertönte erneut seine Stimme, „Ich bin genauso umzingelt wie ihr es vermutlich seid.“ Fluchend schlug Akira mit seinem Baseballschläger wie wild um sich, um den ganzen Shadows mit dem Leben zu entgehen. Das war allerdings schwieriger als gedacht. Er hatte noch immer keine Persona, geschweige denn ein übermächtiges Element, mit welchem er mal eben um sich schlagen konnte. Eigentlich hatte er rein gar nichts was irgendwie von Nutzen war. Stattdessen war er sogar eher eine Last für seine Kameraden, die sich seinetwegen sorgten. Das machte ihn wütend und traurig zugleich. „Kann es sein, dass das immer mehr werden?“, atmete Rin schwer. Auch der Schwarzhaarige war schon völlig am Ende: „Mir kommt es auch so vor, als würden für jede besiegte Kreatur drei neue auftauchen.“ Schweißperlen rannen ihnen die Stirn herunter. Nicht nur, dass sie komplett am Ende waren, nein, denn der Raum war noch immer schlimmer als eine Sauna. Und jetzt, da noch mehr mit Feuer herumgewirbelt wurde, erschien es noch viel, viel heißer. Für den Moment hatten sie aber noch Glück, dass ihr eigentlicher Gegner stillstand und amüsiert dem Schauspiel zusah. „Ach wie lustig“, kicherte der Tiger hämisch, „Und das nur, weil ich dein Schwesterlein erwähnt hab. Aber eigentlich ja auch verständlich. Deine große Schwester war ja auch die perfekte Tochter. Deine Eltern haben sie so sehr geliebt, weil sie einfach alles konnte. Und dich haben sie links liegen gelassen, weil du leider das missratene Kind geworden bist, das nicht halb so schlau ist. Ich weiß genau wie sehr du deine Mutter für ihre Vergleiche hasst. Und dein Vater ist nicht besser, weil er immer nur schweigend zugesehen hatte. Gibs doch zu, am liebsten hättest du die beiden auch tot gesehen! Wahahahar!“ Schweigend ballte Amika ihre Fäuste und sah unter sich. Sie hatte schon wieder Tränen in den Augen, brachte aber dieses Mal kein Wort heraus. Skye welcher neben ihr stand, versuchte an sie heranzukommen, um den schrecklichen Kampf endlich zu beenden: „Du darfst dich nicht verschließen, hörst du? Jeder hat seine eigenen dunklen Geheimnisse und Gefühle. Steh dazu, dann wird alles gut.“ Fertig mit der Welt sackte das Mädchen auf die Knie und begann fürchterlich zu weinen. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und die Arme baumeln lassen, während sie Richtung Decke sah. Auch, wenn sie durch die ganzen Tränen vermutlich nicht viel erkennen konnte. „Er hat recht“, schluchzte sie und ihre Stimme bebte: „Ich hasse meine Eltern dafür, dass sie mich immer mit Kaori verglichen haben. Ich konnte es nie leiden, dass sie sie immer bevorzugten und für ach so perfekt hielten. Sie war gar nicht perfekt! Sie war richtig fies, aber unsere Eltern haben das nicht kapiert. Damals wusste sie ganz genau, dass ich auf den Jungen stehe und trotzdem hat sie ihn mir weggenommen.“ Durch ihre Worte schrumpfte die Armee der Shadows beachtlich und auch der große schwarze Tiger begann zu schrumpfen: „Nein! Das kann nicht sein!“ Daraufhin stoppten ihre Tränen und sie stützte sich mit beiden Armen auf dem Boden vor sich ab. Mit ernster Miene schrie Amika in Richtung des Geschöpfes: „Ja! Sollen sie doch alle verrecken!“ Ihre Worte schienen der Gnadenstoß für ihren Gegner gewesen zu sein, denn er schrumpfte in Windeseile auf Plüschtierform. Auch die anderen Shadows verpufften nach und nach alle in leuchtendem Staub. Alle Augen waren nun auf die Brünette gerichtet, welche selbstsicher auf den Minitiger zugelaufen kam. Vorsichtig hob sie ihn hoch und hielt ihn sanft im Arm: „Daijoubu. Es wird schon alles gut werden.“ Daraufhin verpuffte auch das kleine schwarze Tierchen zu leuchtenden Partikeln, welche von Amikas Rubin aufgesaugt wurden. Mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht löste sich dann schließlich auch das Mädchen langsam auf. Um sie herum konnte Rin einen blauen Schmetterling fliegen sehen, welcher bedeutete, dass sie erneut einen neuen Social Link geknüpft hatte. Mit ein paar Handbewegungen auf ihrem Horo zeigte sich auch schnell, welche Arcana ihrer besten Freundin zugeordnet war. Es war „VI. The Lovers“, die Liebenden Arcana, welche ihrer Meinung nach wirklich gut zu Amika passte. Abgesehen davon schien ihr eigener Link auch um eins aufgestiegen zu sein. Eigenartig. „Wir haben es endlich geschafft“, gesellte sich Akira zu den beiden Persona Usern auf den Boden. Auch Skye gesellte sich zu ihnen: „Das war ein harter Kampf, aber ihr habt euch gut geschlagen.“ „Das haben wir aber auch deiner Koordination zu verdanken“, grinste der Rothaarige den Jüngsten freudig an. „Ich kapier immer noch nicht wie Shiori an zwei Orten gleichzeitig sein kann“, wechselte der Suzuki-Erbe einfach das Thema. „Mich wundert eigentlich gar nichts mehr“, öffnete der Mützenträger erneut eine schwarz-rote Dose Monster Energy. Auch die anderen bedienten sich aus seinem Rucksack und Rin erhaschte eine schwarze Dose mit blauem Aufdruck, während Kuro eine mit grünem Aufdruck nahm. Einzig Skye angelte sich eine komplett andere Sorte: Monster Vanilla Espresso. „Ich hab noch nie ein Kind Kaffee trinken sehen. Das schmeckt doch gar nicht“, sah sie den Kleinen kritisch an. „Ich find es lecker“, zuckte er zur Antwort nur mit den Achseln. Noch einen kurzen Moment tankten die vier wieder Kraft und verdauten das vergangene Ereignis schweigend, ehe die Blauhaarige sich wieder zu Wort meldete: „Was war das jetzt eigentlich vorhin? Habt ihr jetzt das Rätsel des Briefes gelöst oder wie? Wie kamt ihr darauf, dass wir nur noch 24 Stunden zur Rettung übrig hatten?“ Während die Oberschülerin voller Ernsthaftigkeit eine Antwort erwartete, lachten die übrigen erstmal über ihre Begriffsstutzigkeit. „Na du hast doch sogar den entscheidenden Hinweis gegeben. Bist du dumm?“, schnipste Kuro ihr gegen die Stirn. „Aua! Warum machst du das ständig?! Hör auf damit!“, hielt sie sich die schmerzende Stelle. „Die vier Zeilen sollten uns eigentlich nur mitteilen, wie viel Zeit uns noch bleibt, um Shiori-chan zu retten, verstehst du?“, versuchte Akira ihr die Augen zu öffnen. Die Antwort blieb jedoch gleich: „Nein. Versteh ich nicht.“ Selbst Skye wurde es langsam zu bunt und er mischte mit: „Überleg doch mal. In der ersten Zeile stand: ‚Wenn der Bulle bald erscheint‘. Das heißt so viel wie, wenn das Sternzeichen Stier anfängt.“ „‘Das Opfer nicht ist vereint‘ bedeute wie gehabt, wenn wir bis dahin das Opfer nicht gerettet haben“, führte Akira die Erklärung fort. „In der dritten Zeile ist dann die Rede vom Sternzeichen Widder, was dann vorüber ist. Also ‚der Bock des Schlachtfeldes abdankt‘“, erklärte der Suzuki-Erbe weiter, „Was genau ‚der Weg deines Schicksals wankt‘ bedeuten soll weiß ich allerdings selbst nicht genau. Das ist wohl eher darauf zurückzuführen, dass du dann durch den Verlust deiner besten Freundin einen Schicksalsschlag erlitten hättest.“ „Ach so“, erhellte sich Rins Gesichtsausdruck, „Also hätte das Sternzeichen gewechselt, hätten wir Ami verloren? Das war ja dann wirklich in letzter Sekunde.“ „Wow, sie hats endlich kapiert“, klatschte Kuro unbeeindruckt in die Hände. „Ach, halt die Klappe“, maulte sie ihn daraufhin an. Noch ein wenig saß die Gruppe auf dem kalten Boden, ehe Skye sie zum Anfang zurückteleportierte und sie den Dungeon verließen, um wieder nach Hause zu gehen. Natürlich verwandelte sich Rin auf halbem Weg durchs Portal mal wieder ins andere Geschlecht und musste schnellstens verschwinden. Eigentlich wollte sie unbedingt noch ins Krankenhaus, aber das musste wohl bis zum Morgen warten. „Warum hat sie es eigentlich immer so eilig?“, kapierte Akira gar nichts. „Wer weiß“, grinste der Schwarzhaarige nur, während er zusah, wie Rin in der Dunkelheit zusammen mit Skye in Vogelform verschwand. „Ich versteh das nicht“, jammerte sie im Rennen ihren fliegenden Begleiter voll, „Ich hab doch extra nochmal Energie aufgetankt.“ Kapitel 18 - In der Zeit geirrt ------------------------------- Montag, 20. April 2015   Am frühen Morgen kam Rin panisch aus dem Wohnheim gerannt. Obwohl die Schule erst in eineinhalb Stunden anfangen würde, hatte sie trotzdem verschlafen, denn sie wollte noch unbedingt Amika besuchen. Diese sollte nun endlich wieder aufgewacht sein, nachdem sie in der letzten Nacht den Endgegner zu Fall gebracht hatten. Rennend begab sich die Blauhaarige dazu zur Shiroshi Central Station, um die U-Bahn nach Aoichi-kû zum Zentralkrankenhaus zu nehmen. Im Schlepptau hatte sie bereits all ihre Schulutensilien, um im Anschluss direkt zum Unterricht zu gehen. Auch Skye begleitete das Mädchen. Allerdings hatte er es sich als Vögelchen in ihrem Rucksack bequem gemacht und schlief noch eine Runde.   Endlich angekommen, stürmte die Blauhaarige förmlich ins Zimmer ihrer besten Freundin. Anklopfen vergas sie völlig, weswegen sie erschrocken von vier Augenpaaren gemustert wurde. „Rinacchi!“, kam es freudestrahlend von Amika, welche auf ihrem Krankenbett saß. Neben ihr stand eine Krankenschwester, mit Klemmbrett in der Hand und notierte sich etwas, während auf der anderen Bettseite die Eltern der Rotbraunhaarigen auf zwei Hockern saßen. In den anderen Betten, welche im Raum standen, schliefen die Patienten und bekamen nichts mit. Trotz allem hatte Rin einen ziemlich schlechten Zeitpunkt für den Besuch gewählt, wie sie fand. „H-Hi…“, lief die Blauhaarige zögerlich ans Bett ihrer Freundin und umarmte diese, „Ich hatte solche Angst, dass du vielleicht gar nicht mehr aufwachst.“ Als Antwort bekam sie daraufhin nur ein Lächeln. „Gehst du nun auf die Suzuki Akademie, Rin-chan?“, kam es erstaunt aus der Mutter. Verlegen kratzte sich Angesprochene am Hinterkopf: „Äh, ja. Ich habe mein Stipendium zurück.“ „Oh, wow. Ich wusste gar nicht, dass du so schlau bist“, mischte sich nun auch der Vater ins Gespräch. „Da könnte sich unsere Amika doch glatt eine Scheibe abschneiden“, lächelte die Dunkelrothaarige die Stipendiatin an. Während diese immer verlegener wurde, schaute die Brünette mittlerweile ziemlich betrübt drein. Natürlich entging das der Blauhaarigen keineswegs und sie versuchte sich irgendwie wieder herauszureden: „Ach, wissen Sie… Das ist nur ein Sportstipendium. Wenn es um dieses theoretische Zeug geht, dann verstehe ich nur Bahnhof. Da ist Ami viel schlauer und erklärt mir immer alles.“ Verdutzte und sprachlose Blicke trafen das Mädchen, welches schief vor sich hin grinste. Diesen Moment des Schweigens ergriff die Krankenschwester: „Die Tests sind soweit alle positiv verlaufen. Wie es aussieht, können wir Ihre Tochter bereits am Nachmittag wieder entlassen.“ Die Gesichter aller Beteiligten hellten sich auf und waren froh, dass es der Brünetten soweit gutging. Da es noch Papierkram auszufüllen gab, verlies die Krankenschwester zusammen mit den Eltern der Schülerin den Raum. Zurück blieben die beiden Mädchen. „Tut mir leid“, plumpste Rin deprimiert auf einen der Hocker. „Was denn?“, verstand ihr Gegenüber überhaupt nichts. „Ich wollte mich nicht in den Vordergrund drängen. Aber deine Eltern haben nun mal gefragt. Es war dumm von mir in Schuluniform hier aufzuschlagen“, senkte sie den Kopf. „Blödsinn. Abgesehen davon ist mir eh egal was sie über mich denken“, verschränkte die Brünette die Arme, „Erzähl mir lieber wie du es in dieser kurzen Zeit auf die Suzuki geschafft hast.“ „Das ist eine lange Geschichte“, legte die Blauhaarige den Kopf schief, „Außerdem hab ich auch noch einen Haufen Fragen an dich.“ „Na, dann fang besser mal an mit erzählen und verschwende keine Sekunde“, konnte es Amika kaum mehr erwarten. Das Mädchen ließ sich somit breitschlagen und sie erzählte ihr davon wie sie wieder an ihr Stipendium gekommen war. Auch, dass sie nun den Laufburschen für Kuro spielen musste ließ sie dabei nicht aus. Als sie endlich mit der Erzählung fertig war, forderte sie auch von ihrer Freundin Antworten. Sie wollte Genaueres von dem Feuer, von Kaori, ihren Elementarkräften und allem was sie verpasst hatte wissen. „Ich verstehe selbst nicht genau was das für eine eigenartige Kraft ist, die ich da erhalten habe. Am Anfang dachte ich noch, dass es total cool ist mit Feuerbällen um sich zu werfen. Aber es ist eigentlich nur gefährlich, denn damit habe ich Kaori umgebracht“, senkte sie betrübt den Blick. „Ich glaub ja kaum, dass du das mit Absicht gemacht hast“, blickte Rin kritisch drein. „Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich mir ziemlich oft gewünscht, dass sie tot wäre“, kam es leise aus der Brünetten, „Sie war immer so perfekt und hat mich damit richtig schlecht aussehen lassen. Außerdem hatte sie mir damals meinen Schwarm weggenommen, von dem sie genau wusste, dass ich in ihn verliebt war.“ „Na ja“, zögerte die Blauhaarige, „Aber du weißt schon, dass du ziemlich häufig für einen anderen Kerl schwärmst, oder? Erzähl mir lieber wie genau das alles passiert ist. Du weißt es doch ganz genau. Ich kenne dich.“ Beleidigt blies sie die Wangen auf: „Du bist fies Rinacchi. Mir war das echt ernst gewesen und ich war wirklich richtig doll verliebt.“ „Sagst du das nicht jedes Mal?“, blickte Rin kritisch drein, „Meinst du nicht, dass du dich daran nur so festgekrallt hast, weil es dich genervt hat, dass deine Schwester mit ihm ausging?“ „Kann sein, aber das ist eh Geschichte, denn mittlerweile ist mein Herz neu entflammt!“, strahlte die Oberschülerin übers ganze Gesicht und war vollkommen entschlossen, „Nun werde ich mich darauf konzentrieren Akira-kun für mich zu gewinnen!“ Hatte sie soeben wirklich „Akira“ gesagt? DER Akira? Der gleiche, der Rin ein Liebesgeständnis gemacht hat? Panik brach in der Blauhaarigen aus, denn sie wusste nicht was sie tun sollte. Sie konnte Amika doch jetzt nichts mehr von dem Liebesgeständnis erzählen. Eigentlich wollte sie sie um Rat fragen, weil die ganze Situation so unglaublich verfahren war und Rin dem Kerl nicht so recht glauben konnte. Aber das konnte sie nun unmöglich ansprechen. Stattdessen schwieg sie einfach und hörte nur zu was ihre beste Freundin zu sagen hatte. „Ach ja, ich bin dir ja noch eine Erklärung schuldig was den Brand anbelangt“, senkte die Brünette die Stimme und begann zu flüstern, „Ich hab das Feuer gelegt. Aber es war nicht meine Absicht das ganze Haus niederzubrennen. Eigentlich habe ich auch nicht geplant Kaori oder überhaupt wen umzubringen.“ Sie machte eine kurze Pause, in welcher sie nochmal tief durchatmete. Man merkte, dass die Schülerin es wahnsinnig bereute, dass ihre Schwester gestorben war, denn die Worte gingen ihr nur sehr schwer von den Lippen. „Ich war alleine zu Hause, denn Kaori war mit unseren Eltern irgendwo. Mich haben sie mal wieder ausgeschlossen und da wurde ich wütend. Deswegen wollte ich die Pokale im Wohnzimmer niederbrennen. In dem Moment, in dem ich die Flammen entzündete, breitete es sich allerdings wie ein Lauffeuer aus und schnell stand der ganze Raum in Flammen. Ich geriet in Panik und bekam es nicht mehr gelöscht. Meine Kraft gehorchte mir nicht mehr und weglaufen konnte ich auch nicht mehr, weil ich wie gelähmt war. Ich erinnere mich noch, wie Kaori plötzlich ins Zimmer gestürzt kam und an mir zerrte und schrie, dass ich raus aus dem Haus muss. Meine Familie war gerade wiedergekommen. Wären sie es nicht, wäre ich diejenige gewesen, die gestorben wäre, weil ich wie versteinert war. Es dauerte auch ziemlich lange, bis ich wieder richtig zu Sinnen kam. Da passierte es: Einer der in Flammen stehenden Schränke fiel um. Eigentlich wäre er direkt auf mich gefallen, hätte mich meine Schwester nicht zur Seite gestoßen. Stattdessen fiel das schwere Teil auf sie und klemmte sie darunter ein. Ich kann mich noch ziemlich gut daran erinnern wie sie eingequetscht da lag. Sie hatte Tränen in den Augen und schrie mich an, dass ich endlich verschwinden soll. Das wollte ich natürlich nicht und ich versuchte sie rauszuziehen. Allerdings gelang es mir nicht. Stattdessen fielen weitere Möbelstücke in sich zusammen und die ganze Schrankfront kippte um. Sie verschüttete Kaori vollends und ich hatte keine Chance mehr an sie heranzukommen. Danach fiel ich in Ohnmacht. Mir wurde gesagt, dass meine Eltern mich aus dem Feuer zogen, bevor die Feuerwehr endlich eingreifen konnte. Kaori konnte niemand retten. Sie wussten nicht wo sie war. Und selbst wenn sie sie gefunden und geborgen hätten, wäre sie voller Brandwunden gewesen. Sie hat sich für meine Dummheit geopfert…“, begann Amika fürchterlich zu weinen. „So ein Quatsch“, umarmte Rin die Weinende, „Ich glaube nicht, dass Kaori wollen würde, dass du dir Vorwürfe machst. Sie ist deine große Schwester gewesen und wollte dich nur beschützen.“ „Das ist ja das Schlimme“, schluchzte die Brünette laut, „Ich war so gemein zu ihr und hab sie immer nur gehasst. Sie wusste ganz genau, dass ich sie nicht leiden kann. Trotzdem hat sie immer Gelächelt und war nett zu mir. Selbst ihre letzten Worte hatten keinen Funken der Verachtung. Sie sagte, dass sie mich liebhätte. Und ich habe sie dafür umgebracht.“ „Du hast sie nicht umgebracht! Das war definitiv ein Unfall“, schoss es aus der Blauhaarigen. „Hätte ich das Feuer nicht entfacht, wäre all das nie passiert. Natürlich bin ich dran schuld. Meine Eltern denken das auch. Das merkt man. Sie denken sicherlich, dass lieber ich statt meiner Schwester hätte sterben sollen. Jetzt haben sie nur noch ihre missratene Tochter.“ Daraufhin wurde Rin wütend und scheuerte der Jammernden eine. Wie konnte Amika nur so etwas denken? Zwar verstand die Blauhaarige selbst nicht viel von Elternliebe, eigentlich sogar gar nichts, aber sie konnte sich trotzdem nicht vorstellen, dass ihre Eltern sie so sehr hassen würden. Natürlich trauerten sie um ihre verstorbene Tochter. Dabei wäre völlig egal gewesen welche der beiden Schwestern es getroffen hätte. Abgesehen davon war die ganze Situation auch so schon schwer genug, denn zusätzlich hatten sie ihr komplettes Hab und Gut verloren als das Haus restlos niederbrannte. Außerdem war es ja nicht so, als würde ihre Mutter sie links liegen lassen und sich nicht darum scheren was aus Amika werden würde. Ihre Strenge zeugte sicherlich von Sorge. „Wie kommst du nur auf so etwas?“, drang die besorgte Stimme der Dunkelrothaarigen an die Ohren der Schülerinnen, welche unweigerlich zusammenzuckten. Die Eltern hatten soeben wieder den Raum betreten und scheinbar mitbekommen was die Brünette quälte. Sofort kamen beide zu ihrer Tochter herübergeeilt und umarmten diese voller Sorge. Ihre Mutter hatte sogar Tränen in den Augen. „Ich bin so unglaublich froh, dass es dir gutgeht. Du glaubst ja gar nicht wie viele Gedanken ich mir gemacht habe, als du nicht mehr aufgewacht bist“, bebte die Stimme der älteren Frau, „Du bist doch trotzdem unsere Tochter. Und auch wenn ich mal streng bin, meine ich das nicht böse. Ich dachte immer, dass es dich anspornen könnte, wenn ich einen Vergleich ziehe. Mir ist vollkommen egal wer schlauer ist. Dafür kannst du andere Dinge besser als deine Schwester.“ Erneut brach die Oberschülerin in heftiges Geheule aus. Es war, als hätte man eine schwere Last von ihren Schultern genommen und sie fühlte sich nun frei und voller Erleichterung. Einerseits glücklich, andererseits auch schuldig, weil sie ihre Mutter nie verstehen konnte. Sie hatte ihr strenges Auftreten immer als eine abwertende Behandlung betrachtet und einiges missverstanden. Zwar war ihre Mutter recht streng und launisch, hatte aber auch ihre guten Seiten. Egal wie oft sie sich stritten und die ältere Frau ihrer Tochter Dinge verbat, sie erlaubte sie kurz darauf dann doch. Als sie ihr die Klassenreise verbat, lies sie sie am Ende doch mitfahren, als sie sah, dass sich die Brünette mehr in der Schule anstrengte. Oder als sie an Weihnachten Hausarrest hatte, lies sie sie schlussendlich doch gehen, erlegte ihr aber eine andere mildere Strafe auf. Ein Unmensch war die Dunkelrothaarige definitiv nicht. Sie hatte nur eine strenge Art und eine Vorliebe für Recht und Ordnung. Da die Shiori Familie mit sich selbst beschäftigt war, beließ es Rin dabei und machte sich wieder auf den Weg. Immerhin musste sie trotz allem noch in die Schule. Auf halbem Weg stellte sie dann auch noch panisch fest, dass der Unterricht bereits begonnen hatte: „Verdammt! Ich komme zu spät!“ „Selbst schuld“, kam Skye aus ihrem Schulrucksack gekrochen und flog neben der Rennenden her, „Aber jetzt wissen wir wenigstens, dass es ihr gutgeht und dass ihre Mutter sie nicht hasst.“ „Ich konnte mir das auch irgendwie nicht vorstellen. So schlimm hatte ich ihre Mutter nie in Erinnerung gehabt. Obwohl sie schon immer sehr streng war“, überlegte die Blauhaarige.   Nach einem chaotischen Tag kam Rin am Abend endlich wieder in ihrem Wohnheimzimmer an. In der Schule bekam sie mächtig Ärger, weil sie zu spät war. Dann musste sie nachsitzen und kam zu spät zum Lacrosse. Dadurch musste sie zur Strafe hinterher aufräumen, wodurch sie zu spät bei Kuro aufschlug. Der war so genervt davon, dass er das Mädchen doppelt so hart arbeiten lies. Nun war die Blauhaarige wirklich am Ende und wollte einfach nur noch ihre Ruhe. Als sie ihre sieben Sachen zusammensuchte, um ins Bad zu gehen und zu Duschen, entdeckte sie Skye, wie er in der Sitzecke fläzte. Wie immer hing er an seiner Konsole und spielte irgendwas. Einerseits konnte das Mädchen verstehen, dass das ein oder andere Spiel fesselnd war. Andererseits erschien es ihr doch ein wenig zu extrem. „Findest du nicht, du solltest mal etwas anderes tun? Immer hängst du nur vor dem Ding. Es täte dir sicherlich gut in die Schule zu gehen“, kritisierte sie ihn. Dieser starrte jedoch weiterhin auf sein Gerät und brachte ziemlich trocken hervor: „Findest du nicht, du solltest mal lernen dein Element zu kontrollieren?“ „Was soll das denn heißen? Als wir Ami gerettet haben, da habe ich es doch wunderbar einsetzen können!“, protestierte die Oberschülerin. „Das war Kyusagi und nicht du“, würdigte er Rin noch immer keines Blickes. Doch diese fand erneut Widerworte: „Ich bin diese Persona und die Persona ist ich. Das hat das Ding selbst gesagt.“ Siegreich verschränkte sie die Arme und bäumte sich vor dem Kleinen auf. Dieser sah endlich mal von seinem Spiel auf und blickte sie mit ernster Miene an: „Na dann zeig doch mal was du draufhast. Wenn du dein Element beherrschst, dann gehe ich auch zur Schule.“ Natürlich hatte er sie damit überrumpelt, denn nichts auf der Welt würde sie dazu bringen sich freiwillig ihrer Fähigkeit zu stellen. Abgesehen davon wusste sie nicht, wie sie Skye auf eine Schule schicken könnte. So ganz ohne Erziehungsberechtigten oder anderweitige Papiere. „Hat das überhaupt einen sinnvollen Grund warum du so eine Panik vor Wasser hast?“, hakte der Schwarz-Blauhaarige nach. Eine Antwort blieb Rin ihm allerdings schuldig, denn sie verzog sich auf die Frage hin wortlos ins Badezimmer. Als sie nach einer Weile wieder frisch geduscht herauskam, begann sie damit in ihren Sachen zu kramen. Jedoch fand sie nicht, was sie suchte und fluchte: „Verdammt! Wo ist nur mein Handy?!“ „Wann hattest du es denn zuletzt?“, kam eine Gegenfrage. „Keine Ahnung“, war das Mädchen planlos, „Vermutlich gestern?“ „Vielleicht hast du es ja im Dungeon verloren. Wenn du telefonieren willst, kannst du das auch über die Horos über eine Kurzstreckenverbindung“, starrte Skye geistesabwesend auf seine Konsole. „Das löst trotzdem nicht das Problem“, zog sich das Mädchen etwas über. Noch ehe der Schwarz-Blauhaarige es realisieren konnte, war Rin schon aus der Tür raus und stand im Flur. Dort traf sie auf Ruri, welche soeben ihre Schlüsselkarte durch den Schlitz des Schlosses vom Nachbarzimmer zog. „Du hast das Zimmer neben mir?“, fiel die Blauhaarige mal wieder plump mit der Tür ins Haus. „Oh, hallo Aikawa-chan“, lächelte die Eisblauhaarige sie an, „Ich wusste auch nicht, dass wir nebeneinander wohnen. So ein Zufall.“ „Nenn mich doch einfach nur beim Vornamen. Das ist sonst so kompliziert. Wir sind doch Freunde“, wechselte die Stipendiatin prompt das Thema. Überrascht zog ihr Gegenüber die Brauen nach oben: „O-okay? Gerne. Dann nenn du mich aber auch ganz einfach beim Vornamen.“ „Super“, streckte Rin ihren Daumen nach oben und grinste frech, „Jetzt muss ich aber los. Mach’s gut Ruri.“ „Du auch.“   Kaum war die Blauhaarige aus dem Wohnheim herausgerannt, machte es sich ein ihr bekannter Vogel auf ihrer Schulter bequem: „Wo willst du hin?“ „Ich geh mein Handy suchen“, kam es knapp zurück. „Und wo?“, hakte der schwarz-blaue Vogel nach. „Na drüben. Auf der anderen Seite“, schien es für Rin selbstverständlich. „Das ist zu gefährlich“, versuchte der Kleine sie zu stoppen, „Du könntest sonst wo landen.“ Gekonnt ignorierte sie Skye, während sie durch den alten Schuppen ein Portal öffnete und hindurchsprang. Blinzelnd blickte sie daraufhin in die Morgensonne und sah sich um. Sie hatte Glück, denn es waren noch fast gar keine Schüler auf dem Schulgelände. „Kehr wieder um. Du wirst es hier sowieso nicht finden“, jammerte der Vogel noch immer. „Nein. Außerdem kann man das nicht sagen, bevor man nicht gesucht hat. Ich verspreche auch, dass ich nicht in den Dungeon gehe“, versuchte die den Jüngeren zu besänftigen, während sie das Portal hinter sich wieder verschloss. Daraufhin machte sie sich suchend auf den Weg und drehte jeden Stein bis hin zum alten Wohnsitz ihrer besten Freundin um. Leider wurde sie nicht fündig. Sollte sie vielleicht doch in den Dungeon gehen? Aber sie hatte Skye ja versprochen es nicht zu tun. Sie steckte wirklich in einer verzwickten Situation, denn sie konnte sich leider nicht mal eben schnell ein neues Telefon leisten, brauchte aber eins. Wie konnte es nur verlorengehen? Während sie mit sich selbst haderte, ging plötzlich die Haustür des ehemaligen Wohnhauses ihrer besten Freundin auf und ihr Begleiter zischte schnell: „Los, versteck dich!“ Wie befohlen tat sie was er sagte und versteckte sich hinter der Hecke des Nachbarhauses. Erst nachdem sie gehandelt hatte, fragte sie sich, wieso sie auf ihn hörte und vor was sie sich verstecken sollte. Als sie dann jedoch Kaori und Amika im Miniformat aus der geöffneten Haustür kommen sah, klappte ihr die Kinnlade herunter. Die beiden schienen im Grundschulalter zu sein und verabschiedeten sich soeben von ihrer Mutter. Gebannt starrte Rin die kleinen Mädchen an, welche sich gemeinsam auf den Weg gemacht hatten. So sehr sie auch dran zweifelte, es handelte sich dabei tatsächlich um die Shiori Schwestern in jungen Jahren. „Was geht hier ab?!“, fiel Rin aus allen Wolken. „Sei leise“, flüsterte der Vogel auf ihrer Schulter, „Ich habe dich doch gewarnt, dass es gefährlich ist.“ „Wo soll das gefährlich sein? Das sind doch keine Monster“, zischte die Blauhaarige. „Nein, aber das ergibt nur unnötige Zeitparadoxen“, versuchte der Kleine das Mädchen aufzuklären. Diese kapierte noch immer nichts: „Was soll das heißen? Dass wir eine Zeitreise gemacht haben?“ „Der Portalschlüssel hat nicht umsonst den Beinamen ‚Timeless Key‘. Was glaubst du warum das Haus nicht zerfallen war, als wir den Dungeon betreten haben? Wir sind dazu in die Vergangenheit gereist. Genau wie jetzt“, war der Jüngste sichtlich genervt. „Zeitreisen? Sowas gibt’s doch gar nicht! Und von dem Namen habe ich erstrecht noch nie etwas gehört“, blähte die Oberschülerin ihre Wangen auf. „Sehe es endlich ein und geh wieder zurück!“, lies er noch immer nicht locker, „Du wirst dein Handy hier sowieso nicht finden.“ „Das kann nicht sein“, wollte sie dem Vogel noch immer nicht glauben. Nachdem die beiden Schwestern außer Sichtweite waren, machte sich auch die Blauhaarige eilig wieder auf den Weg. Sie musste irgendwie prüfen welches Datum im Moment war. Tatsächlich war das schwerer als gedacht, denn Skye verbot ihr mit Fremden zu sprechen und eine Anzeige gab es auch nirgends. Maximal eine Uhrzeit konnte das Mädchen herausfinden, aber dass es früh am Morgen war wusste sie auch so. Nach Stunden des Herumirrens kam sie schlussendlich in der Innenstadt an, wo ihr Blick an einem kleinen Zeitungsstand hängenblieb. Trotz der Widerworte ihres Begleiters, lies sie sich eine der Tageszeitungen aushändigen und konnte nicht fassen welches Datum dort stand. „Sagen Sie“, sprach Rin den Verkäufer erneut an, „Das ist die aktuelle Ausgabe, oder?“ „Ja klar“, nickte dieser etwas irritiert. Im nächsten Moment schleuderte die Blauhaarige dem armen Mann plötzlich das bedruckte Papier entgegen und rannte davon: „Das kann nicht sein!“ „Glaubst du mir jetzt?“, kam es genervt von ihrem Begleiter. „Da stand 2005! Das war vor zehn Jahren?!“   Als Rin endlich wieder das Portal in ihre Zeit passierte, fiel sie ausgelaugt und schweißgebadet auf ihren Hintern während sie schwer schnaufte: „Und in welcher Zeit habe ich nun mein Handy verloren?“ „Ist dir klar, dass das eine Katastrophe ist?! Das gibt das schlimmste Zeitparadoxon überhaupt! Nun existieren irgendwann zwei von deinen Handys!“, verfiel der Kleine in Panik. „Ja, das ist wirklich eine Katastrophe!“, war Rin beinahe noch panischer als ihr Begleiter, „Ich hab doch gar kein Geld für ein neues Handy!“ „Das ist dein geringstes Problem!“, wurde sie wütend von Skye angeschnauzt. Die Blauhaarige lies sich das aber nicht gefallen: „Dann hättest du mich eben mal aufklären müssen! Kann ich doch nicht riechen, dass wir durch die Zeit gereist sind!“     Kapitel 19 - Wie der Himmel so frei ----------------------------------- Dienstag, 21. April 2015   Gerade noch pünktlich kam Rin im Schülerratszimmer an. Das Lacrosse Training ging heute etwas länger, weswegen sie sich schlussendlich abhetzte, um nicht zu spät bei Kuro zu erscheinen. Jedoch merkte sie schnell, dass dieser heute nicht beim Schülerrat war. Stattdessen blickte sie in die erschrockenen Augen Ruris, welche die Neuhinzugekommene anstarrte. Die Blauhaarige war mal wieder mit der Tür ins Haus gefallen, weswegen die Schülersprecherin ziemlich perplex dreinblickte. Noch ehe diese etwas sagen konnte, war Rin jedoch wieder aus dem Raum gestürzt und auf dem Weg zum Rektorat. Wenn der Suzuki-Erbe nicht hier war, dann eben dort. Doch auch bei ihrer zweiten Anlaufstelle hatte sie kein Glück, denn das Zimmer war verschlossen. „Wo ist der bloß?“, verschränkte das Mädchen ratlos die Arme und schlenderte nachdenklich durch den Flur. Normalerweise war er immer irgendwo anzutreffen. War er mal weg, so hinterließ er wenigstens eine Nachricht oder rief sie an. Da die Blauhaarige allerdings ihr Handy verloren hatte, gestaltete sich das im Moment eher schwierig. Aber vielleicht würde sie ja Shina finden oder eine andere Person, die ihr eine Auskunft über seinen Verbleib geben konnte. Das Eigenartige war nur, dass der Schwarzhaarige auch bereits am Morgen nicht im Unterricht war und Rin ihn generell noch nicht gesehen hatte. Er schien also noch gar nicht in der Schule gewesen zu sein.   „Habt ihr zufällig Shina gesehen?“, fragte die Blauhaarige eine kleine Gruppe Oberschülerinnen, die soeben aus der 2A herauskamen. „Bist du nicht dieses ärmliche Ding das sich versklavt hat, um hier sein zu können?“, wurde sie von einem der Mädchen angewidert angesprochen. „Als ob ich mich versklaven lassen würde“, kam prompt eine Antwort auf die gehässigen Worte. Eine andere blickte ebenso arrogant zur Stipendiatin: „Was will eine vom niederen Volk bitte von einer wie uns? Minatsuki-chan will nichts mit dir zu tun haben.“ „Scher dich zum Teufel und versperre uns gefälligst nicht den Weg“, rempelte eine andere Rin an und bahnte sich damit einen Durchgang. Die anderen Schnepfen folgten Vorangegangener, während sie die Blauhaarige einfach ignorierten. Diese fühlte sich so überrumpelt, dass ihr die Worte fehlten. Was bildeten die sich nur ein? Am liebsten wäre sie diesen Tussis hinterhergerannt und ins Gesicht gesprungen. Aber dieses Vorhaben wurde vereitelt, denn jemand zerrte sie plötzlich am Handgelenk mit sich. Es war keine geringere als Shina, die die Gemobbte mit sich zog und erst stehenblieb, als sie in einer ruhigen Ecke waren. Zwar versuchte die Blauhaarige sie schon eher zum Stehen zu bewegen oder eine Antwort auf diese Reaktion zu bekommen, jedoch vergebens. „Was ist denn nur los?“, kapierte Entführte nichts. Fast schon flüsternd entgegnete ihr die Brünette: „Pscht. Kannst du in der Schule bitte so tun, als hätten wir nichts miteinander zu schaffen?“ „Hä?!“, entgegnete Rin irritiert, „Warum sollte ich so etwas Bescheuertes tun?! Ich verpfeif dich schon nicht. Dass du auch für Kuro arbeitest behalte ich für mich.“ „Nicht so laut“, legte Shina ihren Zeigefinger auf die Lippen und sah sich verschreckt um. Als sie niemanden in unmittelbarer Nähe entdeckte, atmete sie erleichtert aus. „Ich kapier das nicht. Hast du Angst, dass deine Mitschüler fies zu dir sind, wenn sie das herausfinden?“, überlegte die Blauhaarige angestrengt, „Aber warum machst du es dann?“ Ihr Gegenüber blickte nur schweigend zur Seite. Es schien, als hätte Rin damit den Nagel auf den Kopf getroffen. „Na von mir aus“, schnaubte das Mädchen, „Ich halte mich vor den anderen von dir fern. Auch wenn ich einfach nicht verstehe was daran so dermaßen uncool sein soll, wenn man sich anstrengt und was leistet. Wie soll man denn sonst zum großen Geld kommen? Diese Kinder der neureichen Eltern, werden eh nie kapieren, dass Geld nicht vom Himmel regnet…“ Noch bevor Rin großartig weiter rummosern konnte, unterbrach die Brünette sie: „Was wolltest du eigentlich von mir? Du hast mich ja gesucht.“ „Ach stimmt ja. Hast du Kuro irgendwo gesehen?“, war das Thema schnell gewechselt. Kurz überlegte Shina: „Nein. Ich glaube, dass er heute noch gar nicht hier war. Mir hat er auch nur eine Nachricht geschrieben mit den Dingen, die ich heute erledigen sollte. Hat er dir nichts übermittelt?“ „Ich hab mein Handy verloren“, grinste die Blauhaarige schief, „Kann ich mir vielleicht mal deins ausleihen und ihn anrufen?“ Zustimmend nickte Gefragte und lieh ihr Smartphone kurz aus. Zwar hatte Rin kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt ihn einfach zu ignorieren und nach Hause zu gehen, allerdings wusste sie genau, dass ihr dann nichts Gutes blühen würde. Außerdem gab es da eine Sache, über die sie mit ihm reden wollte. „Was gibt’s Shina?“, ging der Suzuki-Erbe ans Telefon. „Ich bin’s. Wir müssen unbedingt reden“, meldete dich die Blauhaarige. „Schön, dass man dich auch mal erreicht! Komm endlich zum Suzuki Anwesen, du Schnarchnase!“, wurde sie sofort zusammengestaucht, „Warum zum Geier gehst du nicht an dein Handy?!“ „Musst du gleich wieder so ekelhaft sein?! Ich habe es verloren. Okay? Ver-lo-ren!“, schrie die Schülerin in das Drahtlosgerät. „Wieso wundert mich das nicht?“, kam es völlig unbeeindruckt zurück, „Dann kannst du dir ja nun endlich ein Smartphone zulegen und Line installieren. SMS sind sowas von ‚letztes Jahrhundert‘.“ Kurz atmete die Blauhaarige ein und sprach dann mit aufgesetztem Lächeln so ruhig sie konnte: „Und von welchem Geld soll ich mir sowas leisten?“ „Ist nicht mein Problem“, kam eine gleichgültige Retourkutsche. „Gut!“, brüllte das Mädchen nun wieder aggressiv ins Telefon, „Dann lebe ich für den Rest meines Lebens ohne Handy! Ich brauche das Ding eh nicht! Ist dann dein Pech, wenn du mich nie wieder erreichst, du Vollidiot!“ Damit legte Rin einfach auf. Vor Wut kochte sie schon wieder und hatte gar keine Lust mehr diesen Assistenzjob weiter auszuführen. Was erlaubte sich dieser reiche Schnösel nur immer? „Warum streitest du dich schon wieder mit ihm?“, nahm Shina irritiert ihr Mobiltelefon wieder entgegen. „Wie soll man sich denn mit dem nicht streiten?“, murrte die Blauhaarige, „Der ist so ein Arsch.“ „Ich kenne sonst keinen der mit ihm einen Streit vom Zaun bricht“, stellte die Brünette fest. „Euer komischer Suzuki Prinz hat eine ziemlich dunkle und unfreundliche Seite. Warum die keiner erkennen kann verstehe ich aber auch nicht“, blies Rin beleidigt die Wangen auf. Ihr Gegenüber schien ihre Aussage nicht wirklich zu verstehen. Schließlich war Kuro bislang immer höflich zu ihr. Zwar ab und an etwas kalt und wortkarg, aber nie unhöflich. Eigentlich hatte sie ihn bisher nur das eine Mal mit Rin streiten sehen und geradeeben am Telefon. Also musste es doch an der Blauhaarigen liegen, oder? „Wie auch immer. Ich muss los“, verabschiedete sich die Verstimmte, „Danke fürs Ausleihen und keine Sorge. Ich halte mich an die Abmachung.“ Gerade als sich die Mädchen verabschiedeten, konnte Rin im Augenwinkel einen kleinen blauen Schmetterling um die Brünette fliegen sehen. Ebenso erreichten vertraute Worte ihr Ohr: „I am thou. Thou art I.“ Wie es aussah, hatte sie erneut einen Social Link geknüpft. Auf halbem Weg sah sie auf ihrem Horo nach um welchen es sich handelte. Es war ‚XVII. Star‘, der Stern.   Kurz machte Rin einen Zwischenstopp im Wohnheim, um ihre Schulsachen abzulegen. Dort meckerte sie Skye, den ewigen Stubenhocker, mal wieder an und bewegte ihn dazu das Sofa zu verlassen. Widerwillig machte er es sich als kleines Vögelchen auf der Schulter der Blauhaarigen bequem, welche sich endlich auf den Weg zum Suzuki Anwesen gemacht hatte. Dort angekommen, wurde sie von Joel, dem Butler, in Empfang genommen und in das große Büro Kuros gebeten. Dieser hing unmotiviert vor seinem Computer herum und tippte irgendetwas Unverständliches ein. Ringsherum waren Berge von Papier. Und das nicht nur auf seinem eigenen Schreibtisch. Sämtliche Tische und sogar der Boden waren voll von Papierbergen, Aktenordnern, Hängeregistern, diversen Büchern und Krimskrams, der in irgendeiner Weise wichtig erschien. Auch einige Schränke und Schubladen standen einfach offen und man konnte ein heilloses Chaos darin entdecken. „Wurde hier eingebrochen oder was ist hier passiert?!“, verwandelte sich Skye zurück in den kleinen Jungen und staunte nicht schlecht, „Vorgestern sah es in diesem Raum noch nicht halb so schlimm aus.“ „Nein. Lange Geschichte kurz: Rin, räum auf“, gähnte der Schwarzhaarige und starrte weiterhin auf den Bildschirm. „Tickst du noch ganz sauber? Ich hab keine Ahnung von dem Kram oder wo er hingehört“, fiel das Mädchen aus allen Wolken. Endlich sah der junge Mann vom Monitor auf: „Dann lerne es. Du hast bis Ende des Monats Zeit. Schaffst du es nicht, musst du eben deine Golden Week opfern. Die Arbeitszeit darfst du dir gerne selbst einteilen.“ „Du spinnst!“, meckerte die Oberschülerin, „Kannst du mir nicht wenigstens helfen? Ich habe absolut keine Ahnung von dem Kram. Alleine schaffe ich das niemals in so kurzer Zeit! Abgesehen davon sind kurz nach der Golden Week Prüfungen. Wann soll ich denn lernen?!“ „Dann schlage ich vor, dass du direkt anfängst!“, wurde nun auch der Schwarzhaarige wieder unleidlich, „Und ich warne dich. Alles was du zu Gesicht bekommst sind strenge Betriebsgeheimnisse. Wenn du es wagst auch nur irgendetwas davon auszuplaudern, dann bist du fällig!“ „Mir ist doch eh vollkommen egal was da für ein Mist drinsteht! Kann mir trotzdem irgendwer helfen?“, verschränkte das Mädchen die Arme. „Ich bezweifle, dass du jemanden findest der Zeit hat. Mein Personal läuft bereits auf Hochtouren und wird sich nicht auch noch um deine Lappalien kümmern können“, lehnte sich der Suzuki-Erbe im Stuhl zurück, „Shina wird dir auch nicht helfen können. Sie macht bereits schon einiges an Überstunden, obwohl sie wirklich effizient arbeitet.“ Als hätte man diese Ideen aus Rins Gesicht ablesen können, schlug der junge Mann dem Mädchen alles aus dem Kopf, was sie im Repertoire gehabt hätte. Dementsprechend stand sie wie angewurzelt da und starrte ungläubig Löcher in die Luft. Was sollte sie bloß tun? Kuro würde ihr niemals eine andere Aufgabe zuteilen und dieses Chaos jemand anderen beseitigen lassen. Sie kannte ihn. Er war genauso stur wie sie in solchen Dingen. Aber irgendetwas musste sie einfach dagegen tun. Sie konnte es sich doch nicht einfach gefallen lassen, dass er ihr die letzte Drecksarbeit aufbrummte. Machen musste sie diese, das begriff sie mittlerweile, denn das brachte der Job mit sich. Immerhin wollte sie ja auch ihr Stipendium behalten. „Okay“, sammelte sich die Blauhaarige wieder und sprach mit fester Stimme, „Wenn ich es schaffe dieses Chaos bis Ende des Monats zu beseitigen, dann kümmerst du dich darum, dass dieser Stubenhocker hier zur Schule geht!“ Sie deutete auf Skye, welcher sich unbeteiligt im Raum umsah. Als er die Forderung hörte, zuckte er jedoch zusammen und begann zu protestieren: „Hey! So war das aber nicht abgemacht. Ich gehe nicht in die Schule! Abgesehen davon hab ich dir bereits gesagt, dass ich nur gehen würde, wenn du deine Kraft zu kontrollieren lernst.“ „Warum sollte ich auf eine Forderung eingehen, du Nervensäge? Es ist dein Job als meine Assistentin Aufträge für mich zu erledigen!“, hatte auch Kuro etwas einzuwenden. Genervt von der Gesamtsituation versuchte die Blauhaarige dennoch den Kopf oben zu halten und ging erstmal auf die Widerworte des Jüngsten ein: „Was hältst du davon, wenn ich übe meine doofe Kraft unter Kontrolle zu bringen? Und dafür gehst du zur Schule?“ „Warum bist du da so versessen drauf?“, verschränkte der Kleine murrend die Arme. „Weil du den lieben langen Tag nur auf meinem Zimmer rumlungerst und Videospiele spielst! Das gehört sich für ein Kind deines Alters nicht“, meckerte sie ihn an. Nun mischte sich auch der Schwarzhaarige ein: „Wie kann das überhaupt sein, dass du auf keine Schule gehst? Und was sagen deine Eltern dazu, dass du die ganze Zeit bei der Nervensäge rumhängst?“ „Ich habe auch einen Namen!“, wechselte Rin das Thema. Die Jungs ignorierten sie allerdings und Skye gab dem Schwarzhaarigen eine Antwort: „Ich habe keine Eltern. Deswegen wohne ich bei Rin. Abgesehen davon bin ich der Portalwächter und brauche sowas banales wie Schule nicht.“ Kritisch wurde er daraufhin von den beiden Oberschülern gemustert. Auch, wenn sich Skye in einen Vogel verwandeln konnte, so war er dennoch ein Mensch. Eigenartige Kräfte hatten sie selbst auch. Das war also nichts sonderlich Außergewöhnliches. Warum nur tat der Kleine so, als sei er irgendetwas Wichtiges oder Sonderbares? „Skye? Wie alt bist du?“, wurde er vom Suzuki-Erben ernst angesehen. Verwirrt stellte er eine Gegenfrage: „Was denkst du?“ „Zehn vielleicht?“, schätzte er. „Korrekt“, kam es zustimmend aus dem Schwarz-Blauhaarigen. Es wirkte beinahe so, als hätte er Kuro nur recht gegeben, damit er nicht weiter bohrte. „Dann wärst du ja jetzt in der fünften Klasse, nicht wahr?“, ließ der junge Mann nicht locker. „Wird wohl so sein“, zuckte der Jüngste mit den Achseln. Kurz machte der Schwarzhaarige eine Pause, ehe er erneut eine Frage stellte: „Erzähl doch mal. Bist du hier in Japan aufgewachsen, oder waren deine Eltern Ausländer? Du kannst mir nicht erzählen, dass du kein normaler Mensch bist.“ Leicht genervt von dem Gefrage des Schwarzhaarigen gab er Antwort: „Wozu willst du all das wissen? Ich bin Japaner, okay? Meine Eltern waren das auch. Aber egal was du mich noch alles ausfragst, ich werde nicht in die Schule gehen. Schon gar nicht in eine Grundschule mit solchen nervtötenden Gestalten!“ Man merkte richtig, wie sich der Kleine auf den Schlips getreten fühlte. Kuro ließ das eher unbeeindruckt, weshalb das Mädchen sich in die unangenehme Diskussion einklinkte: „Was soll das Kuro? Wieso bedrängst du ihn so? Merkst du nicht, dass du ihm Angst machst?!“ „Findest du es in Ordnung, dass ein kleines Kind ohne jegliche Führung durchs Leben stolpert? Wenn es jetzt keinen gibt der ordentlich für ihn sorgt und sich kümmert, dann wird er irgendwann sein Leben verbaut haben. Entweder wir fühlen ihm jetzt auf den Zahn oder wir stecken ihn ins Waisenhaus. Was ist dir lieber?“ „Jetzt hört doch mal. Ich brauche wirklich keine Schule oder sowas, denn ich habe mein Leben super im Griff. Meine einzige Aufgabe ist die, des Portalwächters. Demnach bin ich dazu verpflichtet über Rin zu wachen“, versuchte der Kleinste zu den Oberschülern durchzudringen. „Spar dir deine Räuberpistolen. Dieses übernatürliche Phänomen ist eine ganz andere Geschichte“, näherte sich der Schwarzhaarige dem Kleinsten. Vor ihm ging er in die Hocke und sah ihm ins Gesicht, während er weiter löcherte: „Wie ist dein Name?“ „Das weißt du doch!“, verschränkte er die Arme. „Komm schon. Du bist genauso wenig auf den Kopf gefallen wie ich. Das mag ich so an dir“, sah der Suzuki-Erbe ihn ernst an, „Wenn deine Eltern Japaner waren, dann geben sie dir nicht so einen abstrakten englischen Namen. Vermutlich heißt du eigentlich Sora oder irgend sowas.“ Während Kuro theatralisch herumfuchtelte, zog Skye plötzlich schreckhaft den Atem nach innen. Erschrocken weiteten sich seine Augen und er starrte wie versteinert den Schwarzhaarigen förmlich nieder. Als dieser seinen Blick bemerkte zuckte auch er zusammen und schaute ihn ungläubig an. „I-ich hatte recht?!“, konnte Kuro nicht recht glauben was er soeben herausgefunden hatte. Doch statt einer Antwort löste sich die Starre des Jüngsten und er schnellte plötzlich wie von der Tarantel gestochen zu Rin herüber und versteckte sich hinter ihr. Panisch krallte er seine Hand in ihr Oberteil und verkrampfte wieder. „Das ist ein schöner Name. Er bedeutet ‚Himmel‘“, schweifte der Suzuki-Erbe ein wenig vom Thema ab, „Und der Horizont steht für grenzenlose Freiheit.“ „Man Kuro. Kannst du nicht mal etwas mehr Gefühl ihm gegenüber zeigen?“, unterbrach die Blauhaarige sein unangebrachtes Gesülze, „Obwohl er sich manchmal echt erwachsen benimmt, ist er trotzdem noch klein. Wieso ärgerst du ihn so dermaßen?“ „Fang nicht wieder damit an“, schnaubte der Suzuki-Erbe und kam auf die beiden zu. „Sora-kun?“, hakte der Schwarzhaarige vorsichtig nach. „Ich bin Skye!“, kam es nur schnippisch mit bebender Stimme zurück. Obwohl der Schwarz-Blauhaarige eigentlich immer so ernst und gefasst war, so war er dieses Mal völlig von der Rolle. Eigentlich konnte man nie erahnen wie er sich fühlte, oder was er dachte. Doch im Moment sah man deutlich, dass er sehr verschreckt und ängstlich war. Er hatte mittlerweile sogar Tränen in den Augen und zitterte leicht. Natürlich bemerkte das auch Rin, weshalb sie sich behutsam umdrehte, in die Hocke ging und ihn umarmte: „Wer auch immer du bist. Für mich bist und bleibst du Skye, okay? Du brauchst keine Angst oder sonst irgendwas zu haben. Außerdem habe ich immer ein offenes Ohr für dich. Wir meinen es nur gut.“ Ratlos kratze sich Kuro am Hinterkopf. Man merkte, dass ihn die Situation etwas überforderte, weswegen er zurück zu seinem Schreibtisch ging und sich setzte. Kurz tippte er etwas ein, dann meldete er sich wieder zu Wort: „Ich schreibe dich in der Suzuki Grundschule ein, Skye. Damit es keine Verwirrung gibt und keiner irgendwelche dummen Fragen stellt, bist du ab jetzt mein entfernter Verwandter Sora Suzuki. Alles klar? Ich vermute mal deinen richtigen Nachnamen wirst du mir eh nicht sagen wollen.“ „Kann er nicht mein kleiner Bruder sein? Ich wollte schon immer einen kleinen Bruder haben“, knuddelte Rin den Jüngsten aufgeregt. Während sich Skye unfreiwillig dieser Knuddelattacke stellte, begann mal wieder eine Diskussion zwischen den beiden Oberschülern, welche sich nicht einig wurden. Der Schwarz-Blauhaarige musste daraufhin schmunzeln und schien alle seine Sorgen wieder vergessen zu haben. Da sich die beiden Streithähne nicht einigen konnten, unterbrach der Jüngste amüsiert: „Ich will selbst aussuchen.“ Erwartungsvolle Blicke trafen den Kleinen daraufhin, welche ihn auf seine jeweilige Seite ziehen wollten. Spannung lag in der Luft, während er überlegte. „Na komm schon. Sag“, hibbelte Rin ungeduldig herum. Kurz holte er Luft, dann grinste er die Blauhaarige an: „Ich werde Kuros Verwandter.“ Während Erwählter freudig grinste, jammerte die Blauhaarige gequält herum: „Das ist doch fies. Du wohnst bei mir und ich kümmere mich um dich. Außerdem hast du gesagt, dass du über mich wachst wegen dem Portaldings und dass du diesen Idioten nicht ausstehen kannst. Du Verräter.“ Beleidigt blies sie die Wangen auf und verschränkte ihre Arme. Der Schwarzhaarige hingegen musste auf ihre Aussage hin erst mal kurz nachdenken. Was sollte das heißen, dass Skye ihn nicht ausstehen könne? Allerdings verwarf er diesen Gedanken schnell wieder, weil er besseres zu tun hatte und dieses Thema endlich abschließen wollte. „Mir ist wirklich egal wen du mehr magst oder bei wem du wohnst. Trotzdem lasse ich ein Zimmer herrichten, in dem du dich gerne wie zu Hause fühlen kannst. Ich möchte nur, dass du dich ordentlich benimmst und zur Schule gehst wie jedes normale Kind“, kam es ernst aus dem Suzuki-Erben. „Kuro?“, legte der Kleine seine Arme verschränkt auf den Schreibtisch des Angesprochenen und sah zu diesem hoch. „Hm?“, war Angesprochener leicht geistesabwesend, da er mit den Schulunterlagen beschäftigt war. „Warum machst du das für ein unbekanntes Kind?“, fragte der Jüngste ernst. Daraufhin stoppte der Schwarzhaarige und sah Skye an: „Willst du lieber ins Waisenhaus?“ Angesprochener schüttelte vorsichtig den Kopf. „Siehst du. Ich will das auch nicht“, erklärte Kuro sich, „Abgesehen davon hat jemand versprochen dieses Chaos hier bis Ende des Monats zu beseitigen, wenn ich dich auf der Schule anmelde. Ist doch eine super Motivation, oder?“ Frech grinste er Rin daraufhin an, welche nicht wusste, ob sie sich aufregen sollte oder nicht. Immerhin war es ihre Forderung gewesen, die ihr der reiche Schnösel tatsächlich schon im Voraus erfüllte. „Eigentlich wirklich ganz cool“, grinste nun auch der Schwarz-Blauhaarige die Oberschülerin frech an, „Jetzt musst nur noch du dein Versprechen halten und dich endlich deiner Kraft stellen und sie zu kontrollieren lernen.“ Erst jetzt realisierte die Schülerin, dass sie sich mit ihrer Forderung eine doppelte Belastung ans Bein gebunden hatte. Einerseits das Versprechen an Skye, dass sie sich ihrer Kraft stellen würde und andererseits die Aufgabe, welche sie für den Suzuki-Erben im Austausch erledigen musste. Während sie langsam in leichte Verzweiflung verfiel konnte sie im Augenwinkel plötzlich einen kleinen blauen Schimmer in Skyes Nähe entdecken. Es war wieder einer dieser leuchtenden Schmetterlinge, die ihr verdeutlichten, dass sich der Social Link um den Kleinen erweitert hatte. Noch bevor die Blauhaarige aber schließlich zu Jammern beginnen konnte, ergriff der Schwarzhaarige schon wieder das Wort: „Sie muss sich sowieso dem Wasser stellen und schwimmen lernen.“ „Warum sollte ich?“, weigerte sich das Mädchen noch immer. Kuro hingegen sah das Ganze etwas lockerer: „Aber du weißt schon noch, dass du ein Sportstipendium hast, oder? Wenn du jetzt auch noch im Sport schlecht bist, dann muss ich dir dein Stipendium aberkennen. Und wenn ich mich recht entsinne, dann ist Schwimmen definitiv eine Sportart. Durch Teilnahmeverweigerung handelst du dir in diesem Fach direkt null Punkte ein.“ „Das hat aber bisher nie gezählt!“, verfärbte sich das Gesicht der Schülerin kreidebleich, „Ich will und werde nicht schwimmen!“ „Ist mir egal. Du musst mit den Konsequenzen leben“, wechselte der Suzuki-Erbe völlig desinteressiert an den Sorgen der Blauhaarigen einfach das Thema „Was wolltest du eigentlich bereden? Du hast da vorhin am Telefon doch was erwähnt.“ Kurz musste die Oberschülerin überlegen was er meinte, als ihr der Geistesblitz kam: „2005!“ Irritiert verzog der Schwarzhaarige das Gesicht und sah sein Gegenüber kritisch an. Er musste nicht einmal Worte verwenden, um Rin auf die Palme zu bringen. „Zieh nicht direkt so ein dummes Gesicht und lass es mich erklären du Blödian!“, blaffte die Blauhaarige ihn an. Im nächsten Augenblick zückte sie den goldenen Portalschlüssel hervor: „Weißt du was Skye gestern zu diesem Ding behauptet hat? Es soll angeblich ‚Timeless Key‘ heißen und Zeitreise-Portale öffnen.“ Nachdenklich fasste sich Kuro daraufhin ans Kinn: „Sowas in der Art habe ich tatsächlich schon in Betracht gezogen. Eigentlich klingt das auch gar nicht so abwegig, denn das abgebrannte Haus der Shioris war hinter dem Portal noch intakt. Es hätte zwar wirklich eine Parallelwelt sein können, aber das wirft wiederum erneute Fragen und Diskussionen auf. Demnach ist eine Zeitreise die einfachste Erklärung. Nach den ganzen Phänomenen erschüttert mich sowas nicht mehr.“ Mit offenem Mund starrte Rin den jungen Mann an. Sie hatte nicht erwartet, dass er so gefasst reagieren würde. Immerhin ist sie selbst nach dieser Erkenntnis aus allen Wolken gefallen. Sie hatte sich auch nie sonderlich viele Gedanken um die Welt hinter dem Portal gemacht, denn diese kreisten bis dato eher um ihre beste Freundin. „Was hat das Ganze nun mit 2005 zu tun? Ich glaube nicht, dass wir so weit in der Zeit zurückgereist sind“, zog der Schwarzhaarige eine Braue hoch. Da Rin nicht so recht wusste was sie ihm antworten sollte, haderte sie erstmal mit sich selbst und druckste nur unverständlich herum. Warum nur hatte sie das Jahr überhaupt erwähnt? Eigentlich wollte sie ihm nicht sagen, dass sie nochmal zurückgegangen war um ihr Handy zu suchen und dann zehn Jahre in der Vergangenheit ankam. Er würde sie sicherlich umbringen, wenn er herausfinden würde, dass sie ihr Telefon in der Vergangenheit verloren hatte. Eigentlich genügte es auch schon, dass sie unerlaubt den Schlüssel benutzt hatte. Doch noch ehe sie sich eine sinnvolle Ausrede ausdenken konnte, hatte Skye sie schon verpetzt: „Sie hat ihr Handy in der Zeit verloren, wollte zurückkehren, um es zu holen und kam dann im Jahre 2005 an. Obwohl ich ihr gesagt habe, dass sie nicht durchs Portal gehen soll, weil das eh nichts mehr bringt. Man kann die Zeitreisen nicht vernünftig kontrollieren.“ Genervt wanderte Kuros Blick zu seiner Assistentin, ehe er sich an die Stirn griff und zur Tischplatte hinuntersah: „Ich finde langsam keine Worte mehr für deine grenzenlose Dämlichkeit.“   Kapitel 20 - Aufgeschmissen --------------------------- Mittwoch, 22. April 2015   Gähnend wartete Rin auf die Mittagspause, während sie mit halbem Ohr dem langweiligen Unterricht lauschte. Sie hatte am gestrigen Tag noch bis in die Nacht in Kuros Büro versucht das Chaos zu bewältigen. Leider ohne Erflog. Krampfhaft hatte sie versucht herauszufinden was genau für Unterlagen da verstreut waren und wo sie hingehörten. Da selbst in den Schränken ein heilloses Durcheinander war und nichts einen Zusammenhang oder Sinn ergab, was sie nebeneinander vorfand, war die Blauhaarige komplett überfordert. Sie wusste jetzt schon, dass sie der Aufgabe des Suzuki-Erben niemals gerecht werden konnte. Da er ihr aber von vorneherein nicht helfen wollte, konnte sie ihn nicht nochmal um Hilfe oder zumindest eine Erklärung bitten. Das ließ ihr Stolz einfach nicht zu. Am liebsten hätte sie einfach kapituliert und wäre gegangen. Das würde aber nur beweisen, dass Kuro recht hatte und sie wirklich dumm war. So etwas konnte sie niemals auf sich sitzen lassen. Auch kam ihr schon die Idee einfach alles in die Schränke zu schmeißen ohne es vorher zu ordnen. Dann hätte sie jedenfalls getan was er sagte und das Durcheinander aufgeräumt. Aber auch das würde ihr nur eine Standpauke einhandeln und sie müsste nochmal komplett von vorne beginnen, wozu die Zeit viel zu knapp war. Schwer schnaufte die Schülerin und überlegte wie sie am besten vorgehen sollte. In einer Woche würde schon die Golden Week beginnen und sie hatte absolut keine Lust ihre freien Tage zum Arbeiten zu vergeuden. Sie hatte eigentlich nicht mal Lust diese zum Lernen zu verschwenden. Erneut schnaubte sie schwer und lies dieses Mal den Kopf auf ihren Tisch fallen. „Langweile ich dich so sehr, Aikawa-san?!“, erfüllten die strengen Worte ihres Lehrers den Raum und die Schülerin nahm sofort den Kopf wieder hoch. „N-Nein. Natürlich nicht!“, kam direkt eine reuevolle Antwort. Die Blauhaarige musste sich unbedingt zusammenreißen. Wenn sie sich nun auch noch eine Strafarbeit einhandeln würde, hätte sie noch mehr Zeitdruck.   Endlich brach die Mittagspause herein und Rin gesellte sich zu Ruri ins Schülerratszimmer. Die Schülersprecherin wollte wie so oft die Pause nutzen, um ihre Pflichten zu erfüllen. Die Blauhaarige hingegen wollte einfach nur nicht in die nervigen Gesichter ihrer Mitschüler sehen. Außerdem kannte sie keinen anderen und Kuro war heute schon wieder nicht im Unterricht. Wobei sie ihre Pause trotz allem sicherlich nicht mit ihm verbringen würde. Schweigend saßen die Mädchen da und aßen. Während die Eisblauhaarige in ihre Unterlagen vertieft war, starrte die Stipendiatin verträumt Löcher in die Luft. Schon wieder entwich ihr dabei ein schwermütiges Schnaufen, was Ruri aufschauen ließ: „Ist alles in Ordnung? Du hast auch im Unterricht schon so geistesabwesend ausgesehen.“ „Na ja. Kuro hat mir einen Haufen Arbeit aufs Auge gedrückt und ich bin ehrlichgesagt komplett überfordert damit“, ließ sie ihren Kopf mal wieder auf den Tisch fallen. „Vielleicht kann ich dir ja helfen?“, meinte die Eisblauhaarige freundlich. Daraufhin schilderte Rin ihr, dass die ganze Situation etwas verzwickter war und die Schülersprecherin sah ein, dass ihr in dieser Sache leider die Hände gebunden waren. „Aber warum fragst du denn keinen nach einer Erklärung? Es können ja nicht all seine Angestellten komplett unwissend sein, oder was meinst du? Wieso bittest du nicht Shina um Rat?“, überlegte die Schülersprecherin. „Sie soll angeblich schon genug zu tun haben. Genauso wie der andere Rest“, stöhnte Rin erneut schwer, „Außerdem weiß ich nicht wie ich Shina kontaktieren soll. Vor den anderen Schülern will sie geheim halten, dass sie mich kennt und mein Handy habe ich verloren.“ „Fragen kostet ja nichts oder? Vielleicht findet sie ja wirklich ein paar Minuten, um dir zu helfen“, lächelte Ruri lieb, „Ich schreibe sie mal an.“ Dankend nickte die Blauhaarige nur. So ganz unrecht hatte ihre Klassenkameradin nicht. Dennoch hatte Rin wenig Hoffnung, dass es was brachte. „Weißt du was ich mich schon die ganze Zeit frage?“, machte die Stipendiatin eine kleine Pause, „Wo ist eigentlich der Rest vom Schülerrat? Du bist doch nicht etwa das einzige Mitglied?“ Ein verlegenes leises Lachen drang ans Ohr der Fragestellerin und sie wurde sanft, aber auch leicht gequält angelächelt: „Ich weiß nicht wo sie alle sind.“ „Eh?“, verstand ihr Gegenüber die Antwort nicht, „Wie meinst du das?“ „Na ja. Die Mitglieder sind scheinbar viel beschäftigt und haben keine Zeit“, schien es Ruri wohl egal zu sein, dass sie die ganze Arbeit alleine machen musste. „Das kann doch nicht dein Ernst sein, oder?! Die nutzen dich doch alle nur aus! Warum lässt du dir das gefallen?!“, wurde die Blauhaarige stocksauer. „Das ist schon okay so“, winkte Angesprochene ab, „Ich möchte mich nicht mit ihnen streiten. Außerdem würde das auch nicht viel bringen, denn die Stellung als Schulsprecherin bringt an dieser Schule nicht viel. Hier zählt nur wer den dicksten Geldbeutel hat.“ „Das ist alles, nur nicht okay!“, stemmte Rin wütend die Hände in die Hüfte, „Ich werde mit Kuro darüber sprechen. Er sollte dagegen etwas unternehmen können! Zur Not zwinge ich ihn oder verprügele diese Karteileichen!“ Nun wurde auch die Eisblauhaarige unruhig: „Nein. Tu das bitte nicht. Halte dich einfach aus dieser Sache heraus. Kuro hat schon mehr als genug zu tun, seit der Direktor der Akademie weg ist. Außerdem wird es absolut nichts bringen, wenn du handgreiflich wirst. Dafür wirst du nur suspendiert. Bitte… Unternimm einfach nichts und vergiss die ganze Angelegenheit.“ Voller Sorge wurde die Blauhaarige flehend angesehen. In diesem Moment wusste sie nicht was sie tun sollte, denn egal welche Bewegung sie machen würde, es würde immer ein Opfer geben. Aber dass ihre Kameradin sich deswegen aufopferte und ihre ganze Zeit hergab, konnte auch nicht Sinn der Sache sein. Noch ehe sie aber weitergrübeln konnte, ging plötzlich die Tür auf und Shina trat ins Schülerratszimmer. „Da bin ich“, schloss sie die Tür hinter sich, „Was gibt es denn?“ „Du warst ja schnell. Rin hat ein Anliegen, bei dem sie dich um Rat fragen wollte“, erklärte die Schülersprecherin kurz. Daraufhin bemerkte die Brünette diese erstmals und drehte sich überrascht in ihre Richtung: „Ich habe dich ja gar nicht bemerkt. Was ist denn los?“ Kurz schilderte sie der neu Hinzugekommenen ihr Problem und erhoffe sich zumindest eine Erklärung, wie das ganze Chaos geordnet werden musste. Zwar hatte Kuro gesagt, dass sie keine Zeit haben würde, aber zumindest einen kleinen Tipp könnte sie ihr doch sicherlich geben. „Er hat das Büro schon wieder auf den Kopf gestellt?“, griff sich Shina genervt an die Stirn, „Das kann doch nicht sein Ernst sein, oder? Ich habe den Raum erst vor einer Woche aufgeräumt.“ „Sieht das öfter so aus, als hätte jemand eingebrochen und alles aus den Schränken gezogen?“, konnte es die Blauhaarige nicht fassen. „Oft sucht er Unmengen von Unterlagen, findet dann aber keine Zeit mehr sie wegzuräumen, weil er schon wieder ins nächste Thema vertieft ist“, erklärte die Brünette, „Aber das ist schwer zu erklären wie das Ganze geordnet ist. Das wirst du vermutlich nicht verstehen, wenn ich es dir nicht vor Ort zeige.“ Erneut sank Rins Kopf entmutigt auf die Tischplatte. Was sollte sie bloß machen? Ihre einzige Hoffnung war somit auch dahingeschieden. Sie würde es niemals zustande bekommen diese chaotische Papierlandschaft zu ordnen. „Also hast du keine Zeit und ich stehe wieder am Anfang“, jammerte die Oberschülerin. „Das habe ich doch gar nicht behauptet“, sah ihre Kollegin sie verwirrt an, „Wenn du mir nach deinem Training mit meinen restlichen Aufgaben für den Tag aushilfst, schaffe ich es auch dir im Anschluss zu helfen.“ Begeistert sprang die bis eben noch Deprimierte plötzlich auf: „Ehrlich?! Das wäre ja super!“ Durch Rins unerwartet überschwängliche Begeisterung musste die Brünette unweigerlich grinsen. Nickend bestätigte sie dann nochmal, dass es ihr Ernst war.   Am späten Nachmittag trafen sich die beiden Mädchen dann, um gemeinsam Shinas Arbeit schneller zu erledigen. Danach machten sie noch einen kleinen Stopp im Wohnheim, um aus der Schuluniform herauszukommen. Wegen der Bitte um Geheimhaltung wollten sie sich im Anschluss an der Shiroshi Central Station treffen, um mit der Straßenbahn zum Suzuki Anwesen rüberzufahren. Gerade als Rin wieder in der Eingangshalle des Wohnheims ankam, sah sie, wie ein nervöser junger Mann an der Rezeption stand. Er redete aufgewühlt mit der älteren Wohnheimleiterin, während diese gleichzeitig etwas im Computer zu suchen schien. „Was machst du denn hier, Saito-nii?“, kam die Oberschülerin auf den Blonden zugelaufen. „Rin?!“, fuhr Angesprochener ruckartig herum und packte das Mädchen an den Schultern, „Geht’s dir gut?!“ „Äh? Siehst du doch“, blickte sie vollkommen verwirrt in ein blaues, ernstes Augenpaar, „Die Frage müsste ich eher dir stellen.“ Erleichtert atmete Saito auf und seine Nervosität war wie weggeblasen. Fertig mit der Welt ließ er sich auf einen der Sessel fallen und versuchte sich wieder zu sammeln. „Was ist denn bloß los mit dir? Warum sollte es mir nicht gutgehen?“, legte die Blauhaarige den Kopf schief. Auf ihre Frage, bekam sie jedoch eine schimpfende Gegenfrage: „Warum gehst du dann nicht an dein Telefon oder beantwortest deine Nachrichten?!“ „Vielleicht weil ich es verloren habe?“, zuckte sie gleichgültig mit den Schultern, „Du brauchst doch deshalb nicht gleich in Panik zu verfallen.“ „Verloren? Seit wann? Hast du dann wenigstens die Sim-Karte sperren lassen?“, konnte es der Blonde nicht fassen. Kurz überlegte die Oberschülerin: „Hm… Seit ein paar Tagen? Ich weiß nicht genau. Wozu soll ich die sperren lassen? Damit kann doch eh keiner was anfangen. Abgesehen davon: Womit hätte ich anrufen sollen, um sie zu sperren?“ „Du machst mich wahnsinnig“, griff sich der junge Mann genervt an die Stirn, „Ich werde mal schauen, ob ich noch irgendwo ein Handy auftreiben kann.“ „Nein. Du brauchst mir kein neues Telefon zu organisieren. Ich möchte keins mehr, denn dann können mir bestimmte Leute nicht mehr auf den Senkel gehen!“, stemmte das Mädchen wütend die Hände in die Hüfte. „Es ist mir egal mit wem du dich gestritten hast, aber du musst erreichbar sein. Sonst mache ich mir nur unnötige Sorgen“, stand Saito wieder vom Sessel auf. Genervt davon blies Rin ihre Wangen auf: „Ich bin alt genug. Du musst dir keine Gedanken mehr machen. Abgesehen davon muss ich los, sonst komme ich zu spät zu einer Verabredung.“ „Ein Date?!“, wurde der Blonde hellhörig. „Nein. Und selbst wenn, ist das meine Sache“, wurde Saito ziemlich schief von seiner Schwester angesehen. Ertappt blickte er daraufhin zu Seite und schwieg. Er machte sich eben seine Gedanken und wollte sie vor Dummheiten bewahren. Allerdings sah Saito auch ein, dass er es der Oberschülerin nicht verbieten konnte, wenn sie sich mit Jungen ihres Alters treffen wollte. Soeben wollte Rin sich einfach auf den Weg machen, da gesellte sich der Blonde dazu. Er wollte auch zur Central Station, um wieder nach Hause zu fahren. „Ach, das hätte ich fast vergessen“, erwähnte der junge Mann beiläufig, „Seit ein paar Tagen versucht dich Shuya scheinbar anzurufen. Vorhin hat er mir geschrieben, ob mit dir alles in Ordnung sei. Vielleicht meldest du dich mal bei ihm.“ „Ach, daher weht der Wind?“, zog die Blauhaarige ihre Brauen hoch. Sie war sich ziemlich sicher, dass ihr Bruder nicht so schnell bemerkt hätte, dass sie nicht mehr erreichbar war, wenn ihr Sandkastenfreund diesen nicht benachrichtigt hätte. „Was wollte Shû-chan denn eigentlich?“, hakte Rin nach. Unwissend zuckte der Blonde mit den Schultern: „Keine Ahnung. Musst du ihn selbst fragen.“ Während das Mädchen überlegte wie sie ihn am schnellsten kontaktieren konnte, kamen die beiden Geschwister endlich an. Da sie Shina noch nirgends ausfindig machen konnte und auch Saitos Bahn noch nicht da war, blieben sie noch kurz zusammen und warteten. „Sag mal, ist das eigentlich nochmal passiert?“, fragte der Blonde vorsichtig. Seine Schwester allerdings verstand nicht was er meinte: „Was denn?“ „Na du weiß schon. Vor ein paar Wochen dein Geschlechtswechsel“, schien der Ältere es kaum aussprechen zu wollen. Rin berührte dieses Thema noch immer peinlich, weswegen sie knallrot anlief und kein Wort herausbrachte. Das lag aber auch daran, dass sie nicht wusste was sie ihm am besten antworten sollte. Wenn sie ihm die Wahrheit sagen würde und diese Frage bejahte, würde er sich umso mehr Sorgen machen. Immerhin konnte sie ihm schlecht von dem Rest der Phänomene erzählen. Er würde austicken und sie ausschimpfen. Im schlimmsten Fall sogar wieder nach Hause holen. Andererseits wusste sie auch nicht, ob ihn eine einfache Verneinung ruhigstellen würde. Das Ganze zu verleumden wäre auch keine sinnvolle Idee, aber was sollte sie nun antworten? Plötzlich wurde sie durch das Antippen ihrer Schulter wieder aus den Gedanken gerissen. „Alles okay? Du siehst so verkrampft aus“, gesellte sich Shina zu dem Geschwisterpaar. Sie sah völlig anders aus. Der kleine Zopf, welcher sonst immer einen Teil ihrer Frisur zurückhielt, war weg und ihre Haare waren komplett offen. Auch die rote Haarspange trug sie nicht mehr. Stattdessen hielt ein hellblauer Haarreif ihre Frisur in Zaum. An ihrem Hals prangerte ein breites schwarzes Band und eine Halskette mit einem roten herzförmigen Edelstein schmückte ihr Dekolleté. Obenrum hatte sie sich ihre Strickjacke von der Uniform übergeworfen und darunter trug sie ein weißes Shirt mit einem hellvioletten ärmellosen Bolero darüber. Dazu hatte sie sich einen hellblauen Rock angezogen, welcher über den Knien endete. Ihre Schuhe waren der Blauhaarigen bereits bekannt, denn Shina trug diese hellbraunen Stiefeletten auch zu ihrer Schuluniform. Allem in allem sah ihre Kollegin in dieser Aufmachung viel braver aus, als sie sie vermutet hätte. Zwar dennoch hübsch, für Rin jedoch einen ticken zu brav und beugsam. Irritiert blickte die Blauhaarige auf: „Oh, äh… ja! Ich war nur in Gedanken.“ „Na dann“, gab sich die Brünette damit zufrieden, „Wir müssen los, unsere Bahn fährt gleich ab.“ „Schon so spät?“, konnte Rin kaum fassen wie die Zeit verfolgen war, „Mach dir keine Gedanken, Saito-nii. Manchmal glaube ich, dass das nur ein böser Traum war, den wir beide hatten.“ Frech grinste das Mädchen ihren Bruder an, als sie ihm zur Verabschiedung winkte und schließlich mit ihrer Kollegin am Gleis verschwand. Der Blonde lächelte leicht gequält zurück und überlegte was er mit dieser schwammigen Aussage anfangen sollte. Wie es für ihn schien, passierte dieser Geschlechtswechsel kein weiteres Mal. Das ließ ihn zwar erleichtert aufatmen, dennoch war er noch immer in Sorge über das eigenartige Geschehnis.   „Oh wow, das sieht ja schlimmer aus, als ich dachte“, staunte Shina nicht schlecht, als die beiden Mädchen das Büro des Suzuki-Erben betraten. Kuro war abwesend, weswegen die Oberschülerinnen alleine waren. „Sag ich ja. Und ich hab keinen Plan wo oder wie ich anfangen soll“, zog die Blauhaarige überfordert ihre Brauen nach oben, „Kuro meinte ich muss es selbst rausfinden. Er ist so ein gemeiner Arsch.“ „Irgendwie habt ihr ein Problem miteinander, oder?“, grinste die Brünette schief. Statt einer vernünftigen Antwort, verschränkte Rin jedoch die Arme, blies die Wangen auf und sah beleidigt zur Seite: „Wie soll man auch mit so einem Deppen klarkommen?“ Ihre Kameradin schnaubte einmal kurz, ehe sie sich einen Überblick über das Chaos verschaffte. Sie wollte nicht weiter auf die Diskussion eingehen, da sie ja doch ins Nichts führte. Nach einer Weile des Herumstöberns, hatte es die Brünette schließlich geschafft und konnte ihrer Mitschülerin die ersten Informationen geben: „Am besten schreibst du mit. Das wird viel, denn das Chaos ist so groß wie nie zuvor.“ Fast schon selbst überfordert runzelte Shina ihre Stirn und konnte nur den Kopf schütteln. Sie verstand absolut nicht wie dieses große Durcheinander in so kurzer Zeit zu Stande kam. Erst vor kurzem hatte sie alles geordnet und ausgemistet. Nachdem die Blauhaarige endlich mit Block und Stift bereitstand, konnte ihre Kollegin mit der Erklärung loslegen: „Also erstmal erkläre ich dir grob was in Etwa wohin kommt. Es gibt verschiedene Schränke. In die einen kommen Unterlagen von allen Dingen außerhalb der Stadt, in die anderen innerhalb der Stadt nach Bezirk sortiert. Wir haben zwei Schränke die sind ausschließlich für die Akademie von Kindergarten bis Uni. Die meisten Unterlagen sind zwar in den jeweiligen Einrichtungen, aber vieles ist auch hier. Manchmal kann es sein, dass Unterlagen, die eigentlich in die Schulen gehören auch hier sind. Die müssen dann wieder zurückgebracht werden. Seit der Rektor der Akademie nicht mehr im Amt ist und das Ganze in Suzuki-kuns Aufgabengebiet gefallen ist, ist das hier etwas chaotischer geworden. Immerhin hat er ja auch noch alles andere im Nacken.“ „War der Rektor etwa für alle Schulen zuständig?“, staunte Rin nicht schlecht. „Ja. Er ist jeden Tag von Schule zu Schule und hat sich um alles gekümmert“, nickte Befragte, „Aber er ist schon alt und liegt im Moment im Krankenhaus. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann geiern zurzeit einige Leute auf seinen Posten, aber Suzuki-kun ist der festen Überzeugung, dass sein Großvater bald wieder fit ist und sein Amt wieder aufnimmt. Deswegen hat er sich die ganze Arbeit selbst aufgehalst.“ „Warte! Der Direktor ist sein Großvater?!“, fiel die Blauhaarige aus allen Wolken. „Wusstest du das nicht?“, legte Shina den Kopf schief. „Woher denn?“, war Rin noch immer fassungslos, „Bisher habe ich niemanden von seiner Familie gesehen oder gehört. Ich hab sogar schon dran gezweifelt, ob es sie überhaupt gibt. Was ist eigentlich mit seinen Eltern?“ Kurz überlegte die Brünette: „Hm, ich weiß ehrlichgesagt auch nicht so wirklich etwas darüber. Seine Eltern habe ich noch nie gesehen. Wenn ich mich recht entsinne, dann sind sie glaube ich im Ausland.“ „Wohnt er hier etwa ganz alleine?“, hörte Unwissende nicht auf mit der Fragerei. „Ich schlage vor, dass du ihn das selbst fragst“, fuhr die Oberschülerin mit der Arbeit fort, „Ich weiß nichts Genaues und finde es auch nicht okay jemanden über wen anderes auszufragen. Das führt nur zu Gerüchten.“ Wo sie recht hatte, hatte sie recht. Das musste Rin sich eingestehen. „Ach ja, das Wichtigste hätte ich beinahe vergessen: Alle Dokumente, die älter als drei Jahre sind, kommen ins Archiv“, fuhr Shina mit ihrer Erklärung fort. Natürlich wusste ihre Kollegin nicht wo das Archiv war und was dort wie angeordnet war, also fuhr Erklärende dort mit ihrer Einweisung fort. Es dauerte gefühlte Stunden, bis die Blauhaarige endlich alles verstanden hatte. Sie musste etliche Male nachfragen, um zu verstehen was gemeint war. Von Vielem hatte sie bislang noch nie etwas gehört und wenn sie ehrlich war, dann hatte sie sich generell noch nie sonderlich für Papierkram interessiert. Eigentlich war es ihr Bruder, der sich in dieser Hinsicht um alles kümmerte. Umso erstaunter war sie darüber wie fähig die Brünette war. Obwohl sie im selben Alter waren, war sie um einiges besser, was Rin beinahe eifersüchtig machte. Nachdem die beiden Mädels die Einweisung beendet hatten, half Shina noch eine Zeitlang mit, ehe sie sich dann verabschiedete. Sie wollte das Abendessen nicht verpassen und hatte außerdem noch Hausaufgaben zu erledigen. Zurückgebliebene hatte zwar auch Hunger und noch ihre Aufgaben zu machen, jedoch musste sie ihre bislang verlorene Zeit aufholen und noch ein wenig weiterarbeiten.   Am späten Abend war die Oberschülerin noch immer in ihre Arbeit vertieft, als Kuro soeben das Büro betrat. Erstaunt über ihre Anwesenheit sah er sie an: „Was machst du denn noch hier?“ „Arbeiten?“, kam es patzig zurück. „Um die Uhrzeit?“, war der Schwarzhaarige noch immer irritiert. Genervt wendete sich das Mädchen von ihrer Arbeit ab: „Ja um die Uhrzeit! Die Deadline ist knapp und ich hinke sowieso schon hinterher!“ Daraufhin kam keine Antwort mehr und der Suzuki-Erbe setzte sich wortlos an seinen Schreibtisch. Er hatte einen Stapel Unterlagen dabei, welche er durchging. Allerdings konnte er sich durch Rins Anwesenheit nicht wirklich darauf konzentrieren. Dabei tat sie nichts Nervtötendes außer dem lautlosen Sortieren der Papierberge. Plötzlich stand der junge Mann ruckartig auf, weswegen er den neugierigen Blick der Oberschülerin auf sich zog. „Du weißt doch gar nicht wie man das ordnet. Ich zeige es dir“, schritt er auf sie zu. Angesprochene hingegen sah ihn zerknirscht an: „Was soll das? Als ich dich um Hilfe fast schon angefleht habe, hast du mich ignoriert. Und nun willst du mir doch helfen?“ Ertappt stockte Kuro und wusste sich nicht so wirklich rauszureden: „Na ja, da hatte ich einen schlechten Tag. Man bekommt dieses Chaos ohne Einweisung doch überhaupt nicht vernünftig aufgeräumt.“ „Ach, sag bloß?! Du hast immer einen schlechten Tag!“, keifte die Blauhaarige ihn an, „Bilde dir ja nicht ein, dass ich deine mitleidige Hilfe brauche!“ „Mitleidig?! Ich glaub ich spinne! Da bin ich so gütig und will dir helfen und du beschwerst dich auch noch?!“, wurde nun auch der Suzuki-Erbe unleidlich, wodurch mal wieder eine endlose Diskussion hereinbrach. Es war Rins lautstark knurrender Magen, welcher die Streiterei der beiden beendete. Während sie knallrot vor Scham anlief, erntete sie von ihrem Gegenüber nur ein paar schnippische Worte: „Geh gefälligst heim und iss was, wenn du so hungrig bist.“ „Ich habe besseres zu tun! Außerdem ist das Abendessen bereits vorbei! Lass mich also in Ruhe mit dem Mist“, durchwühlte sie den nächsten Papierstapel und versuchte den Schwarzhaarigen zu ignorieren. Wütend griff Kuro daraufhin nach ihrem Handgelenk und schleifte sie wortlos aus dem Raum heraus. Natürlich protestierte das Mädchen lautstark und versuchte sich zu wehren. Erst als die beiden durch die große Empfangshalle in einen anderen Raum gelangten, schwieg sie. Eigentlich war sie eher sprachlos, denn die beiden Oberschüler standen in einer überdimensionalen Küche. Diese war jedoch menschenleer, was den Schwarzhaarigen aber nicht davon abhielt den ein oder anderen Kühlschrank zu durchforsten. Rin stand noch immer wortlos da und starrte dem jungen Mann hinterher, als dieser wieder auf sie zugelaufen kam und ihr zwei Onigiri in die Hand drückte. „Iss was, dein knurrender Mager ist unerträglich!“, kam es genervt aus dem Oberschüler, „Ich will dieses Knurren nicht mehr hören. Das ist unsittlich für ein Mädchen!“ Daraufhin schnipste er ihr mal wieder gegen die Stirn und verließ im Anschluss den Raum, um in sein Büro zurückzukehren. Etwas perplex sah die Blauhaarige die Reisbällchen in ihrer Hand an, bevor sie ihre Stimme wiederfand und ihm direkt hinterherrannte: „Was soll das denn heißen?! Wenn ich dich so sehr nerve, dann verpiss dich halt woanders hin. Oder mach deine Arbeit selbst!“ Das Gezeter ignorierend, platze er sich wieder auf seinen Schreibtischstuhl und fuhr mit seiner Arbeit fort. Seine vorlaute Assistentin setzte sich zurück zwischen ihre Papierberge und aß erstmal gierig ihre Onigiri. Nach einer Weile der Stille, brach der Suzuki-Erbe diese: „Wenn du mal länger bleibst, dann sag einfach in der Küche Bescheid. Gegen 20 Uhr isst das Personal meistens zu Abend. Da kannst du mitessen.“ Sichtlich verwirrt über seine netten Worte, stoppte das Mädchen in ihrem Tun und starrte den Schwarzhaarigen an. War er gerade nett gewesen? Machte er sich etwa Sorgen? Niemals! „Machst du dir etwa Sorgen?“, grinste Rin ihn selbstgefällig an. „Nein?!“, wurde der Schüler lauter, „Du nervst, wenn dein Magen knurrt! Also tu was dagegen!“ „Ja, ja“, zog die Blauhaarige ihre Worte schmollend in die Länge.   Es war schon nach Mitternacht, als die Oberschülerin endlich aufstand, sich streckte und nach Hause gehen wollte: „Ich geh heim.“ „Lass dich von Joel fahren“, sah Kuro nicht einmal von seiner Arbeit auf. „Warum sollte ich? Die Bahn fährt noch“, verstand das Mädchen nicht. „Lass dich fahren oder übernachte im Gästezimmer! Ist mir egal!“, wurde der Suzuki-Erbe unleidlich, „Wenn dir da draußen irgendwas in der Nacht passiert, habe ich nur noch mehr Ärger an der Backe!“ „Ist ja gut! Du bist heute echt komisch, weißt du das eigentlich?“, schnaubte Rin einmal laut und verdrehte die Augen. Nachdem sie sich kurz verabschiedet hatte, verließ sie das Anwesen und machte sich auf den Weg zur Straßenbahnstation. Natürlich hatte sie den Befehl ihres Mitschülers nicht befolgt und einfach ihren Kopf durchgesetzt. Es erschien ihr unangemessen mitten in der Nacht den Butler aus dem Schlaf zu holen, nur um sie drei Straßenbahnstationen mit dem Auto zu fahren. Würde man sie deshalb aus dem Bett zerren, würde sie vermutlich herumwüten wie eine Irre. Abgesehen davon war es ihr generell unangenehm herumkutschiert zu werden. Dieses eigenartige Leben der Reichen würde ihr niemals behagen. Aber auch Kuro hatte ihr heute ganz und gar nicht behagt. Zwar war er ein Ekelpaket wie eh und je, aber irgendwie hatte die Blauhaarige den Eindruck, dass ein Hauch von Mitgefühl und Sorge darin versteckt war. Schnell kniff sie die Augen zu und schüttelte hektisch den Kopf: „Niemals! Nicht der!“ Sie dufte unter keinen Umständen zu viel in seine Handlungen hineininterpretieren, denn das könnte ziemlich schnell peinlich werden und von ihm gegen sie verwendet werden. Er hatte für all seine Taten, die ihr zugutekamen immer einen großen Eigennutzen daraus gezogen. Da war kein Funke von Sorge oder dergleichen. Als sie endlich an der Station ankam, dauerte es nicht mehr lange, bis die Bahn kam, doch kaum war sie eingestiegen, wünschte sie sich, sie hätte es lieber nicht getan. In der hintersten Ecke der Straßenbahn fläzte ein ihr bekanntes Gesicht, welches zur neu Eingestiegenen aufsah und grinste: „Na sowas. Wen haben wir denn da?“ Zum Aussteigen war es nun bereits zu spät und sonst war kein anderer Fahrgast mehr da, weswegen sie alleine waren. Zu allem Übel kam die Gestalt nun auch noch auf sie zugelaufen und am liebsten hätte sich Rin irgendwo versteckt oder wäre weggerannt, aber das war hier unmöglich. Zum ersten Mal bereute es das Mädchen sich dem Befehl des Suzuki-Erben widersetzt zu haben, denn vor ihr stand kein geringerer als dieser Phoenix, der Bandenboss von den Suicide Demons. Beim letzten Mal wurde sie vor ihm von Kyoya Kitajima, dem Typen aus der Werkstatt, gerettet. Dieses Mal hingegen schien die Sache aussichtslos. Was sollte sie bloß tun? „Was machst du denn noch zu solch später Stunde hier, Kleine?“, grinste der Schwarz-Grünhaarige frech und kam der Oberschülerin gefährlich nahe. Ihr Atem stockte, ihre Stimme versagte und zudem zitterte sie am ganzen Leib. Es war kaum zu übersehen, dass sie panische Angst vor dem Kerl hatte. Erstens war er so viel größer als sie und zweitens sah er brandgefährlich aus. Im Kopf spielte sie einige Szenarien durch, wie sie sich am besten wehren könnte, aber nichts davon erschien ihr sinnvoll oder wirksam. Zu allem Überfluss konnte sie noch nicht einmal jemanden zu Hilfe rufen, da sie kein Handy mehr besaß. Zum ersten Mal sehnte sie sich nach dem praktischen Mobilgerät. „Na? Hat es dir die Sprache verschlagen?“, fasste der junge Mann ihr ans Kinn und hob ihren Kopf in seine Richtung. Ein ängstliches Augenpaar sah verschreckt in ein überlegen grinsendes. Noch immer wusste sie weder ein noch aus. Eigentlich wäre es am Sinnvollsten gewesen, wenn sie sich ihm selbstsicher gegenübergestellt hätte. Saito hatte ihr mal eingehämmert, dass sie Selbstsicherheit ausstrahlen müsse, wenn sie in einer solchen Situation war. Allerdings war das leichter gesagt als getan. Sie hatte viel zu viel Angst und verfiel deswegen in eine Art Starre. „Du warst doch gerade bei diesem reichen überheblichen Pinkel, nicht wahr?