SHaRKY SCaM von King_of_Sharks (SouRin) ================================================================================ Kapitel 12: Zwischen Genie und Wahnsinn --------------------------------------- Mitte Januar war es selbst im Raum 501, den man wohl als ‚Klassenzimmer‘ bezeichnen konnte, sehr kühl. Da es Montag war, fanden sich Schwester Miho Amakatas Schüler kurz nach neun Uhr am Vormittag ein. Chigusa war wie immer die erste, gefolgt von Sousuke und dem Neuen, Rin. Kisumi ließ sich meistens Zeit, bis er aufkreuzte, war aber meistens nicht sehr viel zu spät. Da sie nur vier Schüler unterrichtete und sonst auch an der Rezeption viel mit ihnen zu tun hatte, kannte sie die Jugendlichen relativ gut. Chigusa war schon mit 13 in die Klinik gekommen, kurz nach dem die Schwester diese Stelle bekommen hatte. Eigentlich hatte sie Lehrerin werden wollen, doch aus familiären Gründen die Anstellung in Dimayz vorgezogen. Genaugenommen war sie auch keine Schwester, selbst wenn dies auf ihrem Namenschild stand. Sie war nicht befähigt, diese Aufgaben auszuführen und arbeitete deshalb hauptsächlich in der Verwaltung, kümmerte sich um die Anträge und sorgte dafür, dass es in den Zimmern ordentlich blieb. Sonderlich viel von den wirklich sehr eigenartigen Behandlungsmethoden wusste sie auch nicht. Um genau zu sein war Chigusa diejenige gewesen, welche ihr einen Einblick verschafft hatte, als diese eines Tages vor etwa zwei Jahren weinend zu ihr stürmte. Seit diesem Zeitpunkt achtete Miho mehr darauf, wie sich ihre Kollegen verhielten und versuchte mehr über die Ärzte und deren Therapien herauszufinden – mit mäßigem Erfolg. Das meiste wurde einfach nicht dokumentiert, oder verschlüsselt, sodass man ohne Autorisierung nicht darauf zugreifen konnte. Verdammtes technisches Zeitalter! Der Lehrerin war aufgefallen, dass alle ihre Schüler manche Tage hatten, an denen einfach nichts funktionieren wollte. Sogar Sousuke, der mit Abstand der intelligenteste Mensch war, den sie je unterrichtet hatte, bekam zuweilen nichts auf die Reihe. Bei genauerem Nachforschen und indem sie sich mit den Jugendlichen unterhielt, fand sie bald heraus, woher dieser Produktivitätsverlust rührte. Die Therapie setzte ihnen stark zu und verschlimmerte ihren psychischen Zustand meist, anstelle diesen zu bessern. Leider kannte sich Miho nicht gut in der Medizin oder der Psychologie aus, sodass sie keine Ahnung hatte, ob die Behandlungsmethoden zulässig waren, oder in den einzelnen Fällen überhaupt angebracht waren. Sie war sich aber relativ sicher, dass das in den meisten Fällen nicht zutraf, wusste aber auch nicht, was sie dagegen unternehmen sollte. Würde sie sich gegen ihre Vorgesetzten wenden, riskierte sie ihren Job und sie wollte diese Kinder bei bestem Willen nicht ihrem Schicksal überlassen. Solange sie in der Klinik arbeitete, hatten diese wenigstens einen Ansprechpartner, der ihnen zur Seite stand. Wenn sie auch nicht viel ausrichten konnte, ein offenes Ohr war manchmal Gold wert. Kisumi und Chigusa wandten sich oft an sie, Sousuke dagegen überhaupt nicht. Dieser war allgemein eher ruhig und menschenscheu, sodass es Miho auch sehr verwundert hatte, dass er die Einstufung als potentiell aggressiv zugewiesen bekommen hatte, mit der man meist in der 3. Etage landete und wenn sich der Zustand verschlechterte, sogar in der 4.. Der 17-Jährige hatte auch schon einige Wochen im 3. Stockwerk verbracht und war in diesen wohl soweit ruhig gestellt worden, dass man ihn zurück ins 2. Gelassen hatte. Möglich wäre auch, dass