Eine Chance für Ranma von MariLuna ================================================================================ Kapitel 1: Verzweiflung ----------------------- Eine Chance für Ranma     1. Kapitel Verzweiflung     „Ranma!" Wütend stößt Akane die Tür zu Ranmas Zimmer beiseite. „Steh endlich auf! Ich hab keine Lust, wegen dir zu spät zur Schule zu kommen!" Instinktiv rollt sich Ranma unter seiner Decke zusammen, und da kassiert er auch schon den ersten Fußtritt des Tages. Sie schreit noch ein wenig herum, eindeutig enttäuscht über seine fehlende Reaktion, bevor sie frustriert aus dem Raum stürmt. Erst als er sicher sein kann, dass sie wirklich weg ist, wühlt sich Ranma aus seinen Decken. Seufzend reibt er such die schmerzenden Rippen. Dieses Mannweib hat einen Tritt wie ein Ochse! Beim Gedanken daran, dass er ab nächsten Monat mit ihr verheiratet sein wird, wird ihm ganz übel. Nicht zum ersten Mal fragt er sich, womit er das verdient hat. Wehmütig denkt er an seinen Traum zurück – diesen und ähnliche hat er seit geraumer Zeit – und unwillkürlich kurven sich sich seine Lippen zu einem kleinen, aber auch sehr traurigen Lächeln. Gedankenverloren fährt er sich mit der rechten Hand über die linke Brust. Manchmal glaubt er diese Hand noch dort zu spüren, doch es ist inzwischen so lange her, dass es nur noch zum Echo einer Erinnerung geworden ist. Nur in diesen Träumen, da wiederholt sich dieser eine Moment immer wieder und dann fühlt es sich nicht mehr wie ein Echo an. Oder wie eine Erinnerung. Seine Träume beginnen immer mit diesem einen, ganz besonderen Moment, aber dann ändern sie sich immer, weichen weit ab von dem, was wirklich passiert ist, und egal, welchen Verlauf sie nehmen, es ist immer besser als das. In seinen Träumen ist er glücklich. In seinen Träumen kann er er selbst sein. In diesen Träumen wird er geliebt.       Wie erwartet, erreichen sie die Schule, kurz bevor sich die Tore schließen - wofür ihm Akane zornig eine Kopfnuss gibt, bevor sie zu ihrem Klassenzimmer rennt. Dabei hat sie niemand gebeten, auf ihn zu warten. Er ist nicht Ryouga - er hätte den Weg zur Schule auch ganz allein gefunden! Noch vor zwei Wochen hätte er sich das nicht alles von ihr gefallen lassen, aber seit der Termin für die Hochzeit steht, fühlt er sich mehr denn je in einer aussichtslosen Situation gefangen. Irgendwie hat ihn jeder Kampfeswille verlassen. Sich seufzend den Hinterkopf reibend, macht er sich eilig daran, wenigstens nicht allzu spät im Klassenzimmer anzukommen. Denn eigentlich geht er gerne zur Schule. Er hat hier Freunde, und er will etwas lernen. Es ist nicht seine Schuld, dass sein Vater ihn die ersten Jahre seiner Kindheit nicht zur Schule geschickt hat und er deswegen jetzt in allem hinterher hinkt und mehr lernen muss als alle anderen. Er wünschte nur, er hätte genug Zeit dazu ... Wenn ihn sein Vater und dessen Busenkumpel Tendō nicht ständig dazu zwingen würden, zu trainieren, dann wären seine Noten vielleicht besser als unterer Durchschnitt. Von daher gibt er sich im Unterricht immer besonders viel Mühe, mitzukommen. dass er in den letzten beiden Wochen sogar damit aufhörte, mit seinen Freunden zu flüstern oder in den Pausen zwischen den Stunden herum zu blödeln, fällt aber niemanden wirklich auf. Ihm ist es nur Recht so. Inzwischen ist der Unterricht die schönste Zeit des Tages, auch, weil es dann so gesittet und ruhig zugeht, ganz anders als im Haus der Tendōs, wo er ständig von einem Wespennest ins andere stolpert und immer nur angebrüllt wird. Hier wird er auch von keiner seiner anderen Verlobten oder Liebesrivalen genervt, weil sie nicht auf die Furikan Oberschule gehen. Außer Kuonji Ukyō vielleicht, aber sie hat sich, seit der Termin der Hochzeit steht, noch mehr zurückgezogen als Kunō Tatewaki. Kunō geht hier wenigstens noch zur Schule, aber Ukyō hat ihre immer angedrohten Pläne wahrgemacht, die Schule abgebrochen und arbeitet nur noch in ihrem Okonomiyaki-Restaurant. Ranma vermisst Ukyō, denn trotz allem war sie immer eine gute Freundin und sie kennen sich schon seit ihrer Kindheit. Aber er traut sich auch nicht, sie in ihrem Restaurant zu besuchen. Er will ihren Kummer nicht noch vergrößern. Akane geht hier zwar auch zur Schule, aber in eine andere Klasse und getreu den Schulregeln umgibt sie sich auch in der Mittagspause nur mit ihren Klassenkameraden. Wenn es hochkommt, erhaschen sie in der Cafeteria einen Blick aufeinander oder wechseln ein paar höfliche Grußworte, aber das ist, zu Ranmas großer Erleichterung, alles. Er hat seine eigenen Freunde, deren Gesellschaft reicht ihm. Hiroshi und Daisuke sind witzig und immer zu kleinen Streichen aufgelegt, und ihre dummen Sprüche, die sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit heraushauen, entlocken ihm manchmal sogar ein kleines Lächeln. Heute allerdings nicht. Heute fühlt sich Ranma einfach nur niedergeschlagen. „Isst du schon wieder nichts?" will Hiroshi von ihm wissen, als sie zusammen am Mittagstisch sitzen und gibt sich die Antwort dann auch sofort selbst: „Bist wohl aufgeregt wegen deiner Hochzeit." Er grinst süffisant. Aber Ranma stochert nur weiterhin schweigend in seinem Bento herum. Das ist das einzig Gute am Tendō-Haushalt: Kasumis Kochkünste. Außerdem vergisst Akanes große Schwester nie, ihm eine kleine Nascherei dazu zu packen. Nur schade, dass er wirklich keinen Appetit mehr hat. Und der letzte Rest davon vergeht ihm, als er Daisuke neben sich schwärmen hört: „Ich kann es immer noch nicht glauben: jetzt ist es soweit und du heiratest das schönste Mädchen der Schule." Hiroshi nickt zustimmend. „Ich bin total neidisch auf dich, Ranma." Ranma zieht es vor, zu schweigen. Er weiß aus Erfahrung: jedes Verziehen der Miene oder Widerwort wäre nur der Auftakt zu einer langatmigen Diskussion, und dazu steht ihm wirklich nicht der Sinn. Es gibt niemanden, der ihn versteht. Er hat es versucht. Aber alle hier denken, Akane wäre süß und wenn sie mit ihm ungeduldig wird und ihn anbrüllt und zuschlägt, dann hätte er es verdient. Sie freuen sich auf die Hochzeit und beneiden ihn. Am liebsten würde er ihnen Akane schenken. Nein, besser noch: sein Leben! Das mag er sowieso nicht mehr. Lustlos schiebt er die Reisbällchen von einer Ecke der Bentobox in die andere und überlegt sich, ob der Landstreicher mit den kleinen Hund, der immer im Park herumsitzt, wohl wieder Hunger hat. Die letzten fünf Reisbällchen samt Beilagen hat er jedenfalls dankbar angenommen. Vielleicht füttert er heute aber auch nur die Enten damit. Bis auf den Nußriegel natürlich, den isst Ranma selbst. Er ist so in Gedanken versunken, dass ihn erst das auffällige Benehmen seiner beiden Freunde wieder zurück ins Hier und Jetzt holt. „Uh", macht Daisuke, schüttelt sich kurz und saugt dann auffällig hastig weiter am Strohhalm seiner Milchtüte. „Was ist los?" will Hiroshi neugierig wissen. „Da ist Kunō ", flüstert Daisuke zurück mit einem angedeuteten Kopfnicken an die Wand, wo die Getränkeautomaten stehen. Dabei schneidet er eine Grimasse und schaudert übertrieben. „Er starrt so merkwürdig zu uns rüber." Hiroshi grinst nur. „Na und? Laß ihn doch. Wenn er frech wird, macht Ranma ihn fertig wie immer." Lachend gibt er Ranma einen Ellbogenstoß in die Seite. Der hebt kaum den Kopf und gibt nur ein unbestimmtes Brummen von sich. „Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist es doch schon eine Weile her, dass ihr gekämpft habt", redet Hiroshi da schon weiter. „Er hat wohl aufgegeben, weil du und Akane bald heiraten." „Er hat es wohl endlich kapiert",stimmt Daisuke ihm zu. „Und das Schuljahr ist auch bald um. Dann ist er mit der Schule fertig und wir müssen ihn nie wieder sehen." Ranma schluckt schwer. Und starrt nur weiterhin angestrengt auf sein Essen. Er muss den Kopf nicht heben, er kann Kunōs Blicke spüren. Alles in ihm drängt danach, etwas dagegen zu unternehmen, er will aufspringen, zu ihm hinüber sprinten und ihn zur Rede stellen. Ihn anschreien und fragen, was das soll? Wieso kommt er nicht mehr zu ihm hinüber und provoziert einen Kampf? Wieso hat er aufgegeben? Wieso? Doch alles, wozu Ranma kommt, ist aufzustehen, seine Bentobox zu nehmen und mit schlurfenden Schritten die Cafeteria zu verlassen. Auf dem Gang muß er plötzlich mit den Tränen kämpfen. Es gelingt ihm gerade noch rechtzeitig, sich auf die Jungentoilette in eine Kabine zu retten. Dort verbringt er den Rest der Mittagspause, mit angezogenen Beinen auf dem heruntergeklappten Toilettensitz hockend, und er gibt keinen Laut von sich, während ihm Tränen über die Wangen rollen, jede Sekunde in der Hoffnung, dass ihn niemand entdeckt. Es ist nicht nur so, dass ihn niemand entdeckt – es scheint ihn auch niemand zu suchen. Denkt er. Denn plötzlich hört er das charakteristische Klicken der sich schließenden Haupttür, gefolgt von Schritten und dann hört er ein unsicheres Räuspern. „Saotome? Saotome... -kun?“ Ein kurzes, bedeutsames Zögern vor dem „kun“. Ich bin hier, will Ranma unwillkürlich antworten, aber dann bringt er doch keinen Ton heraus und rollt sich stattdessen nur noch enger in sich zusammen. Er hält sogar den Atem an. Nach fünf Sekunden bangen Wartens entfernen sich die Schritte wieder und als sich die Tür hinter Kunō wieder schließt, fühlt sich Ranma schlechter als jemals zuvor.       Den Rest des Tages versucht er, dem Unterricht zu folgen so gut es geht. Zu seiner großen Erleichterung sind Daisuke und Hiroshi nicht an einer ausschweifenden Erklärung interessiert, wohin und warum er so plötzlich verschwunden ist. Außerdem stehen die Zwischenprüfungen vor der Tür, da kann es sich niemand von ihnen leisten, nicht dem Lehrer zuzuhören. Aber Ranmas Motivation fällt ins Bodenlose, als er den Mathetest von letzter Woche zurück erhält. Mit diesen Noten ist die Zwischenprüfung schon gelaufen, bevor er sie angefangen hat. Und dabei hat er nächtelang gelernt, um diese Algebra-Formeln zu kapieren. Es hat nichts genutzt. Akane hat wohl recht, wenn sie ihn immer einen idiotischen Versager nennt! Wozu überhaupt noch die ganze Mühe? Das ist doch sinnlos! Und ab diesem Moment geht es immer schneller bergab. Es ist wie ein großer, dunkler Sog, dem er nicht mehr entkommen kann. War die Welt schon vorher grau und farblos, ist sie nun regelrecht düster. Und kalt. So furchtbar kalt. Und dieser Gedanke, dieses „ich-will-nicht-mehr“, das in den letzten Wochen immer häufiger wurde, füllt nun sein gesamtes Wesen aus. Er hat keine AG, aber normalerweise würde er trotzdem nach Unterrichtsende länger bleiben, einfach, weil alles besser ist, als nach „Hause“ zu den Tendōs zu gehen. Inzwischen allerdings ist er in einem Zustand, wo er gar nicht vorhat, nach „Hause“ zurück zu kehren. Nie wieder. Es ist daher noch hell, als er die Schule verlässt – auch wenn sich am Himmel die ersten grauen Wolken zusammen ballen. Das Wetter passt zu seiner Laune. Seine Füße tragen ihn wie von selbst in den Park, wo er den Vagabunden mit dem Hund trifft und ihm sein nicht angerührtes Mittagessen einfach wortlos in die Hand drückt. Der Mann bedankt sich aufrichtig bei ihm, aber Ranma hört seine Worte gar nicht. Er geht schon weiter, scheinbar ziellos. Erst als er auf der Brücke ankommt, erwacht er aus seinem tranceähnlichen Zustand und versteht, wohin ihn sein Unterbewußtsein geführt hat. Lange starrt er in den träge dahin strömenden Fluß unter sich. Als die ersten Regentropfen fallen, sorgt sich Ranma für einen Augenblick, dass er sich in ein Mädchen verwandeln könnte. Aber so kalt ist der Regen noch nicht. Der Fluß dagegen … wird man ihn überhaupt erkennen, wenn man ihn aus dem Wasser fischt? Oder wird er als unbekannte Tote beerdigt? Der Gedanke lässt ihn einen Moment zögern, aber dann klettert er doch auf das Geländer.   Kapitel 2: Trost ---------------- 2. Kapitel Trost   „Ranma!“ Ein entsetzter Aufschrei und dann eine Hand, die seinen Unterarm packt. Es ist ein harter, schmerzhafter Griff, der ihn mit einem Ruck nach hinten und vom Geländer zieht. Die dazugehörige Person drückt ihn mit aller Macht an sich. Unwillkürlich klammert Ranma zurück. Der Stoff unter Ranmas Fingern und an seiner Wange ist weich. Er kann die Farbe nicht sehen, seine Sicht ist zu verschwommen, zu nass. Und das liegt nicht nur am Regen, der immer stärker fällt. „Ich kann das nicht. Ich will das nicht", schluchzt er in diesen weichen Stoff hinein. „Niemanden interessiert, was ich will. Ich muss immer... immer... i-ich will das einfach nicht. W-warum kann ich nicht..." Er holt einmal tief Luft und spürt, wie die Arme, die ihn halten, ihn noch fester drücken. „Ich will nicht mehr..." Er weint bitterlich, ein völlig unmännliches Verhalten, aber das ist egal, denn es regnet und der Regen ist doch kalt und so ist er nicht mehr Ranma, sondern Ranko, sein verhasstes, weibliches Ich. Über sich hört er beruhigende Geräusche und ein gemurmeltes „alles wird wieder gut, das verspreche ich dir" und eine Hand streichelt tröstend durch sein Haar. Ranma hat eine dumpfe Ahnung davon, wer ihn vom Brückengeländer gezogen hat, aber es stört ihn nicht. Die Arme, die ihn halten, sind stark und lassen ihn nicht los. Nicht, dass er es versuchen würde... Es ist lange her, dass er umarmt wurde. Zu lange, und er erinnert sich gar nicht mehr daran. Es ist schön. Er fühlt sich furchtbar müde, betäubt und leer wie eine leblose Hülle und er heult sich hier gerade die Augen aus dem Kopf, aber das hier ist ... schön. Irgendwann versiegen seine Tränen, und er fühlt sich einfach nur noch unendlich erschöpft. „Ranma." Warme Finger streichen ihm sanft die Tränen von den Wangen. „Du bist schon ganz durchweicht. Lass uns gehen." Das reißt Ranma aus seiner Apathie. „Ich geh nicht wieder dahin zurück!" Er versucht, sich loszureißen, doch starke Arme halten ihn zurück. „Ich meinte, zu mir nach Hause, du Dummerchen." Oh. Das... ist in Ordnung. Oder? Ranma zögert unschlüssig. „Eine warme Mahlzeit, ein heißes Bad und etwas Schlaf... Du wirst sehen, dann sieht die Welt wieder ganz anders aus." Wer kann dieser schmeichelnden Stimme schon widerstehen? Außerdem ist Ranma viel zu groggy, um zu protestieren. Hauptsache, er muß nicht zurück in dieses furchtbare Haus. Also nickt er zögernd. Das letzte, was er spürt, ist, wie er Huckepack genommen wird, dann fordert die seelische Erschöpfung ihren Tribut und ihm fallen die Augen zu.       