“, hatte er noch immer diesen fiesen Ausdruck im Gesicht, „Was ich wohl für dich bekomme, wenn ich dich mitnehme?“ Dann lachte er und ließ kurz von Rin ab. Diese wich einen großen Schritt zurück, biss sich auf die Unterlippe und sah den Schwarz-Grünhaarigen böse an. „Oh ho. Willst du mir nun drohen?“, lachte der junge Mann belustigt auf. Statt einer Reaktion blieb die Blauhaarige jedoch stumm und hoffte einfach nur, dass es schnell vorbei war. An der nächsten Haltestelle würde sie definitiv aussteigen und das letzte Stück zum Wohnheim rennen. Aber wann kam denn endlich der nächste Halt? So lange hatte das doch nicht bei der Hinfahrt gedauert, oder? Schweißperlen rannen ihr über die Stirn und sie traute sich nicht für eine Sekunde den bedrohlichen Kerl aus den Augen zu lassen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Straßenbahn endlich an der nächsten, spärlich beleuchteten Station hielt. Endlich konnte das Mädchen aussteigen und diesem Horror entkommen. Aber warum bewegte sie sich nicht? Noch immer stand sie wie angewurzelt an Ort und Stelle und starrte ihr Gegenüber konzentriert nieder. Die Tür zum Aussteigen war nun schon eine kurze Zeit offen und würde sich jede Sekunde wieder verschließen. Schnell! Sie musste hier raus! Wieso ging das nicht?! Panik stieg in ihr auf und sie war den Tränen nahe, als plötzlich eine Gestalt in die Bahn stürmte und sie am Arm packte. Ruckartig wurde die Blauhaarige aus dem Verkehrsmittel und einige Meter weiter um die nächste Ecke gezerrt. Einzig der junge Mann blieb zurück und schaute ihr perplex hinterher. Damit hatte er wohl nicht gerechnet.   Außer Atem sackte die Blauhaarige in sich zusammen und begann fürchterlich zu weinen. Endlich war die Gefahr vorbei. Sie wurde erneut vor diesem Phoenix gerettet. „Warum treibst du dich mitten in der Nacht alleine herum?! Bist du lebensmüde oder was?!“, wurde sie von keinem geringeren als Skye angemeckert. Statt einer Antwort bekam der Jünger jedoch nur noch heftigeres Geheule zu hören, was ihn sichtlich verwirrte. Vorsichtig ging er auf die Oberschülerin zu und tätschelte ihr behutsam den Kopf. Diese umarmte den kleinen Mann zittrig und heulte ihm das Shirt voll. Der Schwarz-Blauhaarige wusste nicht so recht wie er mit der Situation umgehen sollte und blieb einfach dastehen, bis sich ihr Weinen etwas beruhigt hatte. „Ich habe mir echt Sorgen gemacht, weil du ewig nicht zurück ins Wohnheim gekommen bist“, murmelte der Kleine. „Ich hab noch gearbeitet und versucht das Chaos zu minimieren“, schluchzte die Schülerin. Skye hingegen, schnaube einmal laut: „Lass uns schnell zum Wohnheim gehen, bevor hier noch irgendwer aufschlägt.“   Derweil hatte Kuro ebenfalls seine Arbeit niedergelegt, streckte sich und gähnte genüsslich. Im Schreibtischstuhl zurückgelehnt, tippte er etwas auf der Computertastatur ein, woraufhin sich eine Karte öffnete, auf welcher ein roter Punkt zu sehen war. Dieser bewegte sich nur langsam über die Map. „Ich fass es nicht“, starrte er entsetzt den Monitor an, „Kann die nicht einmal tun was man ihr sagt?!“ Wutentbrannt schlug er daraufhin auf die Tischplatte ein und fluchte lautstark.   Kapitel 21 - Leichtsinn ----------------------- Donnerstag, 23. April 2015   „So langsam glaub ich wirklich, dass du ein Unmensch bist!“, bäumte sich Skye wutentbrannt vor Kuro auf. „Was ist denn mit dir los?“, blickte er den Kleinen irritiert an. „Wie kannst du Rin so lange arbeiten lassen?!“, meckerte er wütend, „Und dann auch noch alleine mit der Straßenbahn fahren lassen?! Mitten in der Nacht! Sie ist zwar wenig mädchenhaft, aber trotzdem wehrlos! Wenn ich nicht zufällig da gewesen wäre, wäre sonst was passiert!“ „Ich habe ihr gesagt, dass sie sich fahren lassen soll!“, stemmte der Schwarzhaarige genervt die Hände in die Hüfte und beugte sich zu seinem Gesprächspartner herunter, „Was kann ich dafür, wenn diese Nervensäge so widerspenstig ist?!“ „Ach echt?“, verflog die Wut des Jüngsten augenblicklich und er begann zu grübeln. „Was meinst du eigentlich damit, dass sonst was passiert wäre?“, beruhigte sich der Suzuki-Erbe ebenfalls wieder, „War was?“ Beiläufig erklärte Skye was letzte Nacht passiert war: „Ja, sie wurde von so einem Kerl bedroht und konnte sich nicht wehren vor Angst. Ich habe sie dann aus der Bahn gezerrt. Ein Glück, dass ich mir Sorgen gemacht habe und sie suchen gegangen bin.“ „Bitte was?!“, fiel der junge Mann aus allen Wolken. „Das heißt ich muss Rin die Hölle heiß machen und nicht dir?!“, führte der Jüngste ein anderes Gespräch, „Man! Warum ist sie nur immer so leichtsinnig?! Sie ist doch trotzdem ein Mädchen.“ „Kannst du mir jetzt bitte mal erläutern was da passiert ist?!“, wurde Kuro etwas nervös. „Da gibt’s nichts zu erläutern! Pass gefälligst besser auf sie auf! Und wehe du lässt sie nochmal so lange arbeiten oder gar zu so später Stunde alleine heimgehen!“, ermahnte der Schwarz-Blauhaarige den Älteren. Dieser konnte es nicht glauben, dass er soeben Befehle von einem Zehnjährigen bekam: „Ich bin doch nicht ihr Babysitter! Sie ist alt genug, um ihr Hirn zu benutzen. Geh und meckere sie an und nicht mich!“ „Keine Sorge, das werde ich“, bestätigte Skye. Doch noch ehe das Gespräch zu Ende war, hatte der kleine Mann noch etwas zu sagen: „Ach und noch was: Sorge dafür, dass sie erreichbar ist. Die momentane Situation geht mal gar nicht!“ „Verlangst du gerade von mir, dass ich ihr ein Handy kaufe?!“, konnte es der Schwarzhaarige nicht fassen. „Ja!“, festigte der Jüngste seine Aussage nochmal. Wütend sah der Suzuki-Erbe sein Gegenüber an. Wie konnte es ein kleiner Junge wie er nur wagen ihm Befehle zu erteilen?! Als ob er sich von einem kleinen Pimpf etwas sagen lassen würde! „Du hast mir gar nichts zu befehlen! Wenn es dich stört, dann kauf ihr selbst ein Handy!“, verschränkte der Ältere die Arme und sah zur Seite. „Du bist genauso ignorant wie Rin. Statt einmal das zu machen, was man euch sagt, macht ihr absichtlich das Gegenteil. Werdet endlich erwachsen“, schnaubte der Schwarz-Blauhaarig genervt und schien es aufzugeben. Kuro hingegen nervte es gerade tierisch, dass er von einem kleinen Kind mit einem kindischen Mädchen verglichen wurde. Irgendwie hatte Skye mit dem was er sagte zwar recht, andererseits war der junge Mann in keiner Weise dazu verpflichtet sich derart um seine Assistentin zu kümmern. Eigentlich konnte es ihm total egal sein, warum also wühlte es ihn so dermaßen auf? „Du kommst zu spät zur Schule! Mach, dass du wegkommst!“, wechselte er schließlich das Thema und verscheuchte seinen kleinen Besucher aus dem Suzuki Anwesen. „Du doch auch“, gab er genervt kontra. „Ich hab keine Zeit für Schule.“   Am späten Abend, als bereits die meisten Schüler in ihren Betten lagen, saß Rin motzig im Schneidersitz vor dem großen Schwimmbecken im Keller des Wohnheims. Sie hatte ihren Schulbadeanzug angezogen und ein Handtuch hing über ihren Schultern. Den linken Ellbogen stützte sie auf ihrem Bein ab, während die Hand ihren Kopf hielt. So saß sie dort, widerwillig und starr wie eine Salzsäule, mit Blick aufs Wasser gerichtet. Neben dem Mädchen stand Skye mit verschränkten Armen und sah wortlos zu ihr herunter. Es schien als würde er auf etwas warten. „Du hast zwei Optionen. Entweder du gehst endlich ins Wasser“, machte der Schwarz-Blauhaarige eine kurze Pause, „Oder du versuchst deine Kraft gezielt anzuwenden.“ „Ich geh da nicht rein“, meckerte die Oberschülerin. Er hatte zwar absichtlich einen Zeitpunkt ausgewählt zu dem die Schwimmhalle menschenleer war, damit keiner in irgendeine Gefahr involviert werden würde, aber wenn sie sich nicht bewegte, brachte das schlussendlich auch nichts. Der Blauhaarigen passte es nämlich gar nicht, dass er sie ins Untergeschoss geschleift hatte. Aber das war nicht das einzige was sie verstimmt hatte. Zuvor konnte sie sich noch eine ewig lange Standpauke von dem Kleinen anhören, wegen des gestrigen Vorfalls. Im Grunde hatte er zwar recht, aber das wollte sie nicht einsehen. Zumal sie sich nichts von einem kleinen Kind sagen lassen wollte. Außerdem hatte sie einen echt langen und stressigen Tag, weswegen sie eigentlich nur noch in ihr Bett wollte. „Dann kümmern wir uns vorerst mal um deine Kräfte. Du musst unbedingt lernen sie zu benutzen. Aber früher oder später musst du auch schwimmen lernen“, meinte Skye. „Muss das heute sein? Ich bin müde und will schlafen“, quengelte Rin herum, „Können wir das nicht generell sein lassen? Wozu soll ich überhaupt lernen mit dieser blöden Kraft umzugehen? Ich brauche sie nicht und finde sie unheimlich!“ Der Jüngere schnaubte nur schwer: „Leider brauchst du sie mehr als du denkst, also hör auf mit mir zu diskutieren. Außerdem haben wir eine Abmachung. Ich halte mich daran und gehe in diese blöde Grundschule. Jetzt bist du dran deinen Part zu erfüllen.“ Sichtlich genervt stand die Blauhaarige auf und verschränkte die Arme vor der Brust: „Ist ja in Ordnung. Aber wenn hier irgendwas außer Kontrolle gerät, bin ich raus.“ „Das wird schon nicht passieren“, entgegnete der Grundschüler erfreut. „Und?“, hakte das Mädchen nach, „Was soll ich nun tun?“ „Erstmal solltest du versuchen mit deinem Element in Einklang zu kommen. Setz dich im Schneidersitz in Richtung Schwimmbecken und halte deine Handflächen aneinander. Dazwischen legst du den Saphir“, erklärte sich der Schwarz-Blauhaarige. „So?“, kam es von der Älteren, als sie getan hatte, was er befahl, „Und jetzt?“ „Blende alles um dich herum aus und versuche das Wasser zu fühlen. Am besten schließt du die Augen dazu“, gab er weitere Anweisungen. „Na sag doch gleich ich soll meditieren“, verzog Rin das Gesicht, „Aber das wird nichts. Ich bin nicht gut in solchem Kram.“ „Versuchs einfach“, ignorierte der Jüngste ihre Bedenken. Es dauerte tatsächlich keine fünf Minuten, ehe die Blauhaarige die Geduld verlor und plötzlich lauthals aufsprang: „Ah! Das funktioniert nicht! Das Wasser fühlen?! Was soll das für eine dumme Übung sein?!“ Der kleine Mann, welcher unmittelbar neben ihr stand, zuckte durch ihren heftigen Wutausbruch zusammen und sah fassungslos dem Geschehen zu. Nicht nur, dass das Mädchen wie irre herumbrüllte, nein, denn durch ihren zügellosen Gefühlsausbruch begann auch das Wasser im Becken leichte Wellen zu schlagen. „Beruhig dich!“, erhob Skye seine Stimme, „Schau dir mal diesen Wellengang an!“ „Wo kommen die denn schon wieder her?!“, machte sich Panik in der Oberschülerin breit. „Das liegt daran, dass du deine Gefühle nicht unter Kontrolle hast! Also komm mal runter!“, schimpfte der Jüngere. Nachdem sich die Aufgebrachte wieder beruhigte, versuchte der Grundschüler eine andere Übungsmethode anzuwenden. Diese hatte zwar weniger mit Meditation zu tun, war jedoch auch mit Geduld und Konzentration verbunden. Wild fuchtelte das Mädchen daraufhin mit den Händen herum, um irgendwie einen kleinen Teil des Wassers vor ihr zu bewegen. Allerdings tat sich nichts. „Was machst du da?“, beäugte der Schwarz-Blauhaarige die Versuche, „Ich habe dir doch gerade eben gezeigt, wie du deine Arme bewegen musst. Fließend und sanft. Genau wie Wasser. Was du da machst sieht aus wie ein Affentanz.“ „Du nervst! Ständig meckerst du nur herum und kritisierst mich! Wenn du so weitermachst wirst du noch schlimmer als Kuro“, verschränkte sie wütend die Arme und blies beleidigt ihre Wangen auf. „Ist ja schon gut. Versuche es einfach nochmal. Je eher du das hinbekommst, umso schneller kannst du ins Bett gehen“, schnaubte Skye genervt. Es dauerte einige Zeit, bis Rin es tatsächlich aus eigener Kraft schaffte ein handflächengroßes Wassergebilde zwischen ihren Händen schweben zu lassen. Zwar sollte es eigentlich gleichmäßig rund sein, doch für den Moment war sie auf ihr unförmiges Etwas schon stolz genug. Doch noch bevor sie ihrer Begeisterung Ausdruck verleihen konnte, lenkte plötzlich ein dumpfes Knallen ihre Konzentration ab. Verschreckt zuckte sie zusammen und zog den Atem nach innen, während ihr Gebilde bombenartig platzte und sie nassspritzte. In Folge dessen erschrak sie erneut und quiekte auf, als sie gleichzeitig für ein paar Millisekunde völlig vom Erdboden verschwunden war. „Was war das für ein Geräusch?“, sah sich der Kleinste suchend um. Die Blauhaarige hatte jedoch andere Sorgen: „Ihh, jetzt bin ich nass!“ „Warst du gerade unsichtbar?“, drang eine vertraute Stimme durch die Schwimmhalle. Im selben Moment trat Ruri mit ungläubiger Miene aus dem Eingangsbereich hervor. Direkt neben ihr lag ein großer Rucksack auf dem Boden, welcher vermutlich durch den Aufprall für das laute Geräusch verantwortlich war. Neugierig, aber auch verwirrt kam sie auf die beiden Anwesenden zugelaufen. Nun waren sie aufgeflogen. Zu hundert Prozent hatte die Schulsprecherin eben gesehen was Rin mit dem Wasser angestellt hatte. Aber eigentlich war der Blauhaarigen egal, ob sie es wusste oder nicht. Nur der Aspekt mit der Unsichtbarkeit erschloss sich ihr nicht. Was meinte ihre Klassenkameradin damit? Während sie darüber nachdachte, hatte der Jüngste ganz andere Sorgen, denn im Gegensatz zu ihr, rannen ihm die Schweißperlen von der Stirn. Wie sollte er der Eisblauhaarigen das Phänomen logisch erklären, welches sich soeben vor ihren Augen abspielte? Es war gar nicht gut, dass Außenstehende etwas davon mitbekamen. „Was meinst du mit unsichtbar?“, legte die Ältere den Kopf schief. „Na, du warst gerade eben für eine Sekunde durchsichtig“, blieb Ruri vor ihr stehen, „Und was war das mit dem Wasser? Kannst du das kontrollieren?“ „So irgendwie“, kratzte sich die Blauhaarige verlegen am Hinterkopf, „Ich habe da so eine komische Gabe, aber das Ganze ist total schwer. Außerdem will ich das eigentlich gar nicht können. Wasser ist gruselig.“ Kurz lachte die Schulsprecherin auf: „Dann warst du also für das Tsunamibad letzte Woche verantwortlich?“ „Irgendwie schon. Tut mir leid“, grinste Angesprochene schief. „Du nimmst das ja ganz schön locker, dafür dass du gerade etwas Übernatürliches gesehen hast“, bemerkte Skye, „Und du Rin, solltest das Ganze nicht einfach an Außenstehende ausplaudern. Das kann gefährlich enden.“ „Ist ja gut. Aber sie wird mich schon nicht verpfeifen, oder?“, richtete sie einen fragenden Blick zu ihrer Klassenkameradin. „Natürlich nicht“, schüttelte diese den Kopf und wandte sich an den Kleinsten, „Wer bist du eigentlich? Und was machst du mitten in der Nacht im Oberschulwohnheim?“ Noch während der Schwarz-Blauhaarige nach einer sinnvollen Antwort suchte, hatte die Oberschülerin schon ausgeplaudert, dass er bei ihr wohnen würde, weil er keine Bleibe hatte. Zwar fand Ruri das Ganze mehr als merkwürdig, sagte jedoch nichts weiter dazu und beließ es dabei. Im Grunde war es ja nicht ihre Angelegenheit und einmischen wollte sie sich nicht. Einzig eine Warnung sprach sie aus, dass sie sich nicht erwischen lassen sollten. „Und wer bist du?“, stellte der kleine Mann eine ähnliche Frage, „Bist du mit Rin verwandt?“ „Warum denkt das jeder?“, fiel die Blauhaarige aus allen Wolken. Ihrer Mitschülerin hingegen huschte nur ein kurzes Schmunzeln über die Lippen, ehe sie erklärende Worte parat hatte: „Nein, nein wir sind nicht verwandt. Wir sehen uns einfach nur etwas ähnlich durch die Frisur. Ich bin Ruri Miuna.“ „Sicher, dass ihr nicht verwandt seid?“, konnte Skye diese Aussage nicht wirklich akzeptieren woraufhin die beiden Mädels weitere Kontraargumente aufzählten. Nachdem der Jüngste dann von den Geburtsdaten und den Familienverhältnissen gehört hatte, glaubte er den Oberschülerinnen. „Okay, Rin hat keine weiteren Verwandten und Ruris Familie ist nicht mal aus Aehara. Und da ihr einen Altersunterschied von einer Woche habt, könnt ihr auch keine Geschwister sein“, fasste er die Fakten nochmal zusammen. „So siehts aus“, nickte die Blauhaarige. Da dieses Thema nun abgehakt war, kam Rin erneut auf ihre angebliche Unsichtbarkeit zu sprechen. Ihr Zimmergenosse überlegte daraufhin kurz, ehe er sich äußerte: „Halt mal die Luft an.“ „Halt du sie doch an!“, meckerte die Blauhaarige. „Das war wörtlich gemeint“, rollte er mit den Augen, „Halt deine Luft an und konzentrier dich darauf unsichtbar zu werden.“ „Ach so“, verstand sie seine Anweisung zuvor falsch. Gesagt getan, blies sie die Wangen auf und stoppte ihre Atmung. Wie aus dem Nichts verschwand sie daraufhin plötzlich. Erst als sie erneut Luft holen musste, wurde sie wieder sichtbar. „Ich fass es nicht“, starrte Skye skeptisch zur Blauhaarigen, „Das kannst du auf Anhieb, aber dein Element beherrschst du nicht?!“ „Wow wie cool! Aber muss ich dafür echt die Luft anhalten?“, war Rin in ihrer eigenen Welt. „Ich vermute mal, dass du das auch ohne angehaltenen Atem kannst. So geht es wahrscheinlich nur einfacher“, meldete sich Ruri zu Wort. Der Schwarz-Blauhaarige bestätigte ihre Vermutung. Auch, wenn mal wieder keiner wusste woher der Kleine sein Wissen darüber hernahm. Nachdem die drei sich noch eine Weile unterhalten hatten, machten sie sich wieder auf den Weg zurück in ihre Zimmer. Es war schon ziemlich spät geworden und ihnen blieb kaum noch Zeit zum Schlafen übrig, bevor die Schule wieder anfing. „Findest du es nicht auch eigenartig, dass deine Klassenkameradin das alles gar nicht so vom Hocker gerissen hatte? Jeder andere Mensch wäre doch ausgeflippt, wenn er so etwas Übernatürliches zu Gesicht bekommen hätte“, fragte Skye die Ältere, welche sich soeben zu ihm ins Bett gesellte. Diese gähnte herzhaft und blieb ziemlich unbeeindruckt: „Es gibt auf der Welt viele Leute, die an solche Dinge glauben. Da sind sie eben etwas unbeeindruckter, wenn sie mal etwas derartiges zu sehen bekommen.“ „Ich weiß ja nicht“, stellte es ihn nicht zufrieden, „Und dann noch dieser große Rucksack. Wenn da ihre Badesachen drin gewesen wären, wieso hat sie sie nicht vorher angezogen? Also war da doch was anderes drin, oder? Und wenn nicht, wer geht bitte mitten in der Nacht schwimmen?“ „Ist doch egal…“, murmelte das Mädchen im Halbschlaf.     Freitag, 24. April 2015   Nervös saß Rin in der Umkleidekabine der Schwimmhalle. Während alle anderen Mädchen fröhlich durcheinanderplapperten und sich umzogen, blieb die Blauhaarige wie versteinert. „Willst du dich nicht umziehen?“, trat Ruri vor sie, bekam jedoch keine Antwort. Erneut versuchte die Schulsprecherin zu Angesprochener durchzudringen, woraufhin diese sich endlich bewegte. Zögerlich kramte sie ihren Badeanzug heraus und nur langsam zog sie sich auch um. Natürlich wollte sie das nicht, denn auf den Schwimmunterricht konnte sie gut und gerne verzichten. „Komm her, ich flechte dir die Haare“, bot die Eisblauhaarige ihre Hilfe an, „Oder möchtest du lieber einen Dutt?“ Mit einem kurzen Nicken nahm Rin das Angebot ihrer Klassenkameradin an: „Danke. Ich mag es lieber, wenn sie geflochten sind.“ Während die beiden Mädchen noch beschäftigt waren, wurde die Umkleide leerer und leerer, bis sie schließlich als letzte zurückblieben. „So, fertig“, fixierte Ruri den Zopf mit einem Haargummi. „Dann mache ich dir jetzt deine Haare“, grinste die Stipendiatin frech und machte sich ans Werk. Kaum hatte sie damit begonnen die lange Mähne zum Flechten dreizuteilen, staunte Rin nicht schlecht: „Ich dachte dein Haar sei einheitlich blau, aber da ist ja eine ganz hellblonde Strähne dabei.“ „Ja, die ist furchtbar“, schien es Angesprochener gar nicht zu gefallen, „Zum Glück sieht man sie kaum.“ „Warum denn das? Das ist doch total genial“, staunte Begeisterte nicht schlecht. „Ich mag sie einfach nicht“, schien die Eisblauhaarige keinen triftigen Grund zu haben. Nach einer kurzen Weile waren die beiden Oberschülerinnen endlich fertig und die Schülersprecherin ging schonmal vor, da der anderen auffiel, dass sie nochmal auf die Toilette musste.   Nervös betrat Rin schließlich die große Schwimmhalle der Suzuki Oberschule. Zwar hatte sie nun tatsächlich ihren Badeanzug angezogen, aber ins Wasser würde sie definitiv nicht gehen. Vorerst gesellte sich das Mädchen aber zu ihren Klassenkameraden, welche alle vor dem Becken standen und wild umherplapperten, während sie auf Anweisungen warteten. „Kannst du denn nun eigentlich schwimmen?“, hakte Ruri nach. „Nein“, grinste Angesprochene schief, „Ich befürchte das wird auch nicht so bald passieren.“ „Dann darfst du sicherlich das Schwimmbrett als Hilfe benutzen. Ich helfe dir beim Üben, wenn du willst“, lächelte die Eisblauhaarige lieb. „Keine Sorge. Ich hab schon einen Plan“, stemmte die Wasserscheue die Hände in die Hüfte und grinste siegessicher. Ihr Gegenüber hingegen war sichtlich irritiert: „O-Okay?“ Kurz darauf kam auch schon die Lehrerin mit der Anweisung zum Einschwimmen um die Ecke, woraufhin die Schülermasse sich in Bewegung setzte. Einzig die beiden Mädchen und Kuro blieben zurück. „Kommst du nicht mit?“, setzte Ruri zum Gehen an. „Wie gesagt habe ich einen Plan“, erklärte die Blauhaarige, „Geh ruhig ohne mich.“ Daraufhin machte sich die Schülersprecherin alleine auf den Weg ins Becken. „Und was ist nun mit dir?“, kam der Suzuki-Erbe mit verschränkten Armen auf Zurückgebliebene zugelaufen, „Dir ist klar, dass du früher oder später Schwimmen musst, damit du nicht von der Schule fliegst, oder?“ „Lass mich in Ruhe“, blies die Blauhaarige beleidigt ihre Wangen auf und sah demonstrativ in eine andere Richtung. Viel Zeit um einen Streit vom Zaun zu brechen hatten sie dieses Mal nicht, denn die Aufmerksamkeit der Lehrerin war ihnen bereits sicher. Auch einige der Mädchen blickten mit einer Mischung aus Eifersucht und Wut dem Geschehen zu. In ihren Augen musste es wohl so wirken, als seien sich Rin und Kuro recht nahe. „Was ist denn mit euch beiden? Hopp, hopp, ab ins Wasser“, deute die junge Frau auf das Schwimmbecken. „Ich kann doch nicht schwimmen, Ayase-sensei“, gab die Blauhaarige siegessichere Widerworte. Kurz hielt die Lehrerin zum Nachdenken inne: „Ach stimmt ja. Wie machen wir das am besten?“ „Wie auch immer Sie das regeln“, mischte sich nun auch der Schwarzhaarige ein, „Bedenken Sie, dass Rin ein Sportstipendium hat. Durch nicht Teilnahme oder eine schlechte Wertung, verliert sie es.“ „Ach ja, da war was…“, schnaubte die junge Frau schwer. Triumphierend grinste der Suzuki-Erbe daraufhin seine Mitschülerin an, welche ihn mit böser Miene anfauchte. Am liebsten wäre sie ihm wohl an die Gurgel gesprungen für diese fiese Aktion, versuchte aber ruhig zu bleiben, weil sie keinen Ärger bekommen wollte. Nachdem Kuro frech grinsend seine Hand auf ihren Kopf legte und ihre Haare verwuschelte, ging er wortlos ins Schwimmbecken. Zurück blieb eine zerzauste Rin, welche kaum innehalten konnte. „Nimm dir am besten eines der Schwimmbretter und versuche damit erstmal das Schwimmen zu lernen. Am besten wäre es, wenn du auch in deiner Freizeit etwas übst“, erklärte die schwarzhaarige junge Frau, „Da du ein Stipendium hast, kann ich dich nicht einfach vom Unterricht befreien. Beim Schwimmen ist das zwar unter bestimmten Voraussetzungen kein Problem, aber hier ist die Sachlage anders.“ „Aber heute kann ich dennoch nicht schwimmen“, versuchte die Blauhaarige sich noch immer zu drücken. „Bist du irgendwie krank?“, verstand die Lehrerin nicht recht. „Nicht direkt“, druckste die Oberschülerin herum, „Aber ich habe meine Tage. Und ganz abgesehen davon habe ich eine Art Allergie gegen Wasser.“ „Allergie? Gegen das Chlor oder wie?“, hakte die Schwarzhaarige nach. Wieder haderte Rin: „Nicht so direkt. Das ist schwer zu erklären.“ „Also, wie auch immer. Solange mir kein ärztliches Artest vorliegt, kann ich dir leider nicht helfen. Für heute musst du nicht ins Becken, wenn du möchtest, aber in Zukunft wirst du nicht drumherum kommen“, erklärte die junge Frau. Erleichtert atmete die Stipendiatin auf. Fürs Erste hatte sie sich gerettet. Allerdings würde sie die Wochen drauf wieder vor demselben Problem stehen. Aber nun hatte sie wenigstens etwas Zeit herausschlagen können für einen neuen Plan, da durch die Golden Week erst wieder in zwei Wochen Schwimmunterricht war. Eigentlich wollte sie ihre Lehrerin irgendwie davon überzeugen sie generell von diesem Unterricht zu befreien. Allerdings hatte ihr da ein gewisser Jemand einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als hätte er ihr Vorhaben geahnt.   Den Abend brachte Rin wieder damit zu ein wenig das Chaos in Kuros Büro zu bearbeiten. Sie kam nur langsam voran, weil diese Arbeit Neuland für sie war. Außerdem hatte sie den Eindruck, dass jeden Tag wieder neue Haufen auftauchten. Völlig in Gedanken versunken, wühlte sie sich durch die Papierlandschaft, als auf einmal die Bürotür aufgerissen wurde. Durch das plötzliche Geräusch erschrak die Blauhaarige und zog den Atem nach innen, was sie kurzzeitig unsichtbar machte. „Was war das denn?“, schloss Kuro die Tür hinter sich. „Was denn?“, hatte sie nichts mitbekommen. Voller Erstaunen schritt er auf die Oberschülerin zu: „Du warst kurz weg.“ „Ist es schon wieder passiert?“, freute sich Rin, „Cool oder? Das kann ich seit gestern.“ „Findest du das witzig? Was machst du, wenn dich jemand dabei erwischt? Immerhin hast du das scheinbar nicht unter Kontrolle“, konnte er es nicht fassen. „Reg dich doch nicht gleich so auf. Ich werde das noch ein bisschen trainieren. Außerdem tut es ja keinem weh, wenn man es sieht“, zuckte das Mädchen mit den Schultern. „Sag mal, denkst du überhaupt irgendwann mal mit? Wenn die falschen Leute diese übernatürlichen Kräfte zu Gesicht bekommen, kann das für dich böse enden. Menschen sind neugierig und wollen Unbekanntes erforschen. Egal mit welchen Mitteln“, versuchte er ihr Vernunft einzubläuen. „Machst du dir etwa Sorgen um mich?“, konnte die Blauhaarige sich diese Frage nicht verkneifen. Frech grinste sie ihn an, während er nur entnervt schnaubte und sich an seinen Schreibtisch setzte. Er hatte es wohl aufgegeben. Immerhin hörte sie ihm eh nur mit halbem Ohr zu. „In Mangas wird davor auch immer gewarnt, dass man nicht auffliegen darf. Aber was soll denn schon passieren? Als ob sie die Hüter der Gerechtigkeit einfangen würden, nur weil sie neugierig sind“, erklärte Rin ihre Ansichten. „Es ist trotzdem eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das passiert. Außerdem bist du keine Hüterin der Gerechtigkeit und im schlimmsten Fall ziehst du mich, Akira und deine beste Freundin auch mit rein! Also pass einfach auf“, ermahnte er seine Assistentin erneut. Scheinbar zeigte es Wirkung, denn die Oberschülerin gab keine Gegenargumente mehr. Wenn es um andere ging hatte sie generell eine vernünftigere Sicht auf die Dinge. „Ach übrigens“, begann der Suzuki-Erbe, „Kauf dir ein neues Handy. Als meine Assistentin musst du erreichbar sein.“ „Vergiss es“, kam es kurz angebunden zurück, während die Blauhaarige in die Unterlagen vertieft war. „Kauf dir eins oder ich tue es“, drohte der Schwarzhaarige. Aber noch immer blieb das Mädchen unbeeindruckt: „Mach was du willst. Ich benutze es aber nicht.“ „Oh, das wirst du. Ich werde es nämlich von deinem Lohn kaufen“, grinste der junge Mann selbstgefällig. Rin gefiel das allerdings gar nicht, weswegen sie lauthals aufsprang: „Wage es ja nicht! Ich brauche so ein blödes Ding nicht!“ „So unvernünftig wie du immer bist, wirst du früher oder später noch entführt. Noch hast du die Chance selbst zu entscheiden“, wandte er sich nicht von seinem Computerbildschirm ab. Trotz Verwirrung über den Zusammenhang, zeigte sie noch immer kein Verständnis: „Warum entführt? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?! Ich will kein Telefon, basta! Wenn du mich wegen der Arbeit erreichen willst, dann organisiere eben ein Arbeitshandy!“ „Ach ja?“, sah Kuro seine Assistentin ernst an, „Und was war die vorletzte Nacht in der Straßenbahn? Hätte Skye dir nicht aus der Klemme geholfen, wäre weiß Gott was passiert!“ „Stalkst du mich oder was?! Das ist gegen die Privatsphäre!“, keifte sie ihn an. „Würdest du dich einmal an das halten was man dir sagst, gäbe es diese ganzen Probleme nicht! Ich habe dir extra gesagt, dass Joel dich fährt. Du hättest auch hier übernachten können“, war das Telefon für den Suzuki-Erben vom Tisch, „Warum benimmst du dich nur immer so unvernünftig? Du bist doch kein kleines Kind mehr! Und auch keine Prinzessin, die immer von ihrem Ritter gerettet wird!“ „Hör auf zu nerven! Ich kauf mir ja ein Handy…“, schmollte das Mädchen und setzte sich wieder hin. Sie wusste selbst nicht was sie sagen sollte, denn er hatte recht. Obwohl es ihr manchmal gar nicht auffiel, verhielt sie sich recht oft unvernünftig und machte Fehler. Allerdings merkte sie das bisher leider immer zu spät. Während sie noch weiter darüber nachdachte, konnte sie im Augenwinkel ein blaues Schimmern aus Kuros Richtung entdecken. Es war wieder einer dieser blau leuchtenden Schmetterlinge, welcher ihr verdeutlichte, dass der Social Link sich erweitert hatte. „Komischer Zeitpunkt“, nuschelte die Oberschülerin. „Du kapierst es immer noch nicht, oder?“, war der Schwarzhaarige noch nicht fertig, „Es geht schon lange nicht mehr nur um das dumme Telefon. Es geht darum, dass du nicht nachdenkst was du tust!“ „Du nervst! Kannst du dich nicht um deinen eigenen Kram kümmern? Was geht’s dich an, was ich tue? Solange ich die Arbeit mache, ist doch alles in Ordnung!“, knurrte Rin ihn an. Sein ewiges Gemeckere brachte die Oberschülerin noch zur Weißglut. Allerdings war er ziemlich in Fahrt und konnte es einfach nicht lassen: „Und deine Versuche dich vor dem Schwimmen und deiner Kraft zu drücken sind genauso kindisch! Nur weil du keine Lust hast benimmst du dich wie ein bockiges Kleinkind!“ Statt ihrer Wut Ausdruck zu verleihen, blieb das Mädchen auf diese Aussage hin, jedoch ruhig. Sie stand auf und lief herüber zu Kuros Schreibtisch, vor welchem sie stehenblieb. Ein ernster Blick traf den Schwarzhaarigen und mit ruhigen Worten brachte die Oberschülerin heraus: „Menschen tun Dinge niemals grundlos.“ Kaum hatte sie gesagt was sie wollte, verschwand sie aus dem Raum. „Was war das?“, lief dem Suzuki-Erben ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter.     Kapitel 22 - Stadtbummel ------------------------ Sonntag, 26. April 2015   Eilig stieg Rin aus der U-Bahn des Hauptbahnhofes aus. Wie so oft war sie mal wieder viel zu spät dran, als sie zum Treffpunkt hechtete. Amika wartet dort bereits geduldig auf Zuspätkommende. Die Brünette trug einen kurzen schwarzen Pulli mit hochgeschobenen Ärmeln und dazu eine taillierte fliederfarbene Hose mit hochgekrempelten Beinen, wodurch ihre schwarzen Sneakers besser zur Geltung kamen. Dazu trug sie noch eine Halskette mit einem goldenen Kleeblatt und ein mehrfach ums Handgelenk geschlungenes goldenes Armband. „Tut mir leid, ich habe verschlafen“, entschuldigte sich die Blauhaarige außer Atem. „Irgendwie dachte ich mir das bereits“, musste die Brünette unweigerlich grinsen, „Na dann mal los.“ Mit diesen Worten setzten sich die beiden Mädels in Bewegung. In erster Linie ging es darum für Rin ein neues Handy zu kaufen, was die beiden Freundinnen aber für einen entspannten Stadtbummel nutzten. Sie hatten sich schon so lange nicht mehr gesehen und da neuerdings die Zeit der Blauhaarigen knapp bemessen war, mussten sie es einfach ausnutzen mal frei zu haben. Außerdem hatte ihr Kuro bereits einen Vorschuss ihres monatlichen Lohnes ausgezahlt. „Du, Ami?“, begann die Stipendiatin, als sie soeben durch die Handyabteilung eines Elektro-Fachgeschäftes schlenderten, „Willst du nicht doch wieder an die Suzuki Akademie wechseln?“ Schwermütig schnaufte Angesprochene und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte: „Hm… Ich weiß nicht so recht. Eigentlich will ich liebend gerne mit dir in einer Klasse sein, aber ich kann die Akademie nicht ausstehen. Überall diese Neureichen, denen man nicht hochrangig genug ist und dann noch der Unterrichtsstoff, der so extrem schwer ist. Dagegen ist die staatliche Aehara Schule fast schon ein Spaziergang.“ „Ich weiß ja, dass du in der Vergangenheit schonmal auf die Akademie gegangen bist und es absolut nicht mochtest, aber ich finde es blöd, dass wir uns kaum noch sehen“, jammerte die Blauhaarige. „Kommst du denn mit dem Unterrichtsstoff mit?“, fragte Amika neugierig, „Immerhin sind wir beide keine wirklichen Leuchten in der Schule.“ „Ach das wird schon“, grinste Rin optimistisch, welche nur einen kritischen Blick zugeworfen bekam. „Aber weißt du, im Moment kann ich so oder so nicht wieder an die Akademie wechseln. Sie ist viel zu teuer und hat meine Eltern zuvor schonmal fast Kopf und Kragen gekostet. Wie du weißt verdienen wir nicht so viel wie es meine Eltern gerne hätten. Trotzdem tun sie so, als seien sie wohlhabend“, nahm es die Brünette locker, „Jetzt ist auch noch das Haus abgebrannt und wir haben so gut wie nichts mehr. Wäre ich nicht so leichtsinnig gewesen, wäre alles anders gekommen.“ Man merkte richtig, wie ihre Laune immer schlechter wurde und sich die Schuldgefühle in ihr ausbreiteten. Obwohl sich ihr Familienverhältnis dadurch drastisch besserte, empfand sie dennoch Reue und wünschte sich, dass es wieder wie vorher werden würde. „Mach dir nicht so einen Kopf. Die Vergangenheit lässt sich sowieso nicht ändern“, versuchte Rin ihrer besten Freundin Trost zu spenden, „Außerdem ist dir doch auch keiner böse, oder? Deine Eltern waren total in Sorge.“ Daraufhin schwieg sie und schaute sich die ausgestellten Mobiltelefone intensiver an. Auch die Blauhaarige schaute nun genauer nach einem Model, das ihr gefallen könnte. „Das ist ja schön“, hielt Amika ein in rosé gefärbtes Smartphone in die Höhe. „Ew“, verzog ihre Freundin daraufhin das Gesicht, „Das ist rosa. Und außerdem viel zu teuer.“ „Aber ich würde das gerne haben“, testete die Brünette freudenstrahlend besagtes Handy. Ihr Gegenüber schnaubte nur: „Du hast doch noch ein funktionstüchtiges Telefon. Wozu ein Neues? Außerdem hast du eh nicht genug Geld dafür.“ Wo Rin recht hatte, hatte sie recht. Geld war im Moment nicht unbedingt das wovon die Oberschülerin am meisten hatte, weswegen sie das Handy wieder in die Halterung zurücksteckte und weiter nach einem hübschen Model für die Stipendiatin suchte. „Am liebsten wäre mir eigentlich ein altes Klapphandy. Da spare ich am meisten und zum Telefonieren reicht es allemal“, überlegte die Blauhaarige. Jedoch sollte es sich zur heutigen Zeit eher schwerer gestalten noch irgendwo ein Klapphandy aufzutreiben. Eigentlich hatte mittlerweile jeder ein Smartphone und war über Line erreichbar. „Willst du denn gar kein Smartphone? Die sind superpraktisch und bald schon lebensnotwendig, weil damit so viele Dinge gemacht werden können“, legte Amika den Kopf schief. „Ehrlichgesagt war ich schon ein bisschen neidisch auf alle anderen, die schon eins haben“, gestand das Mädchen, „Aber wenn ich die Preise sehe, will ich lieber doch keins.“ „Irgendwie verständlich“, nickte die Brünette, „Welches würde dir denn am besten gefallen? Unabhängig vom Preis?“ Auf die Frage hin deutete die langhaarige Oberschülerin auf eines der teuersten Modelle und grinste schief: „Ich fand diese Marke schon immer cool. Allerdings zahlt man da für den Markennamen mit. Obwohl ich gehört habe, dass es echt gut sein soll. Dafür gibt es auch voll schöne Hüllen.“ „Kann es sein, dass du dieses Handy schon länger im Blick hast und deswegen kein anderes finden willst?“, traf Amika den Nagel auf den Kopf. Erschrocken blickte die Blauhaarige zu ihrer besten Freundin herüber: „Jetzt wo du es sagst…“ Die Unterhaltung der beiden Oberschüler ging noch eine ganze Weile weiter. Auch erklärte Rin, dass sie wegen Kuros Forderung unbedingt ein Handy auftreiben musste. Dadurch kamen sie auf den Assistenzjob der Blauhaarigen zu sprechen, worüber sich Rin wütend ausließ. Sie konnte diesen Typen einfach nicht ausstehen. Nach einigen Minuten vor den ausgestellten Handys wurden die Schülerinnen plötzlich angesprochen: „Bist du das, Rin?“ Schlagartig blickte sich Angesprochene nach der Stimme um und entdeckte ein Mädchen mit hellbraunen schulterlangen Haaren und hellblauen Augen. Einen kleinen Teil ihrer Haare hatte sie zu einem seitlichen Zopf gebunden, sodass ihr rechtes Ohr mit ihren Piercings frei lag. Sie trug eine rosafarbene Bluse, welche an den Ärmeln hochgekrempelt war. Darüber hatte sie ein schwarz-rotes Korsett angezogen, an welchem an einer Seite ein langes Stück Stoff festgebunden war, welches ihr bis unters Knie reichte. Dazu hatte sie dunkelgraue Hotpants und weiße Overknees angezogen. Ihre Füße steckten in farblich passenden, schwarzen Stiefeletten. Außerdem trug sie an einem Handgelenk ein magentafarbenes Schweißband und um ihren Hals hing eine Kette mit einem roten herzförmigen Edelstein. „S-Shina?“, musterte die Blauhaarige ihr Gegenüber mit weit aufgerissenen Augen, „Du siehst so anders aus. Was machst du denn hier?“ „Eigentlich finde ich ja, dass ich in Uniform eher ungewohnt aussehe“, musste die Hellbraunhaarige schmunzeln, „Ich wollte mir neue Kopfhörer kaufen. Meine alten sind kaputtgegangen. Und du?“ Daraufhin erklärte ihre Kollegin ihr den Grund für den Aufenthalt bei den Mobiltelefonen. Zuvor aber machte sie noch schnell ihre beste Freundin mit neu Hinzugekommener bekannt. „Ach so ist das“, überlegte Shina, „Ich hätte noch ein altes Klapphandy, wenn du das haben willst? Das benutze ich sowieso nicht mehr.“ „Ehrlich?!“, funkelten Rins Augen vor Freude, was die Hellbraunhaarige belustigt Lächeln ließ.   Gegen Nachmittag hatten sich die beiden besten Freundinnen in einem Café niedergelassen, um kurz zu entspannen. Zuvor hatten sie noch allerhand Läden unsicher gemacht und die ein oder anderen neuen Kleidungsstücke gekauft. Amika hatte sogar ein kleines Hard-Case-Täschchen gefunden, welches sich die Blauhaarige an den Gürtel schnallen konnte, um darin ihren auffälligen Schlüsselbund sowie den Edelstein zu verstauen. „Ich kanns immer noch nicht fassen, dass das eigentlich kein Traum war“, nippte die Brünette an ihrem Latte Macchiato. „Ich auch nicht. Allein, dass es solche übernatürlichen Kräfte gibt und wir irgendwie in der Zeit herumgereist sind, ist schon verrückt genug. Aber dann noch dieses Dungeon-Ding und dass du im Koma lagst, bis wir dein anderes Ich dort befreit hatten… Einfach nur eigenartig“, verstaute Rin den Schlüsselbund in ihrer neuen Tasche, ehe sie diese an ihren Gürtel schnallte. „Wir sind ja nicht gezwungen diese Elementarkräfte weiterhin zu benutzen“, zuckte Amika mit den Schultern. „Der Meinung bin ich auch, aber Skye sagte, dass wir sie wohl angeblich brauchen und trainieren müssen. Weiß der Geier warum“, nahm die Blauhaarige einen kleinen Löffel der Sahnehaube ihrer heißen Schokolade. Kurz musste ihr Gegenüber überlege: „Wer war nochmal Skye?“ „Weißt du nicht mehr?“, hakte die Stipendiatin nach, „Wir waren zu viert im Dungeon. Kuro, Akira, Skye und ich. Das war der kleine Klugscheißer.“ „Ach dieser niedliche Kleine mit den flauschigen Haaren? Den würde ich gerne mal knuddeln“, grinste die Brünette dämlich drein und versuchte ein Quieken zu unterdrücken. Rin hingegen war da anderer Meinung und schmollte: „Keine Ahnung wo der niedlich ist. Es gibt Momente, in denen ist er so fies wie Kuro. Außerdem benimmt er sich viel zu vernünftig und ist weder süß noch sonst was. Nur ernst und langweilig. Ach ja, und er kennt irgendwie nichts anderes als seine Videospiele, dieser Stubenhocker.“ „Klingt trotzdem schön. Ihr scheint euch ja echt gut zu verstehen“, lachte Amika. „Du hast echt eine Geschmacksverirrung“, verdrehte die Blauhaarige die Augen, „Genauso wie mit deinen ständigen Schwankungen was die Liebe angeht.“ „Aber findest du Akira nicht auch total attraktiv? Das wäre doch ein richtiger Traummann“, begann die Brünette zu schwärmen. „Du hast doch einen an der Klatsche“, schnaubte Rin genervt, „Hast du überhaupt mitbekommen, wie er mich die ganze Zeit in der Mittelschule gemobbt hat?“ „Das ist doch alles Vergangenheit. Jetzt ist er ein echt feiner Kerl geworden“, grinste die Oberschülerin liebeskrank. Ihr Gegenüber wollte dazu nichts mehr äußern. Immerhin war sie noch immer anderer Meinung und wollte ihm nicht über den Weg trauen. Dazu hatte er sie zu oft zum Narren gehalten. Obwohl ihr seine Liebeserklärung noch immer zu schaffen machte. Meinte er es wirklich ernst oder würde er demnächst vor ihr stehen und sie auslachen, weil sie ihm den Witz geglaubt hatte? Sollte Rin vielleicht mal mit ihrer besten Freundin darüber reden? Sie würde sie echt gerne um Rat fragen. Allerdings wollte sie ihr nicht wehtun, da sie ja nun für ihn schwärmte. Es war eine verzwickte Situation. Nach längerem Grübeln beschloss die Blauhaarige einfach abzuwarten, bis ihre Freundin wieder einen anderen Kerl ins Auge gefasst hatte. Für gewöhnlich dauerte das nicht all zu lange. „Vielleicht sollte ich ihm nächste Woche direkt meine Liebe gestehen“, dachte die Brünette ernsthaft darüber nach, „Oder ich frage ihn nach einem Hausaufgaben-Date und komme ihm erstmal näher, damit er sich auch ganz sicher in mich verliebt. Vielleicht macht er ja dann auch den ersten Schritt.“ Voller Vorfreude quiekte sie leise mehrmals auf und war völlig in ihrer Traumwelt versunken. Rin betrachtete sie eine Weile, sagte jedoch nichts. Die Stipendiatin war dieser Gespräche langsam überdrüssig, denn Amika tat sowieso was sie wollte und ging stets mit dem Kopf durch die Wand. Selbst wenn sie einen Korb bekam war sie nie lange traurig, denn kurz drauf fand sie schon wieder einen anderen Kerl attraktiv. Meistens jedoch waren es Männer, welche weitaus älter waren als sie. Akira schien in diesem Fall eine Ausnahme zu sein. Generell kam es der Blauhaarigen so vor, als sei ihre Freundin noch nie richtig verliebt gewesen. Dazu war sie viel zu sprunghaft. Nachdem sich Rin eine Weile das Kauderwelsch der Brünetten angehört hatte, beschloss sie schließlich wieder aufzubrechen: „Lass uns gehen. Wir haben genug Energie getankt und ich will heute noch unbedingt in den Comic Shop, bevor er schließt.“ „Na gut“, folgte sie ihr ohne Widerworte.   Endlich vor besagtem Ziel angekommen verabschiedete sich Rin kurzzeitig: „Ich beeile mich, okay?“ „Lass dir ruhig Zeit“, winkte Amika ab und blieb alleine zurück, während ihre beste Freundin den Manga-Laden betrat. Die Brünette konnte mit Manga und der ganzen Szene nicht wirklich etwas anfangen. Eine Zeit lang fand sie den ein oder anderen Anime ganz interessant, aber generell war das alles nicht ihre Welt. Sie verlor sich lieber in Modemagazinen und in Klamottenläden oder Schmuckgeschäften. Trotz allem tolerierte sie das Hobby ihrer Freundin und beschwerte sich nie. Immerhin beschwerte sich die Blauhaarige auch nicht, wenn Amika in ein Geschäft wollte, welches sie nicht sonderlich interessierte. Während die Oberschülerin in der Einkaufsstraße wartete, betrachtete sie die ein oder anderen Schaufenster angrenzender Schmuckgeschäfte. Zwar konnte sie sich nichts davon leisten, aber anschauen kostete ja nichts. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, was sie erschrocken umdrehen ließ. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Aber du bist doch Rins Freundin oder?“, sprach der junge Mann, welcher zu besagter Hand gehörte. Verdutzt wurde er von einem rotbraunen Augenpaar angestarrt: „K-Kuro-kun?! Was machst du denn hier?“ „Das ist eine öffentliche Einkaufsstraße“, verstand er die Frage nicht. „Und was willst du von mir?“, war die Oberschülerin noch immer verwirrt darüber, dass er sie angesprochen hatte. Da er fragte, ob sie Rins Freundin sei, war sie sich fast schon sicher, dass er sie nur wegen ihr ansprach. Oder vielleicht ging es um das Geschehen im Dungeon und ihre Kräfte. Was er wohl wissen wollte? „Ich wollte kurz mit dir reden“, drückte er sich noch immer undeutlich aus. „Okay? Und was genau willst du bereden? Ich habe nicht viel Zeit, weil ich gerade auf Rinacchi warte“, blickte Amika kritisch drein. Sie vertraute dem Kerl nicht wirklich. Vor allem nach den Erzählungen ihrer Freundin, konnte sie ihn selbst auch nicht wirklich leiden. „Na ja, es geht um Rin und dauert nur ganz kurz“, wurde der Schwarzhaarige zwar etwas genauer, aber noch immer zu undeutlich für die Brünette. „Dann rück doch einfach mit der Sprache raus und sag was du sagen willst“, verschränkte die Oberschülerin die Arme. „Ich dachte mir, da du ihre beste Freundin bist, weißt du das vielleicht und kannst mir weiterhelfen“, kratzte sich der junge Mann verlegen am Hinterkopf. Er zögerte merklich und schien etwas nervös, was auch das Mädchen ein wenig verunsicherte. Was zum Teufel wollte er bloß wissen? Und warum fragte er Betroffene nicht einfach selbst? Wenn es etwas war, was sie ihm nicht sagen wollte, dann würde es Amika doch erstrecht nicht ausplaudern. War das dem Typen etwa nicht bewusst? „Du weißt ja nun auch von den Elementarkräften und so Bescheid. Aber Rin sträubt sich dagegen sie zu nutzen. Und im Schwimmunterricht geht sie auch nicht ins Wasser“, begann der Suzuki-Erbe, „Zuerst dachte ich, dass sie einfach nur keine Lust hat sich damit auseinanderzusetzen, aber so langsam befürchte ich, dass es einen triftigen Grund gibt, warum sie sich dagegen wehrt. Weißt du mehr?“ „Ja, ich kenne den Grund, aber das heißt nicht, dass ich ihn dir verrate. Ich bin mittlerweile auch nicht mehr davon angetan mein Feuerelement zu nutzen, eben weil es gefährlich ist“, stemmte das Mädchen die Hände in die Hüfte. „Die Kräfte sind das Eine, aber das Andere ergibt keinen Sinn. Warum wehrt sie sich gegen sämtliche Wasseransammlungen? Sie weiß genau, dass sie ihr Stipendium verliert, wenn sie nicht am Schwimmunterricht teilnimmt oder eine schlechte Note kassiert. Ich kapier ihre Beweggründe nicht“, war Kuro wirklich ratlos. Sein Gegenüber musste sich daraufhin erstmal sammeln. Sie konnte ihm den Grund nicht einfach nennen, weil sie damit ihre beste Freundin verriet. Allerdings wollte sie es auch nicht zulassen, dass Rin deswegen von der Schule fliegen würde. Immerhin war sich Amika sicher, dass der Schwarzhaarige etwas gegen den Rausschmiss tun könnte, wenn er den Grund wüsste. Trotzdem war das nicht die Angelegenheit der Brünetten, sondern ganz alleine Rins Entscheidung. „Du musst ihre Beweggründe nicht verstehen“, kam es ernst aus der Oberschülerin, „Ich werde dir auf jeden Fall nichts verraten. Das ist eine Sache zwischen euch beiden. Damit habe ich nichts zu tun.“ „Du weißt genau wie stur sie manchmal sein kann. Und du weißt auch, dass sie im Lacrosse-Team bleiben will. Warum hilfst du ihr nicht?“, verstand der Suzuki-Erbe nicht, warum Amika schwieg, „Willst du irgendetwas als Gegenleistung für die Information? Schmuck oder so? Ich kaufe es dir.“ Wieder einmal blickte das Mädchen sichtlich irritiert drein: „Ist das dein Ernst? Bestechung? Sehe ich so aus, als ob ich mich bestechen lassen würde? Und warum zum Henker willst du das wissen? Hast du Angst, dass sie am Ende von der Schule fliegt und du keinen mehr hast den du quälen kannst?“ „Quälen?“, zog der Suzuki-Erbe überrascht seine Brauen nach oben, „Wie kommst du auf solchen Mist?“ „Wie auch immer. Die Sache geht mich nichts an. Kläre das mit Rinacchi oder lass es. Es ist allein ihre Entscheidung, ob sie dir den Grund verraten möchte oder nicht“, wurde die Brünette immer gereizter, drehte ihm schlussendlich den Rücken zu und stolzierte einige Meter davon, um ein anderes Schaufenster zu bestaunen. „Die ist ja noch nerviger als ihre Freundin“, verdrehte Kuro die Augen und spazierte davon. Er war sich selbst nicht so ganz im Klaren, warum er Amika diese Frage stellte. Seit Rin ihm vor zwei Tagen an den Kopf geworfen hat, dass es wohl einen Grund für ihre Wasserscheu geben würde, ließ ihn das Thema nicht mehr los. Als er die Brünette dann zufällig dort vor dem Schmuckgeschäft stehen sehen hatte, überkam es ihn sie zu fragen. Aber je mehr er darüber nachdachte, umso mehr begriff er, was die Oberschülerin zu ihm sagte. Als gute Freundin plauderte man nicht einfach anderer Leute Geheimnisse aus. Abgesehen davon kam ihm jetzt erst die Idee die Blauhaarige einfach persönlich nach dem Grund zu fragen. Vielleicht würde das helfen sie zu verstehen und ihr dennoch das Stipendium nicht aberkennen zu müssen. Andererseits konnte er sich den Grund nicht wirklich zusammenreimen. Wenn es etwas Gravierendes war, so hätte sie sich ganz einfach bei einem Arzt ein Artest holen können, welches sie vom Schwimmen befreite. Warum tat sie das nicht? Dann konnte der Grund ja gar nicht so schlimm sein, oder? Also musste er sich reintheoretisch auch keinen Kopf darum machen, dass sie ein ernstes Problem hatte und am Ende von der Schule fliegen würde. „Es ist also nur ein banales kleines Problemchen einer dummen Oberschülerin“, murmelte er in seinen Bart.     Den Abend verbrachte Rin mal wieder damit das Durcheinander im Büro des Suzuki-Erben zu bewältigen. Tatsächlich kam sie schon ein großes Stück voran und endlich war mal ein kleiner Lichtblick zu sehen. Trotzdem hatte sie noch jede Menge zu tun. Motiviert schleppte sie Ordner und Papierstapel von hier nach da, als plötzlich die Bürotür aufging und Kuro hereintrat. „Du bist ja immer noch nicht fertig“, kam es belustigt, aber trocken aus dem Schwarzhaarigen. Damit brachte er das Mädchen natürlich wieder auf die Palme: „Dann mach es besser! Jedes Mal, wenn ich abends gehe, ist am nächsten Tag wieder mehr zum Aufräumen. Das machst du doch mit Absicht!“ „So viel mehr ist das gar nicht. Du bist einfach viel zu lahm“, ließ sich der Ältere nicht ärgern. „Und du bist viel zu unorganisiert und chaotisch“, verschränkte die Blauhaarige die Arme und wendete motzig den Blick ab. „Wenn du meinst“, zuckte der junge Mann mit den Schultern. Scheinbar hatte Kuro an diesem Abend wenig Lust diese Diskussion noch ewig weiterzuführen, weswegen er sich einfach wortlos hinter seinen Computer klemmte und seiner Schreibarbeit nachging. Auch das Mädchen schien kein Interesse mehr am Streiten zu haben und fuhr ebenfalls wieder mit ihrem Papierkram fort. Sie wollte endlich fertig werden. Immerhin stand die Golden Week an und sie hatte an ihren freien Tagen besseres zu tun, als zu arbeiten. Zumal sie immer noch für die Prüfungen lernen musste.   Nach einer ganzen Weile des Schweigens, meldete sich Kuro zu Wort: „Hast du mal einen Augenblick?“ Überrascht drehte sich die Blauhaarige zu ihm herum: „O-Okay?“ Daraufhin schritt sie neugierig auf den jungen Mann zu: „Was ist denn?“ „Es geht um die Schule“, setzte er an. Das irritierte Rin jedoch gänzlich. Sie dachte er wollte ihr noch mehr Arbeit aufhalsen oder dergleichen. „Wie Schule? Wegen was denn?“, legte das Mädchen den Kopf schief. „Du könntest dein Stipendium verlieren“, erwähnte der Ältere vorsichtig, „Willst du das wirklich riskieren?“ Genervt schnaubte die Blauhaarige und verschränkte die Arme: „Ich wüsste nicht was dich das angeht.“ „Und wann gedenkst du dich dem Schwimmunterricht endlich zu stellen?“, ließ der Schwarzhaarige nicht nach, „Das ist ja kein Zustand, dass du Angst vor Wasser hast. Immerhin ist das ja sogar dein Element.“ „Es geht dich trotzdem nichts an“, murrte die Oberschülerin genervt und widmete sich wieder ihren Papierhaufen. Kuro hingegen ließ noch immer nicht von ihr ab: „Ich könnte dir helfen, wenn du mir das Problem schilderst.“ Statt einer Antwort erhielt der junge Mann jedoch nur Schweigen. Rin hatte absolut keine Lust dieses Gespräch mit ihm zu führen. Es würde sowieso im Sand verlaufen, denn ihr Gegenüber konnte ihr nicht einfach so die Angst vorm Wasser nehmen. Und dafür zu sorgen, dass sie das Schwimmen sausen lassen durfte, würde er sicherlich nicht. Diesen Gefallen würde er ihr nie und nimmer tun. Nach einer gefühlten Ewigkeit der Stille, stand der Suzuki-Erbe schließlich vom Stuhl auf und begab sich zur Blauhaarigen, welche auf dem Boden zwischen Papierbergen saß. Direkt neben ihr ging er in die Hocke und fragte ihr erneut Löcher in den Bauch: „Warum hast du Angst vor Wasser? Theoretisch kann dir doch rein gar nichts passieren. Das ist dein Element.“ Wieder ignorierte die Stipendiatin seine Neugierde und machte einfach weiter mit ihrem Tun. „Willst du wirklich von der Schule fliegen? Ich kann nichts tun, wenn du nicht ein wenig auf mich zukommst“, versuchte Kuro ihr ernsthaft zu helfen. Vielleicht war auch ein großer Hauch Neugierde mit dabei, aber in vielerlei Hinsicht wäre es auch für ihn unvorteilhaft, wenn Rin von der Schule fliegen würde. Er war es, der ihr blindlinks ein Stipendium gab. Wie würde es aussehen, wenn sie nach wenigen Monaten schon wieder von der Schule fliegen würde? Das würde kein gutes Licht auf den jungen Mann werfen. Er hatte sowieso schon mit Neidern zu kämpfen, die ihn für zu jung empfanden und um seinen Posten kämpften. Außerdem wäre es unvorteilhaft, wenn er dadurch seine Assistentin verlieren würde. Zwar wäre es halb so schlimm, wenn die Blauhaarige nicht an der Akademie zur Schule ging, allerdings würde somit auch der Deal platzen. Dann wäre sie nicht mehr verpflichtet für ihn zu schuften. Und der Suzuki-Erbe war sich sicher, dass das Mädchen nicht freiwillig für ihn weiterarbeiten würde. Mit einem lauten Schnauben versuchte er erneut zu ihr durchzudringen: „Willst du wirklich so gar nichts dazu sagen? Du weißt doch, dass ich in einer Position bin, in der ich dir unter die Arme greifen kann.“ „Du kannst mir nicht helfen“, rührte sie sich endlich, „Das kann keiner.“ „Versuch es doch wenigstens und sag mir was das Problem ist“, redete Kuro weiter auf sein Gegenüber ein. „Wenn du mir wirklich helfen willst, dann befrei mich einfach vom Schwimmunterricht“, sah die Blauhaarige ihn außergewöhnlich ruhig, aber mit genervter Miene an. Wieder schnaubte der junge Mann laut: „Ich kann dich aber nicht grundlos freistellen.“ „Dann denk dir einen Grund aus oder lass mich in Ruhe damit“, murrte das Mädchen. „Du wirst früher oder später dein Stipendium verlieren, wenn du weiter so stur und ignorant bleibst“, meckerte er nun. „Was geht’s dich an?“, keifte die Oberschülerin ihn sauer an, „Dann such dir eben einen anderen Depp, der deinen Scheiß erledigt!“ Wutentbrannt sprang Rin daraufhin auf und stapfte zur Tür: „Ich mache Feierabend!“ „Lass dich fahren. Es ist schon spät“, rief der Schwarzhaarige hinterher. Jedoch war die Jüngere so schnell davongelaufen, dass sie seine Worte vermutlich nicht mehr vernommen hatte. „So eine Ignorantin“, knurrte Kuro sauer und setzte sich wieder hinter den Computer. Kapitel 23 - Scheinheilige Absichten ------------------------------------ Montag, 27. April 2015   Ausgepowert fiel Rin der Länge nach auf ihr Bett, als sie spät am Abend ins Wohnheim zurückkam. Nicht nur ihr Assistenzjob verlangte im Moment einiges von ihr ab, nein, denn auch der Schulstoff bereitete ihr einige Schwierigkeiten. Sie war sowieso schon niemand der leicht lernte und selbst an der staatlichen Aehara Schule gehörte sie im Durchschnitt zu den Schlechteren. Beim Niveau der Suzuki Akademie grenzte es eigentlich schon an ein Wunder, dass sie noch nicht wieder rausgeschmissen wurde. Rin wusste nur zu gut, dass die Akademie schwer war. Aber ihr liebster Sport zog sie nun mal dorthin. „Du bist heute schon wieder ziemlich spät dran“, stellte Skye fest, welcher in der Sitzecke an seiner Spielekonsole hing. „Ja ich weiß“, hörte man Rins gedämpfte Stimme durch das Kissen, „Aber dafür habe ich das Chaos in Kuros Büro fast bewältigt.“ „Na dann“, war der Kleine in sein Spiel vertieft. Unterdessen stand die Blauhaarige wieder vom Bett auf und kramte in ihrer Schultasche. Heute Morgen hatte Shina ihr das versprochene Klapphandy gegeben, welches Rin nun endlich in Betrieb nehmen wollte. Dazu kam sie den lieben langen Tag leider nicht. Eine neue SIM-Karte mit alter Nummer hatte sie sich schon zugelegt, weswegen sie das Telefon recht schnell nutzen konnte. Kaum war es jedoch endlich hochgefahren, bekam die Oberschülerin eine Flut an Benachrichtigungen. Nach und nach schaute sie alles durch und richtete sich das kleine Gerät nach ihren Wüschen ein. Sie hatte nicht nur etliche verpasste Anrufe von Saito, sondern auch zwei von ihrem Sandkastenkumpel Shuya. Dazu schrieb er ihr auch noch eine Nachricht, ob sie sich vielleicht mal wieder treffen wollten. Auch von Akira hatte das Mädchen eine SMS erhalten. Dieser fragte ähnliches und schien etwas Smalltalk halten zu wollen. Von Kuro hatte sie ebenfalls Nachrichten erhalten, aber das war ihr sowieso schon klar und interessierte sie eher weniger. Nachdem die Oberschülerin endlich mit dem Beantworten fertig war, stand Skye plötzlich vor ihr: „Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um zu trainieren.“ „Was?“, verstand das Mädchen nicht so recht. „Du kannst noch immer kein Wasser kontrollieren“, kam es ruhig aus dem Jüngeren, „Schon vergessen?“ „Es ist Mitternacht!“, fiel die Blauhaarige aus allen Wolken. Irritiert über diese Aussage legte der Grundschüler seinen Kopf schief: „Ja und? Das ist die perfekte Zeit, um ungestört zu trainieren.“ „Nein, ich will lieber schlafen“, jammerte die Ältere.   Wenig später hatte es Skye geschafft die Oberschülerin zur Schwimmhalle im Keller zu bewegen. Allerdings standen die beiden ratlos vor einer völlig vereisten Eingangstür, welche sich keinen Millimeter bewegte. „Was ist denn hier los?“, rüttelte Rin wie eine Irre an der Türklinke. „Irgendjemand scheint den Durchgang absichtlich verschlossen zu haben“, grübelte der Schwarz-Blauhaarige, „Scheinbar jemand mit speziellen Kräften.“ Nun wurde auch das Mädchen neugierig: „Du meinst hier gibt es einen Schüler, der Eis kontrollieren kann? Aber warum sollte derjenige dann die Tür vereisen?“ „Ich frage mich eher, warum das so offensichtlich zur Schau gestellt wird. Das ist gefährlich, wenn unbeteiligte etwas spitzbekommen“, schnaubte der Jüngere genervt, „Muss ich hier denn auf alle aufpassen oder was?“ „Du machst dir viel zu viele Gedanken um unnütze Dinge. Viel interessanter ist doch wer das war“, war die Stipendiatin völlig aufgedreht. Wieder schnaubte der Grundschüler genervt und entfernte sich von der Tür: „Ich habe da schon so eine Ahnung. Wahrscheinlich hat sich die Person in der Schwimmhalle eingeschlossen, um ungestört zu sein. Wenn wir in der Eingangshalle warten werden wir früher oder später jemanden aus dem Keller kommen sehen.“ „Der Keller ist groß. Da ist doch nicht nur das Schwimmbad“, verstand Rin nicht so ganz, „Theoretisch könnten da auch noch andere Schüler hochkommen.“ „Guck dich doch mal um. Hier ist keine Menschenseele und das Licht in den anderen Räumen ist auch ausgeschaltet“, erklärte Skye scharfsinnig. Gesagt, getan blickte das Mädchen in die entsprechende Richtung, um festzustellen, dass ihr Gegenüber recht hatte. Schließlich machte sie sich auch auf den Weg und die beiden ließen sich erstmal in einem Sessel in der Eingangshalle nieder. Mutterseelenallein saßen sie dort und warteten darauf, dass etwas geschah. Durch das gedimmte Licht wirkte die große Halle fast schon ein wenig gruselig und Rin wäre am liebsten wieder ins Bett gekrochen. Aber etwas Gutes hatte das Ganze: Sie konnte sich vor dem grausamen Training drücken. Nach einer Weile wurde die Blauhaarige schläfrig und rutschte tiefer in den Sessel. Auch ihr kleiner Begleiter fläzte bereits quer über dem bequemen Möbelstück und war in sein Videospiel vertieft. Es dauerte nicht lange, da war die Oberschülerin auch schon im Land der Träume versunken.   Wenig später rührte sich tatsächlich etwas und eine Schülerin kam plötzlich aus dem Untergeschoss. Sie hatte einen großen Rucksack auf dem Rücken und trug bequeme Freizeitkleidung. Durch ihre langen eisblauen Haare wusste Skye sofort wen er da vor sich hatte. „Ruri!“, stieß der Kleine aus und eilte zu benannter. Diese blieb ganz perplex stehen und sah den Schwarz-Blauhaarigen irritiert an: „Was machst du denn hier?“ „Ich habe auf dich gewartet“, grinste der Grundschüler. Ängstlich wich die Schülersprecherin daraufhin einen Schritt zurück, denn mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. „Warum hast du den Eingang zur Schwimmhalle vereist? Was hast du da unten gemacht?“, sah der Jüngere fordernd zu ihr hinauf. „Ich bin also aufgeflogen?“, lächelte die Eisblauhaarige schief, „Manchmal gehe ich zur Abwechslung im Schwimmbad gerne Eislaufen. Hin und wieder brauche ich etwas Bewegung.“ Mit einer überraschten, aber auch ernsten Miene schien der Kleine nicht ganz fassen zu können was er eben gehört hatte: „Du machst was?! Du kannst das ganze Schwimmbad zu einer Eisfläche formen?“ „Warum überrascht dich das? Rin hat doch scheinbar auch übernatürliche Kräfte“, verstand Ruri seine Reaktion nicht. „Mich irritiert weniger, dass du Eis formen kannst. Was mich überrascht ist das Ausmaß deiner Kraft“, erklärte der kleine Mann. Kurz überlegte sein Gegenüber: „Hm… Findest du? Für mich ist das kaum noch etwas Besonderes. Ich könnte noch viel größere Flächen vereisen.“ „Du hast diese Kraft schon relativ lange oder?“, überlegte der Grundschüler. „Kann schon sein“, lächelte das Mädchen sanft, „Ich erinnere mich nicht mehr so genau.“ „Aber weißt du“, setzte der Jüngere an, „Wenn du nicht vorsichtiger bist, kannst du ziemlich schnell auffliegen. Das ist wirklich gefährlich.“ „Ich habe mich ja nicht verraten. Der Eingang zum Schwimmbad war verriegelt. Keiner kann nachweisen, dass ich das mit meinen Kräften geschaffen habe“, erklärte das Mädchen ruhig. Dies stellte Skye nur halb zufrieden: „Pass trotzdem auf. Leute könnten anfangen nachzuforschen. Das kann nicht nur Konsequenzen für dich, sondern auch für andere deiner Art haben.“ „Ich passe schon auf“, lächelte die Schülersprecherin sanft und verabschiedete sich daraufhin. Zwar hatte der Schwarz-Blauhaarige nun Gewissheit wer sich hinter dem Eiselement verbarg, war aber dennoch ein wenig in Sorge. Obwohl Ruri definitiv vernünftiger war als Rin. Immerhin musste er sich noch lange nicht so sehr um die Schülersprecherin sorgen wie um die blauhaarige Chaotin. Dennoch hatte er ein flaues Gefühl in der Magengegend.     Velvet Room   Ich spürte, wie mir etwas Nasses in die Schuhe lief und schreckte auf. Erneut befand ich mich in der blau schimmernden Folterkammer, genannt Velvet Room. Das einzig Gute an diesem Raum war wohl der angenehme Duft nach frischem Regen. „Warum bin ich denn jetzt schon wieder hier?“, krallte ich mich mit einer Mischung aus Panik und Unlust an einem kleinen Felsbrocken fest. Diesen versuchte ich zu erklimmen, um aus dem knöchelhohen Wasser herauszukommen. Es war mir immer noch unbegreiflich wie es sein konnte, dass an den Wänden kleine Wasserfälle herabliefen, aber der Wasserspiegel einfach nicht anstieg. „Willkommen in meinem Velvet Room, Rin-chan“, vernahm ich die eigenartige Stimme dieses alten Mannes. „Was willst du nur immer von mir?!“, war ich wirklich genervt, „Hör auf mich ständig zu entführen!“ „Es obliegt nicht meiner Macht dich herzuführen. Allein dein Schicksal entscheidet dies“, kicherte Igor mal wieder auf seine verrückte Art. „Schicksal hin oder her! Ich habe mein Leben selbst in der Hand!“, meckerte ich ihn an. „Dann zeig uns auch in Zukunft was in dir steckt und meistere alle deine Aufgaben“, trat nun auch Jayjay in mein Blickfeld. Dieses Mal hatte sie wieder einen Flechtzopf. Das war dann wohl wieder die ruhigere Version. Mal ehrlich. Aus diesem Mädchen wurde ich einfach nicht schlau. „Ah, da fällt mir was ein“, lenkte ich plötzlich vom Thema ab, „Jayjay, als ich dich zuletzt gesehen habe warst du im Wohnheim und du warst ein Junge!“ Die Platinblonde legte leicht ihren Kopf schief und begann zu grübeln: „Ich kann mein Geschlecht nicht ändern. Und ich erinnere mich an nichts dergleichen. Du scheinst mich zu verwechseln.“ Komisch. Ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass sie es war. Und sie sah mit den kurzen Haaren und der langen Hose wirklich wie ein Junge aus. Allerdings machte es generell keinen Sinn sie im Wohnheim gesehen zu haben. Wenn sie im Velvet Room zwischen Traum und Realität existierte, dann war sie doch eigentlich gar nicht echt, oder? Aber ich war auch hier. Also war sie doch echt? Oder wurde sie in der echten Welt zu einem Jungen und verlor anschließend die Erinnerungen, wenn sie wieder zurückkehrte? „Ich werde hier noch verrückt!“, schrie ich und raufte mir die Haare. „Seit deinem letzten Besuch hast du weitere soziale Fortschritte gemacht“, ignorierte die Assistentin meinen Wutausbruch und starrte auf ihr Tablet, „Du bist neue Bündnisse eingegangen mit der Liebenden und der Stern Arcana. Außerdem sind der Streitwagen, das Schicksalsrad, die Kraft und der Narr aufgestiegen. Das ist ein guter Anfang. Weiter so und dein Schicksal wird sich zum Positiven wenden.“ „Zum Positiven?“, war alles was bei mir hängenblieb, „Sieht meine Zukunft etwa so düster aus oder was willst du damit sagen?“ „Du sagtest eben noch, dass du dein Schicksal selbst in die Hand nimmst. Schau, wo es dich hinführt“, lächelte das Mädchen freundlich. Trotz allem waren ihre Worte genauso nichtssagend wie die des alten Knackers. Dieser schaltete sich nun auch wieder ins Geschehen ein: „Zuletzt darf ich dir noch zum Bestehen deiner ersten großen Herausforderung gratulieren. Du hast es geschafft die Feuerprinzessin zu retten und ihre Gunst für dich zu erlangen.“ „Feuerprinzessin?“, blickte ich sichtlich verwirrt drin, „Meinst du Ami? Warum redest du nicht normal?“ Mein Jammern ignorierend setzt Igor kichernd fort: „Wirst du deine nächste Aufgabe auch meistern?“ Während er scheinbar Spaß hatte, war ich mehr als nur genervt: „Warum sollte ich dein blödes Spiel mitspielen? Ami habe ich nur gerettet, weil sie meine beste Freundin ist! Such dir jemand anderen, der deine Opfer da wieder rausholt! Ich habe keine Zeit! Schule, Lernen, Prüfungen, Lacrosse, Stipendium nicht verlieren, Kuros Mist aufräumen, Ami erklären, dass Yoshida-kun auf mich steht, …“ Ich merkte wie meine Worte immer leiser wurden, obwohl ich krampfhaft versuchte lauter zu reden. Auch der Raum entfernte sich immer weiter und weiter aus meinem Sichtfeld, ehe es stockfinster vor meinen Augen wurde.   Noch immer hing Rin tief schlummernd im Sessel, als Skye soeben wieder auf sie zugelaufen kam. Er wollte sie wecken, um endlich ins Bett zu gehen. Ruri hatte er ja bereits enttarnt und für eine Trainingseinheit der Blauhaarigen war es nun wirklich schon viel zu spät. Das musste er einsehen. Noch bevor er das Mädchen sanft rütteln wollte, zuckte diese plötzlich heftig zusammen und fiel mit einem dumpfen Geräusch von dem bequemen Möbelstück. „Aua~“, jammerte die Oberschülerin verschlafen und rieb sich den Hintern. Langsam rappelte sie sich schließlich wieder auf und schaute sich bedröppelt um: „Eingangshalle? Diese Traumteleportation macht mich wahnsinnig.“ Herzhaft gähnend torkelte die Stipendiatin daraufhin Richtung Aufzug, um zu ihrem Zimmer zu gelangen und weiterschlafen zu können. „Ist sie wach oder schlafwandelt sie?“, schaute der Schwarz-Blauhaarige ihr verwirrt hinterher, eher er ihr folgte.     Dienstag, 28. April 2015   Es war früher Abend, als Saito das Oberschulgebäude der Suzuki Akademie betrat. Am Morgen erhielt er einen Anruf bezüglich Rin. Genaueres wurde ihm leider nicht vermittelt. Lediglich um ein persönliches Gespräch mit dem Erziehungsberechtigten wurde gebeten. Auch war der Blonde sich nicht sicher, mit wem er über seine Schwester reden würde. Etwa der Klassenlehrer? Zudem hieß es, dass er der Blauhaarigen nichts von dem Treffen erzählen dürfe. Also konnte er diese auch nicht aushorchen und nachfragen was sie verbrochen hatte. Er kannte den kleinen Heißsporn und wusste, dass sie schnell mal den Kopf verlieren konnte. Allerdings war er absolut ratlos was sie angestellt haben könnte. Vielleicht hatte sie jemanden beleidigt? Oder hatte sie etwa irgendwas demoliert, wenn auch unabsichtlich? Immerhin war Rin in mancher Hinsicht wirklich tollpatschig. Aber warum sollte sie es dann nicht erfahren? Oder ging es etwa um ihre schulische Leistung? Saito wusste nur zu gut, dass seine Schwester nicht so berauschend in der Schule war. Und dann auch noch die Suzuki Akademie mit dem extrem hohen Lernniveau. Allerdings waren seine Gedanken unlogisch, denn die Prüfungen standen erst noch bevor. Die Stipendiatin konnte noch gar keine nachgewiesenen schlechten Leistungen erbracht haben. Nachdenken brachte den jungen Mann nicht weiter, weswegen er schnellen Schrittes zum Lehrerzimmer eilte. Mit einem Klopfen meldete er sich an: „Guten Tag, ich bin Saito Aikawa. Ich wurde wegen Rin zum Gespräch gerufen.“ Sofort kam ein brünetter junger Mann auf ihn zu: „Guten Tag, Aikawa-san. Ich bin Nishima, der Klassenlehrer Ihrer Tochter.“ „Freut mich Sie kennenzulernen Nishima-sensei“, kratzte sich der Blonde verlegen am Hinterkopf, „Ähm ja… also Tochter ist nicht ganz richtig. Aber ich bin auf alle Fälle der Erziehungsberechtigte.“ „Oh wie unaufmerksam, entschuldigen Sie. Mir war die Familiensituation meiner neusten Schülerin nicht bewusst“, war der junge Lehrer ein wenig aufgebracht. Saito grinste nur schief: „Schon okay, es ist ein wenig kompliziert. Aber das ist nicht der Grund für mein Erscheinen nehme ich an?“ „Natürlich nicht“, schüttelte der Brünette den Kopf, „Es geht um Aikawa-sans Stipendium. Der Direktor möchte Sie deswegen gerne persönlich sprechen.“ Also ging es doch um Rins schlechte Leistungen? Da lag Saito wohl gar nicht so daneben mit seiner Vermutung. Wobei es natürlich auch sein könnte, dass sie es durch schlechtes Benehmen verlieren könnte.   Rasch hatte der Klassenlehrer den Blonden zum Direktorat geführt und war auch genauso schnell wieder verschwunden. Zurück blieb ein unsicherer junger Mann, welcher mit sich haderte anzuklopfen. Er wollte definitiv wissen was seine Schwester angestellt hatte. Allerdings hatte er echt große Angst, dass sie irgendwelchen Blödsinn verzapft hatte und er sich nun Schimpfe für schlechte Erziehung anhören musste. Tief atmete der Student durch, ehe er endlich klopfte und direkt hereingebeten wurde. „Guten Tag, mein Name ist Saito Aikawa. Ich wurde wegen Rin hergebeten?“, verbeugte der Blonde sich höflich. „Hallo Aikawa-san. Schön, dass Sie so schnell kommen konnten. Ich bin Ayumu Kuroya Suzuki, der momentan leitende Direktor der Suzuki Akademie und Schüler der 2C“, erhob sich Kuro von seinem Stuhl und verbeugte sich leicht. Völlig von der Rolle starrte der Student wie versteinert auf den jüngeren Schwarzhaarigen vor sich. Saito musste erstmal verarbeiten was er soeben hörte, denn er wollte nicht glauben, dass ein Schüler gleichzeitig auch der Direktor einer Schule war. „W-Was…?“, war alles was der Ältere zu diesem Zeitpunkt zu Stande brachte. Er wurde doch soeben auf den Arm genommen, oder? Das konnte nur ein schlechter Witz sein. Tausend Fragen machten sich in seinem Kopf breit und er wusste gar nicht welche er zuerst stellen sollte. „Setzen Sie sich doch bitte“, deutete der Suzuki-Erbe mit einer Hand auf den Stuhl vor seinem Pult, ehe auch er sich wieder hinsetzte. Noch immer perplex tat der Blonde wie ihm geheißen und nahm Platz. „Ich weiß, dass es eigenartig erscheint, dass ich als Schüler und Direktor vor Ihnen stehe, aber das ist kein Scherz“, konnte Kuro scheinbar Gedanken lesen, „Eigentlich leitet mein Großvater die Akademie. Allerdings liegt er seit einer Weile im Krankenhaus und würde ich als Erbe mich nicht um die Akademie kümmern, wäre sie in fremde Hände abgegeben worden. Ich weiß, dass einige scharf auf diesen Posten sind. Allerdings weiß ich auch, dass sie diesen Job nicht mit den gleichen Prinzipien ausführen würden wie mein Großvater das gerne möchte. Deswegen vertrete ich ihn.“ „O-Okay“, stotterte der Ältere überrumpelt, „Das beantwortet fast alle meine Fragen.“ „Fast?“, hakte der Schwarzhaarige nach. Er wusste mittlerweile was die Leute dachten, wenn sie einen Schüler als Direktor vorgesetzt bekamen. Deswegen hatte er auch direkt alle Antworten parat, bevor eine Frage überhaupt ausgesprochen war. Der Suzuki-Erbe wusste ebenfalls, dass es nichts brachte irgendwelche halben Geschichten zu erzählen, weswegen er offen davon berichtete, dass der eigentliche Direktor krank war. „Ja, ich weiß noch immer nicht warum ich vorgeladen wurde“, erklärte der Blonde. „Darf ich mir zuvor noch eine andere Frage erlauben?“, wechselte der stellvertretende Direktor das Thema. Ein Nicken seines Gegenübers signalisierte ihm Zustimmung, weswegen er besagte Frage stellte: „Sie sind nicht Rin-chans Vater, oder? Wie stehen Sie zu ihr? Beziehungsweise wo sind ihre Eltern?“ „Ja das stimmt“, kratze sich der Student verlegen am Hinterkopf, „Rin ist meine kleine Schwester. Unsere Eltern sind leider nicht in der Lage sich um sie zu kümmern, deswegen mache ich das. Es tut mir leid, wenn sie Ihnen irgendwelche Schwierigkeiten gemacht hat.“ Sofort winkte Kuro ab: „Nein, nein sie hat nichts angestellt. Ich war einfach neugierig, Entschuldigung. Sie brauchen mich übrigens nicht so förmlich anzusprechen. Immerhin bin ich jünger.“ „Na da bin ich ja erleichtert, dass sie keinen Blödsinn gemacht hat. Wenn das so ist, dann brauchst du mich auch nicht förmlich anzusprechen. Wir haben ja keinen großen Altersunterschied“, lachte der Blonde. „Nun denn, kommen wir zum eigentlichen Thema“, setzte der Schwarzhaarige an. Daraufhin erklärte er dem Älteren wie es um Rins Stipendium stand und, dass es Probleme mit ihrer Angst vorm Wasser gab. „Hm… ja. Das ist in der Tat kein neues Problem“, erklärte Saito, „Meine Schwester hatte schon an anderen Schulen dasselbe Theater was den Schwimmunterricht anbelangt. Aber da konnte man ihn einfacher umgehen. Das mit dem Sportstipendium ist natürlich eine verzwickte Angelegenheit.“ „Gibt es denn vielleicht eine Möglichkeit ihr die Angst zu nehmen? Ansonsten brauchen wir erzwingend ein ärztliches Artest. Ich kann das Stipendium nicht anerkennen, wenn sie im Sport durchfällt“, erklärte der Jüngere ernst die einzigen Auswege aus diesem Schlamassel. „Keine Chance“, schnaubte der Student, „Es ist unmöglich ihr die Angst zu nehmen. Die hat sie schon seit sie ein Kleinkind ist. Kein Psychologe oder Arzt dieser Welt hat bisher irgendetwas verändern können. Andererseits will auch kein Arzt ein Artest ausstellen, weil sie der Meinung sind, dass es keinen Grund dazu gibt. Sie sind der Meinung, dass Rin ein bockiges Kind ist, dass einfach nur keine Lust hat. Blöderweise hat sie nämlich vergessen warum sie Angst hat.“ „Das macht keinen Sinn. Sie hat Angst durch ein prägnantes Ereignis, kann sich aber nicht mehr daran erinnern? Und trotzdem hat sie Angst?“ blickte Kuro irritiert drein. Der Blonde schnaubte einmal schwer, ehe er versuchte dieses schwierige Thema zu erläutern: „Die Ärzte sagen, dass sie eine retrograde Amnesie hat. Durch ein traumatisches Ereignis vergisst man dieses und alles was davor geschah. Mit der Zeit kamen natürlich die Erinnerungen bestimmter Kleinigkeiten wieder. Aber an das ausschlaggebende Geschehen kann sie sich noch immer nicht erinnern. Vielleicht wird sie sich auch niemals wieder daran erinnern, was nicht unbedingt schlecht ist. Allerdings reagiert ihr Körper unweigerlich darauf und sie bekommt Angst. Die Ärzte sagen, dass sie sich dieser Angst stellen soll, um sie zu überwinden.“ „Ihr Unterbewusstsein erinnert sich also noch an das Trauma? Das ist sehr verwirrend, aber ich habe darüber schonmal etwas gelesen“, überlegte der Schwarzhaarige, „Nur blöderweise löst das noch immer nicht das momentane Problem. Ich verstehe nur nicht, warum sie mir nicht schon längst davon erzählt hat. Immerhin habe ich sie deswegen extra gefragt. Sie ist echt eine Idiotin.“ Während sich der Suzuki-Erbe zähneknirschend darüber aufregte, dass Rin nichts gesagt hat, musste sein Gegenüber schmunzeln: „Kann es sein, dass du mich nicht als Rektor dieser Schule zu dir gerufen hast, sondern als Freund der sich sorgt?“ „Hä?!“, fiel der Jüngere aus allen Wolken, „Wie kommst du denn darauf? Diese Trottelin ist eine Klassenkameradin und außerdem meine Assistentin. Ich bin einfach nur kein Unmensch.“ Mit verschränkten Armen und einem leichten Rosefarbschimmer auf den Wangen, sah der Oberschüler ertappt zur Seite. Erneut musste Saito leicht lachen: „Ich bin froh, dass meine trottelige Schwester einen Kameraden gefunden hat, der sich um sie sorgt. Ehrlichgesagt hatte ich wirklich Angst, dass sie hier an der Schule gemobbt wird, weil wir keine Reichtümer vorweisen können. Und ich dachte ihr Assistenzjob wäre erniedrigende Lakaien-Arbeit. Jetzt wo ich weiß, dass es nicht so ist, geht es mir schon viel besser.“ Ertappt wanderte Kuros Blick nervös hin und her. Er konnte nach dieser Aussage dem Älteren nicht mehr ins Gesicht sehen, denn er hatte Unrecht. Der Schwarzhaarige war alles andere als ein Kamerad, der sich sorgte. Er machte sich pausenlos über Rin lustig und zog sie mit allerlei Dingen auf. Zudem bürdete er ihr einen Haufen Arbeit auf, ohne ihr zu erklären wie sie funktionierte. Außerdem hatte er in ihrer Gegenwart oft einen überheblichen Unterton und benahm sich teilweise wirklich daneben. Aber das konnte er ihrem Bruder schlecht sagen. Schließlich hatte der Oberschüler sich ihm gegenüber mit Absicht von seiner besten Seite gezeigt, um an Informationen zu gelangen. Als freundlicher Direktor hatte er da logischerweise mehr Chancen als ein mobbender Mitschüler. „Ach was, du musst dir keine Sorgen machen. Eine gewisse Strenge muss zwar sein, aber gemobbt wird deine Schwester nicht. Außerdem ist sie ziemlich hart im Nehmen und weiß sich zu wehren“, winkte der Schwarzhaarige ab. „Aber eine harte Schale hat auch einen ziemlich weichen Kern. Deswegen bin ich froh, dass sie jemanden hat der zu ihr hält“, lächelte der Blonde. „Ja…“, haderte der Suzuki-Erbe mit sich, „Jetzt, da ich im Bilde bin, überlege ich mir etwas bezüglich ihres Stipendiums. Ich schaue mal was ich erreichen kann.“ „Das ist wirklich super, danke. Halte mich bitte auf dem Laufenden. Ich muss mich ja um die Versetzung kümmern, wenn es wirklich so weit kommt“, bat der Ältere den Jüngeren. Zustimmend nickte Angesprochener: „Mache ich. Tu du mir nur den Gefallen und sag ihr nichts von unserem Gespräch. Ich will nicht, dass sie denkt ich sei ihr in den Rücken gefallen.“ „Ich weiß ja wie stur sie manchmal sein kann. Da wundert es mich nicht, dass du mich um Rat gefragt hast. Du machst dir ja auch nur Sorgen“, verstand Saito voll und ganz die Beweggründe des jungen Mannes. Nach weiterem Smalltalk verabschiedeten sich die beiden schließlich. Dem Blonden fiel ein großer Stein vom Herzen, während Kuro bedrückter war denn je. Deprimiert ließ er seinen Kopf auf die Tischplatte sinken und hasste sich fast schon ein wenig selbst.   Kapitel 24 - Ignoranter Sturkopf -------------------------------- Donnerstag, 30. April 2015   Als die ersten Strahlen der Morgensonne den Raum fluteten, rieb sich Rin verschlafen die Augen. Durch das grelle Licht, welches ihr direkt ins Gesicht schien, wurde sie aufgeweckt. Allerdings hatte die Blauhaarige absolut keine Lust aufzustehen und zog sich die Decke über den Kopf, während sie sich nochmal umdrehen wollte. Plötzlich stieß sie jedoch einen grellen Schrei aus, als sie in der Bettdecke eingerollt der Länge nach auf dem Boden aufschlug. „Aua“, öffnete das Mädchen langsam die Lieder und sah sich irritiert um. Normalerweise war auf dieser Bettseite doch noch genug Platz. Wieso also war sie aus dem Bett gefallen? Verschlafen schaute sie sich im Raum um, als es plötzlich an der Tür klopfte. Herein kam eine rosahaarige junge Frau in einer Maid-Uniform: „Ist alles in Ordnung Rin-chan?“ „Shizuka?“, versuchte sich die Oberschülerin aufzurichten, „Was machst du hier? Wo bin ich überhaupt?“ „Du bist im Suzuki Anwesen. Hast du das vergessen?“, erklärte das Hausmädchen. „Ach so“, schien sich die Blauhaarige vage zu erinnern. „Der junge Herr lässt ausrichten, dass du dich nochmal bei ihm melden sollst, bevor du das Anwesen verlässt“, erklärte die Rosahaarige, welche kurz darauf wieder den Raum verließ. Was war letzte Nacht bloß passiert? Sie konnte sich noch daran erinnern, dass sie es endlich geschafft hatte das Durcheinander in Kuros Büro aufzuräumen. Aber was war dann? Und warum schlief sie in einem der Gästezimmer? Das Mädchen konnte sich absolut nicht erklären wie sie ins Bett gelangt war, geschweige denn wann sie einen Pyjama angezogen hatte. Normalerweise schlief sie nie in so etwas, sondern in irgendwas, das gerade herumlag. Nach längerem Grübeln beschloss sie schließlich, dass es nichts brachte und zog sich eilig wieder ihre eigene Kleidung an. Sie wollte schnell ins Büro zurück, um sicherzugehen, dass sie die Arbeit wirklich erledigt hatte. Könnte ja auch sein, dass sie das Ganze nur geträumt hatte. Immerhin waren ihre Erinnerungen an den vorherigen Abend ziemlich schwammig. Außerdem hoffte sie den Suzuki-Erben dort anzutreffen. In besagtem Raum angekommen war von dem Schwarzhaarigen keine Spur zu sehen, was Rin ein wenig nervte. Er wollte doch, dass sie sich bei ihm meldete. Wo war er also? Nichtsdestotrotz ärgerte sich die Blauhaarige nicht lange darüber, denn als sie sah wie ordentlich es war, konnte sie freudig aufatmen. Sie hatte es wahrhaftig endlich geschafft die Papierberge zu bewältigen und ihren Job erledigt. Wenn auch einen Tag zu spät. Aber sie hatte es geschafft und nur das zählte in diesem Moment für sie. „Na ja, wenn Kuro nicht hier ist, dann muss er eben noch ein bisschen warten“, verließ sie das Büro wieder, „Ich habe jetzt erstmal Hunger.