das aus Platzgründen geschehen war, oder dass man ihm eine Probezeit gönnte. Natürlich kannte die Schwester bzw. Lehrerin die Akten ihrer Schüler und ihr war bewusst, weswegen Sousuke sich an diesem Ort befand, doch wirkte dieser keineswegs gewalttätig auf sie. Viel größere Sorgen bereitete ihr da Kisumi, dem es meist an Empathie zu mangeln schien und der sich gerne mal an andere Patienten, oder sogar Angestellte heranmachte. Bei ihr hatte er das zu Anfang auch versucht, doch sie hatte ihm unmissverständlich mitgeteilt, dass sie solch ein Verhalten nicht dulde und auch nicht an ihm interessiert sei. Daraufhin hatte der viel zu energiegeladene Jugendliche aufgegeben, sehr zu ihrer Erleichterung. So schlimm seine Vergehen auch sein mochten, er war im Grunde kein böser Mensch. Das mochte sich bizarr anhören, da Kisumi sich an Kindern vergangen hatte, doch er hatte ihr einst gestanden, weswegen er das getan hatte. Die Tränen, die ihm dabei in die Augen getreten waren, konnten unmöglich gespielt gewesen sein. Miho konnte nicht anders, als diese arme Seele zu bemitleiden. Wie gerne würde sie ihren selbst ernannten Schützlingen helfen… Besonders der Neue tat ihr Leid, da die Leitung von Dimayz doch wirklich kein Recht besaß, diesen zu beherbergen. Sie wusste nicht viel über psychische Krankheiten, doch dass Homosexualität als solche gehandhabt wurde, war einfach nur falsch. Außerdem hatte man doch schon längst herausgefunden, das dem nicht so war. Die Klinik war doch sonst auch auf dem neusten technischen Stand, weswegen praktizierten man hier dann völlig veraltete Behandlungsmethoden und diagnostizierte Krankheiten, die es nicht gab, oder komplett falsch, sodass dem Patient die Heilung unmöglich gemacht wurde? Die Höhe war, dass Chigusas eigener Vater in Auftrag gegeben hatte, dass man sie nach Russland bringe und behandle. Diese plagte vieles, doch war eindeutig falsch in dieser Klinik, die einst allein für psychisch kranke Straftäter errichtet worden war. Man wollte sie wohl einfach zum Schweigen bringen, indem man sie an den entlegensten Ort brachte, an dem sie zwar reden konnte, ihr aber kein Mensch glauben würde. Wer glaubte schon einem Mädchen, das in einer Anstalt für Irre saß? Das war alles einfach nicht richtig und so schrecklich traurig. Dass so ein Ort überhaupt existieren konnte, wollte Miho noch immer nicht glauben, auch wenn sie schon seit vier Jahren an diesem arbeitete. Das Schulprogramm für diesen Tag würde wie folgt aussehen: In der ersten Stunde unterrichtete sie Geschichte, in der zweiten ihr Spezialgebiet klassische Literatur, danach gab es eine 15 minütige Pause, bevor es mit Naturkunde und anschließend Japanisch weitergehen würde. Die letzte Stunde vor der Mittagspause wäre am Montag Mathematik. So sah das der offizielle Plan jedenfalls vor, doch Miho gönnte ihren Schülern meist mehr Pausen und wägte ab, wie viel Zeit für welches Fach am sinnvollsten war. Es konnte gut vorkommen, dass man in dem einen schnell durch war, für das nächste aber ein bisschen mehr Zeit in Anspruch nehmen musste. Des Weiteren bestand die Klasse aus lediglich vier Schülern, sodass man relativ schnell vorankam. Manchmal fragte sie sich, ob man sie extra für diese japanischen Patienten eingestellt hatte, denn ihr Beruf wäre sonst relativ unnötig. Die Verwaltungsarbeit, die ihr zugeteilt worden war, hatte sonst eine andere Schwester übernommen, der diese aber zu viel geworden war. Alles in allem machte der jungen Lehrerin ihre Arbeit aber Spaß und sie fühlte sich ihren Schützlingen