Sarugakure Sasukes dunkle Augen weiten sich überrascht, als sein junger Herr mit einem ihm wohlbekannten rothaarigen Mädchen auf dem Rücken das Haus betritt. „Junger Herr Kunō, was ist passiert? Geht es Ranko gut?" „Nein, es geht Ranma nicht gut", ist die ziemlich barsche Antwort. Aber Sasuke weiß: das ist nur die Sorge, die da aus Tatewaki spricht. Eine Sorge, die durchaus berechtigt ist, wie Sasuke mit einem etwas genauerem Blick feststellt. Rankos Haut ist blaß, beinahe schon wächsern und obwohl sie die Augen zur Hälfte geöffnet hat, scheint sie nichts von ihrer Umgebung wahr zu nehmen. Ihr Blick ist starr und völlig leer. Außerdem ist die Schuluniform vom Regen draußen völlig durchweicht. Und sie spannt eindeutig an gewissen Stellen, ist sie doch für einen Jungen gemacht und nicht für ein kurviges Mädchen. „Sasuke, würdest du bitte Miso-Suppe bringen? Ranma braucht dringend ein heißes Bad und etwas Warmes zum Essen." „Ja, sofort!" Erleichtert über diese klaren Befehle, eilt der Hausdiener der Familie Kunō in die Küche zurück, während Tatewaki Kunō seine süße Last tiefer ins Innere des Hauses bringt.       Normalerweise würde Tatewaki es genießen, dieses entzückende Wesen in seinen Armen aus der Kleidung zu pellen, aber ihm steht nicht der Sinn nach Frivolität. Dafür steckt ihm der Schock noch viel zu tief in den Knochen. Außerdem - als er Ranko auszieht und ihr vorsichtig in die Wanne hilft, ist es, als hätte er eine willenlose Puppe vor sich. Das ist nicht sexy, das ist einfach nur beängstigend. Er hilft ihr, sich hinzusetzen und dreht dann das Wasser auf. Sobald diese blasse Haut mit dem heißen Wasser in Berührung kommt, verwandelt sich Ranko zurück in Ranma, aber genauso wenig wie er zuvor auf Rankos nackte, weibliche und überaus verführerische Rundungen reagiert hat, reagiert Tatewaki jetzt auf diese Rückverwandlung. Er hat andere Sorgen. Erst, als er sich völlig sicher ist, dass noch genug Leben in Ranma steckt und er nicht in der halbvollen Wanne untergeht, zieht sich Tatewaki rücksichtsvoll zurück. Schließlich kennt er Ranmas Temperament zur Genüge. Der Baka versteht alles bestimmt wieder falsch und verprügelt ihn, noch bevor er dazu kommt, ihm zu erklären, wieso er sich im selben Raum mit einem nackten Ranma – und zuvor einer nackten Ranko - aufhält. So erfrischend diese Diskussionen auch sonst immer sind und egal, wie reizend Ranma aussieht, wenn er sich aufregt - heute steht Tatewaki wahrlich nicht der Sinn danach. Also verlässt er das Badezimmer - lässt jedoch die Tür vorsichtshalber einen Spalt breit offen - und beeilt sich dann, trockene Kleidung für Ranma herauszusuchen und sich selbst erstmal aus seiner eigenen, regendurchnässten Schuluniformjacke zu schälen. Er will auch gerade das Hemd wechseln, als ihn ein merkwürdiges Geräusch innehalten lässt.       Ranma weiß nicht, wieviel Zeit vergangen ist, alles ist irgendwie ganz verschwommen. Jedenfalls sitzt er plötzlich nackt in einer großen Badewanne mit heißem Wasser. Er fühlt sich etwas wärmer und auch wieder mehr wie er selbst und normalerweise würde er sich darüber freuen, nicht mehr als Mädchen herum zu springen, aber heute, hier und jetzt hilft ihm das nicht. Es ist ihm eigentlich sogar egal. Er ist müde, so unendlich müde. Er will das alles nicht mehr. Wozu denn auch? Seine Sicht verschwimmt wieder, als sich seine Augen mit Tränen füllen. Er zieht die Knie an seine Brust und umklammert sie fest mit beiden Armen, macht sich so klein wie möglich, genau wie heute Mittag in der Jungentoilette, während er in diese altbekannte, tiefschwarze Verzweiflung stürzt. Er weiß nicht, wie lange er schon so dasitzt und weint, aber allzu lange kann es nicht gewesen sein, denn der Gedanke, sich anstatt wie geplant im Fluß, nun in der Badewanne zu ertränken, ist ihm noch nicht einmal gekommen, da wird schon die Tür beiseitegeschoben. „Ranma!" Er muss draußen gewartet haben, anders ist das nicht zu erklären, so laut sind Ranmas Schluchzer nicht (er hat gelernt, leise zu weinen), und jetzt ist er binnen eines Herzschlages bei ihm. Er ruft noch einmal seinen Namen und schlingt seine Arme um ihn, und es scheint ihm ganz egal zu sein, dass er dadurch ganz nass wird. Verzweifelt klammert sich Ranma an ihm fest. „Kann nicht zurück", stammelt Ranma irgendwann, von wilden Schluchzern geschüttelt, die Finger so fest im weißen Schuluniformhemd des anderen vergraben, dass eine Naht aufreißt. „Will dieses Leben nicht." Lieber stirbt er, als in diese Familie einzuheiraten. Das ist nicht das Leben, das er anstrebt. Das ist nicht sein Leben. Er hat immer nur getan, was sein Vater wollte, und er tut alles, um seiner Mutter zu gefallen, und das nicht nur, weil diese ihn sonst zum Seppuko zwingt. Nie hat ihn jemand gefragt, was er will. Er liebt Akane nicht, hat er nie und wird er auch nie, weil... „Ich will sie nicht heiraten. Ich liebe sie nicht." Wimmernd klammert er sich noch fester. Er mag in schlechter Verfassung sein, aber sein Griff ist stark wie eh und je. „Ich liebe dich", flüstert er. Es ist nicht mehr als ein Hauch und vielleicht hat es niemand gehört, aber es tut gut, das endlich auszusprechen. Es ist einfacher als gedacht, ehrlich zu sein, wenn einem die Konsequenzen egal sind. Er hört, wie der andere kurz die Luft einzieht – oh, er scheint ihn doch gehört zu haben, verdammt noch mal... aber anstatt ihn wegzustoßen, drückt seine heimliche Liebe ihn nur noch fester an sich. Zu Ranmas tiefer Verzweiflung mischt sich unendliche Erleichterung. Trotzdem weint er, bis ihm alle Tränen versiegen und ihn alle Kräfte verlassen. Aber das geht schon in Ordnung, denn er wird gehalten. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich sicher. Er könnte ewig so bleiben. Aber das geht nicht, wie man ihn schnell daran erinnert. „Komm, du musst raus aus dem Wasser, bevor es kalt wird." Ja. Ranma nickt hastig und hilft beflissen mit, als er sanft dazu gedrängt wird, die Wanne zu verlassen. Brav lässt er sich wie ein kleines Kind in ein riesiges Badehandtuch wickeln und trocken rubbeln. Erst, als ihm auffordernd ein Jinbei entgegen gehalten wird, erwacht er aus seiner Lethargie. „Das kann ich selber!" protestiert er unwirsch. Er hat die Worte kaum ausgesprochen, da tun sie ihm schon leid. Und tatsächlich zuckt der andere erst einmal zurück, fängt sich aber rasch wieder und nickt dann einmal knapp. „Natürlich. Bitte entschuldige. Ich warte vor der Tür auf dich." Ranma öffnet den Mund, um sich zu entschuldigen, doch plötzlich tritt sein Retter und heimlicher Schwarm dicht an ihn heran und... küsst ihn mitten auf die Stirn. Dann dreht er sich um und geht, und Ranma starrt ihm wie betäubt hinterher.       Kapitel 3: Hilfe ---------------- 3. Kapitel Hilfe   Draußen auf der anderen Seite der Tür atmet Tatewaki einmal tief durch und vergräbt für einen Moment das Gesicht in der Hand. Ranma so zu sehen tut richtig weh. Und hat er das eben wirklich gesagt oder hat sich Tatewaki das nur eingebildet? Wenn er es sich nur eingebildet hat, hätte er ihm nicht diesen Kuß auf die Stirn geben sollen. Wie konnte er sich nur dazu hinreißen lassen? „Junger Herr, Ihr seht betrübt aus." Leise wie eine Katze kommt Sasuke aus Tatewakis Zimmer am anderen Ende des Ganges. „Ich habe die Miso-Suppe auf Euren Tisch gestellt. Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?" Er versucht sich seine Neugierde nicht anmerken zu lassen, aber erstens kennt Tatewaki ihn besser und zweitens wandern Sasukes Blicke immer wieder zur Badezimmertür hinüber. Tatewaki kann es ihm nicht verübeln. Er denkt einmal kurz über Sasukes Frage nach und fasst einen Entschluß. „Sasuke, ich möchte, dass du zu den Tendōs gehst. Schleiche dich in Ranmas Zimmer und hol all seine persönlichen Dinge hierher. Pass aber auf, dass dich niemand sieht." „Heißt das, Ranma-kun bleibt bei uns?" „Ja. Er kann hier bleiben, so lange er will." Als er das hört, beginnt Sasuke zu strahlen, fasst sich dann aber wieder. „Dann mache ich mich jetzt auf den Weg zu den Tendōs." Hinter ihnen schnappt jemand lautstark nach Luft. Dort steht Ranma, in Tatewakis Jinbei, der ihm um eine Nummer zu groß ist und starrt sie aus entsetzt aufgerissenen Augen an. Es ist eindeutig, dass er nur Sasukes letzten Satz gehört hat. Und nun ist er einer Panik nahe. „Ich gehe nicht wieder zurück! Ich gehe nicht wieder zurück!" „Das musst du auch gar nicht." Mit einem großen Schritt ist Tatewaki bei ihm, legt seine Arme um ihn und drückt ihn fest an sich. Es erscheint ihm die einzige Möglichkeit, Ranma an einer überstürzten Flucht zu hindern. „Sasuke holt nur deine Sachen aus dem Haus der Tendōs. Niemand wird ihn bemerken, er ist ein Ninja, wie du weißt." „Niemand wird mich sehen", bestätigt Sasuke, schenkt Ranma noch ein aufmunterndes Lächeln und verschwindet dann irgendwo in den Schatten. „Ich will nicht zurück", wiederholt Ranma und klammert sich so verzweifelt an Tatewaki wie ein Ertrinkender an ein Stück Treibholz. „Das musst du auch nicht", wiederholt Tatewaki geduldig und streichelt ihm tröstend mit einer Hand über den Hinterkopf, während er ihn mit der anderen eng an sich drückt. „Du kannst hier bleiben, so lange du willst." „Du... du meinst das wirklich ernst?" Zaghaft hebt Ranma den Kopf und blinzelt ihn aus tränennassen Augen an. Tatewaki nickt einmal ernst und wischt ihm behutsam eine verirrte Träne aus dem linken Augenwinkel. Er wünschte, ihm würde etwas einfallen, was diese dunklen Schatten aus Ranmas blauen Augen vertreibt. Er vermißt diesen lebensfrohen, immer etwas übermütigen Jungen, der er früher war. Sekundenlang starrt Ranma ihn einfach nur an und wagt dann schließlich ein zaghaftes Lächeln. „Komm mit.“ Tatewaki lächelt zurück und nimmt ihn an die Hand. „Es gibt Miso-Suppe.“ Tatewakis Hand ist warm und der Griff seiner Finger um Ranmas fest und sicher, und es fühlt sich an, als wäre es das Natürlichste der Welt und das lässt Ranma sich sicher fühlen. „Ich hab keinen Hunger", murmelt Ranma trotzdem fast automatisch und wünscht sich noch im selben Moment, er könnte die Worte - so wahr sie auch sind - zurücknehmen. Tatewaki wirft ihm einen schnellen Blick zu, und führt ihn weiter den Gang hinunter in sein Zimmer. „Sasuke hat sie extra für dich gemacht", erklärt er dabei, zögert kurz und gibt dann verlegen zu: „Na gut, sie ist noch von heute Morgen. Er hat sie aufgewärmt." Ranma nickt nur. Gut, er wird sie wenigstens probieren. Er will schließlich nicht unhöflich sein. „Wo sind...“, er zögert für den Bruchteil einer Sekunde und schluckt einmal schwer, „Kodachi und dein Vater?" Ein warmer Blick streift Ranma, wieder gefolgt von einem aufmunternden Lächeln und einem Händedruck. „Meine Schwester ist noch in der Schule. Keine Angst, sie wird dich nicht nerven. Und der Alte sowieso nicht, er betritt diesen Teil des Hauses nicht." Beinahe hätte Ranma erleichtert aufgeseufzt. Er weiß nicht, wen von beiden er im Moment mehr fürchtet – Tatewakis durchgeknallte Schwester oder seinen noch viel verrückteren Vater. Wobei man mit Kodachi wenigstens noch reden kann... Inzwischen hat Tatewaki ihn in einen Raum geführt, dessen betont westliche Einrichtung in einem traditionellen Anwesen wie diesem beinahe schockierend fehl am Platze wirkt. „Ist das dein Zimmer? Es sieht anders aus..." Irritiert lässt Ranma seine Blicke durch den Raum schweifen. Er war bisher nur ein einziges Mal in Tatewakis Zimmer - damals, als dieser ihm Nachhilfe geben musste - und er kann sich nicht erinnern, dort je ein Bett gesehen zu haben. Hat Tatewaki bisher nicht immer auf ausgerollten Futons geschlafen wie es eben Tradition ist - und wie Ranma es auch von den Tendōs kennt? Und waren da nicht riesige Fotoposter von Akane und Ranko an der Wand? Jetzt hängen dort nur Landschaftsgemälde und das Foto einer umwerfend schönen Frau. „Ich bin umgezogen", erklärt Tatewaki, während er ihn neben sich auf den Fußboden an einen niedrigen Tisch zieht, auf dem eine Schale Miso-Suppe vor sich hindampft. „In diesem Teil des Hauses hat meine Mutter gelebt. Mein Vater meidet diese Räumlichkeiten wie die Pest." Er hält kurz inne und fügt dann leise, aber verdammt nachdrücklich hinzu: „Ich hasse ihn." Der tiefe Abscheu in seiner Stimme lässt Ranma zusammenzucken. Entsetzt starrt er ihn an. So hat er Tatewaki in all der Zeit noch nie erlebt. Sicher, er war oft wütend und hat ihm auch oft gesagt, er würde ihn hassen, aber das war immer irgendwie ein Spiel. Aber das hier ist echt. „Er ist dein Vater." „Er hat aufgehört, mein Vater zu sein, als er uns vor drei Jahren im Stich ließ. Er darf nur hier wohnen, weil Kodachi so an ihm hängt. Aber er und ich gehen uns aus dem Weg. So ist es für alle Beteiligten am besten." Ranma nickt nachdenklich. Das kommt ihm sehr gelegen, er kann wirklich gut darauf verzichten, dem verrückten Kunō, der zu allen Überfluss auch noch der Schuldirektor ist, zu begegnen. Der Kerl hat sie wirklich nicht mehr alle, er will ihm immer den Kopf rasieren - so, wie er es früher bei seinem eigenen Sohn gemacht hat. Wenn die Gerüchte stimmen, soll er noch ganz andere Dinge mit Tatewaki gemacht haben - zum Beispiel ihn an einen Baum gefesselt und über Nacht dort gelassen haben. Seine Erziehungsmethoden waren wohl nur einen Hauch perfider als die von Ranmas eigenem Vater. Wenigstens hatte Tatewaki keine Mutter, unter der er leiden musste und die wollte, dass er ein „männlicher Mann" wurde und ihm damit drohte, ihn zum Seppuko zu zwingen, sollte er ihren hohen Ansprüchen an diese Definition nicht genügen. Während er über all das nachdenkt, greift er rein automatisch zu der Schüssel und beginnt, die Miso-Suppe in sich hinein zu schaufeln. Sie schmeckt so fantastisch, ehe er es sich versieht, hat er die Schüssel schon ratzeputz leer gegessen. Tatewaki belohnt dafür ihn mit einem besonders herzlichen Lächeln. Dieses Lächeln wirft Ranma wieder aus der Bahn. Es ist ehrlich und absolut schön. Hastig senkt Ranma den Blick. Die Suppe hat wirklich gut geschmeckt und während er sie aß, war Ranma abgelenkt, aber jetzt wird ihm das Ganze