“ Mit diesen Worten schlenderte sie in die große Küche, in der Hoffnung etwas zu Essen abzustauben. Dort stand ein älterer Herr vor dem Herd und schwenkte etwas in der Pfanne. Er war recht breit und groß gebaut und hatte kurzes schwarzes Haar, welches noch ein wenig unter seiner Kochmütze herausschaute. Auch einen kurzen Bart hatte er sich stehenlassen. Passend zu seiner Mütze trug er eine schwarz-gelbe Kochjacke und eine schwarze Hose. Wie auch beim Rest des Personals hatte er ebenfalls den Suzuki-Pin angesteckt. „Hallo Takeo“, begrüßte Rin den Älteren. Dieser drehte sich überrascht herum: „Rin? Was machst du denn so früh am Morgen hier?“ „Das ist eine gute Frage“, kratze sich das Mädchen verlegen am Hinterkopf, „Aber ich habe Hunger. Kannst du mir irgendetwas machen?“ „Natürlich. Es dauert aber einen kleinen Moment. Zuerst muss ich das Frühstück des jungen Herren fertig anrichten“, lächelte der Schwarzhaarige herzlich. Verstehend nickte die Oberschülerin und gesellte sich dennoch zu Takeo, um ein wenig zu plaudern. In den letzten Tagen konnte sich das Mädchen mit so manchen vom Personal anfreunden. Eigentlich dachte sie, dass alle Angestellten abgehoben und stinklangweilig sein würden. Aber sie irrte sich, denn sie waren alle sehr nett und herzlich. Plötzlich ging die Küchentür auf und ein jüngerer Bursche stürmte herein. Er hatte dunkelblondes kurzes Haar, welches schon fast hellbraun wirkte und eine ziemlich auffällig breite neongrüne Strähne. Seine rotbraunen Augen bildeten dazu einen ziemlich bunten Kontrast. Unterm Arm trug er ein Longboard mit sich rum, während er auf dem Rücken einen Rucksack geschultert hatte. Zu seinem bisherigen rowdyhaften Erscheinungsbild trug er eine passende schwarze Lederjacke und eine dreiviertel Jeans sowie bequeme Sneakers. „Kuma-sensei! Ich hab verschlafen!“, außer Atem stoppte er und stützte sich an einer der Arbeitsflächen ab. „Habe ich gemerkt“, lachte der Pummelige. Rin hingegen schien etwas verwirrt: „Kuma-sensei? Kuma wie der Bär?“ „Ja klar. Er sieht doch aus wie ein lieber Brummbär“, grinste der Jüngere frech. Unrecht hatte er definitiv nicht, jedoch interessierte sie viel mehr wer der Junge vor ihr war und was er hier zu suchen hatte. Rin war sich ziemlich sicher, dass er jünger sein musste als sie. Vermutlich ein Mittelschüler, welcher rein rechtlich eigentlich noch gar nicht arbeiten dürfte. Oder war er vielleicht Takeos Sohn? „Wer bist du eigentlich?“, fragte die Blauhaarige neugierig. Während angesprochener seine Sachen ablegte und die Lederjacke mit einer übergroßen Kochjacke austauschte beantwortete er knapp die Frage: „Nenn mich einfach Haru. Ich bin Kuma-senseis Lehrling. Und wer bist du?“ „Mich kannst du dann einfach Rin nennen. Ich bin hier als persönliche Assistentin eingestellt“, stellte sich auch die Oberschülerin vor, „Aber bist du nicht zu jung für einen Lehrling?“ Nun mischte sich auch der Schwarzhaarige ins Gespräch ein: „Haru ist ja auch kein Lehrling. Eher so eine Art freiwillige Hilfskraft, die sich sehr fürs Kochen interessiert.“ Verstehend nickte Rin. Sie fand es erstaunlich, dass er freiwillig arbeitete, um Neues zu lernen. Dabei hatten doch gerade Jugendliche eher Spaß an Beschäftigungen wie Sport, Freizeitparks, Shopping, Kino und so weiter. Der Blauhaarigen würde es jedenfalls nicht im Traum einfallen freiwillig in der Küche zu arbeiten. Noch eine Weile blieb das Mädchen dort und schaute gebannt zu. Auch ihr versprochenes Frühstück nahm sie im Stehen zu sich, weil sie mit den beiden so sehr ins Gespräch vertieft war. Gerade als sie mit dem Essen fertig war und ihren Teller in die Spüle stellte, konnte Rin einen kleinen blauen Schmetterling um den Dunkelblonden schwirren sehen. Auch die bekannten Worte drangen wieder an ihr Ohr: „I am Thou. Thou art I.“ Wie es aussah hatte die Blauhaarige einen neuen Social Link geknüpft. Neugierig wie sie war, suchte sie direkt einen ruhigen Ort auf, um nachsehen zu können um welchen es sich handelte. „Ich habe wirklich schon ganz schön viele von diesen Social Links geknüpft“, murmelte sie und suchte den Neusten, „Ah, da ist er ja. XIII. Death?“ Kurz schluckte das Mädchen, denn sie wusste nicht so recht was sie von einem Link halten sollte, der nach dem Tod betitelt war. Sollte das etwa heißen, dass der Junge an der Schwelle des Todes stand? War er etwa in Gefahr oder unheilbar krank? Rin wusste nicht was sie denken sollte und geriet ein wenig in Panik. Am liebsten wäre sie zurück zur Küche gegangen und hätte Haru ausgefragt. Aber sie wusste, dass das ziemlich eigenartig herüberkäme, wenn sie etwas dergleichen täte. Also musste sie subtiler an die Sache rangehen. Nur wie? Während sie gedankenversunken darüber nachdachte was am besten zu tun war, lief sie wie ferngesteuert in der großen Eingangshalle auf und nieder. Erst ein unangenehmes Fingerschnippen gegen ihre Stirn riss sie augenblicklich ins Hier und Jetzt zurück. „Au!“, schrie Rin auf und hielt sich die schmerzende Stelle, während sie den Übeltäter suchte. Natürlich war es kein geringerer als Kuro, der sie so liebevoll wie immer behandelte: „Was treibst du hier, du Nervensäge? Und wo warst du? Shizuka hat mir gesagt, dass du schon seit Ewigkeiten wach bist und Bescheid wüsstest, dass du zu mir kommen sollst!“ „Kannst du mal aufhören mir ständig zu sagen was ich zu tun und zu lassen habe?! Und dieses verdammte Fingerschnippen gegen meine Stirn tut echt weh!“, war die Blauhaarige wieder auf hundertachtzig, „Außerdem habe ich dich gesucht, aber du warst unauffindbar in dieser riesigen Villa!“ „Du arbeitest für mich, schon vergessen? Ich kann dir so viele Befehle erteilen wie ich will“, meckerte der Suzuki-Erbe. Sein Gegenüber hingegen war immer noch nicht einsichtig: „Ich nehme aber keine Befehle entgegen, denn ich bin eine Assistentin und kein Lakai!“ „Na von mir aus“, schnaubte der Ältere sichtlich genervt und zog das Mädchen hinter sich her, „Komm einfach mit und nerv mich nicht.“ „Siehst du? Du machst es schon wieder!“, erntete er erneut das Gemecker seiner Hilfskraft. Statt eines weiteren Wortes, schnaufte Kuro abermals schwer und schwieg. Er wusste, dass er bei der Jüngeren gegen eine Wand redete und hatte keine Lust noch mehr unnötige Kraft in sinnlose Dinge zu verschwenden. Obwohl er definitiv nicht ganz unschuldig an ihrem Gemeckere war. „Was willst du denn nun schon wieder von mir? Ich habe das Büro komplett aufgeräumt und werde in der Golden Week sicherlich nicht auch noch schuften!“, ließ das Mädchen den Schwarzhaarigen nicht mal zu Wort kommen, als sie in besagtem Raum ankamen. „Kannst du denn nicht einmal aufhören so nervig zu sein?“, seufzte der junge Mann schon wieder schwer. Natürlich stieß das erneut auf weitere Widerworte, welche er aber gepflegt ignorierte. Stattdessen zog er eine seiner Schreibtischschubladen auf und entnahm einen Umschlag. „Keine Sorge, deine Golden Week kannst du haben. Dafür brauche ich dich aber am Tag danach von morgens bis abends“, erklärte der Oberschüler ruhig. Doch noch bevor er weitererzählen konnte, wurde er schon wieder unterbrochen: „Wie soll das gehen? Das ist ein Schultag.“ „Wie wäre es, wenn du mich einfach mal zu ende erklären lässt, du Nervensäge?“, war er es langsam wirklich leid. Tatsächlich war sie daraufhin für einen Moment still, denn sie wollte mehr Details dazu wissen. „An diesem Donnerstag bist du und auch Shina von der Schule freigestellt. Das habe ich bereits arrangiert. Hier im Anwesen wird am Abend eine große Feier stattfinden und wir müssen bereits Tage vorher mit den Vorbereitungen beginnen. Am Tag selbst wird es am stressigsten sein, da brauchen wir wirklich jede Hilfe“, gab er die wichtigsten Infos weiter. Verstehend nickte das Mädchen und schwieg. Sie hatte keine Probleme damit der Schule fernbleiben zu dürfen. Obwohl sie sich nicht sicher war, ob es nicht vielleicht doch eine dumme Idee war, denn in der Woche darauf waren bereits Prüfungen und sie musste wirklich jede freie Minute zum Lernen nutzen. Ob sie es tatsächlich auch tat war die andere Frage. „Der Umschlag hier ist für dich. Das ist dein restlicher Lohn von diesem Monat“, wurde Rin von dem Schwarzhaarigen aus ihren Gedanken gerissen. Dankend nahm sie das Geld entgegen und freute sich darüber. Noch nie zuvor hatte sie gearbeitet und dafür etwas bekommen. Nun konnte sie sich zukünftig auch mal etwas größere Anschaffungen leisten oder etwas bei Seite legen. „Zugegeben hast du bisher wirklich gute Arbeit geleistet. Du bist zwar echt lahm und gehst mit deiner Sturheit oft unnötige Umwege, aber am Ende hast du irgendwie alles erledigt. Ich hoffe du arbeitest auch weiterhin so gewissenhaft“, bedankte sich der Ältere mit ernster Miene bei der Oberschülerin. Diese hingegen starrte den Suzuki-Erben mit offener Kinnlade wie versteinert an. War er gerade zwischen seinen ganzen Beleidigungen nett gewesen und hat sich bedankt? Das konnte eigentlich gar nicht sein, oder? Sprachlos wurde Kuro noch immer von ihrem Blick durchlöchert. Sie wollte etwas sagen, wusste aber nicht was. Diese Situation war völlig befremdlich für das Mädchen und jagte ihr einen eisigen Schauer den Rücken hinunter. Der Schwarzhaarige war von ihrer Reaktion hingegen mehr als verwirrt und schaute Rin eigenartig an, ehe er erneut ansetzte: „Übrigens ist diese Handygeschichte noch immer nicht geklärt. Ich habe dir einen Vorschuss auf deinen Lohn gegeben, damit du dir ein vernünftiges Telefon kaufst. Stattdessen trabst du hier schon wieder mit einem alten Klapphandy an. Was war so schwer daran ein einfaches Smartphone zu kaufen? Das Geld hätte gereicht!“ „Du hast mir nicht vorzuschreiben was ich mit meinem Geld kaufe und was nicht!“, löste sich die Starre der Stipendiatin plötzlich, „Ich habe dir klipp und klar gesagt, dass du ein Arbeitshandy organisieren sollst, wenn es dir nicht passt!“ Pampig verschränkte sie die Arme und schaute in eine andere Richtung, woraufhin der junge Mann schon wieder schwer schnaubte. Er hatte es wirklich nicht leicht mit ihr. Andererseits war er an einigen ihrer Reaktionen auch selbst schuld. Erneut zog Kuro daraufhin seine Schreibtischschublade auf und holte eine kleine Schachtel heraus, welche er der Blauhaarigen in die Hand drückte. Diese schaute sie nur verdattert an und verstand nicht recht was soeben passierte: „Hä? Das ist doch das neuste Smartphone von dieser super teuren Marke.“ „Obwohl du so hinter dem Mond lebst weißt du das? Respekt“, pfiff der Suzuki-Erbe einmal provokativ, „Das kannst du haben. Als Arbeitstelefon versteht sich natürlich, was heißt, dass du auf diesem Gerät immer erreichbar sein musst. Natürlich kannst du es auch für private Zwecke nutzen, das ist mir ziemlich egal, denn du musst dir ja auch einen eigenen Vertrag kaufen. Sollte das Gerät aber kaputt- oder verlorengehen musst du dafür aufkommen. Und sobald unser Arbeitsverhältnis endet, musst du es wieder abgeben.“ Mit kritischem Blick musterte Rin abwechselnd das Telefon und den jungen Mann, welcher ihr soeben die Pflichten dieses Gerätes aufzählte. Schließlich hielt sie ihm die originalverpackte Schachtel wieder hin: „Nein danke.“ „Was ist verkehrt mit dir? Das ist ein top Smartphone mit den neusten Funktionen. So etwas könntest du dir derzeit nicht mal im Traum leisten“, kapierte er ihre Reaktion nicht. „Du bist echt ein Idiot!“, schrie die Blauhaarige ihn genervt an, „Denkst du ich bin käuflich oder was? Hast du dir mal selbst zugehört, was ich alles über mich ergehen lassen muss, wenn du mir dieses Ding überlässt? Da habe ich lieber keins!“ Wutentbrannt stürmte Rin mal wieder aus der Tür. Er trieb es erneut auf die Spitze und schien noch nicht mal zu bemerken was genau das eigentliche Problem war. Zwar war dem Mädchen klar, dass es Kuro keineswegs wehtat mal eben ein Telefon zu kaufen, jedoch verletzte es ihren eigenen Stolz. Natürlich hätte sie das kleine Gerät liebend gerne gehabt, aber nicht von ihm und nicht mit all diesen Verpflichtungen. Eher würde sie sich erschießen, als ein Geschenk von diesem reichen Schnösel anzunehmen. Obwohl ein anderes Handy in der Tat keine dumme Idee wäre, denn das Klapptelefon, welches ihr Shina gab, war nicht mehr richtig funktionstüchtig. Scheinbar hatte der Akku einen Wackelkontakt, weswegen ständig alles abstürzte. Und eine von den Tasten klemmte auch hin und wieder.     Samstag, 02. Mai 2015   Wieder einmal war Rin rennend unterwegs, um zur Stadtbibliothek zu gelangen. Dank ihres kaputten Akkus, war ihr Handy über Nacht abgestürzt und der gestellte Wecker ging nicht an. Heute war sie mit ihrer besten Freundin, Amika, zum Lernen verabredet. Außerdem würde auch Akira mit von der Partie sein, was der Blauhaarigen eigentlich gar nicht behagte. Allerdings hatte die Brünette darauf bestanden ihn einzuladen. Vermutlich plante sie eine Art Date, was der Stipendiatin jedoch ein ziemlich mulmiges Gefühl bereitete. Wenn sie ehrlich war, wäre sie lieber zu Hause geblieben, um dieser unangenehmen Situation zu entgehen. Aber sie brauchte nun mal Hilfe beim Lernen und war froh jemanden zu haben der ihr helfen würde. Auch wenn die Mädchen auf unterschiedlichen Schulen waren, so war der Unterrichtsstoff ähnlich. Schwer atmend lief die Blauhaarige schlussendlich in der Bibliothek ein und suchte ihre Freunde, welche schon mit den Köpfen über den Büchern hingen. „Hallo. Tut mir leid, dass ich so spät bin“, schnaufte Zuspätkommende immer noch schwer. „Hey, Rinacchi“, lächelte Amika selbstzufrieden, „Macht doch nichts.“ „Hi. Ich dachte schon, dass du nicht mehr kommst“, grinste der Rotschopf schief. Wüsste es Rin nicht besser, so würde sie behaupten, dass ihre beste Freundin schon versucht hatte sich an den jungen Mann heranzuschmeißen. Akira war nun vermutlich froh, dass er nicht mehr mit ihr alleine war. Seufzend ließ sich Neuhinzugekommene schließlich auf einen der freien Stühle gegenüber der beiden nieder und packte ihre Utensilien aus. Kaum hatte sie sich in ihren Lernstoff eingefunden, musste sie zuschauen, wie die Brünette hin und wieder versuchte sich an den Rothaarigen ranzumachen. Zwar sehr subtil und vorsichtig, jedoch bemerkte Rin es sofort. Immerhin kannte sie ihre Freundin und auch ihre Gefühle. Allerdings bekam sie somit auch viel größere Schuldgefühle, weil sie Amika nie davon erzählte, dass ihr Akira ein Geständnis gemacht hatte. Auch, wenn sich das Mädchen noch immer nicht sicher war, ob er sie nur wieder veralbern wollte oder es dieses Mal erst meinte. Was sollte sie bloß machen, um aus dieser verfahren Situation wieder heil herauszukommen? Erneut stieß sie einen tiefen Seufzer aus, sodass diesmal auch ihre Lernpartner besorgt zu ihr aufschauten. „Ist alles okay, Aikawa-chan?“, war der junge Mann besorgt. „Fällt es dir so schwer den Stoff zu verstehen?“, versuchte auch die Brünette auf sie einzugehen, „Es ist irgendwie blöd, dass wir nicht mehr auf der gleichen Schule sind. Da ist das gemeinsame Lernen schwieriger. Vor allem wenn man bedenkt, dass der Stoff der Suzuki Akademie um einiges schwerer ist.“ Entmutigt seufzte die Blauhaarige erneut. Nicht nur, dass ihr die aktuelle Situation Schwierigkeiten bereitete, nein. Auch der Schulstoff wollte einfach nicht in ihren Kopf. Aber sie musste sich anstrengen, um ihr Stipendium behalten zu können. „Die Schule ist wirklich nicht leicht und teilweise weiß ich gar nicht was ich da eigentlich tue. Keine Ahnung wie ich die Prüfungen bestehen soll“, sackte Rins Kopf auf die Tischplatte. Nach gutem Zureden der anderen beiden konnte das Mädchen aber schließlich wieder ein klein wenig Mut fassen und erhob sich: „Ich gehe mal eben zur Toilette, dann hänge ich mich wieder rein.“   Auf der Toilette klatschte sich die Blauhaarige eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Zwar überlegte sie kurz, ob sie jetzt wirklich auch noch mit einer Wassermenge in Berührung kommen wollte, entschied sich aber dafür. Danach würde es ihr sicherlich bessergehen. So war es auch und sie kam frisch motiviert aus der Tür in den kleinen Flur. „Geht es dir besser?“, vernahm sie eine ihr bekannte Stimme. Kurz zuckte Rin zusammen, da sie nicht erwartet hatte angesprochen zu werden: „Y-Yoshida-kun? J-Ja mir geht’s schon besser.“ „Hör mal“, setzte dieser an, „Ich weiß, dass es ein blöder Zeitpunkt ist, aber hast du schon über deine Antwort nachgedacht?“ „A-Antwort?“, stotterte die Blauhaarige und lief augenblicklich knallrot an. Meinte er die Antwort auf sein Geständnis oder auf die Übungsaufgabe? Panik machte sich in dem Mädchen breit und sie hoffte inständig, dass er die Aufgabe meinte. Allerdings war dies recht unwahrscheinlich, denn das hätte auch noch warten können, bis sie wieder zurückgewesen wäre. „Ja, ich habe dir zwar Zeit gegeben, aber ich wüsste langsam wirklich gerne wie du fühlst. Es macht mich fertig, dass…“, wurde der junge Mann plötzlich unterbrochen. „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube ich habe die Antwort. Zur Sicherheit muss ich die Aufgabe aber nochmal nachrechnen“, lenkte Rin vom eigentlichen Thema ab und eilte zu ihrer Freundin zurück. Dort angekommen packte sie fast schon panisch ihre Sachen zusammen: „Ich muss gehen, Ami.“ „Warum denn das?“, blickte Angesprochene verwirrt drein, „Du warst gerade mal zwei Stunden hier.“ „Ich habe vergessen, dass ich noch arbeiten muss“, log sich das Mädchen etwas zurecht. „Ich habe damit jetzt zwar kein Problem, weil ich dann mit Akira mehr Zeit zu zweit habe, aber das kommt echt plötzlich. Kommst du denn überhaupt noch zum Lernen, wenn dich der Idiot so mit Arbeit überhäuft?“, machte sich Amika Sorgen. Ihr Gegenüber hingegen winkte nur ab: „Ach was mach dir darum mal keine Gedanken, ich werde schon nicht durchfallen.“ Kaum hatte die Stipendiatin diese Worte ausgesprochen, verabschiedete sie sich knapp und war auch schon verschwunden. Akira kam soeben von der Toilette wieder und konnte gerade noch sehen, wie die Blauhaarige durch den Haupteingang eilte: „Ist sie gegangen?“ „Ja, sie sagte sie hätte vergessen, dass sie arbeiten müsse“, war auch die Brünette noch immer etwas irritiert darüber.     „Oh man! Warum bin ich abgehauen?“, brütete Rin in ihrem Wohnheimzimmer allein über ihren Aufgaben. „Da bist du selbst dran schuld“, kam es trocken aus Skye, welcher quer über dem Bett fläzte und an seiner Konsole hing. „Du bist doch immer so altklug“, jammerte das Mädchen, „Kannst du mir nicht beim Lernen helfen?“ „Sehe ich so aus als könnte ich deinen Oberschulstoff? Ihr habt mich in die Grundschule verfrachtet, schon vergessen? Wärst du nicht so ein Sturkopf und würdest vor deinen Problemen davonlaufen, wärst du nun nicht in dieser Situation“, murrte der Jüngere. „Bist du jetzt nur nachtragend oder kannst du mir wirklich nicht helfen?“, blies die Stipendiatin beleidigt die Wangen auf. Allerdings erntete sie darauf nur ein Augenrollen und wurde ignoriert. Irgendwie hatte der Kleine ja recht und sie war zu einem gewissen Grad selbst an ihrer Situation schuld, aber das half nun auch nichts, denn sie brauchte Hilfe. Alleine kam sie mit den schweren Aufgaben nicht zurecht. Teilweise wusste sie nicht mal wo sie ansetzen sollte und wenn sie ganz viel Pech hatte, würde sie sogar bei den nächsten Prüfungen durchfallen. Das war ihr durchaus bitter bewusst, weswegen sie mittlerweile schon in leichte Panik verfiel. Nach einigem Hin- und Herüberlegen kam ihr schließlich eine Idee und sie klopfte an der Nachbartür. Die Oberschülerin hatte die Hoffnung, dass ihre Klassenkameradin Ruri in ihrem Zimmer war und eventuell ein wenig Zeit entbehren könnte, um ihr das ein oder andere zu erklären. Immerhin wusste Rin, dass diese ziemlich gut in der Schule war. Nach einem kurzen Klopfen rührte sich tatsächlich etwas im Zimmer der Eisblauhaarigen und ein zerstörerisches Scheppern drang an das Ohr der im Flur Stehenden. Kurz darauf ging auch schon die Tür auf und Ruri stand darin. „I-ist alles okay?“, fragte die Stipendiatin vorsichtig. „Ach du bist es?“, kam es überrascht zurück, „Ja, alles in Ordnung. Ich bin nur über ein Kabel gestolpert und hab was heruntergeschmissen.“ „Klang ja nicht so gesund“, kratzte sich das Mädchen verlegen am Hinterkopf. „Halb so wild“, winkte die Schulsprecherin ab, „Aber was führt dich her?“ „Also… Ich weiß, dass du viel beschäftigt bist und vermutlich keine Zeit hast, aber könntest du mir eventuell ein wenig beim Lernen unter die Arme greifen?“, fragte Rin vorsichtig. „Ja klar“, lächelte die Eisblauhaarige, „Ich habe gerade Zeit. Bin sogar selbst am Lernen, da trifft sich das ganz gut.“ „Ehrlich? Dann hole ich schnell meine Sache und komme rüber“, war die Blauhaarige hellauf begeistert. Eigentlich hatte sie fest mit einer Ablehnung gerechnet, weil sie wusste, dass Ruri in ihrer Rolle als Schülersprecherin vielbeschäftigt war. „Ähm“, lächelte Ruri schief, „Können wir vielleicht zu dir rüber? Ich glaub ich müsste bei mir erstmal Scherben aufputzen.“ „Ich kann dir auch gerne helfen, wenn du willst? Irgendwie habe ich ja auch eine gewisse Mitschuld“, bot die Blauhaarige an. Ihr Gegenüber lehnte jedoch dankend ab: „Lass mal. Ich mache das einfach später. Das nimmt jetzt nur unnötig Zeit in Anspruch, die wir stattdessen fürs Lernen nutzen können.“ Recht hatte sie und so verbrachten sie den restlichen Tag damit in Rins Zimmer über den Büchern zu hängen.   Kapitel 25 - Gesucht und gefunden --------------------------------- Sonntag, 03. Mai 2015   Ungeduldig wartete Rin vor dem großen Gebäude des Hauptbahnhofes, während ihr Blick durch die Menschenmenge schweifte. Auch Skye war an ihrer Seite, welcher ein wenig genervt wirkte. „Hatte der Zug Verspätung?“, sah der Kleinere zur Blauhaarigen hinauf. „Nein, auf der Anzeigetafel stand, dass er pünktlich sei“, kratzte sich das Mädchen ratlos am Hinterkopf, „Mein Handy ist blöderweise auch tot.“ „Ich verstehe einfach nicht warum du das Smartphone von Kuro nicht annimmst“, rollte der Schwarz-Blauhaarige mit den Augen. Nun riss auch dem Mädchen so langsam der Geduldsfaden: „Wie oft willst du mich deswegen noch nerven? Habe ich dir nicht erklärt warum ich es nicht möchte?“ „Deine Gründe sind nicht unbedingt sinnvoll, aber grundsätzlich weiß ich, dass es nicht allein dein Dickkopf ist, der dem im Weg steht“, merkte er an. Die Blauhaarige hingegen ignorierte diese Aussage und setzte sich in Bewegung: „Komm wir suchen ihn. Vielleicht hat er sich ja verlaufen.“ „Verlaufen“, folgte Skye ihr, „Wie kann man sich bei so vielen Schildern verlaufen und den Hauptausgang aus dem Gebäude nicht finden?“ „Frag nicht, such lieber“, stapfte die Oberschülerin ins Bahnhofsgebäude und sah sich um. Es war ein recht großes Gebäude mit drei Stockwerken, auf welchen die verschiedensten Geschäfte waren. Nach einer Weile des Suchens schienen die beiden es schließlich aufgegeben zu haben und sanken erschöpft auf einer Bank nieder. „Fang ja nicht wieder mit der Telefongeschichte an“, mahnte Rin nur. „Hättest du ein gescheites, wären wir nicht in dieser Lage“, murrte der Kleinere. Kurz überlegten die beiden was sie nun tun sollten. Sie könnten zur Information gehen und Gesuchten ausrufen lassen. Allerdings war das keine Garantie dafür, dass dieser auch bei der Information aufkreuzen würde. Immerhin war er ja auch nicht zum verabredeten Ort gekommen. Wenn sie Pech hatten, dann war er vielleicht gar nicht da, weil er den Zug verpasst hatte oder etwas anderes dazwischenkam. Aber das würden sie leider nicht erfahren, bevor das Mobiltelefon der Stipendiatin wieder angehen würde. Ratlos starrten die beiden vor sich hin und beobachteten die hektische und laute Atmosphäre. Hier und da rannten Menschen zu ihren Gleisen. Manche auch telefonierend. Mütter mit ihren Kindern gingen einkaufen, Touristen sahen sich aufgeregt um und auch Schüler gingen fröhlich vorbei und genossen ihr Wochenende. Obwohl die beiden Rastenden sich an die laute Umgebung gewöhnt hatten, schreckten sie kurz auf, als sich plötzlich ein junger Mann lautstark telefonierend auf die benachbarte Bank niederließ: „Hiro hilf mir! Ich habe mich schon wieder verlaufen!“ Er machte eine kurze Pause, ehe er seinem Gesprächspartner erneut antwortete: „Wo ich bin? Ich weiß nicht genau. Hoffentlich in Aehara.“ Ein wenig selbstzufrieden grinste Rin ihren kleinen Begleiter an, bevor sie sich erhob: „Siehst du. Er hat sich verlaufen.“ Ungläubig sah Skye zu, wie sich die Oberschülerin auf den Telefonierenden zubewegte. Er wirkte zwar mit seinen violett-blauen schulterlangen Haaren ein wenig feminin, war jedoch als Kerl zu erkennen. „Shû-chan!“, riss die Blauhaarige ihren Kindheitsfreund ins Hier und Jetzt zurück, „Wo warst du die ganze Zeit?“ Irritiert sah der junge Mann zu ihr auf, als sich schlagartig sein Ausdruck zu einem breiten fröhlichen Grinsen formte. „Rinacchi! Da bist du ja!“, sprang er auf und sprach erneut ins Telefon, „Vergiss es Hiro, ich bin gerettet.“ Ohne eine Antwort abzuwarten hatte er das Telefonat bereits beendet und seine alte Freundin aus Kindertagen umarmt. „Kann es sein, dass du von Mal zu Mal orientierungsloser wirst?“, löste Rin die Umarmung wieder. „Ich war eben einfach schon lange nicht mehr hier“, zuckte Angesprochener mit den Schultern. „Ich würde es nicht als orientierungslos bezeichnen“, gesellte sich nun auch Skye dazu, „Eher als blind. Wir saßen eine Bank weiter und du hast nichts bemerkt.“ „Wer bist denn du?“, sah der Violett-Blauhaarige zu dem kleinen Jungen herunter. Dieser antwortete prompt: „Ich bin Skye.“ „Nur Skye? Kein Nachname?“, hakte der Ältere nach, „Mein Name ist übrigens Shuya Nagase.“ „Ja, ich weiß. Du bist der pinke Sandkastenfreund von Rin“, erwiderte der Grundschüler unbeeindruckt. Erneut kamen bei dem Orientierungslosen Fragen auf: „Pink?“ „Er hat alte Kinderfotos mit deiner natürlichen Haarfarbe gesehen. Schlussendlich wurde er neugierig und wollte dich kennenlernen“, winkte die Blauhaarige ab, „Aber lasst uns doch losgehen. Ich will endlich aus diesem Bahnhof raus.“ Leichtes Entsetzen konnte man aus Shuyas Blick lesen: „Warum zeigst du diese Fotos herum?! Das ist doch ein Geheimnis!“ Schulterzuckend entschuldigte sich das Mädchen flüchtig. Für sie war es nichts Neues und sie fand auch nichts Verwerfliches daran, dass seine Haare eigentlich einen Rosaton hatten. Jedenfalls verstand sie nicht warum er mittlerweile ein Geheimnis daraus machte. Damals interessierte es ihn doch auch nicht. „Du bist bestimmt erschöpft von der Fahrt. Wollen wir in ein Café gehen?“, schlug die Oberschülerin vor. Kurz überlegte der junge Mann: „Eigentlich habe ich keine Lust noch mehr rumzusitzen. Lass uns was machen. Wir könnten ins Sportzentrum gehen oder in den Park. Außerdem würde ich gerne noch ein paar Leute besuchen.“ „Soll mir recht sein. Mir ist gerade auch eher nach Bewegung zumute“, war die Blauhaarige seiner Meinung. Auf dem Weg zum Sportzentrum hatten die beiden Älteren einiges zu bereden, während Skye nur wortlos nebenherlief. Schlussendlich hakte der Violett-Blauhaarige aber nochmal nach: „Sag mal Skye, wer bist du denn nun eigentlich?“ „Geht es wieder um meinen Nachnamen?“, fragte er nach, „Ich heiße Skye Suzuki.“ „Bist du etwa mit diesen reichen Leuten verwandt? Aber was machst du dann hier?“, verstand Shuya immer weniger. „Ich bin eben mit Rin befreundet. Sie arbeitet ja auch für den Erben“, erklärte der Schwarz-Blauhaarige. Nur die Hälfte verstehend nickte der Ältere und gab sich vorerst mit dieser Antwort zufrieden.   Der Tag verflog recht schnell und sie hatten viel Spaß. Selbst Skye legte für einen Moment seine ernste Seite ab und konnte sich richtig amüsieren. Schlussendlich verabschiedete er sich aber und ließ die Kindheitsfreunde alleine. „Hey Shû-chan, willst du mal mein Wohnheim sehen?“, war Rin voller Begeisterung, „Dir werden die Augen aus dem Kopf fallen, wenn du das siehst. Das ist wie eines dieser überteuerten Hotels. Nur besser.“ „Klar warum nicht“, grinste der junge Mann, „Ich habe noch etwas Zeit bis mein Zug fährt.“ Gesagt, getan standen die beiden wenig später in der prunkvollen Eingangshalle des Oberschulwohnheimes. Der Violett-Blauhaarige staunte tatsächlich nicht schlecht, als er die Einrichtung sah: „Wow, selbst bei meinen Großeltern ist das bei weitem nicht so übertrieben protzig wie hier.“ „Ich sag ja, dass es krass ist“, grinste das Mädchen, „Warte kurz, dann melde ich dich an und wir können hochgehen.“ Mit diesen Worten eilte Rin zur Rezeption. Der junge Mann hingegen schlenderte durch den Eingangsbereich und schaute sich weiterhin um. In den Sesseln und Sofas an den Seiten der Halle, hatten sich hier und da kleine Lerngruppen gebildet, die eifrig für die Examen büffelten. Trotz allem konnte Shuya beim Vorbeigehen einige unschöne Wortfetzen aufschnappen. Eine kleine Gruppe Mädchen zerriss sich nämlich das Maul: „Sie ist schon wieder so stillos gekleidet.“ „Ja, das sieht aus wie aus der Altkleidertonne. Wir sollten ihr mal Manieren beibringen.“ „Ich verstehe nicht wie es jemand derartiges an unsere Schule geschafft hat.“ „Wir sollten uns schnellsten darum kümmern, dass sie endlich verschwindet.“ Gekicher brach in der Kleingruppe aus. Aber auch andere Schüler tuschelten und blickten auffällig zur blauhaarigen Außenseiterin. Sie selbst schien es nicht mal zu bemerken, dafür aber ihr Freund. Die gute Laune des jungen Mannes verflog daraufhin schlagartig und er ballte die Fäuste. Am liebsten hätte er Rins Mitschülern die Leviten gelesen, wie er es auch früher schon oft getan hatte. Allerdings wusste er genau, dass er damit niemandem half, sondern eher das Feuer entfachte. Wäre er immer präsent, um weiter gegen zu wirken, dann wäre das etwas anderes. Aber er wohnte weiter weg und konnte nicht mal eben Gerechtigkeit walten lassen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als vorerst die Ruhe zu bewahren. „Ich habe dich angemeldet. Wir können hochgehen“, kam Rin freudig auf ihn zugelaufen. Angesprochener nickte nur und setzte sich mit ihr in Bewegung.   Im Zimmer angekommen, staunte Shuya auch dort nicht schlecht: „Das ist ja riesig! Ganz ehrlich, das ist doch kein Wohnheim! Das ist eher… Ich weiß es nicht… Platzverschwendung!“ „Ja, ich habe auch ziemlich dumm geschaut, als ich den Laden hier zum ersten Mal betreten hatte“, erklärte das Mädchen ganz aufgeregt, „Das ist krass oder? Im Bad sind sogar zwei Waschbecken. Weiß der Geier wofür.“ Daraufhin musste sie lachen, weil das Ganze einfach immer noch so unwirklich klang. Der Violett-Blauhaarige hingegen huschte von A nach B und kam gar nicht aus dem Staunen. Schlussendlich hatte er alles angesehen und ließ sich in der kleinen Sitzecke nieder. Rin tat es ihm gleich und gesellte sich dazu. „Darf ich dich was fragen?“, wurde der junge Mann wieder etwas ernster. „Klar“, nickte die Stipendiatin neugierig. „Geht es dir hier gut?“, brachte er vorsichtig hervor. Etwas irritiert gab das Mädchen Antwort: „Ja klar geht’s mir hier gut. Ich wohne umsonst in diesem riesigen Zimmer und ich gehe umsonst auf eine Elite Oberschule.“ „Du hast mich falsch verstanden“, schüttelte Shuya den Kopf, „Ich rede nicht von gesparten Kosten oder irgendwelchem Prunk. Mich interessiert, ob du dich hier wohlfühlst.“ „Ich weiß nicht genau was du meinst, aber ich habe keine Probleme oder so. Abgesehen vom Lernstoff vielleicht“, legte Rin den Kopf schief und schaute ihren Gesprächspartner verwirrt an. „Das freut mich“, sprang der Violett-Blauhaarige grinsend vom Sofa auf und streckte sich. Das Mädchen hingegen verstand den Inhalt der Frage noch immer nicht so ganz. Aber da sie scheinbar beantwortet war, konnte es ihr ja auch egal sein. „Und? Hast du an der neuen Schule schon Freunde gefunden?“, wollte ihr Kumpel wissen. „Oh, du wirst lachen“, schmunzelte Rin, „Ich habe mich mit einer Klassenkameradin angefreundet, von der alle behaupten, dass wir uns superähnlich sehen. Und dann ist sie auch noch die Schülersprecherin.“ „Das ist wirklich eine überraschende Geschichte“, lachte der junge Mann. Rin nickte: „Sie geht noch weiter. Ruri wohnt nämlich auch im Wohnheim. Direkt neben meinem Zimmer.“ Erneut musste Shuya grinsen: „Das ist ja fast schon ein bisschen Schicksal.“ „Ja, es ist wirklich total witzig“, grinste die Blauhaarige breit, „Sie ist superlieb und hat mir schon oft geholfen.“ „Das freut mich zu hören“, lächelte der Ältere. Noch eine Weile plauderten sie über dieses und jenes, als so langsam der Abend heranbrach und der Violett-Blauhaarige aufbrechen musste. „Ich mache mich dann mal auf den Weg, sonst verpasse ich noch den Zug“, erhob sich der junge Mann zu Gehen. Auch das Mädchen stand auf: „Ich bringe dich noch zum Bahnhof. Du verläufst dich ja doch wieder.“ „Nein, es wird später dunkel sein, wenn du wieder zum Wohnheim zurückfährst. Dabei würde ich mich unwohl fühlen. Außerdem habe ich einige Jahre in dieser Stadt gewohnt. Ich werde mich schon nicht verirren“, gab er selbstsicher von sich. Die Blauhaarige war zwar dennoch in Sorge, weil sie ihren Kindheitsfreund nur zu gut kannte, gab sich aber dann doch geschlagen. Diskutieren brachte da eh nichts. „Dann mach‘s mal gut“, drückte Shuya das Mädchen vor dem Wohnheim nochmal kurz, „Wenn irgendetwas sein sollte, dann melde dich ruhig.“ „Mach ich“, nickte die Blauhaarige. „Übrigens habe ich beschlossen, dass wir uns in Zukunft häufiger sehen oder sprechen sollten“, stellte er sie frech grinsend vor vollendete Tatsachen, „Also sieh zu, dass dein Handy funktioniert. Sonst suchen wir wieder Ewigkeiten nacheinander.“ „Wärst du nicht so orientierungslos, wäre das gar nicht erst passiert“, lachte Rin, „Aber ich freue mich schon auf unser nächstes Treffen.“ Damit verabschiedeten sich die beiden voneinander und kaum hatte sich der junge Mann zum Gehen abgewendet, vernahm Rin eine vertraute Stimme: „I am thou. Thou art I.“ Suchend sah sie sich nach dem dazugehörigen blauen Schmetterling um, welcher ihr zeigte mit wem sie einen neuen Link geschlossen hatte. Wie zu erwarten war es natürlich ihr Sandkastenfreund Shuya selbst.   Als die Oberschülerin wieder in ihrem Zimmer war, setzte sie sofort ihr Horo auf, um herauszufinden welche der Arcanas ihrem Kumpel zugeordnet wurde. Es war die „VIII. Justice“ Arcana. „Die Gerechtigkeit also?“, grübelte das Mädchen, „Er hatte ja eigentlich schon immer einen gut ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.“ Ein Klopfen an Rins Tür, riss sie aus ihren Gedanken und verwundert darüber wer da sein könnte, öffnete sie. Keine geringere als Ruri stand vor ihr. Sie hatte einen kleinen Papierstapel in der Hand und grüßte ihre Klassenkameradin: „Hallo Rin. Ich wollte dir nur schnell einige wichtige Stichpunkte vorbeibringen, bevor ich aufbreche.“ „Oh hallo. D-Danke“, fühlte sich die Blauhaarige etwas überrumpelt. „Geh das was ich dir notiert habe am besten nochmal genaustens durch, dann solltest du für die Prüfungen gewappnet sein“, hielt die Schülersprecherin ihr freundlich lächelnd den Papierhaufen hin. „Das ist ja lieb von dir. Dankeschön“, nahm die Stipendiatin die Notizen entgegen, „Aber du hättest dir doch nicht solche Mühen machen brauchen.“ „Ach, mir tut es einfach leid, dass ich dir nicht mehr beim Lernen helfen konnte über die Golden Week“, machte sich die Eisblauhaarige wirklich Sorgen. Irritiert schaute Rin ihr Gegenüber an: „Eh? Habe ich etwas verpasst? Die Golden Week hat doch noch ein paar Tage, oder? Abgesehen davon ist es ja trotz allem mein Problem. Aber ich bin dir natürlich mehr als dankbar. Dafür lade ich dich mal auf ein Eis oder so ein.“ „Ja, die freien Tage sind noch nicht vorüber, aber ich werde für ein paar Tage nach Hause fahren und bin somit nicht da“, erklärte sich Ruri, „Am Mittwoch bin ich wieder hier. Wenn du magst, können wir abends ja nochmal gemeinsam in die Bücher schauen.“ Verstehend nickte die Blauhaarige: „Ach so ist das. Wenn es dir keine Umstände bereitet, nehme ich dein Angebot gerne an.“ „Das macht schon keine Umstände“, lächelte die Eisblauhaarige sanft, „Immerhin muss ich ja für die gleiche Prüfung lernen.“ „Das ist wirklich lieb, danke“, bedankte sich Rin, „Dann wünsche ich dir eine gute Reise und viel Spaß zu Hause.“ „Das werde ich haben, danke“, verabschiedete sich die Schülersprecherin und machte sich sogleich auch auf den Weg.   Derweil war Shuya auf dem Weg zum Hauptbahnhof. Das dachte er jedenfalls, bis er schließlich einsah, dass er sich verlaufen hatte. Eigentlich wollte er zur Shiroshi Central Station, um mit der U-Bahn Ring-Linie zum Hauptbahnhof zu gelangen. Allerdings schien es, als sei er irgendwo falsch abgebogen. „Wieso ist hier ein Fluss? Der war doch vorhin noch nicht auf dem Weg, oder?“, sah sich der Violett-Blauhaarige um. Was sollte er jetzt bloß machen? Würde er Rin anrufen, so würde sie ihn totsicher bis zum Ziel begleiten, damit er auch ja im richtigen Zug sitzt. Dann würde sie am Ende aber allein durch die Dunkelheit laufen. Das wollte er garantiert nicht. Abgesehen davon war es sowieso fragwürdig, ob er sie erreichen würde. Nachdenklich zückte er sein Handy und starrte den Bildschirm an. Dann öffnete er die Karten-App, um herauszufinden wo er war und wo er hinwollte. Nach mehrfachem Drehen und Zoomen, gab er es schließlich auf und wählte eine Telefonnummer. „Hiro hilf mir…“, jammerte der Violett-Blauhaarige verzweifelt in sein Smartphone, als Angerufener abnahm. „Hast du dich schon wieder verlaufen?“, ertönte eine männliche Stimme aus dem Hörer. „Ja~“, quengelte der junge Mann. Angerufener stöhnte laut: „Ich kann nicht zu dir kommen, wenn du noch immer in Aehara bist.“ „Ich weiß, aber was soll ich denn machen?“, flehte der Hilflose. „Schick mir mal deinen Standort, dann schaue ich mal nach. Am besten den Livestandort“, forderte sein Kumpel. Kaum hatte er danach gefragt, sendete Shuya ihm die angeforderten Daten. Da es ihm zu lange dauerte bis sein Kumpel eine Antwort auf den richtigen Weg parat hatte, setzte er sich derweil ins Gras an das Flussufer und sah dem Sonnenuntergang zu. Nach guten fünf Minuten bekam er dann endlich eine hilfreiche Rückmeldung „Du bist in die komplett falsche Richtung gelaufen. Die U-Bahn war in die andere Richtung. Aber du kannst die Straßenbahn nehmen. Da ist ganz in der Nähe eine Haltestelle. Ich weiß nur nicht wann die nächste fährt.“ „Das wird schon passen. Navigier mich bitte hin“, war der junge Mann noch immer quengelig. Kaum hatte er dies gefordert, wurde er schnurstracks dorthin geleitet: „Jetzt rechts.“ „Okay“ „Das andere rechts!“ „Ups…“ „Und dann zweimal links.“ „Ich glaub ich sehe sie!“ „Na Gott sei Dank. Kommst du nun alleine klar?“, schnaubte sein Navigator. „Denke schon, danke“, grinste Shuya verlegen. „Du schuldest mir was“, hörte man ein Murren. „Ja ja, wie immer“, winkte der junge Mann ab.   Endlich kam die Straßenbahn am Hauptbahnhof an. Da sie weit mehr Stationen hatte als die U-Bahn, dauerte es mit dieser auch länger. Zum Glück hatte Shuya etwas mehr Zeit eingeplant, und nun nicht mehr ganz 10 Minuten, bis der Fernzug abfahren würde. Trotz allem eine knappe Geschichte, wenn man bedachte, dass der junge Mann noch das richtige Gleis finden musste. Eilig rannte er ins Bahnhofsgebäude, versuchte die Anzeigetafel zu entziffern und rannte zum Gleis. Kaum war er an diesem angekommen, stellte er fest, dass er eigentlich auf den gegenüberlegenden Bahnsteig musste und rannte wieder zurück. In letzter Minute schaffte er es außer Atem in den Zug zu springen. Kaum war er drinnen, verschlossen sich schon die Türen und er ließ sich völlig aus der Puste auf den nächstbesten Platz sinken. „Geschafft“, schnaubte er schwer und schloss kurz die Augen, um seinen Puls wieder herunterzutreiben. Sekunden später öffnete er seine Lieder wieder und zuckte zusammen: „R-Rinacchi?!“ Völlig von der Rolle starrte er die Person an, die ihm in der Vierersitzgruppe, gegenübersaß und in einem Buch las. Sein überraschter Ausruf ließ das Mädchen kurz aufschauen. Sie musterte ihn irritiert und überlegte kurz: „Kennst du Rin?“ Noch immer irritiert starrte er die Schülerin nieder: „Bist du diese Ruri? Du siehst ja wirklich aus wie Rin.“ „Oh, dann kennst du sie also?“, lächelte die Eisblauhaarige freundlich. „Und ihr seid wirklich nicht verwandt?“, stand Shuya noch immer die Kinnlade offen. „Nein, sind wir nicht. Das haben wir schon beredet“, erklärte das Mädchen, „Ich heiße übrigens Ruri Miuna und wer bist du?“ „Ach herrje“, kratze sich der junge Mann verlegen am Hinterkopf, „Ich bin echt unhöflich. Mein Name ist Shuya Nagase. Rinacchi ist meine Sandkastenfreundin, daher kenne ich sie.“ „Ah, dann hast du sie also besucht?“, verstand die Schülersprecherin. Ihr Gegenüber nickte: „Genau, so ist es. Aber es war nur ein kurzer Besuch. Ich muss wieder nach Hause. Und was machst du hier im Zug? Ein paar Tage in Urlaub fahren?“ „Ja, mehr oder weniger, denn ich besuche meine Familie. Sie wohnen nicht in Aehara, deswegen sehe ich sie leider nicht so oft“, erklärte sie sich. Verstehend nickte Shuya und unterhielt sich noch eine ganze Weile angeregt mit dem Mädchen.   Kapitel 26 - Missglückter Hilferuf ---------------------------------- Montag, 04.Mai 2015   Schweigsam saßen Rin und Amika in der Zentralbibliothek, während sie mit ihren Köpfen über den Büchern hingen. Ab und an kommunizierten sie miteinander, wenn der eine etwas nicht verstand. Nach einer Weile unterbrach die Brünette jedoch mit einem tiefen Seufzer das Büffeln: „Ich kann mich einfach nicht richtig konzentrieren.“ „Warum denn das?“, schaute auch die Stipendiatin von den Büchern auf. „Ich muss die ganze Zeit an Akira denken“, erklärte die Oberschülerin bedrückt, „An dem Tag an dem wir drei zusammen gelernt haben, war doch etwas vorgefallen oder? Nachdem du abgehauen bist war er völlig eigenartig. Zuerst dachte ich, dass es daran liegt, dass er keine Lust aufs Lernen hatte. Aber mittlerweile bin ich anderer Meinung.“ Ein kurzes Schweigen brach aus, da Amika eine Reaktion ihrer besten Freundin erwartete. Diese allerdings blieb stumm. Erneut musste die Brünette seufzen: „Am selben Tag habe ich ihm meine Liebe gestanden und einen Korb kassiert. Er hat gesagt er wäre schon seit langer Zeit einseitig verliebt.“ „Das tut mir echt leid“, senkte Rin ihren Blick und schaute zur Seite. „Sei ehrlich. Er hat dir schon vor längerem eine Liebeserklärung gemacht, oder?“, fiel Amika schließlich mit der Tür ins Haus. Ihre beste Freundin wusste nicht recht was sie sagen sollte: „Na ja, also…“ Wieder entwich der Brünetten ein schwerer Seufzer und sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Gedankenverloren starrte sie an die Decke: „Als ich es realisiert hatte, war ich zuerst total wütend. Ich habe mich gefragt warum du es mir nicht schon eher gesagt hast. Dann habe ich versucht zu verstehen warum du geschwiegen hast.“ „Es tut mir wirklich wahnsinnig leid!“, stammelte die Blauhaarige aufgebracht, „Ich wusste nicht wann ich dir das sagen sollte, weil ich Angst hatte dich zu verletzen. Außerdem wusste ich nicht mal, ob er es überhaupt ernst meint! All die Jahre hat er mich total verarscht und plötzlich haut er raus, dass er mich mag?! Wie soll ich so etwas glauben?!“ Ein lautes „Ruhe!“ durchflutete die Bibliothek und der böse Blick der Bibliothekarin fiel auf die beiden Oberschülerinnen. Diese zogen ertappt die Köpfe ein und rutschten näher aneinander. „Du hättest es mir trotzdem sagen können“, flüsterte Amika, „Andererseits verstehe ich, dass du es mir nicht gesagt hast. Vermutlich hätte ich das auch so getan. Also habe ich keinen Grund sauer zu sein.“ „Wirklich?“, atmete die Stipendiatin auf. „Ja, wirklich. Aber mich würde mal interessieren, ob du ihm je eine ehrliche Antwort gegeben hast“, legte die Brünette den Kopf schief und sah ihre Freundin eindringlich an. Diese musste kurz überlegen: „Da ich es für einen schlechten Witz hielt und du mir dann auch noch gesagt hast, dass du ihn magst, steht die Antwort noch immer aus.“ „Irgendwie dachte ich mir das schon“, kannte sie das Mädchen bereits zu gut, „Was wirst du ihm antworten?“ „I-ich weiß nicht? Vielleicht gebe ich ihm einfach einen Korb oder so“, verfärbten sich Rins Wangen leicht rötlich. „Gibst du ihm einen Korb, weil du ihn nicht magst oder weil du Rücksicht auf mich nimmst?“, verschränkte die Oberschülerin ihre Arme. Ertappt zuckte Rin zusammen und wusste nicht so recht was sie antworten sollte. Bisher hatte sie dieses Thema immer gekonnt ignoriert und gehofft, dass es sich irgendwann schon von selbst erledigen würde. Allerdings konnte sie auch nicht sagen, ob sie glücklich damit gewesen wäre, wenn ihre beste Freundin mit Akira zusammengekommen wäre. Ehrlichgesagt hatte sie noch gar nicht ernsthaft darüber nachgedacht. „Hör mal, Rinacchi“, begann Amika ruhig, „Wenn du ihn magst, dann schnapp ihn dir. Und wenn nicht, dann sag es ihm. Er zappelt ja sicherlich schon eine ganze Weile. Du brauchst keine Rücksicht auf mich zu nehmen, ich komme schon klar. Ich suche mir einfach einen anderen gutaussehenden Kerl.“ „Dankeschön“, kam es von der Blauhaarigen und ein Lächeln huschte ihr über die Lippen. Sie wusste zwar, dass ihre Freundin ziemlich deprimiert darüber war einen Korb erhalten zu haben, andererseits wollte sie ihr zuliebe endlich das Thema abschließen. Nun war es wirklich an der Zeit ernsthaft darüber nachzudenken welche Gefühle sie dem Rotschopf gegenüber hatte. Je eher sie die Antwort hinter sich brachte, umso besser für alle Beteiligten. Während sie in ihren Gedanken versunken war, konnte sie einen kleinen blauen Schmetterling um die Brünette flattern sehen. Der Social Link mit ihr hatte sich wohl erweitert.     Mittwoch, 06.Mai 2015   Es war bereits gegen Nachmittag und Rin saß an ihrem Schreibtisch, um zu lernen. Allerdings starrte sie nicht in die Bücher, sondern gedankenverloren aus dem Fenster. Skye fläzte mal wieder in der Sitzecke und war mit seiner Spielekonsole beschäftigt, als die Blauhaarige einen tiefen Seufzer losließ. „Was hast du denn?“, war der Grundschüler neugierig, „Du bist schon den ganzen Tag so nachdenklich. Ich dachte du wolltest für deine dummen Prüfungen lernen.“ „Die sind nicht dumm. Wenn ich durchfalle verliere ich mein Stipendium!“, erklärte das Mädchen, „Und warum lernst du eigentlich nicht?“ Der Schwarz-Blauhaarige rollte mit den Augen: „Diese Prüfungen interessieren mich nicht die Bohne. Das solltest du eigentlich wissen. Ich bin nicht hier, um die Schule zu meistern, sondern um die Welt zu retten. Meine Aufgabe ist es das Portal zu bewachen und dich auszubilden!“ „Das schon wieder?“, winkte die Stipendiatin genervt ab, „Du bist echt verstrahlt. Ami ist gerettet, der Spuk ist vorbei.“ „Wenn du meinst“, gab es der Jüngere auf. Gespräche dieser Art, hatte er schon zur Genüge mit Rin geführt. Doch dank ihres Sturkopfes redete er leider gegen eine Wand. Wenigstens schaffte er es, sie regelmäßig zum Trainieren ihrer Fähigkeiten zu zwingen. Trotz allem waren leider noch keine brauchbaren Fortschritte zu erkennen. „Und worüber denkst du nun so angestrengt nach, statt für deine geliebten Prüfungen zu lernen?“, hakte Skye nochmals nach. „Geliebt ist übertrieben“, fühlte sie sich veralbert, „Ich denke darüber nach, welche Antwort ich Yoshida-kun geben soll.“ „Worauf denn?“, verstand der Grundschüler nicht so recht. Kurz überlegte die Blauhaarige, ob sie ihm noch mehr Details anvertrauen wollte, tat es aber dann doch: „Na auf sein Geständnis von neulich. Ich wurde mir jetzt erst bewusst, dass er es ernst meinte und eine ehrliche Antwort verdient hat. Bislang habe ich das alles für einen Scherz gehalten und bin schließlich auch noch weggelaufen, weil Ami ihr Glück bei ihm versuchen wollte.“ Skye schien zu verstehen und nickte: „Ach so, aber das ist doch nicht so schwer. Sag ihm einfach, dass du dich geschmeichelt fühlst, aber nicht mit ihm gehen kannst. Problem gelöst.“ „Eben nicht. Wer sagt, dass ich nicht vielleicht doch mit ihm zusammen sein will?“, stammelte sie hilflos, „Das muss ich erstmal herausfinden.“ Desinteressiert an Rins Ratlosigkeit richtete der Jüngere seinen Blick wieder auf sein Videospiel und meinte nur: „Du willst nicht mit ihm zusammen sein.“ „Sagt wer?“, war das Mädchen leicht zerknirscht. Es ärgerte sie, dass sie ihm ihre Probleme schilderte und er diese einfach mal eben so abstempelte, als seien es nur irgendwelche Lappalien. Für sie war es von größter Bedeutung sich über ihre wahren Gefühle klarzuwerden. Akira hatte sich geändert und war definitiv nicht mehr dieser Unruhestifter, der sie immer ärgerte wo er nur konnte. Er war erwachsen geworden, übernahm Verantwortung und hatte ihr schon mehrfach geholfen in letzter Zeit. Es war schwer zu sagen, ob sie mehr für ihn fühlte oder nicht. „Sage ich. Ihr passt nicht zusammen und du fühlst auch nichts für ihn“, kam es ernst und fast schon ein wenig genervt aus dem Schwarz-Blauhaarigen. „Ach ja?!“, regte sich Rin nun richtig auf, „Weil du ja auch so genau über meine Gefühle Bescheid weißt?! Das ist ganz allein meine Entscheidung, ob ich mit ihm gehen will oder nicht!“ „Nicht wenn du solch einen Schwachsinn entscheidest!“, war nun auch Skye sichtlich verärgert und stand von der Couch auf. „Das geht dich nichts an!“, brüllte die Blauhaarige ihn an. Wütend packte er seine Konsole in die Tasche und bewegte sich Richtung Fensterfront: „Und wie es mich was angeht!“ Schlussendlich verwandelte er sich in seine Vogelform und flog aus dem offenen Fenster davon. Zurück blieb eine wutentbrannte Oberschülerin, die absolut nicht verstand was sich der Kleine erlaubte in ihr Liebesleben reinzureden und ihr regelrecht zu befehlen was sie zu tun und zu lassen hatte. Warum sollte sie sich von einem kleinen Kind so etwas sagen lassen? Er hatte doch noch gar keine Ahnung von Beziehungen oder dergleichen.   Am Abend schnappte sich Rin ihre Unterlagen und machte sich auf den Weg zur ihrer Zimmernachbarin Ruri. Sie hatte ihr ja einige Tage zuvor versprochen beim Lernen zu helfen, wenn sie wieder von zu Hause da war. Nachdem die Blauhaarige anklopfte machte ihre Klassenkameradin auch schon die Tür auf und empfing ihren Besuch freundlich: „Schön, dass du da bist Rin. Komm doch rein.“ Die Stipendiatin bedankte sich und kam herein. Wenig später waren die beiden in ihre Lernaufgaben vertieft, als plötzlich das Handy der Eisblauhaarigen klingelte. Auf dem Display konnte Rin das Bild eines blonden Mädchens sehen, welches ihr sehr bekannt vorkam. Allerdings kam sie nicht darauf, wo sie die Blonde schonmal gesehen hatte. Entschuldigend für die Unterbrechung nahm die Schülersprecherin das Telefonat entgegen: „Hallo, was gibt’s denn?“ Nach einer kurzen Pause antwortete sie erneut: „Oh, wirklich? Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich das vergessen habe.“ Daraufhin lachte sie kurz und setzte fort: „Keine Sorge ich hole es beim nächsten Mal ab. Es ist nicht so wichtig.“ Kurz darauf beendete Ruri auch schon das Telefonat. Natürlich konnte sich ihre Lernpartnerin die Neugierde nicht verkneifen: „War das eine Freundin? Geht sie hier auch auf die Akademie?“ „Ja, das war meine beste Freundin. Sie wohnt leider in meiner Heimat, deswegen sehe ich sie nicht so oft“, erklärte die Schülersprecherin mit einem sanften Lächeln. Bevor Rin allerdings weiterbohren konnte, lenkte die Eisblauhaarige das Thema wieder aufs Lernen.   Gähnend hingen die beiden Mädchen gegen 23 Uhr noch immer über den Büchern. Die Blauhaarige wollte schon längst aufhören, wurde aber von Ruri gedrängt weiterzumachen. Recht hatte sie, denn Rin war noch lange nicht bereit für die Prüfungen. Die Schülersprecherin überkam jedoch wenig später die Müdigkeit und sie bettete ihren Kopf auf den Notizen. Selbst schon völlig übermüdet gähnte die Blauhaarige einmal herzhaft, drehte sich zu ihrer Lernpartnerin und rüttelte sie beleidigt an der Schulter: „He, du hast mir verboten Pause zu machen. Dann darfst du auch keine machen.“ Die erwartete Reaktion der Eisblauhaarigen blieb aus und so richtete Rin all ihre Aufmerksamkeit auf sie: „Ruri? Alles okay?“ Erneut versuchte sie sie wachzurütteln, als sie plötzlich ein wenig rutschte und zur Seite vom Stuhl kippte. Regungslos lag Ruri auf dem Boden. Selbst der Aufprall auf den harten Teppich brachte sie nicht ins Hier und Jetzt zurück. „Ruri!!!“, rüttelte die Blauhaarige panisch wie eine Irre an ihr. So sehr sie es auch versuchte und es sich wünschte, kam die Schülersprecherin nicht mehr zu Bewusstsein. „Was ist denn jetzt los?“, tropften der Oberschülerin Schweißperlen von der Stirn, „War sie zu müde von der Reise? Aber dann müsste sie doch trotzdem längst aufgewacht sein. Vielleicht ist es auch nur eine kleine Ohnmacht und sie wacht gleich wieder auf.“ Kurz prüfte die in Panik geratene, ob ihre Klassenkameradin überhaupt noch atmete. Obwohl die Tatsache, dass ein gesunder Mensch einfach tot umfällt ziemlich absurd wäre. Wobei es eigentlich auch schon eigenartig genug war, dass sie einfach so das Bewusstsein verloren hatte. Rin ahnte Schlimmes, wollte es aber partout nicht wahrhaben. „Ich muss Hilfe holen“, kramte das Mädchen ihr Handy heraus, „Shit! Es ist schon wieder tot. Warum funktioniert das nie, wenn man es mal braucht?!“ Wutentbrannt schmiss sie das Mobiltelefon daraufhin gegen die nächste Wand, wo es in hundert Einzelteile zersprang. Anschließend kramte sie nach dem Smartphone der Ohnmächtigen. Als sie es endlich fand, musste sie feststellen, dass es ausgeschaltet war. Aber wie ging es wieder an? Das überforderte das Mädchen so dermaßen, dass sie es wieder bei Seite legte und aufsprang. Vielleicht hatte sie Glück und sie konnte den Hausmeister oder die Rezeptionistin irgendwo auftreiben. Wie von der Tarantel gestochen flitzte die Aufgebrachte die Treppen hinunter zum Empfang. Zu ihrem Leidwesen war dort leider keine Menschenseele. Scheinbar waren schon alle in ihren Betten. Auch im Speisesaal waren bereits alle Köche gegangen und keine Schüler weit und breit. Nachdem Rin wie irre überall herumgesucht hatte, rannte sie in ihr Zimmer zurück. Vielleicht war Skye nun endlich wieder da und er wusste bestimmt was zu tun war. Zu ihrer Enttäuschung war der Raum leider leer. Auch das sinnlose Rufen nach ihm brachte nichts. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen vor Verzweiflung. Was sollte sie bloß machen? Das Wohnheim war wie ausgestorben. Alle schliefen schon und sie hatte keine Möglichkeit Hilfe zu rufen. Plötzlich entdeckte sie ihr Horo auf dem Schreibtisch und schnappte es sich in Windeseile. Obwohl es nicht mit einem Telefon gekoppelt war, konnte man mit der Kurzstreckenverbindung mit anderen Horos kommunizieren. Das war die Idee! Schnell steckte sie es sich ans Ohr und versuchte damit ihren kleinen Freund zu erreichen, welcher vorhin davongeflogen war. Leider erfolglos, denn er nahm nicht ab. Auch versuchte sie es bei Akira und Amika, jedoch war zu den beiden die Verbindung viel zu weit. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als es schlussendlich bei Kuro zu versuchen. Ungeduldig zappelte sie von einem Bein zum anderen, während das Gerät versuchte den Angerufenen zu erreichen. Das Signal ging sogar durch, allerdings nahm er den Anruf nicht entgegen. „Verdammter Mist!“, fluchte die Blauhaarige lautstark und stampfte mit dem Fuß auf den Boden auf, „Was soll ich bloß machen?!“ Kaum hatte sie die Frage ausgestoßen, wurde sie plötzlich zurückgerufen. Es war Kuro, welcher sich ziemlich genervt meldete: „Was ist?“ „Sie ist umgekippt! Einfach so!“, rief Rin panisch und mit zittriger Stimme, „Ich bekomme sie nicht mehr aufgeweckt und ich habe kein Telefon, um den Krankenwagen zu rufen! Was, wenn sie eine schlimme Krankheit hat?! Was, wenn sie jetzt stirbt?! Was, wenn…“ „Beruhige dich!“, unterbrach der Schwarzhaarige die Panische mit lauter Stimme, „Wo bist du? Wer ist umgekippt?“ „Im Wohnheim! Ruri ist einfach vom Stuhl gefallen und wacht nicht mehr auf!“, kamen Rin beinahe schon die Tränen vor Verzweiflung. „Atmet sie noch?“, kam erneut eine Frage zurück. „J-Ja“, bebte die Stimme der Blauhaarigen, „V-Vorhin atmete sie noch.“ „Bist du nicht bei ihr? Geh wieder zu ihr! Ich rufe einen Notarzt!“, befahl der Suzuki-Erbe und legte anschließend auf. Hilflos stand das Mädchen nun wieder alleine da und versuchte mit zittrigen Beinen ihr Zimmer zu verlassen. Kaum war sie aus diesem draußen, wollte sie in das Zimmer der Schulsprecherin abbiegen. Dort war allerdings schon ein kleiner Andrang von Schülerinnen, die scheinbar von Rins lauter Stimme geweckt worden waren. Eins der Mädchen telefonierte auch bereits mit dem Krankenwagen, während die anderen Ruri auf ihr Bett hoben und den Puls checkten. Daraufhin besprachen sie zwei der Mädels nach draußen zu schicken, um den Arzt direkt zu besagtem Zimmer zu führen. Diese rannten zügig an der Blauhaarigen vorbei, welche noch immer wie angewurzelt im Flur stand. Kaum waren diese verschwunden, kam eine weitere Schülerin mit der Hauskrankenschwester zurück. Diese sah sofort nach der Bewusstlosen. Noch immer beobachtete Rin das Spektakel aus dem Flur. Sie konnte sich nicht bewegen. Eine unerklärliche Starre wurzelte sie am Boden fest, als plötzlich eine der Schülerinnen aus dem Zimmer kam und an sie herantrat: „Bist du diejenige, die bei ihr war als es passierte?“ Einzig ein zaghaftes Nicken brachte die Stipendiatin heraus. „Was genau ist passiert?“, verschränkte die unbekannte Schülerin die Arme und sah Rin mit verärgerter Miene an, „Warum hast du nicht direkt einen Krankenwagen gerufen oder jemanden um Hilfe gebeten?“ Der Blick der Blauhaarigen wurde immer panischer und ihr Körper zitterte schlimmer als je zuvor. Sie schaffte es nicht eine Antwort zu geben. Ihre Lippen wollten sich nicht bewegen und ihre Gedanken waren völlig durcheinander. „Wolltest du dich etwa einfach so verdrücken, ohne ihr zu helfen?“, wurden nun auch noch falsche Anschuldigungen hervorgebracht, „Hast du sie womöglich zu Boden geschlagen?!“ Kaum hatte die Schülerin zu ende gesprochen, packte sie Rin am Kragen. „N-nein… i-ich…“, stotterte Beschuldigte. Doch sie durfte auch nicht vernünftig ausreden: „Na sag schon! Was hast du gegen die Schülersprecherin?!“ Ihr Griff verhärtete sich und es wurde von Mal zu Mal ungemütlicher. Nun versammelten sich noch zwei weitere Mädels, welche ebenfalls Anschuldigungen entgegenbrachten: „Kannst du sie etwa nicht leiden, weil ihr euch so ähnlich seht?“ „Das ist aber kein Grund sie anzugreifen! Du solltest dich schämen! Mit so jemandem wie dir will ich nicht unter einem Dach wohnen!“, kam es von der anderen. „Scher dich zum Teufel!“, fluchte erstere. Plötzlich senkte sich ein Arm zwischen Rin und ihrer Angreiferin: „Lass sie los.“ Erschrocken sahen alle zu neu Hinzugekommenem und als wäre es ein Zauberspruch gewesen, löste die Schülerin sofort ihren aggressiven Griff. Die Wut war verflogen und eine Mischung aus Erstaunen und Scham legte sich über die Mädchen. Kein geringerer als Kuro stand soeben zwischen ihnen: „Hört mal, ich weiß nicht was hier los war, aber es ist kein guter Zeitpunkt einen Schuldigen zu suchen. Aikawa-chan hat direkt den Krankenwagen gerufen und auch mich informiert.“ Auf diese Aussage hin wich das Interesse an Rin und die drei verdrückten sich in den Raum zurück, um nach dem Zustand der Eisblauhaarigen zu sehen. Die zittrige Oberschülerin stand noch immer wie versteinert da und brachte weder ein Wort noch eine Bewegung heraus. Gerade als Kuro sie ansprechen wollte, musste er für die Sanitäter zur Seite weichen. Die beiden Zurückgebliebenen beobachteten vom Flur aus, wie Ruri schließlich ins Krankenhaus abtransportiert wurde und sich die Aufregung langsam wieder legte. Schlussendlich scheuchte die Schulkrankenschwester alle wieder zurück ins Bett, während Rin ins Zimmer der Schülersprecherin ging, um ihre Sachen zusammenzusuchen. Nachdem alle weg waren, trat auch der Schwarzhaarige ein und schaute sich um. Abgesehen von den Büchern und dem zersplitterten Handy, konnte er nichts Spannendes entdecken. „Ist alles okay?“, fragte er schließlich vorsichtig. Eine Antwort blieb aus. Stattdessen häufte das Mädchen ihre Unterlagen mit zittrigen Händen aufeinander und setzte sich mit diesen in Bewegung. Sie wollte genau wie die anderen auch zurück in ihr eigenes Zimmer, jedoch machten ihr ihre Beine einen Strich durch die Rechnung. Kaum war sie zwei Schritte gegangen, knickte sie ein und sackte zusammen. All ihre Bücher und Hefte verteilten sich mit einem dumpfen Knall auf dem Boden, während sie sich versuchte mit den Händen abzustützen. Kuro eilte sofort zu ihr herüber und setzte sich neben ihr in die Hocke. Vorsichtig packte er sie an den Schultern und versuchte sie wieder aufzurichten: „Geht’s dir gut? Kannst du wieder aufstehen?“ Wieder keine Antwort. Stattdessen begann die Blauhaarige jämmerlich zu weinen. Endlich war die Anspannung vorüber und ihre Gefühle sprudelten nur so heraus. Mit einem leisen Schnauben umarmte er das Mädchen einfach wortlos und strich ihr über den Kopf. Sie erwiderte die Umarmung kurz darauf und weinte noch ein bisschen heftiger als sowieso schon. Wenige Minuten strichen ins Land ehe der Schwarzhaarige die Geduld verlor und sie vorsichtig versuchte wieder zu beruhigen: „Na komm, hör auf zu weinen. Das bringt doch nichts.“ Daraufhin versuchte er die Oberschülerin wieder auf die Beine zu bringen und reichte ihr ein Taschentuch. Während sie sich die laufende Nase putzte, sammelte der Ältere die verteilten Lernutensilien wieder ein. Diese brachte er anschließend in Rins Zimmer. Bedröppelt folgte die Blauhaarige ihm wortlos. „Geht’s dir nun besser?“, kam es mit einer Mischung aus Sorge und Genervtheit vom Suzuki-Erben. Als Antwort bekam er nur ein zögerliches Nicken, woraufhin er erneut seufzen musste. „Das hat doch keinen Sinn. Wenn ich jetzt gehe heulst du doch weiter, oder?“, war der Schwarzhaarige überaus scharfsinnig, „Pack dir ein paar Sachen zusammen und komm mit. Du kannst bei mir zu Hause übernachten. Skye ist auch da.“ Wieder blieb eine Antwort aus. Stattdessen stopfte Angesprochene ein paar Dinge in eine Tasche und trat zögerlich an den Wartenden heran: „D-Danke.“ „Sie kann sprechen“, applaudierte Kuro theatralisch. Daraufhin erntete er einen leichten Schlag auf den Oberarm. „Au! Was soll das?“, kam es ironisch aus dem jungen Mann. Ein darauffolgendes freches Grinsen konnte er nicht unterbinden und die beiden machten sich auf den Weg zum Ausgang. Unterdessen fand Rin endlich wieder ihre Stimme: „Du~?“ „Hm?“, antwortete der Ältere. „Kann ich doch das Handy haben?“, brachte sie hervor. „Ach, jetzt auf einmal?“, konnte er es sich nicht verkneifen, „Die ganze Zeit predige ich schon, dass du eins brauchst was funktioniert. Warum musste denn erst was passieren, bis du einsichtig wirst?“ Erneut erntete er einen Schlag auf den Oberarm und einen grummeligen Blick der Jüngeren. Sie blähte beleidigt ihre Wangen auf und ging einen Schritt schneller, um diesen rechthaberischen Blödmann nicht mehr ertragen zu müssen. „Das alte Handy geht nun mal nicht mehr und da du ja noch eins rumliegen hast, kann ich das ja nehmen“, versuchte sie sinnlose Ausflüchte zu suchen. Kuro beschleunigte seinen Schritt nun ebenfalls und holte sie wieder ein: „Schmeißt du das dann auch gegen die Wand?“ „Halt die Klappe!“, keifte sie ihn an. „Na hör mal“, veralberte er sie weiter, „Ich muss das wissen. Das ist aus Versicherungsgründen sehr wichtig.“ „Ach ja? Letztens sagtest du noch, dass ich es erstatten muss und nicht die Versicherung“, streckte sie ihm die Zunge heraus. Daraufhin schnipste er ihr gegen die Stirn und grinste sie siegessicher an: „Na, wenn dir das lieber ist, dann machen wir es so.“ „Au!“, hielt sie sich die getroffene Stelle und keifte ihn an, „Du bist ein Idiot!“     Kapitel 27 - Gesprengte Feier ----------------------------- Donnerstag, 07.Mai 2015   Da Rin die vergangene Nacht sowieso kaum ein Auge zugetan hatte, war sie bereits am frühen Morgen auf dem Weg zum Krankenhaus. Kuro sagte zwar sie solle am heutigen Tag ganztägig für ihn arbeiten, nannte jedoch keine Uhrzeit. Sie konnte ihn so früh auch nirgends finden, weswegen sie nur dem Hausmädchen Bescheid gab, dass sie kurzzeitig außer Haus war. Die Oberschülerin wollte nach ihrer Freundin sehen. Ruri war so plötzlich umgekippt, dass sie es kaum wahrhaben wollte. Mit Skye hatte sie deswegen leider noch nicht gesprochen, aber die Blauhaarige ahnte bereits wohin sie der Vorfall führen würde. Allerdings wollte sie dennoch Gewissheit. Es konnte trotz allem sein, dass die Schülersprecherin einfach nur sehr erschöpft gewesen und deswegen aus den Latschen gekippt war. Endlich angekommen versuchte sich Rin in dem großen Gebäude zu orientieren. Um erstmal herauszufinden wo ihre Klassenkameradin zu finden war, sprach sie mit der Empfangsdame. Diese tippe daraufhin etwas in den Computer ein, kniff die Augen zusammen und ging näher heran. Erneutes Tippen folgte. Als sie wieder stoppte legte sie den Kopf schief und schien nachzudenken. Wieder drückte sie einige Tasten, bis sie sich schließlich an die Besucherin wandte: „Miuna-san ist nicht hier.“ „Wurde sie bereits entlassen?“, weiteten sich die Augen der Stipendiatin ungläubig. Da das Mädchen nicht wusste, ob sie nun froh oder besorgt sein sollte, versuchte sie herauszufinden was Sache war. Theoretisch deutete alles darauf hin, dass es der Eisblauhaarigen gut zu gehen schien, wenn sie nicht im Krankenhaus war. Allerdings war dies nicht das einzige Gebäude dieser Stadt, in der sie sein konnte. Es war nur das Wahrscheinlichste. „Nein, sie wurde nicht entlassen. Sie wurde verlegt“, gab die Dame Auskunft. Der kurze Moment der Freude legte sich wieder und voller Erstaunen fragte Rin: „Wohin wurde sie gebracht? Ins Zentralkrankenhaus?“ Ein ungläubiger Blick traf die ältere Frau, woraufhin diese weitererklärte: „Nein, nein. Wenn ich das richtig lese, dann wurde sie über Nacht in ihre Heimatstadt verlegt.“ „Und welche Stadt und welches Krankenhaus ist das?“, bohrte die Schülerin ungeduldig, „Geht es ihr so schlecht? Ist sie noch immer nicht aufgewacht?“ Überrumpelt von der Fragenflut sah die Empfangsdame verdutzt drein, ehe sie wieder Worte fand: „Über den Zustand der Patienten besteht eine Schweigepflicht. Es sei denn du gehörst zur Familie. Und persönliche Informationen darf ich erstrecht nicht preisgeben.“ Noch eine Weile versuchte Rin die Frau zu überreden. Leider erfolgslos.   Auf dem Rückweg zum Suzuki Anwesen überlegte das Mädchen bereits wie sie an Ruris Daten kommen könnte. Egal wie sie es drehte und wendete, sie musste Kuro fragen. Er hatte garantiert die ganzen Schülerdaten und konnte sie ihr bestimmt aushändigen. Sie musste ihm nur erklären, dass die Situation die gleich wie bei Amika sein könnte und die Schülersprecherin somit an der Todesschwelle stand. Kaum war das Mädchen wieder zurück im Anwesen, wurde sie hektisch überrumpelt und in die Uniform der Dienstmädchen gesteckt. Generell waren heute alle Angestellten des Hauses ziemlich in Aufruhr und mit Arbeit überladen. Auch Shina rannte eilig umher. Rin war noch nicht einmal vollständig umgezogen, da wurden ihr schon die ersten Aufgaben aufgetragen. Eigentlich war sie die ganze Zeit nur mit nervigen Laufburschenaufgaben beschäftigt. Sie schleppte rund hundert Stühle in den großen Saal und rückte mit den anderen Dienstmädchen Tische zurecht. Dann schleppte sie Blumengestecke und verteilte sie im gesamten Haus. Auch Stehtische holte sie aus dem Schuppen, welcher eher einem kleinen Haus glich, und stellte sie im Garten auf. Diese wurden mit Stoff überzogen und anschließend dezent mit Blumen dekoriert. Der Hausmeister baute währenddessen eine Bar mit allem Drum und Dran im Garten auf. Als Rin erneut den großen Saal betrat, waren die Dienstmädchen mit dem Eindecken der gestellten Tische beschäftigt. Die Blauhaarige staunte nicht schlecht über die vornehmen Tafeln. Allerdings blieb ihr nicht viel Zeit zum Betrachten, denn sie wurde sofort wieder in neue Arbeit gestürzt. Sie sollte allen hundert Stühlen Hussen überziehen und mit einer hübschen Schleife versehen. Damit war das Mädchen einige Stunden beschäftigt. Die Stuhlüberzieher waren recht widerspenstig und die Schleifen wurde nie so, wie sie sein sollten. Mehrfach musste man der Blauhaarige erklären wie das mit den Schleifen funktionierte. Es dauerte keine zehn Stühle, ehe sie die Geduld verlor und lauthals losfluchte. Allerdings brachte das nichts, als ein paar erstaunte Blicke ihrer Kolleginnen. Die Blauhaarige hätte lieber noch fünfhundert weitere Stühle rumgetragen, als diese Fummelarbeit zu erledigen. Aber einfach alles hinschmeißen wollte sie auch nicht. Diese Blöße würde sie sich sicherlich nicht geben. Also schnaubte sie einmal laut und gab ihr Bestes die Arbeit schnell und gut zu erledigen. Während sie den ganzen Tag herumgescheucht wurde, sah sie nicht einmal Kuro. Eigentlich hatte sie es ziemlich eilig ihn wegen Ruri anzusprechen, aber sie konnte ihn auch nicht suchen gehen, da sie nur so mit Arbeit überhäuft wurde. Jedoch konnte sie mit einigen Angestellten reden, welche ihr erklärten was dieses ganze Theater sollte. Wie es aussah fand heute Abend eine große Feierlichkeit statt. So würde es einen großen Empfang im Garten geben, ehe die Gäste im großen Saal speisen würden. Über den Tag baute sogar eine kleine Band ihre Instrumente auf der Bühne im Speisesaal auf und machte einen Soundcheck. Was Rin da zu hören bekam war jedoch so gar nicht ihre Musik. Es erinnerte eher an eine Mischung aus Fahrstuhlmusik und Schlager.   Als endlich alles fertig aufgebaut war, setzten sich alle Angestellten beisammen und aßen noch einen Happen. Zu Rins Erstaunen waren es plötzlich verdammt viele Leute. Einige von ihnen hatte sie noch nie gesehen. Es waren ganze sieben Küchenangestellte und elf weitere in Servicekleidung. Selbst der Hausmeister hatte sich dieses Mal in Schale geworfen. Was wurde hier bloß gefeiert? Die Schülerin hatte gerade ihren letzten Bissen gegessen, als plötzlich Kuro den Raum betrat und alle augenblicklich verstummten. Der Schwarzhaarige hatte sich ebenfalls herausgeputzt und trug einen Anzug mit Krawatte. Selbst seine Haare hatte er ordentlich zurückgegelt. Der Stipendiatin wäre bei diesem Anblick beinahe die Kinnlade heruntergeklappt. „Der Aufbau hat ja schonmal reibungslos geklappt“, begann der Suzuki-Erbe, „Ich bin eben nochmal alles durchgegangen und es ist wie immer hervorragend geworden. Trotzdem möchte ich, dass nochmal jemand die Stuhlschleifen überprüft. Da sind noch ein paar schief.“ Zum Glück sprach er direkt weiter, denn Rin wäre deswegen beinahe in die Luft gegangen. Es klang im ersten Moment so, als hätte er sie absichtlich ärgern wollen. Aber das Mädchen wusste nur zu gut, dass die Stühle nicht alle perfekt aussahen. Diese Arbeit lag ihr einfach nicht. „Kommen wir nun zur Einteilung“, blätterte Kuro eine Seite auf seinem mitgebrachten Klemmbrett herum, „Joel kümmert sich um die Begrüßung der Gäste und ist meine rechte Hand. Die Servicekräfte finden sich bitte Paarweise zusammen. Ein Festangestellter schnappt sich bitte immer eine Aushilfe. Kaigo, du machst wie immer die Bar. Deine Aushilfe kommt noch. Während des Wechsels der Bar von draußen nach drinnen, wird dir Joel unter die Arme greifen.“ Einheitliche Zustimmung erfüllte den Raum, ehe er weitersprach: „Wir haben zehn Tische im Innenbereich. Bitte teilt euch die Stationen selbst auf. Jedes Paar zwei Tische. Im Außenbereich teilt ihr euch bitte auch selbstständig auf. Jedes Paar geht mit Häppchen und Aperitifs herum. Beim Wechsel geht jeweils einer aus jedem Servicepaar mit herein und kümmert sich schonmal um den Wein- und Getränkeservice an den zugeteilten Stationen. Sprecht euch auch da bitte mit allen ab. Beim Servieren des Essens möchte ich bitte, dass die Geübten das anpacken und die Aushilfen sich um die Getränke kümmern.“ Wieder machte er eine kleine Pause und blätterte in seinen Unterlagen: „Nun zum Ablauf während des Essens. Bevor die Vorspeise serviert wird, werde ich eine recht kurze Begrüßungsrede halten. Ab dann könnt ihr auch schon mit dem Anrichten beginnen, Takeo.“ Der angesprochene Koch nickte und Kuro sprach weiter: „Dann brauche ich eine größere Pause zwischen Hauptgang und Dessert. Ich gebe dem Service Bescheid, sobald es weitergehen kann.“ Schließlich nahm er ein paar Blätter aus seinem Klemmbrett heraus und legte sie auf den Tisch: „Hier ist der Zeitplan. Versucht euch wie immer daran zu orientieren. Die Einteilung der Küchencrew erfolgt durch Takeo. Noch irgendwelche Fragen?“ Einheitliches Schweigen beantwortete seine Frage. Seine Bediensteten verstanden die klaren Anweisungen problemlos. Einzig Rin schwieg, denn wenn sie ehrlich war, hatte sie überhaupt nichts verstanden von dem was der Schwarzhaarige da von sich gab. Warum machte er es so kompliziert? Die Blauhaarige dachte immer, dass solch ein einfacher Job als Bedienung keiner Struktur folgte und man einfach Bestellungen aufnahm und dann eben hinbrachte. Warum machte der Suzuki-Erbe plötzliche eine Doktorarbeit daraus? Schlussendlich zog Kuro wieder von dannen und die Angestellten berieten untereinander die Details Auch hier standen der Schülerin wieder tausend Fragezeichen über dem Kopf. Wie ihr schien war sie die Einzige, die so absolut keinen Plan vom großen Ganzen hatte. Selbst Shina konnte mitreden und ihre hilfreiche Meinung zum Gespräch einbringen.   Endlich waren alle eingeteilt und auf Position. Rin bildete mit Shizuka, einem der Hausmädchen, eine Gruppe. Glücklicherweise leitete sie die Ahnungslose und sagte ihr was für den Moment zu tun war. So schickte sie Rin zur Bar, um sich ein Tablett mit dem Aperitif zum Austeilen abzuholen, während die Ältere zur Küche ging, um anschließend mit Häppchen herumzugehen. Als Rin an der Bar ankam, staunte sie nicht schlecht: „Y-Yoshida-kun?! Was machst du denn hier?“ Dieser grinste sie freundlich an: „Ich bin die Aushilfe an der Bar.“ Nach kurzem Smalltalk reichte er der Blauhaarigen ein volles Tablett mit Champagner. Zittrig nahm sie es mit beiden Händen entgegen und setzte einen Fuß vor den anderen, um auf die ersten Gäste zuzulaufen. Während ihre Kollegen das Tablett mit einer Hand trugen und mit der anderen selbstsicher die wackeligen Stielgläser reichten, war Rin damit beschäftigt ihre zu balancieren, damit sie nicht umkippten. Statt eines freundlichen Lächelns hatte sie nur einen ziemlich düsteren und konzentrierten Blick, welcher stets auf ihre Gläser gerichtet war. Einige der geladenen Gäste kamen an ihr vorbei und nahmen sich das Getränk selbstständig herunter. Zwar war es gut für das Mädchen, dass sie beide Hände am Tablett behalten konnte, aber dennoch stand sie auch weiterhin vor einer großen Herausforderung. Durch das wahllose Herunternehmen verlagerte sich das Gleichgewicht ständig anders und sie musste sich noch viel mehr auf das Balancieren ihres wackeligen Gutes konzentrieren. Wenig später war sie all ihre Gläser endlich losgeworden und kehrte zur Bar zurück. Dort hatte sich mittlerweile auch ein großer Ansturm von Gästen gebildet, welche nach anderweitigen Getränken fragten. Kaigo und Akira waren ziemlich ausgelastet und bereiteten eilig diverse andere Drinks zu. Als Rin ihr leeres Tablett abstellte, bekam sie daraufhin von dem Älteren nur zugerufen sie solle einfach mit einem der Vollen weitermachen. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und widerwillig griff sie nach dem Champagner. Wieder drehte sie damit eine langsame Runde voller Konzentration. Da sich der Garten immer weiter füllte, war der Schwierigkeitsgrad nun noch weiter erhöht, denn sie konnte einen Slalomlauf durch die engen Massen machen. Das Schlimme war, dass die Gäste sie teilweise gar nicht bemerkten und Rin einige Male einen unglücklichen Zusammenprall gerade so vermeiden konnte. Nach dem fünften Tablett war sie schon etwas sicherer geworden und ihre krampfhaften Gesichtszüge hatten sich etwas gelockert. Auch ihr Schritt war nun um einiges schneller und wendiger. Das Ausweichen vor den Leuten fiel ihr viel leichter und ihre Hände zitterten nur noch halb so viel. Gerade als sie sich wieder umdrehen wollte, tauchten plötzlich zwei kleine Kinder wie aus dem Nichts auf und rannten ungehalten gegen die Schülerin. Diese rechnete so gar nicht mit dem plötzlichen Zusammenprall und taumelte einen Schritt zurück. Währenddessen versuchte sie ihr Tablett zu balancieren, damit der restliche Champagner nicht herunterfiel. Das war allerdings ein Ding der Unmöglichkeit, denn sie selbst hatte ihre Balance durch den Zusammenstoß schon längst verloren und plumpste schließlich laut schreiend rückwärts in den großen Springbrunnen. Zeitgleich leuchtete ihr Saphir auf und zu allem Übel spritzte auch noch das Wasser fontänenartig zu allen Seiten heraus. Die Gläser, welche mit Schwung durch die Luft flogen, fielen zum Abschluss dann auch noch laut klirrend zu Boden, wodurch ihr die Aufmerksamkeit der Gäste sicher war. Die umstehenden Leute waren durch die Wasserspritzer nass geworden und gaben bereits verärgerte Worte von sich, während das Mädchen wie versteinert im Springbrunnen saß. Sie war von oben bis unten durchnässt und blutete zu allem Überfluss auch noch an den Händen. Überall hatten sich durch die Scherben kleine Schnittwunden aufgetan. Hier und da steckten die Glassplitter sogar in ihrer Handfläche fest, weil sie sich auf dem Boden abstützte. In Windeseile kam schließlich Shina zur Durchnässten gerannt, entschuldigte sich bei den Gästen und zog die Blauhaarige aus dem Brunnen, ehe sie mir ihr im Anwesen verschwand. Erst im Personalraum kamen sie zum Stehen und die Brünette atmete durch. „Es tut mir leid“, war Rin aufgebracht, „Ich habe einfach nicht aufgepasst.“ „Es ist nicht deine Schuld“, suchte Shina eine frische Uniform heraus. Die Stipendiatin hingegen drückte sich ein Taschentuch gegen die blutenden Stellen und versuchte die restlichen kleinen Splitter aus ihren Händen zu bekommen: „Natürlich ist es meine Schuld. Ich kann nie irgendetwas richtig machen. Bei euch allen sieht es so leicht aus und ich kämpfe damit als sei es das schwerste von der Welt.“ „Du machst das doch zum ersten Mal, oder?“, hakte die Brünette nach, „Als ich zum ersten Mal Gläser tragen musste, fiel es mir auch unheimlich schwer.“ „Aber du hast sicherlich kein Tablett fallen lassen und bist in den Springbrunnen gefallen“, bibberte die Blauhaarige. „Raus aus den nassen Klamotten, sonst erkältest du dich noch“, forderte Shina, „Und nein, mir ist das nicht passiert. Aber ich wurde auch noch nicht von irgendwelchen Kindern über den Haufen gerannt. Die sind der Endgegner auf solchen Veranstaltungen.“ „Wirklich? Dann hast du wohl einfach besser aufgepasst. Ich gehöre einfach nicht in diese vornehme Welt“, schälte sich die Oberschülerin aus der nassen Uniform. Ihr Gegenüber half ihr und versuchte ihr wieder Mut einzureden: „Bisher war ich noch nicht an so vielen Veranstaltungen mit kleinen Kindern gewesen. Mir hätte heute dasselbe passieren können.“ Schweigen legte sich über die Bedrückte und ihre Kollegin redete weiter: „Hör mal. Aufzugeben kenne ich von dir gar nicht. Ehrlichgesagt finde ich das sogar ein wenig bewundernswert was du für ein Durchhaltevermögen an den Tag legst. Außerdem ist es trotzdem nicht deine Schuld, wenn die Eltern ihre Kinder unbeaufsichtigt rumrennen lassen und nicht achtgeben was sie anstellen.“ „Irgendwie hast du ja recht“, trocknete sich die Durchnässte ein wenig ab, ehe sie in die frische Kleidung schlüpfte. „Glaub mir ruhig. Die meisten Unfälle passieren wegen der unachtsamen Eltern. Kinder sind unberechenbar und dann auch noch so klein, dass sie außerhalb des Sichtfeldes sind“, gaben Shinas beruhigende und aufmunternde Worte ihr wieder Halt. „Kuro wird mir dennoch den Kopf abreißen“, schnaubte die Blauhaarige. „Blödsinn“, winkte die Brünette nur ab, „So schnell wird er nicht böse. Jedem hätte dieses kleine Malheur passieren können.“ „Wenn du das sagst“, war sich die Stipendiatin da nicht so sicher. „Ach so, hör mal“, begann Rin zögerlich, „Ich habe dein Handy kaputtgemacht. Also eigentlich war es vorher schon kaputt. Der Akku hatte einen Wackler und war außerdem immer ganz plötzlich leer. Tut mir leid.“ Ihr Gegenüber musste daraufhin leicht lachen: „Halb so wild. Mir tut es eher leid, dass ich dir so einen Mist gegeben habe. Das Handy ist schon recht alt und lag ziemlich lange ungenutzt herum. Da muss wohl der Akku vom Rumliegen kaputtgegangen sein. Aber dann hast du ja schon wieder kein Telefon.“ „Mach dir darum mal keinen Kopf“, winkte die Blauhaarige ab, „Ich habe jetzt ein Smartphone.“ Gerade als Shina das letzte Pflaster auf die offenen Stellen der blutigen Hand geklebt hatte, ging plötzlich die Kabinentür auf und ein wütender Kuro trat herein. „Ist dir eigentlich klar, was du da angerichtet hast?!“, keifte er wutentbrannt, „Die Gäste sind nicht nur nass und sauer, sondern auch empört über meine Unfähigkeit das Personal zu schulen! Du hast mich vor allen lächerlich gemacht!“ Wie erstarrt blickten die beiden Mädchen zum Suzuki-Erben herüber, welcher kurz nach Luft schnappte und dann weiter herumwütete: „Jetzt kann ich mich rechtfertigen und all diese Leute entschädigen! Das sind alles hohe Tiere der Geschäftswelt und du hast sie mit Dreck bespritzt! Der Bürgermeister und seine Frau, die ganzen Vorsitzenden, ja sogar die Mizunos! Scher dich doch zum Teufel! Du bist gefeuert! Pack deine Sachen, ich will dich nie wieder sehen!“ „Jetzt reichts aber!