gegenüber verantwortlich, weswegen ihr es schon dreimal nicht einfallen würde, diesen Job an den Nagel zu hängen. Gut, die Leute hier waren schon seltsam, ließen sie aber meist in Ruhe, sodass sie sich nicht durch diese gestört fühlte. Die Zeit verflog schnell für einen Montag und es ging gut voran, doch für das in der letzten Woche begonnene Thema der Mathematik, brauchten die Jugendlichen ein wenig länger. Bei Stochastik war dieses Arbeitstempo aber auch nicht weiter verwunderlich, da die meisten sehr lange brauchten, um sich einzufinden – sofern überhaupt. Nur bei Sousuke hatte sie erneut das Gefühl, dass die Aufgaben, die sie den Schülern ausgeteilt hatte, viel zu einfach von der Hand gingen. Chigusa sah so aus, als würde sie jeden Moment ihren Bleistift nach Kisumi werfen, der schon längst aufgegeben hatte und sich des Öfteren zu ihr umdrehte, obwohl sie zu arbeiten versuchte. Rin saß mit einer Hand in den Haaren da, die andere um den Stift geklammert, verzweifelnd versuchend auf die Lösung zu kommen. Nur um letzten Endes alles wieder weg zu radieren und den Kopf mit der Stirn voran auf die Tischplatte zu legen. Als Miho durch die Klasse ging, sah sie Sousuke über die Schultern und meinte dann: „Es sieht so aus, als wärst du fertig…möchtest du dein Ergebnis samt Rechenweg an die Tafel schreiben?“ Der Dunkelhaarige nickte, bevor er sich erhob und nach vorne schritt. Sobald er das Kreidestück in der Hand hatte, brachte er den gesamten Rechenweg so schnell an die Tafel, dass selbst die Lehrerin staunte. Das war so schnell gegangen, dass sie nicht einmal dazu gekommen war, Kisumi wegen seiner mangelnden Motivation zu schelten. „Ich denke, ihr könnt das so übernehmen…“, wies Miho ihre Schüler an, noch immer verblüfft von diesem Geschick. Vor allem sah das Tafelbild schöner aus als ihr eigenes, das sie vorbereite hatte. An ihren Qualitäten als Lehrer zweifelnd, zuckte ihr eines Auge, während sie an die Tafel starrte. Dem Rest ging es nicht viel anders, auch wenn Kisumi ein großes Fragezeichen über dem Kopf stand. Chigusa machte sich daran, alles abzuschreiben und Rin starrte in stiller Faszination an die Tafel, dann zu Sousuke, der sich gerade wieder auf den Weg zu seinem Platz vor ihm begab. „Gibt es auch irgendetwas, das du nicht kannst?“, grinste Rin den Größeren an, als sie aus dem Klassenzimmer gingen. „Na ja…ich bin nicht gut mit Menschen…“, erwiderte dieser zögerlich, von dem Kompliment irritiert. Er war es sonst nur gewöhnt, dass man ihn beneidete und dafür hasste, dass ihm vieles so leicht fiel. Dabei tat er das nicht mit Absicht und wollte damit auch niemandem etwas beweisen. Er zog einfach sein Ding durch. Rin wurde das langsam auch bewusst, wenn er nicht schon von Anfang an geahnt hatte, dass Sousukes Ausstrahlung etwas ganz besonderes war. Dieser wirkte nicht nur durch sein Aussehen, sondern auch durch sein Können außerordentlich attraktiv auf ihn. Dass der Dunkelhaarige auch seine Schattenseiten hatte, war ihm sehr wohl bewusst, doch die guten Seiten überwogen eindeutig. …außerdem fand Rin es irgendwie scharf, dass Sousuke eine gefährliche Ader in sich trug, welche ihn geradezu zu diesem hinzog. Der Reiz des Verbotenen machte auch vor ihm keinen Halt~ Die Vorstellung, dass dieser nur zu ihm so zuvorkommend und freundlich war, beflügelte Rins Gefühle geradezu. Hatte Kisumi doch gemeint, Sousuke wäre normalerweise sehr antisozial und grimmig, zeigte er Rin gegenüber diese Seiten fast nie. Nein, er half ihm seit dem sie sich zum ersten Mal gesehen hatten und