irgendwie unangenehm - eben weil er sich hier so wohl fühlt. Weil Tatewaki bei ihm ist. Weil er sich in seinen Armen so gut gefühlt hat und weil er wieder dorthin zurück will. Es gibt kein Regelbuch für so etwas, nichts, was ihm hilft, zu wissen, was in dieser Situation von ihm erwartet wird. Er weiß nicht, was er jetzt tun soll. Soll er sein Geständnis, das er vorhin im Bad gemacht hat, wiederholen? Oder soll er so tun, als wäre es nie passiert? Was erwartet Tatewaki jetzt von ihm? Von all diesen und anderen Problemen schwirrt Ranma der Kopf. Er wagt es kaum, den Blick zu heben. Er fürchtet sich vor dem, was er dann in Tatewakis Miene lesen könnte. Als er dann endlich seine Sprache wiederfindet, spiegelt seine Stimme seine ganze Unsicherheit wieder, so zart und schüchtern klingt sie. Es ist beschämend. „Ich darf wirklich hier bleiben?" „Ja, natürlich. Du kannst das Bett haben. Oder soll ich dir ein Gästezimmer-" „Nein!" unterbricht ihn Ranma hastig und erschreckt sich selbst vor der plötzlichen Vehemenz in seiner Stimme. „Nein, danke", wiederholt er leiser und beschämt. „Es ... Es macht mir nichts aus, mit dir ein Bett zu teilen." „Ich schlafe auf dem Boden -" „Nein!" wieder ist es fast ein Aufschrei. Ranma spürt, wie ihm die Schamesröte in die Wangen kriecht. Aber der Gedanke, dass Tatewaki wegen ihm ... Nein, das ist unerträglich. „Nein, bitte. Ich... Es ist wirklich okay." Tatewaki mustert ihn ernst. Es ist genau derselbe Blick, mit dem er ihn schon in der Schule angesehen hat und Ranma spürt, wie es ihm heißkalt den Rücken hinunterläuft. Und dann beugt sich Tatewaki plötzlich zu ihm hinüber, nimmt seine linke Hand, drückt sie und hält sie auch danach noch weiter fest. „Ranma-kun. Du musst nichts machen, was du nicht willst. Ich will, dass du dich hier wohlfühlst." „Das tue ich", beeilt sich Ranma eilig zu bestätigen, während er knallrot anläuft. „Das tue ich... Und", hastig entzieht er ihm seine Hand wieder, „nenn mich einfach nur Ranma, du Baka." Das kommt barscher heraus als beabsichtigt und Ranma wird noch röter - diesmal jedoch aus Scham. Was ist nur in ihn gefahren? Tatewaki ist so nett zu ihm und er weiß nichts Besseres, als ihn zu beleidigen? Aber zu seiner großen Erleichterung scheint Tatewaki ihm nicht böse zu sein - er lächelt nur. Und es ist wieder dieses gottverdammte, ehrliche, schöne Lächeln, das Ranma so an ihm mag. Um diesem Anblick und den in ihm emporwirbelnden Gefühlen zu entfliehen, springt Ranma auf. Das ist unhöflich, aber er muß sich jetzt bewegen. Um seine zunehmende Nervosität zu überspielen, geht er zu dem Portrait der wunderschönen Frau hinüber, das ihm schon beim Betreten dieses Raumes aufgefallen ist. „Sie ist sehr schön. Wer ist das? Deine Mutter?“ Je länger er das Bild betrachtet, desto deutlicher fallen ihm die Gemeinsamkeiten zwischen diesem Gesicht und Tatewakis auf. Sie haben dieselbe Augenfarbe und eine ähnliche Gesichtsform. Sie ist eindeutig eine Gaijin, aber trotzdem bildschön mit ihrer hellen Haut und den dunkelbraunem Haar, das sie eindeutig an ihren Sohn vererbt hat. Falls Tatewaki von Ranmas unhöflichen Benehmen und abrupten Themenwechsel überrascht ist, lässt er es sich nicht anmerken. „Ja, das ist meine Mutter“, erklärt er, während er sich ebenfalls erhebt – wenn auch erheblich langsamer und auch weitaus eleganter als Ranma. „Ist sie wirklich davongelaufen, weil sie mit eurem Vater nicht mehr klarkam?“ Wenn Ranma an Tatewakis Vater denkt, kann er das nur zu gut nachvollziehen. Der Typ hat wirklich einen an der Waffel. Tatewaki zögert kurz. „Ich weiß es nicht. Ich war vier, als sie verschwand und Kodachi war drei.“ Abermals ein kurzes Zögern. „Sie wurde aus dem Familienregister gelöscht. Das ist das einzige Bild von ihr. Es lag ganz hinten in einem Wandschrank in diesem Zimmer. Wenn ich nicht umgezogen wäre, hätte ich es nie gefunden.“ Seine Stimme klingt ganz nahe. Ranma spürt, wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufstellen. Wieder läuft es ihm heißkalt den Rücken hinunter, diesmal jedoch aus einem anderen Grund – obwohl Tatewaki versucht, es sich nicht anmerken zu lassen, kann Ranma den tiefen Schmerz aus seiner Stimme heraushören. Er bereut es sofort, jemals gefragt zu haben. Er holt einmal tief Luft. „Wir haben wohl beide keinen Glücksgriff gemacht mit unseren Eltern, nicht wahr?“ versucht er zu scherzen und dreht sich um. Doch das war ein Fehler, denn Tatewaki steht keinen Meter hinter ihm und ein Blick in dessen Gesicht und Ranma hätte beinahe den Fehler begangen, sich in seine Arme zu flüchten. Tapfer unterdrückt er diesen Impuls und bemüht sich stattdessen um ein schiefes Lächeln. „Und wohin sind die Fotoposter von mir und Akane verschwunden?“ Jetzt erhält Ranma das Vergnügen, zuzusehen, wie Tatewaki immer verlegener wird. „Akanes habe ich diesem Jungen gegeben, der sich in ein schwarzes Ferkel verwandelt.“ Ranma blinzelt ihn für eine Sekunde verdutzt an und beginnt dann, herzhaft zu lachen. „Ryouga? Du meinst Ryouga? Himmel, ich hab den Idioten seit Wochen nicht mehr gesehen. Jede Wette, das Poster macht ihn noch orientierungsloser als sonst. Wahrscheinlich ist er schon längst in Sibirien.“ Der Gedanke an den gleichaltrigen Jungen, dessen Orientierungssinn quasi gar nicht vorhanden ist, und der daher oft wochenlang verschwunden bleibt, auch, wenn er nur mal ein reisbällchen im Laden an der Ecke kaufen wollte, heitert ihn tatsächlich etwas auf. Darüberhinaus ist Ryouga furchtbar in Akane verliebt und hat seinen Fluch, sich bei Kontakt mit kaltem Wasser in ein kleines schwarzes Ferkel zu verwandeln, geschickt ausgenutzt, um Akanes kleines, verwöhntes Haustier zu werden. Plötzlich stutzt Ranma und mustert Tatewaki mit neuerwachter Neugier. „Moment mal – du weißt von seinem Fluch?“ dass Tatewaki ganz offensichtlich auch von seinem weiß, hat er noch nicht wirklich realisiert. Tatewaki schmunzelt verschmitzt und Ranma kann ihn nur hingerissen anstarren. Noch nie hat er diesen Ausdruck in Tatewakis Gesicht gesehen. „Natürlich“, erklärt Tatewaki. „Ich habe es schließlich mit eigenen Augen gesehen.“ Als Ranma ihn nur sprachlos anstarrt, stößt er einen kleinen Seufzer aus, nimmt ihn vorsichtig an der Hand und führt ihn hinüber zum Bett, wo er sich hinsetzt und Ranma dann neben sich zieht. „Ich bin nicht blind, Ranma. Aber wieso sollte ich darüber ein Wort verlieren? Es geht mich nichts an.“ Er hält immer noch Ranmas Hand, aber da dieser keine Anstalten macht, sie ihm wieder zu entziehen, wagt er es, ganz sachte mit dem Daumen über Ranmas Handrücken zu streicheln. Bei seinen nächsten Worten sieht er ihm tief in die Augen. „Ich spiele den Verrückten, um mir die Menschen vom Leib zu halten. Du weißt, wir sind reich. Ich weiß nie, wann mich die Leute mögen und wann nur mein Geld. Und irgendwann wird diese Rolle zu einer zweiten Haut. Es wird schwer, sie abzulegen. Das siehst du ganz deutlich an Kodachi. Eigentlich ist meine kleine Schwester das liebste Wesen, das man sich vorstellen kann. Das merkst du schnell, wenn du erstmal eine Weile hier lebst. Und was mich betrifft...“ er räuspert sich einmal und lächelt schief, „... als ich Ranko das erste Mal traf, hatte ich meine Hände an einer sehr... hm, delikaten Stelle.“ Hier kann sich Ranma ein kleines Kichern nicht verkneifen. Oh ja, er erinnert sich sehr gut an Tatewakis Hand auf seiner Brust. „Ich hab von Anfang an falsch reagiert“, gibt Tatewaki erstaunlich ehrlich zu. „Und dann konnte ich nicht mehr zurück ohne dass es noch peinlicher wurde. Für uns beide. Also habe ich weiter den verrückten Idioten gespielt. Und irgendwann...“, plötzlich grinst er bis über beide Ohren, „...wurden eure Reaktionen auf meine Begriffsstutzigkeit einfach zu lustig. Du siehst einfach nur göttlich aus, wenn du die Augen verdrehst.“ Das entlockt Ranma ein weiteres Glucksen, doch dann wird er plötzlich ernst, legt den Kopf etwas schief und starrt ihn nachdenklich an. Dabei entzieht er ihm seine Hand und bedeckt sie mit seiner anderen. Als wolle er sie beschützen. Von einem Moment auf den anderen ist er wieder ganz verzagt. „Ich würde wirklich sehr gerne hier bleiben. Und herausfinden, ob deine Schwester wirklich so nett ist, wie du sagst. Aber – gibt das nicht Probleme zwischen euch? Ich will niemandem Ärger machen.“ Würde noch derselbe Ranma vor ihm sitzen, wie er ihn kennengelernt hatte, würde Tatewaki jetzt in schallendes Gelächter ausbrechen. Denn schließlich ist Ranma in ganz Nerima zu einem Synonym für Ärger geworden. Irgend jemanden hatte er immer verärgert durch seine freche, sorglose Art, durch seinen Übermut und all diese Kämpfe, in die er allerdings meist durch andere hineingezogen wurde. Aber dieser Ranma hier stand noch vor einer Stunde auf dem Brückengeländer, bereit, sich voller Verzweiflung in den Fluß zu stürzen, weil er... Oh. Er will tatsächlich niemandem Ärger machen, nicht wahr? Und er wollte das auch nie. Dieser Gedanke erfüllt Tatewaki mit dumpfem Zorn. Zorn auf die Eltern Saotome, auf die Tendōs und auf jeden einzelnen auf der Welt, der Ranma in eine Schablone pressen wollte. So lange, bis er daran zerbrach. „Meine Schwester ist kein Problem. Niemand hier wird für dich ein Problem sein, das verspreche ich dir. In diesem Haus entscheidest du, was du willst. Niemand hier wird dich zu etwas zwingen, was du nicht willst. Und wenn doch – bekommt es derjenige mit mir zu tun, so wahr ich der Blaue Donner der Furikan Oberschule bin!“ Normalerweise hätte Ranma über diesen lächerlichen Titel, den sich Tatewaki vor Jahren selbst gegeben hat, schallend gelacht, aber diesmal – in diesem Kontext, zusammen mit Tatewakis entschlossener Miene und seinen blitzenden Augen - ist er beeindruckt. Und er glaubt ihm aufs Wort.   Kapitel 4: Rückendeckung ------------------------ 4. Kapitel Rückendeckung   Irgendwann hat die Erschöpfung ihren Tribut gefordert und Ranma ist eingeschlafen. Tatewaki zögert lange, doch schließlich kann er sich nicht mehr zurückhalten und streckt die Hand aus, um ihm vorsichtig mit den Fingern durchs rabenschwarze Haar zu fahren. Es ist immer noch etwas feucht vom Regen und dem Bad vorhin. Sein Haargummi ist verschwunden. Ob das auf dem Weg hierher oder erst im Bad passiert ist, weiß Tatewaki nicht mehr, aber jetzt, wo Ranma die Haare offen trägt, sieht man erst, wie lang sie wirklich sind. Tatewaki hat ihn dafür immer bewundert. Es gehört viel Mut und Selbstbewusstsein dazu, eine solch unkonventionelle Frisur in der Furikan Oberschule zu tragen. Aber es hat ja auch immerhin ein halbes Jahr und viele Tadel gedauert, bis Ranma sich zu der vorgeschriebenen Schuluniform überreden ließ. Bis heute dachte er immer, Ranma ließe sich von niemandem in irgendwelche Schablonen pressen und dabei hat er nie bemerkt, wie dieser unglaubliche, stets so frech und übermütig auftretende Junge schon längst in einer steckte. Tatewaki unterdrückt ein Schaudern, als ihn Erinnerungen an Ranmas gebrochenes „ich kann nicht mehr" überfallen. „Oh, Ranma, was haben sie dir nur angetan?" flüstert Tatewaki und streicht dem Schlafenden einmal vorsichtig über die Wange. Ein gedämpftes Poltern schreckt ihn auf. Es hört sich an, als habe jemand direkt vor der Zimmertür etwas fallen gelassen. Mit einem letzten sichernden Blick auf den glücklicherweise immer noch tief schlafenden Ranma, erhebt er sich vom Bett und geht die fünf Schritte zur Tür hinüber. Er will sie gerade beiseite schieben, doch jemand auf der anderen Seite kommt ihm zuvor. „Oniichan -“, seine Schwester, die gerade in den Raum stürmen wollte, stockt, als er so plötzlich vor ihr steht. Doch sie erholt sich schnell wieder von dem Schreck und funkelt ihn aus ihren hellblauen Augen herausfordernd an. „Rate mal, wen ich vor unserer Haustür mit den Habseligkeiten meines geliebten Ranmas getroffen habe." „Sasuke", seufzt Tatewaki leise und bemerkt erst jetzt den Koffer und den Rucksack, die neben ihr stehen. „Richtig“, kommt es schnippisch zurück. Plötzlich stockt sie. Sie hat einen Blick an ihm vorbei ins Zimmer geworfen. Sie blinzelt einmal und deutet dann geradezu anklagend auf das Bett. „Warum liegt mein zukünftiger Bräutigam in deinem Bett?" verlangt sie im besten Dramaqueen-Tonfall zu wissen. Tatewaki packt sie am Arm und zieht sie mit sich aus dem Raum. Draußen auf dem Gang schließt er erst einmal so leise wie möglich die Tür hinter sich, bevor er sich zu seiner Schwester umdreht. Die grimmige Entschlossenheit in seiner Miene überrascht sie so sehr, dass ihr jeglicher Protest über diese grobe Behandlung im Hals stecken bleibt. „Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für diese Spielchen, Kodachi", zischt Tatewaki leise. „Ranma braucht unsere Hilfe." Ihre ganze übertriebene Art fällt von ihr ab und macht tiefer, ehrlicher Sorge Platz. Es ist schließlich nicht so, als hätte sie nicht schon geahnt, dass irgend etwas vorgefallen sein muß. Schließlich schickt ihr Bruder ihren Ninja nicht mal eben so zum Spaß zu den Tendōs, um Ranmas Habseligkeiten zu holen. „Was ist passiert?" Aufmerksam betrachtet sie das Mienenspiel ihres Bruders und das, was sie darin sieht, läßt sie nervös schlucken. „Er“, beginnt Tatewaki, doch dann versagt ihm die Stimme. Er muß sich zweimal räuspern, bis er das Schreckliche schließlich über die Lippen bringt. „Er wollte von der Brücke springen." Wie furchtbar! Instinktiv verkrallt sich ihre rechte Hand im Stoff ihrer Bluse – direkt über ihrem Herzen. Doch angesichts des Schmerzes in der Miene ihres Bruders fasst sie sich wieder rasch. Beruhigend legt sie ihm eine Hand auf den Oberarm. „Aber du warst rechtzeitig da." „Ja. Ein paar Sekunden später und er wäre..." Tatewakis Stimme bricht, als ihn diese Erkenntnis verspätet und dafür mit umso größerer Wucht trifft. Er wird kreidebleich. Hastig ergreift sie seine andere Schulter und hält ihn so fest. „Hey, Niichan – du warst rechtzeitig da.“ Ihre Stimme und ihr Blick bekommen etwas Eindringliches. „Ihm ist nichts passiert. Und wir werden dafür sorgen, dass das auch so bleibt.“ Für die Dauer eines Herzschlages starren sich die Geschwister nur an. „Ja, du hast recht“, bestätigt Tatewaki schließlich. „Das werden wir. Danke, Imōto.