“, erhob nun auch Shina ihre Stimme, „Rin wurde von zwei Kindern über den Haufen gerannt! Das hätte jedem passieren können! Komm mal wieder runter! Seit wann bist du so impulsiv?!“ Außer Atem und mit geballten Fäusten stand die Brünette wütend vor dem Suzuki-Erben. Dieser hingegen war völlig perplex von ihrem Ausbruch und starrte sie nur überrumpelt an. Dass Shina laut wurde, war für ihn Neuland. Aber auch die Blauhaarige war überrascht, dass ihre Kollegin sich so für sie einsetzte. Da Kuro die Worte zu fehlen schienen, knurrte er nur widerwillig und verließ sogleich den Raum. Grundsätzlich wusste er, dass seine Assistentin recht hatte. Aber die Konsequenzen und der ganze Stress setzten ihm zu. „Ist alles okay?“, befasste sich die Brünette mit der Schweigsamen. „Habe ich gerade mein Stipendium verloren? Der Job war die Voraussetzung“, war Rin vollkommen aufgelöst. „Ach Blödsinn“, winkte ihr Gegenüber ab, „Suzuki-kun steht im Moment ziemlich unter Stress. Ich denke nicht, dass er es so gemeint hat, wie er es gesagt hat. Ehrlichgesagt dachte ich generell nicht, dass er überhaupt so austickt. Es ist schon häufiger mal ein kleines Unglück passiert, aber statt den Schuldigen zu feuern hat er lieber an der Lösung gearbeitet.“ „Ich bin wohl nicht würdig genug, wenn er zum ersten Mal so ausgetickt ist“, verfiel das Mädchen schon wieder im Selbstmitleid. Innerlich biss sich Shina in den Hintern für ihre Aussage. Eigentlich wollte sie ihr Mut machen, aber sie hatte das Gegenteil bewirkt. Generell verstand sie nicht warum der Suzuki-Erbe immer so auf ihre Kollegin losging. Es war, als wäre Rin manchmal sein Sündenbock, an der er all seine Launen auslassen könnte. „Du bist mehr als würdig. Lass den Kopf nicht hängen“, klopfte ihr die Brünette auf die Schulter. Plötzlich ging erneut die Tür auf und Akira trat herein: „Wie geht es euch?“ „G-ganz gut. Warum?“, verstand Shina den Zusammenhang nicht. „Ich habe euren Streit zufällig mitgehört. Keine Sorge ich habe Kuro auch nochmal den Kopf gewaschen, aber ich befürchte, dass er im Moment andere Sorgen hat“, schnaubte der Rothaarige, „Übrigens verdienst du meinen Respekt, Minatsuki-chan. Wie du ihn zurechtgestutzt hast war einmalig.“ Daraufhin musste der junge Mann herzlich lachen und die Brünette lief knallrot an. Es war ihr peinlich, dass es jemand mitbekommen hatte wie sie den Suzuki-Erben anbrüllte. „I-ich gehe mal wieder zurück an die Arbeit. Kümmere du dich bitte um Rin“, lief sie peinlich berührt davon und ließ die beiden alleine. Bevor die Tür wieder ins Schloss fiel konnte die Blauhaarige noch aus dem Augenwinkel sehen, wie ein kleiner blauer Schmetterling um ihre Kollegin flatterte. Wieder hatte sich ein Social Link erweitert. Noch ehe Akira etwas sagen konnte, meldete sich das Mädchen zu Wort: „Geh ruhig auch wieder an die Arbeit. Ich komme schon klar.“ Bedröppelt starrte sie erneut zu Boden und wusste nichts mit sich anzufangen. Sie wusste nicht, ob es klug war auch zurück an die Arbeit zu gehen oder doch lieber davonzulaufen. Die Angst vor dem Spott der Leute lähmte sie. Aber die größte Furcht hatte sie wohl vor einem erneuten Ausbruch des Schwarzhaarigen. „Nein, ich mache jetzt Feierabend“, erklärte der Rothaarige gelassen, „Kaigo kommt an der Bar im Speisesaal alleine klar und Joel hilft im Notfall. Ich bin also überflüssig.“ „Ach so“, kam es bedrückt von der Oberschülerin. „Und du machst auch Feierabend. Kuro hat viel zu viel Personal für den heutigen Abend eingestellt. Ihr steht euch nur gegenseitig im Weg“, erklärte er. Erleichterung machte sich in der Stipendiatin breit, denn sie wollte wirklich nicht zurück an die Arbeit. Allerdings wollte sie auch nicht einfach abhauen. Dann hätte sie ein schlechtes Gewissen ihren Kollegen gegenüber gehabt. Dass Akira sie also zum Feierabend zwang war ihr mehr als recht. „Zieh dich in Ruhe um und dann treffen wir uns hier vorne in der Eingangshalle. Ich habe noch etwas zu klären, bevor wir gehen“, meinte der junge Mann. „Wir?“, verstand Rin nicht ganz was er damit meinte. Daraufhin grinste er: „Ja, lass uns noch irgendetwas machen. Der Abend ist noch jung.“ Zwar war das Mädchen etwas irritiert, nickte jedoch zustimmend. Sie konnte etwas Ablenkung gut gebrauchen.   Kapitel 28 - Rins Entschluss ---------------------------- Donnerstag, 07.Mai 2015   Noch einmal atmete Rin tief durch, bevor sie den Personalraum des Suzuki Anwesens verließ. Trotz all der aufmunternden Worte und Hilfe ging es dem Mädchen nicht sonderlich besser. Dass sie in den Springbrunnen gefallen war und Kuros Wut zu spüren bekam, setzte ihr mehr zu als gedacht. Wartend stand sie nun wie vereinbart in der Eingangshalle und hoffte, dass Akira bald erscheinen würde. Die Gäste waren mittlerweile alle im Speisesaal versammelt, in welchem der Suzuki-Erbe soeben seine Begrüßungsansprache hielt, als die Blauhaarige plötzlich von hinten an der Schulter angetippt wurde. Schnell drehte sie sich um, in der Erwartung ihren Kumpel anzutreffen. Allerdings sah sie in ein verärgertes grünes Augenpaar, welches einer jungen Dame gehörte. Sie schien kaum älter als Rin selbst zu sein. Ihre Lockenpracht war dunkelviolett mit weiß auslaufenden Spitzen und mit einer hellgrünen Schleife zurückgebunden. Einzig zwei dickere Strähnen hingen ihr an den Seiten herunter. Um ihren Hals trug sie eine Kette mit einem Diamanten in Sternenform. Außerdem hatte sie ein schulterfreies hübsches weißes Kleid mit grünen und schwarzen Akzenten angezogen. Passend dazu trug sie weiße Söckchen und elegante schwarze Schuhe. „Was fällt dir eigentlich ein meinen Verlobten so zu demütigen?!“, stemmte die Violetthaarige die Hände in die Hüfte und sah Rin wütend an. In ihrem Blick lag dabei ein Hauch Arroganz, welcher die Angeschnauzte ziemlich nervte. Warum nur hielten sich die Leute mit zu viel Geld immer für etwas Besseres? Das würde sie wohl nie verstehen. „Hör mal, ich kenne deinen Verlobten doch gar nicht!“, ließ sich das Mädchen nichts gefallen, „Wer bist du überhaupt, dass du dich so aufspielst?! Nur weil deine Eltern vielleicht ein bisschen Kohle haben, bist du nicht besser als andere!“ „Du bist also nicht nur ein ungehobelter Trampel, sondern auch noch dumm?!“, trug die Violetthaarige die Nase ziemlich weit oben, „Ich bin Kyara Mizuno! Merk dir das lieber und erweise mir deinen Respekt! Sonst lasse ich dich feuern, sollte es Ayu nicht schon längst getan haben!“ Statt der blöden Schnepfe zu widersprechen war Rin damit beschäftigt zu verstehen was sie von sich gab. Sie wusste es war nichts Nettes, kapierte aber den Zusammenhang nicht. Noch während die Blauhaarige darüber nachdachte, kam endlich Akira hinzu. „Ah, äh, hallo Mizuno-san“, grinste er Kyara schief an und versuchte so nett wie möglich zu sein, „Entschuldige uns bitte. Wir müssen dringend los.“ Eine Antwort darauf blieb aus, denn der Rothaarige ergriff ziemlich eilig das Handgelenk seiner Begleitung und machte sich aus dem Staub. Kaum um die nächste Ecke abgebogen hatte Rin einige Fragen: „Kennst du diese Zicke etwa?! Die nimmt sich echt ganz schon viel raus finde ich.“ Der junge Mann normalisierte seinen Schritt daraufhin wieder und ließ das Handgelenk der Blauhaarigen los: „Ich kann sie auch nicht ausstehen, glaub mir. Sie benimmt sich wie eine Prinzessin und glaubt sie könnte alles haben, weil sie Kuros Verlobte ist. Außerdem besitzen die Mizunos mehr oder minder einen ganzen Stadtteil. Nur logisch, dass sie so abgehoben ist. Mit mir hat sie auch ein Problem, also mach dir nichts draus.“ „Verlobte?!“, schien das alles gewesen zu sein was bei der Oberschülerin hängengeblieben war. „Ja, mir wäre das auch viel zu jung, um verlobt zu sein. Aber es ist ja nicht unsere Angelegenheit“, winkte Akira grinsend ab. Die Stipendiatin wusste nicht recht was sie zu diesem Thema noch sagen sollte. Im Grunde sah sie es wie ihr Begleiter, trotzdem interessierte sie das Ganze brennend. Oft hatte sie davon in Mangas gelesen, dass bei den Wohlhabenden die Kinder aus wirtschaftlichen Gründen einfach miteinander Verheiratet wurden. Egal ob sie wollten oder nicht. Meistens war es so, dass einer der beiden dagegen war und dann mit jemand ärmlichen durchbrannte, um seinen Willen durchzusetzen. Aber das Mädchen wusste nur zu gut, dass diese Geschichten in der Realität nie zutrafen. Außerdem wirkte Kyara nicht so, als sei sie abgeneigt gegen eine Hochzeit. Jedoch interessierte die Blauhaarige wie Kuro wohl darüber dachte. Sie fand es absolut unmöglich jemand so arrogantes nett zu finden. Wobei der Schwarzhaarige in ihren Augen auch nicht unbedingt einen besseren Charakter hatte. Also passten sie eigentlich ganz gut zusammen. Ein lauter Seufzer entwich ihr und sie versuchte auf andere Gedanken zu kommen: „Wohin gehen wir eigentlich? Hast du etwas Bestimmtes vor?“ Freudig lächelte Akira: „Ich dachte mir, dass wir erstmal etwas Essen gehen. Und dann können wir ja mal schauen.“ „Klingt gut“, nickte das Mädchen zustimmend. Obwohl sie erst vorhin etwas zu essen bekommen hatte, war sie ebenfalls wieder hungrig und fand den Vorschlag gut. Allerdings bedeutete das auch, dass sie die ganze Zeit mit ihm reden musste. Sie hoffte inständig, dass er nicht wieder ein unangenehmes Thema ansprechen würde und sie wenigstens heute Abend ihren Kopf freimachen konnte. Der ganze Tag war viel zu stressig gewesen und das Desaster mit dem Springbrunnen zehrte immer noch an ihren Nerven.   Freudig nahm Rin einen Bissen ihres Okonomiyakis, doch im gleichen Moment stellte sie fest, dass es viel zu heiß war. Panisch zog sie den Atem nach innen und versuchte sich kalte Luft zuzufächeln. Natürlich brachte es nicht viel. Ihr Begleiter musste daraufhin lachen: „Iss langsam, das ist heiß.“ „Das hab ich dann auch gemerkt“, nahm sie einen großen Schluck ihres kalten Getränkes, nachdem sie das Stückchen heruntergeschlungen hatte. Ihr Kopf war durch die Hitze des Essens leicht rot geworden und auch ein paar Schweißperlen hatten sich gebildet. Das war natürlich mal wieder eine ziemlich peinliche Situation in die sich die Oberschülerin katapultiert hatte. Gott sei Dank konnte ihr Begleiter darüber lachen. Kuro hätte sie ganz sicher nur wieder ausgeschimpft und als unfähig bezeichnet. „Mir ist übrigens die Sache mit Miuna-chan zu Ohren gekommen“, wechselte Akira das Thema, „Es kursieren ganz eigenartige Gerüchte, dass sie niedergeschlagen wurde oder so. Weißt du was da passiert ist?“ „Ich habe sie aber nicht k.o. geschlagen! Sie ist einfach vom Stuhl gefallen und hat sich nicht mehr bewegt“, stammelte Rin fast schon hysterisch. Ihr Gegenüber schaute nur verdutzt drein: „Wer sagt denn, dass du es warst?“ „Äh… oh“, stotterte die Blauhaarige nur. Er hatte tatsächlich nichts dergleichen erwähnt. Obwohl ja kein anderer in Frage gekommen wäre, denn sie war als einzige zur Zeit des Geschehens in Ruris Nähe gewesen. Aber die Anschuldigungen ihrer Mitschülerinnen machten ihr wohl noch zu schaffen. Zumal sie wusste, dass sie nicht unbedingt die Beliebteste war und es dann zu allem Übel auch noch die Schülersprecherin getroffen hatte. „Weißt du mehr über den Vorfall? Ich finde das hat Ähnlichkeiten mit der Sache von Shiori-chan“, stellte der Rotschopf fest. „Na ja, lange Geschichte kurz: Wir haben zu zweit gelernt, als sie vom Stuhl fiel und nicht mehr aufwachte“, erklärte die Stipendiatin, „Vielleicht ist es nur eine Gehirnerschütterung oder dergleichen, aber ich habe ehrlichgesagt auch eine böse Vorahnung.“ „Wir müssen der Sache unbedingt nachgehen. Ich will keinen Tot verantworten, den wir hätten verhindern können“, war der junge Mann besorgt. Die Blauhaarige nickte: „Tatsächlich bin ich schon dabei. Ich stehe nur leider vor einem Problem, denn ich weiß nicht wo Ruri ist. Sie wurde in ein Krankenhaus ihres Heimatortes verlegt. Weißt du vielleicht wo sie herkommt?“ „Oh, ich wusste nicht mal, dass sie aus einer anderen Stadt kommt“, war Befragter sichtlich überrascht, „Aber das ist trotzdem kein Problem. Wir fragen einfach Kuro.“ Das Mädchen hob kritisch eine Augenbraue: „Wir? Nein danke. Ich werde Shina mal fragen, ob sie was weiß. Immerhin haben die beiden ja öfter mal zusammengearbeitet.“ „Trotzdem werde ich nochmal bei unserem Miesepeter nachfragen. Je schneller wir eine Antwort haben, umso besser. Nur heute ist der denkbar ungünstigste Tag. An seinem Geburtstag ist er immer total gestresst und kann keine Ablenkung gebrauchen“, seufzte der Oberschüler. Sein Gegenüber allerdings fiel aus allen Wolken: „Was?! Geburtstag?! Der Anlass dieses unsinnigen Spektakels ist sein Geburtstag?!“ Rin brüllte so laut, dass sie die Blicke sämtlicher Leute in dem kleinen Restaurant auf sich zog. Der Rothaarige versuchte sie noch zu zügeln, aber ohne Erfolg. Es interessierte die Stipendiatin noch nicht einmal, dass sie jeder anstarrte, denn sie bohrte einfach weiter. Dieses Mal aber in normaler Lautstärke: „Aber warum sagt mir das keiner? Das konnte ich ja nicht ahnen. Und warum veranstaltet er freiwillig so einen nervigen Unsinn?“ „Es wird eben von ihm erwartet und ist nicht zu ändern“, zuckte Akira gleichgültig mit den Schultern. Dem Mädchen war es eigentlich auch egal. Im Moment war sie deshalb sogar ein wenig schadenfroh, dass er an seinem Geburtstag dazu gezwungen wurde sich abzurackern. So wie er sie behandelt hatte, konnte er gerne durch die Hölle gehen. Trotz allem war sie aber dennoch in Sorge darüber, ob er die Kündigung ernst meinte. Der Kerl war in mancher Hinsicht einfach unberechenbar und sie wollte auf keinen Fall ihr Stipendium verlieren. Jedoch brachte es nichts weiter zu grübeln, denn die Antwort konnte nur er ihr geben.   Noch eine Weile saßen die beiden Oberschüler im Restaurant und redeten über alles Mögliche. Der Rotschopf schaffte es, dass Rin für einen Moment all ihre Sorgen vergas und stimmte sie mit seiner heiteren Art ebenfalls fröhlich. Schlussendlich entschieden sie sich noch etwas an die frische Luft zu gehen und spazierten durch die Nacht. Eine ganze Zeitlang schlenderten sie durch die Straßen, redeten und lachten, bis sie sich schließlich auf einer Parkbank eines menschenleeren Spielplatzes niederließen. Das Gelaufe hatte sie ermüdet und sie wollten ein wenig durchschnaufen. „Oh wow sieh mal“, fläzte das Mädchen halb über der Bank, „Der Himmel ist sternenklar.“ Auch der junge Mann sah nun gen Himmel: „Das sieht total schön aus.“ Aufgeregt sprang die Blauhaarige von der Sitzgelegenheit und kletterte auf das benachbarte Klettergerüst. Es war ein würfelartiges Eisengestänge, welches ziemlich simpel zu erklimmen war. Als sie oben ankam, stellte sie sich aufrecht darauf, schaute zu den Sternen und streckte die Hände nach oben: „Sieh nur! Sie sind heute zum Greifen nah!“ Akira musste daraufhin schmunzeln: „Aber fall nicht herunter.“ Er mochte ihre unbeschwerte und teils kindliche Art und war sehr froh darüber, dass sie trotz des schlimmen Tages wieder fröhlich war. Ihr Kummer machte ihm nämlich große Sorgen. Glücklich erhob er sich schließlich von der Bank und kletterte zu seiner Begleiterin hinauf. Allerdings setzte er sich, denn das Stehen war ihm zu wackelig und gefährlich. „Komm setz dich auch, sonst tust du dir noch weh“, deutete er rechts neben sich. „Na gut“, gab die Aufgedrehte nach und ließ die Beine baumeln. Kurzes Schweigen brach aus, in welchem Rin verträumt den Himmel betrachtete. Der Rothaarige hingegen starrte verkrampft gen Boden. Er schien nachdenklich und kämpfte mit seinen Gedanken. „Hör mal, Rin-chan“, brach er die Stille in einer ernsten Tonlage. Es lag auch ein wenig Sorge und Zurückhaltung in seiner Stimme, weswegen das Mädchen direkt mit ernster Miene zu ihm herübersah. Was würde jetzt bloß kommen? Gebannt wartete sie darauf, dass ihr Begleiter weitersprach. Die Pause, welche er machte war unerträglich für sie, denn sie ahnte bereits, dass er erneut eine Antwort auf sein Geständnis forderte. Inständig hoffte Rin, dass sie sich irrte. Ihr Körper begann leicht zu zittern und ihr Ausdruck war voller Sorger, während sie angestrengt überlegte, wie sie das Thema noch schnell wechseln konnte. Allerdings war ihr Kopf wie leergefegt und es schien kein Weg daran vorbeizuführen. Endlich sprach der Rothaarige, mit dem Blick in die Ferne gerichtet, weiter: „Glaubst du, dass ich auch noch eine Persona bekomme?“ „Eh?“, völlig von der Rolle starrte die Oberschülerin ihn an. Das hatte sie jetzt nicht erwartet. Eigentlich dachte sie felsenfest, dass er sie wieder zu einer Antwort drängt. Ob er es wohl abgehakt und als Korb verbucht hatte? Aber umso besser, denn sie wusste keine Antwort und das würde ihr die Entscheidung abnehmen. Obwohl sie dennoch ein wenig enttäuscht war. Aber warum? „Du und auch Kuro habt beide direkt von Anfang an eine Persona bekommen. Shiori-chan scheint auch eine zu besitzen“, seufzte Akira schwer, „Was habt ihr, was ich nicht habe? Was muss ich tun, um endlich mitkämpfen zu können? Ich stehe euch nur im Weg und das, obwohl ich auch einen Edelstein habe.“ Er deutete auf den rechteckigen Topas, welcher um seinen Hals hing. Rin war mit der Situation ein wenig überfordert und wusste nicht wie sie ihn aufheitern sollte. Am Liebsten hätte sie ihn gefragt, ob er sich sicher war, dass es ein Elementar-Edelstein war. Allerdings wäre das wenig hilfreich gewesen, da er ja scheinbar der Ansicht war, es sei einer. „Ich glaube zur richtigen Zeit wird deine Persona sich schon noch zeigen“, versuchte sie ihn aufzuheitern, „Du solltest dir nicht so viele Gedanken machen. Das führt ja doch zu nichts.“ „Na ja, du hast schon recht, aber es ist trotzdem nervig so ein hilfloser Klotz zu sein“, schien er sich langsam wieder zu fangen. Vorsichtig versuchte Rin ein wenig ihre Neugierde zu stillen: „Welches ist denn überhaupt dein Element?“ „Tja, wenn ich das wüsste“, lehnte sich der Rothaarige ein wenig zurück und stützte sich mit den Armen am Gerüst ab, „Es passiert selten, aber manchmal leuchtet er auf. Allerdings spüre ich keinerlei Wirkung oder Veränderung. Zumal es auch zu den unterschiedlichsten Momenten passiert. Einmal habe ich sogar geschlafen und wurde dann von dem grellen Leuchten wach.“ „Das ist wirklich eigenartig“, grübelte die Stipendiatin. Jedes Mal, wenn ihr Saphir leuchtete, gab es eine Reaktion mit Wasser. Das war einfach zu definieren und sie musste nicht einmal groß darüber nachdenken oder forschen. Wobei sie eher damit beschäftigt war das Warum herauszufinden. Aber wenigstens verflüchtigte sich die Frage nach der Echtheit des Topases. Trotzdem konnte sich Rin keinen Reim darauf machen warum das Element ihres Kumpels nicht klar erkennbar war. „Ein Element das man nicht erkennen kann“, grübelte die Blauhaarige, „Vielleicht ist es die Luft. Die kann man nicht sehen.“ „Aber die kann man spüren“, erklärte der junge Mann, „Und immer wieder auftretende Luftzüge kann ich nicht bestätigen.“ Schwer schnaubte das Mädchen, denn sie war absolut ratlos. Dafür nun aber umso neugieriger. Was war das bloß für eine geheimnisvolle Kraft, die der Rothaarige da besaß? „Lassen wir es gut sein. So leicht ist dieses Rätsel nicht zu lösen“, winkte Akira ab und sprang mit einem Satz vom Klettergerüst. Dabei konnte die Stipendiatin für einen kurzen Augenblick erkennen, wie ein kleiner blauer Schmetterling emporflatterte und sich schließlich wieder auflöste. Der Social Link hatte scheinbar die dritte Stufe erreicht. Der junge Mann nahm natürlich nichts von dem leuchtenden Wesen wahr und redete einfach weiter: „Außerdem ist es wirklich schon verdammt spät. Komm, ich bringe dich nach Hause.“ Die Blauhaarige tat es ihm gleich: „Ja wir sollten wirklich langsam nach Hause gehen, aber du brauchst mich nicht begleiten. Ich schaffe das auch allein.“ „So viel Zeit muss sein“, blieb er standhaft und grinste Rin an. Diese gab sich geschlagen und sie setzen sich schließlich in Bewegung. Das auszudiskutieren war sowieso zwecklos. Abgesehen davon war die Oberschülerin auch ein wenig froh, dass ihr Begleiter anbot sie zum Wohnheim zurückzubringen, denn in letzter Zeit war es doch öfter mal etwas gefährlich für sie geworden. Mit dem Rothaarigen an ihrer Seite fühlte sie sich gleich viel sicherer.   Wenig später standen die beiden Oberschüler vor dem Haupteingang des Wohnheimes. Der Nachhauseweg fühlte sich für Rin so unfassbar schnell an, dass sie gar nicht glauben konnte schon angekommen zu sein. Die Zeit verging wie im Flug und am liebsten wäre sie noch einen riesigen Umweg gelaufen. Wenn sie daran dachte, dass sie nun wieder alleine war, wurde sie traurig. „Da wären wir“, sah der Rothaarige lächelnd am Gebäude hinauf. Seine Begleiterin jedoch schwieg und starrte gen Boden. Es war schwer zu deuten woran sie soeben dachte. „Ist alles okay?“, bemerkte er ihr eigenartiges Verhalten, „Geh lieber schnell rein. Es ist ganz schön kalt geworden.“ Tatsächlich fröstelte es das Mädchen ein wenig, denn die Aprilnächte waren noch recht kühl. Trotzdem verharrte sie an Ort und Stelle und machte keine Anstalten zu gehen. Auch brachte sie noch immer kein Wort heraus und wich den Blicken des jungen Mannes aus. Was war bloß los mit ihr? Bis eben war sie noch so vergnügt und energiegeladen. „Habe ich etwas verkehrt gemacht? Ist irgendwas passiert?“, war der Rothaarige in Sorge. Endlich kam eine Reaktion der Oberschülerin, welche vorsichtig den Kopf schüttelte und endlich wieder aufsah: „Nein, du hast nichts falschgemacht. Ich bin nur etwas traurig, dass der schöne Abend schon vorbei ist. Abgesehen davon ist in meinem Zimmer keiner der auf mich wartet.“ „Mach dir keine Sorgen wegen Skye. Ihr hattet nur einen kleinen Streit und vertragt euch schneller wieder als du glaubst“, tätschelte Akira den Kopf der Betrübten, „Aber davon mal abgesehen, freue ich mich, dass du heute Spaß hattest.“ Ein Lächeln glitt der Blauhaarigen über die Lippen, ehe sie das Thema wechselte: „Du, darf ich dir eine Frage stellen?“ Etwas irritiert über das was kommen würde, nickte der junge Mann: „Klar.“ „Hast du das ernst gemeint, was du damals zu mir sagtest?“, kam es nur sehr zögerlich aus dem Mädchen. Ihr Gegenüber schien nicht ganz zu verstehen: „Was genau meinst du?“ Wieder haderte sie ein wenig: „Dein… na ja, Geständnis.“ Mittlerweile war sie knallrot angelaufen und schaute zu Boden. Es war ihr verdammt peinlich dieses Thema anzusprechen. Akira sah man nun allerdings auch die Schamesröte an. Nervös wanderte sein Blick umher: „W-wie kommst du jetzt bloß darauf?“ „Ich… A-also…“, druckste die Oberschülerin herum, „Ich schulde dir doch noch eine Antwort.“ „Hast du dich nun entschieden?“, war der Rotschopf überrascht. „Ja“, sah Rin endlich wieder auf und grinste ihren Gesprächspartner leicht gequält an. „Hm…“, trübte sich das Gesicht des jungen Mannes, „Eigentlich habe ich schon damit gerechnet, dass du mir einen Korb gibst. Deswegen habe ich dich damit auch in Ruhe gelassen. Ich wollte es einfach nicht hören.“ Bedrückt wandte er seinen Blick ab, während er auf die finale Bestätigung seiner Vermutung wartete. Es war eine ziemlich unangenehme Situation, welche sich für ihn soeben unfassbar in die Länge zog. Am liebsten wäre er sofort gegangen, da er den Tränen nahe war. Aber er konnte die Blauhaarige nicht einfach mit halber Antwort dort stehenlassen. Um seine Gefühle besser zu verbergen, ballte er die Fäuste und biss sich auf die Unterlippe. „Es tut mir leid, dass ich dir nicht schon früher darauf geantwortet habe, aber ich wusste einfach nicht, ob du es wirklich ernstmeinst. Du hattest mich früher immer veralbert, sodass ich gar nicht ernsthaft darüber nachgedacht hatte und es für einen schlechten Scherz hielt“, machte das Mädchen eine kurze Pause, „Außerdem war ich ziemlich sauer auf dich und wollte überhaupt nicht mehr mit dir kommunizieren.“ Geduldig hörte er sich an was sie ihm zu sagen hatte. Sein Blick war noch immer abgewendet. Er hasste sich für sein früheres Ich und konnte Rin einfach nicht in die Augen sehen. Zwar hatte er sich der Sache schon gestellt und bei ihr entschuldigt, jedoch war es deswegen nicht aus der Welt. „Ich war damals wirklich ein riesiger Idiot, deswegen verstehe ich dich voll und ganz. Es tut mir immer noch total leid, aber ich weiß auch nicht wie ich es wiedergutmachen soll“, biss er sich erneut auf die Unterlippe. „Ehrlichgesagt habe ich in letzter Zeit genauer darüber nachgedacht und beschlossen, dass es Schwachsinn ist ewig sauer zu sein“, erklärte die Blauhaarige, „Du bereust es und du hast dich entschuldigt. Außerdem will ich nicht in der Vergangenheit leben, sondern im Hier und Jetzt. Und abgesehen davon hast du es ja scheinbar nie wirklich böse gemeint, sondern warst einfach nur ein ziemlich unbeholfener Trottel.“ Trotz der angespannten Stimmung huschte der Oberschülerin ein kurzes Lächeln über die Lippen. Rückblickend war es doch irgendwie ganz niedlich. Obwohl es dennoch nicht hätte sein müssen. „Nun ja… Um dieses unangenehme Gespräch endlich zu beenden, möchte ich dir nun eine Antwort geben“, setzte das Mädchen wieder an, „Es wird nicht das sein was du erwartest, aber es ist ein Anfang.“ „Wie meinst du das?“, hob Akira verwirrt, aber hoffnungsvoll seinen Blick. Kurz holte sie wieder Luft, ehe sie sich erklärte: „Ehrlichgesagt habe ich noch immer keine klare Antwort parat. Ich habe wirklich intensiv darüber nachgedacht, aber ich weiß es einfach nicht.“ „Hä?“, wusste der Oberschüler nichts mit dieser Aussage anzufangen. Ihre Antwort war keine Antwort? Also hing er noch immer in der Luft? Wozu führten die beiden dieses Gespräch, wenn es doch nur in eine Sackgasse führt? Allerdings bestand so wenigstens noch Hoffnung für den jungen Mann. Eigentlich hatte er mit einer klaren Absage gerechnet. „Der Grund dafür ist einfach nur, weil ich dich eigentlich gar nicht kenne“, versuchte sie ihre Gedanken zu teilen, „Der Unterschied zwischen früher und jetzt ist so enorm, dass ich nicht weiß was ich von dir halten soll. Aber das würde ich gerne ändern.“ „Das heißt, dass du erstmal mit mir befreundet sein willst?“, hörte man die Enttäuschung in seiner Stimme. „Nein“, schüttelte Rin den Kopf, „Wie wäre es mit einer Beziehung auf Probe?“     Kapitel 29 - Informationsbeschaffung ------------------------------------ Freitag, 08. Mai 2015   An diesem Tag kam Rin nur schwer aus dem Bett. Nicht nur, dass es am Abend zuvor viel zu spät wurde, nein, vielmehr graute es ihr davor Kuro in der Schule zu begegnen. Sie fand sein Benehmen am Vortag zwar absolut falsch, konnte aber dennoch nichts dagegen tun, sollte er sie wirklich feuern. Glücklicherweise war er in der Schule aber gar nicht anwesend und das Mädchen konnte aufatmen. Einzig ein großer, wackliger Geschenkeberg türmte auf seinem Schulpult. Bisher kannte die Blauhaarige diese unrealistischen Massen nur aus Mangas und hätte im Traum nicht daran gedacht, dass sich etwas derartiges wirklich mal vor ihren Augen abspielen würde. Trotz allem konnte die Schülerin es einfach nicht fassen, dass dieser Idiot so unglaublich beliebt war. In der Mittagspause wollte sie dann endlich Shina aufsuchen, denn sie musste unbedingt herausfinden wo Ruri war. Dadurch, dass das einzige arbeitende Mitglied des Schülerrats nun im Krankenhaus lag, war sich die Stipendiatin ziemlich sicher, dass ihre Kollegin dort anzutreffen war. Irgendwer musste die Arbeit ja verrichten. Auf halbem Weg wurde sie mal wieder von zwei ihrer Klassenkameradinnen unfreundlich angeraunzt: „Wo warst du gestern?“ „Warum wollt ihr das wissen?“, war Rin sichtlich genervt. „Hast du dich etwa beim Suzuki-Prinzen eingeschleimt?“, spielten sie sich auf, „Er gehört dir nicht!“ „Der Kotzbrocken ist mir sowas von egal!“, schnauzte das Mädchen die beiden Schnepfen an. Diese fanden es so gar nicht lustig, dass die Blauhaarige Kuro niedermachte und eine Diskussion brach aus. Die Stipendiatin wäre zwar lieber entflohen, kam jedoch nicht durch, da ihre Mitschülerinnen ihr den Weg versperrten. Es machte absolut keinen Spaß mit eingebildeten und eifersüchtigen Tussis über Dinge zu streiten, die sie nicht im Geringsten interessierten. Zumal sie auch keine Lust hatte sich all die Beleidigungen anhören zu müssen wegen ihrer ärmlichen Herkunft. Was konnte sie denn dafür, dass sie nicht in eine reiche Familie hineingeboren wurde? Einerseits war sie froh, andererseits war es gerade auf der Suzuki Akademie ein guter Grund ausgeschlossen zu werden. Es dauerte ein paar Minuten, bis die beiden Diskutierfreudigen endlich von Rin abließen: „Ach was solls. Als ob sich der Suzuki-Prinz um jemanden wie dich scheren würde. Du bist ja nur billiges Personal.“ Mit diesen Worten zogen sie an beiden Seiten an der Blauhaarigen vorbei und rempelten diese unsanft mit der Schulter an, sodass sie zu Boden fiel. Noch einmal drehten sich die Schnepfen um und mimten das Unschuldslamm: „Ups, das tut uns aber leid.“ Lachend zogen sie schließlich von dannen und eine ziemlich wütende Oberschülerin blieb zurück. Schnell sprang sie wieder auf die Beine und ballte die Fäuste. Es fiel ihr schwer den beiden nicht hinterherzurennen, um ihnen eine reinzuhauen. Sie hätten es definitiv verdient, aber die Kettenreaktion, die die Stipendiatin damit auslösen würde, wäre ihr Tod. Sie würde von allen Seiten mächtig Ärger bekommen und im schlimmsten Fall von der Schule fliegen. Und als Sahnehaube obendrauf würden sich all diese Mädchen ins Fäustchen lachen. Egal wie sie es drehte oder wendete, es ging immer schlecht für sie aus. Um wieder auf andere Gedanken zu kommen, schritt sie schnellen Fußes zum Schülerratszimmer. Dort angekommen fand sie Shina wie erwartet vor. Aber nicht nur sie, sondern auch noch drei weitere Schülerinnen. Wenn sich Rin richtig erinnerte, dann waren sie in derselben Klasse wie die Brünette. Die drei saßen allerdings etwas abseits von Shina, welche bis eben in ihren Papierkram vertieft war. Während Rins Kollegin zu arbeiten schien, waren die anderen eher mit Klatsch und Tratsch beschäftigt. Obwohl sie ebenfalls zu bearbeitende Unterlagen vor sich liegen hatten. Kaum setzte die Blauhaarige einen Fuß in den Raum, hörte sie die Mädchen auch schon tuscheln: „Was will die denn hier?“ „Minatsuki-chan, kennst du die?“, sprach eine der drei etwas lauter. „Möchtest du etwas vom Schülerrat?“, wandte sich die Brünette freundlich zu Hinzugekommener und wich somit der Frage gekonnt aus. Die Blauhaarige hingegen war noch immer völlig von der Rolle und druckste herum: „I-ich ähm, also…“ Eigentlich hatte die Stipendiatin nicht erwartet noch jemanden außer ihrer Kollegin anzutreffen. Was sollte sie jetzt bloß tun? Sie wurde immerhin von Shina darum gebeten nicht mit ihr vor Mitschülern zu interagieren. Das Mädchen wollte alle Verbindungen vermeiden, die ihr Geheimnis als Assistentin aufdecken könnten. Die Blauhaarige verstand das nur zu gut, denn je näher man Kuro kam, umso mehr zog man böse Blicke auf sich. Und an dieser Schule einen solchen Nebenjob zu haben, war wohl auch nicht unbedingt hilfreich, wenn man nicht ausgeschlossen werden wollte. Je mehr Rin über all das nachdachte, umso mehr fragte sie sich, ob es das überhaupt wert war an dieser Schule zu sein. Aber für solche Gedanken war jetzt keine Zeit. Sie musste nun irgendwie an Informationen kommen, ohne ihre Kollegin auffliegen zu lassen. „Na ja, ich wollte mal im Schülerrat nachfragen wo die Schülersprecherin eigentlich herkommt“, warf die Blauhaarige ihre Frage ganz neutral in den Raum. „Ihr Heimatort?“, hakte die erste der drei Schülerinnen nach, „Wozu willst du das wissen?“ Verlegen kratzte sich Rin am Hinterkopf und zog sich eine Halbwahrheit aus der Nase: „Ich wollte sie im Krankenhaus besuchen.“ „Seid ihr nicht miteinander verwandt?“, verstand eine andere die Frage nach Ruris Herkunft nicht. Die dritte berichtigte sie: „Nee, die sind nicht verwandt. Das merkt man doch direkt an ihrem plumpen Auftreten.“ Gegen Satzende wurde die Schülerin zwar leiser, jedoch drang es dennoch an die Ohren der Blauhaarigen. Wiedermal regnete es eine Beleidigung, welcher sie standhaft bleiben musste. Vermutlich waren diese Worte dieses Mal gar nicht aktiv gegen die Stipendiatin gerichtet. Trotzdem taten sie weh. Die erste im Bunde gab schlussendlich die hilfreichste Antwort: „Ich glaub sie wohnt in irgendeiner Stadt, die nach Spiegel klingt.“ Mit dieser Information verließ Rin schlussendlich den Raum. Aber was brachte dieses Wissen schon? Es war weder sicher wie die Stadt nun hieß, noch ob sie wirklich in irgendeiner Weise benanntes Wort beinhaltete. Entmutigt trottete sie zurück zu ihrem Klassenzimmer, um wenigstens noch etwas ihres Bentos zu essen, bevor der verhasste Schwimmunterricht auf dem Plan stand. Das Mädchen hatte sich noch gar nicht überlegt mit welcher Ausrede sie dieses Mal dem Schwimmbecken entkam. Vielleicht simulierte sie wieder irgendeine Krankheit. Während sie in Gedanken darüber war, vibrierte plötzlich ihr Handy. Es war eine LINE Nachricht von Shina: „Ruri kommt aus Kagaminomachi. Schreib doch nächstes Mal einfach über den Chat xD“ Man war Rin blöd. Wieso war sie nicht selbst darauf gekommen einfach eine Nachricht zu schicken? Die Blauhaarige hatte sich einfach noch nicht daran gewöhnt, dass mit diesem Smartphone alles viel einfacher war. Aber abgesehen davon fiel es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen. Auf diese Stadt hätte sie auch selbst kommen können, als das Wort „Spiegel“ fiel. Immerhin wohnte Shuya ja auch dort und sie selbst war in der Vergangenheit sogar hin und wieder mal hingefahren.   Wenig später stand Rin wiedermal im Badeanzug im Hallenbad der Akademie. Wie jeden Freitag stand Schwimmunterricht auf dem Plan und die Blauhaarige simulierte bereits einige Krankheitssymptome. Während die Klasse der Anweisung zum Einschwimmen folge leistete, blieb die Stipendiatin als einzige am Beckenrand zurück. „Ayase-sensei, mir geht’s gar nicht gut. Mir ist total schlecht und schwindelig“, begann das Mädchen mit ihrer Show. Die Lehrerin hingegen schien eher verwirrt: „Warum hast du überhaupt den Badeanzug an? Du musst doch gar nicht mehr am Schwimmunterricht teilnehmen?“ „Heh?“, war nun auch Rin völlig irritiert. Wie meinte sie das? Wie kam ihre Lehrerin darauf, dass die Oberschülerin plötzlich nicht mehr schwimmen musste? Zuvor hieß es doch noch, dass man mit einem Sportstipendium nicht ohne Attest fernbleiben durfte. Und die Blauhaarige war sich ziemlich sicher, dass sie nichts dergleichen abgegeben hatte. Was war hier bloß los? „Na los. Zieh dich um und geh heim, wenn es dir so schrecklich geht“, scheuchte die schwarzhaarige Schönheit das Mädchen davon. Ohne ein weiteres Wort tat sie wie ihr befohlen und machte sich so schnell sie konnte aus dem Staub. Da es die letzten beiden Schulstunden waren und das Lacrosse-Training so kurz vor den Prüfungen ausfiel, war das zum Glück kein Problem. Trotzdem wüsste sie gerne warum sie plötzlich nicht mehr ins Schwimmbecken musste. Allerdings traute sie sich nicht nachzufragen. Vielleicht lag ja auch nur ein Fehler vor und ihre Lehrerin hatte sich geirrt. Das wollte Rin zumindest für den heutigen Tag nicht provozieren. Sonst hätte sie am Ende doch noch ins Wasser gemusst.   Da die Stipendiatin nun verfrüht zurück im Wohnheim war, versuchte sie die freie Zeit vernünftig zu nutzen und klemmte sich hinter den Schreibtisch zum Lernen. In der nächsten Woche waren Examen und da ihr ein Wochenendtag flöten ging, um Ruri zu besuchen, wollte sie jede freie Minute ausnutzen. Außerdem wusste sie nicht wann und ob sie noch zusätzlich für Kuro Zeit aufopfern musste. Zwar versuchte Rin angestrengt zu lernen, jedoch konnte sie sich kaum konzentrieren. Sie hatte immer noch so viele Sorgen, denn kaum war sie eine losgeworden, kam eine neue hinzu. Zwischenzeitlich machte sie mehrere Pausen, in welchen sie mit Shuya und auch mit Akira chattete. Mit ihrem Freund auf Probe hielt sie nur Smalltalk, während sie ihren Kindheitsfreund fragte, ob er Ruri eventuell kannte und wusste wo sie möglicherweise zu finden war. Da ihre Eltern sie auf eine solch teure Schule schicken konnten, waren sie sicherlich etwas wohlhabender und womöglich auch durch irgendwas bekannt. Die Chance war zwar gering in einer so großen Stadt jemanden zu finden, aber dennoch nicht völlig unmöglich. Tatsächlich stellte sich auch heraus, dass es eine Einrichtung gab, die den Nachnamen der Schülersprecherin beinhaltete. Diese Spur würde sie sicherlich zu Gesuchter führen. Im Notfall würde sie sich einfach durchfragen oder eben alle Krankenhäuser der Stadt abklappern. Egal wie, irgendwie würde sie ihre Klassenkameradin schon finden. Dazu war sie fest entschlossen.   Im Laufe des Tages führte das Mädchen noch ein ausgiebiges Gespräch mit ihrer besten Freundin Amika. Die Blauhaarige war praktisch dazu verpflichtet ihr alles über ihren ersten Freund zu erzählen. Auch wenn es nur eine Probebeziehung war, so war es dennoch das absolute Highlight des Gespräches. Während Rin noch mit sich haderte, ob daraus eine richtige Beziehung werden würde, so war die Brünette sich dessen sicher. Mit der Begründung, dass es in Mangas und Animes ja auch so laufen würde, konnte Amika ihre beste Freundin jedoch nur halb überzeugen. In der Realität kam ja doch immer alles ganz anders und war eher mittelmäßig schön. Zu Mittelschulzeiten hätte sich die Blauhaarige das noch einreden lassen. Mittlerweile war sie aber schlauer. Die beiden Mädchen telefonierten noch intensiv bis zum späten Abend, sodass Rin gar nicht mitbekam, dass zwischenzeitlich ein schwarz-blauer Vogel am offenen Fenster gelandet war. Es war Skye, welcher einiges belauschte, bevor er sich wieder aus dem Staub machte.     Hektisch, fast schon panisch, rannte der kleine Mann durch das Suzuki Anwesen. Erfolglos suchte er alle Räume ab, bis er schließlich in den Garten stürmte und dort seine Suche ausweitete. „Verdammt! Warum ist dieses Anwesen so groß? Wozu braucht man so viel Platz?!“, fluchte Skye vor sich hin und drang noch weiter ins Grüne vor. Ziemlich weit weg vom Gebäude blieb er plötzlich schwer schnaufend stehen und stützte seine Hände auf den Knien ab. Auf einer Bank vor ihm saß kein geringerer als Kuro, welcher von der ganzen Arbeit eine kleine Pause nahm und die letzten Sonnenstrahlen des Abends genoss. „Es ist furchtbar!“, rang der Schwarz-Blauhaarige noch immer schwer nach Luft, „Wir müssen was unternehmen!“ „Wolltest du dich nicht mit der Nervensäge wieder vertragen gehen?“, blieb der junge Mann völlig gelassen und desinteressiert. Der Grundschüler hatte in der Vergangenheit einfach schon zu oft wegen der unscheinbarsten Dinge ein Fass aufgemacht, sodass es den Älteren kaum noch interessierte. „Rin ist mit Akira zusammen“, sprudelte es aus Skye heraus. Überrascht, aber keinesfalls schockiert kam eine irritierte Antwort: „Und was ist jetzt das Problem? Ist doch toll für sie.“ Wie wild gestikulierte der Kleinere aufgebracht herum: „Toll?! Nichts ist toll! Das ist eine absolute Katastrophe!“ Ein kritischer Blick traf den Hysterischen. Warum in aller Welt war das so schlimm für ihn? Solange er keinen triftigen Grund offenlegte, wusste Kuro nicht so recht was er von dieser Aktion halten sollte. „Wir müssen das sofort in Angriff nehmen und die beiden wieder auseinanderbringen“, versuchte der Schwarz-Blauhaarige seinen Gesprächspartner von der Bank hochzuziehen. Dieser hingegen blieb standhaft: „Jetzt komm mal wieder runter. Warum sollten wir uns zwischen die beiden stellen? Nenn mir einen sinnvollen Grund. Akira ist mein bester Kumpel.“ „Einen Grund? Es gibt tausende. Such dir einen aus“, verstand der Jüngere ihn nicht. Der Schwarzhaarige hingegen zuckte mit den Schultern: „Also mir fällt nicht einer ein.“ „Wenn ich dir einen sage, kommst du dann endlich mit?“, jammerte Skye. „Wenn er sinnvoll ist denke ich mal drüber nach“, war es die Neugierde, die aus dem jungen Mann sprach. „Na ja besser als nichts“, ging der Schwarz-Blauhaarige darauf ein, „Ein sehr gutes Argument die beiden wieder zu trennen wäre, dass du in Rin verliebt bist.“ „Ich?“, deutete Kuro ungläubig mit dem Finger auf sich selbst. Man sah ihm die Verwirrung an. Hatte er sich gerade verhört oder wollte man ihm soeben wirklich weißmachen, dass er in diesen Tollpatsch verliebt sei? „Ja, du“, verstand der Grundschüler die Gegenfrage nicht. „Eh… Nein?“, zerstörte der Schwarzhaarige dieses Argument, als wäre es der unwahrscheinlichste Fall, der sich je ereignen würde. Nachdem der Ältere endlich realisiert hatte, wie ernst und bedeutsam diese falsche Tatsache für Skye schien, musste er unweigerlich loslachen. Es war einfach viel zu lustig auf welch absurder Fährte sich der kleine Mann befand. Er wurde so sehr ausgelacht, dass der Ältere bereits Tränen in den Augen hatte und gar nicht mehr aufhören konnte. Ein seltener Anblick, welcher sich dem Schwarz-Blauhaarigem soeben bot, denn Kuro so herzhaft lachen zu sehen war wohl ein einmaliger Augenblick. Trotz allem ärgerte es den Jüngeren. Er ließ partout nicht von seiner Meinung ab und beharrte darauf, dass er vom Suzuki-Erben angelogen wurde. Ohne Beweise führte das Gespräch jedoch in eine Sackgasse. „Jetzt geht’s mir schon viel besser“, stand der Schwarzhaarige motiviert von der Bank auf, „So einen Witz hab ich gebraucht.“ „Wie oft noch? Das ist die Realität und kein Witz. Lüg mich doch nicht an“, protestierte der Grundschüler noch immer wie wild. Der Ältere winkte nur belustigt ab: „Ja, ja schon klar.“ Daraufhin machte er sich wieder auf den Weg ins Gebäude, um mit seiner Arbeit fortzufahren.     Es war bereits spät in der Nacht, als Rin endlich ihr Telefonat mit Amika beendet hatte. Eigentlich war sie ziemlich müde, allerdings kam ihr beim Umziehen eine Idee. Als sie ihren Gürtel mit der Schlüsseltasche abnahm, fielen diese hinaus und sie schnappte sich kurzerhand den Portalschlüssel. Ohne groß nachzudenken drehte sie ihn im Schloss ihrer Zimmertür. Zwar wurden diese normalerweise mit einer Schlüsselkarte geöffnet, hatten aber für Notfälle auch ein normales Schlüsselloch. Ein leises Klacken ertönte und der Durchgang öffnete sich. Vorsichtig lugte die Blauhaarige in den menschenleeren Flur, ehe sie diesen betrat und die Tür hinter sich wieder abschloss. Es sah zwar aus, als hätte sich nichts verändert, jedoch war sich das Mädchen sicher, dass sie nicht mehr in ihrer Welt war. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt nach einem Anhaltspunkt zu suchen. Sollte die Schülersprecherin wirklich in dieser eigenartigen Welt gefangen sein, würde Rin totsicher einen Hinweis finden. Zwar hoffte sie lieber nichts zu finden, wollte aber alle Möglichkeiten durchgehen. Schnell schaute das Mädchen an sich herunter, um herauszufinden, ob sich wieder dieses lange Cape materialisierte. Aber nein, da war nichts. Leicht atmete sie daraufhin auf, denn bisher tauchten nur dann Gegner auf, wenn sie diesen Umhang trug. Für den Moment schien sie wohl in Sicherheit zu sein. Trotzdem musste sie auch weiterhin auf der Hut sein, denn der Schlüssel katapultierte sie bekanntlich in eine andere Zeit. Sie hatte keine Lust auf Schimpfe von Skye oder anderweitigen negativen Einflüssen, wenn ihr irgendetwas blödes passierte. Mit Unmut schritt sie voran und blieb direkt an Ruris Zimmertür hängen. Ob es auch in dieser Zeit ihr Heim war, wusste die Blauhaarige zwar nicht, wollte allerdings bei der Suche nichts auslassen. Bei genauerer Betrachtung spürte sie, wie ein kalter Luftzug unter dem Türspalt herauswehte. Auch die Tür selbst war eisigkalt und an den Rändern hatten sich kleine unscheinbare Eiskristalle gebildet. „Was ist das bloß? Warum ist die Tür so zu geeist?“, schaute sie sich das außergewöhnliche Phänomen genauer an. Es ließ keinen Zweifel daran, dass hinter diesem eisigen Hindernis etwas verborgen lag, das mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Schülersprecherin zu tun hatte. Vorsichtig versuchte Rin den Durchgang zu öffnen. Wie erwartet war das leider nicht so leicht, denn die Tür war abgesperrt. Allerdings hatte das Mädchen plötzlich ein anderes Problem, denn ihre rechte Hand klebte förmlich an der Türklinke. Durch die Kälte, welche von ihr ausging war die Stipendiatin festgefroren. „Verdammt!“, fluchte sie und versuchte wie irre ihre Hand wieder loszubekommen. Nach Anwendung von roher Gewalt gelang es ihr tatsächlich von der Klinke loszukommen. Jedoch zog sie sich dadurch ein paar Hautfetzen mit ab, wodurch ihre Handfläche zu bluten begann. „Aua“, stammelte sie und zog scharf die Luft nach innen, „Das tut höllisch weh!“ Mit der Linken hielt sie ihr rechtes Handgelenk und betrachtete die stark blutende Innenseite, während sie versuchte nicht vor Schmerzen zu schreien. Ihr ganzer Körper bebte und ihr Herz schlug so wild, dass es fast aus der Brust zu fallen drohte. Warum nur war Ruris Tür so dermaßen vereist? Am liebsten hätte die Blauhaarige noch weitergeforscht und Informationen gesammelt, aber das war ihr in diesem Zustand nicht mehr möglich. Außerdem konnte sie soeben Stimmen hören, welche sich ihr näherten. Diesen wollte sie auf keinen Fall ihren Zustand erklären müssen. Das würde alles nur unnötig verkomplizieren, weswegen sie sich schnell den Timeless Key schnappte und ihn erneut in ihrem eigenen Schloss drehte. Ein Klacken ertönte und der Durchgang zu ihrem Zimmer öffnete sich. Eilig huschte sie hindurch und verschloss das Portal schnell wieder. Mit dem Rücken an der Tür lehnend rutschte sie diese außer Atem hinunter und plumpste auf ihren Hintern. Langsam normalisierte sich ihr Herzschlag wieder und auch das Zittern, welches ihren ganzen Körper durchdrang klang langsam wieder ab. Ihr Adrenalinschub war vorbei. Einerseits war das zwar gut, andererseits spürte sie dadurch den Schmerz nun noch viel deutlicher. Das Zittern in ihrem Arm wurde wieder heftiger und sie musste die Tränen erneut unterdrücken. Schwermütig rappelte sich die Verletzte schließlich wieder auf und drückte sich ein paar Taschentücher auf die offenen Wunden. Damit machte sie sich auf den Weg in den Sanitätsraum. Leider war die Ärztin des Wohnheimes schon gegangen, weswegen sich die Blauhaarige einfach selbst behandelte. Schlussendlich kam sie mit einem ziemlich schlampig gewickelten Verband wieder aus dem Raum heraus. „So langsam habe ich wirklich keine Lust mehr auf diese verrückten Ereignisse“, fluchte die Oberschülerin leise vor sich hin, „Wann habe ich zugestimmt bei so einem Schwachsinn mitmachen zu wollen?“ Mittlerweile hatte sich ihre Angst zu Wut gewandelt, weswegen sie am liebsten laut schreiend auf irgendetwas eingeprügelt hätte. Aber das tat sie natürlich nicht. Stattdessen knallte sie ihre Zimmertür hinter sich zu und stapfte knurrend zu ihrem Schlüsselbund, welcher mitten im Raum auf dem Boden lag. Zielstrebig schnappte sie sich den gold-blauen Schlüssel mit dem eingravierten V und drehte ihn im nächstbesten Schloss.     Velvet Room   Wie jedes Mal hörte ich wieder diese sanfte Arie und atmete die reine Regenluft tief ein. Es war ein wirklich angenehmes Gefühl, welches mich beruhigte. Allerdings war es dann doch immer wieder nach wenigen Sekunden verflogen, wenn ich schlussendlich in dieser Wasserfolterkammer stand. Ich fühlte wie meine Füße langsam nass wurden, zog scharf den Atem nach innen und schlug blitzartig meine Lider auf. Da war sie wieder: Die blau schimmernde Höhle mit den kleinen Wasserfällen ringsherum. Sicherlich werde ich niemals verstehen wo das ganze Wasser herkam, geschweige denn wo es ablief. Vielleicht war das Ganze ja auch wie ein Springbrunnen konstruiert und irgendwo waren Pumpen eingebaut? Aber wo? Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken wieder loszuwerden, denn ich hatte andere Sorgen. Fakt war nur, dass ich keine Angst zu haben brauchte. Schlimmer als meine Hand würde das sowieso nicht werden. Aber warum zitterten dann meine Beine schon wieder? Mir war doch gar nicht kalt. Auch das Nass in welchem ich stand hatte wie immer eine recht angenehme Temperatur. „Was willst du denn hier?“, wurde ich ziemlich unfreundlich von Igors kleiner Assistentin begrüßt. Da ich wusste, dass sich scheinbar mit ihrem Aussehen auch ihre Persönlichkeit änderte, war es ein Leichtes für mich herauszufinden mit welcher ich es dieses Mal zu tun hatte. Obwohl es eigentlich bereits durch ihr Auftreten offensichtlich war. „Wozu habe ich den blöden Schlüssel, um hierher zu kommen, wenn es scheinbar unerwünscht ist?!“, konterte ich ebenfalls recht aggressiv. Wen wunderts? Ich kam ja schon ziemlich geladen hierher. „Und was willst du nun hier?“, rollte die Jüngere mit den Augen und sah mich genervt an. Sie saß auf dem etwas größeren Felsen, welcher mit der Wand verbunden war und las ein Buch. „Na ja, ich bin hier, weil ich mit Igor sprechen möchte“, drehte ich mich zu ihm herum, schrak jedoch auf, denn sein Platz war leer. Aber die Platinblonde erklärte direkt warum: „Glaub ja nicht, dass du die Einzige bist mit der mein Meister verkehrt. Er ist gerade woanders.“ „Ist er etwa bei Ami oder dem Suzuki-Schnösel?“, ignorierte ich diesmal den arroganten Unterton und versuchte an wertvolle Informationen zu gelangen. Meine Gesprächspartnerin war allerdings wenig kooperativ: „War das dein Anliegen? Dann kann ich dir nicht weiterhelfen. Geh heim.“ Gleichgültig richtete sie ihren Blick zurück auf ihr Buch und versuchte mich mit einer Handbewegung davon zu scheuchen. „Wie kann das mein Anliegen sein, wenn ich es zuvor gar nicht wusste?!“, knurrte ich sie an. So langsam reichte es mir, denn dieses nervige Kind machte meinen Tag absolut nicht besser. Ich wollte endlich brauchbare Antworten! „Also hilfst du mir nun meine Frage zu beantworten oder nicht?“, stemmte ich die Hände in die Hüfte. Mit einem Hauch von Neugierde sah die Jünger von ihrem Buch auf: „Und was ist die Frage?“ „Ich will wissen was mit Ruri ist. Vermutlich ist ihr dasselbe passiert wie Ami, aber ich bin nicht sicher“, versuchte ich ihr mein Problem zu schildern, „Und wenn ja, dann habe ich wahrscheinlich die Tür gefunden hinter der sie gefangen ist. Aber die ist zu. Da kommt man nicht durch. Man friert nur fest und kommt nicht wieder los.“ Kurz überlegte die Assistentin, ehe sie antwortete: „Wie wäre es mit einem Deal? Wenn ich dir helfe, hilfst du auch mir.“ Ohne groß darüber nachzudenken stimmte ich einfach zu. So zum Greifen nah war ich einer vernünftigen Antwort noch nie gekommen. In diesem Moment war es mir egal um welchen Preis ich an Informationen gelang. Hauptsache ich konnte die Schülersprecherin retten. „Du liegst mit deiner Vermutung richtig. Deine Freundin schwebt in Gefahr“, kam es ernst aus der Platinblonden, „Und wie man Türen öffnet muss ich dir ja wohl nicht erklären, oder? Sonst hättest du den Weg hierher auch nicht gefunden.“ So langsam kam etwas Klarheit in mir auf. Trotzdem war ich noch immer so hilflos und verzweifelt. Jetzt konnte ich mir sicher sein, dass Ruri wirklich in Lebensgefahr schwebte. Also musste ich schon wieder in diese gefährliche Welt und kämpfen. Eigentlich wollte ich nie wieder dorthin, aber deswegen eine Freundin sterben zu lassen wäre für mich noch viel schlimmer. „Aber wo bekomme ich den passenden Schlüssel her? Oder warte“, stoppte ich abrupt, „Passt der silberrote Schlüssel von Amis Dungeon etwa auch bei Ruri?“ „Das wäre so, als würde einer in zwei völlig fremde Haustüren passen“, verzog die Kleinere das Gesicht. „Aber der Timeless Key passt auch in jede Tür“, fand ich mein Argument ziemlich stimmig. Mein Gegenüber jedoch nicht: „Das kannst du nicht vergleichen.“ „Angenommen du hast recht“, folgte ich jeder Spur die ich bekommen konnte, „Wo soll ich einen weiteren Schlüssel finden?“ „Sag mal funktioniert dein Hirn eigentlich, oder warum denkst du nicht selbst nach?“, keifte mich die Platinblonde an, „Wenn der des Feuermädchens bei ihr selbst zu finden war, wo wird dann der des Eismädchens zu finden sein?“ Wie Schuppen fiel es mir von den Augen. Ich musste einfach nur in den Sachen der Schülersprecherin suchen, dann würde ich schon finden was ich brauche. Allerdings nervte mich der unfreundliche Ton der Jüngeren gewaltig: „Kannst du vielleicht mal aufhören mich ständig zu beleidigen? Dieser ganze Mist ist so unnormal, wie soll man da noch logisch denken können?! Da ergibt doch schon lange nichts mehr einen Sinn!“ Meine Laune besserte sich an diesem Abend wohl nicht mehr. Aber ich hatte es heute geschafft an viele wertvolle Informationen zu gelangen und war einen großen Schritt weiter. Irgendwie fiel ein Stückchen der Last von mir ab und ich fühlte mich besser. Gleichzeitig war ich aber auch gestresster, da das Leben einer Freundin in meinen Händen lag. Für mich stand fest, dass ich am morgigen Tag irgendwie in Ruris Zimmer reinkommen musste, um den Schlüssel zu finden. So konnte ich mir auch sparen ins Krankenhaus zu fahren und die Zeit sinnvoller nutzen, um sie schneller zu befreien. „Wars das was du wissen wolltest? Dann geh wieder. Du störst“, ignorierte das kleine Mädchen meine wütende Beschwerde vollkommen. Ich war zwar noch immer sauer, aber vor allem verwirrt. Wollte sie nicht eine Gegenleistung für die Informationen? Oder war das nur ein Bluff, um mich auf die Palme zu bringen? Vielleicht hatte sie es ja auch einfach vergessen? Was auch immer der Fall war, ich würde definitiv nicht nachfragen. Warum sollte ich mir noch mehr Arbeit aufhalsen wollen? „Und wie komm ich hier wieder raus? Hier ist ja kein Durchgang oder so“, maulte ich. Die Jüngere schaute noch immer gebannt in ihr Buch und sprach geistesabwesend zu mir: „Du schaffst das schon allein. Deine versprochene Hilfe nehme ich dann nächstes Mal in Anspruch.“ Auf ihre Aussage hin musste ich unweigerlich Zucken. Eigentlich dachte ich, dass sie es nicht mehr anspricht und es einfach in Vergessenheit geraten würde. Da mir plötzlich schwarz vor Augen wurde und der Raum sich immer weiter entfernte, hatte ich leider keine Chance mehr nachzufragen um was genau es sich dabei handelte.     Kapitel 30 - Die bekannte Unbekannte ------------------------------------ Samstag, 09. Mai 2015   Da Rin an diesem Tag Großes vorhatte, war sie schon am Morgen aufgestanden und hatte sich an der Rezeption die Schlüsselkarte für Ruris Zimmer erhaschen können. Unter dem Vorwand etwas Wichtiges für die Schule dort liegengelassen zu haben, hatte das Mädchen Erfolg gehabt. Zuerst wollte die ältere Dame sie begleiten, konnte aber schlussendlich nicht, da noch andere Schüler ihre Dienste beanspruchten. Trotz allem blieb der Stipendiatin nicht viel Zeit, um in den Sachen ihrer Klassenkameradin zu wühlen. Sie hoffte den Schlüssel so schnell es ging ausfindig machen zu können. Auch ihre beste Freundin und Akira hatte sie schon kontaktiert und um Hilfe gebeten, damit sie noch heute mit der Rettungsaktion starten konnten. Einzig Kuro ignorierte sie. Von ihm erwartete sie sowieso keine Hilfe nach seinem Ausraster. Zuvor musste man ihn ja auch zwingen, als es noch um Amikas Rettung ging. „Verdammt“, schlug die Oberschülerin die letzte Schranktür zu. Nun hatte sie schon das ganze Zimmer auf den Kopf gestellt und noch immer nichts ausfindig machen können. Zur Sicherheit klapperte sie einige Ecken nochmal ab, aber das Resultat blieb dasselbe. Entmutigt ließ die Blauhaarige schließlich von ihrer Suche in diesem Raum ab, brachte die Schlüsselkarte zurück und erklärte ihren beiden Freunden was Sache war. Nach einer kurzen Telefonkonferenz kam die Idee auf in der Schule nachzusehen. Eventuell hatten sie dort mehr Erfolg. Da Akira noch arbeiten musste und ihre beste Freundin ebenfalls zu tun hatte, setzte die Stipendiatin ihre Suche alleine fort. Eigentlich dachte sie, dass es einfacher und schneller gehen würde. Immerhin hatte sie damals den Schlüssel für Amikas Dungeon auch sofort in den Händen. Bis zum Vormittag brachte Rin damit zu Orte in der Schule abzusuchen an denen die Schülersprecherin sich oft aufhielt. Aber auch dort konnte sie nichts ausfindig machen. Langsam aber sicher gingen ihr die Ideen aus wo sie noch schauen könnte und sie schnaubte schwer. „Ich befürchte, dass ich doch zu Ruri fahren muss. Eigentlich hatte ich keine Lust noch großartig die Stadt nach ihr abzusuchen“, jammerte die Blauhaarige, „Wer weiß, ob ich sie wirklich dort finde wo Shû-chan sie vermutet.“ Gequält packte das Mädchen ihre Tasche für einen Tagesausflug nach Kagaminomachi. Währenddessen versuchte sie noch irgendjemanden zu mobilisieren, der sie begleiten würde. Die Oberschülerin wollte nicht allein in einer Stadt herumirren, in welcher sie sich nicht so gut auskannte. Viele Leute konnte sie allerdings nicht fragen, denn Saito hätte sie zu sehr ausgefragt, Kuro und Skye wollte sie im Moment nicht ansprechen, Amika wurde von ihrer Familie eingespannt und durfte nicht weg und Shina machte Überstunden bei Kuro. Einzig Akira wollte die Blauhaarige begleiten. Jedoch war Rin dagegen, dass der Rothaarige deswegen die Arbeit sausen ließ. Das würde ihm sicherlich Ärger einbringen. Shuya fragte sie erst gar nicht, denn er war bestimmt in der Schule. Abgesehen davon war dieser orientierungslose Vollpfosten eher ein Hindernis als eine Hilfe. Schweren Herzens machte sich das Mädchen schließlich alleine auf den Weg.   Nachdem Rin abertausend mal nach dem richtigen Weg fragte, die Information am Bahnhof in den Wahnsinn trieb, in die falsche Richtung lief und sogar in den falschen Zug stieg, kam sie endlich am Hauptbahnhof in Kagaminomachi an. Trotzdem war sie noch nicht an ihrem eigentlichen Ziel angekommen. Wieder fragte sie am Infoschalter nach dem richten Gleis und verstand nur die Hälfte. Sie musste in den Stadtteil Kyôzô-kû, hatte aber nicht so ganz verstanden wie genau. Schlussendlich verpasste sie die U-Bahn und musste auf die Nächste warten. Nachdem sie diese dann endlich erwischte, konnte schon fast nichts mehr schiefgehen, denn sie musste bis zur Endstation fahren. Je näher das Mädchen ihrem Ziel kam, umso unruhiger wurde sie. Nicht weil sie Angst vor dem Ungewissen hatte, sondern weil sie sich in den Menschenmassen unwohl fühlte. Die Leute die hier ein- und ausgingen sahen größtenteils ziemlich abgehoben aus. Außerdem konnte die Blauhaarige auch einigen arroganten Gesprächen folgen, welche absolut nach Reichtum stanken. Nach einigen Stationen stiegen schließlich sogar einige Schüler hinzu. Wenn Rin den Namen der Station richtig deutete, dann war an dieser Haltestelle eine Akademie. Der Schuluniform nach zu urteilen wohl eine für die reichen Leute. Die Uniform war hauptsächlich in schwarz gehalten, hatte aber einige weiße und goldene Verzierungen. Auch der Stoff sah ziemlich hochwertig aus. Wie es aussah war die Oberschülerin wohl im Reichenviertel der Stadt gelandet. Welch Ironie. Obwohl sie doch selbst kaum Geld hatte, landete sie immer wieder bei den reichen Schnöseln und musste sich deren abwertende Worte anhören. Ängstlich umklammerte sie ihre Tasche, welche sie auf den Schoß genommen hatte und versuchte sich so unauffällig sie konnte zu verhalten. Sie wollte nicht auffallen und hoffte sehr, dass sie in Ruhe gelassen wurde. Natürlich war es ziemlich unwahrscheinlich, dass sie in der Öffentlichkeit niedergemacht wurde, aber sie wollte es nicht riskieren. Es waren zudem auch noch andere in der U-Bahn, welche ziemlich normal aussahen. Vermutlich gewöhnliche Angestellte oder dergleichen. Endlich ertönte die Bahndurchsage „Kyôzô Shûten“, welche die Endstation ankündigte. Heilfroh endlich angekommen zu sein verließ sie mit der Masse die U-Bahn und schaute sich suchend nach ihrem Zielort um. Dabei durfte sie einige enorm große Gebäudekomplexe bestaunen. Aber diese waren nicht nur groß, sondern auch ziemlich prunkvoll und protzig. Man merkte direkt, dass die Leute hier zu viel Geld hatten. Da fühlte sich ein Normalbürger wie Rin es war, gleich sehr viel kleiner und unbedeutender. Ihr mulmiges Gefühl nahm weiter zu und sie fühlte sich mächtig unwohl. Ihr war, als würden sie tausend Blicke durchbohren, welche fragten was eine wie sie hier wollte. Obwohl die Blauhaarige genau wusste, dass sie keiner durchschauen konnte, kam sie nur mit wackligen Beinen voran. Diese ihr unbekannte Stadt war ihr viel unheimlicher, als das Bonzen Viertel ihrer eigenen Heimat. Nachdem das Mädchen sich endlich ein wenig orientiert hatte fand sie ihr Ziel ziemlich schnell und stand im Nu vor dem großen verglasten Gebäude. Es war eine prachtvolle Einrichtung, welche zudem eine sehr akkurat gepflegte Anlage besaß. „Mal sehen, ob ich hier richtig bin. Ruri wirkt überhaupt nicht so, als ob sie irgendetwas mit reichen Leuten zu tun hätte“, musterte die Blauhaarige noch immer kritisch das Gebilde. Zum Glück stand an der Außenfassade der Name Miuna, sonst wäre sich die Stipendiatin absolut nicht sicher gewesen, ob sie hier richtig war. Generell war der große Glaskasten schwer zu definieren, wäre dort nicht noch zusätzlich ein großes rotes Kreuz angebracht, welches die Einrichtung als Krankenhaus definierte. Noch einmal atmete Rin tief durch, ehe sie den Mut fasste und zum Eingangsbereich lief. Davor standen nämlich zwei Security Männer mir schwarzer Uniform und Sonnenbrille. Das waren Hindernisse, welche die Oberschülerin nicht erwartete. Sie wollte zwar nicht negativ denken, aber wenn sie die ganze Situation richtig deutete, dann war es wohl ziemlich unwahrscheinlich für sie an ihnen vorbeizukommen. Trotzdem musste sie es wenigstens versuchen. Kurz überlegte das Mädchen sogar, ob sie sich vielleicht einfach als Ruri ausgeben sollte. Wenn das Krankenhaus wirklich ihrer Familie gehörte, dann musste man die Eisblauhaarige kennen und ohne Probleme durchlassen. Und da die beiden sowieso immer miteinander verwechselt wurden, war die Idee nicht mal so arg abwegig. Andererseits wusste das Personal totsicher, dass die arme Tochter im Koma lag und es war viel zu riskant eine derartige Lüge aufzutischen. Also blieb der Blauhaarigen nur ein Ausweg: Augen zu und durch. Angespannt, aber mit schnellem Schritt, lief sie schnurstracks zum Eingang, wo sie bereits von den Sicherheitsmännern gesichtet wurde. Kaum war sie in deren unmittelbaren Blickfeld, nickten die beiden Schwarzgekleideten ihr freundlich zu. Aus Reflex tat Rin es ihnen gleich, verstand aber nicht warum sich die Männer nicht rührten. Das war jedoch ihr Glück und so kam sie ohne anzuhalten problemlos hinein. „Komisch“, murmelte sie leise, „Wozu sind die gut, wenn sie niemanden kontrollieren?“ Etwas orientierungslos blieb das Mädchen schließlich in der großen Eingangshalle stehen. Wie sich herausstellte sah das Gebäude nicht nur von außen protzig aus, sondern wirkte von innen noch viel schlimmer. Rin hatte ja nun schon so einiges gesehen, aber dieses Krankenhaus sprengte ebenfalls die Skala. Suchend sah sie sich nach einem Informationsschalter um, an welchen sie schnurstracks herantrat. „E-Entschuldigung“, versuchte die Blauhaarige auf sich aufmerksam zu machen. Irgendwie musste sie ja herausfinden, ob ihre Klassenkameradin hier anzutreffen war. Ziemlich erschrocken wurde sie daraufhin von der Empfangsdame angestarrt, ehe sich diese plötzlich erhob und hinter dem Tresen hervorkam. „Ach du liebe Zeit“, verfiel die ältere Frau in leichte Panik, „Warum liegst du denn nicht im Bett mein Kind? Wurdest du schon untersucht?“ Noch bevor die Schülerin überhaupt realisieren konnte von was die Rede war, wurde sie auch schon in einen Rollstuhl gesteckt und Richtung Personenaufzug kutschiert. Auf halbem Weg kam den beiden eine Krankenschwester hektisch entgegen, welche die Empfangsdame ablöste und den Rollstuhl mitsamt der Blauhaarigen dankend übernahm. Rin verstand die Welt nicht mehr, als sie mit der aufgebrachten Frau nun in eines der oberen Stockwerke fuhr. Ob es vielleicht an ihrer Hand lag, welche noch immer mit einem dicken Verband umwickelt war? Vielleicht war es in einem Elitekrankenhaus wie diesem normal, dass man wegen der kleinsten Schramme sofort behandelt wurde. Aber musste man sich nicht trotzdem zuerst anmelden, um den Papierkram zu prüfen? Immerhin war die Stipendiatin nicht so reich, als dass sie mal eben wegen einer Lappalie ins Krankenhaus gehen könnte. „H-Hören Sie“, begann die Verletzte vorsichtig, „Ich möchte gar nicht wegen so einer Kleinigkeit behandelt werden. Eigentlich wollte ich nur…“ Noch bevor sie aussprechen konnte wurde sie jedoch unterbrochen: „Das ist doch keine Kleinigkeit. Warum hast du dich nicht eher gemeldet? Dein Vater reißt mir den Kopf ab, wenn er erfährt, dass du einfach so herumgelaufen bist.“ „Heh? Woher kennen Sie denn meinen Vater? Und seit wann ist so eine Verletzung ein Drama?“, wusste Rin nicht welche Frage sie zuerst stellen sollte. „Aber Ruri-san! Leidest du etwa an Gedächtnisverlust?“, schob die aufgebrachte Schwester ihre Patientin im Zielstockwerk aus dem Fahrstuhl, „Hast du vergessen wer dein Vater ist? Miuna-sensei ist doch jedem hier bekannt.“ Endlich begriff die Oberschülerin was hier soeben passierte. Eigentlich hätte sie auch selbst darauf kommen könne, dass sie hier jeder für ihre Klassenkameradin hielt. Das wäre ja nicht das erste Mal gewesen. Allerdings dachte sie, dass sie nicht verwechselt werden konnte, da Ruri ja noch eine Weile im Koma liegen würde. Aber die Stipendiatin hatte nicht bedacht, dass nur sie dieses Wissen hatte. Alle anderen konnten sich dieses Phänomen nicht erklären und wussten auch nicht was nötig war, damit die Schlafende wieder aufwachen würde. „Ich befürchte Sie verwechseln mich“, versuchte die Blauhaarige das Missverständnis aufzuklären, „Ich bin nicht Ruri.“ „Blödsinn! Du scheinst eine Amnesie zu haben“, ließ sich die junge Frau nichts einreden. „Sie hat recht“, ertönte plötzlich eine unbekannte weibliche Stimme. Vor den beiden versperrte plötzlich ein blondes Mädchen den Weg. Ihr Blick wirkte ziemlich konfus mit einem Hauch von Sorge: „Sie ist es wirklich nicht.“ So wie die Blonde die Rollstuhlfahrerin musterte, tat es diese ihr gleich. Die Unbekannte trug die edle Uniform der Akademie, an welcher Rin vor kurzem noch vorbeigefahren war und musste somit aus gutem Hause kommen. Ihre blonde Lockenpracht war mit auffälligen Haarbändern zu zwei Zöpfen gebunden, aus denen ein kleiner Teil zu einem Pony heraushing. Und da sie die beiden Blauhaarigen auseinanderhalten konnte, musste sie die Schülersprecherin logischerweise kennen. Aus irgendeinem Grund kam der Stipendiatin dieses Mädchen aber trotzdem bekannt vor. Dabei war sie sich sicher ihr noch nie begegnet zu sein. „Ihr wollt mir doch einen Streich spielen“, war die Pflegekraft ziemlich empört, „Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.“ Da es zwecklos war die junge Frau vom Gegenteil zu überzeugen, ließ die Blonde sie gewähren, hängte sich aber dennoch an die beiden dran. Im Zimmer angekommen klappte der Krankenschwester, wie zu erwarten, erstmal die Kinnlade herunter. Natürlich lag die Eisblauhaarige noch immer friedlich schlummernd in ihrem Bett. „Aber… Wie…?“, stotterte die Ältere herum, „U-Und wer bist du dann?“ Endlich konnte sich die Blauhaarige wieder erheben und stellte sich nun ordentlich vor: „Mein Name ist Rin Aikawa und ich bin eine Freundin von Ruri. Wir gehen in dieselbe Klasse.“ Kaum hatte die Verwechselte sich erklärt, wurde die Angestellte blass im Gesicht, entschuldigte sich mehrfach und verschwand so schnell sie konnte. „Bist du mit Rui verwandt?“, legte die Blonde den Kopf schief, „Vielleicht eine Cousine oder so? Da ist schon eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden.“ „Rui? Aber nein, es ist absolut unmöglich, dass wir in irgendeiner Weise verwandt sind. Da sind keinerlei Parallelen“, winkte Rin ab. „Echt eigenartig“, kam es nur aus ihrem Gegenüber. „Wenn man genauer hinschaut, dann wird man auch erkennen, dass wir uns doch gar nicht so ähnlichsehen. Ruris Haare und Augen sind viel heller als meine. Durch die ähnliche Haarlänge verwechselt man uns eben schnell mal“, versuchte die Stipendiatin ihren Standpunkt zu vermitteln, „Und wer bist du?“ „Ach herrje, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt“, war die Blonde ein wenig aufgebracht, „Nenn mich einfach Akki. Ich bin Ruis beste Freundin. Wir kennen uns schon ewig.“ Kurz überlegte die Blauhaarige: „Kennen wir uns vielleicht von irgendwo? Du kommst mir so wahnsinnig bekannt vor.“ „Nicht dass ich wüsste“, zuckte sie mit den Achseln und lächelte freundlich. Kurz darauf verabschiedete sie sich auch schon und verließ den Raum. Endlich konnte sich die Oberschülerin ihrer Klassenkameradin widmen. Sie wollte wissen wie es ihr ging und ganz nebenbei diesen verflixten Schlüssel endlich ausfindig machen. Noch ehe sie aber am Bett der Schülersprecherin angelangt war, ging plötzlich die Zimmertür blitzartig auf. Überrascht drehte sich das Mädchen herum: „Hast du was vergessen, Akki-chan?“ Doch noch ehe sie sich versah, wurde sie von einem älteren Mann stürmisch an den Schultern gepackt und umarmt: „Ich war ja so besorgt! Gott sei Dank bist du wohlauf!“ Die Erdrückte versuchte sich zwar aus dem liebevollen Würgegriff zu befreien, hatte jedoch keine Chance. Stattdessen ruderte sie nur wild mit den Armen und brachte ein paar gedämpfte Geräusche heraus. Wer war dieser Verrückte, der sie soeben erwürgte? Wurde sie etwa schon wieder mit ihrer Klassenkameradin verwechselt? Waren die Leute in diesem Laden etwa alle blind oder was? Es dauerte tatsächlich nicht all zu lange, bis der Mann realisierte, dass Ruri noch immer in ihrem Bett lag. Schlagartig drückte er Rin wieder von sich weg und fragte verwirrt: „Wer bist du?“ Ein genervter Seufzer entwich der Verwechselten. So langsam hatte sie keine Lust mehr auf dieses Theater: „Hat denn hier keiner Augen im Kopf oder was?! Soll ich mir ein Schild an den Kopf hängen auf dem steht, dass ich nicht Ruri bin?! Und wer sind Sie überhaupt?“ Während der Ältere scheinbar auf Durchzug geschaltet hatte, starrte er die Blauhaarige wie versteinert an. Er wirkte ein wenig verschreckt. Die Oberschülerin hingegen fand das schon gar nicht mehr verwunderlich. Immerhin hatten innerhalb weniger Minuten noch ein paar andere Personen einen ähnlichen Gesichtsausdruck, als sie sie zum ersten Mal gesehen hatten. Warum war das hier so extrem? In der Schule hatte sie diese Probleme doch auch nicht. Wobei sie dort ihre Uniform ein wenig anders trug als die Eisblauhaarige. Vermutlich war das ein ausschlaggebender Punk dafür, dass dort keine größeren Schwierigkeiten entstanden. Noch immer rührte sich der Unbekannte nicht. Seine dunkelblauen Augen hingen starr auf der Oberschülerin, welche den Moment nutzte, um ihn sich genauer anzusehen. Er hatte dunkelblaues kurzes Haar, welches an den herunterhängenden Spitzen wuschelig auslief. Seine Kleidung bestand aus einer dunkelgrauen Hose, in welche ein hellblaues Hemd hineingesteckt war. Passend dazu hatte er sich eine dunkelblau gestreifte Krawatte umgebunden. Außerdem trug er einen klassischen weißen Arztkittel. Wüsste Rin es nicht besser, würde sie glatt behaupten, dass es sich bei diesem Arzt um Ruris Vater handelte. Anders konnte sie sich sein übertriebenes Verhalten jedenfalls nicht erklären. „Sie sind ihr Vater, oder?“, versuchte das Mädchen ihn aus seiner Starre zu lösen, „Ich heiße Rin Aikawa und bin eine Freundin Ihrer Tochter. Wir gehen in dieselbe Klasse.“ „J-Ja, ich bin Saijiro Miuna“, schien der Mann noch immer mit der Situation überfordert. Die Blauhaarige konnte ihre Neugierde jedoch nicht zurückhalten und fiel mal wieder mit der Tür ins Haus: „Scheinbar bedeutet Ihnen Ruri ziemlich viel. Warum haben Sie sie dann so weit weg zur Schule geschickt?“ Die Oberschülerin wusste, dass es ihrer Klassenkameradin zu schaffen machte, dass sie alleingelassen wurde. Zwar spielte die Schülersprecherin immer die Starke, hatte allerdings auch eine ziemlich sensible Seite. „Glaub mir… ich habe das nicht getan, weil ich es wollte. Es war der einzige Ausweg“, sah man dem Arzt die Verzweiflung deutlich an. Ein verwunderter Blick traf den Älteren: „Wie meinen Sie das?“ „Das ist eine lange Geschichte. Im Moment ist es wichtiger herauszufinden was mit Ruri passiert ist. Es macht einfach keinen Sinn, dass ein gesunder Mensch mal eben ins Koma fällt“, war er besorgt. Da die Oberschülerin nicht wusste was sie darauf antworten sollte schwieg sie. Weil sie den Grund oder zumindest den Weg kannte, um ihre Klassenkameradin zu retten, wollte sie sich nicht verplappern. Entweder hätte man sie dann für verrückt erklärt oder sie aus Neugierde durchbohrt. „Du bist doch eine Freundin meiner Tochter, oder?“, hakte Saijiro nach. Ein Nicken des Mädchens beantwortete die rhetorische Frage und der Arzt fuhr fort: „Ist Ruri mit irgendwelchen anderen kränklichen Menschen befreundet?“ Etwas irritiert über die eigenartige Frage, verzog die Blauhaarige ihr Gesicht. Wie kam er denn auf so eine komische Fährte? Glaubte er etwa, dass sie sich bei jemandem mit etwas angesteckt haben könnte? Dann hätte es doch schon viel eher Anzeichen einer Krankheit gegeben. Allerdings schien es ihr gut zu gehen. „Nicht, dass ich wüsste“, antwortete Rin, „Hat sie denn eine schwerwiegende Krankheit? Was ist der Grund für ihren Zusammenbruch?“ Ein Schnauben entwich dem Mann: „Ich weiß leider nicht was sie hat. Sämtliche Test und Untersuchungen fanden rein gar nichts. Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten sie sei kerngesund. Aber keine gesunde Person fällt einfach so um.“ Wo er recht hatte, hatte er recht. Wieder musste die Schülerin der Versuchung widerstehen nichts auszuplaudern. Wie gerne hätte sie gesagt, dass sich der Vater keine Sorgen machen brauche, weil sie schon alles regeln würde. Dadurch kämen allerdings unbeantwortbare Fragen auf. Sie musste also die Unwissende spielen. „Was hast du da eigentlich an deiner rechten Hand?“, griff Saijiro nach dieser und begutachtete den schlampigen Verband, welcher auf der Handinnenseite mit Blutflecken übersät war. Schweißperlen bildeten sich an der Stirn des Mädchens, denn sie wusste nicht wie sie das erklären sollte. Es war ziemlich unwahrscheinlich zu dieser Jahreszeit irgendwo festzufrieren. Aber auch im Winter wäre das nicht so leicht gewesen, denn wer friert denn mal eben an einer Türklinke fest? „Ähm…“, schindete sie Zeit, „Das ist doch nichts Wildes. Nur so eine Art Verbrennung.“ Der Arzt bemerkte sofort, dass ihre Aussage nicht so ganz der Wahrheit entsprach: „Und wie ist das passiert?“ „Beim Sport“, brachte sie nur heraus und hoffte er würde es ihr abkaufen. Wie sollte sie auch erklären, dass sie Ruris vereisten Dungeon-Eingang versucht hatte zu öffnen und dadurch festgefroren war. Trotz ihrer offensichtlichen Lüge, packte der Ältere sie und schleifte sie in einen der Behandlungsräume, um ihre Verletzung zu versorgen. Rin jedoch sträubte sich dagegen, denn sie konnte sich die Rechnung von diesem Elitekrankenhaus definitiv nicht leisten. Allerdings überredete der Arzt sie recht schnell damit, dass die Behandlung kostenlos sei. Immerhin war das Mädchen eine Freundin seiner Tochter. Nachdem die Oberschülerin endlich einen neuen ordentlichen Verband um ihre Hand hatte, lud Ruris Vater sie noch zum Tee ein. Er wollte mehr über das Schulleben der Eisblauhaarigen erfahren. Sie selbst erzählte so gut wie nichts, weshalb Saijiro nicht wusste wie es ihr erging. „Na ja, sie hat immer jede Menge zu tun. Manchmal frage ich mich, ob sie überhaupt noch ein Privatleben hat“, erklärte Rin, „Sie hat immer die besten Noten, übernimmt alle möglichen Aufgaben und ist sogar noch Schulsprecherin.“ Der Ältere verschluckte sich soeben an seinem Heißgetränk: „S-Sie ist was?!“ „Wussten Sie das nicht?“, staunte die Blauhaarige nicht schlecht. „Nein. Sie ist immer so zurückgezogen und redet kaum etwas“, betrübte sich sein Gesicht, „Ich bin wirklich ein mieser Vater.“ „Das ist doch Quatsch. Nur weil sie nicht so viel erzählt, heißt das nicht automatisch, dass Sie ein schlechter Vater sind“, versuchte Rin ihn wieder aufzuheitern. Ein kurzes Schweigen brach aus, welches dem Mädchen mehr als unheimlich war. Es war generell eine ziemlich eigenartige Situation in welcher sie sich soeben befand. Sie hätte nie gedacht, dass sie plötzlich mit Ruris Vater zusammensitzen würde. Außerdem hatte sie ihn sich ganz anders vorgestellt. Da er seine Tochter mehr oder weniger abgeschoben hatte, dachte die Blauhaarige, dass er ein kaltherziger und ernster Erwachsener sei, der für seinen Job lebte und dem alles andere egal war. Allerdings war er das absolute Gegenteil. Es schien beinahe so, als sei seine Tochter das Wichtigste für ihn. „Ich hätte da noch eine Frage“, begann Saijiro ein neues Thema, „Deine Mutter ist nicht zufälligerweise Rika Aikawa, oder?“ Die Blauhaarige fiel jedoch aus allen Wolken: „Woher kennen Sie meine Mutter?“ „Oh“, war der Ältere sichtlich überrascht, „Hat sie mich nie erwähnt? Wir haben damals in Aehara zusammen Medizin studiert und waren richtig gut befreundet.“ „Ehrlich? Und wie war meine Mutter früher so?“, leuchteten Rins Augen förmlich. Keiner erzählte ihr bisher etwas von ihrer Mutter, weswegen sie kaum etwas über sie wusste. Ryuichi verlor nie ein Wort über sie und Saito hatte kaum noch Erinnerungen an ihre Mutter. Rin selbst konnte sich überhaupt nicht mehr an sie erinnern. Einzig ihr Aussehen von den paar wenigen Fotos war ihr bekannt. Auch dass sie Krankenschwester war, wusste das Mädchen. Aber das wars auch schon. „Rika war ein richtiger Sturkopf. Wenn sie etwas wollte, dann hat sie alles daran gesetzt es zu bekommen“, lachte der ältere Mann, „Das ist eigentlich eine ziemlich gute Eigenschaft, denn damals ist sie dadurch eine der besten des Jahrgangs gewesen. Sie wollte unbedingt Krankenschwester werden und auf der Kinderstation arbeiten. Wie du sicher weißt, hat sie das auch geschafft.“ Ein zaghaftes Nicken kam zur Antwort. Rin wusste nicht, ob sie lächeln oder traurig sein sollte. Eigentlich trauerte sie nicht um ihre Mutter, da sie sie nicht kannte. Andererseits wünschte sie sich, dass sie noch da wäre und sie wenigstens einmal erleben dürfte wie es wäre noch beide Elternteile zu haben. Noch bevor sie weiter in Gedanken versunken wäre, redete Saijiro fröhlich weiter: „Ich weiß noch, wie sie mich früher immer getadelt hat, weil ich nie lernen wollte. Stattdessen habe ich lieber mit meinen Kumpels Fußball gespielt und auch hin und wieder ein Seminar sausen lassen. Hätte Rika mir nicht in den Hintern getreten, wäre ich sicherlich durch die Prüfungen gefallen.“ Je mehr Schönes er erzählte, umso mehr betrübte es die Oberschülerin. Sie wünschte, sie hätte ihre Mutter ebenfalls kennenlernen dürfen und all die schönen Dinge mit ihr erlebt. Der Mann berichtete immer weiter und redete freudig kreuz und quer. Rin hingegen ließ den Kopf hängen und schaute bedrückt in ihre Tasse. Es dauerte nicht all zu lange, bis ihr plötzlich die ersten Tränen die Wange herunterkullerten. Zwar versuchte sie sie innezuhalten, versagte aber kläglich. Als der Ältere es bemerkte, stoppte er abrupt in seiner Erzählung und schaute das Mädchen besorgt an: „Was hast du denn? Ist alles in Ordnung? Tut dir deine Verletzung so sehr weh?“ Es dauerte kurz, bis Angesprochene ihren Kopf wieder ein wenig hob. Ein kleines Lächeln huschte ihr über die Lippen: „Ich wünschte ich hätte sie kennengelernt… Meine Mutter.“ Entsetzt schaute der Arzt die Betrübte an: „W-Wie genau meinst du das?“ Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er das Schlimmste befürchtete. Aber er schien es nicht wahrhaben zu wollen. „Sie starb als ich noch ganz klein war. Deswegen habe ich keinerlei Erinnerungen an sie. Auch mein Bruder hat nur sehr schwammige Erinnerungen an damals“, erklärte sich Rin. „Das ist ja furchtbar. Und ich wusste rein gar nichts davon“, saß der Schock in Saijiro noch immer tief, „Aber wie ist es euch denn dann ergangen?“ „Es ist ein ewiges Auf und Ab. Unser Vater verbarrikadiert sich immer in seinem Labor und manchmal macht er im Monat mehr Verluste als Gewinn. Saito geht deswegen jobben und versucht uns so über Wasser zu halten“, schnaubte die Oberschülerin schwer, „Aber so ist es schwer für ihn sich vernünftig auf die Uni zu konzentrieren. Er studiert Medizin und will unserer Mutter nacheifern.“ Aufmerksam hörte er ihren Erzählungen zu, warf aber zwischenzeitlich Fragen ein: „Aber wenn ihr solche Geldsorgen habt, wie kannst du dir dann die Suzuki-Akademie leisten?“ „Ich habe ein Sportstipendium erhalten. Aber wenn ich ehrlich bin, dann befürchte ich, dass das ziemlich auf der Kippe steht. In diesem ganzen Theoriekram bin ich eine Katastrophe. Ruri hat mir so viel versucht einzuhämmern, aber ich habe immer nur die Hälfte verstanden“, entwich ihr ein erneutes Seufzen. Der Ältere war ziemlich betroffen von den ganzen Infos: „Das klingt ja wirklich furchtbar. Kann ich dir vielleicht irgendwie helfen? Du bist eine Freundin meiner Tochter. Wenn du die Schule wechseln musst wäre sie sicherlich traurig.“ Rin schüttelte zaghaft den Kopf: „Nein, ich will keine Almosen. Dann denkt Ruri nur, dass ich als Freundin gekauft sei. Außerdem stehen wir uns nicht so nahe, als dass Sie mir helfen müssten.“ Der Arzt sah ein, dass das Mädchen recht hatte und versuchte nicht weiter ihr seine Hilfe aufzuzwängen. Dennoch hätte er gerne etwas für sie getan. „Warum fragten Sie eigentlich nach meiner Mutter?“, wechselte die Blauhaarige das Thema. Ihr Gegenüber überlegte kurz was er antworten sollte: „Na ja… Ich wollte sie irgendwie kontaktieren und mich bei ihr entschuldigen. Wir sind damals in einer Art Streit auseinander gegangen. Vermutlich hasst sie mich. Nein, eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass sie mich deswegen hasst.“ „Was ist denn passiert?