tat alles, dass er sich wohl fühlte. „Aber du hast mir geholfen und warst sonst auch sehr nett zu mir“, lächelte der Rothaarige nun glücklich vor sich hin, wobei er leicht rot um die Nase geworden war. Noch viel verwirrter als zuvor, errötete Sousuke nun auch. Was war es nur, das der Kleinere an sich hatte, das ihn so glücklich stimmte? Mit all diesen neuen Emotionen konnte der Größere gar nicht richtig umgehen und wurde deswegen unsicher. Immer wenn jemand nett zu ihm gewesen war, hatte darauf etwas sehr Unschönes gefolgt… „Außerdem kann nicht jeder alles“, gab Rin nun zu denken. „Du bist der mit Abstand beste in allen Fächer und schwimmst verdammt schnell. Wen kümmert es da, dass du’s nicht so mit Englisch und Menschen hast?“ „Das ist ein Argument“, nickte der Dunkelhaarige. Auf diese Weise hatte er das noch nie betrachtet. Sonst sah er nur das, was er nicht konnte. Rin führte ihm seine Talente und guten Seiten vor Augen. Es lag vielleicht auch daran liegen, dass er sich für den Rothaarigen vom ersten Moment, in dem er dessen Antlitz im dimmen Licht der Nacht erblickt hatte, augenblicklich verantwortlich gefühlt hatte. Dieser hatte so hilflos gewirkt und doch so wunderschön ausgesehen, dass Sousuke nicht anders konnte, als sich zu diesem hingezogen zu fühlen… Auch wenn es ihm nicht bewusst war, so fand er Rins Äußeres sehr verlockend, genau wie dieser ebenso mysteriös und reizvoll auf ihn wirkte wie es umgekehrt der Fall war. Kurz nach den beiden kamen auch Kisumi und Chigusa aus dem Raum, wobei der Rosahaarige sich kurz an seine Freundin wandte, um dann zu den anderen beiden aufzuschließen und sich den Rothaarigen zu schnappen. Auf Sousukes grimmigen Gesichtsausdruck hin, erklärte er: „Ich leih ihn mir nur mal schnell aus~“ Völlig verwirrt ließ sich Rin mitziehen und wandte sich noch schnell an Sousuke: „Geh schon mal vor, ich komm dann nach!“ Dieser setzte sich widerwillig in Bewegung, als Chigusa neben ihm angelangt war. Die beiden gingen also schon mal zur Mensa, die gleich rechts von 501 lag, während Kisumi noch etwas mit Rin zu besprechen hatte. Eigentlich wollte er ihn nur ausfragen, doch das wusste dieser noch nicht. „Ja, was ist?“, wollte Rin wissen, sobald sie alleine waren. Auch wenn es schon länger her war, seitdem er erfahren hatte, weswegen dieser einsaß, hatte er nach wie vor ein ungutes Gefühl dabei mit diesem zu interagieren. Nicht dass er sich davor fürchtete, von diesem angemacht zu werden, nein, es war mehr seine eigene Unsicherheit, wie er mit dem anderen umgehen sollte, die ihn nervös stimmte. Im Grunde waren sie doch beide nur Jugendliche, die unter den Angestellten der Anstalt zu leiden hatten und sollten sich deswegen verbünden, richtig? „Du magst Sou-chan, ne?“, zwinkerte der Größere ihm nun verschmitzt zu. „Ähm…wie kommst du darauf?“, kam es völlig überrascht von Rin, der mit allem, aber nicht damit gerechnet hatte, auf das wohl ziemlich Offensichtliche angesprochen zu werden. „Na du schaust ihn auf diese ganz bestimmte Weise an~“, schwärmte Kisumi nun vor sich hin und schien aus irgendeinem Grund total aufgeregt zu sein. „Und er verhält sich dir gegenüber auch ganz anders als sonst~“ „F-findest du?“, war der Kleinere knallrot im gesucht geworden und er legte seien rechte Hand nervös an seinen Nacken. „Also liege ich richtig“, freute sich der andere und fuhr fort. „Aber klar mag er dich! Ich weiß zwar nicht auf welche Weise, aber er scheint dir doch viel mehr zugetan als dem Rest von uns!