“ Die letzten beiden Worte klingen fast wie ein erleichterter Seufzer. Kodachi mustert ihn noch ein letztes Mal scharf, dann schenkt sie ihm ein Lächeln, zufrieden darüber, ihn wieder etwas aufgemuntert zu haben. „Dann werde ich wohl wieder allein mit Daddy zu Abend essen. Soll ich ihm sagen, du hast einen Freund bei dir, mit dem du lernst oder die Wahrheit?“ Sie macht eine minimale Kunstpause und fährt dann verschlagen fort: „dass du mit deinem Herzblatt zusammen bist?“ Da er sie kennt und weiß, dass sie ihn damit nur aufziehen will – sie würde ihrem Vater nie so etwas sagen – hebt er in einer gespielten Drohung die Hand und knurrt: „Du Teufelin! Wage es nicht!“ Sie duckt sich unter dem angedeuteten Schlag zurück, kichert und tut dann so, als würde sie vor ihm davon rennen. Lächelnd sieht Tatewaki ihr hinterher. Sie hat es tatsächlich geschafft, ihn aufzuheitern. „Es tut mir leid.“ Aus den Schatten vor ihm löst sich Sasukes zierliche Gestalt. „Ich konnte sie nicht aufhalten.“ Obwohl er wusste, dass Sasuke hier irgendwo ist, zuckt Tatewaki bei dessen plötzlichem Erscheinen kurz erschrocken zusammen. Normalerweise würde er ihn dafür anherrschen, aber seit sein Vater wieder hier wohnt, ist er einfach nur dankbar darüber, dass dieser Ninja ständig in seiner Nähe ist. Und heute mehr denn je. „Das ist schon in Ordnung. Hat dich irgend jemand gesehen, als du Ranmas Sachen geholt hast?“ „Nein, junger Herr.“ Fast ein wenig beleidigt schüttelt Sasuke den Kopf. „Soweit ich das beurteilen kann, vermisst ihn auch noch niemand.“ Er zögert einen Moment. „Was machen wir, wenn sie bemerken, dass seine Habseligkeiten fehlen? Was, wenn sie seine Freunde zusammen trommeln und ihn suchen? Was...“, er schluckt einmal unbehaglich, „... soll ich machen, wenn mich Fräulein Akane bittet, bei der Suche zu helfen?“ Tatewaki starrt ihn einen Moment einfach nur an. Daran hat er bisher noch gar nicht gedacht. Das könnte tatsächlich zu einem Problem werden. „Dann erinnere dich daran, wem du Loyalität geschworen hast“, erklärt er streng. „Ranma darf nie wieder dorthin zurück. Sie zwingen ihn zu einer Hochzeit, die er nicht will.“ Sasukes nickt ernst und dann schweift sein Blick unwillkürlich zu der Tür, hinter der er Ranma weiß. Tatewaki schweigt. Er vertraut darauf, dass Sasuke den Ernst der Situation begriffen hat. Müde fährt er sich mit den Fingern durchs Gesicht, dabei fällt sein Blick auf die Gepäckstücke. Er greift nach dem Rucksack und schiebt die Tür beiseite. Wortlos folgt Sasuke ihm mit dem Koffer.       Eine halbe Stunde später sitzt Sasuke in der Küche und knabbert gedankenverloren an seinem Reisbällchen herum. Aus dem Nebenraum wehen die Stimmen von Kodachi und ihrem Vater hinüber. Die sechszehnjährige Kodachi klingt so munter und aufgeräumt wie immer, aber wer sie so gut kennt wie er hört ihre Anspannung heraus. Ihrem Vater wird es nicht auffallen. Der lebt sowieso in seiner eigenen, verqueren Welt. Sasuke hält ihn für einen gefährlichen Mann, aber so lange er so viel Aufmerksamkeit von Kodachi bekommt, ist dieses kranke Gemüt besänftigt. So lange Kodachi ihn anbetet, ist sie sicher vor den Launen des alten Kunōs. Wenn man genauer darüber nachdenkt, fallen einem gewisse Parallelen zwischen ihrer Rolle als verrückte Black Rose und dem wahren Charakter ihres Vaters auf. Manchmal fragt sich Sasuke, ob sie nicht doch etwas davon mitbekommen hat, wie ihr Vater mit ihrem Bruder damals umgesprungen ist. Er fühlt sich nicht wohl dabei, die Geschwister diese Nacht allein zu lassen, aber Tatewakis Anweisungen waren deutlich. Und vielleicht ist er ja noch vor Mitternacht zurück. Er soll ja nur herausfinden, was die Tendōs und der alte Saotome wegen Ranmas Verschwinden zu unternehmen gedenken. Falls es ihnen schon aufgefallen ist. Sasuke hofft, dass es genügt, sie beim Abendessen zu belauschen; und weil er mal ein paar Tage bei ihnen gelebt hat, weiß er, dass sie immer zu einer festen Uhrzeit essen und er noch eine halbe Stunde Zeit hat. Das wird ausreichen, um die Falle auf dem Gang zu Tatewakis Zimmer zu überprüfen. Sicherheitshalber.   Kapitel 5: Hoffnung ------------------- 5. Kapitel Hoffnung   Als Ranma die Augen aufschlägt, hat er das unbestimmte Gefühl, dass ihn irgend etwas geweckt hat. Er weiß nur nicht, was das gewesen sein könnte. Es ist nicht die Tatsache, dass er in einem fremden Bett aufwacht – er kann sich nur zu gut daran erinnern, was passiert ist, und er schämt sich für seine Schwäche. Er schämt sich dafür, Tatewaki in seine Probleme mit hineingezogen zu haben. Ein leises Geräusch läßt ihn den Kopf drehen. Unwillkürlich verziehen sich seine Lippen zu einem kleinen Lächeln, als sein Blick auf den Jugendlichen neben ihm fällt. Dort schläft Tatewaki, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, die langen Beine ausgestreckt und auf dem Schoß ein aufgeschlagenes Buch. Kopf und Schultern sind leicht nach vorne gesackt, und es sieht aus, als würde er jeden Moment zur Seite kippen. Vorsichtig setzt sich Ranma auf, bereit, ihn daran zu hindern, in die falsche Richtung – nämlich aus dem Bett – zu fallen. Doch wenige Zentimeter, bevor er seine Schultern berühren kann, hält er inne. Er hat Tatewaki noch nie schlafend erlebt. Es ist der wehrloseste Moment eines Menschen.. Und der ehrlichste. Ranma spürt, wie sein Herz heftiger zu schlagen beginnt, je länger er ihn betrachtet. So schnell klopft es nur bei ihm, und es hat lange gedauert, bis Ranma verstand, was das bedeutet. „Tate..“, beginnt er leise, verstummt dann jedoch, denn plötzlich schlägt Tatewaki die Augen auf. Hastig zieht Ranma seine Hände zurück, während er fasziniert in diese saphirlauen Augen starrt. Ranmas weibliches Ich hat dieselbe Augenfarbe – eine ganze Nuance heller als die Farbe, mit der er geboren ist - und nicht zum ersten Mal fragt sich Ranma, ob das eine tiefere Bedeutung haben könnte und ob ihm das Schicksal schon immer etwas damit sagen will. Sekundenlang starren sie sich einfach nur an, aber bevor irgend einer von ihnen etwas tun oder sagen kann, erklingt ein leises, verstohlenes Geräusch. Unwillkürlich sehen sie beide Richtung Tür. Das Geräusch wiederholt sich. Es klingt, als kratze jemand von außen gegen die dünne Tür. Ein Hund? Oder Kodachis Haustier, dieses fürchterliche Krokodil? Doch bevor Ranma eine entsprechende Frage stellen kann, richtet sich Tatewaki ruckartig auf und seine alarmierte Miene bringt Ranma dazu, den schon geöffneten Mund wieder zuzuklappen. Und im selben Moment hält Tatewaki ihm auch schon den Mund zu. „Still“, wispert er, den Blick wie gebannt auf die Tür gerichtet. „Wenn wir uns ruhig verhalten, geht er wieder.“ Ranma nickt nur. Tatewakis Hand auf seinem Mund läßt ihm auch gar keine andere Wahl. Das Kratzen wiederholt sich, und diesmal glaubt Ranma noch etwas anderes zu hören. Aber es ist zu leise und undeutlich, um es richtig einzuordnen. Es ist unheimlich, und Tatewakis angespannte Körperhaltung und sein starrer Blick Richtung Tür verschlimmern dieses Gefühl nur noch. Es folgen ein paar bange Sekunden, in denen sich das Geräusch jedoch nicht wiederholt. „Was war das?“ flüstert Ranma schließlich, als Tatewaki seinen Mund wieder freigibt. „Mein Vater“, murmelt Tatewaki grimmig, während er vom Bett gleitet und sich so hinstellt, dass er sich zwischen Ranma und der Tür befindet. Aber Ranma muß nicht beschützt werden, schon gar nicht vor diesem verrückten Mann und so stellt er sich kampfbereit neben ihn. „Dein Vater?“ fragt er flüsternd. „Sagtest du nicht, er kommt nicht hierher?“ „Er betritt dieses Zimmer nicht“, kommt die leise Bestätigung. Anklagend deutet Ranma zur Tür. „Er steht vor der Tür.“ „Ja, manchmal. Aber er kommt nicht herein.“ Ranma wirft ihm einen irritierten Blick zu. Was zum Teufel geht nur in dieser Familie vor? Er kann sich nicht vorstellen, dass Tatewakis Vater nachts ins Zimmer seines Sohnes schleicht, um diesen zu einem überraschenden Kampftraining zu zwingen. Das scheint ihm doch eher eine Spezialität seines eigenen Vaters zu sein. „Will er dir im Schlaf den Kopf rasieren?“ Das erscheint ihm logisch, schließlich ist das die Lieblingsdrohung dieses Verrückten. Tatewaki antwortet nicht, aber seine Miene verfinstert sich. Und plötzlich beschleicht Ranma ein schrecklicher Gedanke, den er nicht zu Ende denken will und mit ihm kommt eine kalte, tödliche Wut. Mit einem Satz ist er an Tatewaki vorbei und reißt die Tür auf, bereit, diesem Verrückten davor die Seele aus dem Leib zu prügeln. Doch zu seiner großen Überraschung hat sich die Sache schon erledigt. „Huh?“ verdutzt starrt er auf die bewegungslos auf der Schwelle liegende Gestalt. Es ist tatsächlich Tatewakis Vater. In seiner Schulter steckt ein Betäubungspfeil. „Eine von Sasukes Fallen.“ Tatewaki klingt erleichtert. Ohne sich damit aufzuhalten, den Puls seines Vaters zu überprüfen, packt er ihn an den Handgelenken und beginnt, ihn den Gang hinunter zu ziehen. Es wirkt sehr routiniert. Ranma beeilt sich damit, ihm zu helfen. Gemeinsam schaffen sie den bewußtlosen Mann aus der erstbesten Tür und entsorgen ihn im Innenhof.       „Es tut mir Leid“, entschuldigt sich Tatewaki, als sie wieder zurück in seinem Zimmer auf dem Bett sitzen. „Er ist bisher nur zweimal so weit gekommen. Normalerweise meidet er diesen Teil des Hauses wirklich wie die Pest.“ Ranma mustert ihn grimmig. Aber sein Groll gilt nicht Tatewaki, sondern dem Mann da draußen. „Deshalb bist du aus deinem Zimmer ausgezogen.“ Tatewaki zieht es vor, nicht darauf zu antworten. „Es tut mir Leid“, wiederholt er stattdessen und seufzt einmal schwer. „Sieht aus, als wärest du vom Regen in die Traufe gekommen. Ich kann es verstehen, wenn du unter diesen Umständen nicht hier bleiben willst. Ich werde dir ein Hotelzimmer mieten.“ „Ich bleibe.“ Ranma verschränkt die Arme vor der Brust und zieht eine grimmige Miene. „Du hast gesagt, ich kann bleiben, so lange ich will. Ich habe keine Angst vor deinem Vater.“ Er denkt kurz nach und gibt sich dann einen Ruck. „Ganz im Gegenteil: ich prügle ihn windelweich, sollte er dir zu nahe kommen.“ „Er ist ein guter Kämpfer.“ „Ich bin besser.“ „Ich habe einen ganzen Tag lang gegen ihn gekämpft und nur ein Unentschieden erreicht.“ „Weil er dein Vater ist.“ Ranma kann nicht glauben, dass er ihm das erklären muß. Er hasst diese Resignation in Tatewakis schönen Augen. Er zögert kurz, gibt sich einen Ruck und greift dann nach Tatewakis Hand. „Egal, wie sehr ich meinen Vater manchmal hasse – ich kann ihn auch nicht besiegen. Während unsere Väter keine Skrupel haben, uns zu schaden, sind wir nicht dazu fähig, sie zu verletzen. Aber ich habe keine Probleme damit, deinen Vater gegen die nächstbeste Wand zu klatschen, wenn es nötig ist.“ Und dann, schwört er bei sich im Stillen, wird der alte Mistkerl nie wieder auch nur daran denken, sich seinem Sohn zu nähern. Tatewaki mustert ihn gerührt und erfreut darüber, dass in seinem ehemaligen Rivalen wieder dieses Feuer lodert. Er hat es schmerzlich vermisst. „Du kannst ja richtig schlau sein, wenn du willst“, neckt er ihn sanft. Trotzig reckt Ranma die Nase in die Höhe und verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich kann mehr als nur Martial Arts.“ „Ich weiß“, lächelt Tatewaki besänftigend. Sekundenlang starrt Ranma ihn weiterhin herausfordernd an, doch dann schleicht sich plötzlich eine gewisse Unsicherheit in seine Miene und er nimmt die Arme wieder herunter. „Es ist doch kein Problem, wenn ich weiterhin zur Schule gehe, oder?“ „Natürlich nicht. Sasuke hat alles mitgebracht.“ Vielsagend deutet Tatewaki in eine Ecke, und als Ranma in die entsprechende Richtung sieht, entdeckt er dort seine Schultasche und seine Bücher. Ranma spürt, wie sich ihm die Kehle zuschnürt, doch ehe er seiner Dankbarkeit darüber Ausdruck verleihen kann, redet Tatewaki schon weiter. Ihm ist nämlich siedendheiß eingefallen, dass es doch zu einem Problem werden könnte. „Aber vielleicht warten wir damit noch etwas. Nur ein paar Tage, bis sich die Situation geklärt hat und Akane dir nicht bei jeder Gelegenheit an die Kehle geht.“ Beim Gedanken daran schluckt Ranma einmal schwer, doch dann schiebt er entschlossenen das Kinn vor. „In der Schule kann ich ihr aus dem Weg gehen. Darin habe ich Erfahrung.“ Tatewaki verbeißt sich das Kommentar, das sich ihm aufdrängt und nickt stattdessen nur wortlos. Als Ranma ein Gähnen nicht mehr unterdrücken kann, beschließen sie, sich wieder hinzulegen und zu schlafen. Aber anders als Ranma, der innerhalb weniger Sekunden friedlich in Morpheus' Arme sinkt, liegt Tatewaki noch lange wach und grübelt über eine Lösung der Frage nach, wie er Ranma für immer aus den verschiedenen Eheversprechen herauslösen kann, die dessen verantwortungsloser Vater so leichtsinnig gegeben hat. Allem voran das gegenüber der Tendō Familie.     Kapitel 6: Silberstreif ----------------------- 6. Kapitel Silberstreif   Der Rest der Nacht verläuft ungestört, und als Ranma am Morgen aufwacht, ist es das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, dass er von alleine wach wird. Kein Wecker, kein Vater und keine wütende Akane reißen ihn aus seinem wohlverdienten Schlummer. So kommt es aber auch, dass es schon kurz vor acht Uhr und er ganz alleine im Raum ist, als er aufwacht. Als er das realisiert, sitzt er innerhalb einer Sekunde aufrecht im Bett. Oh nein! Er kommt zu spät zur Schule! Er sieht sich nach seinen Sachen um, rafft sie eifrig zusammen und stürmt dann voller Hast Richtung Bad. Dabei fällt er fast über Sasuke, der auf dem Gang kniet und hingebungsvoll den Steinfußboden schrubbt. „Oh, guten Morgen, Ranma-kun“, begrüßt ihn der Ninja und Hausdiener fröhlich. „Vorsicht bitte, es ist rutschig,ich habe gerade frisch gewischt.“ „Ja“, erwidert Ranma verdutzt, während er vorsichtig über den Wassereimer steigt. „Das sehe ich.“ Dann hält er zögernd inne, als er sich an das erinnert, was Sasuke ihnen damals über die Zustände im Hause der Kunōs erzählt hat. „So früh schon bei der Arbeit? Musst du... ich meine … zwingen sie dich...