“, war die Neugierde des Mädchens wieder geweckt. „Ich habe einige dumme Entscheidungen getroffen, die mir Rika ausreden wollte. Schlussendlich habe ich ihr damit geschadet, statt zu helfen“, wirkte Saijiro gequält, „Ich hätte mich schon viel früher bei ihr entschuldigen müssen. Aber leider kann ich das ja nun nicht mehr.“ „Sie hatten ja keine bösen Absichten und haben nur versucht zu helfen. Dass es nach hinten losging, konnten Sie ja nicht wissen. Zwar kenne ich meine Mutter nicht, aber ich bin mir sicher, dass sie das wusste und deswegen auch bestimmt nicht sauer war“, versuchte die Jüngere ihn wieder aufzuheitern. Rin hätte wirklich gerne gewusst was der Inhalt des Streites war, traute sich aber nicht noch tiefer in der Wunde zu bohren. Vermutlich war es ja doch nur eine belanglose Meinungsverschiedenheit, die lediglich nur aufgeputscht wurde. Viel Zeit zum Plaudern hatten die beiden nun nicht mehr, denn der Ältere wurde dringend bei der Arbeit gebraucht und das Mädchen musste blad los, damit sie nicht den letzten Fernzug verpasste. Bevor sie allerdings ging, stattete sie ihrer Klassenkameradin nochmals einen Besuch ab. Dieses Mal aber ohne Unterbrechungen und allein. So hatte sie die Möglichkeit in Ruris Sachen zu suchen, um den Schlüssel endlich zu finden. Auf dem Nachttisch der Schülersprecherin waren einige Kleinigkeiten aufgestellt, welche Rin eine nach der anderen prüfte. Besonders der kleine Teddybär, welcher schon ziemlich mitgenommen aussah, fiel der Blauhaarigen ins Auge. Es schien ein typisches Kuscheltier aus Kindertagen zu sein. Neugierig griff das Mädchen den Bären und begutachtete ihn, als dieser plötzlich zu leuchten begann. Durch das grelle Licht musste die Stipendiatin die Augen zukneifen. Im nächsten Moment formte sich aus dem alten Plüschtier ein silber-blauer Schlüssel im Schneeflockendesign. „Endlich“, fiel Rin ein Stein vom Herzen.   Kapitel 31 - Eisige Prüfungshölle --------------------------------- Sonntag, 10. Mai 2015 Startklar standen Rin, Amika und Akira am Abend im Wohnheimzimmer der Blauhaarigen. Sie wollten endlich aufbrechen, um die Schülersprecherin zu retten und erachteten es als sinnvollste Lösung dieses Mal nicht den alten Schuppen in der Schule zu nutzen. Dadurch würden sie sowieso nur einen unnötigen Umweg laufen. „Seid ihr bereit?“, drehte sich Rin nochmal zu ihren Freunden um. Während die Brünette ihren mitgebrachten Bogen fester umklammerte und der junge Mann selbstsicher seinen Baseballschläger schwang, versicherten die beiden mit einem Nicken, dass es losgehen konnte. Mit einem Klacken drehte die Oberschülerin den Timeless Key im Schloss und stieß die Tür vorsichtig einen kleinen Spalt breit auf. Es bestand natürlich immer noch die Gefahr, dass sie jemandem über den Weg laufen könnten, weswegen äußerste Vorsicht geboten war. Der Blick der Stipendiatin legte sich prüfend über den Flur und Sekunden später atmete sie auf. „Die Luft ist rein“, flüsterte sie und machte eine winkende Handbewegung, damit ihre Freunde ihr leise folgten. Gerade als die Schlüsselhüterin den Durchgang wieder verschließen wollte, huschte plötzlich noch Skye durch den Spalt und stand außer Atem vor ihnen. „Oh, ich dachte du kommst nicht, weil du nicht geantwortet hattest“, kam es erstaunt, aber leise aus dem Rothaarigen. „Ich war beschäftigt und hab die Nachricht erst spät gelesen“, murrte der Jüngere. Die Brünette hatte dazu auch eine Frage: „Und was ist mit Kuro-kun?“ „Ihr wisst doch wie stur er ist“, war der Grundschüler sichtlich genervt, „Aber jetzt lasst uns endlich hier wegkommen, bevor uns noch jemand sieht.“ Mit diesen Worten und einer Standpauke, dass nicht der Schuppen genutzt wurde, öffnete Rin den vereisten Dungeon-Eingang und die Gruppe trat herein. „Du liebe Zeit, ist das kalt hier“, bibberte die Blauhaarige und umschlang ihren Oberkörper. Auch die Jungs mussten sich dieses Mal eingestehen, dass dieser Ort verdammt kalt war. Einzig Amika blickte verwirrt zu ihren Kameraden: „Ich finde es eigentlich ganz angenehm hier.“ „Das liegt vermutlich an deinem Element“, erklärte Skye, „Ich denke diese Umhänge, welche sich immer bei euch materialisieren, erhöhen eure Verteidigung basierend auf eurem Element.“ Erst jetzt realisierte das Mädchen, dass ihre Kleidung sich verändert hatte und sie zusätzlich einen roten Umhang trug, welcher mit dem Feuerwappen bestickt war. Die Blauhaarige trug ebenfalls wieder ihren blauen Umhang, während der junge Mann mit dem zerfledderten grau-braunen Umhang vorliebnehmen musste. Einzig der Portalwächter blieb von einem Kleidungsstück dieser Art verschont. „Wo sind wir hier überhaupt“, schaute sich Rin um. „Irgendwie macht mir dieser Ort Angst“, warf ihre beste Freundin ein, „Eigentlich habe ich mich ja schon ein bisschen drauf gefreut diese unbekannte Welt und diese Persona-Sache kennenzulernen, aber ehrlichgesagt ist das Ganze hier nur unheimlich.“ Obwohl die Brünette als einzige nicht fror, zitterte sie dennoch. Ruris Dungeon war zwar recht hell erleuchtet und glitzerte fast schon zauberhaft durch all das ganze Eis, jedoch formten die gefrorenen Massen ein endloses labyrinthartiges Verlies. „Kann es sein, dass dieser Kerker aus purem Eis besteht?“, beschäftigte sich Akira lieber mit seiner Umgebung, „Theoretisch sieht das hier aus wie ein klassisches altes Kellergewölbe.“ „Scheint so“, überlegte auch der Jüngste der Gruppe. Die Stipendiatin hingegen war damit beschäftigt ihrer besten Freundin wieder Mut zu machen. Obwohl sie selbst ein mulmiges Gefühl bei der Sache hatte, konnte sie Ruri dennoch nicht einfach im Stich lassen. Nach einigen Spekulationen und Erklärungen beschwor Amika schließlich ihre Persona. Dazu warf sie ihren herzförmigen Rubin leicht in Höhe und fing ihn, in die Hände klatschend, wieder auf. Dadurch zerbrach er wie gewünscht. „Persona!“, stieß die Brünette krafterfüllt aus, „Leih mir deine Kraft, Taiga!“ Im selben Moment stieg ein Feuerwirbel zwischen ihren Händen empor, welcher sich schlagartig wieder lichtete und den Blick auf eine Tigerlady freigab. Diese hatte eine recht lange lockige Haarpracht mit einem Farbverlauf von Rot zu Blond, während ihr Gesicht von einer Maske verdeckt wurde. Außerdem trug die Dame recht aufreizende lange rote Lederstiefel und genauso lange rote Lederhandschuhe. Dazu ein sehr knappes Oberteil und eine taillenhohe Hotpants mit Tigermusterungen. Während alle damit beschäftigt waren dumm aus der Wäsche zu gucken, sprach Rin jedermanns Gedanken einfach aus: „Liegts an mir oder sieht die aus wie eine Nutte?“ Natürlich lagen dadurch schlagartig alle Blicke auf der ungehaltenen Oberschülerin, welche nicht verstand was soeben in den Köpfen ihrer Kameraden abging. „Rin!“, zischte der Rothaarige nur mahnend. Ihre beste Freundin hingegen lief knallrot an und beschwerte sich heftig: „Hey! Was kann denn ich dafür?!“ „Na ja“, überlegte Skye ernsthaft, „Personas sind das innere Selbst. Also kannst du schon was dafür.“ Schnaubend griff sich Akira an die Stirn, da der Grundschüler die Situation mit dieser Aussage echt nicht besserte. Das peinlich berührte Mädchen hingegen wendete ihren Kameraden beleidigt den Rücken zu und tat was sie kurz zuvor geplant hatten. „Agi!“, stieß Amika aus und befahl Taiga somit einige der Eisgitterstäbe wegzuschmelzen. Gespannt schaute die Truppe auf das Ergebnis, denn da hier alles aus Eis war, bestand zumindest die Möglichkeit sich dadurch selbst einen Weg zu ebnen. Der erhoffte Effekt blieb jedoch aus, denn das Gebilde hatte nicht mal einen Kratzer davongetragen. Enttäuschung machte sich über der Gruppe breit und somit blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Weg auf übliche Weise zu bestreiten. Doch kaum waren sie um die erste Ecke gebogen, erwartete sie bereits ein Gegner. „Das ist Jack Frost! Passt auf!“, stieß der Jüngste aus. Rin wollte sich dieses Mal als erste beweisen und beschwor deswegen schnell Kyusagi. Mit Schwung warf sie ihren Saphir zu Boden, welcher zersplitterte und in einem emporsteigendem Wasserstrudel ihre Persona freigab. „Schnell, benutze Kiri und schwemme den Geist davon!“, befahl die Blauhaarige selbstsicher. Daraufhin setzte die Hasendame ihre Attacke ein und traf das weiße kleine Monster mit einer Wasserattacke. Dieses landete unsanft auf seinem Hintern, sprang aber sogleich wieder auf und schüttelte sich. Als hätte ihm die Attacke nichts ausgemacht hopste es frech-fröhlich hin und her und startete schließlich selbst einen Angriff. Ein kurzer Hagelsturm traf die Persona und sie ging zu Boden. Zwar tat es nicht sehr weh, aber unangenehm war es dennoch. Nun mischte sich auch Amika ins Kampfgeschehen und befahl Taiga einen Feuerangriff. Dieser traf das kleine niedliche Wesen schwer, welches mit einem Mal besiegt war und sich auflöste. „Juhu“, hüpfte die Brünette freudig auf und nieder, „Das ist ja spaßig.“ „Ich find das unfair! Warum machst du einen instant Kill und ich richte kaum Schaden an?“, meckerte die Blauhaarige, „Dabei habe ich doch schon sehr viel mehr Übung.“ „Na ja. Es geht hier um die Typeneffektivität nehme ich an. Und Feuer ist bekanntlich sehr effektiv gegen Eis“, vermutete Akira. Die Stipendiatin hingegen stand noch immer auf dem Schlauch: „Das weiß ich doch auch. Aber woher sollte ich denn wissen, dass dieser Shadow vom Typ Eis war?“ „Es würde helfen, wenn du zuhörst, wenn ich rede“, mischte sich nun auch Skye ins Gespräch ein, „Ich habe doch gesagt, dass der Gegner Jack Frost heißt. Ist das nicht logisch, dass er dann irgendwas mit Eis zu tun hat?“ „Oh…“, entwisch es der Blauhaarigen nur und sie grinste schief. Viel mehr konnte sie nicht erwidern, da sie wirklich nicht drüber nachgedacht hatte. Nichtsdestotrotz ärgerte es sie auch, dass sie schon wieder blöd von dem Grundschüler angemacht wurde. Sie war sowieso noch sauer auf ihn wegen seiner Einmischung in ihr Liebesleben. „Ist doch egal jetzt. Weiter geht’s!“, stapfte Rin mit gemischten Gefühlen durch das Eisgewölbe voran. Auch im weiteren Verlauf ihrer Route erstreckten sich Kerker für Kerker nebeneinander. Sie waren alle durch Eisgitterstäbe voneinander abgetrennt. Trotzdem konnte man problemlos hineinschauen. In manchen standen sogar Foltergeräte, welche wie der ganze Dungeon einzig und allein aus Eis bestanden. „Findet ihr es nicht merkwürdig, dass all diese Verliese keine Türen haben? Da sind zwar Gitterstäbe, aber die kann man ja nicht einfach so öffnen“, beobachtete die Blauhaarige ihre Umgebung genauer. Auch die anderen drei stimmten ihr darin zu, hatten allerdings ebenfalls keine sinnvolle Erklärung warum das so war. Selbst Häftlinge oder dergleichen waren nirgends zu sehen. Abgesehen von einigen schwächeren Shadows die hin und wieder auftauchten, war dieses Gefängnis wie ausgestorben. Einige Minuten und unzählige Gegner später, waren sie schließlich in einer Sackgasse gelandet. Trotz der schwachen Shadows wie zum Beispiel Silky, Jack Frost oder Apsaras, waren besonders die Persona-User außer Atem. Es war eigentlich nicht schwer diese Monster zu besiegen, das Problem war eher die Menge. „Oh nein eine Sackgasse“, jammerte Amika, „Müssen wir jetzt echt wieder zurückgehen und einen anderen Weg einschlagen?“ „An der letzten Gabelung wären wir in der anderen Richtung direkt in eine Sackgasse gelaufen“, überprüfte der Grundschüler die Karte, welche ihm durch sein Horo angezeigt wurde. „Warum sagst du eigentlich nicht früher etwas, wenn du eine Karte hast?“, schnaubte die Brünette. Skye schüttelte nur Kopf: „Das was mir angezeigt wird, ist nicht sehr weitläufig. Ich sehe nur an die 50 Meter weit. Und abgesehen davon kann jeder von euch durch das Horo den Weg, den wir bereits erforscht haben, anschauen.“ „Und wie hilft uns das?“, verstand Rin nicht worauf er hinauswollte. „Ach so“, kam dem Rothaarigen scheinbar die Erleuchtung, „Wenn man sich die Map anschaut, dann ist da vor uns gar keine Sackgasse!“ Irritiert prüften die Mädchen nach, was die anderen beiden bereits herausgefunden hatten. Es wurde eine Art Durchgang angezeigt. Wohin er führte oder wo genau er sich befand blieb allerdings noch immer ein Rätsel. Prüfend tasteten alle die eisige Wand ab, als Akira plötzlich eine kleine Einkerbung fand: „Seht mal! Hier ist etwas Ungewöhnliches!“ Schlagartig wendeten sich alle dem jungen Mann zu und beobachteten, wie er versuchte einen Durchgang zu öffnen. Aber weder Drücken noch Ziehen bewegten auch nur irgendwas. „Wartet mal“, stand die Brünette prüfend vor der mysteriösen Kerbe, „Etwas daran kommt mir bekannt vor. Die Wand sieht hier auch ein wenig anders aus.“ Da das Mädchen eine Idee zu haben schien, machte der Rothaarige Platz. Vorsichtig griff sie in die kleine Vertiefung und mit einem Ruck zog sie die Eiswand wie eine Schiebetür zur Seite. Erstaunen machte sich in der Gruppe breit, welches aber schnell zu absoluter Aufmerksamkeit umschwang. Eine Tür war nach all den Gängen neu und ein Raum dahinter bedeutete meistens nichts Gutes. „Warte!“, hielt Akira seine Klassenkameradin zurück, welche soeben geradewegs hineinstolzieren wollte. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie nicht verstand warum. Deswegen erklärte Rin ihr den Grund: „Der Dungeon ist wie ein Videospiel. Gänge in denen schwache Monster lauern und Räume oder andere Veränderungen, hinter denen sich Fallen verstecken. Wir haben keinen Reset-Knopf, deswegen müssen wir vorsichtig sein, wenn wir hier lebend wieder rauswollen.“ Verängstigt blickte die Ahnungslose drein und wich einige Schritte zurück. Zu Beginn kam es ihr hier zwar unheimlich vor, aber mit der Zeit hatte sie auch ein wenig Gefallen an dieser abstrakten Welt gefunden. Jetzt wo sie wieder daran erinnert wurde, dass hier ihr Grab sein könnte, begann sie erneut vor Angst zu zittern. „Du hast vielleicht recht, aber einen anderen Weg gibt es sowieso nicht“, blieb Skye auf dem Boden der Tatsachen. „Aber trotzdem muss man nicht blauäugig und unvorbereitet da reinrennen“, stand der Rothaarige hinter der Stipendiatin. Kampfbereit schritt schließlich Akira als erstes in den Raum. Direkt gefolgt von der Blauhaarigen. Die anderen beiden hingegen warteten auf ein Zeichnen, welches ihnen signalisierte, dass keine Gefahr drohte. Wie sich herausstellte ging keinerlei Falle los. Es war ein harmloses Zimmer, ebenfalls vollkommen aus Eis. Das einzig eigenartige daran war, dass der Ort ein Klassenzimmer darstellte, obwohl sie doch eigentlich eher in einer Art Kerker waren. „Das sieht aus wie unser Klassenraum in der Suzuki Oberschule“, erkannte die Stipendiatin den Ort. „Ich finde das ehrlichgesagt ziemlich eigenartig“, blickte der junge Mann kritisch drein, „Der Dungeon war bisher eher altertümlich aufgebaut und wie ein Verlies dargestellt. Und jetzt dieser neumodische Raum, der keinerlei Gemeinsamkeit aufweist.“ Nun schritt auch Zurückgebliebene hinein: „Dieser Irrgarten hier ist doch so etwas wie Ruris Unterbewusstsein, oder? Was, wenn das Gefängnis nur symbolisch gemeint ist?“ „Das macht Sinn“, war Rin die einzige, welche ihre beste Freundin verstand, „Ich fühl mich in der Schule auch wie eingesperrt!“ „Klingt bisschen weithergeholt“, betrat nun auch der Jüngste den Raum. Doch kaum war er vollständig eingetreten, fuhr plötzlich mit einem lauten Rumms die Schiebetür wie von Geisterhand zu und passte sich optisch der Wand an. Es sah aus, als wäre dort nie ein Durchgang gewesen. Panisch sahen sich die Vier um, tasteten den Eingang ab und suchten einen anderen Ausgang. Vergeblich. Stattdessen beobachteten sie, wie sich plötzlich Worte auf der Schultafel bildeten: Examen Fach: Japanisch Beantworte folgende Frage Wie viele Kanji gibt es? A. etwa 10.000 B. ca. 3.000 C. 1945 D. mehr als 50.000 „Wie gruselig ist das denn?“, versteckte sich Amika hinter ihrem Mitschüler. Auch ihrer besten Freundin lief es eiskalt den Rücken hinunter: „Eine Prüfung? Wir sind verloren!“ „Wir werden sie wohl lösen müssen, um weiterzukommen“, fixierte sich der junge Mann auf die Tafel. „Ja“, stimmte Rin zu, „Aber weißt du die Antwort?“ „Hm…“, grübelte der Rotschopf, „In der Schule lernen wir etwa 2000, was noch lange nicht alle sind. Also ist 3000 wohl auch zu wenig.“ „Also entweder A oder D?“, legte die Blauhaarige den Kopf schief. „D klingt aber so extrem viel im Vergleich zu dem was wir in der Schule lernen“, konzentrierte sich nun auch die Brünette auf die Lösung. „Dann wird es wohl A sein“, schritt die Stipendiatin auf die Tafel zu. Planlos stand sie davor und wusste nicht so recht wie sie die Antwort geben sollte. Mit Kreide kam sie hier nicht weit. Zumal keine vorhanden war. Die Schrift selbst war immerhin eingeritzt. Prüfend tippte sie mit ihrem Zeigefinger auf die Antwortmöglichkeit A, um zu sehen, ob sich dadurch etwas tat. Tatsächlich leuchteten die Worte in diesem Augenblick weiß auf. Plötzlich wurde der Raum jedoch in rotes blinkendes Licht getaucht und ein ohrenbetäubender Alarm ging los. „Das war wohl falsch!“, rief Skye, welcher sich die Ohren zuhielt. „Wäre mir gar nicht aufgefallen!“, konnte es sich die Blauhaarige nicht verkneifen. Allerdings hörte es sowieso keiner, da sich alle die Hände an die Ohren drückten. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein Shadow mitten im Raum auf und griff mit einem gewaltigen Hagelsturm an. Mit dem Ende des Sturms verstummte auch so langsam das laute Geräusch und das warnende rote Blinken. Trotz allem war der Raum nun recht abgedunkelt und nicht mehr so hell erleuchtet wie zuvor. „Das ist Leanan Sidhe vom Typ Eis!“, trug Skye wieder die Informationen zusammen, welche ihm sein Horo offenbarte, „Aber passt auf! Ihr Level ist doppelt so hoch wie das der anderen Shadows!“ An sich sah das Wesen kaum bedrohlicher aus wie die Gegner, welche die Gruppe zuvor bekämpft hatte. Dieser Shadow hatte eine weibliche Gestalt mit einem violetten bodenlangen Kleid und noch sehr viel längeren blonden Haaren. „Ahaha“, lachte sie hämisch und man vernahm ihre verzerrte Stimme, „Ihr seid ja so dumm. So eine einfache Antwort nicht zu wissen ist wirklich lachhaft.“ Noch bevor auch nur irgendwer dem etwas entgegensetzen konnte, startete sie plötzlich erneut einen eisigen Angriff. Dieser richtete sich einzig und allein gegen Rin, welche wie angewurzelt ihrem Tod ins Auge blickte. „Rin!“, brüllte der Rothaarige panisch und rannte in ihre Richtung. Im Stolpern schaffte er es gerade noch so das Mädchen vor der Attacke wegzuzerren. Allerdings erwischte es ihn dafür am linken Bein, welches zur Hälfte zugefroren wurde. „Oh nein! Yoshida-kun!“, machte sich die Blauhaarige Sorgen um ihren Retter, „Das ist meine Schuld!“ Während die beiden miteinander beschäftigt waren, nutzte Amika die Zeit für einen Gegenangriff. Schnell beschwor sie Taiga, welcher sie Feuerangriffe befahl, um ihren Gegner in Schach zu halten. Dieses Mal war es nicht mit einer Attacke getan. Zwar steckte Leanan Sidhe das Feuer nur schlecht weg, hielt aber dennoch einiges aus. Zur Unterstützung jagte die Oberschülerin noch einige Feuerpfeile mit Hilfe ihres Bogens hinterher, um keine Lücke für Gegenangriffe zu gewähren. Plötzlich ertönte Rins Stimme laut: „Single Kick!“ Sie hielt zwar noch ihren Freund im Arm, hatte aber dennoch ihre Persona beschworen, um die Brünette zu unterstützen. Durch einen letzten gemeinsamen Angriff schafften es die Mädchen schließlich den Gegner zu bezwingen. Doch Aufatmen konnten sie noch lange nicht, denn Akiras Gesundheit ging vor. „Schnell Ami!“, rief die Blauhaarige, „Du musst das Eis auftauen!“ „Bin schon da!“, rannen der Oberschülerin die Schweißperlen von der Stirn. Bisher hatte sie ihre Kräfte noch nie in der Nähe eines Menschen angewendet. Das Bein ihres Klassenkameraden wiederaufzutauen, war somit eine heikle Angelegenheit. Sie durfte nicht zu viel Hitze erzeugen, aber auch nicht zu wenig. Vorsichtig hielt sie ihre Hände über den großen Eisklotz und versuchte ihr Bestmöglichstes. Es dauerte einige Minuten, aber Amika gelang es schlussendlich die Vereisung problemlos zu beseitigen. „Tut mir wirklich leid, dass ich schon wieder so ein Klotz am Bein bin“, schnaubte der junge Mann schwer. Die Stipendiatin schüttelte nur den Kopf: „Blödsinn. Ohne dich, wäre ich nur noch ein gesamter Eisblock. Nur weil du noch keine Persona hast, heißt das noch lange nicht, dass du eine Last bist.“ Um nicht noch mehr negative Gedanken zu verbreiten, schwieg Akira daraufhin einfach. Außerdem wollte er sich nicht in den Mittelpunkt drängen, wo er sich doch so mickrig fühlte. „Seht mal, da hinten hat sich ein Ausgang geöffnet“, deutete der Jüngste auf die hinterste Ecke im Klassenraum. Erleichtert drüber die Falle überstanden zu haben, machte sich die kleine Gruppe bereit weiterzugehen. Dazu wendete Rin vorsichtshalber Dia auf ihren Freund, sowie ihre beste Freundin an, um deren Kraft ein wenig zu regenerieren. Den pochenden Schmerz den der Rotschopf noch bis eben in seinem Bein verspürte war damit wie weggeblasen. Kaum waren die Vier durch die Tür getreten, standen sie schon wieder im nächsten Raum. Erneut wurde die Eingangstür verrammelt und die Schultafel, welche dieses Mal zum Musikraum gehörte, stellte erneut eine Aufgabe: Examen Fach: Musik Beantworte folgende Frage Zu welcher Serie gehört der Song „Spring of Birth“? A. Pokemon B. Persona 3 C. Yu-Gi-Oh! D. Soul Eater „Schon wieder?“, stammelte Akira, „Gehen wir jetzt jedes Fach durch, das es gibt? Und was ist das überhaupt für eine eigenartige Schulaufgabe?“ „Eigentlich müssen wir doch nur richtig liegen, oder?“, überlegte der Grundschüler. Siegessicher grinsend gab auch die Brünette ihren Kommentar ab: „Ich glaube dieses Mal haben wir bessere Chancen, oder Rinacchi?“ „Eh… Ich weiß nicht“, stammelte Angesprochene, „Ich habe zwar so ein bisschen Ahnung, aber mit Titeln kann ich nichts anfangen. Den Song zu hören würde mehr bringen.“ Obwohl sich Amika zuerst so sicher war, dass ihre Freundin die Antwort wissen würde, sank ihre positive Einstellung wieder in den Keller. „Also, wenn ich es mit dem Ausschlussverfahren lösen müsste, würde ich auf Antwort B tippen“, grübelte die Blauhaarige angestrengt nach, „Ich kenne B nicht und kann anhand des Titels keine Parallelen zu den anderen Serien, welche ich kenne, ziehen.“ Da keiner der anderen Anwesenden eine bessere Antwort parat hatte, beschlossen sie einstimmig auf die Intuition der Schlüsselhüterin zu vertrauen. Während diese auf die Tafel zuschritt, um die Lösung zu nennen, machten sich die anderen bereit zum Kampf. Es führte ja doch kein Weg daran vorbei und je länger sie in dem Dungeon verbrachten, umso müder wurden sie. Vorsichtig tippte die Oberschülerin auf ihren vermuteten Lösungsbuchstaben, als dieser wie zuvor aufleuchtete. Bereit für alles drehte sie sich schnell wieder zur Raummitte, um dem Geschehen folgen zu können. Die laute Alarmanlage blieb dieses Mal jedoch aus und auch das rote aggressive Licht meldete sich ebenfalls nicht. Stattdessen leuchtete es dreimal grün auf, ehe sich eine Schatztruhe aus Eis mitten im Raum manifestierte. Auch ein Ausgang öffnete sich wie von Geisterhand. „Kein Shadow?“, fragte Amika verwirrt und schaute sich um. „Die Antwort war wohl richtig“, zuckte der junge Mann mit den Achseln, „Trotzdem weiß ich nicht was ich von dieser Belohnung hier halten soll.“ „Ich glaube nicht, dass da was drin ist was uns schadet“, begutachtete Rin das sperrige Ding genauer. Trotz allem gegenargumentierte der Rothaarige dies: „Es ist trotzdem nicht normal, dass man eine Belohnung bekommt, wenn man die Prüfungen gut abgeschlossen hat.“ „Das mag zwar sein“, setzte die Blauhaarige an, „Aber welche normale Prüfung stellt so eine nutzlose Frage, wie die letzte? Abgesehen davon müssen wir das Ganze hier eher aus der Sicht eines Gamers sehen. Und in Spielen gibt’s doch immer eine Belohnung, oder?“ „Hm… Auch kein dummes Argument“, stimmt er ihr zu. Nachdem dieses Gespräch beendet war, ließ es sich die Stipendiatin nicht nehmen die Truhe zu öffnen. Wie zu erwarten war es keine Falle, sondern wirklich ihre hart verdiente Belohnung. Allerdings sah für die Gruppe ein Schatz etwas anders als, als der, der sie soeben erwartete. Irritiert holte die Brünette die Gegenstände aus der Kiste heraus: „Pflaster? Ernsthaft? Ist in solchen Truhen nicht eher sowas wie Gold oder anderer wertvoller Kram?“ Auch die anderen dachten Ähnliches über den Inhalt. Trotzdem konnten sie von Glück reden, dass darin nichts Gefährliches enthalten war. „Vielleicht haben die Pflaster ja irgendwelche Heilfähigkeiten“, überlegte Rin. Ihr Freund nickte: „Wir müssen hier wirklich etwas fantasievoller an die Sache rangehen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass sie eine derartige Wirkung haben könnte. Und Gesundheit ist hier in dieser verqueren Welt definitiv ein Schatz.“ Zustimmendes Nicken war die Antwort der Verbliebenen und sie beschlossen den Weg weiterzugehen. In der Hoffnung endlich aus der Prüfungshölle entkommen zu sein, traten alle aus dem Musikzimmer heraus. Der Ausdruck, welcher sich über die Gesichter der Gruppe legte, war schon gar nicht mehr so überrascht wie zuvor. Wieder standen sie in einem Raum und wurden zu einer Prüfungsfrage gezwungen. „Wir sind wieder zurück im Klassenzimmer“, sah sich die Blauhaarige nach eventuellen Auffälligkeiten um. „Du hast recht“, schaute auch ihre beste Freundin sich um. Allerdings konnte die Truppe keine erwähnenswerte Veränderung gegenüber dem ersten Raum feststellen. Einzig die Prüfungsfrage an der Tafel war eine andere: Examen Fach: Mathe Beantworte folgende Frage Wie viele Geschwister haben alle hier Anwesenden? A. 1 B. 5 C. 0 D. 6 „Oh nein, Mathe!“, stieß die Stipendiatin voller Entsetzen aus und jammerte herum. Auch der Blick der Brünetten war voller Unsicherheit. Einzig Akira schien ein wenig Zuversicht auszustrahlen. Er legte seine Hand auf Rins Schulter und grinste lieb: „Das ist doch nur einfaches Zusammenzählen. Das bekommen wir schon hin.“ „Aber bei diesem Fach muss man immer erstmal um die Ecke denken, bis man auf ein Ergebnis kommt“, verzweifelte die Blauhaarige. „Sie hat gar nicht mal so unrecht“, kam es ernst aus Amika, „Wir wissen nicht wer alles gemeint ist und wir wissen nicht, ob Verstorbene auch dazuzählen.“ Der Rotschopf schluckte. Erst jetzt bemerkte er, dass es wirklich zu Komplikationen kommen könnte. Wer zählte als „hier anwesend“? Geht es um den Raum oder den gesamten Dungeon? Zählt Ruri, die hier irgendwo sein muss, auch dazu? Und wie sieht es mit der verstorbenen Schwester der Brünetten aus? „Du hast recht“, verlor auch der junge Mann ein wenig seinen Optimismus, „Aber lasst es uns wenigstens mal versuchen. Ich habe eine kleine Schwester.“ „Ich habe nur einen großen Bruder“, schloss sich die Blauhaarige der Zählung an. „Ich weiß ja nicht, ob das jetzt zählt, aber ich hatte eine große Schwester gehabt“, erwähnte Amika. Nun sahen alle erwartungsvoll zu dem Jüngsten der Gruppe, welcher ertappt zusammenzuckte und einen Schritt zurückging: „Äh… Ich weiß es nicht.“ „Wie kann man das nicht wissen?“, legte Rin den Kopf schief. „Es gibt zu viele Faktoren, die möglich wären, sodass ich die genaue Antwort nicht kenne“, gab Skye von sich. „Du sollst ja auch keine Antwort auf die Frage geben, sondern nur deine eigene Geschwisteranzahl nennen“, erklärte es der Rothaarige nochmal ruhig. Grübelnd legte der Schwarz-Blauhaarige daraufhin seine Hand ans Kinn und schwieg sein Umfeld einfach an. Gebannt starrten die Wartenden ihn an. Nur Rin überkam mal wieder die Ungeduld: „Was gibt’s da so lange zu überlegen? Mach endlich und sag deine Zahl.“ „Jetzt hetz mich nicht! Ich weiß von keinen Geschwistern, aber ich bin trotzdem der Einzige, der diese Frage richtig beantworten kann“, keifte der Jüngste das Mädchen an, „Also lass mich kurz überlegen.“ Zeternd gab sich die Stipendiatin schließlich geschlagen. Er wusste scheinbar mehr als die Anderen, wollte es aber partout nicht erklären. Trotzdem musste irgendwo ein Fehler liegen. Selbst wenn Skye keine Geschwister hätte, so wären es dennoch nur zwei oder drei. Aber diese Antwortmöglichkeiten gab es leider nicht. „Vertraut ihr mir?“, stellte der Jüngste eine rhetorische Frage, „Antwort B mit fünf ist die richtige.“ Während Amika und der junge Mann noch die Aussage auf sich wirken ließen, fiel die Blauhaarige aus allen Wolken: „Ist das dein Ernst? Dir vertrauen? Du verlangst ständig irgendwelche absurden Dinge ohne einen sinnvollen Grund zu nennen und willst, dass dir Folge geleistet wird. Du bist nur ein intuitiver Grundschüler, dem ich ganz sicher nicht vertraue!“ „Es geht nun mal um das Wohl der Menschheit!“, verteidigte sich Skye, „Und hör auf mit diesem Grundschüler-Gerede.“ „Du hast einfach nur zu viele Videospiele gespielt und denkst jetzt, dass die Welt untergeht, weil gerade ein bisschen was Verrücktes passiert“, verschränkte die Blauhaarige die Arme und schaute beleidigt in eine andere Richtung. Der Kleinere schnaubte einmal laut und versuchte sich wieder zu beruhigen: „Dir geht es doch nur darum, dass ich gegen eure Beziehung bin, oder? Diese Matheprüfung hat damit doch nichts zu tun. Lasst uns endlich die Frage beantworten und weitergehen.“ Sofort riss das Mädchen erschrocken die Augen auf und lief puterrot an. Auch Akira hatte eine leichte Röte im Gesicht, da er diese Wendung nun so gar nicht erwartet hatte. Woher wusste der Jüngere plötzlich über die Beziehung Bescheid? Die Diskussion, dass er dagegen war, führte er ja bereits mit der Blauhaarigen. Aber zu diesem Zeitpunkt war sie sich noch über ihre Antwort unschlüssig und dementsprechend noch nicht mit dem jungen Mann zusammen. „W-Warum bist du dagegen?“, wusste der Rotschopf nicht so recht wie er darauf reagieren sollte. „Es ist einfach falsch“, ließ er den Grund wieder aus, „Lasst uns endlich mit diesem Kindertheater aufhören.“ „Siehst du. Wieder eine Aussage, die nichts erklärt“, gab Rin rechthaberisch von sich, während der Schwarz-Blauhaarige bereits damit beschäftigt war zur Tafel zu eilen und die Frage zu beantworten. Noch bevor irgendwer ihn aufhalten konnte, hatte er bereits seine vermutete Antwort gewählt und alle gingen in Kampfstellung. Gebannt warteten sie auf den ohrenbetäubenden Lärm und das rote Lichterflackern, sodass sich diese wenigen Sekunden wie eine Ewigkeit anfühlten. Plötzlich blinkte das grüne Licht dreimal auf und es erschien eine große Truhe wie beim letzten Mal. Erleichtert atmeten alle auf. „Juhu es war richtig“, machte Amika Freudensprünge, ohne groß drüber nachzudenken. Einzig das Paar war wieder in Gedanken versunken und hatte soeben wenig Interesse am Geschehen. Während Rin über die Lösung der Prüfung nachdachte, machte sich ihr Freund Gedanken um Skyes Ablehnung ihrer Beziehung. War er etwa selbst in die Blauhaarige verliebt und wollte sie nicht teilen? Akira konnte sich einfach keinen Reim darauf bilden. „Was haben wir denn diesmal Schönes?“, öffnete die Brünette voller Neugierde die Schatztruhe. Mit gemischten Gefühlen kramte sie daraufhin einige Bandagen heraus, welche sie wortlos verstaute. Sie wusste noch nicht, ob sie sich über derartiges freuen sollte oder nicht. Für das Mädchen war es einfach kein würdiger Schatz. Jeder in seinen eigenen Gedanken versunken, gingen sie schließlich weiter. Kaum hatte die Gruppe den Raum verlassen, standen sie plötzlich endlich wieder in einem der Kerkergänge, welcher geradewegs auf ein großes zweiflügliges Tor zulief. Es war zwar ebenfalls völlig aus Eis, trotzdem konnte man die Struktur von Holz darauf erkennen. „Das sieht verdächtig aus“, war Akiras Aussage, nachdem sie davor zum Stehen kamen. „Vermutlich ist dahinter der Endgegner“, grübelte die Blauhaarige. Auch Skye gab seine Meinung preis: „Verglichen mit dem andere Dungeon, wäre das zu kurz, um schon am Ziel zu sein. Ich gehe davon aus, dass hinter dieser Tür ein Zwischenboss auf uns wartet.“ „Dann auf ins Gefecht“, ballte Rin ihre Fäuste und setzte sich in Bewegung, nur um im nächsten Moment von ihrem Freund gestoppt zu werden. „Wir können da nicht blindlinks ohne Vorbereitung reinlaufen“, erklärte der junge Mann. „Und was wollen wir noch vorbereiten?“, verstand Aufgehaltene nicht ganz. „Wie wäre es mit einer Kampfstrategie?“, meinte der Rothaarige, „Oder einer Pause? Schau uns doch mal an. Wir sind alle fix und fertig.“ Rin wollte es sich zwar nicht eingestehen, aber er hatte nicht ganz unrecht. Sie selbst eingeschlossen, waren wirklich alle so langsam am Limit. Aber den ganzen Weg zurückzugehen, wäre auch nicht weniger anstrengend. Zumal der Rückweg eigentlich blockiert war, da die Türen der Prüfungsorte zu undurchdringlichen Wänden geworden waren. „Wir können von hieraus per Schnellreise wieder zurück zum Eingang“, stellte der Kleinste plötzlich fest. „Sag das doch eher“, jammerte die Blauhaarige. Ihre Verschnaufpause stand somit fest und die Kleingruppe machte hier erstmal Schluss, um sich eine wohlverdiente Mütze Schlaf zu holen. Kapitel 32 - Unerwartete Wendung -------------------------------- Sonntag, 10. Mai 2015   Kaum waren die Vier wieder aus dem Dungeon zurück und in ihrer Welt, verschloss Rin zügig den Durchgang. Noch während sie den Schlüssel drehte, bemerkte sie, dass sich ihr Körper schon wieder verändert hatte. Was nun? Großartig die Flucht zu ergreifen war ihr in ihrem Wohnheimzimmer nicht möglich. Eher musste sie ihre Freunde so schnell es ging loswerden, ohne dass sie aufflog. Aber wie? Plötzlich kam dem Mädchen ein Geistesblitz und sie hielt augenblicklich ihren Atem an. Dadurch trat ihre neuste Kraft, die Unsichtbarkeit, in Erscheinung. Diese nutzte sie, um sich so schnell wie nur irgend möglich im Badezimmer zu verschanzen. „Was ist denn jetzt los?“, hörte Akira nur das Knallen der Tür. „Ich glaube Rinacchi ist eben ins Bad gestürmt“, erörterte die Brünette die Situation. „Entschuldigt, aber ich musste echt dringend auf die Toilette“, ertönte die gedämpfte Stimme der Stipendiatin, „Das kann etwas dauern. Geht ruhig einfach nach Hause.“ „Es ist ja auch morgen wieder Schule und wir sollten ausgeschlafen sein, also passt das“, verstand Skye die Situation sofort und versuchte die beiden Oberschüler heraus zu scheuchen. Während Akira ziemlich irritiert mit dem Jüngsten das Zimmer verließ, blieb Amika standhaft im Raum zurück. Zwar hatte der Grundschüler versucht das Mädchen ebenfalls loszuwerden, allerdings ließ sie es sich nicht nehmen als beste Freundin noch etwas zu bleiben. Sie hatte angeblich noch etwas mit Geflüchteter zu besprechen. „Komm endlich raus da“, stand die Brünette fordernd vor verschlossener Badezimmertür, „Ich habe längst gemerkt, dass du irgendwas hast.“ „Ich habe nichts. Es ist wirklich alles okay“, versuchte Rin sich herauszureden, „Ich musste mich nur ziemlich dringend erleichtern.“ „Okay? Na, dann kannst du ja jetzt wieder rauskommen, wenn du fertig bist“, blieb sie hartnäckig. „Das dauert noch ein wenig“, stammelte Bedrängt. Amika winkte nur ab: „Nicht schlimm. Ich warte so lange.“ Innerlich fluchend und voller Panik stand die Blauhaarige wie angewurzelt im Bad. Was sollte sie nun tun? Eigentlich wollte sie nicht, dass zu viele Leute herausbekamen was hin und wieder mit ihr geschah. Es war ihr einfach überaus peinlich und sie konnte es selbst nur schwer ertragen. Allerdings war die Brünette ihre beste Freundin und es gab keinen sinnvollen Grund ihr dieses Phänomen zu verschweigen. „O-Okay ich komme raus“, druckste Rin unsicher herum, „Aber bitte erschreck dich nicht.“ Etwas irritiert über diese Aussage, bejahte Wartende nur, woraufhin sich die Tür öffnete. Als die Blauhaarige heraustrat, zog ihre beste Freundin plötzlich vor Schreck scharf die Luft nach innen und weitete ihre Augen: „Was ist denn mit dir passiert?!“ Ungläubig musterte sie das zum Jungen gewordene Mädchen. Dazu ging sie um diese herum, inspizierte das dunkelblaue kurze Haar, blickte tief in ihre stechend gelben Augen, betatschte prüfend die flache Brust und fragte schließlich: „Hm… Hat sich da unten eigentlich auch was verändert?“ Das Interesse der Brünetten war viel zu groß, als dass es ihr auch nur ansatzweise peinlich war. Sie schien es regelrecht aufregend zu finden, dass sich der Körper ihrer Freundin so verändert hatte. Rin verspürte im Gegensatz allerdings jede Menge Scham und ihr Gesicht war bereits zu einer purpurroten Färbung übergegangen: „I-Ich… A-Also…“ „Deiner Reaktion nach zu urteilen bis du also wirklich vollständig zu einem Jungen mutiert“, legte Amika ihren Kopf schief und versuchte die Antwort im Gesicht der Blauhaarigen zu lesen, „Ist das etwa schon öfter passiert? Du verwandelst dich doch irgendwann wieder zurück oder?“ Da die Stipendiatin einsah, dass Reden gerade nicht funktionierte, nickte sie nur und sah peinlich berührt zur Seite. „Woah wie cool ist das denn?“, funkelten die Augen der Brünetten förmlich, „Und? Wie fühlt sich das an? Erzähl mir alles! Es gibt bestimmt nirgends weit und breit jemanden, der einen so direkten Vergleich der Geschlechter ziehen kann.“ Da die Brünette die Erste war, welche ein solch positives Interesse an der Verwandlung zum Jungen zeigte, war Rin sichtlich verunsichert. Sie wusste, dass ihre Freundin in mancher Hinsicht etwas anders dachte als sie selbst, aber damit hatte sie nun nicht gerechnet. Deswegen wusste die Blauhaarige nicht wirklich mit der aktuellen Neugierde ihres Gegenübers umzugehen. Sie selbst hatte bisher immer eine sehr negative Einstellung zwecks dieses Körpers und wollte ihn deshalb eigentlich gar nicht weiter erforschen, geschweige denn vergleichen. Klar war sie auch neugierig, aber das wollte sie sich wegen der generellen Ablehnung einfach nicht eingestehen. Und natürlich war es auch ihr Schamgefühl, welches sie zudem enorm hemmte. „Ähm… I-Ich weiß nicht…“, wollte Rin dieses Thema überhaupt nicht erst anschneiden, „Ich finde das Ganze eher fürchterlich und würde lieber gerne wissen wie ich das stoppen kann.“ „Verstehe ich nicht. Das ist doch eine coole Fähigkeit“, blieb die Brünette optimistisch. „So cool ist das nicht. Es passiert unkontrolliert, wie du vielleicht bemerkt hast. Außerdem kenne ich die Ursache nicht“, erklärte die Blauhaarige besorgt, „Das kann genauso gerne verschwinden wie meine Elementarkraft.“ Ihre Freundin überlegte: „Okay, das klingt wirklich eher unpraktisch. Zumal das eine gefährliche Sache ist, da du es nicht kontrollieren kannst. Wenn du vor den falschen Menschen switchst, könnte das wirklich zu einem großen Problem werden. Und es mit der Unsichtbarkeit zu verbergen macht die Sache ja auch nicht unbedingt besser.“ Trotz all der negativen Aspekte, welche Amika dargelegt wurden, war sie trotzdem sehr von diesem Phänomen angetan. So redete sie noch eine Weile mit ihrer besten Freundin, um weitere Details zu erfahren. Dieses Mal ging es ihr weniger um die Peinlichkeiten, die das Ganze mit sich brachte, sondern eher um das Drumherum: Wer bereits eingeweiht war, wo diese Kraft hergekommen war und wann sie in der Regel zum Vorschein kam. Da das meiste allerdings nur in offenen Fragen endete, beließen es die beiden Oberschülerinnen nach einer Weile erstmal dabei und verabschiedeten sich. Es war sowieso schon etwas später am Abend geworden und sie mussten sich noch ein wenig auf die Prüfungen vorbereiten, welche sie ab morgen erwarteten.   Während die Mädchen im Wohnheimzimmer miteinander plauderten, hatte auch Akira etwas mit Skye zu besprechen. Kaum hatten die beiden das Gebäude verlassen, fiel er auch schon mit der Tür ins Haus: „Sag mal Skye, warum hast du wirklich etwas gegen die Beziehung zwischen Rin und mir? Da muss doch ein Grund sein.“ Wenig überrascht, lief der Jüngere schweigsam neben ihm her. „Willst du mich wirklich einfach ignorieren und das so stehenlassen?“, schnaubte der Rothaarige und blickte gen Himmel, „Weißt du, ich kann dir noch nicht mal sagen, ob wir überhaupt eine richtige Beziehung führen.“ „Wie meinst du das?“, schaute der Grundschüler verwirrt zum Älteren auf. Dieser erwiderte den Augenkontakt und lächelte ein wenig gequält: „Ich weiß nicht, ob du das wusstest, aber Rin war einer Antwort zu meiner Liebeserklärung ziemlich lange ausgewichen. Irgendwann kam sie dann zu mir und hat mich um eine Beziehung auf Probe gebeten. Es ist nur ein Versuch. Wir sind gar nicht wirklich zusammen. Das hast du bestimmt selbst schon bemerkt, oder? Ihr Verhalten mir gegenüber hat sich bisher nicht im Geringsten verändert.“ „Na ja, im Dungeon war da keine Spur von einer Liebesbeziehung zu sehen. Allerdings ist das auch nicht unbedingt ein geeigneter Ort für ein Date“, erntete der Oberschüler nur einen kritischen Blick, „Außerdem seid ihr noch gar nicht lange zusammen und noch jung. Da dauert das mit der Annäherung eben etwas länger. Deswegen gilt es für mich jetzt am meisten euch wieder auseinander zu bekommen.“ „Auf der einen Seite klingst du wie ein Opa und auf der anderen wieder wie ein bockiges Kind. Ich verstehe nicht was dich dazu veranlasst dich gegen uns zu stellen. Niemand versteht das. Und solange du keinen vernünftigen Grund vorzuweisen hast, wirst du dir keine Freunde damit machen“, erklärte der Rotschopf noch immer ruhig. Ihm fehlte die Kraft sich darüber großartig aufzuregen. Rin tat das schon genug für beide zusammen. Trotzdem bedeutete das nicht, dass er einfach so aufgeben würde. Nicht jetzt, da er ihr so nah wie nie zuvor war und die Chance hatte sie vollends herumzubekommen. Er war sich darüber bewusst, dass sie ihm noch nicht vollständig verfallen war, würde aber so kurz vorm Ziel sicher nicht wieder einen Rückzieher machen. „Es gibt einen Grund. Einen ziemlich guten sogar“, senkte Skye den Kopf, „Aber ich darf nicht darüber sprechen.“ „Du darfst es nicht? Wer verbietet es dir?“, verstand der Älter die Aussage nicht, „Oder willst du damit sagen, dass du eifersüchtig bist, weil du selbst in sie verliebt bist und sie nicht hergeben willst? Aber als Grundschüler hast du da echt schlechte Karten.“ „Blödsinn! Ich gebe dir Brief und Siegel, dass ich mich niemals in sie verlieben werde“, kam es ziemlich empört aus dem Jungen. „Ach so!“, kam Akira ein Geistesblitz, „Jemand den du kennst ist unsterblich in sie verliebt und du willst jetzt den Vermittler spielen!“ „Wenn es ja so einfach wäre… Aber dieser Trottel kapiert gar nicht, dass er sie liebt“, plapperte der Schwarz-Blauhaarige seine Sorgen aus, als er im selben Moment plötzlich zusammenzuckte vor Schreck. So viel wollte er doch gar nicht preisgeben. Warum also ist er einfach darauf eingegangen, obwohl das bedeutete, dass das Gespräch einfach nie enden würde? Siegessicher grinste der junge Mann: „So ist das also. Wer ist dieser dumme Kerl, der Rins Wert nicht erkennt? Und warum willst du ausgerechnet ihn so krampfhaft mit ihr zusammenbringen?“ „Ich werde jetzt nichts mehr dazu sagen! Du weißt schon mehr als mir lieb ist“, meckerte Skye. „Sag mir wenigstens wer dieser Typ ist. Kenne ich ihn? Ich muss wissen, gegen wen ich ankämpfe“, ballte der Rotschopf voller Energie und Optimismus seine Fäuste zum Kampf. „Nein!“, kam eine ziemlich genervte Antwort. „Ist ja gut“, spielte der Ältere den Beleidigten, „Aber wenn du wirklich der Meinung bist, dass sie zusammengehören, dann finden sie zusammen. Egal ob du nachhilfst oder nicht.“ „Das heißt du kapitulierst jetzt doch?“, staunte der Grundschüler überrascht. „Bestimmt nicht. Das heißt nur, dass du aufhören sollst dir alle zum Feind zu machen. Diese Beziehung hat rein gar nichts mit dir zu tun. Lass einfach die Finger davon, geh dich mit Rin versöhnen und konzentrier dich auf dein Weltrettungsding oder so.“ „Wenn du das sagst“, wollte der Grundschüler das letzte Wort haben und schnaubte schwer.     Montag, 11. Mai 2015   Erschöpft vom ersten Prüfungstag kam Rin am Nachmittag im Wohnheim an. Sie fühlte sich wirklich mies, weil die Aufgaben ihr schwere Probleme verursacht hatten. Zwar hatte sie mit ihren Freunden gelernt und sich einiges Wissenswertes einprügeln können, andererseits war sie ziemlich abgelenkt durch die aktuellen Geschehnisse. Am gestrigen Abend versuchte sie vorm Schlafengehen auch nochmal in die Bücher zu schauen. Blöderweise war sie da zu müde, um sich zu konzentrieren. Und als sie sich dann ins Bett legte, konnte sie trotz Müdigkeit nicht schlafen. Sie hatte große Sorge die Prüfungen zu vermasseln oder erst gar nicht hingehen zu könne, da sie ja mal wieder zum Jungen geworden war. Gott sei Dank war sie am heutigen Morgen wieder normal. Allerdings war die Stipendiatin als Kettenreaktion dessen, immer noch hundemüde und wollte nur noch in ihr Bett. Deswegen lief sie zügig zu ihrem Zimmer hinauf. Gerade als sie ihre Schlüsselkarte durch den Schlitz ziehen wollte, um die Tür zu öffnen, ertönte eine abgehetzt männliche Stimme: „Warte, Ruri! Warum antwortest du nicht mehr?! Ich habe mir Sorg-…“ „Nerv mich nicht!“, drehte sich Rin wütend um und keifte den unbekannten jungen Mann an, „Wann lernt ihr das endlich?! Ich bin nicht Ruri!“ Das letzte worauf die Oberschülerin gerade Lust hatte, war ein erneutes klärendes Gespräch darüber, dass sie weder die Schülersprecherin war, noch mit ihr verwandt war. Zumal es sowieso aktuell die Runde gemacht hatte, dass eben diese im Koma lag und Rin von so manch einem die Schuld zugewiesen bekommen hatte. Für heute hatte sie also definitiv genug Kontakt zu Menschen gehabt. Außerdem hatte sie gerade bedingt durch ihre Müdigkeit und schlechte Laune eine sehr kurze Zündschnur. „Wow, chill doch mal“, erhob der Unbekannte überrascht beide Hände, als wolle er sich ergeben. Die Oberschülerin hingegen machte diese Reaktion eher noch rasender, weswegen sie tief einatmete, die Schlüsselkarte durch den vorgesehenen Schlitz zog und ihre Zimmertür mit einem Piepen entriegelte. Den Typen ignorierend ging sie zügig hinein, konnte jedoch die Tür nicht wieder verschließen, da der junge Mann diese mit seinem Fuß stoppte. „Hey, was soll das?!“, schnauzte das Mädchen ihn an. „Das könnte ich dich genauso fragen, du blöde Schnepfe!“, stand er nun unmittelbar vor ihr auf der Türschwelle und sah sie böse an. Erst jetzt nahm die Oberschülerin ihn so richtig zur Kenntnis. Er schien etwas älter zu sein, als sie. Vielleicht ein Student oder dergleichen. Sein Haar war dunkelblau und ragte bis zum Kinn. Die eine Seite seines Ponys hatte er zurückgesteckt, während die andere Seite relativ weit in sein Gesicht hing. Auf der freien Seite seiner Stirn war er mit zwei kleinen schwarzen Sternchen tätowiert, welche ihm zusammen mit seinem frechen Gesichtsausdruck ein rebellisches Äußeres bescherten. Angezogen war er aber relativ modisch, wie Rin fand. Er trug eine schwarze Weste, welche mit weißen Akzenten aufgepeppt war. Passend zu seinen gelbbraunen Augen, trug er ein gelbes ärmelloses Shirt und dazu eine dunkelblaue zerrissene Jeans, wie sie zurzeit im Trend lag. Außerdem hatte er sich zwei Gürtel lässig um die Hüfte gehängt, wovon einer, genau wie sein Armband, mit Nieten besetzt war. Seine Füße steckten in schwarz-weißen Chucks, welche mit roten Schnürsenkeln gepimpt waren. „Was soll das denn bitte heißen?“, gab die Stipendiatin erneut kontra, „Wer hat mich denn hier überfallen und steht nun mit halbem Bein in meinem Zimmer?“ „Überfallen? Dass ich nicht lache! Ich kann dich mal überfallen, dann weißte was das heißt! Und du bist doch diejenige die hier rumzickt und einen auf billiges Ruri-Double macht! Wer bist du überhaupt?“, verschränkte der Blauhaarige die Arme und sah das Mädchen fordernd an. „Kannst du vielleicht mal aufhören mich zu beleidigen?! Ich bin niemandes Double und ich kann auch nichts dafür, dass wir uns scheinbar ähneln! Und warum sollte ich mich vorstellen, wenn du es auch nicht tust?! Verschwinde endlich!“, ließ Rin ihrer Wut freien Lauf. Daraufhin wendete sie sich einfach von ihm ab und ging weiter ins Innere des Raums, in der Hoffnung der Unbekannte würde nun wirklich verschwinden. Ihn mit Gewalt loszuwerden versuchte sie erst gar nicht, denn sie wusste selbst, dass das vermutlich nicht klappte. Der Kerl hatte wirklich einen der ungünstigsten Zeitpunkte gewählt, um mit ihr zu kommunizieren. Ein Klacken signalisierte schließlich, dass die Tür ins Schloss gefallen war. Erleichtert atmete die Blauhaarige daraufhin leise auf, bevor der junge Mann plötzlich doch wieder vor ihr stand. Erschrocken zuckte sie zusammen und war erneut angespannt. Was sollte sie jetzt machen? Sie war alleine und saß mehr oder weniger in der Falle. Sollte sie sich vielleicht unsichtbar machen und vor ihm die Flucht ergreifen, um in der Empfangshalle nach Hilfe zu suchen? Aber wenn sie jetzt ihre Kraft einsetzte verriet sie sich. Oder wie wäre es, wenn sie ins Badezimmer fliehen würde, um bedingt durch ihre Panik einen zufälligen Wasserangriff hervorzurufen? Wobei sie sich damit durch ihre Angst nur selbst ausknocken würde. Und es wäre auch nicht besser als die Unsichtbarkeit, weil sie damit ebenfalls verriet was sie geheim halten sollte. Diese ganzen Kräfte waren echt nutzlos. Noch einige weitere Szenarien ratterten in diesen wenigen Sekunden durch Rins Kopf, doch keines führte sie zu einer hilfreichen Lösung. Der junge Mann schnaubte schließlich: „Nochmal auf Anfang. Ich bin Kyo Yashiru.“ Er war scheinbar erwachsen genug, um zu verstehen, dass dieses Gezanke ihn nicht weiterbrachte. Man merkte ihm aber an, dass es ihm nicht passte sich mehr oder minder erstmal geschlagen zu geben. Genervt fläzte er sich daraufhin in die kleine Sitzecke und ließ das Mädchen verdutzt dastehen. „Willst du mir jetzt sagen wer du bist?“, stützte er gelangweilt seinen Kopf mit dem Arm ab und wartete auf eine Antwort. Durch seine kühle Reaktion verließ auch Rin endlich die Streitsucht und sie stellte sich vor, während sie ebenfalls platznahm. Außerdem klärte sie ihn über ihre Beziehung zur Schulsprecherin auf und erwähnte, dass es einfach ein Zufall war, dass beide gewisse Ähnlichkeiten aufwiesen. Zuletzt erzählte sie noch grob, dass ihre Klassenkameradin aktuell im Krankenhaus war, da Kyo sie zu suchen schien. „Wie Krankenhaus?“, sprang er panisch auf, „Was hat sie? Ist alles in Ordnung?!“ „Beruhige dich. Panik zu schieben bringt nichts“, versuchte sie den jungen Mann erstmal wieder runterzubringen. Dann machte sie eine kurze Verschnaufpause und erzählte grob die Story: „Vor einer knappen Woche ist sie einfach so zusammengebrochen und seitdem liegt sie im Krankenhaus. Ihr Vater hat bereits alle möglichen Testergebnisse vorliegen. Ruri geht es gut.“ „Na Gott sei Dank“, fiel dem Blauhaarigen offenbar ein Stein vom Herzen, „Aber dann ist sie ja gar nicht hier in der Stadt, oder? Warum hat sie sich denn dann nicht einfach gemeldet? Ich mache mir doch so oder so Gedanken.“ „Das mit dem Melden ist halt bisschen schwer, wenn man im Koma liegt“, grinste das Mädchen nur schief. „Wie Koma?! Du hast doch gesagt ihr geht’s gut!“, fiel Kyo aus allen Wolken. Die Oberschülerin legte irritier den Kopf schief: „Aber ich habe doch gesagt, dass sie zusammengebrochen war.“ „Ja, aber das heißt noch lange nicht, dass sie nicht mehr ansprechbar ist!“, schob er schon wieder Panik. „Trotzdem kannst du cool bleiben. Ihr geht’s gut und sie wird auch bald wieder aufwachen“, versuchte die Blauhaarige die Ruhe zu bewahren, „Sie gönnt sich einfach mal eine Verschnaufpause von dem ganzen Stress in letzter Zeit.“ „Du klingst als wäre sie dir ziemlich egal“, fing der junge Mann sich langsam wieder. „Nein ganz und gar nicht“, schüttelte die Stipendiatin den Kopf, „Sie ist zu einer wichtigen Freundin geworden und ich glaube ganz fest an sie. Außerdem würde sie nicht wollen, dass wir uns so viele Gedanken machen.“ Ihre gespielten ruhigen Worte, brachten auch ihren Gegenüber wieder zur Ruhe. Zwar war sie alles andere als sorglos, aber ihre wahren Gründe konnte sie ihm unmöglich offenbaren. „Sag mal, was genau hast du eigentlich mit Ruri zu schaffen? Bist du ihr Freund oder so?“, war Rins Neugierde mal wieder geweckt. „Na ja, das ist eine lange Geschichte“, kratzte Kyo sich verlegen am Hinterkopf und wendete den Blick ab, „Wir kennen uns einfach schon seit Kindertagen und haben einiges gemeinsam durchgestanden. Das verbindet wohl irgendwie.“ Verstehend nickte die Oberschülerin und fand ihn schlussendlich doch sympathischer als anfangs gedacht. Irgendwie tat es ihr fast schon leid, dass sie ihn zu Beginn so unfreundlich angegangen war. Immerhin konnte er ja auch nichts für ihre blöde Laune. Aber da das Thema nun in Vergessenheit geraten war, wollte sie es auch nicht mehr ausgraben, um sich zu entschuldigen. „Na dann mache ich mich mal wieder auf den Weg nach Hause und werde mal nach ihr sehen“, erhob sich der Blauhaarige aus der Sitzecke. Auch seine Gesprächspartnerin stand auf. Sie wollte ihn zumindest bis zum Ausgang des Wohnheims begleiten und ihn ordentlich verabschieden. Als kleine Entschädigung für die missratene Begrüßung. Als die beiden gemeinsam durch die Eingangshalle liefen, bemerkte Rin, dass einige ihrer weiblichen Mitbewohnerinnen ihren Begleiter angafften. Er kam scheinbar ziemlich gut bei den Mädels an, wie es schien. Da hatte die Oberschülerin bisher so gar nicht drüber nachgedacht, aber eigentlich sah er schon recht attraktiv aus. Allerdings änderte sich ihre Meinung plötzlich schlagartig, als Kyo damit begann aktiv auf die anderen Mädchen einzugehen, indem er ihnen zuzwinkerte oder andere signalisierende Gesten machte. Bis eben hielt sie ihn noch für einen recht normalen Kerl, bei dem sie sich beinahe entschuldigt hätte. Aber dieses Playboy-Dasein änderte einfach alles. Zumal er die ganzen Zicken durch sein freches Grinsen und seine Handlungen dazu brachte sich plötzlich um ihn zu scharen. Irgendwie schaffte er es mit allen direkt anzubandeln, legte seinen Arm und ihre Schultern und schlenderte mit ihnen einfach aus dem Wohnheim heraus. Wie angewurzelt blieb Rin einfach an Ort uns Stelle stehen und sah der Meute zu, wie sie beim Herausstolzieren beschloss, noch in ein Café oder Ähnliches zu gehen. „Ähm…“, konnte es die Blauhaarige nicht fassen, dass sie einfach stehengelassen wurde, „Was ist gerade passiert?“ Der junge Mann hatte nicht mal irgendwelche Anstalten gemacht sich zu verabschieden, geschweige denn zu fragen, ob sie vielleicht mitkommen wollte. War sie für ihn etwa Luft? War sie nicht attraktiv genug? Nicht weiblich genug? Sah er sie überhaupt als Frau? Was auch immer der Grund gewesen sein mag, es kratzte enorm an ihrem Selbstwertgefühl und machte sie erneut wütend. Sie dachte ernsthaft, dass dieser Playboy sich um Ruri sorgte. Immerhin kam er scheinbar extra den weiten Weg von Kagaminomachi her, nur weil sie ihm nicht mehr antwortete. Und dass er vorhin direkt nach Hause wollte, um nach ihr zu sehen, war wohl auch eine Lüge. Schließlich ging er sich jetzt mit einem Haufen Weibern vergnügen. Aber nicht nur, dass die Oberschülerin Kyo nicht verstand, nein, denn diese auf das Äußere fixierten Ziegen waren ihr ebenfalls ein Rätsel. „Das sind ja eigentlich die gleichen Ziegen, die auch Kuro für einen Prinzen halten“, nuschelte sie vor sich hin, „Die leiden wohl alle an einer Geschmacksverirrung.“ Noch immer nicht verstehend, was sich da soeben vor ihren Augen abgespielt hatte, ging Rin wieder zurück auf ihr Zimmer. Eigentlich hätte sie ziemlich gerne herumgewütet, weil sie einfach ignoriert und stehengelassen wurde. Allerdings war sie viel zu verwirrt darüber. „Hoffentlich ist Ruri nicht genauso dumm wie die anderen und findet was an diesem Playboy…“, murmelte das Mädchen, „Die haben doch nicht mehr alle Latten am Zaun.“   Kapitel 33 - Versöhnt... oder doch nicht? ----------------------------------------- Dienstag, 12. Mai 2015 Der zweite Tag des Examens brach heran und dieses Mal war Rin definitiv ausgeschlafener. Außerdem hatte sie sich heute vorgenommen endlich mit Kuro zu sprechen, zwecks des Streites und ihres Jobs. Wurde sie nun gekündigt oder nicht? Flog sie nun von der Schule oder nicht? Am gestrigen Tag machte er absolut keine Anstalten, um ihr irgendetwas zu signalisieren. Eher ignorierte er sie sogar und war maximal in die Prüfungen vertieft. In den Pausen war er dann wieder von Schülerinnen belagert worden, sodass die Blauhaarige überhaupt nicht an ihn herankam. Eigentlich wollte sie auch überhaupt nicht mit ihm sprechen und war in gewisser Weise sogar froh über seine ignorante Art. Allerdings kam sie dadurch auf keinen grünen Zweig und blieb auf Ewig im Ungewissen. Es galt nun also, ihn heute irgendwie in den Pausen abzufangen. Nach unzähligen gescheiterten Versuchen, war bereits die Mittagspause herangebrochen und das Mädchen versuchte erneut ihr Glück. Ihr Bento ignorierend, heftete sie sich an die Fersen des Schwarzhaarigen, welcher von Schülerinnen umgeben aus dem Klassenzimmer lief. Mit großem Abstand folgte sie dem Schülerhaufen, welcher sich erst auflöste, als der junge Mann erwähnte auf die Toilette zu müssen. Da er wirklich dorthin ging, nutzte Rin die Gelegenheit, um sich ebenfalls zu erleichtern. Kaum war sie wieder zurück im Flur, wartete sie ein paar Minuten unauffällig vor den Toiletten, in der Hoffnung den Suzuki-Erben somit abfangen zu können. Leider erschien er einfach nicht mehr, weswegen der Blauhaarigen schnell klar wurde, dass sie ihn verpasst hatte. Aber wo war er hingegangen? Vermutlich in die Cafeteria, wo er wieder von Schülerinnen belagert wurde. Schwer schnaubte das Mädchen, ließ die Schultern hängen und gab es auf an ihn heranzukommen. Stattdessen trottete sie ins Klassenzimmer zurück, um endlich ihr Mittagessen zu essen, welches bereits auf ihrem Schulpult wartete. Dort angekommen wartete aber leider eine böse Überraschung auf die Stipendiatin. Die erwartete Bento-Box befand sich plötzlich nicht mehr auf ihrem Tisch. Sie schien heruntergefallen zu sein und war in Folge dessen aufgegangen und nun lag der Inhalt über dem Fußboden verteilt. „Wer war das?!“, ballte Rin ihre Fäuste und sah sich im Raum um. Einige ihrer Mitschüler sahen zu ihr herüber, die meisten aber ignorierten sie. Eine Antwort jedoch blieb völlig aus. Tief atmete das Mädchen einmal ein und langsam wieder aus, um sich wieder zu beruhigen. Sie wusste immerhin nicht, ob ihr Mittagessen mit Absicht auf dem Boden lag oder nicht. Auch wenn sie sich eigentlich ziemlich sicher war, dass es bestimmt kein Unfall war. Aber da sie den Schuldigen nicht ausmachen konnte und ihr auch keiner helfen wollte, blieb ihr für den Moment nichts anderes übrig, als es dabei zu belassen. Schnell entsorgte sie das zermatschte Mittagessen, ehe sie zum nächsten Automaten ging, um sich dort etwas zu kaufen. „Das ist doch Wucher“, konnte die Blauhaarige nicht fassen wie teuer selbst der Snackautomat war. Diese Worte sprach sie wohl etwas zu laut aus, denn von einigen vorbeilaufenden Schülern wurde sie deshalb aufgezogen: „Wie arm bist du denn, dass du dir nicht mal das leisten kannst?“ „Stipendiaten sind hier doch immer arm wie eine Kirchenmaus“, kicherte ein anderer, „Die haben hier einfach nichts verloren.“ „Ja, echt so. Die will sich doch bestimmt nur einen Reichen suchen, um ein gutes Leben zu haben. Verachtenswert“, wurde gemutmaßt. „Hey! Nur weil ich keine Kohle zugeschmissen bekomme, werde ich mir sicher keinen von euch reichen Idioten suchen!“, kochte es in Rin über, „Hört auf so einen Mist zu verbreiten!“ Zwar hatte sie nun ihre Meinung gesagt, wurde aber wieder ignoriert. Noch eher war es sogar ein verachtendes kurzes Grinsen der Vorbeigehenden, welche ihr kein Wort zu glauben schienen. Kaum waren die Schüler um die nächste Ecke gebogen, wandte sich Rin wieder dem Automaten zu. Mit knurrendem Magen kaufte sie schließlich wortlos das Günstigste, um überhaupt etwas im Magen zu haben. Mit ihrem 1000 Yen (ca. 8 Euro) Melonpan, machte sie sich dann schließlich auf den Weg, um einen ungestörten Ort zum Essen zu finden. Sie konnte im Moment einfach keine Menschenseele mehr ertragen. Da aber überall Schüler waren, entschloss sie kurzerhand einfach, sich nach draußen hinter den nächsten Busch an die Hauswand zu setzen. Dort würde sie niemals jemand finden und sie hatte für den Rest der Pause ihre Ruhe. Zwar waren an dieser Hauswand einige Fenster, aber da sie darunter saß, konnte sie dennoch niemand sehen. Schwer schnaubend öffnete die Blauhaarige ihr Mittagessen und biss genüsslich in das süße, weiche Brötchen. Endlich hatte sie ihre Ruhe und konnte, wenn auch nur kurz, durchschnaufen. Die Prüfungen waren wirklich schwer und strengten Rin enorm an. Dazu noch ihre üblichen Probleme mit den anderen Schülern und ihr Tag konnte eigentlich nicht schlimmer werden. Plötzlich wurde das Fenster über ihr zur Seite geschoben und jemand streckte seinen Kopf heraus. Eine bekannte Stimme erklang daraufhin: „Warum hockst du im Dreck? Für dich muss man sich echt schämen.“ Ertappt zuckte das Mädchen zusammen und schaute nach oben. Natürlich handelte es sich bei dem Meckernden um keinen geringeren als Kuro. Aber warum sprach er sie so plötzlich an, obwohl er sie doch die ganze Zeit ignoriert hatte? Und wie zu Teufel hatte er sie in ihrem Versteck gefunden? „Ach lass mich in Ruhe“, schnaubte die Blauhaarige jammernd auf. Sie wollte zwar mit ihm sprechen, aber auf seine zurechtweisende Art hatte sie in diesem Moment absolut keine Lust. Der Tag konnte mittlerweile wirklich nicht mehr schlimmer werden. „Warum bist du mir dann den ganzen Tag hinterhergerannt?“, stützte er sich mit seinem Ellenbogen auf dem Fensterrahmen ab und legte seinen Kopf auf der Hand ab. Selbstgefällig grinste er die Jünger an und wartete auf eine plausible Erklärung. Diese allerdings sah ihn nur geschockt an. Ihr war nicht bewusst, dass er ihre Anwesenheit wahrgenommen hatte, denn sie hielt extra immer ein ganzes Stück Abstand von ihm. „Wie kommst du auf so einen Mist?“, wendete sich Rin beleidigt von ihm ab und biss demonstrativ ein großes Stück ihres Melonpans ab. „Na ja, ich bin ja nicht blind“, erklärte der junge Mann, „Stehst du etwa auf mich oder warum verfolgst du mich?“ Er wusste wie er die Aufmerksamkeit des Mädchens wieder auf sich lenkte, denn diese fuhr nun energisch herum: „Ganz bestimmt nicht! Warum sollte ich so einen selbstverliebten Idioten wie dich mögen?!“ „Aber wenn du mir keinen anderen sinnvollen Grund nennen kannst, dann muss ich sowas wohl annehmen“, grinste er noch immer ziemlich selbstgefällig. Der Schwarzhaarige wusste, dass er seine Mitschülerin soeben in der Hand hatte und es machte ihm scheinbar tierischen Spaß sie mal wieder auf die Palme zu bringen. „Ich wollte dich nur was fragen“, wendete sie ihren Blick wieder ab und knabberte verlegen an dem Rest ihres Mittagessens. Erwartungsvoll aber auch leicht irritiert schaute Kuro zu ihr herunter: „Was gibt’s denn so Wichtiges, was du persönlich besprechen möchtest?“ Plötzlich stoppte sie mit der Knabberei an dem Brötchen und erstarrte erschrocken. War sie echt so dumm? Erst jetzt realisierte sie, dass sie sich gar nicht so hätte anstrengen brauchen. Wozu hatte sie nun ein Smartphone, wenn sie es doch nicht nutzte? Sie hätte ihn einfach anrufen oder ihm schreiben können, um ihre Frage zu stellen. „Hallo?“, erwartete der Ältere noch immer ungeduldig eine Antwort. Diese blieb jedoch aus, denn das Klingeln der Schulglocke ertönte, welches signalisierte, dass die Pause vorbei war. Schnell erhob sich Rin daraufhin und machte Anstalten zu gehen. „Komm einfach nach der Schule ins Direktorat. Dort hast du alle Zeit der Welt mich mit sinnlosen Fragen zu löchern“, erhob auch er sich wieder aus seiner gebeugten Position und streckte sich, „Außerdem hab ich dann auch gleich noch eine kleine Aufgabe für dich. Prüfungen hin oder her, aber mit fehlt gerade einfach das Personal.“ Mit diesen Worten schob er das Fenster wieder zu und machte sich auf den Weg zurück ins Klassenzimmer. Die Blauhaarige harrte noch kurz aus und starrte ihm hinterher. Was hatte er damit gemeint? Und überhaupt war es merkwürdig, dass er sich benahm als sei nichts vorgefallen. Immerhin war er ziemlich hart zu ihr gewesen und hatte sie mit recht unschönem Ton gefeuert. Nicht, dass sie unbedingt gefeuert werden wollte, aber eine Entschuldigung wäre nun definitiv angebracht gewesen. Aber wahrscheinlich war das bei ihm zu viel verlangt. Mit einem schweren Seufzer machte sich Rin nun auch endlich auf den Weg. Es brachte sie ja doch nicht weiter sich unnötig aufzuregen. Das letzte Examen für den Tag war geschrieben und die Schule war endlich aus. Erschöpft streckte sich die Stipendiatin und packte ihre Sachen zusammen, um sich ins Zimmer des Rektors zu begeben. Dabei trödelte sie ein wenig, da sie keine Lust hatte schon wieder als Verfolgerin von Kuro dazustehen. Auf halben Weg knurrte ihr Magen erneut und sie hielt sich die Hand vor diesen. „Na toll“, murmelte Rin, „Dieses blöde Melonpan hat überhaupt nicht sattgemacht.“ Lustlos klopfte sie schließlich an die Tür des Raumes, in welchem der Suzuki-Erbe auf sie wartete. Ohne ein „herein“ abzuwarten, trat sie einfach ein, nur um im selben Moment kurzzeitig zu erstarren. Erschrocken weiteten sich ihre Augen, als sie einen jungen bebrillten Mann an einem großen Schreibtisch sitzen sah. Dieser wirkte selbst recht überrascht, kam aber leider nicht dazu etwas zu sagen, denn schlagartig verbeugte sich die Blauhaarige mit einer Entschuldigung und verließ das Zimmer. Sie hatte sich wohl in der Tür geirrt und ist einfach in Gedanken versunken irgendwo reingerannt. Vollkommen verwirrt prüfte sie daraufhin das Schild, welches über dem Eingang angebracht war. Wo war sie da bloß reingelaufen? Noch irritierter musterte sie nun die Beschriftung, welche eindeutig klarmachte, dass es sich hierbei um das Direktorat handelte. Aber wo war Kuro? Und wer war dieser Brillentyp? „Hä?“, fühlte sich die Stipendiatin veralbert. Was war hier bloß los? Plötzlich ging die Tür, vor welcher sie immer noch stand, auf und der gesuchte Schwarzhaarige trat in Erscheinung: „Was treibst du da, du Hohlbirne?“ Genervt schnipste er der perplexen Blauhaarigen gegen die Stirn, woraufhin sie wieder ins Hier und Jetzt zurückkam: „Au! Was soll das?!“ „Das könnte ich dich auch fragen“, murrte er, „Komm endlich rein und steh da nicht so blöd rum!“ Unter Meckern betrat sie schließlich den Raum und schaute sich um. Ja, sie war wirklich im richtigen Zimmer. Aber wer war dieser Kerl mit der Brille? Und wo war er so plötzlich hin verschwunden? Während sie in ihren Gedanken versunken war, konnte sie beobachten wie sich der junge Mann an den Schreibtisch setzte, mit einer Hand irgendwelche Unterlagen griff und mit der anderen eine Brille auf seine Nase schob. Wie Schuppen fiel es dem Mädchen schließlich von den Augen. Das war nun wirklich nicht abzusehen, dass der Schwarzhaarige etwas derartiges benötigte. Kein Wunder, dass sie ihn für eine andere Person hielt. Verstehend klatschte sie sich die flache Hand an die Stirn und brachte nur ein langgezogenes „ach so“ heraus. „Warum brauchst du heute für alles eine Extraeinladung?“, meckerte der Ältere, während er seinen Blick nicht von dem Schriftstück erhob, „Komm endlich her und setz dich.“ Genervt tat sie was ihr befohlen wurde und nahm auf einem der beiden Sessel vor dem Schreibtisch Platz. „Und? Was ist nun dein Anliegen?“, musste Kuro ihr alles aus der Nase ziehen. Dieses Mal ließ er von seinen Unterlagen ab und sah die Blauhaarige erwartungsvoll an. Rin hingegen überlegte kurz was sie antworten sollte, kam aber recht schnell auf eine gute Frage: „Was hast du da eigentlich gedreht? Ich musste nicht mehr am Schwimmunterricht teilnehmen.“ „Wie kommst du darauf, dass ich das war?“, kam direkt eine Gegenfrage. „Du hast hier jede Menge Einfluss und außerdem scheinst du darüber nicht sonderlich überrascht zu sein. Also wusstest du es offensichtlich bereits vorher“, erklärte die Stipendiatin. Geschlagen seufzte der junge Mann und lehnte sich in seinem Stuhl zurück: „Ach was soll’s. Ja, das hast du mir zu verdanken. Gern geschehen.“ Sein arroganter Unterton verlangte indirekt ein „Danke“ seines Gegenübers. Obwohl Rin das bewusst war, ignorierte sie es aber. Sie war zu stur, um sich zu bedanken und der festen Überzeugung, dass er es einfach nicht verdiente. Nicht, bevor er sich nicht für sein Fehlverhalten entschuldigt hatte. „Und warum hast du das gemacht?“, stellte das Mädchen erneut eine Frage. „Ist das relevant?“, wollte der Suzuki-Erbe das Gespräch offensichtlich nicht vertiefen, „Ich hab dir eben einen Gefallen getan. Freu dich doch einfach.“ „Ja ich finde das ziemlich relevant, denn du tust keine Gefallen“, traf den Älteren ein kritischer Blick, „Du hattest sogar darauf beharrt, dass ich am Schwimmunterricht teilnehmen muss. Warum hast du deine Meinung geändert?“ Genervt verschränkte der junge Mann seine Arme vor der Brust und sah zur Seite. Ein leichter Rotschimmer legte sich über seine Wangen und man konnte ihm deutlich seine Verlegenheit ansehen. Es passte ihm absolut nicht, dass die Oberschülerin so in diesem Thema herumstocherte. Er würde ihr definitiv niemals den wahren Grund für seine Handlung nennen. Das wäre ihm im Endeffekt viel zu unangenehm. Außerdem müsste er ihr somit verraten, dass er sich mit ihrem Bruder unterhalten hatte und nun so etwas wie Mitgefühl für die Angst des Mädchens aufbrachte. Ganz zu schweigen davon, dass er vermutlich heftig von ihr angemeckert werden würde, wenn sie jemals erfahren würde, dass er Saito in die Schule bestellt hatte. Ein Schnauben entwich Kuro und er suchte nach einer zufriedenstellenden anderen Antwort: „Du hast deine Kräfte nicht unter Kontrolle und verletzt am Ende nur deine Mitschüler. Abgesehen davon habe ich auch nichts davon, wenn auffliegt, dass du besondere Fähigkeiten hast.“ Verstehend nickte die Stipendiatin. Das machte wirklich Sinn. „Zufrieden? Dann habe ich jetzt einen Botengang für dich“, murrte der Ältere. „Warum sollte ich das tun?“, verschränkte nun Angesprochene die Arme vor der Brust und sah beleidigt zu Seite, „Immerhin hast du mich gekündigt! Also mach deine Arbeit gefälligst selbst!“ „Wann soll das gewesen sein, huh?! Hast du ein Kündigungsschreiben bekommen? Bist du von der Schule geflogen? Oder aus dem Wohnheim? Nein!“, nannte der junge Mann mit verstimmtem Ton einige Beispiele, die das Gegenteil belegten. „Willst du mich verkohlen?!“, sprang die Blauhaarige auf und stützte sich mit den Händen auf dem Pult ab, „Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und bereue ihn! Aber dein Verhalten deswegen ist einfach unentschuldbar! Und das willst du nun einfach unter den Teppich kehren?! Nicht mit mir!“ Daraufhin stapfte sie wutentbrannt aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu. Im selben Moment rannte sie Shina über den Haufen, welche unmittelbar davorstand. „Uwah, tut mir leid“, entschuldigte sich Rin und die beiden Mädchen rappelten sich wieder auf. Vorsichtig lugte die Brünette daraufhin nach links und rechts den Gang entlang, um zu überprüfen, ob jemand in der Nähe war. Nachdem sie realisierte, dass keiner in Sichtweite war sprach sie: „Mir tut es auch leid. Ich wollte eigentlich zu Suzuki-kun und habe euch dann bis in den Flur streiten hören, weswegen ich hier stehengeblieben bin.“ Die Blauhaarige wusste nicht recht was sie darauf sagen sollte und schwieg erstmal, ehe ihre Kollegin wieder das Wort ergriff: „Ich habe euch belauscht. Das tut mir wirklich leid.“ Entschuldigend verbeugte sich Shina. Der Stipendiatin hingegen war das eher unangenehm: „Ach was, hör auf dich zu entschuldigen. Wir haben ja auch laut genug gestritten, sodass es jeder hätte hören können.“ „Auch wieder wahr“, lachte die Brünette, „Aber ich verstehe wirklich nicht warum ihr nicht miteinander klarkommt.“ Schief grinsend sah die Blauhaarige ihr Gegenüber an: „Ich auch nicht. Aber das ist mir eigentlich auch egal.“ Damit war das Gespräch beendet und das Mädchen machte sich auf den Weg zurück ins Wohnheim. Ihre Kollegin hingegen klopfte an die Tür des Rektorats und trat ein. Sie legte wortlos einige Papiere auf Kuros Schreibtisch, welcher sich kurz bedankte und dann auch schon wieder in seine Arbeit vertieft war. Gerade als die Brünette die Tür zum Gehen öffnen wollte, stoppte sie vorher und drehte sich nochmal kurz zum Schwarzhaarigen um: „Suzuki-kun?“ „Hm?“, kam es nur knapp zurück. Tief atmete sie daraufhin ein und nahm all ihren Mut zusammen: „Das war kindisch.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen verließ sie das Zimmer schnellstmöglich und ein verdatterter junger Mann blieb zurück. Gegen Abend saß Rin an ihrem Schreibtisch im Wohnheim und hatte allen möglichen Lernstoff vor sich ausgebreitet. Sie hatte vergebens versucht noch etwas für die Prüfungen zu lernen, endete schlussendlich aber mit einem Manga. Gebannt las sie darin, als es plötzlich an ihrer Tür klopfte. „Wer kommt denn jetzt?“, fragte sich das Mädchen und bewegte sich zur Tür, „Vielleicht Shina?“ Zügig machte sie auf und sah verschreckt in ein gelbbraunes Augenpaar: „Was willst du hier?“ „Darf ich reinkommen?“, kam es mit verstimmtem Unterton als Gegenfrage. Es war Kuro, welcher soeben bei der Blauhaarigen aufgeschlagen war. Ziemlich untypisch für ihn, dass er einfach zu ihr kam. Normalerweise zitierte er sie immer sonst wohin, wenn er etwas von ihr wollte. Einen Schritt ging die Stipendiatin zu Seite und signalisierte somit, dass er eintreten durfte. Wortlos tat er dies auch und schaute sich neugierig im Raum um. Sein Blick blieb direkt an der Pinnwand hängen, welche auf dem Schreibtisch stand und er setzte sich ungefragt auf den Stuhl davor. Da Rins Platz nun vergangen war, hockte sie sich einfach auf ihre Bettkannte und beobachtete missmutig sein Verhalten. „Wer ist das denn alles auf den Bildern?“, schien der Schwarzhaarige nicht zum Thema seines eigentlichen Besuchs kommen zu wollen. Da das Mädchen absolut keine Lust hatte mit ihm darüber zu reden, schwieg sie einfach. Es ging ihn sowieso nichts an, denn die Fotos waren ihre eigene Privatsache. In Erwartung einer Antwort drehte er sich zur Oberschülerin herum, nur um festzustellen, dass er vermutlich keine bekäme. Ihrer Reaktion nach zu urteilen schien sie mächtig sauer zu sein und wollte keinen Smalltalk halten. Der Suzuki-Erbe bemerkte das recht schnell, seufzte und stand wieder vom Stuhl auf. Stattdessen setzte er sich neben seine Assistentin auf die Bettkante. Für ihren Geschmack wohl etwas zu nah, denn sie rutschte ein wenig von ihm weg. Kuro verärgerte diese Rektion zwar, dennoch sagte er nichts dazu. Er atmete einmal tief ein und wieder aus, bevor er endlich Worte fand: „Es tut mir leid.“ „Eh?!“, zuckte die Blauhaarige verschreckt zusammen. Was sollte das denn werden? Seit wann konnte der Kerl sich entschuldigen? Meinte er das ernst?! So viele Fragen schwirrten in ihrem Kopf und sie wusste gar nicht genau wie sie darauf reagieren sollte. „Das war wirklich nicht okay von mir dich so anzugehen“, starrte der junge Mann verlegen zum Boden, „Das soll jetzt keine Ausrede sein, aber es ist jedes Jahr das gleiche Drama an meinem Geburtstag und ich stehe immer unter Hochspannung, weil alles perfekt laufen muss. Von mir wird das alles erwartet und ich kann den Tag weder genießen noch entspannen. Da hat man schonmal eine kurze Zündschnur.“ So langsam verstand das Mädchen ihn etwas besser und verspürte kurzzeitig sogar ein wenig Mitleid mit ihm, wollte sich das aber nicht eingestehen. Sein Verhalten ihr gegenüber war aber dennoch alles andere als okay gewesen. „Es tut mir wie gesagt sehr leid. Auch, dass ich das Ganze einfach so abtun wollte“, war der Suzuki-Erbe zum ersten Mal so richtig ehrlich zu Rin, „Aber trotz all dem was ich gesagt habe, möchte ich nicht, dass du aufhörst für mich zu arbeiten. Ich meine, du könntest schon etwas effizienter sein, aber eine große Hilfe bist du trotzdem. Und mir mangelt es so sehr an Personal. Jetzt ist auch noch Ruri ausgefallen und in der Schule häuft sich die Arbeit.“ Trotz seiner beiläufigen Kritik, nahm die Blauhaarige es ihm dieses Mal nicht krumm und blieb ruhig. Eher war sie ziemlich überrascht darüber, dass er so ehrlich auf sie zukam. Irgendwie tat es ihr nun ziemlich leid, dass sie sich ebenfalls nicht sehr nett verhalten hatte. Bedrückt zog sie die Beine heran und umschlang sie mit ihren Armen. Ihren Kopf bettete sie auf den Knien und sie starrte Löcher in die Luft. Ziemlich leise und kleinlaut kam dann von ihr zur Antwort: „Ich wünsche dir zum Geburtstag alles Gute nachträglich.“ Was anderes fiel ihr nicht ein. Sie bereute es schon die ganze Zeit, dass sie ihm nie gratuliert hatte und wollte das eigentlich schon lange nachholen. Endlich hatte sie es geschafft. Zur Antwort bekam sie nur ein Kopftätscheln und Kuro lächelte sie freundlich an. „Ich mache deinen Botengang morgen, okay?“, war sie immer noch recht kleinlaut. „Brauchst du nicht. Es ist bereits erledigt“, erklärte er, dass alles okay sei. Dieses Mal vergrub sie ihren Kopf und nuschelte leise: „Tut mir leid.“ Es war nicht zu übersehen, dass sie sich für ihr Verhalten nun selbst schämte. Zwar war der Schwarzhaarige nicht unschuldig, allerdings hätte das Mädchen auch etwas erwachsener reagieren können. „Ist schon okay. Vermutlich hätte an deiner Stelle jeder so gehandelt“, hatte der Ältere vollstes Verständnis. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, flatterte ein kleiner blauer Schmetterling um ihn herum. Die Blauhaarige konnte ihn nur aus dem Augenwinkel kurz erblicken, ehe er wieder verblasste und verschwunden war. Der Social Link, welchen sie mit ihrem Gegenüber geknüpft hatte, war wohl auf die dritte Stufe aufgestiegen. Da die Oberschülerin deswegen ein wenig aus dem Konzept gebracht wurde, schwieg sie einfach und eine unangenehme Stille brach herein. Diese wurde allerdings durch das plötzliche Knacken einiger Äste und das Rascheln der Blätter im Baum vor Rins Fenster unterbrochen. Sofort wanderten die Blicke der beiden Anwesenden hinüber zu den Geräuschen. An einem der gekippten Fenster konnten sie schließlich Skye erkennen, welcher scheinbar fast vom Baum gefallen war. Er hing in seiner menschlichen Form an einem Ast ziemlich nahe der Fensterfront und sah in den Wohnraum hinein. Schnell sprangen die beiden Älteren gleichzeitig auf, um das Fenster komplett zu öffnen und den Grundschüler hereinzulassen. Obwohl er eigentlich fliegen konnte, machten sie sich Sorgen, dass er vielleicht doch herunterfallen könnte. „Schnell, gib mir deine Hand“, hing die Blauhaarige selbst halb aus der Öffnung und versuchte ihn zu erreichen. Kuro hingegen zog das Mädchen am Kragen zurück und meckerte sie an: „Pass gefälligst auf! Sonst fällst du am Ende selbst noch raus!“ „Aua, das tut weh!“, keifte sie ihn verärgert an. Der Schwarzhaarige ignorierte sie jedoch und widmete sich dem im Baum Hängenden: „Kannst du mich erreichen? Ich zieh dich rein.“ Nun streckte der Suzuki-Erbe seine Hand aus und versuchte ihm zu helfen. Dies war allerdings nicht vonnöten, denn wortlos beschloss der Schwarz-Blauhaarige seine Vogelform anzunehmen und einfach durch das geöffnete Fenster zu fliegen. Kunstvoll nahm er inmitten des Raumes dann wieder seine menschliche Form an und landete sanft auf seinen Füßen. Endlich wussten die beiden Oberschüler ihn in Sicherheit und sackten Schulter an Schulter zusammen. Von dem Schock erschöpft, saßen sie so eine kurze Weile auf dem Boden und verschnauften endlich. „Tut mir wirklich leid“, kratzte sich der Kleine verlegen am Hinterkopf. „Das sollte es auch. Du hast uns einen riesigen Schreck eingejagt!“, war Kuro sichtlich sauer. „Ich wollte euch wirklich nicht dabei stören“, verbeugte er sich nun sogar. Etwas irritiert über die Aussage des Grundschülers, sahen die beiden ihn an. Sie wusste nicht so recht was er meinte. „Warum stören? Wobei?“, versuchte das Mädchen die Situation zu erfassen, „Wir waren halb krank vor Sorge, weil wir dachten, dass du gleich runterfällst und dich verletzt.“ „Warum sollte ich runterfallen? Ich kann doch fliegen“, verstand Skye nicht. Da die beiden Parteien scheinbar völlig aneinander vorbeiredeten führte das Gespräch ins Nichts. Der Schwarzhaarige versuchte zwar auch zu erklären, dass es gefährlich sei so hoch auf Bäumen herum zu klettern, aber es half nichts. „Mir passiert schon nichts“, ließ es den Kleinen einfach kalt, „Es ist viel schlimmer, dass ich euch unterbrochen habe.“ „Warum denn unterbrochen? Wie meinst du das?“, wollte der Suzuki-Erbe wissen. Verwirrt legte der Grundschüler den Kopf schief: „Na bei eurer Liebeserklärung?“ Mit feuerroten Köpfen wurde der Jüngste daraufhin geschockt angesehen und die beiden Oberschüler sprangen augenblicklich auf. Ihr Anblick, Schulter an Schulter auf dem Boden zu sitzen, half nämlich so gar nicht dieses Missverständnis aus dem Weg zu räumen. „Wie kommst du auf sowas Dämliches?!“, stritt Kuro es sofort ab. Auch die Blauhaarige legte direkt ihr Veto ein: „Warum sollte ich mit dem da zusammen sein wollen?! Das ist der totale Idiot!“ „Und du bist eine absolute Nervensäge, die ständig irgendwelchen Mist verzapft!“, richteten sich die Worte des Ältesten nun an die Stipendiatin. Diese ließ sich das allerdings nicht gefallen und gab direkt Kontra: „Na, wenn ich dich so nerve, dann geh doch einfach! Glaubst du ich habe groß Bock mit jemandem wie dir in einem Raum zu sein?!“ Gesagt getan, verschwand der junge Mann mit knallender Tür aus dem Zimmer. Dabei tat er noch kund, dass er seine Zeit hier nur unnötig weiterverschwenden würde. Genervt von ihm, plumpste Rin auf den Stuhl und blähte die Wangen auf: „So ein Vollidiot! Weiß gar nicht warum der mir für einen Moment leidgetan hat.