“ „Und selbst wenn das stimmt…er ist doch sowieso nicht schwul“, nuschelte Rin nun vor sich hin. „Hm, das wahrscheinlich nicht, aber das heißt ja nicht, dass er nicht auf Männer steht“, merkte Kisumi an. „Und selbst wenn das auch nicht stimmt, dann kannst du immer noch eine Ausnahme sein~“ „Ich weiß nicht…“, war der Rothaarige nicht ganz so optimistisch diesem Thema gegenüber eingestellt wie sein Gesprächspartner. „Ich hab auch keine Ahnung, wie ich das herausfinden soll, um ehrlich zu sein.“ „Na dann helf ich dir natürlich dabei!“, klatschte der andere in die Hände und begann dann munter einen Plan auszuarbeiten, wie er testen wollte, ob Sousuke Rin auf die gleiche Weise mochte, wie dieser den Großen offensichtlich. Ein paar Minuten nach Sousuke und Chigusa, welche sich auch ein bisschen unterhalten hatten, da sie doch mehr oder weniger das gleiche Schicksal teilten und sonst auch gut miteinander zurechtkamen, erreichten auch Kisumi und Rin ihren Stammplatz in der Mensa. Als sich der Rothaarige neben seinem Freund niederließ, wurde er von diesem mit einem fragenden Blick angesehen, erwiderte daraufhin aber leise, dass nichts Besonderes war und wandte sich schnell seinem Essen zu, bevor weitere stumme oder laute Fragen entstehen konnten. Nach dem Essen mussten Chigusa und Kisumi bald zu ihrer Therapie, während Sousuke und Rin sich in ihrem Zimmer aufhielten. Die Stimmung war irgendwie anders als sonst. Wahrscheinlich deswegen, weil der Kleinere die Frage, weswegen Kisumi ihn nach dem Unterricht mit sich gezogen hatte, noch nicht beantwortet hatte. Es wirkte fast schon, als würde Sousuke schmollen, welcher mit einem Buch auf seinem Bett lag und dabei ab und an zu Rin linste, der davon nicht viel mitbekam, da er mit den Gliedmaßen von sich gestreckt auf seinem Bett lag und Musik hörte. Als er jedoch los musste und die Kopfhörer herausnahm, nutzte Sousuke die Gelegenheit und fragte: „Was wollte Kisumi von dir?“ „Ach…nichts Bestimmtes“, wurde Rin völlig unvorbereitet erwischt, was wohl auch die Intention des anderen war, um eine ehrliche Antwort zu bekommen. „Wenn du das sagst“, entgegnete Sousuke daraufhin skeptisch. „Es war wirklich nichts“, seufzte Rin und schenkte ihm ein Lächeln. „Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen.“ „Okay…“, gab dieser bei dieser freundlichen Geste nach und entschied sich, dem Kleineren einfach zu glauben. „Bis später dann“, verabschiedete dieser sich daraufhin mit einem flauen Gefühl im Magen, das weniger damit zusammenhing, dass Sousuke Bescheid wissen wollte, als dass er sich vor Dr. Masefields sogenannter Therapie fürchtete. Über deren Ausmaß hatte er bisher mit niemandem gesprochen, weil es ihm aus unerfindlichen Gründen unangebracht erschien und er sich auch dafür schämte, obwohl er doch nichts falsch machte. Der sadistische Psychologe war doch der, der sich für seine Taten schämen sollte und nicht er, das Opfer, das sich nicht zu wehren wusste und sogar davor Angst hatte. Oh, welch verdrehte Gedankenwelt… Sousuke fragte sich schon lange, wie Rins Behandlung wohl aussehen musste. Wie brachte man einen Menschen dazu, seine Sexualität zu ändern? War das überhaupt möglich? Das bezweifelte er doch stark… Die roten Striemen auf Rins Fingern und dessen Armen – mehr bekam er für gewöhnlich nicht zu Gesicht – deuteten darauf hin, dass die Phase der Gesprächstherapie vorüber war. So ähnlich hatte es auch bei ihm begonnen, wobei sein behandelnder Arzt sich nicht so viel Zeit damit gelassen hatte, die Hand gegen ihn zu erheben. Die Schläge machten Sousuke schon lange nichts mehr aus, erfühlte