“ er macht eine unsichere Handbewegung, die Sasuke, den Gang und die Putzutensilien mit einschließt. Dabei fühlt er sich sichtlich unwohl. Sasuke blinzelt ihn einen Moment einfach nur verwirrt an, doch dann begreift er und reibt sich verlegen lächelnd den Nacken. „Neinnein“, beeilt er sich zu versichern, „das gehört zu meinen täglichen Aufgaben. Und ich mag es, wenn alles sauber ist. Ich darf mir sogar selbst aussuchen, was ich wann erledige.“ Er hält kurz inne, während seine Wangen plötzlich in einem zarten Rot zu schimmern beginnen. „Es hat sich einiges verändert seit ich damals weggelaufen bin und bei den Tendōs Unterschlupf fand. Und vieles, was damals meine Gefühle verletzte, beruhte einfach auf Mißverständnissen.“ Ranma nickt erleichtert. Die Vorstellung, dass Tatewaki seinen hauseigenen Ninja wie einen Sklaven behandelte, hat ihn immer davor zurück schrecken lassen, Tatewaki genauer kennen lernen zu wollen. Nicht, dass sich Ranmas Herz je daran gestört hätte... Er setzt sich wieder Richtung Bad in Bewegung, aber Sasukes Stimme läßt ihn noch einmal innehalten, und es ist, als habe er Ranmas Gedanken gelesen. „Sie haben ein großes Herz, die beiden. Gib ihnen einfach eine Chance.“ Ranma spürt, wie er flammendrot anläuft. „Ja... gut“, stottert er und beeilt sich, weiterzukommen. „Entschuldige, ich muss los. Muss mich beeilen, komme sonst zu spät zur Schule.“ „Aber Ranma-kun“, läßt Sasukes überraschter Ausruf ihn abermals stoppen. „Heute ist Samstag, da ist kein Unterricht.“ „Oh.“ Ranma fühlt sich wie der größte Idiot. Wie konnte er das nur vergessen? Ja, er geht gerne zur Schule, aber so sehr nun auch wieder nicht. Sasuke mustert den Jungen mitleidig, wie er langsam im Bad verschwindet. Der Ärmste steht wirklich noch völlig neben sich – aber das ist in Anbetracht der Geschehnisse ja auch gar kein Wunder.       Ohne Sasukes Hilfe hätte sich Ranma in dem großen Anwesen bestimmt verlaufen, aber der Ninja bringt ihn, ohne dass Ranma ihn überhaupt danach fragen muß, in die Küche. Ranma ist verblüfft, die Geschwister an dem schweren Eichenholztisch sitzen zu sehen als wären sie ganz normale Menschen aus der Mittelschicht. Er dachte immer, so reiche Leute wie sie, würden vornehm in einem extra dafür vorgesehenen Salon speisen. Doch sogar die Miso-Suppe und der Tee sind so normal, dass er sich wegen seiner Vorurteile glatt schämt. Die beiden haben extra mit dem Frühstück auf ihn gewartet und begrüßen ihn nun mit einem so freundlichen Lächeln, dass er ganz verlegen wird. Sie haben ihm dem Platz an der Stirnseite des Tisches freigehalten, so dass Tatewaki rechts und Kodachi links von ihm sitzt, und er hat kaum Platz genommen, da gießen sie ihm Tee und Suppe ein. So wurde er noch nie bedient, und das macht ihn nur noch verlegener. Doch abgesehen davon, dass sich Kodachi völlig normal benimmt, so normal, dass er lieber nicht darauf herumreitet, scheint irgend etwas anderes wirklich nicht zu stimmen. Die beiden versuchen es sich nicht anmerken zu lassen, aber es herrscht eine gewisse Anspannung im Raum. Sofort muß er daran denken, dass der Haushalt der Kunōs nicht nur aus den Geschwistern besteht, von dem Oberhaupt der Familie aber nichts zu sehen ist. Aber wenn dem alten Mistkerl die Nacht im Innenhof nicht bekommen ist, hätte ihm Sasuke doch etwas gesagt, oder? „Geht's euren Vater gut?“ erkundigt er sich beinahe verzagt. „Leider“, grummelt Tatewaki, wofür er sich von seiner Schwester einen vorwurfsvollen Blick einfängt. „Ihm geht es gut“, erwidert Kodachi, während sie Tatewaki streng mustert. Ihr Tonfall ist völlig normal und das ist Ranma ziemlich unheimlich. Es ist, als würde eine völlig andere Person neben ihm sitzen. „Daddy hat das Haus schon verlassen. Ich glaube, er wollte zum Strand fahren, in der Hoffnung, dort auf ein paar seiner Schüler zu treffen.“ Ranma verbeißt sich ein Grinsen. Seine armen Mitschüler tun ihm jetzt schon leid. Kein Strand der Welt ist groß genug, um diesem ständig seine Schüler maßregelnden Direktor zu entkommen. „Es ist nicht das erste Mal, dass er im Innenhof übernachtet.“ Der böse Blick seiner Schwester hat Früchte getragen. Tatewaki hat bemerkt, dass sein grummeliger Tonfall Ranma nur unnötig beunruhigt hat, und daher bemüht er sich jetzt um ein besonders aufmunterndes Lächeln. „Er denkt dann immer, er sei schlafgewandelt.“ „Ist das seine Ausrede?“ murmelt Ranma mit einem unversöhnlichen Unterton. „Dass er nur schlafwandelt?“ Beruhigend legt Tatewaki eine Hand auf seine und lächelt entschuldigend. Dabei zuckt sein Blick für einen winzig kleinen Moment zu Kodachi hinüber, und Ranma versteht. Es geht nicht darum, was der verrückte Kunō, sondern darum, was Kodachi denkt. Sie soll nichts von dem nächtlichen Besuch ihres Vater bei ihrem Bruder erfahren. Also verschluckt Ranma alles, was ihm dazu sonst noch auf der Zunge liegt. Vorerst jedenfalls. Aber wenn es nicht um den Alten geht, was ist dann los? Ranma braucht noch etwas Zeit, bis er sich ein Herz faßt und das fragt – genau so lange, bis er seine Miso-Suppe zur Hälfte aufgegessen hat. „Ihr habt doch was. Was ist passiert?“ Die Geschwister verständigen sich mit einem langen Blick. Und Tatewaki, dessen Hand immer noch auf Ranmas liegt, drückt diese nun sachte und lächelt schief. „Vor zehn Minuten hat uns dein Vater auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ihnen ist aufgefallen, dass du über Nacht nicht nach Hause gekommen bist. Jetzt rufen sie alle an und fragen nach dir.“ „Oh“, macht Ranma und schluckt einmal schwer, während seine Blicke auf diese Nachricht hin unruhig zwischen Tür und Fenstern hin und her irren, als befürchte er, die gesamte Familie Tendō würde plötzlich durch die Fenster hineinstarren oder als würde Akane zusammen mit seinem Vater jederzeit durch die Tür stürmen, um ihn mit zu schleifen. „Mach dir keine Sorgen, Ranma-kun.“ Mit einem wahrhaft bezaubernden Lächeln – eines, das so ganz anders ist, als sonst, viel freundlicher, viel ehrlicher – lehnt sich Kodachi etwas zu ihm hinüber und legt ihre Hand auf seinen Unterarm. Es ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht, vor allem, weil sie endlich auf dieses übertriebene „-sama“ hinter seinem Namen verzichtet. „Mein Bruder hat einen Plan. Er regelt das. Nicht wahr, Niichan?“ vergewissert sie sich mit einem auffordernden Tonfall bei ihrem Bruder. In Ranmas Ohren klingt es wie ein verbaler Tritt in den Allerwertesten. „Natürlich“, erwidert Tatewaki und trinkt bedächtig seinen Tee. „Verlaßt euch ganz auf mich.“ Ranma runzelt die Stirn, denn entgegen seiner Worte wirkt Tatewaki sehr angespannt, und sofort verspürt Ranma sein schlechtes Gewissen. Er hat kein Recht, Tatewaki derart in Schwierigkeiten zu bringen. Aber bevor er etwas sagen kann, hängt plötzlich Kodachi an seinem Arm. „Und wir beide gehen währenddessen in die Innenstadt. Ich will shoppen gehen und brauche eine Begleitung.“ „Was-“ instinktiv will er sie abschütteln, wie so viele Male zuvor, doch wie ebenfalls schon so viele Male zuvor, bleibt sie hartnäckig. Nur ihr Lächeln hat jetzt gar nichts krokodilartiges mehr an sich. Im Gegenteil – hätte sie schon immer so gelächelt, hätte sie vielleicht eine Chance bei ihm gehabt. „Das ist eine sehr gute Idee.“ Tatewakis ruhige Worte zerstören jede Hoffnung auf Schützenhilfe von dieser Seite. „Und ich stoße dann später zu euch, dann gehen wir zusammen ins Kino. Was haltet ihr davon?“ „Das klingt super, Niichan. Nicht wahr, Ranma-kun?“ „Was-?“ Ranma starrt nur erst sie und dann ihren Bruder entgeistert an. Zweifellos haben sich die beiden abgesprochen. „Ranma.“ Plötzlich liegen Tatewakis Finger nicht mehr auf Ranmas Hand, sondern auf seiner Wange. „Ich weiß, ich habe dir versprochen, dass nie wieder jemand über dich bestimmen wird, aber ich bitte dich: nur noch dieses eine Mal. Geh mit meiner Schwester in die Innenstadt, während ich diese Sache ein für alle Mal regele. Ich erzähle dir dann alles, wenn ich zu euch stoße. Vertrau mir, bitte.“ Ranma versinkt in diesen wunderschönen, ernsthaften saphirblauen Augen und kann nur stumm nicken.   Kapitel 7: Entspannung ---------------------- 7. Kapitel Entspannung   „Schmeckt's?" Ranma kaut noch einmal, schluckt und spült den Bissen seines Teriyaki McBurgers mit einem großzügigen Schluck Cola hinunter. „Ja, danke", erwidert er dann leise. Er ist immer noch ganz überwältigt von den letzten fünf Stunden. Erstens war er noch nie in der Tokioter Innenstadt - die modernen Wolkenkratzer und all die vielen Menschen machen ihn ein wenig nervös, aber andererseits gefällt es ihm auch. Zweitens ist Kodachi überraschenderweise wirklich sehr nett. Sie ist so völlig anders als sonst. Da kann er sogar darüber hinweg sehen, dass sie irgendwann von einem neutralen, höflichem „Ranma-kun“ zu einem verniedlichendem „Ranma-chan“ wechselte. Außerdem - mit ihr shoppen zu gehen hat ihm überraschenderweise richtig Spaß gemacht. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass sie nicht viel gekauft hat und das wenige, das sie kaufte, war dann auch noch meist für ihn. Er liebt seine bequemen Hosen und den roten Tangzhouan, aber Kodachi hat recht, wenn sie meint, dass ihm ein Imagewechsel bestimmt helfen könnte. Und so hat sie ihm eine komplett neue Garderobe gekauft - Sweatshirts und Jeans, die ihm gefallen, aber nach denen er trotzdem nie zu fragen gewagt hätte. Abzulehnen war ihm unmöglich, denn da war sie wieder ganz die alte, sture Kodachi, der man lieber nicht widersprechen sollte. Er wollte sie auch nicht provozieren, wollte nicht, dass die verrückte Black Rose wieder zum Vorschein kommt, denn diese nette Kodachi ist ihm viel lieber. Wenigstens muss er die Sachen nicht tragen, weil Kodachi sie alle nach Hause liefern lässt. Es muss wirklich schön sein, wenn man nicht auf jeden Yen achten muss und solche Extraausgaben aus der Portokasse zahlen kann. Oh, und drittens: dies hier ist sein allererster Teriyaki McBurger. In Nerima gibt es keinen McDonald's und wann immer er auf den Reisen mit seinem Vater an einem Schnellimbiß wie diesem vorbeigekommen war, hatte es sein Vater immer abgelehnt, ihm dort etwas zu kaufen. Kodachi beobachtet ihn lächelnd, das Kinn in die aufgestützte Hand gelegt und blättert dann weiter im Kinoprogramm vor sich auf dem schmalen Tisch herum. „Wonach steht dir eher der Sinn? Action, Romantik oder Komödie?“ Action, hätte Ranma fast gesagt, doch dann erinnert er sich daran, wieviel Kodachi bisher für ihn gekauft hat und bekommt ein schlechtes Gewissen. „Ich weiß es nicht“, erwidert er deshalb. „Wähle du etwas aus.“ Sie gibt ein leises „hmmm“ von sich und wirft ihm einen dieser langen Blicke zu, der ihm verrät, dass sie ihn durchschaut hat, doch anstatt ihn jetzt damit aufzuziehen, nickt sie nur und vertieft sich wieder in dem Kinoprogramm. „Wie wäre es mit einem Geisterfilm? Das würde meinem Bruder bestimmt gefallen.“ Sie senkt die Stimme und wirft ihm einen verschwörerischen Blick zu. „Er hat es gerne, wenn sich Mädchen schutzsuchend an ihn klammern.“ „Ich bin kein Mädchen“, erwidert Ranma rein automatisch. Kodachis Lippen kurven sich zu diesem Lächeln, wie es viele – vor allem auch Ranma – kennen und fürchten. Aber sie spart sich das entsprechende Kommentar, das ihr bestimmt schon auf der Zunge liegt. Doch auch wenn sie nichts sagt, kommt Ranma trotzdem ins Grübeln. Eine altbekannte Unsicherheit steigt wieder aus den dunkelsten Ecken seiner Seele hervor. Plötzlich ist ihm der Appetit vergangen, und er legt den Rest seines Teriyaki McBurgers zurück aufs Tablett. „Oje, Ranma-chan“, hastig beugt sich Kodachi zu ihm nach vorne und legt ihre Hand auf seine. „Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht. Ich wollte dich doch nur ein bißchen aufziehen. Wir wissen, dass du kein Mädchen bist.“ Sie zögert kurz und fügt dann, wieder mit diesen verschwörerischen Unterton hinzu: „Mein Bruder wird sich auch darüber freuen, wenn Ranma bei ihm Schutz sucht.“ Dabei legt sie eine ganz besondere, eindeutige Betonung auf die letzte Silbe von Ranmas Namen. Sie wartet, bis dieser nickt, dann erst lässt sie ihn los und lehnt sich wieder auf ihrem Stuhl zurück. Einigermaßen beruhigt, isst Ranma weiter. Dabei erinnert er sich an die Geschehnisse der letzten Nacht, als sich Tatewaki so selbstverständlich schützend vor ihn stellte, als hätte er nicht eine Sekunde darüber nachgedacht. Und wie Ranma diesen Idioten kennt, hat er es tatsächlich nicht. Aber so war er ja schon immer, nicht wahr? Nur, dass Ranma bisher immer dachte, das wäre nur Getue, um hübsche Mädchen zu beeindrucken. Verdammt, je länger er darüber nachdenkt, desto heftiger klopft sein Herz. Seine Wangen fühlen sich auch immer heißer an. Hoffentlich bemerkt Kodachi nichts. Das ist wirklich oberpeinlich...       Sie hatten abgemacht, sich um siebzehn Uhr vor dem Kino zu treffen, aber um siebzehn Uhr und zehn Minuten ist von Tatewaki immer noch nichts zu sehen und Ranma beginnt ernsthaft, sich Sorgen zu machen. Er weiß schließlich nicht, was Tatewaki vorhatte, ob es irgendwie gefährlich sein konnte und immer, wenn er Kodachi danach fragte, wiegelte sie immer nur ab und vertröstete ihn darauf, dass er es noch früh genug erfahren würde. Dass sie dabei dann immer ihr hinterhältiges Black-Rose-Lächeln zeigte, half nicht, Ranma zu beruhigen. Um siebzehn Uhr und zwölf Minuten will Ranma Kodachi abermals fragen, diesmal entschlossen, sich nicht mit leeren Phrasen abwimmeln zu lassen, da biegt Tatewaki um die Ecke. Er sieht aus, als wäre er den ganzen Weg von der U-Bahn-Station bis hierher gerannt. Seine Haare sind zerzaust und die Wangen gerötet und – er hat ein blaues Auge? Irritiert und besorgt zugleich runzelt Ranma die Stirn. „Es tut mir leid“, entschuldigt sich Tatewaki atemlos. „Ich habe mich verspätet." „Ach, der Film fängt ja erst in einer Viertelstunde an“, erwidert seine Schwester sarkastisch, grinst und hebt dann die Hand, um ihn im Gesicht zu berühren. „Wow, schönes Veilchen. Tut's weh?" „Lass das“, unwillig wischt er ihre Hand beiseite. „Wer war das?“ erhebt nun Ranma die Stimme. Sie bebt vor unterdrücktem Zorn. „Tatewaki- wer war das?" Auch er hebt die Hand, um die geschwollene, verfärbte Haut unter Tatewakis linkem Auge zu berühren, aber auch er wird abgewehrt. Wenn auch wesentlich sanfter. Tatewaki fängt Ranmas Hand einfach ein und hält sie fest. „Das ist nicht wichtig“, erklärt er dabei. „Es zählt nur, dass du niemanden mehr heiraten musst, den du nicht heiraten willst." Daraufhin nickt Kodachi grimmig und murmelt leise, aber immer noch laut genug, dass es jeder versteht: „Alles und jeder hat seinen Preis.