“ Um auf andere Gedanken zu kommen, griff sie nach ihrem Manga und versuchte darin weiterzulesen. Skye, welcher noch immer bedröppelt in der Raummitte stand, fasste sich nun endlich wieder und ging nuschelnd ins Bad: „Akira hatte recht. Ich sollte mich einfach nicht mehr einmischen. Irgendwie mache ich alles nur schlimmer.“ Nach einigen Minuten kam der Grundschüler endlich wieder aus dem Badezimmer heraus und auf die Blauhaarige zu, welche mittlerweile auf dem Bauch im Bett lag und ihr Buch verschlang. Befangen setzte er sich zu ihr: „Hör mal, Rin…“ Angesprochene drehte ihren Kopf und sah ihn erwartungsvoll an. Sie hatte noch immer recht gemischte Gefühle was den Kleinen anging. Es war wegen der Aktion, als er ihr versuchte vorzuschreiben mit wem sie sich einlassen durfte und mit wem nicht. Außerdem schien er die beiden Oberschüler soeben belauscht oder zumindest beobachtet zu haben, was ihr ebenfalls nicht behagte. „Ich werde mich nicht mehr in deine Beziehungsdinge einmischen. Es sei denn du möchtest einen Rat oder dergleichen. Es tut mir leid, dass ich dir vorschreiben wollte mit wem du dich treffen darfst und mit wem nicht“, entschuldigte er sich kleinlaut. „Danke, dass du das einsiehst“, setzte sich das Mädchen auf, „Ich kanns leider nicht ändern, dass ich mit Kuro absolut nicht klarkomme. Er ist immer so gemein. Yoshida-kun hingegen ist wirklich nett. Früher war er ja auch mal anders, aber er hat sich geändert.“ „Ich verstehe dich. Auch wenn ich es nicht wirklich akzeptieren will. Trotzdem habe ich eine kleine Bitte“, forderte Skye, „Könntest du nicht aufhören dich die ganze Zeit mit Kuro zu streiten? Das ist ganz schrecklich…“ Der Grundschüler machte ein Gesicht, als würden ihm gleich die Tränen kommen. Offenbar belastete es ihn wirklich sehr, wenn in seiner Umgebung solche Streitereien stattfanden. Da der Jüngere ihr nun entgegengekommen war, wollte sie dies ebenfalls: „Na ja… Ich kann es nicht wirklich versprechen, aber ich kann es mal versuchen.“ Dadurch erhellte sich der Ausdruck des Grundschülers ein wenig und auch Rin war deutlich erleichtert darüber, dass sie von seinen Tränen verschont geblieben war. Noch während sie aufatmete, umkreiste den Kleineren ebenfalls ein blauer Schmetterling, welcher genauso schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war. Auch der Social Link mit ihm stieg wohl auf das dritte Level an. „Aber jetzt mal was anderes“, wechselte das Mädchen ziemlich stürmisch das Thema, „Wie lange hast du da schon im Baum gesessen und was hast du mitbekommen?“ Kurz musste er überlegen: „Also eigentlich wollte ich mich nur wieder mit dir vertragen kommen. Und dann kam Kuro plötzlich zu dir und ich wollte euch nicht stören.“ „Das heißt du hast einfach alles mitgehört?“, knirschte das Mädchen verstimmt mit den Zähnen. „Alles habe ich nicht gehört, weil ihr zwischenzeitlich echt leise gesprochen habt. Aber im Grunde habe ich einiges mitbekommen“, zuckte er gleichgültig mit den Schultern, als sei es das normalste der Welt. Natürlich war es das für die Ältere nicht und wieder wurde der kleine Mann zurechtgewiesen, woraufhin er sich erneut entschuldigen musste. Schlussendlich versöhnten sich die beiden aber wieder, redeten noch über Gott und die Welt und schliefen schließlich Seite an Seite quer über dem Bett ein. Kapitel 34 - Feindliche Schwingungen ------------------------------------ Donnerstag, 14. Mai 2015   Endlich klingelte es zum Schulschluss. Die letzte Prüfung war soeben geschrieben und Rin streckte sich ausgelaugt. Kuro, welcher neben ihr saß packte nur schnaubend seine Sachen zusammen, ehe er sich an das Mädchen wandte: „Komm bitte direkt zu mir nach Hause. Da wartet jede Menge Arbeit.“ „Aber ich dachte wegen des Examens hätte ich frei?“, kam es nur entsetzt aus Angesprochener. „Das ist ja jetzt vorbei, also kannst du wieder ranklotzen“, erhob er sich und machte sich vom Acker. Zurück blieb eine genervte Stipendiatin, die nach den Strapazen der letzten Tage so gar keine Lust hatte nun auch noch zu arbeiten. Widerwillig machte sie sich also direkt auf den Weg und traf auf halber Strecke ihre Kollegin Shina. Diese wurde scheinbar auch zum Suzuki-Anwesen beordert. Dort angekommen, wartete bereits ein großer Berg von Büroarbeit auf die beiden Mädchen. „Oh nö. Ich will nicht“, jammerte die Blauhaarige nur. Aber auch zweitere legte einen wenig begeisterten Gesichtsausdruck an den Tag. „Lass es uns einfach aufteilen, dann geht’s schneller“, übernahm die Brünette die Einteilung der Aufgaben. Sie hätten sie auch jeweils gemeinsam abarbeiten können, aber so fühlte sich es sich nach weniger an und jeder konnte sich auf seine Sache konzentrieren.   Gerade als Rin einen der vielen Briefe verschloss, brach ihre Kollegin die seit längerem anhaltende Stille: „Deine Ärmel sind ja ganz dreckig.“ Irritiert schaute sie die Brünette an, da sie durch ihre plötzlichen Worte völlig aus dem Konzept gebracht wurde. Anschließend überprüfte sie die soeben gemachte Feststellung und bemerkte, dass die weißen Ärmel ihrer Schuljacke an der Unterseite wirklich verdreckt waren. Es war ein gräulicher Schleier, welcher aussah, als hätte sie damit über eine dreckige Oberfläche gewischt. „Na toll, schon wieder?“, musterte sie ihre Uniform, welche scheinbar nicht zum ersten Mal so aussah. „Ist das schonmal passiert?“, legte Shina neugierig ihren Kopf schief, „Warum ziehst du denn dann nicht was anderes an?“ Die Frage war zwar berechtigt, aber die Stipendiatin ärgerte sich eher über die helle Uniform an sich: „Ich versteh nicht welcher Idiot sich dieses blöde helle Design ausgedacht hat. Ich mein, die Farbe der Suzuki ist zwar gelb, aber das muss man ja nicht gleich mit weiß kombinieren. Die Jungs haben doch auch eine schwarze Jacke.“ „Das mag zwar sein, aber dafür haben die Jungs eine gelb-karierte Hose“, erwähnte ihre Kollegin, „Ich finde das ist sogar noch schlimmer als eine weiße Jacke.“ Zustimmend nickte Rin: „Auch wieder wahr. Trotzdem ist mir dieses ganze Helle ein absoluter Dorn im Auge.“ „Warum ziehst du dann nicht was anderes an? Die sind doch nicht so streng mit der Kleiderordnung wie andere Schulen“, erklärte die Brünette. „Stimmt eigentlich“, grübelte die Oberschülerin, „Ich könnte ja genau wie du die schwarze Strickjacke tragen. Aber ob das warm genug ist?“ „Ja, die ist super kuschlig und hält sogar besser warm als die Uniformjacke“, kam prompt eine aufklärende Antwort. Sofort davon überzeugt, stimmte das Mädchen ein diese mal auszuprobieren.   Noch am selben Abend testete sie den neuen Look aus und musste feststellen, dass ihre Kollegin recht hatte. Die Strickjacke war wirklich warm. Fast schon zu warm. Deshalb beschloss Rin statt der schwarzen Winterbluse die weiße kurzärmlige für den Sommer drunter zu ziehen. Nun fiel auch ihr schwarzer Gürtel, welcher um ihre Hüfte geschlungen war, mehr auf. An diesem hatte sie nämlich ihr kariertes Täschchen mit den Schlüsseln und ihrem Edelstein befestigt, um es immer dabeihaben zu können. „Jetzt ist es definitiv besser“, begutachtete sich die Oberschülerin stolz im Spiegel, „Aber diese Schleife ist einfach grauenvoll. Sowas steht mir irgendwie gar nicht.“ Missmutig nahm sie diese ab und überlegte was sie damit tun sollte. Zwar war die Uniform-Regelung an der Suzuki-Akademie recht locker, allerdings war es dennoch nicht gern gesehen nichts dergleichen zu tragen. Damit konnte man die Schüler nämlich ihres Jahrgangs zuordnen. Normalerweise wäre das der Blauhaarigen völlig egal gewesen und sie hätte einfach getan was sie wollte. Allerdings hatte sie keine Lust auch noch von den Lehrern ausgeschimpft zu werden. Es reichte ihr bereits, dass sie von den Schülern gehänselt wurde. Ein Seufzer entwich ihr und sie gab die Grübelei vorerst auf.     Freitag, 15. Mai 2015   Da für Rin nun kein Schwimmunterricht mehr stattfand, hatte sie bereits ziemlich früh Schulschluss. Das nutzte sie aus und meldete sich auch für diesen Tag beim Lacrosse-Training ab, um die gestrige Arbeit endlich fertig zu bekommen. Ihre Kollegin hingegen sollte heute in der Schule bleiben und dort aushelfen. Mutterseelenallein saß die Blauhaarige also im Büro des Suzuki-Erben und war für einige Stunden in ihre Arbeit vertieft. Gegen späten Nachmittag legte sie dann eine Pause ein und wollte in die Küche, um sich einen kleinen Snack zu gönnen. Auf halbem Weg begegnete sie allerdings Kuro, welcher soeben seinen besten Kumpel in Empfang nahm. Akira wurde außerdem von einem jüngeren Mädchen mit dunkelroten langen Haaren, dessen Spitzen blau gefärbt waren, begleitet. Zudem trug sie schwarze kabellose Kopfhörer mit gelben Akzenten auf dem Kopf. Allerdings hatte sie diese nicht auf den Ohren, sondern dahinter. Beinahe wie eine Art Haarreif. Angezogen hatte sie sich ein weißes Shirt und eine blaue Hotpants. Darüber trug sie einen schwarzen Mantel mit gelben Verzierungen. Ihre Füße steckten in schwarzen Overknees und hohen dunkelroten Chucks. Unterm Arm schleppte sie zudem noch ein schwarz-gelbes Skateboard mit sich herum. „Oh, hallo Rin“, wurde diese freudig von Akira begrüßt. Ebenfalls grüßte sie höflich und starrte unweigerlich zu dem jungen Mädchen an der Seite ihres Freundes. Sofort bemerkte der Rotschopf den neugierigen Blick und erklärte: „Das ist Akari, meine kleine Schwester. Sie geht auf die Kirigaoka Mittelschule.“ „Jo“, hob die Jüngere zur Begrüßung nur die Hand. „Freut mich dich kennenzulernen“, antwortete die Blauhaarige überrascht. Sie wusste überhaupt nicht, dass er eine Schwester hatte, da er etwas derartiges nie erwähnte. Dadurch fiel ihr nun auf, dass sie generell recht wenig über Akira wusste und fühlte sich mies, weswegen sie recht schnell die Flucht ergriff. Auch die Mittelschülerin verließ die Gruppe kurz darauf und zog alleine los. Nun waren die beiden Kumpel nur noch zu zweit in der Empfangshalle. „Komm, lass uns hinsetzen. Das dumme Rumgestehe ist nervig“, machte der Schwarzhaarige eine signalisierende Handbewegung und die beiden begaben sich in einen der unzähligen großen Räume. Es war ein modern eingerichtetes Wohnzimmer, in welchem sie sich auf einem großen Sofa niederließen. Die Sitzgelegenheit stand so, dass man problemlos auf den riesigen Fernseher schauen konnte, welcher auf einer großen Kommode stand. Ringsherum waren noch einige weitere offene Regale, in welchen man viele DVDs, Blu-rays und auch Bücher betrachten konnte. Damit es hier nicht so leblos wirkte, standen zudem noch einige Topfpflanzen verteilt herum. Auch das Licht war dimmbar, sodass man für eine angenehme Atmosphäre sorgen konnte. Neben dem Sofa gab es außerdem noch die Möglichkeit sich an den mittelgroßen Esstisch zu setzen, welcher mit farblich abgestimmten Tischdecken und Dekorationselementen super in den Raum passte. Noch bevor die beiden jungen Männer ein intensiveres Gespräch starten konnten, wurde ihnen von einem der Dienstmädchen etwas zu trinken auf dem Couchtisch bereitgestellt. „Na dann schieß mal los“, nippte Kuro an seinem Kaffee, „Du bist ja bestimmt nicht aus Langeweile hier.“ „Scharfsinnig wie immer“, kratzte sich der Rothaarige ertappt am Hinterkopf und rang sich ein gezwungenes Lachen ab. Eine kurze Stille brach herein, ehe Akira endlich ansprach, was ihn zu belasten schien: „Es gibt in der Tat einen triftigen Grund warum ich dich um ein kurzes Treffen gebeten habe.“ „Und der wäre?“, musste der Suzuki-Erbe ihm alles aus der Nase ziehen. „Na ja, ich weiß nicht, ob du es schon mitbekommen hast, dass ich nun mit Rin zusammen bin“, kratzte er das Thema vorsichtig an. „Ist mir nicht entgangen“, ließ es den Schwarzhaarigen recht kalt, „Skye hatte deswegen den totalen Terror geschoben.“ „Bei dir etwa auch?!“, konnte es sein Kumpel nicht fassen. Akira fand es unglaublich, dass der Grundschüler selbst seinen besten Kumpel damit belästigte. Er hatte doch nichts mit der Sache zu tun. Andererseits war es für ihn aber von Vorteil, weil er so eventuell eine größere Chance hatte, zu erfahren wer sein Konkurrent war. „Ja, er ist komischerweise der Überzeugung, dass ich euch trennen muss“, schnaubte Kuro genervt. Der Rothaarige war davon ähnlich genervt, gleichzeitig aber auch besorgt: „Verstehst du wieso? Passen wir beide wirklich so schlecht zusammen?“ „Das ist absoluter Blödsinn. Skye ist ein kleines Kind und sieht die Welt mit vollkommen anderen Augen“, murrte der Ältere, „Es liegt nicht an ihm zu urteilen, wer von uns beiden besser zu dem Quälgeist passt.“ Sichtlicht verdutzt schaute ein blaues Augenpaar zum Suzuki-Erben herüber. Hatte er gerade richtig gehört? „Skye findet, dass DU besser mit Rin zusammen sein solltest?“, hatten sich bereits Tränen vor Lachen in Akiras Augen gebildet. Während der Schwarzhaarige schmollte, weil er in solch unnötige Konflikte geraten war, hielt sich sein Kumpel vor Lachen den schmerzenden Bauch. Ein großer Stein fiel ihm vom Herzen, da er nun beruhigt sein konnte, dass ihm so schnell keiner die Freundin ausspannen würde. Als der Grundschüler ihm zuvor klarmachte, dass es jemand anderen für Rin gäbe, war er total aufgewühlt und konnte kaum ruhig schlafen. Dass es sich dabei aber um Kuro handelte, war für ihn zwar ein Schock, aber hauptsächlich eine Erleichterung. Der Ältere hatte eine Verlobte und außerdem war sich Akira ziemlich sicher, dass sein Kumpel definitiv nicht auf seine Freundin stand. Oder? Das Lachen des Rotschopfes verstummte und er setzte eine ernste Miene auf: „Sag mal, da ist aber nichts dran oder?“ „Willst du mich eigentlich verarschen?“, fiel der Suzuki-Erbe aus allen Wolken, „Fängst du jetzt auch mit dem Schwachsinn an? Du weißt genau, dass ich nicht verstehe warum du diese Nervensäge so toll findest.“ „Beruhige dich“, bereute Akira augenblicklich seine Frage, „Die ganze Situation hat mich einfach nur ziemlich verunsichert und ich wollte alle Zweifel ausräumen. Abgesehen davon habe ich es noch nicht geschafft Rin vollkommen zu überzeugen.“ Der Schwarzhaarige verstand nicht so recht: „Wie meinst du das? Seid ihr nicht zusammen?“ „Irgendwie schon, aber irgendwie auch nicht. Sie scheint sich unsicher zu sein und wir haben bisher noch nichts von dem getan, was ein Pärchen normalerweise so macht“, versuchte der Jünger die Situation zu erklären. „Dann ändere das eben“, zuckte sein Kumpel nur mit den Schultern. Was sollte er auch sonst großartig tun? Der Schwarzhaarige war kein Beziehungscoach und in die ganze Sache wollte er bestimmt nicht hineingezogen werden. Nicht noch mehr. Zumal ihn dieses Thema eigentlich echt nicht interessierte. Er hatte weitaus wichtigere Sorgen als die Lappalien eines High School Schülers. Immerhin musste er sich um das Familienunternehmen kümmern.   Mit dem Skateboard unter den Füßen zog Akari ihre Bahnen auf der Terrasse. Während sie auf ihre Verabredung wartete, musste sie sich ja schließlich irgendwie beschäftigen. Gerade als sie eines ihrer Kunststücke versuchte auszuführen, fiel sie unsanft zu Boden und landete geradewegs vor Skye, welcher soeben aus dem Garten zurückkam. „Wer bist du denn?“, fragte dieser neugierig. Eine Antwort blieb jedoch aus. Stattdessen zogen einige Sekunden ins Land, in welchen das Mädchen wie versteinert wirkte, ehe sie plötzlich einen kurzen Schrei fahren ließ und aufsprang. Einige Schritte von dem Grundschüler entfernt stand die Rothaarige ihm gegenüber und hatte eine verteidigende Kampfhaltung eingenommen. Ihr Gesichtsausdruck war mehr als nur verschreckt. Sie wirkte, als hätte sie soeben dem Tod ins Auge geblickt und die größte Angst ihres Lebens. Der Schwarz-Blauhaarige hingegen wusste nicht was gerade passierte und schaute sein Gegenüber ziemlich geschockt an. Mit dieser Reaktion war nun wirklich nicht zu rechnen. Was hatte sie bloß? „I-Ist alles okay? Du blutest am Knie“, stotterte der Jüngere und ging vorsichtig einen Schritt auf die Mittelschülerin zu. „Bleib wo du bist!“, wich sie ein kleines Stückchen zurück, um den Abstand zu wahren, „Wer bist du?!“ Mit fester Stimme hielt sie mutig ihrer Angst stand und versuchte an Informationen zu gelangen. „Ähm… Skye?“, antwortete Gefragter vorsichtig. Er verstand absolut nicht was gerade vor sich ging, wodurch in ihm eine gewisse Unsicherheit und Angst ausgelöst wurde. Was passierte hier? Warum hatte dieses Mädchen eine solche Abwehrhaltung eingenommen? „Lüg mich nicht an! Dein Name ist Sora! Hab ich nicht recht?!“, brüllte Akari ihn an. „W-Woher…?“, kroch in dem Kleinen die Angst empor. Die Situation in der er sich befand wurde immer eigenartiger. Passend dazu begann nun auch der Horizont sich zu trüben und graue Wolken zogen langsam über den heiteren Frühlingshimmel. Es verstrichen einige Sekunden, welche sich für die beiden Regungslosen wie eine Ewigkeit anfühlten. Dass der wahre Name des Grundschülers „Sora“ war, konnte man mittlerweile recht leicht rausfinden. Immerhin wurde er als „Sora Suzuki“ in der Schule gemeldet. Allerdings konnte er keinen Zusammenhang mit der Rothaarigen finden. „Sag mir woher du kommst und was du hier willst!“, forderte das Mädchen. Was sollte Skye darauf antworten? Und was wusste die Mittelschülerin über ihn? Sollte sie ihm erklären, dass er ein Verwandter von Kuro war, oder eher die Sache mit dem Portalwächter? Aber nichts davon ließ ihn gefährlich oder angsteinflößend wirken. Die Reaktion der Rothaarigen machte also in keinerlei Hinsicht irgendwelchen Sinn. „Was ist denn hier los?“, kam eine verdutzte Rin aus dem Haus und stand nun mitten im Gefecht. Neugierig und verwirrt zugleich knabberte sie an einem der Onigiri, welche sie im Schlepptau hatte. Auch Haru kam zum Vorschein und stellte ein Tablett mit weiteren Köstlichkeiten auf den Terrassentisch. „Halte Abstand von ihm!“, brach Panik in Akari aus, „Dieser Typ ist gefährlich!“ Als ginge es um Leben oder Tod, versuchte das Mädchen Rin von dem Jüngeren fernzuhalten. Da die Blauhaarige genauso wenig verstand, wie der Grundschüler, lief sie treudoof auf diesen zu, wuschelte ihm durchs Haar und meinte schließlich: „Skye ist nur gefährlich stur, sonst nichts.“ „Hey!“, beschwerte sich dieser und seine Anspannung war plötzlich wie weggeblasen. Die Rothaarige folgte nur verdutzt dem Geschehen, ehe sie von Haru einen Klapps auf den Hinterkopf erntete: „Du und deine Verschwörungstheorien. Hör doch auf immer solchen Mist von dir zu geben. Sei doch einfach mal normal, Ri-chan.“ Kurz stockte Zurechtgewiesene, ehe sie dagegenhielt: „Ich bin doch normal. Abgesehen davon stimmt mit dem Kerl tatsächlich etwas nicht. Er heißt überhaupt nicht Skye.“ „Schonmal was von Spitznamen gehört?“, erwiderte ihr Gegenüber. Langsam aber sicher besann sich der Rotschopf wieder. Die Argumente schienen ihr recht schnell ausgegangen zu sein, wodurch sich ihre Anspannung endlich wieder löste. „Was ist denn eigentlich mit deinem Knie passiert?“, fiel Rin die blutende Stelle unter der zerrissenen Socke auf. „Das passiert manchmal“, winkte die Mittelschülerin nur ab, „Obwohl es ärgerlich ist, dass ich schon wieder Overknees zerfetzt habe.“ „Jetzt kommt, ich habe Onigiri für alle gemacht“, wechselte der Assistenzkoch das Thema und beorderte alle zum Tisch. Die grauen Wolken lichteten sich allmählich wie von Geisterhand und gaben wieder den Blick auf die warme Frühlingssonne frei. Auch die ganzen negativen Gefühle verflogen so langsam. Ein angenehmes Wetter für einen kleinen Snack im Freien, den sich die vier nun wirklich verdient hatten. Es wurde noch zu einem gemütlichen Beisammensitzen, in welchem sich die Gruppe etwas näher kennenlernte. Wie unschwer zu erkennen war, kannte Haru die Rothaarige bereits. Sie waren ziemlich gute Freunde und gingen sogar in die gleiche Klasse. Während sich die Schüler noch eine ganze Weile miteinander unterhielten, wäre Rin beinahe entgangen, wie zwei leuchtend blaue Schmetterlinge im Frühlingswind tanzten, ehe sie genauso schnell wieder verblassten. Gleichzeitig hörte sie die ihr vertrauten Worte „I am thou. Thou art I“, welche signalisierten, dass ein neuer Link geschlossen wurde. Dem Ausschlussverfahren zufolge musste es Akari sein, mit welcher die Blauhaarige eine Verbindung eingegangen war. Das brachte die Oberschülerin kurz dazu, über Akiras kleine Schwester nachzudenken. Sie fragte sich noch immer, warum die Jüngere so misstrauisch dem Schwarz-Blauhaarigen gegenüber war. Dazu musste es doch einen Grund geben. Auch glaubte Rin nicht, dass dieses Misstrauen nun einfach komplett verschwunden war. Zumal auch sie selbst dadurch begann zu überlegen was der Grund gewesen sein könnte. Immerhin wusste keiner etwas über den selbsternannten Portalwächter, sodass es eigentlich ziemlich schwer war ihm blind zu vertrauen.   Wie die Stipendiatin später über ihr Horo herausfand, war ihr neuer Social Link mit Akari als ‚II. High Priestess‘, die Hohepriesterin betitelt. Zudem stellte sie fest, dass da außerdem noch Harus Link war, welcher sich auf Stufe zwei erweitert hatte.     Velvet Room   Wie so oft in letzter Zeit, hatte ich mal wieder ein böses Erwachen in dieser Folterkammer. Unfreiwillig. Ja, diese sanfte Arie und der angenehm reine Duft nach frischem Regen waren sehr beruhigend, aber das knöchelhohe Wasser machte all das wieder zunichte. Ängstlich rettete ich mich wieder auf den kleinen Vorsprung, um irgendwie dem Nass zu entgehen. Anschließend schaute ich mich um. Was wollte Ignor nun schon wieder von mir? Mein verdutzter Blick, blieb am leeren Stuhl hängen, welcher an den Tisch herangeschoben war. Er war nicht da. Verwirrt schaute ich mich um, da ich ja schließlich von irgendwem gerufen worden sein musste. Natürlich war es die Assistentin, welche mit verschränkten Armen breitbeinig vor mir stand und mich ansah: „Lange nicht gesehen. Ich hoffe du hast dein Versprechen nicht vergessen.“ Der unfreundliche Unterton gefiel mir gar nicht, aber anstatt eine Diskussion vom Zaun zu brechen, war ich eher damit beschäftigt herauszufinden was genau sie meinte. Dann fiel es mir wieder wie Schuppen von den Augen. Bei meinem letzten Besuch hatte ich im Austausch gegen Informationen meine Hilfe angeboten ohne überhaupt zu wissen um was genau es ging. Jetzt hatte ich den Salat. „Wir treffen uns einfach am Sonntag“, machte sie Pläne. Ich war allerdings immer noch ein wenig planlos: „Und was machen wir dann? Wobei brauchst du Hilfe?“ „Als Mensch von da draußen, hast du Wissen, was wir von hier drinnen nicht haben“, redetet die Platinblonde um den heißen Brei, „Deine Aufgabe ist es nun dieses Wissen zu übermitteln.“ „Okay…?“, drückte meine Antwort meine Verwirrung sehr gut aus, „Und was genau willst du wissen?“ „Familie“, entgegnete mir das Mädchen mit einem Wort. Mein verdutzter Gesichtsausdruck reichte wohl aus, damit sie weiter ins Detail ging: „Ich will wissen wie es ist eine Familie zu haben. Fürs erste teilst du dein Wissen über Großmütter.“ Noch immer war ich sichtlich irritiert. Ich hatte mit so einigem gerechnet, aber nicht mit etwas derartigem. „Wir treffen uns am Sonntag um 15 Uhr vor der Zentralbibliothek. Sei pünktlich!“, befahl mir die Jüngere. „Das ist doch total ironisch. Wie soll ICH dir denn was über Familie erzählen?“, stammelte ich, die keine besaß. Natürlich könnte ich etwas über Rabenväter oder Brüder erzählen, aber da würde es auch schon enden. Ich hatte weder Großeltern, noch Cousins, Tanten oder Onkel. Da war niemand und es hatte mich bisher auch nie gestört. Ich war so aufgewachsen und vermisste es auch nicht jemand derartiges in meinem Leben zu haben. Eigentlich war es sogar ganz angenehm, denn man musste nicht ständig auf irgendwelchen Familienfeiern aufkreuzen. Andererseits bekam man so auch kaum Geschenke zum Geburtstag. Es hatte seine Vor- und Nachteile. Aber da hatte ich bisher nur selten drüber nachgedacht. Das meiste was ich wusste, hatte ich aus Erzählungen von Ami oder anderen Klassenkameraden aufgeschnappt. „Ich bin mir sicher, dass du einiges an Wissen besitzt und demnach alles erklären und zeigen kannst. Deswegen treffen wir uns ja auch in deiner Welt“, beharrte die Assistentin darauf, „Also dann. Wir sehen uns.“ Kurz darauf wurde es auch schon schlagartig dunkel. Wie jedes Mal kam ich natürlich nicht dagegen an und fiel wieder in eine Art Bewusstlosigkeit.   Kapitel 35 - Verschlafen ------------------------ Samstag, 16. Mai 2015   Mit gemischten Gefühlen, standen die drei Persona-User zusammen mit dem Portalwächter und Akira in Rins Zimmer. Sie hatten sich an diesem Spätnachmittag dazu verabredet, um erneut in den Dungeon zu gehen. Zuvor diskutierten sie natürlich noch ausgiebig darüber von wo aus sie starten wollten. Schlussendlich stellten sie fest, dass es in diesem Fall keinen Sinn machte wieder auf den alten Schuppen zurückzugreifen. Während Rin voller Tatendrang war und Kuro einfach nur keinen Bock hatte, war der Rest ziemlich unsicher. Amika war zwar stark im Vorteil gegenüber dem Eis, allerdings hatte sie beim letzten Mal bereits bemerkt, dass dieser Ort überaus gefährlich war. Die Zweifel des Rothaarigen hingegen waren am stärksten. Da er keine Persona besaß und bereits mehrfach hilflos zugesehen hatte, war er sich unsicher darüber, ob es für ihn überhaupt Sinn machte mitzukommen. Der Jüngste im Bunde war ebenfalls angespannt, was wohl hauptsächlich an der allgemeinen Stimmung lag. „Lasst uns endlich losgehen!“, stieß die Blauhaarige aus und drehte den Timeless Key im Schloss ihrer Zimmertür. Schlagartig wurde es still und alle konzentrierten sich auf das Geschehen. Sie wollten unter gar keinen Umständen jemandem begegnen. Die Luft war rein und die Gruppe huschte schnell zu Ruris vereister Zimmertür herüber, um diese mit dem silbernen Schneeflocken-Schlüssel zu öffnen. Wenige Sekunden später stand die Gruppe dann im Dungeon und die altbekannten Umhänge legten sich wieder über die Schultern der Oberschüler. Durch das Horo beförderte Skye die Truppe dann zurück zum letzten Standort, wo alle nochmal durchschnauften, ehe sie die große Tür öffneten. Hinter dieser lauerte etwas Starkes. Das war allen klar. Genauso klar wie die Tatsache, dass daran sowieso kein Weg vorbeiführte. Nachdem jeder eingetreten war, verschloss sich der Durchgang von selbst und die Gruppe war eingesperrt. Der Raum in welchem sie sich befanden, war relativ weitläufig und zum ersten Mal nicht komplett aus Eis. Es war eine Art Oase mit etwas Grün um den großen See herum, welcher fast den ganzen Platz einnahm. „Ein See?“, war die Brünette verdutzt. Auch Akira war überrascht: „Das habe ich jetzt auch nicht erwartet. Vor allem ist das der erste Ort an dem mal nicht alles vereist ist.“ „Ich hab so das Gefühl, dass ich hier gewaltig im Nachteil sein werde“, entgegnete Amika. Da Feuer bekanntlich nicht so hilfreich gegen Wasser war, hatte das Mädchen nicht so ganz unrecht. Anders sah es da allerdings wiederum bei Kuro aus. Dieser hatte nämlich das passende Element gegen mögliche Wasserangriffe. Noch ehe die Gruppe es schaffte sich passende Strategien zurechtzulegen, tauchte plötzlich ein Wesen aus Wasser aus dem See auf. Es war sicherlich dreimal so groß wie die Schüler und konnte problemlos auf der Wasseroberfläche stehen. Natürlich fackelte dieses auch nicht lange und schickte mit einem kurzen Sprung eine gigantische Welle, so breit wie der Raum, in die Richtung der Truppe. Es ging viel zu schnell, sodass keiner der Wassermenge ausweichen konnte und alle mit voller Wucht weggedrückt wurden. So passierte es, dass sich die Gruppe unfreiwillig trennte. Während Akira und Skye an die Eingangstür geschleudert wurden, verschleppte der Stoß Amika in die rechte Ecke. Schwer getroffen lag sie am Boden, da das Wasser ihr besonders stark zusetzte. Rin wurde zusammen mit dem Suzuki-Erben in die linke Ecke gespült. Kaum war die Welle wieder zurückgegangen, sprang der Schwarzhaarige energisch auf und setzte direkt zu einem Konterangriff an. In seinen Fingern zerdrückte er dazu den Smaragd und rief: „Persona!“ Sarubi erschien sofort und setzte auf Befehl ‚Doro‘ ein. Die Erdattacke traf und ließ das Wasserwesen etwas zurücktaumeln. „Geht’s euch gut?!“, hörte man die Stimme des Rothaarigen, welcher sich sorgte. „Geht so!“, ertönte es gequält aus der rechten Ecke. Einzig von Kuro kam eine positivere Antwort: „Ja! Lasst uns dieses Vieh schnell besiegen, bevor es wieder einen Tsunami loslässt!“ „Was ist das überhaupt für ein Ding?!“, hörte man wieder Akiras Stimme. „Hört doch endlich mal auf zu brüllen und benutzt eure Horos!“, war Skye von der Schreierei genervt. Der Jüngste hatte recht, denn so konnte man viel leichter kommunizieren. Warum hatten sie daran nicht eher gedacht? „Das sieht aus wie ein Stier aus Wasser“, ertönte die Stimme der Brünetten als erste über das Gerät. „Hat Ähnlichkeit damit“, grübelte der Rothaarige, ehe der Portalwächter die nette Unterhaltung beendete: „Passt auf! Er greift gleich wieder an!“ „Wir brauchen eine Strategie!“, rief der Suzuki-Erbe, als im gleichen Moment wahllos kurze Wasserstrahle auf sie zugeschossen kamen. Die Gruppe hatte starke Probleme beim Ausweichen. Amika war die erste, die es erwischte und zu Boden drückte. Ihr Klassenkamerad streifte es im Gesicht, wodurch ein kleiner blutender Schnitt zurückblieb. Der Grundschüler konnte sich soweit schützen, indem er sich hinter Akira versteckte. Kuro hatte es geschafft eine kleine Erdmauer zu errichten, welche nun an einigen Stellen zerbröckelt war, da die Angriffe ordentlich Kraft hatten. Dennoch hielt sie fürs erste stand. Die Geschosse ließen allmählich nach und alle verschnauften. „Geht’s euch gut?“, fragte der Rothaarige vorsichtig, „Was ist mit Rin? Sie hat schon ewig nichts mehr von sich gegeben.“ Nachdem die Brünette beteuerte, dass sie es nicht wusste, begann Kuro sich umzusehen. Er bemerkte erst jetzt, dass Gesuchte wenige Meter hinter ihm bewusstlos an der Wand lag: „Scheiße! Sie liegt hier bewusstlos rum!“ „Wo bist du?!“, kam es panisch von seinem Kumpel. „Wahrscheinlich ist sie aus Angst in Ohnmacht gefallen“, mutmaßte Amika. „Kommt am besten all zu mir rüber. Ich bin links vom Eingang irgendwo“, erklärte der Schwarzhaarige, „Ich errichte eine Verteidigung.“ Gesagt getan, nutzte der Oberschüler seine Elementarfähigkeiten, um eine dicke Mauer aus Erde hochzuziehen. Diese formte er recht breit, dafür aber nicht höher als 1,5 Meter. So blieb sie vermutlich am standhaftesten. Im Anschluss wandte er sich sofort der Bewusstlosen zu und überprüfte ihren Gesundheitsstatus. Erleichtert musste er feststellen, dass sie keine schweren körperlichen Verletzungen aufwies. Eventuell würde sie eine Beule am Kopf bekommen. Das wars dann aber auch schon. Gerade als der Suzuki-Erbe aufatmete, stieß sein Kumpel zusammen mit dem Grundschüler dazu. Der Rotschopf kniete sich nieder und nahm das Mädchen sofort in den Arm: „Oh Gott ich habe mir solche Sorgen gemacht.“ „Brauchst du nicht“, stand der Ältere wieder auf, „Ihr geht’s gut. Shiori-chan hatte recht. Die Nervensäge ist vermutlich nur aus Panik vor Wasser in Ohnmacht gefallen.“ Gequält ihr wieder nicht helfen zu können, zog er das Mädchen nur stärker an sich heran. Er fühlte sich abermals so hilflos und schwach und fragte sich erneut warum er überhaupt mitgekommen war. Andererseits würde er es nicht aushalten, wenn Rin ohne ihn in den Dungeon gegangen wäre. Da würde er sich noch viel mehr Sorgen machen. Abgehetzt kam nun auch die letzte endlich an: „Alles okay bei euch? Wie geht es Rin?“ Als Antwort kam eine kurze Bestätigung, dass alles in Ordnung sei, ehe Kuro das Thema wechselte: „Äh… Leute? Was ist das?“ „Sieht aus wie überdimensionale Seifenblasen“, blickte die Brünette zum Kampffeld. Während die Schüler mit Rin beschäftigt gewesen waren, hatte der Gegner die Chance genutzt und Unmengen dieser herumschwirrenden Blasen erzeugt. Aber ob sie auch so harmlos waren wie sie aussahen? „Erfahrungsgemäß würde ich behaupten, dass die vermutlich zerplatzen und einen heftigen Stoß aussenden“, überlegte Akira, welcher schon das ein oder andere Videospiel in der Hand hatte. „Wer weiß“, meinte der Schwarz-Blauhaarige, „Es gibt zwar einige Parallelen, aber es ist trotzdem kein Spiel. Abgesehen davon können auch in Spielen solche Blasen die unterschiedlichsten Effekte haben. Es ist dennoch Vorsicht geboten.“ „Hier zu stehen und zu grübeln bringt uns auch nicht weiter. Mal sehen was die Dinger so können“, zückte der Suzuki-Erbe seine Pistolen und schoss auf eines der entfernteren Ziele, bevor ihn jemand aufhalten konnte. Panik machte sich unter dem Rest der Gruppe breit, da sie wegen der Aussage des Rotschopfes eine Kettenreaktion vermuteten, welche nicht ganz ungefährlich enden würde. Die Blase zerplatzte schließlich wie erwartet, gab aber nur eine unscheinbare Flüssigkeit frei. Diese spritzte zu Boden und ätzte augenblicklich ein großes Loch hinein. „Ist da Säure drin?“, schreckte Amika zurück. Der Schwarzhaarige versuchte es zu analysieren: „Ich glaube da muss etwas Stärkeres drin sein. Der Effekt ist wirklich heftig. Wenn wir davon getroffen werden, könnte das tödlich enden.“ „Aber wie sollen wir daran vorbeikommen? Diese Blasen sind die perfekte Verteidigung“, versuchte Akira bereits sich Maßnahmen zu überlegen. „Wir könnten sie alle auf einmal sprengen und uns unter einer Erdmauer verstecken“, überlegte das Mädchen. Skye hingegen hatte Einwände: „Das halte ich für die denkbar schlechteste Idee. Das Zeug da drin ätzt alles weg, wie wir eben gesehen haben. Wer weiß ob die Mauer dem standhält. Wenn am Ende doch etwas durchsickert, haben wir ein Problem.“ „Er hat recht“, tat Kuro seine Meinung kund, „Wir müssen sie stückchenweise vernichten und hoffen, dass sie keine Kettenreaktion auslösen. Wobei ich glaube, dass das nicht passieren wird. Die Hülle scheint das einzige zu sein was der Flüssigkeit standhält.“ „Das heißt also, dass wir auf unsere Fernkämpfer vertrauen müssen“, sah der Rotschopf zu seinem Kumpel und seiner Klassenkameradin. Diese nickten nur bestätigend und schossen mit Pistolen und Pfeil und Bogen gezielt auf weiter entfernte Blasen. Akira war zwar in gewisser Weise auch ein Fernkämpfer, aber mit seinem Baseballschläger konnte er nicht so gut zielen und hätte mit erhöhter Wahrscheinlichkeit aus Versehen ein näheres Ziel getroffen. Das war zu gefährlich, um es auszutesten. Wieder war er komplett nutzlos und knirschte verstimmt mit den Zähnen. Warum bloß besaß er nicht auch solche Fähigkeiten wie die anderen? „Achtung, er greift an!“, schrie der Schwarz-Blauhaarige plötzlich. Es schwebten noch immer einige der ätzenden Kugeln im Raum herum und ein wahlloser Angriff des Wasserstiers würde diese sicherlich unkontrolliert zerplatzen lassen. Was sollten sie bloß tun? Blitzschnell reagierte der Älteste und errichtete mit der bereits stehenden Mauer eine Art Unterschlupf aus Erde, welcher hoffentlich standhielt. Panisch kauerte die Gruppe in der kleinen Höhle, während Kuro damit beschäftigt war von innen die Wände mit seiner Kraft zu stützen. Es fiel ihm sichtlich schwer den Schutz aufrecht zu erhalten, denn dieser bebte durch die Angriffe ihres Gegners. Man konnte klar vernehmen, wie unaufhörlich heftige Attacken auf das zerbrechliche Schutzschild einprasselten. Nach einer Weile hörte es schließlich wieder auf. Auf der Hut schaute der Schwarzhaarige durch einen kleinen Spalt, welchen er öffnete, um zu checken, ob die Luft rein war. Zu seinem Glück wirkte es für den Moment sicher und er atmete erleichtert aus. Plötzlich brach er jedoch vor Erschöpfung zusammen und der wenige Rest Erde, welcher als Dach diente bröselte herunter. Nun stand nur noch die recht niedrige Mauer ringsherum. „Kuro!“, stieß der Rothaarige panisch aus, „Ist alles in Ordnung?!“ Panisch rüttelte er an seinem Kumpel, um zu sehen ob er okay war. Eine Antwort blieb jedoch aus. „Der Einsatz unserer Fähigkeiten ist sehr kräftezehrend. Das wird ihn wohl umgehauen haben“, biss sich Amika auf die Unterlippe. Die nervigen Blasen waren zwar verschwunden, aber ihre Kampfkraft hatte auch enorm abgenommen. Dazu kam noch, dass Feuerangriffe nicht unbedingt hilfreich gegen Wasser waren. Was sollte die Oberschülerin jetzt bloß tun? Entschlossen spannte sie ihren Bogen und richtete einen ihrer Pfeile auf den Stier, welcher noch immer in der Mitte des Sees stand. Da sie wusste, dass ihre Elementarkraft hier nichts brachte, entzündete sie ihr Geschoss nicht und zielte einfach. Treffsicher zischte der Pfeil zu ihrem Gegner. Siegessicher hüpfte das Mädchen klatschend, ehe sie realisierte, dass ihr Angriff einfach durch den Stier hindurchglitt und im Wasser versank. „Was war das denn?“, weiteten sich Akiras Augen vor Schock. „Er ist einfach durchgeflogen ohne Schaden anzurichten“, kommentierte der Jüngste die rhetorische Frage. „Shit“, fluchte die Brünette leise und griff zu Plan B. Sie warf ihren Rubin leicht in die Höhe und zerbrach ihn mit einem Händeklatschen: „Persona!“ Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, erschien in einem Feuerwirbel Taiga. „Taiga, setze ‚Cleave‘ ein und zeige es diesem Ding!“, befahl das Mädchen und deutete mit dem Finger auf den Gegner. „Ich glaub das wird nichts bringen“, kam es von Skye, als die Persona soeben zum Angriff ansetzte. Die Brünette hingegen ließ sich davon nicht beirren und verfolgte hartnäckig ihr Ziel. Wie sich herausstelle hatte der Grundschüler allerdings recht, denn Taigas Attacke ging genauso durch das Wesen wie der Pfeil zuvor. Und da die Persona dem Stier nun so nah war, nutzte dieser die Gelegenheit für einen Gegenangriff. Mit einigen Wassergeschossen traf er den Feuertiger aus nächster Nähe und sie ging zu Boden. Oder besser gesagt: Sie versank im See, ehe sie zu Staub verpuffte und in der Form des Rubins zu ihrem Besitzer zurückkehrte. Amika hatte dadurch selbst einiges an Schaden erlitten und ging außer Atem auf die Knie. „Bist du okay?“, kam es besorgt von Akira. „Es geht“, wischte sich das Mädchen den Schweiß von der Stirn, „Aber ich bin komplett machtlos gegen dieses Ding.“ „Physische Angriffe wirken nicht und Feuer erstrecht nicht. Das ist gar nicht gut“, knirschte der Schwarz-Blauhaarige mit den Zähnen. „Aber eigentlich haben wir Feuer noch gar nicht ausprobiert“, richtete sich die Oberschülerin erschöpft auf. Schwer atmend zielte sie mit einem ihrer Feuerpfeile auf den Stier. Das war aktuell der einfachste Weg, um herauszufinden, ob es nicht vielleicht doch eine Wirkung erzielte. Mit Leichtigkeit traf sie mitten ins Ziel, musste aber feststellen, dass der Pfeil wieder hindurchglitt und das Feuer zischend erlosch ohne irgendwelchen Schaden angerichtet zu haben. „Das war zu erwarten“, kam es trocken aus Skye. „Wir brauchen Kuro“, stellte der Rothaarige fest, „Seine Erdangriffe haben bisher als einziges eine Wirkung gezeigt. Mal ganz davon abgesehen, dass wir unseren Gegner bisher nur einmal getroffen haben und er noch quicklebendig ist. Im Gegensatz zu uns.“ „Aber wie bekommen wir ihn wieder aufgepeppt?“, fragte Amika missmutig. Auch der Rotschopf wusste keine sinnvolle Antwort: „Ich hab zwar entsprechenden Proviant dabei, aber wenn er bewusstlos ist, kann er den schlecht einnehmen. Unsere einzige Chance ist es aktuell, wenn wir Rin aufgeweckt bekommen. Ihre Persona beherrscht Heilmagie.“ Da dies wirklich der einzige Ausweg zu sein schien, versuchte der junge Mann die Ohnmächtige wieder ins Hier und Jetzt zu bringen. Die Brünette beobachtete währenddessen den Gegner, um keinem Überraschungsangriff ausgeliefert zu sein. „Oh je, ich glaube gleich kommt wieder irgendwas“, stammelte die Oberschülerin, „Schnell Akira! Wenn der wieder seine Seifenblasen ausspuckt, sind wir geliefert.“ „Ich versuche es ja, aber Rin ist echt nicht wachzubekommen“, verzweifelte er. Doch kaum hatte er das ausgesprochen erhellte sich das Gesicht des Jüngsten: „Ich glaub sie wacht auf!“ „Leute~… schneller“, jammerte Amika, „Das sieht so aus als würde er wieder Energie sammeln und gleich irgendwas abschießen.“ Ziemlich benebelt kam die Blauhaarige wieder zu sich und richtete sich langsam auf. „Geht’s dir gut?“, löcherte der junge Mann das Mädchen direkt mit einer Frage. „Dafür ist keine Zeit!“, rief Skye, „Rin, wirke ‚Dia‘ so schnell du kannst auf Kuro!“ Verwirrt von der Panik, reagierte sie so schnell es ihr Halbschlaf zuließ und heilte den Schwarzhaarigen. „Es kommt!“, schrie die Brünette und duckte sich hinter der schützenden Mauer. Die Schüler zogen allesamt die Köpfe ein und hofften, dass die Wassergeschosse bald enden würden. Sie konnten eigentlich von Glück reden, dass es nur Geschosse waren und keine Blasen oder ein halber Tsunami ausgestoßen wurde. Endlich war der Suzuki-Erbe wieder bei Sinnen und verstand auch sofort was passierte. Einzig die Stipendiatin wusste noch immer nicht was vor sich ging. „Nimm das“, streckte der Rothaarige seinem Kumpel eine grün-schwarze Dose Monster entgegen, „Beeil dich. Du bist der Einzige, der dieses Vieh besiegen kann. Physische Angriffe haben nämlich keine Wirkung!“ Ohne groß Fragen zu stellen, pumpte er die Dose ab, während er mit einer Hand seine Energie bündelte, um die Verteidigung wieder zu stärken. Diese wäre nämlich sonst in den nächsten Sekunden komplett zerfallen. Als endlich wieder Ruhe war, lugte die Gruppe vorsichtig zu ihrem Gegner herüber. Er pausierte soeben und versuchte erstmal wieder Energie zu bündeln. „Das ist unsere Chance!“, sprang Kuro voller Elan hervor und beschwor Sarubi, „Huh? Das ist neu.“ Ein verwirrter Blick auf seinen holografisch angezeigten Bildschirm verriet ihm, dass seine Persona eine neue Attacke einsetzen konnte. „Schnell, setze ‚Doronga‘ ein und erledige diesen Stier!“, befahl der Schwarzhaarige, woraufhin sich der Affe in Bewegung setzte und einen recht starken Erdangriff startete. Dieser riss den Gegner völlig mit sich und zog ihn stark in Mitleidenschaft. Besiegt war er allerdings noch immer nicht. „Juhu, er liegt am Boden!“, jubelte Amika. Auch der Rothaarige sprang begeistert auf: „Ja man, endlich haben wir mal gepunktet!“ Auch Skye schien sehr erfreut, schwieg jedoch. Sie konnten zwar endlich mal Schaden anrichten, waren aber noch nicht in Sicherheit. Es könnte noch sonst was passieren. Einzig Rin sah dem Geschehen ziemlich bedröppelt zu. Eigentlich hatte sie nichts von dem was bisher geschah mitbekommen. Als sie die Wassermengen auf sich zukommen sah, fiel sie recht schnell vor Panik in Ohnmacht. Aber abgesehen davon war ihr verdammt kalt. In dem Dungeon war es sowieso schon nicht sehr warm und nun war sie auch noch nass von der Welle, die sie zu Beginn mitgerissen hatte. Alle anderen waren auch noch klatschnass, schienen aber nicht zu frieren. Warum war das bloß so? Bibbernd schlang das Mädchen die Arme um ihren Oberkörper und folgte dem Kampf. Auch wenn sie wahnsinnige Angst vor dem ganzen Wasser hatte, so musste sie einfach zusehen, um vorbereitet zu sein. Im Moment sah es jedoch nicht so aus, als würde demnächst wieder etwas über sie hereinbrechen. Der Wasserstier lag getroffen auf der Wasseroberfläche und bewegte sich nicht. Diese Chance nutzte Kuro natürlich direkt aus, weswegen er erneut ‚Doronga‘ rief und Sarubi dies unverzüglich ausführte. Kaum prasselte der Erdangriff auf den Gegner herein, war dieser auch schon zu Staub zerfallen und stieg in einigen Lichtpartikeln hinauf. Einige Sekunden der Stille zogen ins Land, ehe lauter Beifall ausbrach. Der ausweglos wirkende Kampf war endlich entschieden und das verschlossene Tor am anderen Ende des Raumes öffnete sich. „Ich dachte dieses Mal wirklich, dass wir alle draufgehen“, schnaubte Akira erleichtert. Die Brünette wischte sich den Schweiß von der Stirn: „Das dachte ich ehrlichgesagt auch. Keine Ahnung wie wir das schlussendlich geschafft haben.“ „Vielleicht hätten wir uns vorher eine Strategie ausdenken müssen“, entgegnete der Suzuki-Erbe. Skye war jedoch anderer Meinung: „Uns fehlen die Informationen, um Strategien im Vorfeld zu entwickeln. Wir wissen nicht genau welche Gegner uns erwarten und mit was sie uns in Beschuss nehmen.“ „Aber wir wissen in etwa welches Element gegen welches effektiv ist“, argumentierte Kuro dagegen. „Das hilft dir noch lange nicht beim Erstellen einer sinnvollen Kampfstrategie“, blieb der Jüngste negativ eingestellt. „Ist doch jetzt erstmal gut, Jungs“, versuchte Amika die Diskussion zu beenden. Allerdings war es das laute Niesen der Blauhaarigen, welches den anbrechenden Streit unterbrach. „Ist dir kalt?“, schaute der Rothaarige seine Freundin besorgt an. Anhand dessen, dass sie am ganzen Leib zitterte war dies allerdings unschwer zu übersehen. „Warte, ich trockne uns. Sonst werden wir alle noch krank“, meinte die Brünette und hüllte ihre Hände in kleine, aber heiße Flammen, mit welchen sie ihre Kameraden trocknete. „Was ist eigentlich mit dir passiert?“, begutachtete Amika den Suzuki-Erben, welcher ihr nur noch bis zur Schulter ragte. Ein ziemlich genervtes Schnalzen mit der Zunge entwich dem Geschrumpften. Eine Antwort blieb jedoch aus. Es war Akira der schließlich die klärenden Worte parat hatte: „Wenn Kuro sich zu sehr verausgabt und es mit seiner Kraft übertreibt, dann schrumpft er dementsprechend.“ „Du siehst aus wie ein frisch eingeschulter Mittelschüler“, kicherte Rin, welche es sich nicht verkneifen konnte den Schwarzhaarigen aufzuziehen. Dieser fand das alles andere als toll und murrte: „Ach sei leise. Wenigstens benehme ich mich im Gegensatz zu anderen nicht wie einer.“ „Was soll das denn heißen?“, fühlte sich die Blauhaarige direkt angegriffen und es entbrannte mal wieder eine Diskussion zwischen den beiden.   Kapitel 36 - Außenseiterin -------------------------- Samstag, 16. Mai 2015   Nachdem die Gruppe den Zwischenboss bezwungen hatte, machte sie eine kurze Verschnaufpause. Dort diskutieren sie heftig aus, ob sie sich nicht doch lieber erstmal in ihre Welt zurückziehen sollten. Rins energische Einwände verwarfen diese Idee allerdings, denn vermutlich war auch in diesem Dungeon ihre Zeit begrenzt. Zwar waren sie sich nicht sicher, wann genau diese um war, jedoch konnte es erfahrungsgemäß nicht mehr allzu lange dauern. Schlussendlich rafften sich alle auf und die Truppe beschritt ihren weiteren Weg. Dieses Mal wieder auf die altbewährte Weise durch die Kerkerlandschaft aus Eis. Dort trafen sie auch wieder auf schwächere Gegner wie zum Beispiel Jack Frost, Silky oder Apsaras, mit welchen sie relativ leicht zurechtkamen. Es dauerte auch nicht allzu lange, bis sie wieder in einer Sackgasse standen. „Hier geht es wohl nicht weiter“, stelle Kuro fest, welcher schon wieder jegliche Lust verloren hatte. Er wollte endlich wieder zurück und seine angestaute Arbeit verrichten. Einerseits war es für ihn zwar von Vorteil je früher Ruri ihn wieder unterstützen konnte, andererseits kam ihm die Zeit hier so verschwendet vor. Auch wenn auf ihrer Seite des Portals keine Zeit verging, so war er anschließend immer hundemüde und zu kaum noch etwas fähig. „Doch, hier sollte ein Durchgang sein“, erwiderte Skye. „Als wir beim ersten Besuch dachten in einer Sackgasse zu sein, war dort auch eine versteckte Tür“, erklärte Akira dem Schwarzhaarigen welche Erkenntnis sie zuvor erlangt hatten, „Hier wird es vermutlich ähnlich sein.“ Während der Rotschopf dem Unwissenden erzählte was sie anschließend hinter dieser Geheimtür erwartet hatte, schafften es die Mädchen den Mechanismus ausfindig zu machen und den Durchgang zu öffnen. „Ob wir jetzt wieder in einem Schulsaal landen?“, trat die Blauhaarige mit Vorsicht als erste ein. „Auszuschließen ist es jedenfalls nicht“, folgte ihr ihre beste Freundin. Es war keine große Überraschung für die Gruppe, als sie sich schlussendlich in einem der Schulräume wiederfanden. Natürlich bestand dieser auch wieder komplett aus Eis. Kaum war auch der letzte eingetreten, verschloss sich die Tür wie von Geisterhand und sie waren wieder mal eingeschlossen. Bereits darauf vorbereitet starrten die Schüler allesamt an die große Tafel aus Eis und erwarteten die Aufgabe, welche sie dieses Mal bekommen würden. Tatsächlich formten sich auf dieser wie erwartet Worte:   Examen Fach: Physik Beantworte folgende Frage Was zieht Ruri magnetisch an? A. Männer                          B. Arbeit C. Prüfungen                     D. Kranke   „Wenn sowas mal als echte Schulaufgabe kommen würde, wäre das Ganze sicherlich nicht mehr so schwer“, jammerte Rin. Der Suzuki-Erbe ignorierte dies jedoch: „Das soll eine Prüfungsfrage sein? Was ist das denn für ein Mist?“ „Hm…“, grübelte Amika ernsthaft darüber nach, „Also, wenn das eine echte Prüfungsfrage wäre, dann fände ich sie tatsächlich noch um einiges schwieriger als unser eigentliches Examen. Weißt du etwa die Antwort, Rinacchi?“ Angesprochene zögerte kurz: „Na ja, also… ich meinte ja jetzt nicht exakt diese Frage, sondern eher solche zwischenmenschlichen Dinge im Allgemeinen.“ „Die Antworten sind wirklich nicht so leicht, aber ich denke A können wir schonmal ausschließen, oder was meint ihr?“, versuchte der Rothaarige als einziger eine Lösung zu finden. Seine Klassenkameradin zog ihm schlussendlich hinterher: „Bedingt durch diesen wirren Dungeon würde ich vermuten, dass C die richtige Antwort ist. Sie scheint Prüfungen magnetisch anzuziehen.“ Während die Stipendiatin ihrer besten Freundin sofort zustimmte, hatte Kuro da so seine Einwände: „Ich glaube nicht, dass sie Prüfungen magnetisch anzieht. Immerhin kommen die sowieso. Hier geht es eher darum, herauszufinden was von diesen vier Kriterien vermehrt auf unsere Schülersprecherin zutrifft.“ Ein kurzes Schweigen brach aus, da offensichtlich keiner außer Kuro den eigentlichen Inhalt der Frage richtig erörtert hatte. Demnach war er es, der darauf eine besser begründete Lösung wusste: „Da sie Prüfungen nicht vermehrt anhäufen kann und ich bisher nicht erlebt habe, dass sie häufig von Männern belagert wurde, tippe ich auf B. Immerhin lädt sie sich immer enorm viel Arbeit auf.“ „Jetzt hast du aber Antwort D vollkommen außer Acht gelassen“, hatte Rin einen Einwand. Diesen hinterfragte der Ältere direkt mit einer genervten rhetorischen Frage: „Klingt das für dich, als würde es Sinn ergeben?“ „Aber so komplett Unrecht hat Rin da nicht“, erwiderte nun auch Akira, „Haben Miuna-chans Eltern nicht ein Krankenhaus?“ „Genau!“, stemmte die Blauhaarige ihre Hände in die Hüfte und fühlte sich in ihrer Annahme bestärkt. „Sag mal, wann genau hast du mir eigentlich mal zugehört?“, schnipste der Schwarzhaarige genervt mit den Fingern gegen die Stirn seiner Assistentin, „Liegt es etwa an Ruri, dass sich dort vermehrt kranke Menschen tummeln? Nein. Denn das ist ein Krankenhaus. Die Leute kommen da hin, weil sie krank sind und dort versorgt werden und nicht, weil sie von einer Schülerin dort magnetisch hingezogen werden.“ „Ach so, jetzt habe ich es verstanden“, fiel bei Akira der Groschen. Vermutlich waren es auch diese Worte, die die Blauhaarige davon abhielten eine tiefere Diskussion zu starten. Zwar beschwerte sie sich dennoch darüber, dass der junge Mann ihr schon wieder gegen die Stirn geschnipst hatte, bekam sich aber recht schnell wieder ein. Irgendwie kam sie sich sogar ein wenig dumm vor, dass sie die Frage offensichtlich nicht richtig verstanden hatte, obwohl sie so simpel erschien. Sollte die Antwort nicht unerwarteter Weise aus dem Bild fallen, welches sie alle von Ruri hatten, so blieb tatsächlich als einzig logische Antwort nur B. Selbstsicher schritt der Suzuki-Erbe zur Tafel, um die richtige Lösung auszuwählen. Ein kurzes Tippen, lies das ausgewählte Wort kurz weiß aufleuchten, ehe der Raum plötzlich in rotes blinkendes Licht getaucht wurde. Zudem ging ein ohrenbetäubender Lärm los. „Das war falsch! Geht in Deckung!“, meldete sich der Jüngste im Bunde nun auch mal zu Wort. „Aber das macht doch gar keinen Sinn!“, knirschte Kuro mit den Zähnen und nahm genau wie die anderen eine Kampfhaltung ein. Vor der Gruppe erschien ein weiblich aussehender Shadow, welcher in ein weißes Gewand gehüllt war, das violette und gelbe Akzente aufwies. Ihre pechschwarzen Haare waren zu zwei Zöpfen gebunden, die bis zu ihren Knien ragten. In den Händen hielt sie gelbe Fächer, welche sie scheinbar zum Angriff nutzte. „Das ist Ame no Uzume! Ein Wassertyp! Seid vorsichtig!“, gab Skye nützliche Informationen weiter. „Dieses Mal wäre ich auch von selbst draufgekommen, dass sie vom Typ Wasser ist“, murmelte Rin ein wenig verstimmt. Da sie einst bei Jack Frost nicht kapierte, dass es sich um einen Eis-Typ handelte, wollte der Grundschüler einfach kein Risiko mehr eingehen. Obwohl der Elementartyp sich praktisch auch in ihrem Namen verbarg. Amika war die erste, die ihre Persona beschwor. Wohlwissend, dass sie mit Taigas Feuerangriffen nicht weit kam, befahl sie ihr mit ‚Cleave‘ einen physischen. Dieser traf den Shadow sogar, richtete aber kaum Schaden an. Die Chance nutzte auch der Schwarzhaarige, indem er Sarubi mit einer Erdattacke angreifen ließ. Diese setzte Ame no Uzume um einiges mehr zu und sie ging zu Boden. Allerdings hatte es nicht den Anschein, dass sie bald besiegt sein würde. Natürlich wollte auch Rin in diesem Moment nicht schon wieder hintenanstehen und beschwor Kyusagi. Da die Stipendiatin nicht genau wusste wie sich Wasser gegen Wasser verhielt, befahl sie ihrer Persona mit ‚Single Kick‘ einen physischen Angriff. Dieser traf zwar, schien jedoch genau wie zuvor bei der Tigerlady keinen redlichen Schaden zu verursachen. „Verdammt“, fluchte die Blauhaarige. Es nervte sie nicht nur, dass der Treffer kaum eine Schramme hinterlassen hatte. Hauptsächlich war es der Konkurrenzkampf mit Kuro, welcher sie anstachelte. Immer und immer wieder verlor sie bisher gegen den Älteren und das machte sie rasend. Da sie beim Zwischenboss überhaupt nichts ausrichten konnte, wollte sie nun im weiteren Verlauf die Oberhand gewinnen. Aber das war schwerer als gedacht. Vor allem, weil ihr Element in diesem Dungeon aus Eis eher unvorteilhaft war. Es waren ihre beiden Kameraden, welche abwechselnd im Vorteil waren und sich mit gefühlter Leichtigkeit den Weg bahnten. Plötzlich setzte der Shadow zum Angriff an und ein harter Regen prasselte auf die ganze Gruppe nieder. Zwar erschien es im ersten Moment kaum schlimm, nach wenigen Sekunden begannen die harten Tropfen dann aber doch zu schmerzen. Je länger das Nass herunterregnete, umso schmerzhafter wurde es. Amika hatte es sogar besonders schwer getroffen. Diese sackte zu Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Das war wieder mal ein Beweis dafür, wie wichtig es war mit dem passenden Element zu punkten. Während Rin sich soeben um ihre beste Freundin kümmerte, befahl der Suzuki-Erbe einen erneuten Erdangriff. Daraufhin ging das Wesen zu Boden, weshalb der junge Mann die Chance nutzte und dieses direkt nochmal attackierte. Der Regen hörte plötzlich ziemlich abrupt auf, als der Shadow verpuffte und in kleinen Lichtpartikeln hinaufstieg. „Geschafft!“, jubelte Akira heilfroh. Auch der Rest der Truppe atmete erleichtert auf, konzentrierte sich aber auf die Verletzte. Die Wunden waren dank Kyusagi jedoch schnell versorgt und der Weg konnte weiterbestritten werden. Wieder erstreckte sich ein endloser verworrener Kerker vor der Gruppe, durch welchen sie gehen musste, um weiterzukommen. Auch hier begegneten ihnen weitere kleine Shadows, die ihnen das Leben unnötig erschwerten. Nach einigen Minuten erreichten die Schüler mit müden Schritten einen Ausgang, welcher so hell erleuchtet war, dass man gar nicht sehen konnte was sich dahinter erstreckte. „Sei vorsichtig“, kam es vom Rotschopf, welcher die Stipendiatin zurückhalten wollte. Jedoch ließ diese sich nicht beirren und trat vorsichtig hindurch: „Woah wie krass!“ Die erstaunten Worte des Mädchens weckten die Neugierde ihrer Kameraden, welche ihr sogleich folgten. Überwältigt von der glitzernden und strahlend hellen Eislandschaft, bewunderten erstmal alle ihre neue Umgebung. Sie waren auf einer Art Außenkorridor aus Eis gelandet. Dieser war brusthoch eingezäunt und überdacht, wie man es vom Außengelände von Schulen kannte. Allerdings gab es dort keine Möglichkeit vom Weg abzukommen, da die Sichtfläche von Zaun bis Dach ebenfalls mit durchsichtigem Eis beschichtet war. Dahinter erstreckte sich eine strahlend friedliche Naturlandschaft aus Eis. Auch konnte man von weitem ein wenig den Verlauf des verworrenen Ganges erkennen, weswegen die Truppe recht schnell hindurchfand. „Das ist wirklich schön hier“, stellte Amika unterdessen fest. „Ja, im Vergleich zu dem altertümlichen Gefängnis fühlt man sich hier viel sicherer“, stimmte Rin ihr zu. Der Suzuki-Erbe hingegen verwarnte die Mädchen: „Seid trotzdem wachsam. Wir sind immer noch in einem gefährlichen Dungeon.“ Ein genervtes „ja, ja“ kam zur Antwort und das Gespräch über die plötzliche Schönheit dieses Ortes war beendet. Recht bald gelangten sie sogar zum Ende des Korridors und landeten wieder in einem verschlossenen Raum. Dieses Mal konnte man jedoch nicht von einem Zimmer sprechen. Eher war es eine enorme Halle. „Sieht aus wie eine Sporthalle“, sah sich Akira um. „Eine Mischung aus Sport- und Eishalle triffts wohl eher“, fügte die Brünette hinzu. Unrecht hatte keiner der beiden, denn auch hier bestand mal wieder alles aus der kalten glänzenden Masse. Selbst die Bodenmarkierungen, Basketballkörbe, Fußballtore und die dazugehörigen Bälle. Noch bevor das Gespräch über den neuen Ort weitergeführt werden konnte, ertönte plötzlich eine verzerrte Lautsprecherdurchsage:   Examen Fach: Sport Tanzt!   Zum Hinterfragen der eigenartigen Prüfungsaufgabe blieb jedoch keine Zeit, denn plötzlich wurde der Raum in blinkend rotes gedämpftes Licht gehüllt. Ebenso erklang auch wieder der ohrenbetäubende Lärm, welcher immer dann kam, wenn eine Frage falsch beantwortet wurde. „Was geht denn jetzt ab!“, umklammerte die Blauhaarige ihren Schläger fester und machte sich kampfbereit. Auch alle anderen taten es ihr gleich, als im selben Moment plötzlich einige Shadows erschienen. Darunter waren Jack Frost, Silky und eine blaue unbekannte tropfenartige Gestalt. Insgesamten waren dort locker über 30 Gegner schienen, welche zeitgleich mit ihrem Auftreten Attacken abfeuerten. Während die Oberschüler, von einem Bein zum anderen hüpfend den Geschossen auswichen, machte es sich der Jüngste im Bunde in seiner Vogelform bequem und flog in die Höhe. Dort war er fürs erste in Sicherheit. „Ich finde das ziemlich ironisch!“, meckerte Kuro zähneknirschend, „Bezieht sich dieses Tanzen etwa auf das Ausweichen der Attacken?!“ „Möglich! Aber ich denke nicht, dass wir nur damit den Test bestehen. Wir werden die Gegner sicherlich besiegen müssen!“, stand der Rotschopf Rücken an Rücken mit seinem Kumpel. Da sie ringsherum umzingelt waren, hatten sich auch die Mädchen so positioniert, um ihr Sichtfeld zu erweitern. Trotzdem regneten Eis- und Wasserangriffe gleichermaßen auf sie herein. „Skye!“, hörte man die Blauhaarige nur rufen und der Grundschüler schien direkt zu verstehen. Es musste eine Strategie her und eine Analyse des neuen Gegners wäre auch von Vorteil. „Nigi Mitama! So heißt dieser grinsende Wassertropfen!“, kam prompt die Antwort, „Zu den Elementartypen muss ich ja wohl nichts mehr sagen, oder?!“ Verstehend nahm sich Sarubi daraufhin mit Madoro einige der Nigi Mitamas vor. Diese waren von dem Erdangriff schwer getroffen, woraufhin Rin in den Kampf switchte und Kyusagi mit Single Kick losschickte. Da es ein Angriff war, der nur einen Shadow traf, war zumindest dieser besiegt und stieg in leuchtenden Partikeln auf. Auch Amika mischte mit und befahl Taiga Maragi auf einige der Jack Frost und einige der Silkys zu wirken. Diese waren schwer getroffen, weswegen sie noch zwei Feuerpfeile hinterherschickte und zumindest zwei der Eisgegner komplett ausschalte konnte. Der Personalose konnte das natürlich nicht auf sich sitzen lassen und richtete seinen Baseballschläger direkt gegen eine der nahegelegenen Eisladys, welche zuvor schon einen Treffer kassiert hatte. Wieder einer weniger. „Juhu“, jubelte Rin über die vielen kleinen Erfolge. Allerdings wurde sie von Skye ziemlich schnell auf den Boden der Tatsachen geholt: „Das dauert zu lange! Damit seid ihr morgen noch beschäftigt!“ „Er hat recht“, wischte sich der Schwarzhaarige den Schweiß von der Stirn, „Sie sind zwar nicht allzu stark, aber es sind zu viele!“ Wieder wurde das Gespräch von den Shadows mit Geschossen unterbrochen und die Oberschüler waren erneut ziemlich dämlich am Umhertänzeln. „Ich hab eine Idee“, rief die Stipendiatin in die Runde, ehe sie plötzlich einige Luft einzog und den Atem anhielt. Daraufhin wurde sie unsichtbar und man konnte nur noch erkennen wie einige Gegner plötzlich zuckten und mit ihren Attacken stoppten. Hin und wieder wurde das Mädchen kurz sichtbar, da sie nicht so lange ohne Luft zu holen herumrennen konnte. „Das ist gar nicht mal dumm!“, grinste Akira daraufhin siegessicher und wagte sich mit seinem Baseballschläger in die entgegengesetzte Richtung, um dort die Shadows zu vermöbeln, „Gebt uns mit Taiga und Sarubi Rückendeckung!“ „Das ist viel zu gefährlich!“, stieß Skye aus. Der Suzuki-Erbe hingegen schien diese Diskussion nicht führen zu wollen: „Als ob die beiden in dieser Hinsicht auf uns hören würden! Wir dürfen keine Zeit verlieren!“ Letztere Aussage richtete sich an die Feuerkämpferin, welche mit einem selbstsicheren Nicken bestätigte. Gleichzeitig regneten Maragi und Madoro Angriffe auf die Feinde nieder, bis auch der letzte besiegt war. Es war einer der Jack Frosts, welcher als letztes übrigblieb und von Rin soeben den Gnadenstoß versetzt bekommen hatte. Auch dieser verpuffte zu kleinen Lichtpartikeln, welche allerdings nicht wie gewohnt aufstiegen und verschwanden, sondern diesmal von der Oberschülerin aufgesaugt wurden. „Was passiert denn jetzt?!“, betrachtet das Mädchen panisch, wie die Überreste des Shadows in ihre Brust wanderten. Irritiert schauten auch die anderen zu ihr herüber und warteten wie versteinert auf eine Folgereaktion. Diese blieb jedoch aus. „Wie fühlst du dich? Ist alles okay?“, war Akira als erstes zur Blauhaarigen herübergeeilt und packte sie besorgt an den Oberarmen. „J-ja“, kam es nur verwirrt aus ihr. Sie wusste doch selbst nicht genau was da soeben passiert war. „Das sah so aus, als hättest du seine Kraft absorbiert oder so“, traf auch Kuro, gefolgt von den verbliebenen Zweien, bei den beiden ein. Skye nahm nun auch endlich wieder seine menschliche Form an: „Schau am besten mal in dein Horo.“ Gesagt getan stellte Rin schließlich fest, dass sie alternativ zu Kyusagi jetzt auch Jack Frost beschwören und mit ihm kämpfen konnte. „Das hat irgendwie so ein bisschen was von Pokémon sammeln“, blickte die Stipendiatin kritisch drein und wusste nicht genau was sie davon halten sollte. „Wie cool, ich mag auch ein paar Kämpfer zur Auswahl haben“, bewunderte Amika das Glück ihrer besten Freundin. Einzig der Suzuki-Erbe suchte wieder in den Krümeln: „Das macht doch keinen Sinn. Wenn unsere Persona unser wahres Ich widerspiegelt, wie kannst du dann jetzt noch eine haben?“ Ratlos sahen sich alle an und versuchten die Thematik zu begreifen. Jedoch bemerkten sie schnell, dass das wenig Sinn machte, da es so vieles in dieser Welt gab, was sie noch nicht begriffen hatten. Stattdessen versorgte die Truppe zügig ihre Wunden, um weitergehen zu können. Als sie den vor kurzem entstandenen Ausgang nutzten, führte es sie ohne Umwege direkt in eine große Umkleidekabine. In dieser hatten sich offensichtlich einige Schülerinnen umgezogen, denn dort lagen Taschen und Schuluniformen kreuz und quer herum. Eigenartig war nur, dass diese nicht in den Spinden waren, sondern auf den Bänken verteilt, welche inmitten des Raumes platziert waren. Genau wie der ganze Ort, waren auch die Kleidungsstücke völlig aus Eis. Kurz schauten sich die Schüler um und waren ein wenig irritiert über die Sackgasse, in welcher sie gelandet waren. Noch ehe einer etwas dazu sagen konnte, ertönten plötzlich verzerrte weibliche Stimmen, welche sich offenbar miteinander unterhielten. Schlagartig fuhren alle herum, um den Ursprungsort dieser zu suchen. Allerdings konnten sie keinen erkennen. Die Worte kamen aus dem Nichts: „Findest du sie nicht auch eigenartig?“ „Ja schon, aber wenigstens macht sie die ganze Drecksarbeit ohne sich zu beschweren.“ „Ich hab gehört sie wurde von ihren Eltern verstoßen und auf die Suzuki-Akademie abgeschoben.“ „Ist nicht wahr. Krass.“ „Doch. Was glaubst du denn, warum sie in eine andere Stadt geschickt wurde?“ „Jetzt wo du es sagst… Sowas Ähnliches habe ich auch schon gehört. Sie soll wohl ein richtiges Problemkind gewesen sein. Und um dem Ruf der Familie nicht zu schaden, wurde sie weggeschickt.“ „Haha so ein Opfer. Wahrscheinlich benimmt sie sich jetzt nur so vorbildlich und macht jegliche Arbeit, um nicht enterbt zu werden.“ „Wie jämmerlich.“ Mit hämischem Gekicher endete der Dialog und eine unangenehme Stille legte sich über die Gruppe. Diese wurde nach kurzem allerdings von Amika unterbrochen, welche aus allen Wolken fiel: „Reden die von Ruri? Meinen die das etwa ernst?“ „Mir ist nie aufgefallen, dass so schlecht über sie geredet wird“, konnte es der Schwarzhaarige gar nicht glauben. „Ja ja, unser Prinz bekommt so einiges nicht mit“, zuckte Rin gleichgültig mit den Achseln, „Allerdings ist das der größte Müll, den die da von sich geben. Das sind nur Gerüchte, die irgendjemand in die Welt gesetzt hat und die mit jedem Mal abstrakter wurden.“ „Ich finde es gerade echt erschreckend, dass sie gemobbt wird. Hat sie jemals etwas zu euch gesagt?“, konnte es der Rotschopf genauso wenig fassen wie sein Kumpel. „Ich höre das zum ersten Mal“, schüttelte der Älteste den Kopf und schien noch immer sehr schockiert zu sein. „Menschen, die gemobbt werden, rennen nicht los und suchen Hilfe“, kam es bedrückt aus der Brünetten, „Meistens fressen sie es in sich hinein und trauen sich nicht etwas dagegen zu unternehmen.“ „Ist dir etwa schonmal etwas derartiges passiert?“, weiteten sich Akiras Augen. Angesprochene schüttelte leicht den Kopf: „Nein, aber ich habe es aus nächster Nähe miterlebt.“ „Wir driften ab“, wechselte Rin ziemlich plump diese tiefsinnige Unterhaltung, „Vielleicht wird hinter Ruris Rücken über sie geredet, aber aktiv greift sie jedenfalls keiner an. Das trauen sie sich nicht, da unsere Schülersprecherin so nett ist und jegliche Drecksarbeit erledigt, ohne sich zu beschweren. Die anderen wissen ganz genau, dass sie ohne Ruri das Ganze alleine machen müssten. Sie übernimmt ja nicht nur die komplette Arbeit im Schülerrat, nein, denn sie ist nun auch noch Klassensprecherin und kümmert sich um jeden Mist, den sonst keiner machen will!“ Mit jedem Mal wurde das Mädchen immer lauter und wütender. Schon die Tatsache, dass die Eisblauhaarige jeden Tag mutterseelenallein im Ratszimmer hockte und ihre Arbeit verrichtete, ohne nach Hilfe zu verlangen, fand Rin nicht okay. Dass ihr ihre Klassenkameradin aus Angst dann auch noch verbot mal ein Machtwort an die inaktiven Mitglieder zu richten, war mehr als inakzeptabel. So konnte es jedenfalls nicht weitergehen. Dies schien auch dem Suzuki-Erben nun so richtig bewusst zu werden. Bisher hatte er immer eine seiner Assistentinnen aushelfen lassen. Das lag aber auch nur daran, dass er selbst noch einen Berg voll Arbeit an die Schülersprecherin abgeschoben hatte und sie mit Shina oder Rin nur ein wenig entlasten wollte. Grundsätzlich war er damit aber überhaupt keine Hilfe. „Das muss sich ändern“, biss sich Kuro auf die Unterlippe. „Erstmal müssen wir sie retten. Dann können wir immer noch nach Lösungen suchen“, meldete sich Skye nun auch mal wieder zu Wort. Einheitliche Zustimmung kam als Antwort, ehe die Truppe wieder die Umkleide verließ und zurück in der Sporthalle war. Dort entdeckten sie einen weiteren Ausgang, durch welchen sie erneut in einem der Korridore, landeten. Er war relativ simpel zu bestreiten, weil dort, wie zuvor, kein Gegner auftauchte. Demnach dauerte es nicht lange, bis sie dessen Ende erreichten und plötzlich erneut in einem Klassenzimmer aus Eis standen. „Schon wieder eine Prüfungsaufgabe?“, betrat die Brünette als letzte den Raum, welcher sich daraufhin verschloss. Wie gehabt formten sich auf der Eistafel wieder die Worte, welche zu lösen galten:   Examen Fach: Englisch Übersetze folgenden Dialog in Partnerarbeit: Zum Starten tippen   „Also da bin ich raus“, trat der Rothaarige unsicher einen Schritt zurück, „Mein Englisch ist miserabel.“ Erwartungsvoll schaute Amika zu ihrer besten Freundin: „Du weißt, dass ich auch ziemlich schlecht in Sprachen bin, Rinacchi. Durch dein Auslandsjahr hast du definitiv mehr Erfahrung als ich.“ „Na ja, aber mein Englisch ist auch nicht so das grüne vom Ei“, kratzte sich Rin verlegen am Hinterkopf. „Sprichwörter scheinbar auch nicht“, schnippte der Suzuki-Erbe dem Mädchen gegen die Stirn, „Alleine kann ich keinen Dialog führen, also streng dich gefälligst an.“ Daraufhin schritt er zur Tafel hinüber, um die Aufgabe endlich starten zu können. Unterdessen protestierte die Blauhaarige mal wieder wie wild, da sie seine Beleidigungen satt hatte. Es war zwar von Vorteil, dass er sich offensichtlich freiwillig meldete, jedoch hieß das nicht, dass sie sich ebenfalls dazu bereiterklärte. „Was ist denn mit dir, Skye? Du kannst das doch bestimmt viel besser als ich“, bettelte Rin den Schwarz-Blauhaarigen an. „In Anbetracht der Tatsache, dass ich meinen Namen beim Übersetzen falsch geschrieben habe, eher nicht“, schoss er sich selbst ins Aus. „Eine Oberschülerin, die einen Grundschüler anbettelt?“, meckerte Kuro sie erneut schonungslos an, „Jetzt reiß dich endlich mal zusammen und konzentrier dich! Ich hab keine Lust schon wieder einer Horde Shadows entgegenzutreten!“ Beleidigt gab Ausgeschimpfte kein Wort mehr von sich, blies die Wangen auf und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie zur Seite schaute. Noch einmal würde der Schwarzhaarige sie nicht auffordern mitzumachen, weswegen er einfach startete und hoffte, dass sie nun endlich zur Vernunft gekommen war. Die ersten englischen Worte erschienen wie von Geisterhand auf der Tafel und der Suzuki-Erbe übersetzte diese prompt: „Ich verstehe nicht was das soll. Zuerst zwingen sie uns zur Verlobung und dann doch wieder nicht.“ Irritiert über den Inhalt schaute er den Text noch einmal an, als Rin direkt einstimmte und den Gesprächspart des Mädchens in diesem Dialog übernahm: „Ich bin eben einfach nicht gut genug und beschmutze damit das Ansehen meiner Familie.“ - „Auch wenn das die dumme Idee meiner bescheuerten Mutter war, hätten deine Eltern sich nicht noch mal umentscheiden dürfen“, übersetzte Kuro den nächsten Satz mit Leichtigkeit. „Sie sind ja immer noch für die Heirat“, schien es auch dem Mädchen nicht sonderlich schwer zu fallen. „Ist es etwa okay für dich, wenn ich deine Schwester heirate?“, meinte der Ältere, während sein Gesichtsausdruck Bände sprach. Aber nicht nur seine Mimik erklärte ein stummes „Was ist das denn für ein komischer Dialog“, nein, auch alle im Raum Anwesenden würden etwas ähnliches von sich geben. Jedoch wollte keiner die beiden unterbrechen, weswegen die Oberschülerin bereits den nächsten Satz übernahm: „Wenn es für dich in Ordnung ist, dann habe ich ja wohl keine Wahl…“ - „Warum sagst du sowas Dummes? Diese Zicke kann dich niemals ersetzen.“ - „Ich kann mich nicht widersetzen. Meine Mutter…“ - „Deine Mutter hat einen Schaden. Keine Ahnung was sie für ein Problem mit dir hat, aber das kann so nicht weitergehen. Lass uns doch einfach durchbrennen“, hätte sich der Schwarzhaarige fast verhaspelt. Solche schnulzigen Liebesdialoge waren ihm ziemlich unangenehm und peinlich. Allerdings wollte er es sich nicht anmerken lassen und richtete deswegen seinen Blick starr auf die Tafel. Dass es um eine Zwangsheirat ging, die scheinbar gewollt war, dann aber von den Eltern wieder aufgelöst wurde, fand er dabei noch nicht mal so eigenartig. Das Merkwürdige an der ganzen Situation war die Tatsache diesen Dialog zu übersetzen. In einem Dungeon. In dem es vorrangig um Ruri ging. „Das kann ich nicht“, übersetzte die Blauhaarige. Ihr Gesprächspartner machte weiter: „Warum? Was hält uns davon ab unser eigenes Ding durchzuziehen? Unsere Familien sehen uns sowieso nur als Mittel zum Zweck.“ - „Das ist kindisch und unvernünftig.“ - „Dann nenne mir eine andere Lösung.“ - „Meine Schwester…“ - „Vergiss es! Wann begreifst du endlich, dass du diejenige bist, die ich l-liebe?!“, stotterte der junge Mann kurz und eine leichte Röte legte sich über seine Ohren, „Nicht deine dumme Schwester oder sonst wen!“ Auch der Jüngeren war die Situation mittlerweile ziemlich unangenehm und ein Rotschimmer setzte sich auf ihren Wangen ab: „M-meinst du das ernst?“ - „Was ist mir dir?! Bin ich dir etwa egal?!“, fielen Kuro diese Worte etwas leichter, als die vorangegangenen. Die Blauhaarige hatte es nun vollkommen erwischt und ihr Gesicht glich mittlerweile dem einer Tomate, während sie unter Stottern den Text übersetzte: „N-Nein. I-i-ich… l-l-li… mag dich auch.“ Ihr Gegenüber hob die Augenbrauen und sah sie mahnend an. Der Wortlaut stimmte nicht mit dem an der Tafel überein, was bedeutete, dass die Aufgabe gescheitert war. Wie versteinert standen alle kampfbereit im Raum und erwarteten den üblichen Angriff. Einige lange Sekunden zogen ins Land, ehe der Schwarzhaarige bemerkte, dass der Dialog weiterging: „Dann lass uns gemeinsam weggehen.“ - „Ich kann nicht…“, merkte man Rin die Verwunderung an. Auch alle anderen wussten nicht so recht warum es nicht als Fehler angerechnet wurde. Aber das war natürlich umso besser, denn keiner wünschte sich einen Kampf. „Willst du, dass ich am Ende zwangsverheiratet werde?!“, entwich dem Suzuki-Erben ein genervtes Schnauben. Man sah ihm deutlich an, dass er so langsam keine Lust mehr auf diese Schnulze hatte. „Natürlich nicht. Lass uns doch eine andere Lösung finden und nicht direkt alles überstürzen“, endete die Aufgabe mit den Worten der Oberschülerin und das Klassenzimmer wurde mit einem grünen Licht geflutet, welches dreimal blinkte, bevor es wieder erlosch. Daraufhin erschien eine Schatztruhe in der Mitte des Raumes und ein Ausgang öffnete sich wie von Geisterhand. Keiner der Gruppe war über die magischen Erscheinungen fasziniert. Stattdessen war es die gelöste Prüfungsaufgabe, welche allerlei Fragen aufwarf. „Was war das denn für ein komisches Gespräch?“, fragte Amika verwundert in die Runde. „Da es Ruris Dungeon ist, muss das ja logischerweise irgendwas mit ihr zu tun haben“, schlussfolgerte der Älteste. Die Stipendiatin verstand jedoch so gar nichts: „Also ist sie verlobt oder wie?“ „Klingt viel mehr so, als sei ihre Schwester mit dem Typen verlobt, auf den sie steht“, erklärte Akira wie er die Situation verstanden hatte. „Ich wusste gar nicht, dass sie Geschwister hat“, wanderte Rins fragender Blick zum Suzuki-Erben. Dieser zuckte nur mit den Achseln: „Ist mir auch neu. Aber ehrlichgesagt weiß ich nicht viel über ihre Familienverhältnisse.“ „Vielleicht ist es am Ende ja nur eine Szene aus ihrem Lieblingsfilm“, fand die Brünette einen völlig anderen Ansatz, „Und Ruri versetzt sich da einfach hinein, weil sie scheinbar selbst etwas Probleme mit ihrer Familie hat.“ „Das klingt bisher am logischsten. Mädchen sind da ja etwas eigenartig“, gab Skye auch seinen Senf dazu. Natürlich bekam er darauf eine Retourkutsche der beiden Oberschülerinnen, die ihm aber ziemlich egal war. Damit war das Thema auch erstmal abgeschlossen. Sie kamen ja sowieso auf keinen grünen Zweig. Neugierig öffneten sie schließlich ihren erbeuteten Schatz und setzten ihren Weg, mit einigen heilenden Gegenständen mehr im Gepäck, fort. Zuvor ließ es sich Kuro jedoch nicht nehmen seiner Assistentin gegen die Stirn zu schnippen: „Das ist übrigens noch dafür, dass du so einen Blödsinn übersetzt hast. Du kannst von Glück reden, dass das durchgegangen ist.“ „Aua. Was beschwerst du dich denn? Ist doch alles gut gegangen!“, hielt sich das Mädchen die schmerzende Stelle und rammte dem Älteren mit voller Wucht ihre Hacke in den Fuß. Da dieser so gar nicht damit gerechnet hatte, konnte er nicht ausweichen und hüpfte nun schmerzerfüllt auf dem anderen Bein umher: „Au! Spinnst du? Willst du mir was brechen du Trampel?!“ „Selbst schuld“, streckte Rin ihm die Zunge heraus und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Kommt, lasst uns weitergehen“, schob der Rotschopf seine Freundin von seinem Kumpel weg, um den Streit zu beenden. Dabei lag ein verstimmter Unterton in seinen Worten, den er sich selbst nicht erklären konnte. Es nervte ihn einfach, dass sie sich ständig in den Haaren hatten. Obwohl er sich eigentlich weniger Sorgen darum machte, dass sie sich ernsthaft verkrachten. Es war etwas anderes was ihm missfiel. Aber was genau es war, konnte er nicht sagen. Erneut bahnte sich die bunt zusammengewürfelte Gruppe den Weg durch eine eisige Kerkerlandschaft und stellte sich einigen Shadows, bis sie schließlich an einer weiteren versteckten Tür ankamen. Bereit sich offensichtlicher weise der nächsten Prüfung zu stellen, tastete die Blauhaarige den Durchgang ab, um den Mechanismus zu finden, welcher diesen öffnete. „Warte mal“, hielt Skye sie zögerlich auf, „Irgendetwas ist hier anders.“ Erschrocken zuckte Rin zusammen und sah zu dem Jüngeren herüber, welcher nur stumm auf der Suche nach einer Lösung war. Kapitel 37 - Hagelsturm ----------------------- Samstag, 16. Mai 2015   Bereit sich offensichtlicher weise der nächsten Prüfung zu stellen, tastete die Blauhaarige den Durchgang ab, um den Mechanismus zu finden, welcher diesen öffnete. „Warte mal“, hielt Skye sie zögerlich auf, „Irgendetwas ist hier anders.“ Erschrocken zuckte Rin zusammen und sah zu dem Jüngeren herüber, welcher nur stumm auf der Suche nach einer Lösung war. „Haben wir es etwa schon zum finalen Kampfplatz geschafft?“, hakte Akira nach. Der Kleine schüttelte nur den Kopf: „Nein, das glaube ich nicht. Aber hinter der Tür scheint etwas auf uns zu warten.“ „Etwas Gutes oder etwas Schlechtes?“, legte die Stipendiatin den Kopf schief. Ein unschlüssiges Schulterzucken des Schwarz-Blauhaarigen verriet, dass er selbst nicht wusste was dahinter lag. Er hatte es nur in seinem Gefühl, dass da etwas anders war als sonst. „Na ja, Rumstehen und Warten bringt uns jetzt auch nicht ans Ziel“, gab Amika von sich und versuchte den versperrten Weg zu öffnen, was ihr schlussendlich recht schnell gelang. Vorsichtig und bereit auf alles, betrat die Gruppe den Raum, welcher sich dahinter erstreckte. Widererwarten standen sie jedoch nicht in einem Klassenraum, sondern in einer Art Lobby oder dergleichen. Diese war wie zu erwarten komplett aus Eis. Es war ein relativ großer Ort, welcher prunkvoll ausgestattet war. An den Wänden hingen edel aussehende Bilderrahmen und teuer wirkende Lampen, während rechts und links vom Raum jeweils eine leicht gebogene, breite Treppe hinauf zu einer zweiflügligen Tür führte. Im Untergeschoss standen zudem noch einige Zierpflanzen und ein paar wenige Möbel, welche sicherlich sehr bequem gewesen wären, würden sie nicht komplett aus Eis bestehen. „Wo sind wir denn hier gelandet?“, sah sich Akira verwundert um. Auch der Rest staunte nicht schlecht und die Blauhaarige konnte es ebenfalls nicht unkommentiert lassen: „Das passt ja jetzt schon wieder so gar nicht zum Gefängnisstyle.“ „Das große Tor da oben sieht so aus, als hätten wir unser Ziel erreicht“, stellte der Suzuki-Erbe fest. „Komisch ist nur, dass wir von hieraus nicht zurückkönnen“, starrte der Jüngste gebannt auf das projizierte Hologramm seines Horos. „Wahrscheinlich müssen wir erst mal da hoch“, setzte sich Rin in Bewegung, „Aber abgesehen davon brauchen wir das doch sowieso nicht. Lasst uns Ruri direkt retten.“ Plötzlich wurde die Oberschülerin am Handgelenkt gepackt und unsanft zurückgezogen. „Aua! Was soll das?“, stolperte das Mädchen zurück und stieß mit dem noch immer kurz geratenen Kuro zusammen. Dieser hatte auch weiterhin ihr Gelenk fest umschlossen, als er durch den Schwung nach hinten umfiel und die Wankende so mit sich riss. Unsanft landete der Ältere auf seinem Rücken, während er nochmal einen schmerzenden Laut von sich gab, als die Blauhaarige der Länge nach auf seinen Oberkörper fiel. „Man bist du schwer“, meckerte der Suzuki-Erbe die Jüngere an. „Du bist doch selbst dran schuld! Warum machst du sowas?!“, keifte Rin ihn an. Noch bevor das Ganze zu einem erneuten Streit ausarten konnte, packte Akira seine Freundin und half ihr behutsam wieder auf die Beine: „Ist alles okay?“ „J-ja, geht schon“, stieg ihr eine leichte Röte ins Gesicht. „Leute, passt auf!“, richtete sich die Aufmerksamkeit der Brünetten vollkommen auf das Geschehen vor ihr. Dort manifestierte sich soeben ein recht stark wirkender Shadow. „Ich glaube der wurde durch Rin getriggert“, beobachtete Skye das Geschehen. Es war eine hübsche Lady, welche dort vor ihnen in Erscheinung getreten war. Sie hatte hellblondes Haar, welches mit zwei dicken pinken Strähnen durchzogen war. An ihrem Körper trug sie einen engen roten Ganzkörperanzug mit schwarzen Handschuhen und nackten Füßen. Darüber hatte sie sich einen kurzen dunkelgrau gemusterten Umhang übergeworfen. „Langsam finde ich es gar nicht mehr eigenartig, dass die Gegner in diesem Dungeon meist junge aufreizende Frauen sind“, stöhnte Amika schwer. Während Skye mit einer Analyse des Shadows begann, rappelte sich auch der Schwarzhaarige so langsam mal wieder auf und murrte nur leise: „Ja, kein Ding. Gern geschehen.