sie nicht einmal mehr. Körperlichen Schmerz konnte er ohne mit dem Auge zu zucken ertragen, doch wenn man seine Psyche angriff, ging er schnell in die Knie…oder versuchte alle sin seiner Umgebung zu zerstören. Je nach Verfassung brach er entweder zusammen und konnte sich nicht rühren, oder wurde aggressiv, sodass selbst zwei erwachsene Männer Mühe hatten, ihn festzuhalten. Würde man ihn nicht provozieren, wäre er wohl einer der friedfertigsten Menschen in diesem Gebäude, doch dann hätten sie keinen Spaß mehr mit ihm und könnten ihn nicht mehr mit ihrer völlig falschen Diagnose davon abhalten in den Fitnessraum zu gehen, um noch stärker zu werden, oder seine Freiheit noch mehr einzuschränken, als es diese ohnehin schon war. An manchen Tagen stellte sich Sousuke die Frage, wie und weswegen er sich das alles überhaupt noch gefallen ließ. Wenn er Glück hätte, würden sie es eines Tages übertreiben und ihn vielleicht ‚aus Versehen‘ umbringen…dann fänden diese Höllenqualen seiner Seele wenigstens ein Ende. Doch dann dachte er an Rin und was dieser ohne ihn machen würde…er musste sich zusammenreißen und durchhalten. Irgendwann würde er sicher eine Möglichkeit finden, diesen zu befreien, er musste nur solange ausharren! Nachdem Rins eine Therapiestunde hinter sich gebracht hatte, fuhr er ins 6. Stockwerk, weil er dringend eine Cola brauchte. Mit einer Dose in der Hand, wollte er sich schon wieder auf den Weg zurück ins Zimmer machen, als er Chigusa alleine an einem Tisch sitzen saß. Sie hatte einen Notizblock und einen Stift in der Hand, mit dem sie auf diesen schrieb. „Kann ich mich kurz zu dir setzen?“, blieb der Rothaarige vor ihr stehen, da ihm etwas eingefallen war, das er sich schon lange fragte. „Ähm…ja klar“, sah das Mädchen überrascht auf, klappte den Block zu und legte ihn zusammen mit dem Stift auf den Tisch. „Weißt du, ich hab mich schon länger gefragt, warum du hier bist…also mich geht es natürlich nichts an, aber…“, versuchte Rin sich zu erklären und wusste sich nicht ganz zu helfen. Immerhin hatten sie bisher noch nicht so viel miteinander gesprochen, doch wenn ein Gespräch zustande gekommen war, war es immer gut verlaufen. Chigusa schien ein nettes Mädchen zu sein, weswegen er sich wunderte, diese an solche einem schrecklichen Ort anzutreffen. Doch vielleicht täuschte er sich auch bei ihr und sie hatte noch mehr als Sousuke oder Kisumi zu verstecken. Möglich war alles. So normal und freundlich ein Mensch sich auch verhalten mochte, es konnte sich dennoch ein Mörder, oder ein Vergewaltiger hinter der trügerischen Fassade verstecken. Bei ihr hatte Rin dieses ungute Gefühl des verborgenen aber nicht…trotzdem wollte er auf Nummer sicher gehen. „Nein, es ist schon okay“, schüttelte sie den Kopf und sah dabei kurz nach unten, bevor sie tief ein- und ausatmete. „Ich werde es dir erzählen.“ Mit so einer schnellen Zusage hatte der Rothaarige nicht gerechnet, war aber positiv überrascht. Jemand, der nichts zu verstecken hatte, gab seine Geschichte doch auch eher Preis, als jemand, der Dreck am Stecken hatte. Sollte er wenigstens diesmal richtig liegen und sie saß wie er zu Unrecht hier fest? „Also…das alles hat angefangen als ich noch sehr klein war. Meine Mutter starb sehr früh, ich kann mich kaum noch an ihr Gesicht erinnern“, sie stoppte kurz und lächelte leicht, als erinnere sie sich an einen schönen Moment in ihrem Leben. „Danach hatte ich ein paar Jahre Ruhe… nach meinem zehnten Geburtstag fing es an. Mein Vater, er…ist oft zu mir ins Bett gestiegen. Ich hab mir erst nichts dabei gedacht, aber irgendwann hat er angefangen, mich zu berühren und…also ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber…er ist eindeutig zu weit gegangen…und das nicht nur ein Mal.