“ Ranma hört ihre Worte sehr wohl und ein Teil von ihm versteht sofort, was das alles zu bedeuten hat, was Tatewaki getan hat, aber jetzt, in diesem Moment, interessiert ihn nur eines. Kritisch mustert er Tatewakis Verletzung und lässt dann seinen Blick weiter über dessen ganzes Gesicht und schlußendlich über seinen gesamten Körper wandern auf der Suche nach weiteren, offensichtlichen und weniger offensichtlichen Schäden. Aber außer diesem blauen Auge scheint er glücklicherweise nichts weiter zu haben. „Das war Akane, nicht wahr?“ bemerkt er dabei bitter. „Ich kenne die Veilchen, die sie einem verpasst." Tatewaki lächelt schief und zuckt mit den Schultern. „Sie war wirklich nicht begeistert.“ Ranma fällt auf, dass Tatewaki immer noch seine Hand hält und senkt unwillkürlich den Blick. Tatewaki folgt seinem Blick und lässt seine Hand sofort los. Doch so leicht lässt Ranma ihn nicht davonkommen. Schon eine Sekunde später packt er zu und verschränkt entschlossen ihre Finger miteinander. Dabei sieht er ihm herausfordernd in die Augen. Kodachi beobachtet diese kleine Szene amüsiert und unterbricht die aufkeimende Spannung, bevor sie in die eine oder andere Richtung umschlagen kann, indem sie vielsagend die Tickets hochhält. „Können wir jetzt endlich rein? Wie gesagt: der Film fängt gleich an.“       Zuerst fühlt sich Ranma ein wenig umzingelt, weil sie ihm den Platz in der Mitte gegeben haben, aber dieses Gefühl verflüchtigt sich, sobald der Film beginnt. Ranma geht nicht oft ins Kino, für ihn ist das immer eine ganz besondere Erfahrung, und nach einer Weile nimmt ihn das Geschehen auf der großen Leinwand so in Beschlag, dass es ihn nicht einmal mehr stört, dass er die Riesenpackung Popcorn halten muss, aus der sich sowieso Kodachi am meisten bedient. Das kann aber auch daran liegen, dass sie die einzige ist, die die Hände frei hat. Denn als Tatewaki seine Hand auf der Armlehne zwischen ihnen abgestützt hat, fasste sich Ranma ein Herz und legte seine eigene Hand auf Tatewakis. Nach ein paar weiteren Sekunden verschränkte er ihre Finger miteinander und als Tatewaki ihn daraufhin fragend ansah, lächelte Ranma nur und Tatewaki lächelte zurück und seitdem sitzen sie so da. Der Film hat ein paar langweilige Stellen und Ranma kann es nicht verhindern, dass seine Gedanken dann immer abschweifen. Er würde wirklich gerne wissen, wie viele Yen er seinem Vater wert war und wieviel Tatewaki darüberhinaus den Tendōs zahlen musste. Ganz bestimmt musste er ihnen die Kosten für die Hochzeitsplanung, das Geld für den Priester, das Essen und die Saalmiete erstatten. Wenn Tendō Nabiki bei dem Gespräch anwesend gewesen war, kam sicherlich auch ein ordentlicher Schadensersatz inklusive Schmerzensgeld dazu. Bei diesem Gedanken fühlt sich Ranma alles andere als wohl. Schuldbewusst nagt er an seiner Unterlippe herum und schielt zu Tatewaki neben sich hinüber. Selbst in diesem diffusen Licht hebt sich Tatewakis blaues Auge schwarz und deutlich hervor und bei diesem Anblick fühlt sich Ranma nur noch schuldiger. Es tut ihm so leid! Wenn es doch nur etwas gäbe, womit er sich revanchieren könnte! Kapitel 8: Bedürfnisse ---------------------- 8. Kapitel Bedürfnisse   „Du schaffst das“, spricht Ranma seinem eigenen Spiegelbild Mut zu. Das rothaarige, großbusige Mädchen, das ihm daraus entgegensieht, nickt einmal. Natürlich schafft er … nein, sie das. Er muß aufhören, von sich als Ranma zu denken, wenn er will, dass das hier klappt. Es ist verdammt nochmal das Mindeste, was er für Tatewaki tun kann. Es ist schließlich nichts dabei. Es ist nur eine Berührung, mehr nicht. Also, Ranko, auf geht’s! Entschlossen tapst sie aus dem Badezimmer über den Gang in Tatewakis Zimmer. Der sitzt immer noch auf dem Bett, wie Ranma ihn verlassen hat – in ein Buch vertieft, neben sich auf dem Nachttisch eine Tasse heißen Tee, und er hat anscheinend die Zeit genutzt, die Ranma im Bad war, um sich für die Nacht umzuziehen. Er sieht in diesem hellen Jinbei einfach nur blendend aus und Ranko spürt, wie sich bei diesem Anblick ihr Herzschlag beschleunigt. In ihr erwacht ein warmes, schwindelerregendes Gefühl, das sie hastig zur Seite schiebt. Tatewaki hebt den Kopf, als er hört, wie die Tür beiseitegeschoben wird und dann rutscht ihm glatt das Buch aus den Händen, als er sieht, wer da auf ihn zukommt. Mit entschlossener Miene setzt sich Ranko vor ihm aufs Bett. „Was...“ beginnt Tatewaki verwirrt, verstummt jedoch gehorsam, als Ranko den Kopf schüttelt und vielsagend den Zeigefinger an ihre Lippen hält. Ranko holt einmal tief Luft, sieht ihm eindringlich in die Augen und streift sich dann entschieden das Jinbeioberteil von den Schultern. So weit, bis sie mit völlig entblößtem Oberkörper vor ihm sitzt. Tatewakis Augen weiten sich überrascht und für die Dauer einiger Sekunden starrt er nur wie gebannt auf ihre Brüste, reißt sich dann aber gewaltsam von diesem entzückenden Anblick los und hebt den Blick hoch in ihr Gesicht. Ranko hat das Gesicht beschämt zur Seite abgewandt, ihre Wangen leuchten hochrot. „Nun mach schon“, fordert sie ihn dabei ungeduldig auf. „Fass sie an. Das wolltest du doch immer. Sieh es als mein Dank für alles, was du heute für mich getan hast.“ „Ranma...“ stöhnt Tatewaki leise auf, macht aber keine Anstalten, auch nur den kleinen Finger zu rühren. „Verdammt nochmal, du Idiot!“ ungeduldig packt Ranko seine rechte Hand und legt sie sich auf ihre linke Brust. „Nun mach schon. Das wolltest du doch immer, oder?“ Tatewaki schluckt einmal sichtbar und für die Dauer eines Atemzuges lang lässt er seine Hand dort liegen, ganz kurz streichelt sein Daumen sogar über die empfindliche Brustwarze, aber dann zieht er seine Hand so schnell zurück, als hätte er sich an ihr verbrannt. „Lass das sein, Ranma.“ Ein wenig grob zerrt er ihr das Oberteil wieder hoch und knöpft es sogar wieder zu. „Das ist völlig unnötig.“ „Aber wie soll ich dir denn sonst danken, du Idiot?“ „Mir würde es schon reichen, wenn du nie wieder versuchst, dich umzubringen!“ schleudert ihm Tatewaki entgegen. Das kommt unerwartet. Bestürzt starrt Ranko ihn an, um dann sofort betreten den Blick zu senken. Aber Tatewaki ist schon viel zu sehr in Rage, um darauf zu achten. Er springt vom Bett und beginnt, bebend vor unterdrückter Anspannung, hin und her zu wandern, und unterstreicht dabei jedes seiner nächsten Worte mit weit ausholenden Gesten. „Wofür hältst du mich? Dank? Ich will keinen Dank von dir. Ich habe das nicht getan, damit du mir dankbar bist, Ranma. Ich habe das getan, damit du leben kannst. Und zwar so, wie du es willst. Und was machst du? Fällst zurück in alte Muster und versuchst, mir einen Gefallen zu tun. Hör verdammt nochmal auf, anderen zu dienen und diene ausnahmsweise mal dir selbst!“ „Vielleicht wollte ich das ja gerade?“ kommt es gereizt zurückgefaucht. „Vielleicht wollte ich, dass du mich so berührst?“ Tatewaki erstarrt mitten im Schritt und starrt sie ungläubig an. „Was?“ Ranko hebt das Kinn ein paar Zentimeter höher und funkelt ihn aus dunkelblauen Augen entschlossen an, nicht bereit, auch nur einen Zentimeter zurück zu stecken. Sie würde es nie zugeben, aber Tatewakis Zurückweisung hat sie sehr verletzt. Nicht nur in ihrem Stolz. „Ja, du Baka! Ich will das! Genau das!“ „Du hasst diesen Körper.“ „Dir gefällt er doch aber!“ Tatewaki starrt Ranko für einen Moment einfach nur finster an, dann nimmt er die Tasse vom Nachttisch und schüttet ihr das heiße Getränk ins Gesicht. Es war nicht mehr viel drin, aber auch die paar Tropfen genügen. Noch während sich Ranma zurückverwandelt, packt Tatewaki ihn am Kragen, zerrt ihn in die Höhe und aus dem Bett. Innerhalb eines Herzschlages fühlt sich Ranma mit dem Rücken an die Wand gedrückt. Tatewaki zögert nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er entschieden seine Lippen gegen Ranmas presst. Der ist im ersten Moment wie erstarrt, aber dann schlingen sich seine Arme wie von selbst um Tatewakis Nacken. Hingebungsvoll entgegnet er diesen Kuß, der so ganz anders und so viel besser ist als die pflichtbewussten Küsse, die er bisher immer mit Akane getauscht hat. Außerdem haben sie sich nie mit Zunge geküsst! Das ist neu und aufregend und gar nicht eklig, wie er immer dachte. Ganz im Gegenteil -Tatewaki schmeckt überraschend gut. Nach Tee und dem Ramen, den sie zum Abendessen hatten und darunter lauert noch etwas völlig anderes, etwas Undefinierbares, aber Ranma ist sofort danach süchtig.. Und als diesmal wieder dieses warme Gefühl in seinem Inneren erwacht, lässt er es zu. Als Tatewaki den Kuß schließlich wieder löst, ist Ranma ganz schwindelig und sein Herz klopft so heftig, dass er befürchtet, es werde ihm gleich aus der Brust springen. Für die Dauer einiger Herzschläge starren sie sich einfach nur an. „Du bist es, der mir gefällt“, erklärt Tatewaki dann ernst. „Aber ich dachte...“ „Ja, natürlich gefällt mir Ranko auch. Aber“, Tatewaki runzelt kurz die Stirn und es ist eindeutig, dass er seine nächsten Worte ganz bewußt wählt: „Das bist immer noch du. Nur, weil sich dein Körper verwandelt, ändert das nichts daran, dass du im Inneren immer du bleibst. Aber du hasst es, dich in Ranko zu verwandeln. Und ich habe dir versprochen, dass du nichts mehr machen musst, was du nicht willst. Ich will nicht, dass du dich nur mir zuliebe in Ranko verwandelst. Das ist gar nicht nötig, verstehst du das nicht?“ Ranma hat ihm aufmerksam zugehört, schüttelt dann aber den Kopf. Denn nein, das versteht er nicht. Aber wenn Tatewaki darauf besteht, dass er sich nicht in sein verhasstes weibliches Ich verwandelt und ihn trotzdem so hält und küsst, soll ihm das nur Recht sein. „Tatewaki.“ Einer spontanen Eingebung folgend, nimmt Ranma Tatewakis rechte Hand und legt sie sich auf die Brust. Sofort sind die Erinnerungen wieder da. Er schließt die Augen, um dieses Gefühl ganz genießen zu können. „Ranma?“ Tatewaki klingt besorgt und belustigt zugleich und als Ranma daraufhin die Augen öffnet und diesem dunklen, schönen Blau begegnet, weiß er, dass Tatewaki sich ebenfalls sehr gut an diesen Moment erinnert. Ob er ebenfalls davon träumt? „Ich sagte doch: ich will, dass du mich so berührst“, gibt Ranma leise, aber bestimmt zurück und unterdrückt nur mühsam ein sehnsüchtiges Schaudern. Die Wärme von Tatewakis Hand scheint direkt durch den dünnen Jinbeistoff in seine Brust zu strahlen, bis tief in sein Herz hinein. Es ist das Intensivste, was Ranma je gespürt hat. Beinahe besser als dieser Kuß eben. Um Tatewakis Lippen zuckt ein kleines Lächeln, als er seine Hand erst etwas zur Seite und dann unter den Stoff rutschen lässt. Ranma entfleucht ein zitternder, unwillkürlicher Seufzer, der zu einem unterdrückten Stöhnen wird, als er Tatewakis Hand auf seiner nackten Haut und für einen kurzen Moment sogar das Streicheln eines kleinen Fingers an seiner Brustwarze spürt. Dort, wo er ihn berührt, scheint seine Haut in Flammen zu stehen. Unwillkürlich schnappt Ranma nach Luft, verkrallt seine Finger in Tatewakis Haaren und zieht ihn dann ungeduldig zu einem weiteren Kuß zu sich herunter. Zuerst hilft es. Tatewakis Zunge in seinem Mund lenkt ihn von der plötzlichen Hitze in seinem Inneren ab, doch es dauert nicht lange, da wird es immer schlimmer, weil sich diese Hitze in seinem Unterleib sammelt. Schockiert legt er seine flachen Hände auf Tatewakis Brust und schiebt ihn geradezu panisch von sich. „Ich...“, stammelt er schweratmend und mit hochroten Wangen. Seine Finger haben sich im Saum seines Oberteils verkrallt und zerren es so weit nach unten, dass sich der Stoff gefährlich spannt. „Ich... entschuldige...“ Verzweifelt schließt er die Augen, um Tatewakis verletzte Miene nicht sehen zu müssen. Außerdem wird der Druck in seinem Unterleib geradezu unerträglich, er hat Mühe, aufrecht stehen zu bleiben. Zum ersten Mal wirklich froh über diese Meditationsübungen, die zu seinem Kampftraining gehören, atmet er ein paar Mal tief ein und aus, genauso, wie er es gelernt hat. Es dauert etwas, aber tatsächlich mindert sich das unangenehme Gefühl ein wenig. Doch dann macht er den Fehler, die Augen wieder zu öffnen und sieht direkt in Tatewakis ernste Miene. Peinlich berührt senkt Ranma den Blick. „Es tut mir leid“, murmelt er. „Ich muß ins Bad.“ Er hat nicht nur die Stimmung verdorben, sondern ruiniert auch noch alles. Und genau deshalb rührt er sich trotz seiner Worte nicht vom Fleck. Er kann es einfach nicht. Er ist erregt, und das ist oberpeinlich, aber gleichzeitig hat er Angst, und weiß nicht mal, wovor. Tatewaki zögert, doch dann macht er einen großen Schritt auf Ranma zu, löst seine verkrampften Finger aus dem Stoff und hält sie fest. „Da ist nichts, weswegen du dich schämen mußt, Ranma.“ Ranma beißt sich auf die Unterlippe und schüttelt den Kopf, doch dann wagt er es schließlich endlich, ihm gerade in die Augen zu sehen. „Es tut mir leid“, wiederholt er und rettet sich dann in ein verlegenes Lächeln. „Aber das ist alles nur deine Schuld und überhaupt verstehe ich nicht, wieso du nicht auch...“ Doch dann fällt sein Blick auf Tatewakis Schritt, und er verstummt. Nun ist es an Tatewaki, rot zu werden, doch anders als Ranma hat er beschlossen, seinen momentanen Zustand zu Ranmas Wohl zu ignorieren. Schließlich ist dieser eindeutig mit dieser Situation überfordert. Er selbst zwar auch, aber er ist der Ältere, er muß Verantwortung übernehmen. Außerdem ist das eine ganz natürliche, körperliche Reaktion. „Ich liebe dich, Ranma und werde dich zu nichts zwingen, was du nicht willst.“ Mit diesen Worten läßt er ihn los und weicht ein paar Schritte zurück, um ihm die Möglichkeit zu geben, den Raum zu verlassen und ins Bad zu gehen ohne dabei allzu nah an ihm vorbeigehen zu müssen. Ranma zögert. Unsicher huscht sein Blick zwischen der Tür und Tatewakis Gesicht hin und her. Schon bei dem Gedanken, ihn jetzt zu verlassen, um sich im Bad um sein nicht-gar-so-kleines-und-verdammt-hartes-Problem zu kümmern, fühlt sich Ranma wie ein Verräter. Aber er weiß nicht, was er sonst machen sollte. Argh, verdammt! Wieso gibt es dafür kein Regelbuch? Tatewaki wartet geduldig eine Minute, aber als sich Ranma dann immer noch nicht bewegt hat, gibt er sich einen Ruck. „Oder wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben und sehen, wohin uns das führt. Ranma - egal was passiert, ich werde es nicht bedauern.