“ Dass er es war, der verhindert hatte, dass der Tollpatsch geradewegs in den Feind rannte, schien bedeutungslos. Allerdings sah er auch schnell ein, dass es soeben wichtiger war ihren Gegner in die Knie zu zwingen, bevor sie am Ende noch größeren Schaden nahmen. „Hast du schon etwas herausgefunden, Skye?“, schaute Akira zum Jüngsten, während er sich etwas vor seine Freundin schob und seinen Baseballschläger kampfbereit umklammerte. „Ich brauche noch kurz“, bildeten sich Schweißperlen an seiner Stirn und er tippte wie wild auf der für die anderen unsichtbaren Tastatur. Rin hingegen blieb etwas gelassener als sie sollte: „Ach was solls, wir werden doch sowieso gleich herausfinden welches ihr Element ist.“ Daraufhin knallte sie ihren Saphir energisch gen Boden, sodass er zerplatze und in einem aufsteigenden Wasserstrudel Kyusagi freigab. Mit einer „Single Kick“ Attacke, befahl ihr ihre Besitzerin den Kampf zu eröffneten, wodurch die Hasenfrau sich dem Shadow näherte. Die Gegnerin ließ sich das jedoch nicht so einfach gefallen, weswegen sie plötzlich einen konternden Gegenangriff startete. Indem sie mit spitzen Eissplittern um sich warf, konnte sie den Nahangriff stoppen. Obwohl die Persona sich große Mühe gab auszuweichen, wurde sie trotzdem an einigen Stellen getroffen und kehrte erstmal als Saphir zu Rin zurück. Diese knickte unterdessen ein und kniete schmerzerfüllt auf dem Boden. „Warum wartest du denn auch nicht?!“, keifte Kuro die Verletzte an. Sie hatte allerdings zu große Schmerzen, um sich diesem sinnlosen Streit hinzugeben. Stattdessen war es der Rothaarige, welcher mit verstimmtem Blick zu seinem Kumpel hinaufsah, als er bereits neben Verletzter in die Hocke gegangen war, um nach ihr zu sehen. Mit einem Zungenschnalzer verdrehte der Ältere die Augen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Kampfgeschehen zu. „Scheinbar ist sie von Typ Eis“, konnte man ein wenig die Vorfreude in Amikas Stimme erkennen, als sie ihren Rubin in die Höhe warf und ihn anschließend zwischen ihren klatschenden Händen zerbrach, „Persona!“ Aus einem Feuerstrudel stieg Taiga auf, welche genauso energiegeladen schien wie ihre Besitzerin. Doch noch bevor die Brünette einen Feuerangriff starten konnte, ergriff Skye das Wort: „Endlich ist die Analyse durch! Das ist Lachesis von Typ Eis.“ „Was du nicht sagst“, kam es ironisch vom Schwarzhaarigen zurück. Aber nicht nur sein Blick passte zu dieser Aussage, denn auch alle anderen Gruppenmitglieder schauten ähnlich ironisch zu ihm herüber. „Ist ja okay“, zuckte der Kleine gleichgültig mit den Achseln, „Ihr solltet aber trotzdem aufpassen. Sie ist auf einem viel höheren Level als alle Gegner zuvor.“ Erneut trafen ihn kritische Blicke, als Akira dieses Mal seinen Senf dazugab: „Das ist die Information, die wir noch nicht hatten. Sowas musst du zuerst sagen.“ „Wohl wahr“, meinte die Brünette, „Anhand der Eissplitter war ja abzusehen welches Element sie beherrscht. Und wie sie heißt ist zumindest mir ziemlich egal, aber ich glaube, dass ich da für alle spreche.“ „Ist ja gut, ich hab‘s kapiert“, schmollte der Grundschüler, da er zu sehr in seine Recherche vertieft war, um aktiv etwas mitbekommen zu haben. Noch bevor die Feuerkämpferin einen Angriff starten konnte, hatte es sich Lachesis nicht nehmen lassen die Gelegenheit zu nutzen, um einen Hagelsturm anzuzetteln. Zuerst startete er recht harmlos, dann jedoch vermehrten sich die Hagelkörner drastisch und wurden zudem auch noch sehr viel größer, bis sie schließlich die Größe eines Tischtennisballes hatten. Während Amika mit ihrem Feuer eine gute Abwehr für sich und Skye errichten konnte, hielt Akira die Verletzte fest im Arm und beugte sich schützend über sie. Dadurch trafen ihn die harten Brocken am Rücken, was ihn jedes Mal zusammenzucken ließ. Kuro hielt sich einen Arm schützen über seinen geduckten Kopf, während er mit seiner Erdmagie versuchte einen kleinen Unterschlupf für das Paar zu konstruieren. „Wann hört das bloß wieder auf?!“, hörte man die Stimme der Brünetten kaum, da der Hagel durch den Aufprall so laute Geräusche verursachte. „Hoffentlich gleich“, kniff der Grundschüler seine Augen zusammen und hielt weiterhin seine Arme schützend über den Kopf. Durch das Horo hörte man zudem noch den Suzuki-Erben, welcher nur schmerzerfüllte Laute von sich gab. Trotz der Strapazen hatte er es geschafft die Kampfunfähigen hinter einem Erdschutz zu verbergen. Für seine eigene Verteidigung hatte er jedoch keine Kraft mehr. Völlig verausgabt kniete er auf dem Boden und hatte seine Arme ebenfalls schützend über den Kopf gelegt. Dabei war er nochmal um einige Zentimeter geschrumpft, sodass seine Kleidung an ihm herunterhing wie ein nasser Sack. Er müsste nun in etwa Skyes Größe erreicht haben. Allmählich ließ der heftige Angriff wieder nach und Amika beschwor Taiga erneut. Außer Atem befahl sie ihr ziemlich schwerfällig einen Agi Angriff. Dieser traf den Shadow schwer, sodass er zu Boden ging. Erst jetzt bemerkte das Mädchen, dass ihre Persona scheinbar einen neuen Feuerangriff ausführen konnte. Er war stärker als der vorherige und die Brünette nutze die Gelegenheit: „Taiga! Gleich nochmal! Benutze Agilao und mach sie fertig!“ Eine noch stärkere Feuerattacke prasselte auf das Eiswesen ein. Noch immer war es durch den einschlagenden Angriff am Boden und konnte sich nicht bewegen. Da sich Kuro natürlich auch nicht lumpen lassen wollte, mischte er mit, indem er seine Pistolen zückte und diese abfeuerte. Zwar hockte er noch immer, da ihn seine Kräfte verlassen hatten, allerdings hielt ihn das nicht davon ab ein Dauerfeuer auf Lachesis abzugeben. Leider war es ihm auch nicht möglich Sarubi zu beschwören, da ihm für eine solch kräftezehrende Aktion auch die Energie fehlte. Allerdings waren seine Waffen schon Hilfe genug. Um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, schickte Amika noch den ein oder anderen Feuerpfeil hinterher, welcher dem Shadow schließlich den Gnadenstoß versetzte. Aufatmend sackte das Mädchen schlussendlich in sich zusammen und fläzte auf dem eisigen Lobbyboden. Auch die Anspannung des Suzuki-Erben war verflogen, woraufhin er ohnmächtig wurde und dadurch zeitgleich auch der kleine Schutzwall um Akira und Rin zerbröselte. „Ist es geschafft?“, kam es ungläubig vom Rothaarigen. Ein Nicken seiner Klassenkameradin ließ ihn aufatmen. Allerdings nur so lange, bis er seinen Kumpel erspähte. „Wir haben uns zu sehr verausgabt“, erklärte die Brünette schwach, „Außerdem wurde Kuro ungefiltert von dem Hagel getroffen. Ich hatte keine Chance ihm zu helfen. Aber wenigstens Skye konnte ich beschützen.“ Dieser war von allen auch der Einzige der noch stand: „Rin, kannst du Dia einsetzen?“ Da auch ihr die Kraft fehlte, um Kyusagi zu beschwören, schüttelte sie nur zögerlich den Kopf. Ihr Freund schien allerdings noch etwas zuversichtlicher zu sein: „Warte mal, wir haben doch noch Medizin dabei. Wenn wir dich damit aufpäppeln, dann…“ „Das wird nichts“, unterbrach der Grundschüler ihn, ohne weiteres zu erklären. Es dauerte kurz, bis der Rotschopf verstand was gemeint war. Bis dahin suchten seine Augen nach dem Rucksack mit dem Proviant, welchen er immer mit sich führte. Allerdings musste er feststellen, dass dieser vollkommen zerfleddert war und der Inhalt so gut wie vollständig zerstört wurde. „Oh nein!“, stieß Akira entsetzt aus, „Da war alles drin! Unsere Getränke, die ganzen Pflaster und die Medizin, die wir unterwegs gefunden hatten. Einfach alles!“ „Skye, wie sieht es aus? Kommen wir jetzt vielleicht wieder hier raus?“, stellte die Brünette die eigentlich wichtigste Frage. Kurz schaute Angesprochener nach, ob es eine Möglichkeit gab sich zum Eingang zurückbefördern zu lassen. Sein sich aufhellendes Gesicht war dabei jedoch Antwort genug für die Oberschüler. Erleichtert atmete Amika aus und ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. In die Ferne schauend, wo sich kurz zuvor noch ein heftiger Kampf abspielte, ließ sie die letzten Stunden Revue passieren. Es war immer noch unfassbar was sie alles in dieser eigenartigen Welt erlebten. Plötzlich riss die Brünette geschockt die Augen auf und konnte nicht glauben was sie einige Meter vor sich erblickte. Diese wieder zusammenkneifend, starrte sie mit offenem Mund in die Ferne. Der plötzliche Adrenalinschub brachte sie jedoch sofort zurück auf die Beine und schwermütig setzte sie eins vor das andere, bis sie schließlich rannte: „Kaori-nee!!!“ Erschrocken durch die eigenartige Reaktion der Oberschülerin, blickten die Übriggebliebenen ihr hinterher. Halluzinierte sie etwa? Schnell war allerdings klar, dass dort wirklich jemand zu erkennen war. Ein Mädchen, welches Amikas Schwester zum Verwechseln ähnlichsah. Sie streckte die Arme nach der Jüngeren aus und lächelte freundlich. Mit Tränen in den Augen sprang die Brünette ihrer totgeglaubten Schwester in die Arme und konnte es kaum fassen sie hier zu treffen. Sie musste ihr so viel sagen, sich für all das Leid entschuldigen und – Plötzlich realisiert Amika, dass ihr Sprung nicht abgefedert wurde, sie geradewegs durch die Ältere durchfiel und schmerzhaft auf dem Boden aufknallte. Mit einer großen blutenden Schramme im Gesicht, drehte sie sich blitzschnell um, nur um festzustellen, dass Kaori augenblicklich verschwamm und sich einfach auflöste. Geschockt konnte sie ihren Augen nicht glauben, begann dann aber schließlich jämmerlich zu weinen. Schwermütig stand Rin auf und ging zu ihrer besten Freundin herüber, um sie wortlos zu umarmen. Was auch immer es war, was sie alle gesehen hatten, es war schlussendlich nur eine Illusion. Damit beförderte Skye sie nun auch zurück zum Eingang und schweren Schrittes kam die Truppe wieder im Wohnheimzimmer der Blauhaarigen an. Die Mädchen stützten sich gegenseitig und verschwanden umgehend im Badezimmer. Unter dem Vorwand Amikas blutende Wunde zu versorgen schlossen sie sich dort erstmal ein. Zwar war dies ein Mitgrund, aber der Hauptgrund war Rins erneute Verwandlung zum anderen Geschlecht. Als hätte sie es nicht bereits geahnt. Akira trug den bewusstlosen Kuro und bekam derweil gar nicht mit, dass seine Freundin sich eigenartig verhielt, als sie im Bad verschwunden war. Fertig mit der Welt, legte der Rotschopf seinen Kumpel auf dem Sofa ab und setzte sich direkt daneben, um durchzuatmen. Auch der Grundschüler tat es ihm gleich und hockte sich zu ihm. Derweil ließ der Ältere seine Gedanken schweifen und versuchte runterzukommen. Schon wieder war er vollkommen nutzlos gewesen und konnte so gar nichts ausrichten. Selbst Skye war eine bessere Hilfe als er und das obwohl der Kleine gar nicht groß am Kampfgeschehen beteiligt war. Aber durch seine Analysefähigkeiten war er immerhin eine große Hilfe. Akira hingegen war nur anwesend und musste ständig beschützt werden, weil er selbst das nicht selbst hinbekam. Jedes Mal war es Kuro, der die Stipendiatin rettete. Zwar hielt er Rin jedes Mal im Arm und versuchte den Schaden mit seinem Körper abzufedern, aber schlussendlich war es trotzdem immer sein Kumpel, der ihr Schutz bot. Der Rothaarige fühlte sich erbärmlich beim Gedanken daran und umklammerte seinen Topas fest in seiner Faust. Warum war er der einzige, dessen Persona nicht erwachen wollte? Was machte er verkehrt? Selbst Amika hatte eine Persona bekommen und Ruri würde es erfahrungsgemäß wohl bald ähnlich ergehen. Nur er nicht. Noch eine ganze Weile verfiel der junge Mann seinem Selbstmitleid, ehe ihm plötzlich ein Geistesblitz kam. Verkündend, dass er kurz zum Konbini gehen würde, verließ er schlagartig den Raum. Ob er jemandem was mitbringen solle, fragte er zwar noch, aber die Antwort war eine einstimmige Verneinung. Kaum war er aus der Tür, lugte die Brünette aus dem Badezimmer heraus. Sie drückte sich ein Taschentuch auf die blutende Wunde im Gesicht, als sie, gefolgt von Rin, wieder ins Zimmer trat. Die Blauhaarige hatte mal wieder ihre altbekannten gelben Augen und dazu eine dunkelblaue Kurzhaarfrisur. Mehr musste man nicht sehen, um zu wissen, dass sie erneut zum Jungen geworden war. „Er wird gleich wiederkommen“, meinte Amika nur und gab ihrer Freundin damit zu verstehen, dass jetzt ihre Gelegenheit war, um sich schnell umzuziehen. Gesagt getan, schlüpfte Rin in einen ziemlich großen Kapuzenpullover und eine weite Hose. Die Kapuze ragte ihr dabei recht weit ins Gesicht, wodurch nicht nur ihre kurzen Haare verdeckt waren, sondern auch ihre stechenden Augen. „Was machen wir denn jetzt?“, fragte frisch Umgezogene. Skye zuckte nur mit den Schultern: „Keine Ahnung. Wir bräuchten ein wenig Verbandsmaterial und Pflaster.“ „Aber wenn wir zur Krankenstation gehen und sagen, dass wir es für jemanden brauchen, werden wir sicherlich gefragt für wen und warum derjenige nicht einfach herkommt“, überlegte die Brünette. „Das ist generell nicht möglich. Ami wohnt hier nicht und dann kommen zu viele Fragen auf. Vor allem bei dieser riesigen Schramme in deinem Gesicht. Skye erstrecht nicht. Kuro ist sowieso bewusstlos und abgesehen davon sollte er in diesem Zustand nicht gesehen werden. Dann kommen erstrecht Fragen auf“, erklärte die Blauhaarige, „Und ich… Kann so auch nicht vor die Tür. Abgesehen davon gibt’s bei mir nicht mal irgendwas großartig zu verarzten. Ich bin einfach nur vollkommen ausgelaugt.“ Ratlos hockten sie herum und warteten bis Akira wieder da war. Dann wollten sie sich gemeinsam beraten wie es nun weitergehen sollte. Vor allem was den Bewusstlosen anbelangte. Es dauerte eine gute halbe Stunde, bis der Oberschüler mit einer prall gefüllten Einkaufstüte wieder da war. Außer Atem musste er sich erst mal hinsetzen und erklärte dann: „Lasst uns zurück in den Dungeon gehen.“ Irritierte Blicke trafen ihn, die fragten, ob er noch alle Latten am Zaun hatte. „Wir können kaum geradeausgucken. Warum sollten wir uns solch einer Gefahr aussetzen?“, jammerte Amika nur. „Ich hab unseren Proviant wieder aufgefüllt“, zeigte der junge Mann den Inhalt der Tüte, „Verbandszeug, Pflaster, Energydrinks, einfach alles was nützlich ist.“ „Ach jetzt verstehe ich!“, war die Brünette hellauf begeistert, „Da das Heilen im Dungeon mit einem Fingerschnippen passiert, gehen wir einfach zurück und verarzten uns dort. Dann sind wir wieder wie neugeboren.“ Akiras freudiges Grinsen bestätigte die Aussage und er war froh, dass ihm nun auch endlich etwas eingefallen war, um eine Hilfe sein zu können. Die Idee war wirklich nicht dumm und sehr naheliegend. Warum war da zuvor nicht schon jemand draufgekommen? Gesagt getan, schnappte sich Akira seinen Kumpel, während die Mädchen sich gegenseitig ein wenig stützten. Rin konnte wirklich von Glück sprechen, dass ihr Freund alle Hände voll zu tun hatte und sie somit nicht enttarnen konnte. Nach wenigen geschickten Handgriffen war die Truppe nun wieder am Eingang des Dungeon. Sie hofften, dass ihnen nun kein Shadow begegnen würde, solange sie nicht geheilt waren. Aber da sie in etwa wussten wo sich diese gerne tummelten, hielten sie sich einfach in einer versteckten Ecke verborgen. Mit einem Zischen, öffnete Rin eine Dose des schwarz-blauen Energiedrinks, während Amika das knallpinke bevorzugte. Relativ synchron tranken sie davon und warteten auf den ersten langsamen Heilprozess. Derweil hatte sich auch Akira eine schwarz-rote Monsterdose geöffnet, während Skye den mit Espressogeschmack bevorzugte. „Und? Fühlt ihr euch schon besser?“, fragte der Rothaarige vor allem an seine Freundin gerichtet, da es an ihrer Persona war, den Suzuki-Erben wieder zu heilen. „Hm komisch“, meinte die Brünette nur und lenkte somit die Aufmerksamkeit auf sich, „Siehst du das? Meine Wunde ist immer noch da.“ „Du hast recht“, meinte der junge Mann und kippte den Rest seines Getränkes in einem Stück in sich rein. Kurz darauf stellte er fest, dass der Drink dieses Mal wirklich keinerlei heilende Wirkung erzielte. „Und wenn wir nicht weit genug im Dungeon sind?“, suchte Amika eine passende Lösung. „Eigentlich macht das keinen Sinn“, schaltete sich nun auch Skye in das Gespräch ein, „Ich glaube nicht, dass wir eine heilende Wirkung erzielen können.“ „Wie meinst du das?“, verstand der Oberschüler nicht was der Jüngste damit sagen wollte. „Na ja, überlegt doch mal“, begann er seine Erklärung, „Wenn euch jetzt ein schrecklicher Unfall in eurer Welt passiert und ihr mit den Verletzungen in den Dungeon geht, um euch zu heilen, werdet ihr nicht geheilt, weil die Wunden nicht von Shadows stammen.“ „Ja, macht doch Sinn. Aber in unserem Fall sind die Verletzungen ja nicht aus unserer Zeit“, zuckte Amika mit den Schultern und verstand den Ansatz nicht. Einzig der Rotschopf verstand es und konnte einen passenden Vergleich ziehen: „Ach so, jetzt habe ich es verstanden. Das ist ein bisschen wie in einem Videospiel. Wir können nur die Verletzungen heilen, die im Dungeon entstanden sind. Wenn wir diesen verlassen und wieder eintreten, können wir die alten Wunden nicht heilen. Nur die neuen.“ „Ja, das ist jedenfalls meine Vermutung“, überlegte der Grundschüler. „Macht eigentlich Sinn“, war die Brünette ein wenig enttäuscht. Auch ihrem Klassenkameraden konnte man die Enttäuschung richtig ansehen. Da dachte er, dass er endlich mal eine Hilfe war und dann das. Aber hätte er vorher noch mal etwas genauer überlegt, hätte er auch zu diesem Szenario kommen können. Sonst wäre es ja zum Beispiel auch möglich einen Krebskranken mitzunehmen und ihn gesund wieder zurückzubringen. „Lasst uns gehen, bevor uns hier doch noch ein Gegner über den Weg läuft“, erklang eine ziemlich frustrierte Stimme, der der Rest wortlos folgte. Rin hätte ihm sehr gerne Mut zugesprochen und ihm zur Seite gestanden, aber sie hatte Angst aufzufliegen, wenn sie ihm näherkommen würde. Besorgt starrte sie ihn an. Auch als sie wieder in ihrem Zimmer waren, konnte sie ihren Blick nicht von ihm nehmen. Er tat ihr unendlich leid. Gerade auch, weil sie wusste, dass er sich solche Vorwürfe machte, weil er als einziger keine Persona hatte und generell keine große Hilfe war. Sie hatte da ja erst drüber gesprochen. Und nun strengte er sich doppelt und dreifach an, um das Defizit wieder irgendwie auszubügeln. „Geh ruhig nach Hause, Yoshida-kun“, meinte Amika plötzlich. Aber Angesprochener war damit so gar nicht zufrieden. Er wollte sich noch um seinen Kumpel kümmern und sich vergewissern, dass es den Mädels soweit auch gutging. Da konnte er doch nicht einfach gehen. „Nein, ich kann doch jetzt nicht heimgehen“, erwiderte der junge Mann, „Geh du ruhig heim, Shiori-chan. Du bist sicherlich müde.“ Diese schüttelte nur den Kopf: „Sind wir nicht alle ausgelaugt? Außerdem will ich mit diesen Verletzungen heute Abend nicht zu Hause aufschlagen. Ich bin zu müde, um mir Ausreden einfallen zu lassen. Rinacchi hat mir schon vorgeschlagen, dass ich heute hier übernachten kann.“ „Na gut“, gab dich der Rotschopf geschlagen, „Dann kümmere ich mich um Kuro und bringe ihn Heim.“ „Das halte ich nicht für sinnvoll“, mischte nun auch Skye mit und erklärte, dass der Suzuki-Erbe in diesem Zustand unter keinen Umständen gesehen werden sollte. Nach einigen Diskussionen war dann endlich beschlossen, dass Akira als einziger den Heimweg antreten würde. Auch seine Vorschläge, dass er dann ebenfalls einfach im Wohnheim bleiben würde, wurden von Amika übertrumpft. Immerhin waren weder Platz noch ein sinnvoller Grund für diesen Anlass gegeben. Der Rothaarige war der Einzige, der aktuell noch vor die Tür konnte. Alle anderen mussten sich bedeckt halten. Zwar war seine Kleidung ein wenig ramponiert, aber das führte im Gegensatz zu den anderen sicherlich nicht zu neugierigen Fragen. Nachdem der junge Mann dann endlich den Heimweg angetreten war, nahm Rin erleichtert die Kapuze ab. Schlussendlich hatte sie kein Wort mehr mit ihm geredet und fühlte sich dabei wirklich schlecht. Eigentlich wollte sie ihn nicht anlügen und ihm zur Seite stehen. Andererseits wollte sie aber auch auf keinen Fall, dass er diese gruselige Seite an ihr sah. Ihr Glück war wohl auch, dass der Rotschopf sie kaum angesehen hatte, seit sie wieder aus dem Dungeon zurück waren. Es war zwar merkwürdig, dass er den Blickkontakt mied, allerdings sehr hilfreich. Die Einkaufstüte durchforstend, suchte sich die Brünette zuerst einmal ein großes Pflaster für ihre offene Wunde im Gesicht, ehe sie nach Verbandsmaterial für Kuro kramte. Der junge Mann hatte einige heftige Druckstellen an seinen Unterarmen, welche vermutlich den dicken Hagelbällen geschuldet waren. Da sollte besser ein schützender und stützender Verband her. Wie sich herausstellte hatte er auch eine kleine Platzwunde an der Stirn, um welche sich Rin mit einem Pflaster kümmerte. Kaum war er endlich fertig versorgt, wachte er auf und sah sich benebelt um. „W-Wo bin ich?“, brachte er schwach heraus. Die Mädels erklärten ihm kurz was geschehen war bevor sie ihn zwangen sich auf der Couch auszuruhen und erstmal zu schlafen. Weit würde er sowieso nicht kommen, das war klar. Skye wurde in dieser Nacht ebenfalls auf die gemütliche Sitzecke ausquartiert, während sich die beiden Oberschülerinnen das Bett teilten. Der Dungeon war so anstrengend, dass sie alle sofort einschliefen und im Land der Träume versanken.   Kapitel 38 - Manipulierte Psyche -------------------------------- Sonntag, 17. Mai 2015   Suchend stand Rin am Nachmittag vor der Zentralbibliothek. Sie hatte sich widerwillig mit Jayjay verabredet, um ihr deren Bitte zu erfüllen. Allerdings war weit und breit keine Spur von der Velvet Room Assistentin zu sehen. Suchend begab sich die Blauhaarige daraufhin ins Innere der Einrichtung, da sie sich nicht mehr sicher war, ob sie sich davor oder darin verabredet hatten. Wobei sie nicht genau wusste was sie drinnen genau anstellen sollten. Die Kleine hatte sie darum gebeten ihr näherzubringen was genau eine Großmutter war. Nachdem die Oberschülerin ihren Blick kurz schweifen ließ, fiel ihr schnell auf, dass Gesuchte nicht da war. Seufzend schlenderte das Mädchen somit wieder nach draußen. Einerseits war sie ziemlich genervt, dass ihre Verabredung noch nicht da war, andererseits hoffte sie aber auch, dass das so bleiben würde. Rin hatte nämlich keine Lust und zudem keine Ahnung was genau die Platinblonde von ihr erwartete. Plötzlich wurde die Blauhaarige von hinten angetippt und fuhr schlagartig herum. In drei gelbe Augenpaare starrend, wich das Mädchen geschockt ein Stück zurück und stolperte über ihre eigenen Füße ehe sie unsanft auf dem Hintern landete. „W-Wie ist das möglich?!“, kam es ziemlich aufgebracht aus der Oberschülerin. Hatte sie Halluzinationen oder stand die Velvet Room Assistentin gerade in dreifacher Ausführung vor ihr? „Ist alles okay?“, kam es vorsichtig aus der Kleinen mit dem Flechtzopf, während der Kurzhaarige ihr lächelnd wieder auf die Beine half. Die Dritte mit der Mütze und den langen Haaren stand nur mit verschränkten Armen da und schaute Rin kritisch an: „Hast du einen Geist gesehen oder was ist los?“ Noch immer ziemlich von der Rolle, versuchte die Blauhaarige die Situation zu verstehen: „E-Euch gibt’s dreimal? Spinne ich?“ Irritiert legte die Blonde mit dem Haarreif den Kopf schief: „Aber du bist uns doch allen bereits begegnet, oder irre ich mich?“ „Na ja, mir ist sie noch nicht so direkt begegnet“, kam es grinsend von dem Jungen. „Das ist doch egal“, murrte Letztere, „Fakt ist, dass wir hier sind, weil Rin uns ein Versprechen gegeben hat.“ „Ich dachte immer, dass ihr einfach nur eine gespaltene Persönlichkeit seid. Ihr seht euch so ähnlich“, verstand die Stipendiatin noch immer nicht was gerade vor sich ging. „Wie kommst du denn auf so einen Blödsinn? Wir sind Drillinge“, blaffte sie die Blonde mit der Mütze an. „Und ihr heißt alle gleich?“, verzog die Oberschülerin verwirrt das Gesicht. Während Verstimmte die Ältere nur mit einem verachtenden Blick strafte, begann der Junge lauthals zu lachen. Das Mädchen mit dem Flechtzopf war es, welche Unwissende mit ruhigen Worten aufklärte: „Natürlich heißen wir alle unterschiedlich. Ich bin Jayla und meine Schwester hier ist Jayce. Unser Bruder heißt Jamie.“ Vorsichtig nickte Rin, sah aber immer noch sehr durch den Wind aus. Sie hätte im Leben nicht damit gerechnet, dass es sich um drei verschiedene Menschen handeln würde. Weil in letzter Zeit sowieso alles so abstrakt war, dachte sie, dass es sich nur um eine Persönlichkeitsstörung handeln würde. Da sie aber auch von vornherein nicht aufgeklärt wurde, konnte sie es schlecht erahnen. Zumal die Drillinge sich glichen wie ein Ei dem anderen. Verrückt wie faszinierend Gene sein konnten. „Lasst uns endlich anfangen und reingehen“, stolzierte Jayce ungeduldig Richtung Eingang. „Warum willst du dazu in die Bibliothek?“, waren die Gedanken der Oberschülerin schlagartig wieder im Hier und Jetzt. Jamie war es, der den Grund erklärte: „Geht man nicht zum Lernen in so eine Einrichtung?“ „Äh… na ja“, kratzte sich Rin am Hinterkopf, „Da hast du nicht ganz unrecht, aber das bezieht sich eher auf Schulstoff oder wenn man etwas recherchieren möchte oder so.“ „Wollen wir das nicht?“, legte Jayla den Zeigefinger ans Kinn und überlegte. „Wie erkläre ich das am besten“, griff sich die Ältere an die Stirn, „Das was ihr herausfinden wollt, steht nirgends geschrieben.“ Verstehend kam Weggelaufene wieder näher: „Ach so, dann lasst uns zu einer Großmutter gehen und es in der Praxis erlernen.“ Freudig stimmten ihre Geschwister ein und konnten es kaum abwarten von der Blauhaarigen zu einer Großmutter gebracht zu werden. Die Oberschülerin war damit allerdings ziemlich überfordert. Wo sollte sie so plötzlich eine alte Dame hernehmen? „Ähm… Ich hab doch selbst keine Ahnung von Großeltern. Sowas habe ich nicht und ich kanns auch nicht einfach herzaubern. Über Väter kann ich euch alternativ jede Menge erzählen“, gab Rin offen und ehrlich zu. Kurz berieten sich die Drillinge unter sich, bis sie schlussendlich verkündeten, dass es auch okay sei darüber etwas zu lernen. Da Rin jedoch keine Lust hatte weiter vor der Bibliothek zu versauern, verschleppte sie die Kleinen in ein Café in der Innenstadt. Es lag recht zentral und sie hatten das Glück einen der Tische am Fenster zu erhaschen, wodurch sie freien Blick auf die Fußgängerzone hatten. „Bestellt euch ruhig etwas zu trinken, ich lade euch ein“, reichte das Mädchen den Assistenten die Karte. Erstaunlicherweise schienen sie damit etwas überfordert zu sein. Fast so, als wären sie noch nie in einem Café oder dergleichen gewesen. Schlussendlich übernahm die Oberschülerin die Auswahl und wenig später, saßen alle vor je einer heißen Schokolade mit ordentlich Sahne und kleinen Marshmallows. „Krass ist das lecker!“, nahm Jayce einen Schluck und hatte im Anschluss einen weißen Schnurrbart. Überrascht darüber, taten es ihre Geschwister ihr gleich und machten dieselbe Feststellung, während Rin der ersten belustigt den Mund mit einer Serviette abwischte. Außerhalb des Velvet Rooms wirkten sie wie niedliche Grundschüler, die soeben die Welt kennenlernten. „Erzählst du uns jetzt etwas über einen Vater?“, pickte Jamie soeben einen Marshmallow aus der Sahne. Auch Jayla konnte es kaum abwarten: „Ja, bitte bring uns alles bei was du weißt. Wie ist ein Vater so? Was macht er? Warum gibt es ihn? Was kann er?“ Kurz überlegte die Ältere, ehe sie darauf antwortete: „So pauschal kann ich euch nicht sagen wie ein Vater ist. Jeder Mensch ist individuell, deswegen kann ich es euch nicht genau beschreiben. In der Rolle als Papa hat man natürlich bestimmte Aufgaben und Anforderungen denen man nachkommen muss. Das erledigt jeder auf seine Weise.“ Man sah den Drillingen eine leichte Enttäuschung an. Mit dieser Aussage konnten sie so gar nichts anfangen. „Dann bring uns doch einfach zu einem Vater! Dann können wir uns ein eigenes Bild machen“, streckte Jayce der Blauhaarigen den Kakaolöffel fordernd entgegen. Es sollte wohl auch so eine Art Drohung sein, die aber mit einem solchen Besteckteil eher ungefährlich rüberkam. „Warum gehen wir nicht einfach zu deinem Vater?“, brachte die andere Schwester Rin in Verlegenheit. „Na ja, das geht nicht“, versuchte die Stipendiatin das Ganze schnell wieder in Vergessenheit zu bringen, „Mein Papa ist ein viel beschäftigter Mann, der nicht mal für mich Zeit hat.“ „Ach echt? Haben Väter immer so wenig Zeit?“, fragte der Junge ein wenig ungläubig. „Es ist normalerweise die Aufgabe des Mannes die Familie zu versorgen. Deswegen ist ein Vater immer am Arbeiten, um Geld zu verdienen, damit sich alle Essen, Kleidung und Spielzeug kaufen können. Demnach ist er kaum da und wenn doch, dann ist er müde von der Arbeit“, erklärte Rin ihre Ansichten. „Das ist aber blöd. Zum Glück haben wir keinen“, verschränkte Jayce die Arme. „Ihr glücklichen“, verdrehte die Blauhaarige die Augen und stützte ihren Kopf auf den Armen ab, „Ich hab einen Papa, aber er interessiert sich nicht die Bohne für mich. Er arbeitet fast durchgehend und will nicht gestört werden, sonst wird er sauer.“ Noch eine ganze Weile redete das Mädchen davon und brachte die Drillinge so dazu ein ziemlich schlechtes Bild darüber zu bekommen. Zwar steckte auch ein Funken Wahrheit in dem was sie von sich gab, allerdings war das meiste nur Negatives ihrer eigenen Erfahrung. Da sie nicht mit einer normalen Familie gesegnet war, wusste sie es nicht mal besser und konnte nur das erzählen, was sie selbst erlebt hatte. Auch wenn sie Freundinnen besuchte, war dort meistens kein Vater anwesend, weil er noch auf der Arbeit war, oder weil er mit Kollegen noch unterwegs war. Wenn er dann doch zu Hause war, dann hing er meistens müde vor dem Fernseher oder dergleichen. Als Rin sich dann am frühen Abend von den Jüngeren verabschiedete, sah sie einen kleinen blauen Schmetterling um die Kleinen tanzen, welcher genauso schnell verblasste wie er aufgestiegen war. Ihr Social Link war also auf die zweite Stufe geklettert. Eigenartig war nur, dass sich drei völlig unterschiedliche Kinder einen einzigen Social Link teilten. Mehrling zu sein bedeutete doch immerhin nicht, dass man gezwungen war sich alles zu teilen, oder? Merkwürdig.   Kaum war die Stipendiatin wieder in ihrem Wohnheimzimmer angekommen, bestand ihr Mitbewohner darauf wieder eine Trainingseinheit einzulegen. „Oh man, muss das sein?“, jammerte das Mädchen und ließ sich genervt auf ihr Bett plumpsen, „Außerdem sind bestimmt noch Leute im Schwimmbad.“ „Deswegen habe ich mir einen neuen Trainingsplan ausgedacht“, entgegnete Skye ihr. Daraufhin zitierte er die Oberschülerin ins Badezimmer und ließ die Wanne volllaufen. „Wie klappt es eigentlich mit deiner Unsichtbarkeit?“, wollte der Schwarz-Blauhaarige unterdessen wissen, „Kannst du das mittlerweile ohne die Luft anzuhalten?“ Gefragte schüttelte nur den Kopf: „Nein, leider nicht. Ich versuche es hin und wieder mal, aber tatsächlich kontrollieren kann ich es nur, wenn ich nicht atme.“ „Verstehe. Dann wollen wir erstmal schauen, dass wir deine Elementarfähigkeit ausgearbeitet bekommen. Um die Unsichtbarkeit kümmerst du dich ja bereits alleine“, überlegte der Grundschüler. Die Ältere fand diese Idee jedoch alles andere als toll. Sie wollte sich partout nicht damit befassen und scheinbar wollte der Portalwächter nicht verstehen, dass sie einfach Angst vor Wassermengen hatte. „Zieh deinen Badeanzug an, damit deine Kleidung nicht unnötig nass wird“, befahl Skye, woraufhin sie dies widerwillig tat. Daraufhin sollte sie zwangsweise wieder versuchen kleine Wasserkugeln zu kontrollieren. Diese waren jedoch alles andere als kugelförmig und zerplatzten jedes Mal ziemlich schnell, woraufhin das Mädchen immer kurz aufschrie vor Angst. Nach einer ganzen Weile klopfte es schließlich an Rins Zimmertür. Es war Shina, welche durch die Schreie etwas in Sorge war und nun ziemlich irritiert auf ihre klatschnasse Kollegin im Badeanzug starrte. „Ich wollte eigentlich nur schauen, ob bei dir alles okay ist“, erklärte sich die Brünette, „Aber jetzt habe ich eher andere Fragen.“ Da ein Abwimmeln nun ziemlich aussichtslos erschien, bat die Stipendiatin ihren Besuch herein. Gleichzeitig kam der Grundschüler meckernd aus dem Badezimmer heraus: „Wo bleibst du denn? Drückst du dich wieder vor…“ Abrupt endete er, da er nicht geahnt hatte, dass jemand hereinkommen würde. Sofort wich er einen Schritt zurück und verschanzte sich mit knallender Tür im Bad. „Jetzt habe ich noch mehr Fragen“, verstand Shina die Welt nicht mehr. „Da du es sagst“, überlegte die Blauhaarige, „Du kennst Skye ja noch gar nicht, oder?“ Ein Kopfschütteln bestätigte die Annahme, während Rin sich ein Handtuch holte und ihren protestierenden Mitbewohner schnappte, mit dem sie sich zu ihrer Kollegin auf die Sitzecke setzte. Sie erklärte ihr, dass der Jüngere erst vor kurzem hergezogen sei und ein Verwandter von Kuro war. Da sie sich gut verstanden kam er ab und an zu Besuch. Dass er in Wahrheit hier wohnte verschwieg sie lieber. Den Badeanzug und dass sie klatschnass war, begründete sie damit, dass der Grundschüler versuchen wollte ihre Angst vor Wasser zu bekämpfen. Allerdings klappte das nur so semioptimal. „Wie wolltest du denn deine Angst bekämpfen?“, verstand die Brünette nicht ganz. „Konfrontation mit Wasser ist doch die beste Lösung. Mit der Badewanne angefangen“, zuckte der Jüngste nur selbstverständlich mit den Achseln. „Klingt wenig hilfreich“, konterte Shina mit kritischem Blick. Über die harten Worte war Skye so gar nicht begeistert. Eher geschockt, dass er so kritisiert wurde. „Ich sag doch, dass das nichts bringt“, jammerte die Stipendiatin ihn an und verschränkte genervt die Arme vor der Brust. „Darf ich fragen warum du solche Angst vor Wasser hast?“, hakte die Brünette vorsichtig nach. Kurzes Schweigen legte sich über die Gruppe, ehe es Rin wieder brach: „Ehrlichgesagt weiß ich es nicht.“ Etwas verdutzt musterte sie ihr Gegenüber: „Du hast Angst, aber weißt nicht warum? Selbst in der Badewanne? Was stellst du dir denn für Szenarien vor, wenn du dran denkst?“ Als die Blauhaarige den Widerspruch noch mal vor Augen geführt bekam, geriet sie selbst ins Stocken. Theoretisch würde man jetzt antworten, dass man nicht ertrinken wolle. Aber wie sollte das in einer flachen Badewanne gehen? „I-Ich weiß es nicht“, war das Mädchen sichtlich verunsichert und dachte angestrengt darüber nach. „Vor was genau fürchtest du dich denn? Vor der Dusche ja scheinbar nicht, oder?“, versuchte Shina herauszufinden welche Punkte grenzwertig waren. „Es sind die Mengen, die ich nicht mag. Duschen und Regen sind noch irgendwie akzeptabel. Aber Gefäße mit Wasser finde ich gruselig“, druckste Gefragte herum. „Also sowas wie Badewannen, Schwimmbäder, das Meer und Flüsse?“ Zur Antwort bekam sie nur ein zögerliches Nicken. „Und wie sieht es mit einem kleinen Becken mit kniehohem Wasserstand aus?“, hakte ihre Kollegin weiter nach. Theoretisch war es das gleiche Prinzip wie mit der Wanne, weswegen Rin ziemlich verunsichert war: „Eigentlich mag ich das auch nicht.“ „Du bist dir also unsicher, ob es nicht vielleicht doch okay ist?“, stellte die Brünette fest, „Jetzt mal angenommen du rutschst mit einem großen aufblasbaren Reifen eine coole Wasserrutsche herunter und landest in einem solchen flachen Becken. Dann würdest du sowas doch mal ausprobieren wollen, oder?“ Die positiven Worte brachten die Blauhaarige tatsächlich dazu darüber nachzudenken. Generell mochte sie solche Aktivitäten, aber da sie mit etwas in Verbindung standen, wovor sie Angst hatte, lehnte sie diese immer sofort ab. Dieses Mal jedoch nicht. Es klang nach ziemlich viel Spaß und sie verfluchte sich gerade selbst ein wenig, dass sie solchen Schiss hatte. Das wollte sie nicht. „Ich weiß nicht, ob ich damit klarkomme. Aber es klingt nach ziemlich viel Spaß und ich würde es gerne eines Tages mal probieren“, änderte Rin ihre Meinung schlagartig. Siegessicher grinste ihre Kollegin, während Skye ungläubig zu den beiden Oberschülerinnen sah. Was war hier soeben passiert? Wie hatte sie es angestellt, dass die Furcht plötzlich vermindert wurde? Zuvor wurde doch auch schon mehrfach auf das Mädchen eingeredet, dass sie keine Angst zu haben brauche und dass es Spaß machen würde. Aber jedes Mal lehnte sie stur ab und ließ sich nicht überreden. „Was hältst du davon, wenn wir im Sommer mal in einen kleinen Park fahren und uns dann auf den ganzen Reifenrutschen austoben?“, lächelte Shina freudig und zückte ihr Smartphone. Dort zeigte sie der Ängstlichen einen großen Park in der Nähe, welcher einige ausgefallene und spaßige Attraktionen hatte. Rin Augen begannen förmlich zu leuchten und man merkte, dass sie großes Interesse zeigte: „Sowas habe ich noch nie gemacht. Das sieht ja cool aus.“ „Dann lass uns dahin gehen“, stieg nun auch in der Brünetten Vorfreude auf. Das Leuchten in den Augen der Blauhaarigen wurde jedoch schlagartig wieder unterbunden: „Na ja, ich werde dann aber vermutlich in eine Schockstarre verfallen und sowieso keine der Sache machen können. Am Ende sitze ich alleine rum und schaue allen anderen zu wie sie Spaß haben.“ Deprimiert fläzte das Mädchen auf der Couch und hatte sich die unschöne Zukunft bereits ausgemalt. Wie sollte es auch anders sein? Es ist nicht so, dass sie es nicht wollte, aber ihre Angst war unkontrollierbar. Und diese würde auch nicht einfach von heute auf morgen verschwinden. Ihr ganzes Leben lang war sie schon da, warum also sollte sie ganz plötzlich einfach weg sein? „Wie machen wir das denn am besten, dass dieses Szenario am Ende nicht passiert und du ganz unbeschwert sein kannst?“, fragte Shina ungehalten. Daraufhin musste Angesprochene überlegen: „Theoretisch geht das nur, wenn ich mich nicht mehr fürchte.“ Noch bevor Rin etwas Negatives anhängen konnte, sprach ihre Kollegin: „Ja super. Hast du heute Abend noch ein wenig Zeit? Lass uns was Schönes machen.“ „Was willst du denn machen?“, fragte die Blauhaarige neugierig. Zur Antwort bekam sie jedoch keine weiteren Informationen außer, dass sie sich überraschen lassen sollte. Damit hatte es die Oberschülerin geschafft, dass die Stipendiatin vorerst nicht mehr zu ihren negativen Gedanken zurückkehrte und in ihr erstmal sehr viel Vorfreude und positive Erwartungen aufstiegen. Schnell verschwand das Mädchen schlussendlich im Badezimmer, um sich aus ihrem Badeanzug zu schälen und wieder normale Kleidung anzuziehen. Unterdessen suchte der Grundschüler das Gespräch: „Wie hast du es angestellt, dass Rin plötzlich darüber nachdenkt ihre Ängste selbstständig zu besiegen? Es ist ja nicht so, als hätten das nicht schon andere versucht.“ Kurz überlegte Shina: „Eigentlich ist das nicht so schwer. Wichtig ist nur, dass sie es selbst will und nicht dazu gezwungen wird. Der Trick ist nur einen Ansporn zu finden und sie selbst drauf kommen zu lassen wie sie das Ziel am besten erreicht.“ „Das verstehe ich nicht. Ihr wurde ja auch schon mehrfach der Spaß am Wasser dargelegt. Warum hat das dann nicht funktioniert?“, überlegte der Schwarz-Blauhaarige angestrengt. „Ich gehe mal davon aus, dass ihr zuvor eine Meinung vorgesetzt wurde. Es gibt einen Unterschied zwischen: Jemandem zu sagen, dass es Spaß macht und jemanden dazu zu bringen selbst zu begreifen, dass es Spaß macht. Man handelt immer aus eigener Überzeugung und nicht aus der eines anderen“, erklärte die Brünette, „Und wenn jemand selbst auf Lösungsideen kommt, dann ist der Ansporn größer, weil man eher dran glaubt, dass es klappen wird. Es ist ja die eigene Idee.“ „Verwirrend… Ich finde trotzdem, dass Konfrontation der beste Weg ist“, blieb der Grundschüler bei seiner Meinung. „Ohne geht’s logischerweise nicht. Aber es wird auch nicht funktionieren, wenn sie gezwungen wird. Es ist wichtig, dass Rin das auch selbst möchte“, versuchte die Ältere es ihm zu erklären.   Es begann bereits zu dämmern, als die beiden Oberschülerinnen ihr Ziel erreicht hatten. So standen sie nun im traditionell angehauchten Stadtteil Mizuirochi vor einem Onsen. „Gehen wir da jetzt wirklich rein?“, hörte man leichte Furcht in Rins Stimme. „Nur, wenn du möchtest. Das Wasser dort ist relativ flach und es sind meist nur alte Menschen dort, sodass es sehr ruhig und entspannt zugeht“, erklärte ihre Begleitung. „Das heißt also, wenn ich es schaffe da reinzugehen, dann schaffe ich auch den Wasserpark, oder?“, ballte die Blauhaarige ihre Fäuste und war voller Tatendrang. „Aber klar doch. Wenn du das packst, dann kannst du alles schaffen“, lächelte Shina freudig und die beiden traten ein. Am Empfang stand ein älterer Herr, welcher die Tickets verkaufte und erklärte wo die Räumlichkeiten für die Frauen waren. Allerdings genügte es den Suzuki-Pin vorzuzeigen, um der Bezahlung zu entgehen. So traten die beiden Mädchen in die Kabine für Frauen ein und entkleideten sich, um kurz darauf mit umgebundenem Handtuch und hochgesteckten Haaren in einem Vorzimmer zu landen. Dort erstreckten sich rechts und links niedrige Wände mit Wasserhähnen, Duschbrausen und Ablageflächen. Jeweils davor standen sehr niedrige Hocker und überall waren recht flache kleine Holzeimerchen. Die Plätze waren zum Teil bereits von älteren Damen belegt, die sich die Haare wuschen und anschließend einen Wassereimer überkippten. Es war eine sehr traditionelle und alte Räumlichkeit, welche mit einem Vorhang zur Umkleide abgetrennt war und dessen Boden aus dunklem Holz bestand. Trotz allem wirkte es nicht schäbig, sondern war sehr gepflegt und wirkte überaus entspannend. Um ins Wasser gehen zu dürfen, war es Pflicht sich erst mal abzuwaschen, weswegen sich die Mädchen zu den älteren Damen auf die Hocker gesellten. Dort kippten sie sich ein paar Ladungen Wasser mit dem kleinen Eimerchen über, ohne ihre Haare nasszumachen. Diese wollten sie nämlich nicht waschen. Sie würden sowieso nicht nass werden. Ohne groß drüber nachzudenken ging Rin mit der kleinen Wassermenge in dem Pöttchen problemlos um. Wenn sie an die größere Menge dachte, welche sie im Anschluss erwartete, erschien diese völlig nichtig. Kaum waren sie fertig, schritten sie am anderen Ende des Raumes durch eine Tür und kamen so zu einer wunderschönen Außenanlage. Der Boden, welcher sich vor der heißen Quelle erstreckte war wie im Waschraum aus dunkelbraunem Holz. Im Anschluss folgte direkt das großflächige heiße Wasser, welches mit großen Steinen und Felsen eingerahmt war. Drumherum war ein großer Holzzaun gebaut, welcher verhinderte, dass jemand ins Frauenbad hineinschauen konnte. Zudem lag ein leichter Nebel über dem Nass, welcher dem Verhältnis zwischen heißem Wasser und kalter Außentemperatur geschuldet war. Außerdem war der vordere Teil der Außenanlage mit einem hübschen Holzdach überbaut, während der hintere den Blick in den Himmel ermöglichte. „Lass uns schnell reingehen, es ist kalt“, war Shina ziemlich schnell drinnen und sah erwartungsvoll zu ihrer Kollegin hinauf. Diese rang noch mit sich und wusste nicht so recht, ob sie nun reinwollte oder nicht. Eigentlich hatte sie es sich fest vorgenommen und abgesehen davon war ihr auch ziemlich kalt. Immerhin war sie genau wie die Brünette noch nass und draußen waren nicht unbedingt sommerliche Temperaturen. Als Rin noch voll in ihren Gedanken steckt, war ihre Begleitung schon weiter nach hinten gegangen und bewunderte nun den sternenklaren Horizont. Es war nämlich bereits dunkel geworden und nur einige wenige Laterne beleuchteten den Außenbereich mit spärlichem Licht. „Wow der Himmel sieht wunderschön aus“, bewunderte Shina diesen. Die Wasserscheue wurde hellhörig und richtete ihren Blick ebenfalls nach oben. Allerdings blieb sie an einem Dach hängen und konnte gar nichts erkennen. „Oh nein, ich seh von hier aus nichts“, jammerte die Blauhaarige. „Dann komm schnell rüber“, winkte ihre Kollegin sie zu sich, ohne die Sterne aus den Augen zu lassen, „Oh! Eine Sternschnuppe!“ „Wirklich?!“, war die Stipendiatin hellauf begeistert und tat einen vorsichtigen Schritt ins kniehohe Wasser. Kaum stand sie sicher darin, lief sie neugierig zu der Brünetten und richtete ihren Blick gen Himmel. Es war wirklich ein sehr schöner Anblick, welchen sie einige Sekunden stillstehend betrachtete, ehe sie wieder zu Zittern begann. „Komm runter, hier ist warm“, lockte Sitzende Rin komplett ins Wasser. Diese tat ohne groß nachzudenken wie ihr geheißen und tauchte bis zu den Schultern in die heiße Quelle. Neugierig waren ihre Augen noch immer nach oben gerichtet, in der Hoffnung ebenfalls eine Sternschnuppe zu sehen. „Angenehm, nicht wahr?“, grinste Shina das Mädchen an. Diese sah zu ihr herüber und erschreckte sich kurz: „Huh?! Ich bin im Wasser!“ Daraufhin musste die Brünette lachen. Irgendwie war ihre Kollegin in dieser Hinsicht ein wenig wie ein kleines Kind, welches man in sein Glück schubsen musste. „Aber du hast recht“, beruhigte sich die Oberschülerin schnell wieder, „Es ist wirklich sehr angenehm und beruhigend.“ „Dann sollten wir das öfter machen, oder was meinst du?“, kam direkt zur Antwort. Ein fröhliches Nicken bestätigte und ihr Blick wanderte wieder gen Himmel: „War da wirklich eine Sternschnuppe?“ Sich im Nacken kratzend kam nur ein freches Grinsen und eine herausgestreckte Zunge zur Antwort. Es war also nur ein Vorwand, um ihr die Angst zu nehmen, in welcher sie sich kurzerhand wieder verrannt hatte. Böse konnte die Blauhaarige ihr jedoch nicht sein, immerhin war der Trick zu ihrem beste und ziemlich erfolgreich. „Du, Shina?“, wechselte die Wasserscheue das Thema. Ein „hm?“ kam zur Antwort und sie setzte fort: „Du magst Schwimmbäder und sowas echt gerne, oder?“ „Wie kommst du plötzlich darauf?“, war Angesprochene etwas verdutzt, „Aber ja, ich schwimme sehr gerne. Im Wasser fühlt man sich so schwerelos und frei.“ „Warum bist du dann nicht im Schwimmclub?“, wunderte sich Rin. „Das passt zeitlich einfach nicht mehr in den Plan“, betrübte sich ihr Gesicht ein wenig, „Außerdem sind da viele gute Schwimmer. Da kann ich sicherlich nicht mithalten.“ „Geht’s in erster Linie nicht um den Spaß und die Liebe zu diesem Sport?“, verstand die Stipendiatin nicht ganz. „Mag vielleicht sein, aber das passt mit meiner Arbeit für Suzuki-kun einfach nicht mehr zusammen. Ich habe keine Zeit, um mich aktiv darauf zu konzentrieren“, trug sie ihre Gründe vor. „Ich spiele doch auch nebenbei Lacrosse. Da bin ich sicher, dass wir das auch geregelt bekommen“, war die Sportlerin sich sicher, „Wobei ich nicht verstehe warum du für Kuro arbeitest. Erpresst er dich oder so?“ „Wie kommst du bloß immer auf solche abstrakten Ideen?“, musste die Brünette lachen, „Man kann einiges dazulernen und Geld kann man sowieso immer gebrauchen. Auch wenn ich ein Stipendium habe.“ Erstaunt kam es von Rin: „Du hast auch ein Stipendium? Ach, deswegen benimmst du dich nicht so bescheuert wie die anderen Schnepfen.“ „Na ja, ein Stipendium heißt ja nicht, dass man arm ist oder so. Man ist einfach nur sehr gut in der Schule“, versuchte Shina jegliche negativen Vorurteile direkt aus der Welt zu schaffen. „Ja, da hast du wohl recht“, stimmte ihr Gegenüber ihr zu. Noch eine Weile plauderten sie fröhlich miteinander und die Blauhaarige konnte sogar kurzzeitig einen kleinen blau schimmernden Schmetterling aufsteigen sehen. Shinas Social Link war wie es schien auf die dritte Stufe gestiegen.   Kapitel 39 - Realitätsflucht ---------------------------- Montag, 18. Mai 2015   Endlich war es so weit: Der Tag der Prüfungsergebnisse war herangebrochen und nervös suchend stand Shina vor der großen Anschlagtafel im Eingangsbereich des Schulgebäudes. Dort hingen wie immer die Leistungen aller Schüler aus, die bestanden hatten. War man durchgefallen, wurde man nicht gelistet. Nachdem die Brünette ihren Namen fand, atmete sie erleichtert auf. Sie war sogar unter den besten 20 des Jahrgangs, weswegen ihre Sorge mehr als unbegründet war. Neugierig schweifte ihr Blick nochmal über die große Liste und sie entdeckte auch Kuro, welcher sogar unter den Top 10 thronte. Eigentlich war es von ihm auch nicht anders zu erwarten, obwohl sich das Mädchen immer wieder fragt wann es der Ältere schaffte zu lernen. Seine Arbeit war nie endend und er hatte selten Zeit zu Verschnaufen. Doch bevor Shina den Gedanken vertiefen konnte, wurde sie plötzlich ins Hier und Jetzt zurückgeholt, als zwei der jüngeren Schülerinnen recht laut ihr Erstaunen äußerten: „Woah es haben zwei Leute aus der ersten die volle Punktzahl erreicht in den Prüfungen!“ „Wie krass ist das denn?!“, entgegnete die andere. „Schaut mal, die heißen beide Nakatsu mit Nachnamen“, trat ein Mitschüler an sie heran. „Shura Nakatsu ist bei mir in der Klasse, aber er kam mir nie sehr strebsam vor. Shun Nakatsu kenne ich nicht“, kam es von einem der Mädchen. „Der ist in der Parallelklasse laut dem Aushang hier“, meinte ihre Freundin. Erstere war noch immer mit der Verwandtschaftsfrage beschäftigt: „Ob die beiden wohl verwandt sind?“ „Kann schon sein. Aber wenn das wirklich Zwillinge sind, ist mir das noch nie aufgefallen“, grübelte der junge Mann. Das laute Gespräch zog einige weitere neugierige Schüler an und es bildete sich ein recht großer Auflauf. Schnell flüchtete die Brünette, um nicht über den Haufen gerannt zu werden. Eigentlich war es ja normal, dass vor den Ergebnissen immer einige herumstanden, aber das war ihr dann doch zu viel. Da Shina vor dem Unterricht sowieso noch auf die Toilette wollte, um dort schnell ihre Frisur zu richten, tat sie dies. Draußen hatte es auf dem Weg zum Schulgebäude leicht zu regnen begonnen, weswegen sie ein wenig nass wurde und nun noch mal ihr Aussehen überprüfen wollte. „Oh, Minatsuki-chan. Du auch hier?“, kam es von einer Blonden, welche vor dem Spiegel stand und sich soeben Lipgloss auf die Lippen pinselte. Direkt neben dieser war eine weitere Schülerin gerade mit ihrem Make-up beschäftigt. „Ja, der Regen draußen kam ziemlich überraschend“, blickte neu Hinzugekommene in ihr Spiegelbild und strich sich durch die Haare. „Ich hab deine Ergebnisse gesehen“, sprach nun auch die zweite, „Da kann man glatt neidisch werden, dass du so gut bist. Ich bin wahrscheinlich in Altjapanisch durchgefallen.“ Die Blonde stieg daraufhin direkt in das Gejammer ein: „Ja, stimmt. Ich will auch so gute Ergebnisse haben. Bei mir sind es sogar zwei Fächer in denen ich auf der Kippe stehe.“ Verlegen grinsend sah die Topschülerin zu ihren Klassenkameradinnen herüber. Sie wusste nicht was sie antworten sollte, denn am liebsten wäre sie ihnen an die Gurgel gesprungen. Sich zu wünschen besser zu sein war eine Sache, aber Shina wusste genau, dass die beiden so gut wie gar nicht gelernt hatten. Sie selbst musste sich jedes Mal richtig reinknien, um diese Leistungen erbringen zu können. Das fiel ihr doch auch nicht einfach in den Schoß. Die beiden Durchgefallenen meckerten noch kurz weiter, ehe sie schließlich wieder die Toilette verließen. Zurückgebliebene wollten sie zwar direkt mit zum Klassenzimmer schleifen, diese beteuerte jedoch sich noch erleichtern zu müssen.   Wenige Minuten später kam dann auch Shina aus der Damentoilette heraus. Nun galt es sich zu beeilen, denn es klingelte gleich zum Unterricht. Um zu ihrem Klassenraum zu gelangen, musste sie wieder am Eingangsbereich vorbei und die Treppe nach oben nehmen. Die Schüler waren schon so gut wie alle in ihren Räumen, als die Brünette auf halbem Weg ihre beiden Mitschülerinnen entdeckte. Diese standen bei den Prüfungsergebnissen und ließen ihren Frust scheinbar gerade an jemandem aus: „Wer hätte gedacht, dass du so dumm bist? Dabei bist du doch Stipendiatin“ „Wenigstens sind wir dich jetzt endlich wieder los“, lachte die andere, „So jemand wie du passt einfach nicht zu dieser Schule.“ Beide brachen sie in Gelächert aus, während sie weiterhin gehässig auf ihr Opfer einredeten. Dieses kauerte bereits auf dem Boden, als Shina die Szene von weitem erblickte. Wie angewurzelt blieb die Brünette einige Meter weiter unbemerkt stehen und schaute nur geschockt zu. Natürlich kannte sie Gemobbte und wusste für den Moment nicht was sie tun sollte. Es war Rin, welche schon wieder zur Zielscheibe wurde. War die Blauhaarige etwa komplett durchgefallen? Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr realisierte sie, dass sie die Stipendiatin gar nicht auf dem Anschlagbrett gesehen hatte. Was sollte sie nun tun? Schweißperlen rannen ihr die Stirn hinunter und sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Am liebsten wäre sie losgestürmt, um ihrer Kollegin zu helfen. Sie mochte die beiden Schnepfen aus ihrer Klasse selbst nicht und würde ihnen am liebsten mal die Meinung geigen. Aber wenn sie das täte, würde sie genauso auf der Abschussliste landen wie Rin. Das konnte sie auf gar keinen Fall riskieren. Was hatte sie also davon dem Mädchen zu helfen? Sie hätte dadurch noch nicht mal eine Freundschaft bewahrt, da die Blauhaarige ihr Stipendium verloren hatte und sowieso von der Schule abgehen würde. Verzweifelt biss sie sich auf die Unterlippe. Was nun? Panisch folgte sie dem weiteren Geschehen und sah wie die blonde Mitschülerin sich zu ihrem Opfer herunterbeugte und ihr belustigt die Uniformschleife entriss: „Die brauchst du ja jetzt nicht mehr.“ Kichernd nahm ihre Freundin diese mit zwei Fingern entgegen und warf sie ohne zu zögern angeekelt in den nächsten Mülleimer: „Ihh, ich hab ihren ekligen Kram angefasst.“ Belustigt über die ach so coole Aktion feierten die Mobber ihre Tat, während Shina noch immer wie versteinert war. Sie wusste, dass Rin häufig böse Worte erntete, gerade weil sie nicht aus wohlhabenden Verhältnissen stammte und zu allem Übel auch noch häufig vom beliebtesten Schüler angesprochen wurde. Der „Suzuki-Prinz“ war generell ein ziemlich großer Streitpunkt unter vielen der Mädchen. Aber wer konnte denn ahnen, dass das Mobbing solche Ausmaße annehmen würde? Die Brünette musste jetzt endlich eingreifen! Zittrig setzte sie einen Fuß vor den anderen, als es plötzlich zum Unterricht klingelte. Das unerwartete Geräusch ließ Versteinerte heftig zusammenzucken und sie hielt kurzzeitig den Atem an. Einige Schritte rückwärtsgehend drehte sich das Mädchen schlagartig um und verschwand hinter der nächsten Ecke. Ihr beiden Mitschülerinnen sprangen nämlich auf, um sich in Bewegung zu setzten und Shina wollte nun doch nicht mehr von ihnen entdeckt werden. Das Mobbing wurde immerhin durch die Klingel unterbunden. Schwer schnaubend und mit rasendem Herz lehnte sie mit dem Rücken zur Wand und versuchte sich wieder zu beruhigen. So viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf und sie wusste nicht wie sie sie ordnen sollte. Das Einzige was sie realisierte, war dieses absolut schreckliche Gefühl welches durch ihren ganzen Körper drang. Es waren Gewissensbisse, Reue und auch Wut, welche sich vermischten und die Oberschülerin maßlos überforderten. Immer schneller atmend sackte sie zusammen und hielt sich den Bauch. Zu allem Überfluss war ihr nun auch noch kotzelend geworden. Aber es half nichts, sie musste sich zumindest vergewissern, dass es Rin gutging. Deswegen hangelte sie sich fast schon kriechend auf dem Boden entlang. Kaum hatte sie es den Meter zur Ecke geschafft, erblickte sie nur einen leeren Flur. Scheinbar hatte sich die Blauhaarige aufgerafft und war in ihre Klasse geeilt. Aus einem unerklärlichen Grund erleichterte es Shina und ihr Puls normalisierte sich allmählich, bevor ihr plötzlich schwarz vor Augen wurde.   Mit brummendem Schädel wachte Umgekippte wenig später im Sanitätsraum wieder auf. Tatsächlich war es die Schulklingel, welche sie aus ihrem Schlaf riss. Diese läutete soeben die erste kurze Pause ein. Schwermütig rappelte sich das Mädchen auf und sah sich irritiert um. Wie war sie hierhergekommen? Und wie lange war sie bereits hier? Ein kurzer Blick auf ihr Smartphone verriet ihr nicht nur die Uhrzeit, sondern sie entdeckte auch neue Nachrichten. Allesamt von Kuro, welcher in ersterer schieb, dass sie heute besser im Bett bleiben sollte. Die nächste war circa 10 Minuten später eingegangen und beinhaltete, dass sie auch nicht arbeiten kommen sollte. Rin könne die Aufgaben ja auch erledigen. Kaum hatte die Oberschülerin das gelesen kreisten ihre Gedanken erneut um die Geschehnisse vor dem Unterricht und ihre Schuldgefühle kamen schlagartig wieder zurück. Zuerst konnte sie der Blauhaarigen keine Hilfe sein und nun würde sie ihr durch ihren Ausfall auch noch extra Arbeit aufhäufen? Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen. Sie durfte heute nicht ausfallen. Shina wollte soeben ihre Antwort schreiben, als die Tür aufgeschoben wurde. Kein geringerer als der Suzuki-Erbe betrat den Raum, wodurch sich die Brünette das Tippen sparen konnte. „Suzuki-kun! Ich kann heute ganz normal arbeiten und am Unterricht teilnehmen“, kam es direkt aus dem Mädchen. „Du lagst bewusstlos im Flur. Das erscheint mir heute nicht sehr sinnvoll. Ruh dich bitte erstmal aus und lass dich am besten noch mal durchchecken“, erwiderte der Ältere, „Aber ich bin nicht hier um das jetzt mit dir auszudiskutieren.“ Er machte eine kurze Pause und Shina sah ihn erwartungsvoll an. Zwar wollte sie gegenargumentieren, aber ihre Neugierde war größer. Weswegen war er denn dann hier? „Hast du die Nervensäge heute schon gesehen?“, fragte Kuro. „Wer?“, verstand das Mädchen nicht genau wen er meinte. Kurz schnaubte der Schwarzhaarige: „Rin.“ „Ach so“, ließ sie ihren Blick schweifen, „Sag das doch gleich.“ Grübelnd stand der Suzuki-Erbe da: „Selbst, wenn sie nur verschlafen hätte, wäre sie doch mittlerweile längst da. Die bekommt generell noch mal ordentlich was zu hören, wenn sie mir unter die Augen kommt. Sie ist komplett durchgefallen! Wie kann man denn so blöd sein?“ Meckernd ließ Kuro seiner Wut freien Lauf, während sein Gegenüber schweigend unter sich starrte. „Sie fliegt jetzt von der Schule, oder?“, murmelte die Brünette. „Das ist auch noch ein Grund weswegen ich sie suche. Es gibt einige Themen zu besprechen und Arbeit habe ich auch eine Menge für sie“, wurde sein Tonfall wieder etwas ruhiger. „Ich weiß leider auch nicht wo sie steckt. Deswegen lass mich bitte meine Arbeit heute erledigen“, flehte Shina beinahe schon. „Nein“, kam es mit einem genervten Unterton von dem jungen Mann, „Geh ins Wohnheim, bevor ich dich heute noch mal vom Boden aufheben muss.“ Mit diesem Satz verließ er den Raum wieder und eine geschockte Oberschülerin blieb zurück. Erst jetzt verstand sie, dass er es war, der sie hergebracht hatte. Aber eigentlich war es mehr als logisch. Woher hätte er sonst wissen sollen, dass sie umgekippt war? Peinlich berührt ließ sie sich wieder zurück ins Bett plumpsen und zog sich die Decke bis über den Kopf. Insgeheim hoffte sie auch inständig, dass keiner ihrer Mitschüler gesehen hatte was passiert war. Ein solch enger Kontakt zum „Suzuki-Prinzen“ würde ihr nur jede Menge Ärger einbringen.   Als Shina sich am Nachmittag endlich auf den Weg zurück ins Wohnheim schleppte, ging sie direkt zu Rins Zimmer. Obwohl sie immer noch das Kopfweh plagte, wollte sie nun auch wissen wo die Blauhaarige war. Nach der Aktion heute Morgen war es eigentlich nicht verwunderlich, dass ihre Kollegin nicht im Unterricht aufgetaucht war. Das hätte sie sich aber auch bereits vorher denken können. Sie selbst wäre dann gewiss auch nicht im Klassenraum erschienen, sondern nach Hause gegangen. Zwar wusste die Brünette nicht wie genau sie der Gemobbten gegenübertreten sollte, jedoch wollte sie unbedingt nach ihr sehen. Sie machte sich große Sorgen und hoffe, dass nichts weiter passiert war. Schnell ließ sie ihren Blick noch mal prüfend über den Gang schweifen, ehe sie an die Tür klopfte. Keine Reaktion. Noch einige Male versuchte sie es und rief sogar nach dem Mädchen. Es brachte allerdings nichts und ihr blieb keine andere Wahl, als an der Rezeption nach Informationen zu fragen. Völlig außer Atem kam sie dort an. Leider machte ihr Körper heute was er wollte und sie sah langsam selbst ein, dass sie ins Bett gehörte. Es dauerte eine Weile bis Shina endlich in Erfahrung bringen konnte, ob Rin im Zimmer war. Die Antwort, welche sie bekam war allerdings nicht die, welche sie sich erhofft hatte. Die Blauhaarige war seitdem sie zur Schule gegangen war nicht mehr im Wohnheim gewesen. Aber wo war sie? „Ob sie vielleicht nach Hause gegangen ist?“, murmelte die Oberschülerin, als sie sich auf den Weg nach oben begab. Sie wollte sich endlich hinlegen, da ihr schon wieder etwas schwummrig war. Kaum lag sie dann endlich in ihrem Bett, wählte sie die Nummer ihrer Kollegin. Diese nahm nach ewig langem Klingeln jedoch nicht ab. Also versuchte sie es über LINE und schrieb, dass Kuro auf der Suche nach ihr war und sie sich bitte melden soll. Die Nachricht war allerdings noch weniger hilfreich, denn sie kam nicht bei ihr an. Fast so als hätte sie ihr Telefon in diesem Moment ausgeschaltet. Ein erneuter Versuch die Stipendiatin anzurufen bestätigte den Verdacht. Zumindest war das irgendein Lebenszeichen und ein Hauch von Erleichterung entwisch der Brünetten. Trotz allem war das noch lange keine Bestätigung dafür, dass es ihr gutging. Erneut tippte Shina auf ihrem Handy herum und wählte eine andere Nummer. „Ja hallo?“, ertönte die Stimme des Suzuki-Erben. „Hallo ich bin’s. Also… Ich weiß, dass du viel um die Ohren hast, aber“, machte sie eine kleine Pause ehe sie zum Punkt kam, „bitte finde Rin. Ich mache mir wirklich Sorgen. Im Wohnheim ist sie auch nicht.“ „Ist schon untypisch, dass sie einfach verschwunden ist“, überlegte der Ältere, „Zumal sie keinen Grund hat. Ihre Prüfungsergebnisse hat sie ja auch noch gar nicht gesehen und ansonsten war ja auch nichts vorgefallen, oder?“ Die Brünette schluckte. Natürlich war was vorgefallen, aber das konnte sie ihm nicht sagen. Würde sie ihm erklären, dass Rin ziemlich heftig gemobbt wurde und sich heute Morgen auch ein übler Vorfall ereignet hatte, würde er das Ganze hinterfragen. Dann würde er mitbekommen, dass Shina ein Feigling war und jedes Mal einfach tatenlos zugesehen hatte. Zumal sie sich sicher war, dass Kuro gewiss keine Hilfe war, um das Mobbing zu beenden. Immerhin war er auch einer der Gründe, weswegen die Mädels die Stipendiatin auf dem Kieker hatten. Es brachte also sowieso nichts es ihm zu beichten. „Na ja…“, zögerte Shina, „Rin weiß, dass sie durchgefallen ist. Und ich glaube, dass ihr das Stipendiat sehr, sehr wichtig war. Deswegen mache ich mir auch ein wenig Sorgen.“ Zumindest das konnte sie dem jungen Mann sagen, um ihm einen Grund zu nennen, dass er sich nun hoffentlich in Bewegung setzte. Die Brünette war sich immerhin im Klaren, dass der Ältere die Möglichkeit hatte die Verschollene per GPS über den Pin zu orten. Abgesehen davon wusste Shina selbst nicht wo sie die Suche fortsetzen sollte und war zudem körperlich alles andere als fit. Unter undeutlichem Fluchen legte der Schwarzhaarige einfach auf und das Mädchen atmete erleichtert auf. Sie kannte ihn nun schon eine Weile und wusste, dass ihm seine Angestellten nicht egal waren. Auch wenn er sich immer mit Rin stritt, hieß das nicht, dass sie ihm komplett egal war.   Knurrend öffnete er das Ortungsprogramm an seinem PC und suchte nach dem Standort der Vermissten. Kurz erklärte er seinem Butler Joel was los war und schickte diesen anschließend auf den Weg zum georteten Signal. Er sollte Rin finden und sie zum Suzuki-Anwesen bringen. Gesagt getan fuhr der ältere Mann quer durch die Stadt, während Kuro seiner Arbeit weiter nachging. Es verstrich über eine Stunde und der junge Mann wurde zunehmend unkonzentrierter. Dass er noch immer keine Antwort hatte, nervte ihn. Um auf andere Gedanken zu kommen verließ er schließlich sein Büro und ging zur Küche, um sich etwas zum Essen zu organisieren. Es war zwar noch ein wenig zu früh zum Abendessen, aber es lenkte ihn wenigstens von der Warterei ab. Gerade als er sich einen Ladung Reis in den Mund schob, klingelte plötzlich sein Smartphone. Kurz zuckte er zusammen, da er nicht mit einem Anruf rechnete. Einen Blick auf das Display kläre aber schnell wer ihn anrief und sofort nahm der Schwarzhaarige ab: „Hast du sie gefunden, Joel?“ „Komischerweise nicht. Das Signal kommt aber ganz eindeutig hier von diesem Friedhof“, erklärte er. Nun öffnete auch der Suzuki-Erbe noch mal das Ortungsprogramm, um sich zu vergewissern. Unterdessen schwiegen sich die beiden an und das Einzige was man vernehmen konnte, war der prasselnde Regen auf dem Schirm des Älteren. Es wollte heute gar nicht mehr damit aufhören. „Kann es vielleicht sein, dass diese Idiotin den Pin verloren hat und du sie deshalb nicht findest?“, brach Kuro schließlich wieder die Stille. Auch er sah nun, dass die geortete Stelle seit letztem Mal gar nicht gewandert war. „Das habe ich auch schon überlegt, deswegen habe ich hier nach dem Anstecker gesucht. Mittlerweile weiß ich auch warum Aikawa-chan hier gewesen war und ich hab genauer um das Familiengrab herum gesucht, aber keine Chance“, klärte sich somit auf, warum die Antwort des Butlers so lange auf sich warten ließ. „Familiengrab?“, galt die Aufmerksamkeit des Jüngeren nun dieser Tatsache, „Kannst du mir ein Foto davon schicken? Vielleicht hilft uns das weiter.“ Etwas irritiert hakte Joel nach: „Warum sollte das helfen?“ Eine Antwort blieb aus, stattdessen war der Blick des Suzuki-Erben auf die Karte fixiert, auf welcher das Signal plötzlich anfing zu flackern, ehe es komplett erlosch. „Na super, ich glaub jetzt ist der Pin komplett hinüber“, meckerte er, als er soeben auf LINE das gewünschte Foto vom Grab empfing. Gerade als er sich dieses anschauen wollte, ploppte plötzlich das Signal wieder auf der Karte auf. Dieses Mal aber um einiges weiter weg mitten im Wald auf dem Berg zum Mizuiro Tempel hinauf. „Hast du das gesehen?!“, kam es entgeistert vom Oberschüler. Zustimmung ertönte am anderen Ende des Hörers: „Das ist auf dem Wanderweg und fernab der Straße, durch welche man mit dem Auto nach oben gelangt. Aber es regnet wie aus Eimern, da müsste der Weg fast schon unpassierbar sein durch den ganzen Schlamm.“ „Hol mich ab, ich verfolge das Signal, Joel“, forderte Kuro ernst, „Wahrscheinlich ist der Anstecker vom ganzen Regen nass geworden und hat nun Schwierigkeiten den genauen Standort zu übermitteln.“ „Das ist doch Blödsinn, junger Herr. Ich nehme die Straße und warte einfach oben, bis sie angekommen ist“, widersetzte sich der Ältere. „Wer sagt, dass sie überhaupt ankommt?“, konnte man seine Sorge deutlich heraushören. Kurz stockte der Butler: „Wir sollten wohl besser die Feuerwehr alarmieren.“ Irgendwie schaffte es der Suzuki-Erbe ihn zu überreden, dass er das erst mal nicht tat. Stattdessen hatte er den jungen Mann zügig aufgegabelt und sie parkten nun am Fuße des Wanderwegs. Der Regen verschlimmerte sich immer mehr und in der Ferne konnte man den ein oder anderen Blitz erkennen, auf welchem nach einigen Sekunden auch ein lauter Donner folgte. „Das ist Wahnsinn da jetzt hochzuwandern!“, redete Joel auf ihn ein, „Lasst uns die Feuerwehr verständigen und Aikawa-chan bei der Polizei als vermisst melden. Das ist viel vernünftiger als sich selbst in Gefahr zu bringen!“ „Mach dir keine Sorgen“, zog Kuro entschlossen den Reißverschluss seiner Regenjacke zu, „Ich habe zu der Natur eine besondere Bindung. Sie wird mich schützen, vertrau mir. Warte zur Sicherheit oben auf dem Berg.“ Noch bevor der Ältere diesen Blödsinn kommentieren konnte, hatte der Schwarzhaarige sich mit einem Griff die Kapuze übergeworfen und war auch schon aus dem Wagen gestürmt. Was nun? Joel vertraute eigentlich bisher immer auf das Urteilsvermögen des Oberschülers, aber dieses Mal erschien es ihm getrübt zu sein. Andererseits konnte er auch nicht einfach bei Polizei und Feuerwehr anrufen. Na ja, klar konnte er es, aber die Kettenreaktion die dieser kurze Anruf auslösen würde, wäre fatal. Und solange die Probleme noch allein zu lösen waren, wollte er diese Kettenreaktion genauso umgehen wie der Jüngere es aktuell versuchte. Doch war das in dieser Situation auch wirklich die richtige Entscheidung? War die Unversehrtheit zweier Menschen unwichtiger als die Mundpropaganda, welche dem Ruf der Suzukis schadete? Jeder interessierte sich für sie und einige würden sogar davon profitieren, wenn das Ansehen der Firma in den Dreck gezogen werden würde. Aber was hatte der Suzuki-Erbe denn davon, wenn er stattdessen seine Gesundheit aufs Spiel setzte? Joel konnte und durfte es nicht entscheiden. Auch ein anonymer Anruf würde jetzt nichts mehr bringen. Selbst wenn die Beamten das Mädchen finden würden, wäre Kuro auf kurz oder lang auch gefunden worden. Mit mulmigem Gefühl machte sich der Butler schließlich mit dem Auto auf den Weg nach oben zum Tempel.   Kapitel 40 - Nur die halbe Wahrheit ----------------------------------- Montag, 18. Mai 2015   Während Joel mit dem Auto auf dem Weg zum Tempel war, bahnte sich Kuro unterdessen den matschigen Trampelpfad nach oben. Natürlich nutzte er dazu seine Elementarfähigkeiten, um schneller voranzukommen. Hin und wieder kam es vor, dass seine Füße im Schlamm den Halt verloren und er wegzurutschen drohte. Damit dies nicht passierte, manipulierte er die Erde so, dass sie ihn stattdessen stützte und er somit schnellen Schrittes vorankam. Eigentlich hätte man ja meinen können, dass die ganzen Bäume, welche diesen Wald formten ein wenig das Unwetter abhalten würden. Allerdings war genau das Gegenteil der Fall. Immer wieder prasselten dicke Wassertropfen auf den Suzuki-Erben hinab, welche sich zuvor in den Baumkronen gesammelt hatten. Auch der Wind pfiff ziemlich kalt für einen Mai. Aber das lag wohl auch daran, dass Kuro mittlerweile schon komplett durchnässt war. „Blödes Mistwetter“, fluchte der junge Mann zwischenzeitlich und zog seine Kapuze fester. Innerlich fragte er sich jedoch was er hier überhaupt tat. Klar, Shina hatte ihn gebeten nach Rin zu sehen, aber im Grunde war er doch eigentlich gar nicht verantwortlich. Oder? Das hätte auch jeder andere übernehmen können. In erster Linie war es ihm nur wichtig sie wegen der liegengebliebenen Arbeit zu finden. Andererseits hatte er sich auch schon ausgemalt wie er sie beschimpfen würde, wegen ihrer miserablen Prüfungsergebnisse und dass sie nicht mal zum Unterricht, geschweige denn zur Arbeit erschienen war. Aber nachdem die Brünette ihre Sorge verkündet hatte, wurde in ihm dieses Gefühl ebenfalls immer stärker. Nach wenigen Minuten griff der Schwarzhaarige schließlich nach seinem Smartphone, um die Taschenlampe zu aktivieren. Der Weg war nämlich nicht beleuchtet und es wurde zunehmend dunkler, woran das Unwetter auch nicht ganz unschuldig war. Suchend schaute sich Kuro mit ernster Miene um, konnte das Mädchen aber bis jetzt noch nirgends entdecken. Am zuletzt georteten Signal war er auch bereits vorbeigekommen. Leider aktualisierte sich der Standort nicht mehr und er wusste nicht, wo die Jüngere wirklich war. Möglicherweise hatte er sie aber auch übersehen und sie hatte sich in letzter Zeit gar nicht mehr bewegt. Das klang für ihn jedoch unrealistisch. Warum sollte sie auf halber Strecke verweilen. Und das in diesem Regen? Hatte sie nicht Angst vor Wassermengen? Was wenn sie überhaupt nicht mehr hier war und stattdessen nach Hause gegangen war? Plötzlich wurde der Wald für eine Sekunde in grelles Licht gehüllt. Schlagartig zuckte der Schwarzhaarige daraufhin zusammen, da er dies nicht hatte kommen sehen und kaum einen Wimpernschlag später folgte ein sehr lautes Donnern. Scharf zog er den Atem nach innen und erstarrte kurzzeitig. Generell hatte er nichts gegen Gewitter, aber für den Moment hatte er sich definitiv den ungeeignetsten Ort dafür ausgesucht. Viel Zeit darüber nachzudenken blieb ihm allerdings nicht, denn kaum verstummte das Grollen wieder, drang ein grelles Schreien durch den plätschernden Regen. Es war ungewiss wann es begann, denn es zog sich ziemlich in die Länge. Fakt war nur, dass sich in der Nähe jemand befand. „Das muss sie sein!“, schaute sich der Suzuki-Erbe hektisch in alle Richtungen um. Der Schrei war wieder verstummt und Kuro wusste nicht wo er hergekommen war. „Verdammt!“, fluchte er laut. Was nun?! Die Stimme konnte nur von Rin kommen. Kein normaler Mensch würde sich bei so einem Wetter hier im Wald aufhalten. „Hallo?!“, schrie er schließlich durch die Bäume in der Hoffnung eine Antwort zu bekommen, „Wo bist du?! Antworte!“ Keine Reaktion. Ob ihr etwas passiert und sie nicht mehr bei Bewusstsein war? Hunderte von Szenarien schossen plötzlich durch den Kopf des jungen Mannes und panisch schrie er immer wieder: „Rin! Riiiinnn!!! Wo bist du?! Antworte doch!“ Gefühlte Ewigkeiten stieß er ihren Namen immer und immer wieder aus. Er wusste nicht, ob der Schrei wirklich von ihr kam, geschweige denn, ob sie überhaupt noch hier auf dem Weg war. Plötzlich ging erneut ein Blitz nieder, welcher zeitgleich mit einem lauten Donner einige der Bäume in Kuros unmittelbarer Nähe traf und diese spaltete. Mit einem lauten Knall fielen die Stämme um und landeten auf dem schlammigen Boden. Obwohl noch einige Meter zwischen der Einschlagstelle und dem Schwarzhaarigen waren, schlug sein Herz schneller als je zuvor. Wäre er näher dran gewesen, wäre er nun sicherlich nicht mehr am Leben. Er hatte Glück, dass ihn weder der Blitz noch einer der Bäume getroffen hatte. Ein Feuer blieb glücklicherweise auch aus, da alles so durchnässt war, dass es gar keine Chance dazu gab. Erst jetzt vernahm er wieder das laute Schreien, welches schon eine Weile anhielt und es riss ihn schlagartig aus seiner Starre. Schnell! Er musste es orten! Hektisch fuhr er wieder herum und stolperte schließlich tiefer in den Wald, fernab des Weges an der Einschlagstelle vorbei. Zwischenzeitlich verstummte die Stimme wieder, aber dieses Mal war er sich sicher von wo er sie gehört hatte. Hektisch, fast schon panisch bahnte er sich seinen Weg durch den Matsch, während er einige Male den Halt verlor und zu Boden ging. Immer und immer wieder stand er auf als wäre nichts gewesen und rannte schwermütig weiter. Erneut rief er lautstark nach Rin, in der Hoffnung nun endlich eine Antwort zu erhalten. Möglicherweise hatte sie ihn zuvor einfach nicht gehört durch den lauten Regen, welcher auf die Bäume niederprasselte. So sehr er es sich aber erhoffte, die Rückantwort blieb aus. Außer Atem wurde sein Schritt immer langsamer und er konnte kaum noch die Füße heben, welche durch den angesammelten Schlamm immer schwerer wurden. „Wo ist diese Idiotin bloß?!“, fluchte er lauthals vor sich hin, als sein Fuß sich in einer Wurzel verfing und er der Länge nach in den Dreck fiel. Erneutes Fluchen ging von ihm aus, welches aber recht schnell wieder verstummte, als er ein Wimmern vernahm. Mit suchendem Blick stand er langsam wieder auf und fragte mit normaler Zimmerlautstärke: „Rin?“ Der Suzuki-Erbe vernahm daraufhin, wie jemand erschrocken die Luft nach innen zog. Dann verstummten die Laute wieder und nur noch das Rauschen des Regens drang an sein Ohr. Hektisch fuhr der Ältere wieder herum und versuchte mit seiner Taschenlampe das Mädchen zu finden. Sie musste ziemlich nah sein, sonst hätte er sie nicht gehört. „Rin. Ich weiß, dass du hier bist“, meinte Kuro mit ruhiger Stimme, „Komm endlich raus, damit wir beide aus diesem Unwetter rauskommen.“ Erneut blieb die Reaktion aus. „Du hast doch Angst vor dem Regen, oder?“, versuchte er sie behutsam hervorzulocken. Am liebsten wäre er ihr gerne an die Gurgel gesprungen für dieses dämliche Versteckspiel. Warum bloß zeigte sie sich nicht? Aber sie nun anzumeckern brachte in dieser Situation auch nichts. Weiter leuchtete der Schwarzhaarige die unmittelbare Umgebung ab, um einen Hinweis auf ihren Verbleib zu finden. Tatsächlich blieb sein Blick an einer Stelle hängen, an welcher der Regen einen Meter vor dem Erdboden mitten in der Luft abprallte, als wäre dort eine unsichtbare große Blase. Dort musste sie sein! Kuros Gesicht erhellte sich ein wenig und man konnte ihm die Erleichterung ansehen. Gleichzeitig kroch in ihm aber auch der Ärger auf, welchem er am liebsten sofort Luft machen wollte. Vorsichtig schritt er zu dem Ort hinüber an welchem er Rin vermutete und konnte einfach nicht mehr innehalten: „Bist du eigentlich komplett bescheuert?! Du hättest sterben können! Idiotin!“ „Du bist doch selbst ein Idiot! Warum bist du hier?!“, fauchte eine aggressive weibliche Stimme zurück. Ja, es war definitiv die gesuchte Oberschülerin, welche an diesem wasserabweisenden Fleckchen verweilte. Kaum hatte sie ein Wort gesprochen, wurde sie wieder sichtbar. Rin hatte sich ihre Fähigkeit der Unsichtbarkeit zu Nutze gemacht, um unentdeckt zu bleiben. Allerdings verstand der Schwarzhaarige nicht so ganz, warum sie trotz ihres Wasserschildes komplett durchnässt war. Besagtes Schild brach jedoch wieder ein, als sich das Mädchen versuchte aufzurappeln und mit verschränkten Armen vor dem Älteren aufbäumte. Ein wütendes Augenpaar starrte Kuro an und dieser wurde dadurch ebenso sauer. Statt Worten folgten jedoch Taten und ohne groß drüber nachzudenken holte der Suzuki-Erbe aus und verpasste dem Mädchen eine heftige Backpfeife. Während diese noch vollkommen perplex war, griff der junge Mann nach ihrem Handgelenk und zerrte an ihr: „Jetzt komm endlich und lass uns aus diesem Wald verschwinden!“ Völlig von der Rolle stolperte die Blauhaarige ohne Gegenwehr hinter ihm her. Es sah fast schon ein wenig so aus, als sei es ihr egal was soeben vor sich ging. Ihre geröteten Augen wirkten ziemlich müde und trotz des starken Regens konnte man klar erkenne wie unaufhörlich Tränen herauskullerten. Als die beiden Oberschüler endlich wieder auf dem eigentlichen Weg angekommen waren, musste der junge Mann kurz verschnaufen und blieb stehen. Das Tempo, welches er an den Tag legte verausgabte ihn ungemein. Rin hingegen nahm das kaum mit und sie stand nur geistesabwesend neben ihm. Plötzlich wurde der Wald wieder in gleißendes Licht gehüllt und Sekunden später folgte ein lauter Donner. Das Gewitter zog allen Anschein nach allmählich weiter. Trotz allem schrie das Mädchen erneut auf, ging in die Hocke und legte ihre Hände schützend über ihren Kopf. Kuro hatte sich so langsam wieder gefangen und sah nur kritisch zu ihr herunter. Sie zitterte am ganzen Körper und kauerte dort unten auf dem Boden wie ein kleines Kind, das eben den Schock seines Lebens hatte. „Hast du Angst vor dem Gewitter?“, schnaubte der Schwarzhaarige genervt, „Du bist doch selbst dran schuld, wenn du bei dem Wetter hier draußen im Wald rumlungerst.“ Mit rollenden Augen zerrte er die Schweigsame schließlich wieder hoch und dann erneut hinter sich her. Er wollte endlich aus diesem Unwetter raus, bevor wirklich noch etwas passierte. Und da sie recht nah am Tempel waren, bestieg er mit ihr den Berg, um möglichst schnell zu Joel ins warme Auto zu gelangen.   Im Suzuki-Anwesen angekommen, wurden die beiden Durchnässten erst einmal von den Dienstmädchen ins Badezimmer geschoben. Natürlich getrennt voneinander. Rins Kleidung wurde direkt gewaschen und Shizuka legte ihr etwas zum Wechseln parat. Es war ein Kleid in blau und schwarz, mit welchem das Mädchen schlussendlich wieder trocken herauskam und direkt ins Wohnzimmer geschickt wurde. Ihr Gemütszustand war dabei schwer zu definieren. Man vernahm eine Art Widerwille und genervtes Schnauben, aber auch einen großen Hauch von Gleichgültigkeit. Eigentlich nicht verwunderlich, wenn man bedachte, dass sogleich eine Standpauke folgen würde. Dass sie durch die Prüfung gefallen war, war immerhin auch für den Schwarzhaarigen ein Problem. Im Raum angekommen, sah sie den jungen Mann bereits auf dem Sofa sitzen und an einer Tasse Tee nippen. Auch für sie stand bereits eine Tasse bei gegenüberstehendem Sessel parat. „Da bist du ja endlich. Setz dich hin“, befahl Kuro erstaunlich ruhig. Wortlos tat sie dies und blickte zögerlich zu ihrem Gesprächspartner herüber. Dieser schnaubte schwer, stellte sein Getränk auf dem kleinen Tisch ab und stützte sich mit den Unterarmen auf seinen Beinen ab: „Was sollte das?“ Wartend auf eine sinnvolle Erklärung, starrte er die Blauhaarige beinahe nieder. Trotz allem blieb er ruhig, was das eigentlich Gruselige an der Situation war. Sofort wich sie seinen gelb-braunen Augen aus und betrachtete den dampfenden Tee in ihren Händen. Warum rastete er nicht einfach aus wie immer? Dann könnte sie ihm wenigstens die Stirn bieten. So brachte sie kein Wort heraus. „Warum warst du bei diesem Unwetter im Wald?“, bohrte der Ältere recht behutsam weiter, „Ich dachte du hast Angst vor großen Wassermengen.“ Kaum hatte er seine Aussage getätigt, legte sich wieder Stille über den Raum. Angesprochene regte sich nicht und starrte weiter mit betrübter Miene in ihre Tasse. Genervt stieß der Suzuki-Erbe die Luft nach außen: „Findest du dann vielleicht ein paar Worte zu deiner Prüfung?“ Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen, und starrte Kuro für einige lange Sekunden an, ehe sie ihr Getränk ebenfalls auf dem Tisch abstellte und sich erhob. Mit einer tiefen Verbeugung fand sie endlich ihre Sprache wieder: „Es tut mir leid. Ich werde sofort meine Sachen packen und verschwinden.