“ Rin lauschte ihrer Stimme, die zu Beginn noch sehr gefasst wirkte, bei weiterem Verlauf aber leiser wurde und teilweise kurz abbrach. Bei ihren Schilderungen weiteten sich seine Augen immer mehr. So gefesselt war er von ihrer Geschichte, dass er nicht weghören konnte, auch wenn er diese schrecklichen Dinge eigentlich nicht hören wollte. Dass ihr das alles wirklich widerfahren war, konnte man nicht mit dem unangenehmen Gefühl vergleichen, das Rin bei ihren Worten beschlich. Sie tat ihm einfach nur noch leid. „Als ich 13 war, hab ich einer unserer Angestellten erzählt, was er getan hat…er hat davon Wind bekommen und…ich weiß nicht, was mit ihr geschehen ist, aber ich hab sie seit dem nie wieder gesehen! Und dann…dann…hat er diese Männer gerufen, die mich mitgenommen haben“, schluchzte Chigusa nun leise und grub ihre Finger in den grünen Stoff ihres Rocks. Sie war also auch entführt worden, genau wie er. Nur hatte man ihr weitaus Schlimmeres angetan als ihm. Dagegen wirkten die Drogen und die grobe Behandlung wie eine Gutenachtgeschichte und Rin schämte sich ein bisschen dafür, dass er deswegen so die Nerven verloren und geweint hatte. Jetzt, da er Bescheid wusste, wirkten die Schläge, die er jede Woche zu erdulden hatte, wie ein unbedeutender Punkt in der Geschichte, im Gegensatz zu den zahllosen Schandtaten, die man an Chigusa verübt hatte. Ihre Geschichte und das leise Weinen, trieben auch Rin die Tränen in die Augen, sodass er sich schnell übers Gesicht wischte und sich versuchte zusammen zu reißen. „Das tut mir so leid…“, wisperte er mit brüchiger Stimme. „Ich hätte nicht fragen sollen, entschuldige.“ „Ist schon okay“, tupfte sie sich mit einem Taschentuch über die nassen Wangen. „Es tut gut, darüber zu reden…es macht es leichter, das zu verarbeiten.“ Daraufhin nickte Rin nur, beeindruckt von der Stärke, die sie trotz ihrer grauenvollen Vergangenheit ausstrahlte. Gegenüber ihr fühlte er sich wie ein verweichlichter Feigling, der wegen jeder Kleinigkeit zu weinen begann. Es nahm ihn aber auch alles so schrecklich mit, sodass er seinen Gefühlen auf keine andere Weise Ausdruck verleihen konnte, als sein Mitgefühl in Form von salzigen Tränen der Welt zur Schau zu stellen. „Du solltest nicht hier sein“, seufzte Rin. „Niemand sollte so behandelt werden…“ „Ich weiß…aber ich kann momentan nichts daran ändern und um ehrlich zu sein ist alles besser, als zu Hause zu sein“, erwiderte sie ehrlich. „Natürlich ist es nicht optimal, aber es könnte schlimmer sein.“ Aus ihrer Sicht machten diese Worte erschreckend viel Sinn… Rin wurde sich bewusst, wie glücklich er sich schätzen konnte, eine liebevolle Familie zu haben, die ihm niemals solch ein Leid zugefügt hatte und das auch nie würde. Nein, sie waren in diesem Moment vermutlich krank vor Sorge um ihn, während Chigusas Vater sie hatte loswerden wollen, dass sie bloß niemandem davon erzählen konnte, was er ihr angetan hatte. Ein war in jedem Falle klar: Diese Einrichtung war weder eine normale Klinik, noch arbeitete qualifiziertes Personal hier, geschweige denn sollten die Behandlungsmethoden auf irgendeine Weise legal sein. Sie saßen an diesem Höllentor wohl wortwörtlich fest; angekettet von ihren Peinigern, die sich die Frechheit erlaubten, Twister mit ihrem Verstand zu spielen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)