“ Ranma wirft ihm einen geradezu dankbaren Blick zu. Keine zehn Sekunden später halten sie einander in den Armen und machen dort weiter, wo sie vor fünf Minuten aufgehört haben.       Vorsichtig betastet Ranma seine Lippen. Sie kribbeln und fühlen sich irgendwie wundgeküsst an. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was sie die letzte Stunde beinahe unablässig getan haben. Und jetzt sitzen sie beide nebeneinander auf der Duschbank im Badezimmer, und während das warme Wasser auf ihre Körper prasselt, wirft Ranma immer wieder verstohlene Blicke zu dem Siebzehnjährigen neben sich hinüber. Obwohl er es gewohnt ist, mit anderen Jungen Seite an Seite zu duschen, spürt er jetzt eine gewisse Beklemmung. Das ist albern, wenn man bedenkt wie nahe sie sich gekommen sind, aber andererseits reagiert auch ein ganz bestimmtes Körperteil auf Tatewakis Anwesenheit auf eine eindeutige Art und Weise. Immer noch. Und irgendwie ist ihm das trotz allem furchtbar peinlich. Vielleicht sollte er sich lieber in Ranko verwandeln – von einem Mädchen erwartet man diese Schüchternheit, wenn sie das getan hätte, was sie getan haben. Für einen Moment ist er wirklich versucht, den Kaltwasserhahn aufzudrehen, doch dann begegnet er unverhofft Tatewakis Blick und der Gedanke verschwindet sofort, und stattdessen erwacht ein ganz anderer Impuls. Und ehe er es sich versieht, liegt Ranmas Brause am Boden und seine Finger wühlen durch Tatewakis eingeseifte Haare, während er sich eng an ihn schmiegt und ihm seine Zunge tief in den Mund schiebt. Ranma hatte in der letzten Stunde viel Übung und seine Art zu küssen reicht von zärtlich bis hin zu stürmisch, und sie sorgt bei Tatewaki jedes Mal für heftiges Herzklopfen. Und es macht ihm gar nichts aus, wenn Ranma in dieser Hinsicht mal das Zepter an sich reißt. Als Ranma ihn wieder freigibt, geschieht das nur, weil sie beide auch mal wieder Luft holen müssen. „Tachi“, stößt Ranma atemlos hervor, mit einem düsteren Funkeln in den Augen. Mit dem pechschwarzen, nassen Haaren, die ihm wild in die Augen fallen und diesem wasserglänzenden, muskulösen Körper, der vor Anspannung regelrecht vibriert, wirkt er trotz seiner Nacktheit bedrohlich. „Sag mir, dass ich dein erster bin. dass du noch nie etwas mit einem Jungen hattest. Und dass du auch noch nie ein Mädchen hattest. dass du immer nur mir gehört hast.“ So besitzergreifend! Tatewaki unterdrückt ein kleines Schaudern. Da vergißt er glatt, sich über diesen dämlichen Kosenamen zu beschweren, den Ranma von irgend woher aufgeschnappt haben muss. Und obwohl Ranma einen halben Kopf kleiner als er ist, legt sich in Momenten wie diesen, wo sein kämpferisches Temperament durchbricht, niemand gerne mit ihm an, und er erst recht nicht. Das ist der Ranma, in den er sich Hals über Kopf verliebt hat. „Du bist der erste“, erwidert er daher gehorsam. Ranma genügt das. „Gut“, erklärt er grimmig, lässt Tatewakis Haare los und lehnt sich wieder bequem zurück. „Dann muß ich wenigstens auch auf niemanden eifersüchtig sein.“ Tatewaki blinzelt ihn zuerst nur verdattert an – und sich dabei das Shampoo aus den Augen - dann schleicht sich ein geschmeicheltes Lächeln auf seine ebenmäßigen Züge. Doch Ranmas nächsten Worte lassen ihn fast zusammenzucken. „Und irgendwann darfst du auch Ranko haben. Aber mit ihr gehst du dann den ganzen Weg. Das volle Programm.“ Ranma wirft ihm einen langen, leicht vorwurfsvollen Blick zu. Er weiß, dass es für das, was sie getan haben, eine Steigerung gibt. Er ist vielleicht unerfahren, aber nicht naiv. Wie könnte er, wenn er doch bisher mit solchen Perversen wie Happosai unter seinem Dach wohnte? Der steht zwar eindeutig nur auf Frauen und deren Unterwäsche, aber das hält den alten Lustmolch nicht davon ab, zotige Geschichten jeder Couleur von sich zu geben. Es ist süß, dass Tatewaki ihn schonen will, und fürs erste Mal war es auch ganz gut so, aber Ranma will mehr. Viel mehr. „Später. Irgendwann“, ergänzt er dann, beugt sich wieder zu Tatewaki hinüber und haucht ihm einen Kuß auf die Wange. Direkt unter den Bluterguß, wo ihn Akanes Faust getroffen hat. „Ich bin dein erster. In jeder Hinsicht.“ Tatewaki schluckt einmal schwer und lächelt dann schief. Und das sieht so niedlich aus, dass Ranma gar nicht anders kann, als sich wieder einen Kuß zu stehlen.       Kapitel 9: Erkenntnisse ----------------------- 9. Kapitel Erkenntnisse   Über Ranmas Lippen huscht ein kleines, fast unhörbares Seufzen, dann räkelt er sich einmal und öffnet blinzelnd die Augen. Lange starrt er an die Zimmerdecke, auf der die Schatten der Bäume aus dem Garten tanzen. Es muß eine ziemlich windige Nacht sein, so schnell, wie sie sich bewegen. Und es scheint der Vollmond, so hell, wie es ist. Ranma streckt sich ein weiteres Mal vorsichtig und wirft dann einen Blick neben sich. Unwillkürlich verziehen sich seine Lippen zu einem zärtlichen Lächeln. Tatewaki liegt auf der Seite, ihm zugewandt und seine linke Hand liegt immer noch auf Ranmas Hüfte. Ranma kann sich erinnern, wie sie eingeschlafen sind: er an Tatewakis Seite gekuschelt und dieser hatte einen Arm um ihn gelegt, ein stummes Versprechen, ihn nie wieder los zu lassen. Ranma fühlt sich so sicher bei ihm, dass es schon fast unheimlich ist. Noch ein letztes Mal betrachtet Ranma wehmütig das Gesicht seines nun-nicht-mehr-so-heimlichen-Schwarms, dann windet er sich vorsichtig unter dessen Hand hervor und gleitet so lautlos aus dem Bett, wie es ihm möglich ist. Auf dem Weg zur Tür zupft er sich Jinbeioberteil und -hose zurecht und schüttelt über sich selbst belustigt, beschämt und verärgert zugleich den Kopf, ist er doch schon wieder halberregt. Draußen auf dem Gang erschreckt er sich fast zu Tode, aber dann haben sich seine Augen an das gedämpfte Licht gewöhnt und er erkennt, dass es sich bei dem Schatten nur um Sasuke handelt, der wieder mit einer seiner Fallen beschäftigt ist. „Sasuke, du bist noch wach?“ Der Ninja und Hausdiener schenkt ihm ein kleines, gezwungenes Lächeln, hält aber keine Sekunde in seiner Betätigung inne. „Es ist erst kurz nach Mitternacht. Kunō-San ist zurückgekehrt und sehr schlechter Laune“, erwidert er, als würde das alles erklären. Und zu Ranmas größtem Kummer tut es das auch. „Was ist das nur mit dem alten Perversling?“ knirscht er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Gibt es eigentlich keinen Haushalt, in dem nicht irgendwelche perversen Kerle leben? Bei den Tendōs musste er Happosai und dessen Obsession für Frauenbrüste und Büstenhalter ertragen, und hier läuft dieser unheimliche Kunō Senior herum. Sasuke zieht es vor, darauf keine Antwort zu geben und schüttelt nur den Kopf. „Möchtest du irgend etwas, Ranma-kun? Kann ich etwas für dich tun?“ „Nah“, kommt es zurück genuschelt. In Gedanken ist Ranma immer noch beim alten Kunō. Nicht zum ersten Mal fragt er sich, was der Mann wirklich im Zimmer seines schlafenden Sohnes wollte. Der Verdacht, der da in ihm aufgekeimt ist, behagt ihm nämlich ganz und gar nicht. „Ich bin auf dem Weg zum Bad. Ich bin durstig und brauche ein Glas Wasser.“ „Ich bringe dir gerne eine Wasserflasche aus der Küche.“ „Nah, ist nicht nötig. Danke.“ Ranma will Sasuke keine unnötige Arbeit machen. Langsam geht er weiter Richtung Bad. Dabei muß er an Sasuke vorbei und nach einem kurzen Zögern bleibt er stehen und dreht sich wieder zu ihm um. „Du musst nicht vor der Tür Wache halten. Deine Fallen funktionieren tadellos. Und außerdem bin ich ja jetzt da, und ich verarbeite jeden zu Brei, der es wagt, Tatewaki zu nahe zu kommen.“ Ohne sich dessen bewußt zu sein, ballen sich bei diesen Worten seine Hände zu Fäusten. Sasuke aber bemerkt es und schmunzelt unwillkürlich. „So besitzergreifend warst du gegenüber Fräulein Akane nie.“ Das bringt Ranma ins Stocken. Verlegen kratzt er sich im Nacken. „Oh, bin ich wirklich so schlimm?“ „Ja“, kommt es schonungslos ehrlich zurück. „Aber das ist gut so. Weil Tatewaki genauso ist.“ „Das steht ihm auch zu. Schließlich hat er mich meinem Vater und den Tendōs abgekauft.“ „So kann man das aber nicht sehen-“ „Sasuke, das war ein Scherz“, beruhigend hebt Ranma die Hand und grinst. Doch dann wird er schlagartig wieder ernst. „Außerdem“, fährt er voller Bitterkeit fort, „liegt die Schuld einzig und allein bei meinem alten Herrn. Er hat mich schon als Kind verkauft. Es ist doch kein Unterschied, wenn er mich als Ehemann in spe oder für Geld verkauft. Für ihn bin ich nur eine Ware.“ Entsetzt über diese harten Worte, schüttelt Sasuke den Kopf. „Dein Vater liebt dich. Auf seine eigene Art.“ Davon ist er felsenfest überzeugt. Denn wie kann ein Vater sein Kind nicht lieben? Vielleicht kann er es manchmal nicht zeigen oder besitzt eine merkwürdige Art, seine Zuneigung auszudrücken, aber letztendlich lieben doch alle Eltern ihre Kinder. Ranma mustert ihn für die Dauer einiger Sekunden, schnaubt dann abschätzig und erklärt: „Tatewaki liebt mich.“ Das stimmt allerdings. Unwillkürlich denkt Sasuke daran zurück, wie es war, als Tatewaki ständig erst dieses Foto von Akane und dann das von Ranko anhimmelte. Und gleichzeitig einen heimlich aufgenommenen Schnappschuß von Ranma unter seinem Kopfkissen versteckte. Er denkt an dessen lautstarke Liebeserklärungen an „die liebreizende Akane“ und „das schöne Mädchen mit dem roten Zopf“, die in Wirklichkeit nur dazu dienten, seine wahren Gefühle gegenüber Ranma zu verbergen. Und Sasuke erinnert sich an einen zu Tode betrübten, am Boden zerstörten Tatewaki, als dieser die Einladungskarte zur Hochzeit von Tendō Akane und Saotome Ranma erhielt. Es dauerte drei ganze Tage und Sasukes ganze Hartnäckigkeit, bis Tatewaki ihm gestand, dass Kodachi Recht hatte und es der drohende Verlust Ranmas war, der ihn so zur Verzweiflung trieb. Hätte seine Schwester ihn nicht bei Sasuke verpetzt, würde dieser heute immer noch im Dunkeln tappen. Tatewaki ist so gut darin, anderen etwas vorzuspielen! Sasuke stockt noch heute das Herz, wenn er daran denkt. Ranma sollte es erfahren. Sasuke wirft ihm einen langen Blick zu und fasst sich ein Herz. „Tatewaki glaubt sehr stark ans Schicksal. Er meinte es immer ernst, wenn er sagte, ihr wärt füreinander bestimmt. Auch, wenn er es nur zu Ranko sagte. Er meinte immer dich.“ Um Ranmas Lippen zuckt ein versonnenes Lächeln. „Ja, ich erinnere mich. Das hat er immer gesagt.“ „Ranma-kun … es ist gut, dass dir nichts passiert ist.“ Unwillkürlich greift Sasuke nach seiner Hand. „Er... Ranma-kun, er wäre dir gefolgt!“ Ranma läuft ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Er versteht sofort, was Sasuke damit wirklich meint. Tatewaki, du Baka! „Er war nicht zufällig da, nicht wahr?“ spricht er schließlich jenen Verdacht aus, der ihn schon seit einer Weile beschlichen hat. „Er ist hat mir hinterher spioniert.“ „Er hat gemerkt, dass etwas mit dir nicht stimmt“, gibt Sasuke zu. „Er ist dir schon seit Wochen gefolgt, wollte sicher gehen, dass du heil nach Hause kommst.“ Ranma ballt die Fäuste. „Dieser Baka.“ Doch da schwingt ein leiser, überaus zärtlicher Unterton in seiner Stimme mit. Sasuke lächelt unwillkürlich. „Was?“ brummt Ranma barsch, dem das nicht verborgen bleibt. „Nichts“ grinst Sasuke nur und wendet sich wieder seinen Fallen zu. „Es ist alles in bester Ordnung.“ Ranma wirft ihm noch einen schiefen Blick zu, doch dann lächelt er wissend und betritt das Badezimmer.       Zurück im Zimmer, sitzt Ranma lange Zeit im Bett und betrachtet seinen schlafenden Freund. Sasukes Worte gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Zuerst hat er sich nur schuldig gefühlt, aber je länger er ihn betrachtet, desto enger wird es in seiner Brust. Es fühlt sich an, als würde eine eisige Klaue sein Herz langsam zerquetschen. Es dauert eine ganze Weile, bis er begreift, dass er Angst hat. Es versetzt ihn in eine beklemmende Furcht, dass Tatewaki ihn so sehr liebt, dass er sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen kann. Lieber Himmel, wenn er wirklich gesprungen wäre... mit zitternden Fingern fährt sich Ranma einmal quer durchs Gesicht. Das ist zu viel! Viel zu viel! Verzweifelt rauft er sich die Haare, während er spürt, wie sich seine Augen mit Tränen füllen. Was...? Was ist das? Wieso zum Henker fängt er jetzt an rumzuflennen? Verärgert wischt er sich über die Augen und zuckt fast zusammen, als er plötzlich eine warme, schwere Hand auf seinem Knie spürt. „Ranma?“ Noch nicht ganz wach, aber schon aufs höchste alarmiert, richtet sich Tatewaki auf. „Was ist los?“ „Du Baka!“ Wütend gibt Ranma ihm einen Faustschlag gegen die Schulter, der Tatewaki fast wieder umgeworfen hätte. Das geschieht nur deshalb nicht, weil Ranmas andere Hand ihn gleichzeitig am Kragen packt. „Du wärst mir in den Tod gefolgt!“ Tatewaki blinzelt verstört. Es dauert eine Weile, bis er begreift, worauf Ranma hinauswill. „Ja“, erwidert er dann schlicht. Ranma schluchzt auf und schüttelt ihn ein paar Mal halbherzig. „Baka! Baka! Baka...“ Mit jedem „Baka“ wird seine Stimme leiser und tränenerstickter und beim dritten hört er auf, ihn zu schütteln und senkt schniefend den Kopf. Vorsichtig zieht Tatewaki ihn in seine Arme. Aber Ranma wehrt sich nicht. Ganz im Gegenteil schmiegt er sich fest in diese Umarmung hinein und umklammert ihn dabei mit beiden Armen so fest, als wolle er ihn nie wieder loslassen. Tatewaki wartet ein paar Sekunden, während er ihm liebevoll über den Hinterkopf streicht, bis er glaubt, dass er sich wieder etwas beruhigt hat. „Und du?“, gibt er schließlich vorwurfsvoll zurück. „Wolltest du dich nicht umbringen, weil du mich liebst und nicht Akane? Du wärst gesprungen ohne vorher mit mir darüber zu reden, ohne in Erfahrung zu bringen, ob ich nicht doch genauso empfinde wie du? Wer ist hier der größere Baka?