“ Schneller als alles andere, befand sie sich schließlich wieder in der Senkrechten und schritt eilig auf die Tür zu. Sofort sprang auch der Schwarzhaarige auf und ergriff ihr Handgelenk, bevor sie den Ausgang erreichte. „Warte“, stoppte er sie somit. Mit Tränen in den Augen fuhr sie herum und blickte ihm verzweifelt in die Augen. Dieses Mal erschrak der Ältere und ehe er bemerkte was soeben los war, hatte er das Mädchen zu sich gezogen und an sich gedrückt. Erst nachdem es bereits passiert war, realisierte er was er soeben getan hatte. Nur verstand er nicht warum er es getan hatte. „L-lass mich bitte los“, leistete die Blauhaarige Widerstand und wollte sich von ihm wegzudrücken. Ihre Versuche waren jedoch kaum der Rede wert. Abgesehen davon wollte der junge Mann sie auch nicht wieder freigeben. Grund dafür war, dass er ihr sein mittlerweile stark gerötetes Gesicht unter keinen Umständen zeigen wollte. Er konnte sich zwar selbst nicht sehen, war sich aber sicher, da er nahezu glühte und sein Herz genauso schnell raste wie das ihre. „Ich lass dich nicht los“, drückte Kuro noch ein wenig fester, „Du machst ein fürchterliches Gesicht. Das kann man doch keinem zumuten.“ Da war sie wieder: Die Vorlage für eine Kabbelei, welche die Jüngere natürlich nutzte: „Das ist Freiheitsberaubung! Ich zeige mein Gesicht wem ich will!“ Durch ihr Gezappel wurde der Griff des Suzuki-Erben lockerer und sie schaffte es fast diesem zu entrinnen. „Na gut“, meinte er und zog sie wieder enger an sich, „Es gibt eine Bedingung.“ „Welche?“, murmelte sie mit leicht geröteten Wangen. Rin war neugierig und wollte wissen was es sein könnte. Ob sie es jedoch auch tat stand auf einem anderen Blatt. Vorsichtig kam er ihr daraufhin mit dem Kopf näher und flüsterte in ihr Ohr: „Komm ab morgen wieder in die Schule.“ Mit knallrotem Gesicht stieß die Blauhaarige ihn schließlich von sich und ergriff die Flucht aus dem Wohnzimmer ohne ihn noch mal angesehen zu haben. „Was sollte das denn?“, nuschelte sie peinlich berührt in ihren Bart, bevor sie im Gästezimmer verschwand. Nicht nur, dass die Geste an sich vollkommen unerwartet kam, nein, die Aussage verwirrte das Mädchen genauso. Hatte sie ihr Stipendium etwa nicht verloren? Aber sie war definitiv durchgefallen, oder? Wäre sie doch bloß noch etwas länger bei ihm geblieben, um das in Erfahrung zu bringen. Aber sie konnte nicht. Dieser Typ war diesmal so dermaßen aufdringlich, dass sie nur davonlaufen konnte.     Dienstag, 19.05.2015   Als Rin am nächsten Morgen zum Frühstück erschien, hatte sie tiefe Augenringe. Sie hatte kein Auge zugemacht, weil sie einfach nicht verstand was genau los war. Dass Kuro sie am Abend zuvor umarmte, irritierte sie zwar ungemein, aber dennoch kreisten ihre Gedanken viel mehr um die Schule. Da der junge Mann sie aufforderte heute dort wieder zu erscheinen, suchte sie eine sinnvolle Erklärung dafür. Sie war eindeutig durchgefallen und somit automatisch von der Schule geflogen. Selbst die Schnepfen aus der Parallelklasse hatten sich deshalb über sie lustig gemacht. Übermüdet nahm das Mädchen an der große Tafel Platz. Dort stand nur ihr Essen bereit und sonst nichts. „Wo ist denn Kuro?“, hatte sie erwartet ihn hier anzutreffen. Eines der Dienstmädchen, welches soeben den Raum verlassen wollte, gab ihr eine Antwort: „Ich glaube der junge Herr ist schon zur Akademie aufgebrochen.“ „Esse ich allein? Was ist mit euch? Und wie sieht es mit Skye aus?“, erkundigte sich die Blauhaarige. „Wir Bedienstete frühstücken immer etwas früher. Die Spätschicht isst meist erst, wenn der junge Herr schon aus dem Haus ist“, erklärte die Angestellte, „Skye-kun habe ich heute noch nicht gesehen. Ich glaube er ist gar nicht hier gewesen.“ Verstehend nickte Rin und bedankte sich für die Auskunft. Anschließend verließ die junge Frau den Raum und die Oberschülerin blieb allein zurück. Was nun? Sie wollte liebend gern an der Suzuki Akademie bleiben und ihren geliebten Sport ausüben, aber sie traute sich nicht mehr auch nur einen Fuß hineinzusetzen. Die Mädchen mobbten sie, die Jungs ignorierten sie und sie besaß aktuell nicht das Selbstbewusstsein dies zu überstehen. Ruri war auch nicht da und sie hatte niemanden, bei dem sie sich willkommen oder gar sicher fühlen konnte. Sie mochte zwar die Gesellschaft von Shina sehr gerne, doch diese wollte die Verbindung nicht öffentlich zur Schau stellen. Somit blieb abgesehen vom heiligen Suzuki-Prinz keiner mehr, bei dem sie zumindest nicht völlig unwillkommen war. Aber mit diesem wollte sie nicht in Verbindung gebracht werden. Genau dieses Bündnis brachte ihr sowieso schon den meisten Ärger ein. Entmutigt schnaubte das Mädchen, als sie soeben mit Frühstücken fertig war und ging zurück ins Gästezimmer. Dort schlüpfte sie missmutig in ihre frisch gewaschene Uniform und blickte prüfend in den Spiegel. Ihr Gesamtbild war wieder annehmbar, auch wenn sie sich nicht fühlte, als würde sie in die Uniform gehören. Allerdings fehlte nun ihre blaue Schleife, welche Rin dem 2. Jahrgang zuordnete. Die Blauhaarige hatte schon oft mitbekommen, dass Lehrer die Schüler ausschimpften, welche die Schleife oder die Krawatte nicht trugen und sie wollte eigentlich nicht riskieren auch noch von den Lehrkräften gerügt zu werden. „Ich frag mal bei den Dienstmädchen nach. Vielleicht kann mir eine von ihnen eine Schleife borgen“, überlegte die Oberschülerin. Abwegig war die Idee nicht. Immerhin versorgten sie sie auch anderweitig mit Kleidung in der Vergangenheit. Schnurstracks verließ sie daraufhin das Zimmer und suchte besagte Frauen, welche allerdings unauffindbar waren. „Vielleicht im Büro?“, öffnete Rin dieses und schloss sofort wieder die Tür, als sie nur Chaos, aber keine Person erblicken konnte. „Möglicherweise richten sie ja gerade Kuros Schlafzimmer wieder her?“, stieg sie wieder die Treppe hinauf. Kurz klopfte sie, bekam jedoch keine Antwort und trat daraufhin vorsichtig in den Raum. Er war leer und wirkte noch immer genauso kahl wie beim letzten Mal als sie darin war. Das Bett war noch nicht gemacht und das Sofa war übersät mit Kleidung, welche wahllos draufgeschmissen wurde. Selbst auf dem Boden daneben lagen Kleidungsstücke, welche scheinbar in die Wäsche gehörten. „Warum schmeißt er seinen ganzen Kram aufs Sofa, wenn er doch einen riesigen begehbaren Kleiderschrank hat?“, musterte die Blauhaarige das Chaos, welches wirklich merkwürdig aussah. Zum einen lagen dort Hemden, feine Hosen und dergleichen, aber auch eine Jogginghose, sowie Shirts und Pullover. Auch Teile der Schuluniform, welche er gerade nicht trug, waren dort draufgeschmissen. Unter anderem fiel Rin in dem Haufen auch die blaue Krawatte auf, welche der junge Mann meist sowieso nie anhatte, da er immer ein Shirt unter der Uniform trug. Plötzlich zog die Oberschülerin die Luft scharf nach innen, als sie die Lösung für ihr Problem realisierte. Sekunden später schlich sie unbemerkt mit der Krawatte zurück ins Gästezimmer. Sie war sich zwar darüber bewusst, dass für die Mädchen die Schleife vorgesehen war, aber sie hatte schon einige Mitschülerinnen gesehen, die sich auch dagegen entschieden hatten. Obwohl das wahrscheinlich eher daran lag, dass sie diese von Schulabgängern oder ihrem festen Freund bekommen hatten. Das war Rin allerdings egal. Sie mochte die weibliche Schleife sowieso nie. Das passte einfach nicht zu ihr. Sie war niemals so niedlich und mädchenhaft wie die anderen. Krampfhaft versuchte die Oberschülerin nun das lange Stück Stoff so zu binden, dass es zu dem wurde was es sein sollte. Allerdings sah es nach jedem Versuch anders aus, aber nie wie es sollte. Bislang hatte Saito ihr immer die Krawatten gebunden, deswegen hatte Rin kaum Erfahrung darin. Schlussendlich beließ sie es nach dem siebten Versuch dabei. Dann war sie eben ein bisschen schief und krumm. Besser als gar keine zu haben. Eilig rannte sie schließlich die Treppe hinunter ins Erdgeschoss: „Oh Gott ich komme zu spät!“ Ein Blick auf die Uhr nahm ihr die innere Ruhe völlig. Zwar bot Joel an die Oberschülerin zu fahren, doch damit fühlte sie sich mehr als unwohl und sie rannte lieber zur Bahnstation.   Vollkommen außer Atem, wechselte Rin soeben ihre Schuhe am Schuleingang, als die Klingel ertönte. Der Unterricht hatte soeben begonnen. „Mist!“, fluchte sie, schmiss ihre Straßenschuhe ins Fach und rannte den Flur entlang und die Treppe nach oben. Eigentlich wollte sie gerade heute nicht zu spät kommen. Das bedeutete nur, dass sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der ganzen Klasse hatte und jeder sie anstarrte. Sie, die eigentlich nicht mehr an dieser Schule sein dürfte. Peinlicher ging es wohl kaum. Leicht schnaubend stoppte sie schließlich vor der Klassenzimmertür und atmete noch einmal tief durch, ehe sie mutig in den Raum trat. „Ich glaub‘s ja nicht! Aikawa-chan, zuerst fällst du durch die Prüfung, erscheinst unentschuldigt nicht und nun kommst du auch noch zu spät?!“, schimpfte Nishima-sensei, als er das Mädchen bemerkte. „G-Gomen“, stotterte sie nur und verbeugte sich. Zu allem Überfluss hatte sie nun nicht nur die ungeteilte Aufmerksamkeit aller, sondern auch noch eine Standpauke geerntet. „Zur Strafe gehst du jetzt erst mal vor die Tür!“, zeigte ihr Klassenlehrer auf diese, „Und später kommst du zu mir ins Lehrerzimmer und holst dir deine miserablen Ergebnisse und nachsitzen für die ganze Woche ab!“ „Aber das ist unfair“, stammelte die Blauhaarige, „Ich hab doch Lacrosse-Training!“ „Jetzt nicht mehr! Ab vor die Tür!“, entgegnete der junge Lehrer streng. Kaum trat die Schülerin wie geheißen wortlos vor die Tür, da konnte sie auch schon die gedämpfte Stimme einer Mitschülerin hören. Es war eine von denen, die sie aktiv mobbte: „Herr Lehrer. Müsste Aikawa nicht von der Schule geflogen sein? Sie hat doch als Stipendiatin die Prüfung nicht bestanden.“ „Es gibt zwei Wege, die an die Suzuki Akademie führen. Entweder ein Stipendium, oder man zahlt die Schulgebühren. Mehr steht mir nicht zu dazu zu sagen“, merkte man an seiner Stimme, dass er recht genervt war. Damit beendete er das Gespräch und machte weiter wo er zuvor aufgehört hatte. Eine gefühlte Ewigkeit stand sich Rin die Beine in den Bauch, bis die Stunde endlich vorbei war und sie wieder reindurfte. Kaum war sie an ihren Platz herangetreten, konnte auch Kuro seine scharfe Zunge nicht in Zaum halten: „Ist dir das nicht peinlich? Und wie läufst du eigentlich rum?“ Auf die schiefe Krawatte deutend stütze er seinen Kopf genervt mit dem Arm auf dem Tisch ab. Das Mädchen hingegen stellte völlig auf Durchzug, packte ihre Schulsachen für die nächste Stunde aus und setzte sich auf ihren Platz. Erst als der Schwarzhaarige plötzlich das eigentlich relevante bemerkte: „Warum hast die überhaupt an? Wo ist deine Schleife?“ „Im Müll“, schlug sie gleichgültig ihr Heft auf. „Wieso das denn? Wer schmeißt freiwillig einfach einen Teil seiner Uniform weg?“, meckerte er mit vollkommenem Unverständnis. Nun wanderte ihr Blick zu ihm hinüber: „Wer sagt, dass es freiwillig war?“ „Und wo hast du dann bitte den Ersatz her? Ist das etwa meine?“, entgegnete der Suzuki-Erbe empört. „Und wenn es so wäre?“, blickte sie ihn entnervt an. Daraufhin streckte er seine Hand zu ihr: „Gib sie mir.“ Fordernd wartete er. Auch einige Blicke lagen mittlerweile auf den beiden. Normalerweise war der junge Mann in jeder freien Minute belagert. Aber da er ein Gespräch mit seiner Sitznachbarin anfing, wurde er nur neugierig beobachtet. Und man sah vor allem den Mitschülerinnen an, dass sie noch um einiges empörter waren, als es der Suzuki-Prinz war. Da Rin keinen Streit vor allen anderen lostreten wollte, gab sie ihm widerwillig das Kleidungsstück. Hier würde nicht nur Kuro mit ihr diskutieren, sondern auch noch einige andere und das war das Letzte was sie aktuell wollte. Schon wieder in der Schussbahn zu stehen, würde sie auf Dauer nicht ertragen. Da nun sowieso alle wussten, dass die Krawatte nicht ihr gehörte, konnte sie sie sowieso nicht mehr tragen. Täte sie dies, wäre das wieder ein Streitpunkt. Also sah sie ein, dass Aufgeben hier der einzig richtige Weg war. Sie musste sich einfach schnell eine eigene zulegen. Vielleicht hatte ihr Bruder ja noch eine in Blau. Ein Klingeln ertönte und die nächste Stunde begann. Der Lehrer war bereits im Raum und begann pünktlich mit dem Unterrichtsstoff. Die Blauhaarige jedoch stand mal wieder vollkommen auf dem Schlauch und versuchte wirklich krampfhaft zu verstehen was Sache war. Plötzlich landete ein Flugobjekt mitten auf ihrem Tisch und sie zuckte heftig zusammen. So heftig, dass sie versehentlich ihre Federmappe herunterschmiss und alles auf dem Boden verteilt war. Durch den lauten Aufprall waren schon wieder alle Blicke auf sie gerichtet und am liebsten wäre sie vor Scham gestorben. Schon wieder stand sie im Mittelpunkt. Dort, wo sie am wenigsten sein wollte. Kuro griff sich nur schnaubend an die Stirn und starrte in sein Buch. Man konnte seine Gedanken förmlich lesen. Sie schrien, warum die Oberschülerin bloß so dämlich war. Eilig sammelte sie ihre Schreibutensilien wieder ein und entschuldigte sich, womit die Aufmerksamkeit wieder dem Unterricht galt. Nun begutachtete sie das Objekt, welches für all das verantwortlich war. Es war die blaue Krawatte, welche sie kurz zuvor ihrem Sitznachbarn zurückgab. Dieser hatte sie ihr auf den Tisch geworfen. Kritisch sah Rin ihn fragend an. Ihre Blicke trafen sich und der Schwarzhaarige machte eine kurze Bewegung, um zu verstehen zu geben, dass sie sie anziehen sollte. Zögernd nahm sie das sauber gebundene Stück Stoff auf und wusste nicht recht was sie nun tun sollte. Eigentlich wollte das Mädchen sie nicht mehr haben, aber da sie gerade keine Lust auf Diskussionen hatte, würde sie ihm die Krawatte einfach später wiedergeben. Dann könnte sie ihn auch endlich fragen warum sie nicht von der Schule geflogen war.   Kapitel 41 - Das schwarze Schaf ------------------------------- Dienstag, 19. Mai 2015   Erschöpft streckte sich Rin, als soeben die Schulklingel ertönte. Endlich hatte sie das Nachsitzen hinter sich gebracht. Dieses ganze Rumsitzen und Lernen verausgabte sie mehr als ihr geliebter Sport. Umso schlimmer, dass sie den Rest der Woche nicht am Lacrosse teilnehmen konnte. Die Woche zuvor fiel es wegen der Prüfungen schon aus. Aber das war nun erstmal zweitrangig, denn erstens musste sie dringend ihrer Arbeit nachgehen und zweitens hieß das auch, dass sie endlich mit Kuro unter vier Augen sprechen konnte. Zuvor hatte sie einfach keine Möglichkeit mehr mit ihm über die Krawatte oder aber auch über den Grund zu sprechen, weswegen sie nicht von der Schule geflogen war. Entweder es gab eine Sonderregel, oder aber der Ältere bezahlte ihr nun die Studiengebühren. Die Blauhaarige befürchtete, dass es zweiteres war und wollte das unbedingt klarstellen. Niemals würde sie sich etwas von diesem Großkotz bezahlen lassen. Während das Mädchen weiter darüber nachgrübelte, war sie auch schon vor dem Direktorat angekommen und hineingetreten. Dort saß bereits besagter junger Mann vertieft in seine Arbeit und bemerkte gar nicht, dass er Besuch bekommen hatte. Erst als Rin ihm die Krawatte auf den Tisch legte, sah er perplex zu ihr auf. „Was soll das?“, verstand der Schwarzhaarige nicht recht. „Das ist deine und ich gebe sie dir hiermit zurück“, erklärte sich seine Mitschülerin. Kuro hingegen schien damit nicht einverstanden: „Zuerst nimmst du sie ohne zu fragen und dann gibst du sie wieder zurück?! Jetzt kannst du sie auch behalten.“ „Ich möchte sie aber nicht mehr“, keifte die Blauhaarige zurück. „Hast du neuerdings doch eine eigene? Oder eine neue Schleife?“, murrte er sie an. Mit verschränkten Armen erwiderte sie: „Nein habe ich nicht und ich werde auch keine Schleife mehr tragen. Die steht mir überhaupt nicht!“ „Dann zieh endlich die blöde Krawatte wieder an!“, schmiss er ihr besagtes Kleidungsstück gegen den Kopf. Während Rin noch mit Auffangen beschäftigt war, hatte der Suzuki-Erbe ihr schon ein paar zusammengeheftete Zettel rübergeschoben mit den zu erledigenden Aufgaben für die ganze Woche. „Teil dir deine Arbeit zukünftig selbst ein. Es gibt Deadlines, die ich dir markiert habe. Sollte kurzfristig noch etwas dazukommen, werde ich es dir sagen“, erklärte er kurz und das Mädchen nahm direkt das Schriftstück entgegen. Neugierig blätterte sie die Seiten durch, ehe sie vom Glauben abfiel: „Das soll ich alles in nur einer Woche erledigen? Sicher, dass das nicht für einen ganzen Monat ist?!“ „Ich würde vorschlagen, dass du am besten direkt loslegst und keine Zeit mehr verlierst“, zuckte der Ältere mit den Schulten. „Bevor ich damit anfange musst du mir noch eine wichtige Frage beantworten“, forderte das Mädchen, „Wie kann es sein, dass ich noch immer hier an dieser Schule sein darf?“ „Es ist wie es ist“, schnaubte Kuro und widmete sich wieder seiner Arbeit. Er hoffte das Thema somit zu beenden, allerdings gab sich sein Gegenüber damit nicht zufrieden: „Ich weiß ganz genau, dass ich mein Stipendium verloren habe. Es gibt ganz sicher keine Sonderregel oder so. Also, wirst du mir nun sagen wie es sein kann, dass ich noch immer hier bin?“ Wieder stieß der junge Mann Luft nach außen und sah zu Rin. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass er keine Lust hatte über dieses Thema zu sprechen. „Nein“, gab er sich keine Mühe mit der Antwort, wohlwissend, dass dies die Jüngere nicht zufriedenstellte. „Verkauf mich doch nicht für blöd!“, wurde seine Assistentin lauter, „Um hier sein zu können muss gezahlt werden und da ich es nicht tue, bleiben nicht mehr so viele zur Auswahl! Wenn du mir Almosen schenkst, packe ich sofort meine Sachen und bin weg!“ „Reg dich ab!“, war er nun wirklich verstimmt, „Als ob ich deine Schulgebühren zahlen würde!“ Vollkommen irritiert über die Aussage schwieg das Mädchen und sah ihren Gegenüber mit großen Augen an. Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Kuro wusste, dass sie weiter löchern würde, bis sie eine sinnvolle Antwort bekam, also rückte er mit der Sprache raus: „Dir wird die Akademie und das Wohnheim bezahlt. Von mir aber ganz sicher nicht.“ Unschuldig hob er beide Hände und wartete auf die Reaktion der Blauhaarigen. Diese schien nun noch verwirrter zu sein. „Wer hat dann zu viel Geld, um es für mich auszugeben?“, überlegte sie laut. „Ich weiß es nicht. Es ist alles anonym übermittelt worden“, erklärte der Suzuki-Erbe. Da die Oberschülerin einsah, dass sie alle bekannten Informationen bekommen hatte, machte sie sich schleunigst an die Arbeit, um die Liste abzuarbeiten. Auch wenn sie glaubte, dass sie das nie und nimmer bis Ende der Woche schaffte. Eigentlich wollte sie nicht auch noch ihr gesamtes Wochenende damit zubringen. Zumal sie gezwungen war für die Nachprüfung zu büffeln.     Am späten Abend hatte sich die Truppe wieder vor dem alten Schuppen auf dem Gelände der Suzuki Oberschule getroffen. Dieses Mal war Rin pünktlich. Obwohl Akira und Amika bereits vor ihr dort waren. Lediglich Kuro und Skye ließen noch auf sich warten. „Ich hab uns wieder Proviant eingepackt“, erklärte der Rotschopf mit einem breiten Grinsen. „Du bist eigenartig gut gelaunt dafür, dass wir uns gleich wieder in den Kampf stürzen“, wanderte der kritische Blick seiner Klassenkameradin zu ihm. „Mag sein, aber ich freue mich einfach Rin wieder zu sehen. Die Prüfungen waren so anstrengend und keiner hatte großartig Zeit für irgendwas“, wich sein Grinsen nicht. Während Benannte einen knallroten Kopf bekam, sah ihre beste Freundin leicht angewidert in die Runde: „Ich fühl mich gerade fehl am Platz. Aber viel seltsamer ist, dass du das hier als eine Art Date betrachtest.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, waren auch schon die fehlenden beiden Personen eingetroffen. „Apropos“, begann die Brünette, „Wie waren eigentlich eure Prüfungen?“ Während Akira aufatmete, dass er knapp durchgekommen war, kamen vom Suzuki-Erben nur zynische Worte: „Hier gibt’s Leute, die sind dümmer als Brot.“ „Hey!“, beschwerten sich Rin und Skye zeitgleich. Irritiert über ihre identische Reaktion schauten sie sich verblüfft an. Mit Sicherheit wären noch weitere Worte gefolgt, hätten die beiden sich nicht andere Fragen gestellt. Woher wusste der Grundschüler, dass die Blauhaarige durchgefallen war? Und warum setzte er sich plötzlich wegen sowas für sie ein? Normalerweise waren ihm solche Dinge nicht wichtig. Noch bevor ein anderer zu Wort kam, löste Kuro die Fragezeichen, die jedem einzelnen ins Gesicht geschrieben waren: „Sie sind einfach beide durch die Prüfungen gefallen. Die Nervensäge hier ist einfach in allem miserabel.“ Ehe sie es sich versah, hatte er der ehemaligen Stipendiatin mit dem Finger gegen die Stirn geschnipst und ein lautes „Aua!“ ertönte. „Skye hingegen hat zumindest ein paar Fächer in denen nicht alle Hoffnung verloren ist“, schnaubte der Ältere, „Trotzdem ist es einfach nur seltsam, dass er in Mathe zum Beispiel beinahe die volle Punktzahl hat und in Altjapanisch nicht einen Punkt geholt hat.“ „Das braucht doch auch kein Mensch“, protestierte der Grundschüler und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, „Ihr wolltet doch, dass ich in die Schule gehe. Also lebt damit.“ „Dieses Thema ist noch nicht vom Tisch“, mahnte der Schwarzhaarige. Während das Gespräch noch eine Weile hin und her ging, erklärte Rin wie es aktuell mit ihrem Stipendium stand. Aber auch ihre beiden ehemaligen Mitschüler hatten keine Idee wer der anonyme Spender sein sollte und ob es in Ordnung war es anzunehmen. Doch dazu war nun nicht der richtige Zeitpunkt. Sie hatten immerhin einen Boss zu bezwingen und die Schülersprecherin zu befreien. Die Frist war ziemlich knapp, denn schon übermorgen war es bereits zu spät. Es galt also jetzt oder nie.   Wenig später fand sich die Gruppe wieder in der eisigen Lobby des Dungeons. Ihre Blicken waren nach oben gerichtet zu der zweiflügligen Tür, welche man durch die geschwungene breite Treppe von links oder rechts erreichte. Sie waren sich alle sicher, dass dort das Finale auf sie wartete. Entschlossen stiegen sie die Stufen hinauf. Ihre Waffen fest umklammert bereiteten sie sich innerlich schon auf einen harten Kampf vor. „Bereit?“, blickte Rin in die Runde und bekam von allen ein Nicken, ehe sie den Durchgang aufstieß. Ein kurzer Windstoß gemischt mit Nebel kam ihnen entgegen und sie traten in den Raum hinein. Wie gewohnt verriegelte sich die Tür wieder von selbst und sie waren eingesperrt. Bis zum Knie standen sie in einer Art Nebel, welcher den Boden bedeckte. Dieser schien jedoch eben zu sein und es bestand zumindest keine Stolpergefahr. Das Umfeld war wieder völlig aus Eis und der Raum war verhältnismäßig doch sehr hell. Abstrakt war er dennoch angeordnet, denn hier und da standen Schulpulte und Stühle sowie einige Krankenbetten aus Eis. Auch Gefängnisgitter waren kreuz und quer platziert. Die meisten ergaben jedoch wenig Sinn, da sie keinen geschlossenen Käfig bildeten. In der Mitte von all den wirren Gegenständen bäumte sich bereits ihr Gegner auf, welcher sie mit blutroten Augen anfunkelte. Eine leichte Druckwelle ging von diesem aus, welche den Nebel für kurze Zeit verwehte, ehe er sich wieder zurückbildete. „Ist das ein Schaf?“, war die Blauhaarige recht belustigt. Aber Unrecht hatte sie nicht, denn der Umriss des schwarzen Wesens glich wirklich dem eines überdimensionalen Schafes. „Scheint so“, bejahte Amika die Frage. Unterdessen hatte der Suzuki-Erbe versucht eine Schutzmauer zu errichten, um nicht wie beim letzten Mal eiskalt erwischt zu werden. Blöderweise verhinderte das Eis aber, dass er irgendwo Erde herbekam. „Verflucht“, knirschte er mit den Zähnen und auch seine Kameraden bemerkten, dass es um ihre Verteidigung in diesem Fall eher schlecht stand. „Lasst uns direkt in die Offensive vorgehen. Das ist ja bekanntlich die beste Verteidigung“, warf die Brünette ihren Rubin in die Luft und zersplitterte ihn mit einem Händeklatschen, „Persona! Taiga, erscheine!“ Mit einem Agilao schickte sie ihre Persona in den Kampf und verbuchte mit der Feuerattacke einen kritischen Treffer. Direkt ging der Shadow zu Boden und Skye rief erstaunt: „Was ist denn jetzt los?! Er ist so gut wie besiegt?!“ „Mit einem Schlag?“, hakte der Schwarzhaarige nach, „Das kann doch überhaupt nicht sein.“ Auch der Rest der Truppe vergewisserte sich über die unglaubwürdige Aussage des Jüngsten. Schnell warfen sie einen genaueren Blick durch ihr Horo auf den Bossgegner. Zwar hatten sie keine genauen Angaben, doch konnten sie deutlich erkennen, dass der verursachte Schaden immens war. Gerade als sie sich freuten, dass es dieses Mal so einfach war, tauchten plötzlich weitere Gegner um das große Schaf herum auf. „Das sind Nigi Mitama, Amen no Uzume und Silky!“, klärte der Grundschüler seine Mitstreiter über die in Scharen erschienenen Shadows auf. „Na klasse und jetzt?!“, wich Akira einen Schritt zurück. Die Hoffnung auf ein schnelles Ende war somit wieder zunichte gemacht. „Wir müssen Ruri finden“, war die Blauhaarige fest entschlossen, „Da es ihr Shadow ist, kann sie uns auch am meisten helfen.“ „Ja stimmt. Bisher haben wir alle unsere Shadows selbst bezwungen“, stellte der Suzuki-Erbe fest. „Woher willst du wissen, dass sie hier ist?“, verstand Amika die Logik dahinter nicht. Kurz erklärte ihre beste Freundin, dass es im vorherigen Dungeon genauso war. Auch die Shadows der ersten beiden Persona-User ließen sich nicht durch rohe Gewalt besiegen. „Ich glaub der Schlüssel zum Sieg ist es, dass die betroffene Person zur Vernunft kommt“, überlegte der Rotschopf. Allgemeine Zustimmung ergab, dass sich die Gruppe teilen wollte. Zwei, die gemeinsam nach der Schülersprecherin suchten und der Rest, der die Gegner ich Schach hielt. „Ich gehe mit unserem nutzlosesten Angreifer“, erklärte sich Kuro direkt bereit zur Suche. „Nein, lass mich mit Rin gehen“, war für Akira sofort klar wen sein Kumpel da wieder beleidigte, „Bleib du mit Shiori-chan hier an der Front. Ihr seid am effektivsten im Kampf.“ „Kannst du sie etwa beschützen, wenn ein Shadow auf sie losgeht?“, argumentierte der Schwarzhaarige besser als es seinem besten Freund lieb war. „Ihr tut gerade so als sei ich nicht in der Lage mich selbst zu wehren!“, fühlte sich das Mädchen ziemlich unterschätzt, „Ich kann selbst auf mich aufpassen.“ „Leute, entscheidet euch schneller! Ich kann hier nicht ewig alle gleichzeitig beschützen“, kam es von der Brünetten, welche mitten im Kampfgeschehen war. Nach weiteren Diskussionen hatten sie sich dann schlussendlich entschieden, dass Akira seine Freundin begleitete, da Amika vollkommen aufgeschmissen war gegen die Wasserangreifer. Die Erdangriffe des jungen Mannes hingegen waren sehr effektiv. Kaum setzten die Auserwählten den ersten Schritt tiefer in den Raum, wurden die ganzen Shadows schließlich von dem Schaf mit einem Schlag besiegt und zerfielen in Lichtpartikel. Diese saugte das Geschöpf auf und rappelte sich daraufhin wieder auf. „Hat der sich gerade geheilt?!“, fielen der Feuerkämpferin beinahe die Augen aus. Auch der mit ihr zurückgebliebene Partner knirschte mit den Zähnen: „Das ist gar nicht gut. Lass uns schnell einen gemeinsamen Angriff starten, bevor es zu spät ist!“ Währenddessen nutzen die beiden anderen die Chance unbemerkt auf Erkundungstour zu gehen. Da sie das eisblauhaarige Mädchen zuvor nicht ausfindig machen konnten, vermuteten sie, dass sie sich tiefer im Inneren befand. Vermutlich hinter ihrem Gegner. „Ob wir sie wirklich finden? Vielleicht ist sie ja gar nicht hier“, war Akira ziemlich unsicher. Seine Begleiterin jedoch gab nicht so leicht klein bei: „Keine Sorge. Bisher war es immer so, dass die eigenen Shadows nur im Beisein auftraten. Die Frage ist viel mehr wo Ruri steckt. Aber weit kann sie nicht sein.“ Tatsächlich behielt Rin recht und sie fanden das Mädchen in der letzten Ecke. Sie saß an einer der Schulpulte, hatte den Kopf auf den Armen abgelegt und schien zu schlafen. Allerdings war sie nicht so leicht zu wecken, denn die beiden Oberschüler kamen nicht an sie ran. Um die Schulsprecherin waren Gitterstäbe aus Eis, welche diese wie in einem Kerker einsperrten. „Ruri!“, versuchte die Blauhaarige sie durch das Hindernis zu erreichen. Wie zu erwarten war ihr Arm zu kurz, um sie zu fassen. Das hätte jedoch jeder mit bloßem Auge erkennen können. „Du wirst nicht an sie rankommen“, legte der Rothaarige seiner Freundin die Hand auf die Schulter. Da sie genau wusste, dass er recht hatte, stoppte sie ihre Bemühungen: „Ich weiß ja. Aber irgendwie müssen wir sie ins Hier und Jetzt holen.“ „Und wenn wir ihr etwas an den Kopf werfen?“, sah Akira seinen Baseballschläger an. „Spinnst du? Wenn du ihr eine Gehirnerschütterung erteilst wird sie davon sicherlich nicht wach“, war das Mädchen strikt dagegen. Obwohl sie dadurch auf die Idee kam es mal mit ihrem Lacrosse-Schläger zu versuchen. Er war länger, wodurch er eventuell auch ohne Werfen zu ihr gelangte. Angestrengt versuchte sie die Schlafende damit zu erreichen, aber es half nichts. Zwar fehlten nur wenige Zentimeter, aber diese waren essentiell. Noch ein wenig schob Rin den Stab in ihrer Hand nach vorne. Je weiter hinten sie griff umso mehr Spielraum hatte sie. „Du schaffst das!“, feuerte der junge Mann sie an, „Das klappt!“ Tatsächlich war die Blauhaarige auf einem guten Weg ihre Mitschülerin damit zu erreichen, wäre ihr nicht das Sportgerät aus der Hand gerutscht und zu Boden geplumpst. „Shit“, fluchte sie, ging in die Hocke und versuchte ihn wiederzubekommen. „Warte. Vielleicht komme ich mit meinem Baseballschläger ran und kann ihn zurückziehen“, hangelte Akira danach. Seine Freundin hatte mittlerweile aufgegeben und sich auf den Boden gesetzt: „Das wird so nichts. Wir brauchen eine andere Strategie.“ „Wie wäre es, wenn du Kyusagi nutzt und einen Angriff auf sie startest?“, überlegte der Rotschopf. „Dann kann ich ihr auch gleich den Baseballschläger über die Rübe ziehen“, versuchte sie ihm so nett es nur ging zu erklären, dass es eine dumme Idee war. Allerdings brachte sie diese Aussage zu einer anderen Idee und sie schreckte kurz auf: „Du hast doch Getränke dabei, oder?“ „Eh… ja?“, verstand Gefragter nichts, öffnete aber seinen Rucksack. Schnell zog Rin daraufhin eine normale Flasche Wasser heraus und öffnete sie. „Hast du jetzt plötzlich Durst bekommen oder was ist los?“, sah man dem Oberschüler noch immer seine Verwirrung an. „Nein, aber vielleicht macht sich das Training mit Skye nun bezahlt“, setzte sich die Blauhaarige in den Schneidersitz und stellte die offene Flasche vor sich. Völlig konzentriert streckte sie die Hände ein wenig nach vorne und bewegte diese ganz leicht. Daraufhin begann sich das Wasser in der Flasche plötzlich zu bewegen und es kam langsam nach oben herausgeflossen. Eine recht instabile Kugel bildete sich daraus, welche über ihren Händen schwebte. Vorsichtig versuchte Rin diese in Richtung der Schülersprecherin zu lotsen und so langsam verstand auch der junge Mann den Plan. Gebannt schaute er zu, wie das Wasser sich langsam weiterbewegte. Es fehlte noch ein guter Meter, als es plötzlich einen lauten Schlag gab und der Raum kurz bebte. Völlig in Gedanken erschrak Rin dadurch und die Kugel zerplatze augenblicklich. Natürlich hatte sie ihr Ziel nicht erreicht und die beiden Oberschüler fluchten, als sie den Grund für das Beben erörtern wollten. Ihr Gegner ging zu Boden und schien erneut kurz vor dem K.O. zu stehen. Ob es vielleicht doch mehr Sinn machte das Schaf einfach zu besiegen? Immerhin hielt es offensichtlich nicht sehr viel aus. Es musste nur besiegt werden, bevor es erneut einen Heilprozess starten konnte. „W-Was ist das…?“, ertönte plötzlich eine leise Stimme, „Wo bin ich?“ Schlagartig fuhren Rin und Akria herum, denn die Schlafende war aufgewacht. Mit stechend gelben Augen sah sie sich schlaftrunken um und verstand die Welt nicht mehr. Obwohl die Stimme des Mädchens nur sehr leise war, stellten sich sofort die Ohren des Schafes auf und es drehte sich schwermütig herum. „Endlich bist du aufgewacht!“, kam es mit verzerrter Stimme von der schwarzen Gestalt. „I-ich?“, sah man der Eisblauhaarigen die Angst ins Gesicht geschrieben, „W-wer bist du?“ Ein Grinsen ging von dem Shadow aus und seine Augen funkelten beinahe: „Ich bin du und du bist ich.“ Panisch sprang Rin daraufhin auf, krallte sich an den Gitterstäben fest und schrie ihre Klassenkameradin förmlich an: „Nicht antworten! Hörst du?!“ Völlig verwirrt sah die Schülersprecherin zu dem Mädchen: „W-warum denn? Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Dieses Ding bin doch nicht ich.“ Vorsichtig deutete sie auf das Schaf, welches nun laut begann zu lachen, während es sich wieder erhob. Auch Ruri stand nun auf und kam näher. Sie hielt sich ebenfalls an der Absperrung fest und blickte ziemlich verzweifelt auf das sich aufbäumende Wesen. Ein relativ heftiger Schneesturm kam auf und erneut ertönte seine verzerrte Stimme: „Oh doch! Wir sind eins und ich kenne all deine Gefühle und Sehnsüchte. Ich weiß wie sehr du dich von deiner Familie verstoßen fühlst. Am liebsten würdest du einfach sterben, und deinen Vater, deine Mutter und deine Geschwister mit in den Tod stürzen. Sie haben es nicht anders verdient! Wahahahar!“ „Nein!“, hielt sich Angesprochene den schmerzenden Kopf und versuchte die Tränen zu unterdrücken, „Niemand hat den Tod verdient! Es ist meine eigene Schuld, dass meine Familie mich weggeschickt hat!“ Plötzlich kamen zu dem heftigen Schneesturm auch noch gewaltige Eissplitter heruntergehagelt. „Rin!“, schrie Akira, während er krampfhaft versuchte die großen Brocken mit dem Baseballschläger abzuwehren. Blitzartig reagierte die Wasserkämpferin, schmiss ihren Saphir mit voller Wucht gen Boden und beschwor Kyusagi: „Persona!“ Mit Single Kick wehrte die Hasenfrau pausenlos die Geschosse ab. Dadurch nahm sie auch einiges an Schaden, wodurch ihre Besitzerin einknickte und zu Boden ging. „Maragi!“, erschallte es plötzlich aus der Ferne und Taiga schmolz nicht nur die Eissplitter, sondern beendete damit auch das Dauerfeuer und zwang das Schaf erneut in die Knie. Dieses keuchte schwer, als die Gruppe endlich wieder vereint war. „Komischerweise hat dieses Vieh so gut wie keine Verteidigung, dafür aber gewaltige Heilkräfte“, erklärte Skye, „Es ist wie ein Stehaufmännchen, das nicht kleinzubekommen ist.“ Noch bevor einer etwas erwidern konnte, erklang die verzerrte Stimme wieder: „Ksch! Das werdet ihr noch bereuen. Ihr könnt mich niemals bezwingen!“ „Was geht hier vor sich?“, hatte Ruri dicke Tränen in den Augen. Die Situation überforderte sie maßlos und sie hatte große Angst. „Ruri! Endlich ist der Tag der Rache gekommen! Lass uns all jene, die dir Leid zugefügt haben vernichten. Wir fangen mit diesen Wichtigtuern an und dann werden wir uns deine Schwester vornehmen. Nicht zu vergessen natürlich auch noch deine Mutter!“, kicherte das am Boden liegende Schaf. „Ich will nicht“, schluchzte das Mädchen und sackte nun auch auf die Knie. Sie verstand die bösen Absichten nicht, die die schwarze Gestalt hegte und es verunsicherte sie ungemein, dass diese so viel über sie wusste. Trotz allem war diese Art von Racheakt viel zu extrem. Ihre ablehnenden Worte schenkten dem Gegner wieder neue Kraft und ein weiterer Angriff prasselte auf die Gruppe nieder. Dieses Mal schien der Schneesturm noch dichter, sodass es wirklich schwer war herauszufinden von wo das Eis auf sie zukam. „Nanu?“, kam es von Amika, „Maragion!“ Ihre Persona hatte eine neue, noch stärker Flächenattacke gelernt, welche gerade recht kam und nicht nur alle beschützte, sondern auch den Shadow wieder ruhigstellte. Ein ewiger Kreislauf schien zu entstehen. „Und nachdem dann deine Familie dran glauben musste, geht es mit deiner besten Freundin weiter“, redete die Gestalt wieder auf Ruri ein, „Sie hat dich einfach verlassen, um berühmt zu werden. Und ihr Bruder erst… Haha sein schlechtes Verhalten dir gegenüber ist beinahe schon nicht mehr von dieser Welt.“ „Blödsinn!“, verteidigte sie beschuldigte Personen, „Lass Akki aus dem Spiel! Nur weil sie sich ihren Traum erfüllen wollte ist sie noch lange keine schlechte Freundin! Außerdem bin ich doch von ihr abgehauen!“ „Ruri, hör auf ihm immer wieder zu widersprechen!“, befahl Kuro, „Damit stachelst du ihn offensichtlich an!“ Gerade als der Shadow neue Kraft in ihren ablehnenden Worten fand, hängte sie an ihre Aussage noch etwas dran: „Na ja… was ihn angeht. Er verhält sich wirklich ziemlich gemein und ich werde einfach nicht schlau aus ihm. Manchmal möchte ich ihm wirklich gerne eine scheuern.“ Mit betrübter Miene schaute sie gen Boden. Ihre Gedanken waren völlig durcheinander und sie dachte über die verschiedensten Personen nach. Vielleicht steckte doch ein Funken Wahrheit in dem was das Schaf von sich gab. „Nein!“, verlor die schwarze Gestalt an Kraft und auch der Schneesturm legte sich langsam. „Es ist schon ein wenig lustig“, schmunzelte die Eisblauhaarige, „Du sagtest, dass wir eins sind und irgendwie hast du auch recht. Ich bin wie du ein schwarzes Schaf. Manchmal glaube ich, dass ich gar nicht zu meiner Familie gehöre. Warum wurde nur ich weggeschickt? Warum wird nur mir verboten meinen Traumberuf zu verfolgen? Dafür möchte ich meine Familie wirklich gerne beschimpfen und Rache üben.“ „Hör auf! Nein! Sprich nicht weiter!“, wurde die tiefe verzerrte Stimme immer höher und der Shadow immer kleiner, bis er schließlich nur noch die Größe eines süßen Plüschtieres hatte. Kaum hatte er aufgehört zu schrumpfen, zersplitterte das Gefängnisgitter in unendlich viele kleine glitzernde Partikel und gab Ruri frei. Diese rappelte sich nun wieder auf und schritt zu dem kleinen schwarzen Schäfchen. Vorsichtig nahm sie es auf den Arm und streichelte es, während es sich wie wild dagegen wehrte. Wenige Sekunden später zerfiel die schwarze Gestalt dann zu kleinen Lichtpartikeln und fuhr in die Rocktasche der Eisblauhaarigen. Mit einem Lächeln im Gesicht und kleinen Tränen in den Augenwinkeln wandte sich die Eisblauhaarige dann zu ihren Rettern. Ein „Arigatou“ huschte ihr über die Lippen, ehe sie selbst zu kleinen Lichtpartikeln zerfiel. Aus diesen flog ein kleiner blauer Schmetterling, welcher ebenso schnell wieder verschwunden war, wie er aufgetaucht war. Ein kurzer Blick auf ihr Horo verriet Rin, dass soeben der Social Link mit Ruri und ihr eigener um eins aufgestiegen waren. Aufatmend machte sich die Gruppe dann auch auf den Weg nach Hause. Unterdessen nutzten sie die Getränke, welche Akira dabeihatte, um wieder neue Kraft zu tanken und die davongetragenen Wunden und Schmerzen zu lindern.   Kaum waren sie in ihrer Welt, nahm die Blauhaarige wieder die Beine in die Hand und rannte zurück zum Wohnheim. Der Grundschüler tat es ihr gleich, hatte allerdings wenig Lust zu rennen und nahm seine Vogelgestalt an, um mitzuhalten. „Warum hat sie es denn schon wieder so eilig?“, war Akira sichtlich enttäuscht. Offensichtlich wollte er sie noch ein Stück begleiten, um ein wenig gemeinsam Zeit zu verbringen. Sein Kumpel kommentierte dies ziemlich gleichgültig: „Ich verstehe es auch nicht.“ Natürlich wusste er von dem Geheimnis, aber es machte in seinen Augen keinen Sinn es vor dem Rotschopf zu verheimlichen. Alle anderen waren doch auch in diese Tatsache eingeweiht. „Ach, sie wird noch die Zeit zum Lernen nutzen wollen“, winkte Amika nur ab. Zumindest sie verstand warum es ihrer besten Freundin so wichtig war diese Tatsache zu verheimlichen. Kein Mädchen dieser Welt würde ihrem festen Freund gestehen wollen, dass sie hin und wieder das Geschlecht wechselte. Immerhin war das Grund genug zum Schlussmachen. Ein Niesen entwich dem Suzuki-Erben und er griff sich an den Kopf: „Mir brummt der Schädel.“ „Hast du dich etwa in der Eiseskälte verkühlt?“, machte sich sein Kumpel Sorgen und seine Gedanken über Rin waren erstmal wieder vergessen. „Quatsch“, murrte der Ältere, „Ich hab keine Zeit zum Kranksein.“ „Dann ruh dich zumindest für heute aus und mach nicht wieder die halbe Nacht durch“, schimpfte Akira. Als Antwort bekam er nur ein genervtes „jaja“. „Man merkt, dass ihr wirklich gute Freunde seid“, kicherte die Brünette. „Wenn du meinst“, färbten sich Kuros Ohren rot. Sein Kumpel musste daraufhin lachen: „Klar sind wir das.“   Kapitel 42 - Im Fieberwahn -------------------------- Donnerstag, 21. Mai 2015   Mit einem erleichterten Seufzer beendete Rin das Telefon, welches sie soeben mit der Schülersprecherin geführt hatte. Bereits gestern hatte sie Ruri versucht zu erreichen, aber da diese von ihrem Vater durchweg zu irgendwelchen Routineuntersuchungen geschoben wurde, verpassten sich die beiden Mädchen immer wieder. Heute erwischten sie sich endlich und konnten zumindest kurz sprechen. Der Eisblauhaarigen ging es soweit gut und am liebsten wäre sie sofort wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden, hätte ihr Vater da nicht auch ein Wörtchen mitzureden. Schlussendlich war aber klar, dass Ruri spätestens am Wochenende wieder zurück in ihren gewohnten Alltag kehren durfte. Kaum war dies zur Sprache gekommen, meinte die Blauhaarige nur, dass sie ihre Freundin abholen würde. Zwar lehnte sie dankend ab, da sie keine Umstände bereiten wollte, aber Rin war natürlich stur wie eh und je. Obwohl sie in erster Linie ihre Sorge in den Vordergrund schob, ging es der Oberschülerin eigentlich nur darum die Schülersprecherin so schnell wie möglich mit all den offenen Fragen zu bombardieren, welche durch den wirren Dungeon aufgekommen waren. Dazu reichte ein kurzes Telefonat nie und nimmer aus. Außerdem erhoffte sie sich noch einmal mit Saijiro zu sprechen. Der Vater kannte Rins verstorbene Mutter Rika besser als ihr lieb war. Zudem war er der erste in ihrem Umfeld, der bewusst über sie gesprochen hatte. Sowohl ihr Bruder, als auch ihr Vater schwiegen das Thema tot. Eigentlich hatte sich das Mädchen auch schon damit abgefunden nie etwas Genaueres über ihre eigene Mutter in Erfahrung zu bringen, aber diese Chance musste sie nun einfach ergreifen. Trotz der mit Arbeit überhäuften Woche, hüpfte sie nun fröhlich umher, während sie ihren Weg Richtung Suzuki-Anwesen fortsetzte. Die Schule war für heute geschafft und von ihrer To Do Liste wollte sie nun einige Aufgaben erledigen, welche den Standortwechsel voraussetzten. Im Büro angelangt, huschte ihr ein kurzes „Hallo“ über die Lippen, womit sie Kuro begrüßte, welcher ziemlich vertieft auf seinen PC-Bildschirm starrte. Eine Antwort blieb jedoch aus, was der Jüngeren auch recht war. Wer weiß was ihm sonst wieder einfallen würde, um sie zu ärgern. Kurz überlegte sie ihn doch noch zu fragen warum er die letzten beiden Tage nicht in der Schule aufgetaucht war, verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Es war normal, dass er hin und wieder fehlte und sich mit ihm zu unterhalten, war gewiss nicht in ihrem Sinne. Noch eine ganze Weile saß der Schwarzhaarige regungslos und starrend am Schreibtisch, bis es dem Mädchen schließlich unheimlich wurde. Normalerweise bewegte er sich hin und wieder, tippte oder führte zumindest die Maus, aber dieses Mal tat er einfach nichts. Dass er ein Video schaute war auch ziemlich unwahrscheinlich, denn nirgends kam Sound aus den Lautsprechern und keiner würde über einen so langen Zeitraum ein Stummvideo anschauen. „K-Kuro?“, hakte seine Assistentin vorsichtig nach. Eine Reaktion blieb auch dieses Mal aus. Noch einmal mit Nachdruck erschallte daraufhin sein Name durch den Raum. Wieder keine Antwort. Es war beinahe so, als sei er nur körperlich anwesend. Da Rin sich langsam wirklich sorgte und mittlerweile sogar ein wenig Angst bekam, schritt sie an den jungen Mann heran und rüttelte ihn an der Schulter. Ein plötzliches Zucken ging von ihm aus und er fuhr erschrocken mit dem Kopf herum: „Seit wann bist du denn da?!“ „Relativ lange schon…?“, zögerte die Blauhaarige mit ihrer Antwort, da seine völlig verwunderte Frage leichte Selbstzweifel in ihr aufwarfen. Was war hier bloß los? War sie vielleicht ausversehen unsichtbar gewesen? Aber sie hatte doch auch gegrüßt und anschließend mit den Akten hantiert. Das wäre doch jedem Blinden aufgefallen. Ein dicker Schweißtropfen rann plötzlich ziemlich auffällig über das Gesicht des Suzuki-Erben, während er ungewöhnlich schwer atmete. Ohne groß nachzudenken legte Rin wie automatisiert ihre Hand auf seine Stirn: „Du glühst ja richtig! Bist du etwa krank?!“ Tatsächlich musste die Oberschülerin nur noch Eins und Eins zusammenzählen, um zu bemerken, dass Kuros Zustand alles andere als gesund war. Auch seine Wangen waren leicht gerötet und sein Reaktionsvermögen glich dem einer Schildkröte. „Warum hockst du hier?!“, meckerte das Mädchen besorgt, „Du gehst jetzt sofort ins Bett und ruhst dich aus!“ „Mir geht’s gut. Kümmere dich um deinen Kram“, kam es leiser als gewohnt aus dem Älteren. „Nein!“, zerrte Rin an seinem Arm, „Du stehst jetzt sofort auf und gehst nach oben!“ „Lass mich los“, wurde sein Atem noch ein wenig schwerer. Seine Worte ignorierend, zog und jammerte die Blauhaarige weiter, bis er endlich aufstand. Trotz allem war das für ihn noch kein Grund nachzugeben. „Siehst du? Mir geht’s gut“, ging er zur Demonstration ein paar Schritte, bevor er zusammensackte und mit der Schulter keuchend am Aktenschrank lehnte. „Ja. Super. Sehe ich“, seufzte das Mädchen, „Hör endlich auf mit dem Blödsinn und komm mit.“ Erneut zerrte sie an Kuro, damit er wieder auf die Beine kam und sie ihn irgendwie zu seinem Bett eskortieren konnte. Blöderweise war Rin eindeutig zu schwach, um einen so viel größeren Kerl hochzubekommen, geschweige denn zu stützten. „Warte hier“, befahl sie sinnloserweise und verließ eilig den Raum. Es war ja nicht so, als würde er es aktuell noch selbstständig schaffen davonzulaufen. Es verstrich keine ganze Minute, da eilte auch schon Joel ins Büro und schnappte sich mit einem tiefen Seufzer den jungen Mann, welchen er ohne Umschweife in sein Bett beförderte. Eines der Dienstmädchen kam kurz darauf mit Medizin und einem kalten Lappen hinterher. Nun konnte Rin wieder aufatmen. Sie hatte alles in ihrer Machtstehende getan, damit der Suzuki-Erbe gut versorgt werden würde. Zügig ging sie daraufhin zurück an ihre Arbeit.   Es war bereits nach 22 Uhr, als die Blauhaarige endlich mit ihrem vorgenommenen Pensum fertig war. Gähnend streckte sie sich, während sie das Büro endlich verließ und mitten in der Empfangshalle wieder zum Stehen kam. Mit dem Blick zur Treppe nach oben war sie in Gedanken versunken, als plötzlich Shizuka an ihr vorbeilief und sich vor dem Aufgang noch einmal zu ihr umdrehte: „Du machst dir Sorgen, nicht wahr?“ Ertappt zuckte die Oberschülerin zusammen, stritt es jedoch ab: „Eh… n-nein. Ich hab nur… also… ähm…“ „Hilfst du mir noch kurz bevor du gehst?“, unterbrach die Rosahaarige das peinliche Gestotter mit einem freundlichen Lächeln. Natürlich konnte Rin nicht einfach nein sagen, da sie dem Dienstmädchen selbst das ein oder andere zu verdanken hatte und sie im Grunde auch Kollegen waren. „Klar helfe ich dir“, tapste das Mädchen hinter ihr die Treppe nach oben, „Bei was brauchst du denn Hilfe?“ „Erkläre ich dir dann“, meinte sie nur. Eigentlich war fast schon klar um was genau es ging, aber die Blauhaarige stand mal wieder mit beiden Beinen fest auf dem Schlauch. Erst als sie vor Kuros Schlafzimmer zum Stehen kamen und die Ältere mit einem Klopfen eintrat, realisierte Rin, was Sache war. Beim besten Willen wollte sie nicht in diesen Raum gehen und nach dem Erkrankten sehen. Da sie ihrer Kollegin nun aber schon zugesagt hatte, konnte sie auch nicht einfach wieder ihre Meinung ändern. Wie angewurzelt blieb Rin vor der Tür stehen und überlegte panisch, wie sie der Situation entfliehen konnte. Nichts wäre schlimmer, als dass der junge Mann am Ende auf die Idee kommen würde, die Blauhaarige würde sich um ihn sorgen. Es widerstrebte ihr völlig, ihm gegenüber auch nur einen Hauch von Interesse zu zeigen. Immerhin war auch sie für ihn nur ein Mittel zum Zweck, das er nun mal ertragen musste. Natürlich war es menschlich ein wenig Sorge zu zeigen, wenn jemand vor der eigenen Nase zusammenbrach, aber hier war die Sache nun anders. Es war den Bediensteten bekannt und sie kümmerten sich um ihn. Rin hatte hier also nichts mehr verloren. Vor ein paar Stunden war die Sachlage jedoch anders und sie hatte gar keine Wahl als zu helfen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und hier und da klangen sie auch für die Blauhaarige ziemlich wirr. Sie war sich unsicher, ob ihre Beweggründe Sinn ergaben. Trotz allem war sie sich in einer Sache sicher: Nicht in dieses Zimmer zu gehen. „Rin-chan?“, wandte sich das Dienstmädchen zu ihr um, „Kommst du?“ „Äh, ähm… j-ja…“, stotterte sie erneut und schritt schnell auf Shizuka zu, da diese sie bereits mit einer Geste aufforderte die Wasserschüssel zu nehmen. „Bitte wechsle das Wasser aus und spül einmal den Lappen ein wenig ab“, gab die Rosahaarige der Oberschülerin eine sinnvolle Aufgabe, woraufhin diese im Badezimmer verschwand. Glück gehabt. Ihr Mitschüler schief und hatte sie nicht bemerkt. Hoffentlich würde das auch so bleiben. Irgendwas verriet ihr allerdings, dass die Chancen nicht sehr gut standen. Schnell kippte sie das benutzte Wasser weg und füllte frisches kaltes in die kleine Wanne. Wieder völlig in Gedanken, wrang sie nun mehrfach das nasse Stück Stoff aus, um mögliche Verschmutzungen auszuwaschen. „Was mache ich hier eigentlich?“, murmelte sie nur leise, setzte ihre Arbeit aber fort. Kurz darauf kam sie auch schon wieder mit der Schüssel in den Händen zurück ins Schlafzimmer. Dort hätte sie vor Schreck beinahe das frische Wasser fallenlassen, als sie einen oberkörperfreien Kuro im Bett sitzen sah. Prinzipiell war ihr ja schon bekannt, dass er recht muskulös war, aber ihn völlig unvorbereitet halb nackt zu sehen, kam dann doch etwas plötzlich. Dieser bemerkte das Mädchen auch, blickte sie aber nur müde an, als Shizuka ihm soeben ein sauberes Oberteil überstülpte. Unterdessen stellte die Blauhaarige die Schüssel auf den Nachttisch und wandte ihren Blick vom Geschehen ab. Sonderlich viel mehr verpasste sie jedoch nicht, denn abgesehen von dem Kleiderwechsel, wurde er nur noch aufgefordert seine Medizin zu nehmen. Das Dienstmädchen war noch mit dem Kranken beschäftigt, als Rin die mitgebrachten Eiswürfel entdeckte. Sofort verstand sie deren Sinn und füllte sie in die Wasserschale um. Damit sie nicht komplett dumm rumstand tränkte sie den Lappen schonmal in der kalten Flüssigkeit und wrang diesen daraufhin gut aus. Shizuka bemerkte das, doch statt das entgegengestreckte Stück Stoff von Rin zu nehmen, gestikulierte sie, es ihm selbst auf die Stirn zu legen. Unsicher wanderten ihre Augen rüber zu dem jungen Mann, welcher kaum etwas mitbekam, da er scheinbar schon wieder im Halbschlaf war. „Danke für deine Hilfe“, lächelte das Dienstmädchen und setzte sich plötzlich in Bewegung, „Du packst das ja allein, ich muss dringend los.“ „W-warte…!“, blickte die Oberschülerin verzweifelt zur Älteren, welche soeben den Raum verlassen hatte. Was meinte sie damit? Wohin musste sie so plötzlich und was genau packte Rin allein? Es musste doch nur noch das kühlende Tuch auf Kuros Stirn gelegt werden, oder? Oder verpflichtete sich das Mädchen nun zu kontinuierlichen Wechseln, um das Fieber schneller zu senken? Vollkommen ratlos stand sie vor dem Bett und sah voller Zweifel zu dem jungen Mann, welcher noch immer ein relativ gerötetes Gesicht hatte und schwer atmete. Da er seine Augen geschlossen hatte und offensichtlich kaum etwas von seiner Umgebung wahrnahm, fiel es dem Mädchen sehr viel leichter ihm vorsichtig die Haare von der Stirn zu streichen, um das kühlende Mittel draufzulegen. Kaum hatte sie dies getan, öffnete er langsam die Augen und sah recht benebelt zu seiner Assistentin. Rin konnte es sich nicht erklären, aber seine goldgelben Augen verrieten sofort, dass die Kühlung eine Linderung zu sein schien. Aber was jetzt? Sollte sie direkt gehen? Sollte sie hierbleiben und alle paar Minuten den Lappen wechseln? „Das hat aber lange gedauert“, murmelte der Suzuki-Erbe. Die Blauhaarige verstand natürlich kein Wort: „Wie meinst du das?“ „Ich hab doch schon vorhin gesagt, dass du herkommen sollst“, meckerte er relativ geschwächt und immer noch leicht benebelt. Irgendwie konnte die Jüngere ihm aber auch nicht böse sein und entgegnete ihm in normalem Ton: „Das wusste ich nicht. Was war denn los?“ „Ich weiß immer noch nicht warum du bei dem Unwetter im Wald warst“, kam es geschwächt von dem jungen Mann. Schon wieder sprach er das Thema an und Rin war es mehr als unangenehm darüber zu sprechen. Was sollte sie ihm antworten? Was wollte er hören? Sie selbst war an diesem Tag doch gar nicht bei klarem Verstand. Alles was zu diesem Zeitpunkt in ihrem Kopf Sinn ergab, war rückblickend absolut sinnlos. „Wenn das alles ist was du wissen willst, dann gehe ich jetzt“, merkte sie ihn mit leicht verstimmtem Unterton an und wand sich zum Gehen ab. Bevor sie allerding einen Schritt tat, hielt Kuro sie am Handgelenk fest. Eigentlich war es weniger ein festhalten, sondern eher eine schwache Berührung, aus welcher sie sich problemlos hätte befreien können. Wieso also blieb sie einfach starr stehen? „Hab ich kein Recht zu erfahren warum du dich in solche Gefahr begeben hast?“, unterbrach ihn ein Hustenanfall, „Oder aber warum ich mich der Gefahr ausgesetzt habe und nun deswegen eine Erkältung habe?“ Einige lange Sekunden strichen ins Land, in welchen sich die beiden anschwiegen. Kuros nach Antworten fordernder Blick hing auf dem Rücken der Erstarrten, welche versuchte das Chaos in ihrem Kopf zu bewältigen. Der Schwarzhaarige hatte sich gewiss nicht in dem Unwetter erkältet. Eigentlich war sich Rin ziemlich sicher, dass der eisige Dungeon dafür verantwortlich war. Oder? Sonst hätte er doch schon viel eher Erkältungssymptome aufgewiesen. Waren sie vielleicht doch schon früher zu erkennen? Wahrscheinlich hatte er sie dann aber ignoriert und somit verschlimmert. Das würde zumindest auch zu der Sturheit passen, welche er vorhin an den Tag legte und partout nicht einsehen wollte, dass er definitiv krank war. „Schieb mir nicht die Schuld für deine Erkältung in die Schuhe“, maulte die Oberschülerin und drehte sich wieder zu ihm, „Keiner hatte dir gesagt, dass du bei diesem Wetter vor die Tür gehen solltest. Abgesehen davon glaub ich viel eher, dass es der kalte Dungeon war, der dir zugesetzt hatte. Sonst wärst du doch schon um einiges früher erkrankt.“ „Der Regen war trotzdem nicht unschuldig“, hustete er erneut, setzte sich vorsichtig auf und versuchte das Glas Wasser zu erreichen. Während seine Assistentin ihm dabei half, kamen ihr plötzlich ganz andere Punkte in den Sinn, welchen sie sofort nachgehen musste: „Wie hast du mich überhaupt gefunden? Und warum hast du mich überhaupt gesucht?“ Nachdem der Schwarzhaarige schwermütig ein paar Schlucke getrunken hatte entgegnete er ihr: „Ich bin ja nicht blöd.“ „Ja ne… Aber auch kein Hellseher“, waren die Fragen noch immer nicht beantwortet. Wartend hockte sich Rin schlussendlich auf den Stuhl, welcher vor dem Bett stand. Ihr Gesprächspartner plumpste wieder ins Kissen: „Shina hatte sich Sorgen gemacht und wollte nach dir sehen. Allerdings hatte sie sich selbst eine kleine Erkältung eingefangen und dann flachgelegen. Da hat sie mich gebeten das zu erledigen.“ Überrascht sah das Mädchen zu ihm herüber. Ihr war gar nicht klar, dass ihre Kollegin in Sorge war. Nun tat es Rin fast schon leid, dass sie einfach davongelaufen war. Trotzdem erklärte das noch lange nicht wie er sie finden konnte. „Das ist ja schön und gut, aber wie hast du mich dann überhaupt gefunden?“, forderte sie eine sinnvolle Antwort. „Muss man das logisch erklären können?“, stellte der junge Mann eine Gegenfrage, „Diese ganzen übernatürlichen Phänomene, die uns aktuell passieren kann ja auch keiner erklären. Vielleicht weiß ich ja selbst nicht genau wie ich dich gefunden habe.“ Natürlich war das gelogen, denn es war unmöglich die Nadel im Heuhaufen zu finden, wenn man nicht wusste wo man anfangen sollte zu suchen. Aber gewiss war Kuro der Letzte, der ihr erklärte, dass der Suzuki-Pin geortet werden konnte. Ehrlichgesagt überraschte es ihn auch ein wenig, dass er trotz seines vernebelten Zustandes so eine gute Ausrede finden konnte. Tatsächlich kaufte Rin ihm diese sogar ab, weshalb er wieder zu seiner ursprünglichen Frage zurückkehren konnte. Warum bloß war das Mädchen bei diesem Unwetter im Wald gewesen? „Ich weiß es nicht“, wandte sie den Blick ab, „Wegen der Prüfung ging es mir schlecht und ich wollte einfach nur weg. Egal wohin. Und ich konnte auch an nichts anderes denken außer diesen furchtbaren Morgen.“ „Wolltest du zum Tempel?“, hakte der Suzuki-Erbe nach. „Vermutlich“, sah sie wieder zu ihm, „Von dort oben hat man einen echt coolen Ausblick.“ Ein leicht gequältes Grinsen legte sich über ihre Lippen und sie hoffte, dass ihre Antwort ausreichte, um ihn zufriedenzustellen. Natürlich war es nicht nur die vergeigte Prüfung, die sie psychisch fertigmachte. Es waren auch die Zicken, die sie an diesem Tag sogar körperlich angriffen. Aber das konnte sie ihm niemals anvertrauen. Rin wusste selbst, dass sie an der Suzuki-Akademie vollkommen fehl am Platz war. Trotzdem wollte sie dortbleiben und weiterhin Lacrosse ausüben. Mit ihrem Team kam sie ganz gut aus und hatte sogar Spaß am Mannschaftssport. Lediglich ein Mädchen zeigte aktiv, dass sie etwas gegen die Blauhaarige hatte. Wüsste Rin es aber nicht besser, würde sie behaupten, dass auch ein wenig Eifersucht im Spiel war. Alle anderen nahmen sie aber zumindest als Teammitglied an, waren aber nicht unbedingt auf eine beste Freundschaft aus. Zu Beginn waren sie noch sehr begeistert von ihr und gingen aktiv auf die Stipendiatin zu. Mit der Zeit legte sich das aber und sie war nur noch ein vorhandenes Puzzleteil, das man zwar gebrauchen konnte, dem man aber weniger Beachtung schenkte als anderen. „Dass du nur wegen einer dämlichen Prüfung so reagierst ist trotzdem lächerlich“, äußerte Kuro sein Misstrauen. „Glaub es oder lass es. Ist mir egal“, blieb die Blauhaarige trotz allem relativ ruhig. Lag vermutlich auch daran, dass die Äußerungen des Schwarzhaarigen durch seinen geschwächten Zustand weniger bedrohlich oder vorwurfsvoll rüberkamen. Plötzlich wurde der Raum für eine Sekunde in grelles Licht getaucht, als sogleich ein überaus lauter Donner hinterhergrollte. Dies lies nicht nur den Älteren kurz zusammenzucken, sondern auch das Mädchen erschrak sich und stieß einen grellen Schrei aus, welchen ohne jeden Zweifel sicherlich das ganze Haus gehört hatte. Nun war auch der Schwarzhaarige wieder wacher denn je, rappelte sich auf und sah an der Bettkante vorbei hinunter auf den Boden. Dort hatte sich seine Assistentin noch während des ohrenbetäubenden Gekreisches mit dem Rücken zum Bett hingekauert, die Beine herangezogen und den Kopf weit eingegraben. Sogleich folgte dem Gewitter auch noch ein Regenschauer und ein frisches Lüftchen zog durch die zwei offenen Fenster des Raumes. Noch ehe der Suzuki-Erbe auf Rin eingehen konnte, wurde auch schon seine Zimmertür aufgestoßen. Genauso schnell wie sie aufging, wurde sie auch wieder ins Schloss geschmissen, während Skye wortlos hereintrat und überaus eilig unter die Decke der freien Betthälfte schlüpfte. Er kroch bis zum Kissen direkt neben dem Älteren, blieb jedoch bis über den Kopf zugedeckt. Perplex wanderte Kuros Aufmerksamkeit demnach zum zitternden Grundschüler rechts neben ihm. Vorsichtig legte er seine Hand auf den Körper des angsterfüllten Kindes und streichelte ihn: „Es passiert schon nichts. Das Gewitter zieht vorüber.“ Der bebende kleine Körper beruhigte sich sogleich ein wenig, als es plötzlich erneut blitzte und gleichzeitig noch lauter als zuvor donnerte. Wieder schrie die Blauhaarige laut auf und kauerte nun in der Ecke von Nachttisch und Bett. Auch Skye hatte sich so erschreckt, dass er aus der Decke heraussprang und im Schoß des Suzuki-Erben Zuflucht suchte. Natürlich wurde dem Jüngsten die Zuflucht gewährt und der junge Mann fuhr ihm sanft durchs wuschelige Haar. Prüfend schaute er anschließend auch zur Oberschülerin rüber, nur um festzustellen, dass diese mindestens genauso große Angst hatte. Ein Schnauben entwich dem Kranken und seine Gedanken waren ihm ins Gesicht geschrieben. Er war nicht nur von der Gesamtsituation genervt, sondern hauptsächlich von Rins unreifem Verhalten. Dass sich ein kleiner Junge vor Gewitter fürchtete, konnte er noch irgendwie tolerieren. Aber für seine Assistentin, die sogar vor wenigen Tagen bei einem solchen Unwetter noch im Wald war, konnte er kein Verständnis aufbringen. Mit einem Seufzer plumpste er schließlich wieder zurück in sein Kissen. Er konnte nicht mehr sitzen, da ihm der Kopf noch immer so sehr dröhnte. Eigentlich wollte er nur schlafen und sich erholen. Kaum lag er auf dem Rücken, schmiegte sich der kleine Mann an ihn und machte es sich ebenfalls bequem. Kuros Blick wanderte jedoch noch einmal zu seiner linken Seite, wo er abgesehen vom zitternden Hinterkopf der Blauhaarigen nichts erkennen konnte. Vorsichtig legte er seine Hand auf ihren Kopf. Kurz zuckte das Mädchen zwar zusammen, beruhigte sich aber schnell wieder. Ihre Spannung legte sich so langsam und sie schloss für einen kurzen Moment die Augen, da sie plötzlich eine unheimliche Müdigkeit überkam.   Kapitel 43 - Enttarnt? ---------------------- Kapitel 43: Neue Erkenntnisse     Freitag, 22. Mai 2015   Herzhaft gähnend verließ Skye das Grundschulgelände. Er war nicht nur müde, sondern auch ziemlich genervt von seinen Mitschülern. Sie erschienen ihm stellenweise so unreif und kindisch. Außerdem wollte in den Pausen ständig jemand anderes mit ihm spielen und der Portalwächter sah absolut keinen Sinn darin auf Klettergerüste zu steigen, zu rutschen oder zu schaukeln. Noch weniger wollte er durch die Gegend rennen, um die anderen Schüler zu fangen oder vor ihnen wegzulaufen. Wer hatte sich diesen Blödsinn bloß ausgedacht? Im Grunde hoffte er inständig, dass seine desinteressierte Art irgendwann auch bei dem letzten Trottel ankam und sie ihn einfach alle in Ruhe ließen. Am liebsten hockte er in einer ruhigen Ecke und befasste sich mit seinem Horo. Wobei er noch lieber erst gar nicht in der Grundschule wäre. Ein tiefer Seufzer entwich ihm, als er gedankenversunken beinahe in jemanden hineinlief. Es war Akari, welche vor dem Schultor stand und offenbar auf jemanden wartete. „Was machst du denn hier?“, kam es verblüfft aus dem Jungen. Hatte sie etwa einen Verwandten, den sie hier von der Grundschule abholen wollte? Aber wer sollte das sein? Zumal sie selbst ja gar nichts mit der Suzuki-Akademie zu tun hatte. Die Rothaarige besuchte die Kirigaoka Mittelschule, welche ein gutes Stück von hier entfernt war und ihr Bruder war auf der Aehara Oberschule, welche in der komplett anderen Richtung lag. „Ich habe auf dich gewartet“, kam es recht ernst aus der Älteren, „Wir müssen uns unterhalten.“ „Willst du mir wieder irgendwas komisches unterstellen?“, äußerte Skye seinen Unmut.   Wenig später befanden sich die beiden dann auch schon in einem kleinen Café, um in Ruhe zu sprechen. Es war erneut eine Situation, die dem Jungen gar nicht behagte und die er am liebsten umgangen wäre. Allerdings ließ das Mädchen einfach nicht locker und da sie ihm ein Heißgetränk spendierte, konnte er auch nicht mehr groß ablehnen. „Was willst du denn besprechen?“, rührte der Grundschüler seinen Kaffee um. Sein Gegenüber löffelte währenddessen die Sahnehaube ihrer heißen Schokolade: „Schmeckt dir dieser schwarze Kaffee etwa?“ „Ist es wirklich das was du wissen willst?“, hatte er keine große Lust auf Smalltalk, „Der ist lecker und macht wach. Schule ist ermüdend und bei uns gibt’s keinen schwarzen Kaffee für die Schüler.“ „Verstehe“, meinte die Ältere, „Grundsätzlich wollte ich über dich sprechen.“ „Über mich? Was gibt’s denn da zu reden?“, hatte der Schwarz-Blauhaarige schon eine Ahnung. „Ich weiß wer du bist“, kam sie direkt zum Punkt, „Und ich möchte, dass du dich von meinem Bruder fernhältst.“ „Das verstehe ich jetzt nicht. Wer soll ich denn in deinen Augen sein, dass ich nicht mit deinem Bruder befreundet sein darf?“, legte der Kleine den Kopf schief. Akaris Blick wurde noch ein wenig ernster: „Du bist nicht von dieser Welt. Wo du herkommst herrscht das Chaos und du wirst es auch über die hereinbringen, die dir nahestehen.“ „Findest du das nicht ziemlich weithergeholt?“, versuchte der Grundschüler die Situation zu entschärfen, „Wo soll ich denn bitte sonst herkommen? Wenn du weißt wer ich bin, dann nenne mir doch mal ein paar Fakten über mich. Wann wurde ich geboren, wie alt bin ich, wer sind meine Eltern und wo genau komme ich her?“ „Diese Kleinigkeiten tun nichts zur Sache und sind mir vollkommen egal. Ich weiß aber, dass du nicht in dieser Zeit zu Hause bist“, schien die Rothaarige mehr zu wissen, als es ihm lieb war. „Und in welche Zeit gehöre ich deiner Meinung nach?“, versuchte der Grundschüler herauszufinden was sie wusste. „Das wirst du mir sagen müssen“, entgegnete sie forsch. Der Schwarz-Blauhaarige schnaubte und lehnte sich zurück, während sein Blick zu seiner Linken aus dem Fenster wanderte. Seine Gesprächspartnerin folgte ihm und sah auf der Straße die ein oder anderen Fußgänger vorbeigehen. Viel Spannendes passierte jedoch nicht. „Na gut“, fixierte Skye sich wieder auf die Unterhaltung und richtete seinen Rücken auf, „Da du nicht überrascht zu sein scheinst, wenn es um Zeitreisen geht, kann ich dir ja auch die Wahrheit sagen.“ Stillschweigend schaute ein blaues Augenpaar erwartungsvoll zum Grundschüler. „Ich bin der Wächter des Zeitreiseportals. Demnach weiß ich auch nicht wann ich wirklich zu Hause bin“, erklärte er ruhig, „In diese Zeit bin ich gekommen, da es hier am wahrscheinlichsten ist die Zukunft vor dem Untergang zu bewahren.“ „Das heißt du bist nicht der Schurke, sondern der Held?“, weiteten sich Akaris Augen voller Erstaunen. „J-ja?“, bekam sie eine zügige Antwort. „Beweise es“, forderte das Mädchen. „Wie soll ich das denn anstellen? Außerdem hast du mich doch beschuldigt ohne es widerlegen zu können“, wendete er den Spieß. Kurz überlegte seine Gesprächspartnerin: „Hm… Irgendwie hast du recht. Immerhin hättest du ja auch sonst schon längst irgendwas verbrochen.“ Ihr finsteres Gemüt wandelte sich allmählich in ein sonniges und ihr Charakter war wie ausgewechselt. Auch den Kontakt zu ihrem Bruder bewilligte sie wieder und die Welt schien für sie wieder heil. Der plötzliche Wechsel von Feind zu Freund behagte dem Jüngeren allerdings nicht. Er befand es als ziemlich befremdlich, war aber froh, dass nun alles in Ordnung war und eine Freundschaft der beiden möglich erschien. Trotz allem war er sich ziemlich unsicher woher genau ihre Informationen stammten. Ob Akira etwas ausgeplaudert hatte und seine Schwester nun paranoid wurde? Generell erwähnte Haru ja auch mal, dass die Rothaarige sich manchmal ziemlich in Verschwörungstheorien verstrickte. Ob er ihren Bruder mal fragen sollte, ob er irgendwas ausgeplaudert hatte? Allerdings hieße das auch, dass er ein Gespräch zum Laufen brachte, was er lieber totschweigen wollte. Er wusste selbst, dass er eine Art Fremdkörper war und wollte demnach kein Lauffeuer entfachen. „Na wenn das so ist“, stand das Mädchen auf und stützte beide Hände auf den Tisch, „Lass mich dir helfen! Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Fähigkeiten die Welt retten können.“ Ein blaues Augenpaar funkelte den Jüngeren voller Begeisterung an, welcher erschrocken zurückwich. „Nur zu deiner Information: Wir sind hier nicht in einem Shounen-Manga. Also was genau stellst du dir bitte vor? Und von welchen Fähigkeiten soll hier die Rede sein?“, versuchte Skye ihr die Flausen wieder auszutreiben. Kurz überlegte diese: „Hm… wie erkläre ich das am besten? Ich besitze ein sehr großes Wissen, dass dir noch nützlich sein könnte.“ „Und was soll das für ein Wissen sein? Allgemeinbildung habe ich auch selbst“, verschränkte der Schwarz-Blauhaarige die Arme vor der Brust und sah genervt aus dem Fenster. „Du hast doch vorhin ein paar Fragen gestellt. Wie wäre es, wenn ich die über deine Eltern beantworte?“, setzte die Ältere ein siegessicheres Grinsen auf. Schlagartig fuhr der Grundschüler herum und wusste nicht was er sagen sollte. Es war eine Mischung aus Ungläubigkeit und Neugierde, welche ihn lähmte. Sie konnte nicht wissen wer seine Eltern waren, da es keiner aus ihrem Umfeld wusste. Allerdings sagte sie es mit einer solchen Sicherheit, dass es ihn völlig aus dem Konzept brachte und er nun nicht nur wissen wollte wen sie nannte, sondern auch woher sie es wusste. „Egal was du auch sagt, es wird nicht stimmen“, fasste er wieder Wort, „Ich als Portalwächter habe keine Abstammung.“ Mittlerweile hatte sich die Dunkelrothaarige wieder gesetzt und ihre Beine übereinanderschlagen. Genüsslich trank sie einen Schluck der heißen Schokolade und gab ihre Antwort preis: „Natürlich hast du Eltern. Du hast sogar eine kleine süße Schwester.“ Plötzlich weiteten sich Skyes Augen und er zog erschrocken die Luft ein. „Wie ich es mir dachte. Ich liege also richtig“, grinste das Mädchen und ging ins Detail, „Dein Vater hat blondes Haar und dein Schwesterchen...“ „Hör auf!“, unterbrach er mit bebender Stimme ihre Erklärung. Panik stieg in ihm auf und gleichzeitig machte sich auch ein wenig Furcht in ihm breit: „Wer bist du wirklich?! Sprich!“ Verwirrt legte seine Gesprächspartnerin den Kopf schief: „Akari Yoshida. Ich bin Akiras kleine Schwester und gehe in die Kirigaoka Mittelschule.“ „Verarsch mich nicht“, wurde er sauer, „Woher hast du Informationen aus der Zukunft? Wer genau bist du?“ „Aber ich sagte doch, dass mein Wissen dir von Nutzen sein kann“, erklärte die Ältere ruhig, „Wir stehen auf der gleichen Seite.“ Noch eine Weile drehte sich die Diskussion im Kreis, ehe Skye die Nase voll hatte und ging. Sonst war er immer derjenige, der alle anderen im Unklaren lies. Aber dieses Mal war er es, der unwissend blieb und ehrlicherweise trieb es ihn mehr in den Wahnsinn als er dachte. „So langsam verstehe ich wie sich alle anderen fühlen, wenn ich nicht alles preisgebe was sie wissen wollten“, nuschelte er vor sich hin, „Ob ich es einfach offenlegen soll? Aber das könnte sie alle verschrecken und am Ende läuft es aus dem Ruder.“ Ein tiefer Seufzer entwich dem Jungen, während er weiter seinen Weg ging.   An diesem Abend entschied sich Skye dazu zurück ins Wohnheim zu kehren. Einerseits traute er sich irgendwie nicht so richtig Kuro unter die Augen zu treten nach seinem peinlichen Verhalten letzte Nacht beim Gewitter. Andererseits wollte er wissen was die Blauhaarige über Akira und seine Schwester wusste. Beim Suzuki-Erben war er sich unsicher, ob er ihm überhaupt alles verraten würde, was er wusste. Und wenn doch, dann war es wahrscheinlich wieder mit irgendetwas ziemlich Nervigem verbunden. „Oh man, ich bin sowas von tot“, kam Rin soeben frisch geduscht aus dem Badezimmer und ließ sich mit dem Bauch auf ihr Bett fallen. Skye fläzte auch bereits darin und spielte wieder seine Videospiele: „Du hast momentan wirklich einiges zu tun, kann das sein?“ „Ja, die Arbeit häuft sich schneller als ich sie abarbeiten kann und irgendwann muss ich auch noch für die Nachprüfungen lernen. Die sind ja auch schon bald“, jammerte die Blauhaarige. Beim Wort „Nachprüfungen“ zuckte der Jüngere kurz zusammen. Ihm standen diese auch noch bevor. Wobei es ihm vollkommen egal war zu bestehen oder nicht. Einzig auf Kuros nervige Standpauke hatte er keine Lust. „Wann lernst du eigentlich dafür?“, lenkte das Mädchen das Thema in eine Richtung, die dem Grundschüler nicht behagte. „Immer mal zwischendurch“, antwortete er knapp, „Aktuell mache ich mir um was anderes Sorgen.“ „Was denn?“ war Rins Neugierde geweckt. „Meinst du einer von uns gibt Informationen über die übernatürlichen Phänomene preis?“ „Weiß nicht“, zuckte die Blauhaarige unbekümmert mit den Schultern, „Wie kommst du darauf?“ „Es ist eher eine vorrausschauende Maßnahme“, flunkerte er gekonnt, „Du bist dir doch sicherlich über die Konsequenzen im Klaren, wenn die Öffentlichkeit davon Wind bekommt, oder?“ „Wäre es dann nicht einfacher zu agieren? Dann könnten wir auch mit mehr Verstärkung rechnen“, kam es treudoof aus Rin. „Glaubst du das wirklich?“, schnaubte der Jüngere, „Hör zu, ich kann dir aus Erfahrung sagen, dass das so nicht passieren wird. Unbekanntes bereitet der großen Masse Angst. Und was passiert, wenn man Angst vor etwas hat?“ Wieder überlegte das Mädchen: „Man rennt weg?“ Genervt stieß der Schwarz-Blauhaarige Luft nach außen: „Nein. Die Mehrheit der Menschen eliminiert grundsätzlich wovor sie Angst hat.“ „Meinst du? Kann ich mir nicht vorstellen“, teilte die Oberschülerin seine Meinung nicht. Daraufhin überlegte Skye, wie er es ihr anders verständlich machen konnte. Die Ältere war eher ein praktischer Mensch und konnte mit Theorie wenig anfangen. „Okay, dann hier mal ein Beispiel“, startete er einen neuen Anlauf, „Mal angenommen hier an der Wand sitzt eine Spinne. Was tust du und warum?“ „Ich mach sie platt, weil sie eklig ist?“, beantwortete die Oberschülerin die ihr gestellte Frage mit einer unsicheren Gegenfrage. Die Antwort war zu logisch und einfach, als dass sie sie hätte geben müssen. „Perfekt“, war Skye zufrieden, „Und wie würde zum Beispiel Amika reagieren?“ „Sie rennt schreiend weg“, zuckte die Blauhaarige mit den Achseln. „Und dann? Was passiert mit der Spinne im Anschluss?“, bohrte der Grundschüler weiter. „Na ja“, überlegte sie, „Wahrscheinlich holt sie jemanden, der das Vieh erledigt.“ Auf die Aussage hin grinste der Jüngere und nickte: „Und warum lässt deine beste Freundin die Spinne entfernen?“ „Sie ist eklig und Ami hat Angst davor“, verstand das Mädchen einfach nicht so recht wo das Gespräch soeben hinlaufen sollte. „Also zusammenfassend ist Ekel und Angst der Auslöser, weswegen das Tierchen von den meisten eliminiert wird, richtig?“, hakte er vorsichtshalber noch mal nach. Ein zaghaftes Nicken kam als Antwort zurück und Rins Augen verengten sich. Es war kaum zu übersehen, dass sie gerade versuchte zu verstehen was los war. „Hast du dich jemals gefragt warum sich viele Menschen vor Spinnen fürchten?“, stellte der Junge wieder eine Frage, „Das liegt daran, dass wir sie nach dem Äußeren beurteilen. Sie ist einfach anders und manche sind auch giftig. Sofort gehen wir davon aus, dass uns diese mit ihrem Gift töten wird. Wir denken gar nicht darüber nach, dass vor uns womöglich ein friedliches Tierchen hockt.“ „Du willst also sagen, dass wir mit unseren Kräften sowas wie Spinnen sind?“, hakte das Mädchen verunsichert nach. „So könnte man es sagen. Selbst wenn manche vor euch wegrennen, kommt kurz drauf ein anderer, der euch böses will“, erklärte er, „Die Angst vor dem Unbekannten verleitet dazu dieses zu eliminieren. Vor allem, wenn man darin eine Bedrohung sieht.“ „Jetzt habe ich es verstanden. Es ist wie damals im Schwimmunterricht, als ich das Becken in eine Art Tsunami verwandelt habe und meine ganzen Mitschüler hätte ertränken können. Hätten sie gewusst, dass ich es war, wäre ich nicht heil davongekommen. Auch wenn es gar keine Absicht war. Aber ehrlicherweise habe ich selbst doch auch Angst vor dieser Kraft“, richtete sich die Blauhaarige wieder auf. „Mach dir keine Sorgen. Das bekommen wir in den Griff. Auch wenn ich nicht weiß wann“, grinste Skye schief, „Aber zurück zu meiner eigentlichen Frage: Meinst du einer von uns hat oder wird was ausplaudern?“ Grundsätzlich ging es ihm in erster Linie darum herauszufinden wodurch Akari an ihre Informationen gelangt war. Aber generell war es nicht schlecht dieses Thema generell zu erörtern. „Hm… Bei Amika kann ich mir ehrlicherweise schon vorstellen, dass sie irgendwas ausplaudert. Die Frage ist nur, ob es auch geglaubt wird oder nur als Zaubertrick abgetan wird. Akira hat derzeit noch keine Beweise. Demnach denke ich nicht, dass er mit Unbeteiligten darüber spricht, denn er würde nur für bekloppt gehalten werden. Kuro geht der ganze Kram vermutlich so am Hintern vorbei, dass er darüber generell nicht spricht und Ruri ist immer so ruhig und beschäftigt, dass ich auch nicht glaube, dass sie etwas weitergegeben hat.“ „Hm klingt plausibel“, überlegte Skye, „Ich denke es ist am besten, wenn ich noch mal allen ins Gewissen rede.“ Das Ganze brachte ihn aktuell natürlich kein Stück weiter. Aber vielleicht halfen Gespräche und Einschätzungen mit den anderen Eingeweihten, um an Informationen zu gelangen. Außerdem machte es auf jeden Fall Sinn nochmal mit diesen zu sprechen und ihnen Vorsicht einzubläuen. „Jetzt habe ich aber trotzdem noch eine offene Frage“, riss Rin den Grundschüler aus seinen Gedanken. Dieser forderte mit einem „hm?“ seine Gesprächspartnerin zum Weiterreden auf. „Wenn alle Angst vor Spinnen haben, warum hat dann keiner Angst vor Spiderman?“ Verdutzt schaute er zur Fragestellerin herüber und wusste erst einmal nicht was er sagen sollte. „Ähm… Wer ist das?“, versuchte er erstmal den Inhalt zu verstehen. „Na ein Superheld, der von einer Spinne gebissen wurde und nun auch deren Fähigkeiten hat“, erklärte die Blauhaarige, „Wieso kennst du das nicht?“ „Ist das dann ein Mann mit acht haarigen Beinen?“, verriet sein kritischer Blick schon, dass er absolut nichts damit anfangen konnte. „Hä? Nein, er hat nur zwei haarige Beine, kann aber Fäden schießen und rettet somit die Bürger vor dem Bösen“, führte Rin es weiter aus. „Das ist doch eine Fiktion, die nichts mit unserer Realität zu tun hat. Und wenn du es unbedingt vergleichen willst, dann frag dich mal, wie viele Bürger du bereits in der Öffentlichkeit gerettet hast oder retten wirst. Du handelst im Verborgenen und die breite Masse weiß nichts von deinen Taten.“ Kurz überlegte die Oberschülerin, ehe sie sich eingestehen musste, dass ihr Zimmergenosse nicht ganz Unrecht hatte.     Samstag, 23. Mai 2015   Da sich Rin am Morgen vorgenommen hatte noch einige Besorgungen von Kuros To Do Liste abzuarbeiten, verschlug es sie in den Stadtteil Aoichi-kû, wo sie unter anderem ihrem Bruder einen kurzen Besuch abstattete. Sie musste ihm unbedingt beichten, dass sie die Prüfungen vermasselt hatte. Außerdem erhoffte sie sich von ihm erfahren zu können wer das Schulgeld für die Suzuki Akademie so plötzlich bereitgestellt hatte. „Ehrlicherweise überrascht es mich wenig, dass du durchgefallen bist“, schlürfte Saito seinen Kaffee. Ihm gegenüber, am Küchentisch, saß seine perplexe Schwester, welche abrupt aufhörte in ihrem heißen Kakao herumzurühren. Eigentlich wollte sie sich soeben beschweren, konnte allerdings nachvollziehen, dass er es so sah und schwieg. „Aber wer nun für deine Schulkosten aufkommt ist mir selbst ein Rätsel. Ich bin es definitiv nicht und unser Vater erstrecht nicht“, grübelte der Blonde, „Hast du vielleicht einen reichen Freund?“ „Eher nicht“, grinste die Oberschülerin schief. Sie musste aufpassen es nicht zu sehr zu verneinen. Immerhin konnte sie ihm schlecht sagen, dass sie eher geärgert und ihr die Dinge genommen statt gegeben wurden. Ihre Schleife war das beste Beispiel dafür. „Lass uns einfach mal die Augen und Ohren offenhalten“, hakte das Mädchen dieses Thema erstmal ab, „Ehrlicherweise dachte ich jetzt aber, dass du sauer bist, weil ich zur Nachprüfung muss.“ „Ich bin nicht begeistert, aber du bist mittlerweile alt genug. Außerdem weiß ich wie wichtig dir dieses Stipendium war“, zuckte der Ältere nur mit den Schultern, „Und eigentlich bin ich selbst nicht besser, deswegen darf ich nicht meckern.“ „Wie meinst du das? Bist du in einer Medizin-Prüfung durchgefallen?“, verstand Rin nicht was vorgefallen war. „Ich hab das komplette Medizin-Studium geschmissen. Es war wenig spannend und fiel mir viel zu schwer. Jetzt studiere ich IT. Das ist bisher wirklich interessant“, erklärte er. Mit großen Augen sah die Blauhaarige ihren Bruder an. Das hatte sie nun wirklich nicht erwartet. Sie dachte immer, dass er unbedingt Arzt werden wollte, weil doch ihre Mutter Krankenschwester war. „Warum hast du überhaupt Medizin angefangen zu studieren? Dachtest du, dass dich das Okâ-san näherbringt?“, fiel das Mädchen mal wieder mit der Tür ins Haus. Kurz zuckte der junge Mann, beruhigte sich dann aber wieder und sprach mit trauriger Miene: „Meine Erinnerungen an sie sind so unfassbar getrübt. Ich dachte, wenn ich etwas mache, was sie geliebt hat, erinnere ich mich wieder besser an sie.“ „Du warst doch noch klein als sie von uns ging“, versuchte die Blauhaarige die Stimmung wieder zu heben, „Da ist es nur normal, dass man einiges vergisst. Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr an sie.“ Saito machte eine kurze Pause und starrte in seinen Kaffeebecher ehe er weitersprach: „Meine Erinnerungen sind wie weggeblasen. Alles was ich noch weiß habe ich auf Fotos gesehen.“ „Hast du bisher deshalb nie über sie gesprochen?“, wurde nun auch die Blauhaarige melancholisch, „Ich hab immer so viel gefragt, aber nie wollte jemand mit mir über sie sprechen. Als hätte es sie nie gegeben.“ „Das wollte ich nicht. Ich wollte dir einfach keine falschen Informationen über Okâ-san geben und Otô-san wollte wahrscheinlich nur keine alten Wunden aufreißen“, erklärte der junge Mann. Noch eine Weile sprachen sich die Geschwister über ihre Mutter Rika aus und Rin kullerte sogar eine kleine Träne über die Wange. Genau in diesem Moment schwirrte plötzlich ein blauer leuchtender Schmetterling um ihren Bruder herum und unweigerlich musste sie ein wenig lächeln. Der Social Link zu ihm war auf die zweite Stufe angestiegen. Niemals hätte sie gedacht ihren eigenen Bruder noch besser kennenzulernen. Vor allem wenn man bedachte, dass der Link noch 8 weitere Stufen erreichen konnte, war sie nun ein wenig neugierig was sie noch alles erfahren würde.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)