“ Ranma schnieft einmal und vergräbt sein Gesicht noch tiefer an Tatewakis Schulter. „Immer noch du“, kommt es stur zurückgenuschelt. Viel zu müde für einen Streit, verdreht Tatewaki nur die Augen, lächelt nachsichtig und drückt ihn noch enger an sich. Und so sitzen sie einige Minuten lang einfach nur auf dem Bett, gegenseitig in der Nähe des anderen badend, bis Ranma schließlich leise aufseufzt und Tatewaki etwas von sich schiebt, damit er ihm problemlos ins Gesicht sehen kann. „Können wir dieses Thema bitte nie wieder ansprechen?“ Dabei war er es doch, der davon angefangen hat! Aber Tatewaki verbeißt sich eine entsprechende Bemerkung und nickt nur zustimmend. Ranma mustert ihn eindringlich, aber dann wird der Glanz in seinen Augen zunehmend nachdenklicher, und er hebt die rechte Hand, um mit den Fingerspitzen sachte die verletzte Haut unter Tatewakis linkem Auge zu berühren. Aber er sagt nichts. Auch Tatewaki verzichtet auf überflüssige Worte, als er seine Hand in Ranmas Nacken legt und ihn derart zu einem liebevollen Kuß zu sich heranzieht.   Kapitel 10: Akane -----------------   10. Kapitel Akane   Als Ranma am nächsten Morgen aufwacht, weiß er zwar nicht, was ihn geweckt hat, aber er weiß, dass er unheimlich gut geschlafen hat. Er räkelt sich noch ganz traumbefangen und dabei berührt seine rechte Hand etwas, das sich ganz anders anfühlt als seine gewohnten Kissen. Es fühlt sich an wie... Haar? Er blinzelt verdutzt und in dem Moment, wo er den Kopf dreht, erinnert er sich wieder, wo er sich befindet. Seine Lippen kurven sich zu einem kleinen Lächeln, als er zärtlich eine Strähne Tatewakis dunkelbraunen Haares durch seine Finger gleiten lässt. So weich und fein... gestern hat er herausgefunden, dass er Tatewaki alleine dadurch zum Erschauern bringen kann, indem er ihm zärtlich durch die Haare fährt. Hm ...ob das Grund war, wieso er es nicht mochte, wenn man ihm die Frisur durcheinander brachte? Und sie dachten alle immer, er sei nur furchtbar eitel... Nachdenklich lässt Ranma seine Finger weiterwandern, ertastet unter diesem dichten, dunkelbraunen Haar Tatewakis Ohrmuschel und fährt sie sachte mit dem Zeigefinger nach. Tatewaki gibt einen leisen Brummton von sich und beginnt, sich zu regen. Hastig zieht Ranma seine Hand wieder zurück. „Mo'n“, nuschelt Tatewaki und blinzelt ihn verschlafen an. „Guten Morgen“, grüßt Ranma leise zurück. Und dann starren sie sich einfach nur versonnen in die Augen. Ein lautes Geräusch schreckt sie aus ihrer kleinen Wohlfühlblase. Es klingt, als wäre etwas sehr Schweres zu Bruch gegangen. Und dann weht ein Schrei zu ihnen herein. „Raaaaaanmaaaaaaa!“ Ranma zuckt regelrecht zusammen und sitzt sofort aufrecht im Bett. Er wird blaß, denn diese Stimme erkennt er jederzeit und überall. „Ranma! Komm heraus, du Feigling! Ich weiß, dass du hier bist!“ Wieder dieses krachende Geräusch, doch diesmal hört man auch Kodachi schreien: „Lass meine Blumen in Ruhe, du Furie! Und verschwinde aus meinem Haus!“ Es folgt weiterer Lärm und weitere Stimmen, doch diesmal zu undeutlich, um etwas zu verstehen. Entsetzt starren sich Ranma und Tatewaki an. „Was will Akane denn hier?“ bringt Ranma schließlich hervor. „Ich weiß es nicht“, erwidert Tatewaki verstört. „Die Sache ist eigentlich geklärt. Sie haben das Geld genommen und unterschrieben.“ Ein weiteres, langgezogenes „Raaaaanmaaaa“ veranlasst diesen, aus dem Bett zu springen und mit Höchstgeschwindigkeit seinen Jinbei gegen frische Unterwäsche, blaue Hose und Tangzhouan zu tauschen. Glücklicherweise hatte er sich die Sachen schon am Vorabend zurechtgelegt. Tendō Kasumis strenge Haushaltsführung hat bei ihm Früchte getragen. Tatewaki folgt ihm nur unwesentlich langsamer. „Können wir unbemerkt verschwinden?“ fragt Ranma atemlos, während er die letzten Knöpfe seines roten Oberteils schließt. Es ist ihm wirklich nur für einen winzigen Moment peinlich, dass er lieber an Flucht als an Angriff denkt, nämlich genau so lange, wie erneut ein unheilschwangeres „Raaaanmaaaa!!!“ heranweht. Tatewaki kämpft noch mit dem Gürtel seiner Jeans und greift mit der anderen Hand nach einem herumliegenden Sweater und will gerade antworten, da öffnet sich die Tür zu ihrem Zimmer und ein ziemlich aufgelöst wirkender Sasuke schiebt sich herein. „Sehr schön“, meint er, als er bemerkt, dass die beiden schon fertig angezogen sind, drückt ihnen ihre Straßenschuhe in die Hand und winkt ihnen dann, ihm zu folgen. Draußen auf dem Gang drückt er auf einen bestimmten Punkt an der Wand, worauf ein Teil der Vertäfelung geräuschlos zur Seite gleitet und den Blick auf einen Geheimgang freigibt. „Geht. Die junge Herrin und ich regeln das.“ Nicht nur Ranma starrt völlig überrascht auf das Loch in der Wand. „Ich wußte nicht, dass wir da einen Geheimgang haben.“ Tatewaki mustert seinen Hausdiener und Ninja mit gerunzelter Stirn vorwurfsvoll. Sasuke lächelt schief und macht eine eindeutig ungeduldige Geste. „Dieses Anwesen ist alt und hat viele Geheimnisse. Beeilt euch, bitte. Der Gang endet im alten Eiskeller. Dann müsst ihr noch durch die geheime Tür in der Mauer und seid draußen.“ Tatewaki mustert ihn streng und will gerade etwas sagen, doch da wird der Lärm wieder lauter und sie beeilen sich, erst in ihre Schuhe zu schlüpfen und dann in dem Gang hinter der Wand zu verschwinden. Es ist eng und dunkel, aber erstaunlich sauber. Sasuke scheint hier regelmäßig durchzuputzen. Aber dafür ist es so schmal, dass sie nur seitlich gehen können. Langsam tasten sie sich vorwärts. Die ersten zwanzig Meter bewegen sie sich dabei aufs Zentrum des Hauses zu, wodurch sie auch dem Tumult näher kommen und die Stimmen immer besser verstehen können. „Ich will ihn sprechen, Kodachi!“ Inzwischen hat sich Akane eindeutig heiser geschrien. Beim Klang dieser Stimme klopft Ranma das Herz plötzlich bis zum Hals – doch es hat nichts mit Liebe zu tun. „Er schuldet es mir, mir das gerade ins Gesicht zu sagen!“ Da hat sie irgendwie recht. Ranma kommt ins Stocken, doch da spürt er Tatewakis warme Hand an seiner und wird sanft weitergezogen. „Er schuldet dir gar nichts!“ faucht Kodachi so vehement zurück, dass es Ranma ganz warm ums Herz wird. Er wußte schon immer, dass Kodachi gefährlich sein kann, sogar gefährlicher als Akane und sie jetzt auf seiner Seite zu wissen, erfüllt ihn mit großer Erleichterung. Aber auch ein wenig Scham, dass er sich hier von einem Mädchen beschützen lassen muß. Wieder zögert er, und wieder zieht ihn Tatewaki mit sich. „Er schuldet niemandem etwas!“ zischt Kodachi da weiter. „Und laß die Finger von meiner Digitalis Purpurea!“ Oh, das bedeutet, sie müssen sich direkt in jenem Teil des Hauses befinden, den Kodachi zu ihrem Wintergarten erklärt hat. Ranma war noch nicht wirklich hier, aber er hat oft davon gehört. Sie besitzt auch ein Gewächshaus, das irgendwo in dem großen Garten stehen soll. Sie ist wohl wirklich eine kleine Kräuterhexe. „Ich will meinen Sohn sehen!“ hört Ranma mittendrin die nörgelnde Stimme seines Vaters und erstarrt fast ein drittes Mal. Tatewaki zieht ihn geduldig weiter. Da führen Stufen in die Tiefe, sie sind steil und eng und sie müssen sich jetzt genau darauf konzentrieren, wohin sie ihre Füße setzen, deshalb nehmen sie Saotome Genmas Wehklagen, in das kurz darauf auch Akanes Vater mit einfällt, nur noch mit halben Ohr wahr. Plötzlich befinden sie sich nicht mehr hinter der Wand, sondern direkt unter dem Fußboden. Der Durchgang ist so niedrig, dass sie sich nur noch kriechend fortbewegen können. „Bitte Saotome-San, Tendō-San“, hören sie da die vermittelnde Stimme Sasukes, laut und deutlich und direkt über ihnen, „beruhigen Sie sich doch. Ranma-kun ist nicht hier!“ „Was wollen all diese Leute in meinem Haus?“ wird der Ninja da vom Hausherrn übertönt. „Ohne Einladung hier hereinzuplatzen, das zeugt von sehr schlechten Manieren! Und du, Mädchen – wo ist deine Schuluniform?“ „Heute ist Sonntag, Herr Direktor. Da ist die Schule geschlossen“, erwidert Akane in einem Tonfall, der verrät, dass sie sich nur noch mühsam zurückhalten kann. Aber gegen ihren eigenen Schuldirektor wagt auch sie es nicht, ihre Stimme oder gar die Hand zu erheben. „Das ist kein Grund, so herumzulaufen und hier herum zu wüten. Sieh nur, was du mit den Blumen meiner Tochter gemacht hast! Du wurdest ganz schlecht erzogen, Mädchen. Wenn du dich weiter so benimmst, wird dich nie jemand heiraten wollen.“ Die Stimmen werden zwar leiser, je weiter sie sich von ihnen entfernen, aber Akanes wütender Aufschrei auf diese Worte hin ist garantiert noch kilometerweit zu hören.       Keine fünf Minuten später schlüpfen sie durch eine schmale Tür in der Mauer, die das Kunō-Anwesen auf dieser Seite umgibt und kämpfen sich durch etliche wilde Schlingpflanzen, die ihnen den Weg nach draußen versperren. Es ist noch früh am Morgen und die Luft ist dementsprechend frisch und kühl und hier in die schmale, selten benutzten Gasse zwischen dem Kunō-Anwesen und dem Nachbarhaus fällt kein einziger Sonnenstrahl. Fröstelnd reibt sich Ranma über die nackten Unterarme. Aber als Tatewaki ihm galant sein Sweatshirt anbieten will, erntet er nur einen zornigen Blick. „Schleichen wir uns wirklich davon?“ will Ranma mürrisch wissen und wirft einen Blick zurück. Es ist überraschend still, man hört kein Geschrei oder Gezeter und das beunruhigt ihn irgendwie. „Das nennt man strategischen Rückzug“, erwidert Tatewaki, während er ihm ein verirrtes Blatt aus dem Haar pflückt. Anders als Ranma scheint er sich gar keine Sorgen darüber zu machen, was da hinten in seinem Zuhause vorgeht, und das reizt Ranma nur noch mehr. Wütend funkelt er ihn an. „Ich renne nicht vor einem Kampf davon.“ Tatewaki seufzt einmal tief. Aber da Ranma keine Anstalten macht, zurück zu gehen, ist er erst einmal beruhigt. Doch Ranma ist hier nicht der einzige, der stinksauer ist. „Ich habe ihnen einen beträchtlichen Teil unseres Vermögens gegeben, um dich auszulösen.“ Er hätte ihnen auch alles in den Rachen geworfen, wenn es nötig gewesen wäre, das steht außer Frage, aber dafür hätte ihn Kodachi dann ihrem Krokodil zum Fraß vorgeworfen. Es ist schließlich nicht nur sein Vermögen, sondern auch ihres. „Akanes Mitgift ist jetzt so groß, da wird es ihnen keine Probleme mehr bereiten, jemanden zu finden, der sie heiratet, um ihre Kampfschule weiterzuführen. Oder sie überdenken ihre altmodischen Vorstellungen und lassen Akane die Kampfschule leiten, obwohl sie ein Mädchen ist. Sie können nicht einfach das Geld nehmen und dann einfach hier auftauchen.“ Wütend ballt er die Hände zu Fäusten. „Sie haben einen Vertrag unterschrieben, dass sie dich in Ruhe lassen, es sei denn, du erklärst ausdrücklich etwas anderes.“ Ranma wirft ihm einen wahren Todesblick zu. „Du denkst wirklich, mit Geld löst du alle Probleme, oder?“ Mit diesen Worten wirbelt er herum und stapft die Gasse hinunter Richtung Straße. Sekundenlang starrt Tatewaki ihm einfach nur verdutzt hinterher, dann beeilt er sich, ihn einzuholen. Er fasst ihn am Ellbogen und zwingt ihn dadurch, stehen zu bleiben. „Willst du behaupten, ihnen geht es um dein Wohl?“ stößt er dabei herausfordernd hervor. Ranma zögert und wirft einen langen Blick zurück. „Nein“, gibt er dann leise und bedrückt zu. Tatewaki holt einmal tief Luft, legt seine Finger unter Ranmas Kinn und zwingt ihm, ihm in die Augen zu sehen. „Ich werde nicht zulassen, dass sie dir zu nahe kommen. Keiner von uns wird das.“ Uns – damit meint er sich selbst, Kodachi und Sasuke. Ranma schluckt einmal schwer. Jetzt hat er erst recht ein schlechtes Gewissen. Erneut wandert sein Blick hinüber zum Kunō-Anwesen. Er holt einmal tief und seufzend Luft und richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf den Kunō-Erben vor sich. Vorsichtig, beinahe zaghaft, hebt er die rechte Hand und berührt sachte die Haut unter Tatewakis linkem Auge. Gestern noch leuchtend rot, hat sich die Stelle jetzt violett verfärbt. „Ich sollte das mit ihnen klären, niemand sonst.“ „Nicht jetzt“, bestimmt nimmt Tatewaki seine Hand und verschlingt ihre Finger miteinander. „Nicht heute.“ Sein Tonfall duldet keinen Widerspruch und Ranma weiß nicht, warum, aber er nickt zögernd. „Dann möchte ich aber zu Kuonji Ukyō gehen und mich bei ihr entschuldigen“, erklärt er trotzig. Auf diese Art begleicht er wenigstens eine andere Schuld, die ihm nicht weniger schwer auf der Seele liegt. Über Tatewakis Miene huscht ein undefinierbarer Ausdruck, nur für eine Sekunde, dann hat er sich wieder in der Gewalt, aber es ist schon zu spät: Ranma hat es bemerkt. Entsetzt reißt sich Ranma los, packt Tatewaki dafür an der Schulter und preßt ihn gegen die Mauer. „Hast du Ukyō etwa auch bezahlt?“ Hastig schüttelt Tatewaki den Kopf. „Nein. Ich weiß, dass du sie wirklich magst. Und sie mag dich. Doch ich gebe zu, dass ich wenigstens schon mal bei ihr vorfühlen wollte. Aber dafür hat die Zeit nicht gereicht. Ich war zu lange bei den Tendōs und... den Amazonen“, beendet er seinen Satz leise. Fassungslos schnappt Ranma nach Luft. „Du warst bei Shanpū? Du Baka!“ Seine Faust landet neben Tatewakis Kopf in der Mauer, hinterlässt ein großes Loch und unzählige Risse. „Shanpū und ihre Großmutter sind gefährlich! Die kannst du nicht einfach kaufen! Im Gegenteil! So ein Angebot ist für sie eine tödliche Beleidigung! Jetzt stehst du auf ihrer Todesliste! Du-“ „Ich habe ihnen kein Geld geboten“, unterbricht ihn Tatewaki mit ruhiger Stimme. „Ich habe nur einen Tee bei ihnen bestellt und dabei mit ihnen geredet.“ „Mit ihnen geredet...“, wiederholt Ranma entgeistert. „Wußtest du, dass es laut Amazonengesetz als unehrenhaft gilt, jemanden gegen seinen Willen zu heiraten?“ fährt Tatewaki unbeirrt fort. „Deshalb war es für Shanpū immer so wichtig, dich von ihren Vorzügen zu überzeugen, dich zu verführen.“ Er holt einmal tief Luft und sieht ihm eindringlich in die Augen. „Ich habe ihnen gesagt, dass sie gegen mich verloren haben, den Tee bezahlt und bin gegangen.“ „Und wann“, beginnt Ranma mit mühsam erzwungener Ruhe und jedes Wort einzeln betonend, „gedachtest du, mir das zu erzählen?“ Tatewaki ignoriert diese Frage einfach genauso, wie er früher immer Ranmas Verwandlung in Ranko vor seinen Augen ignoriert hat. „Ich habe dir versprochen, das zu regeln, oder nicht? Niemand wird dich zwingen, etwas zu tun, was du nicht willst. Ich habe nur klargestellt, dass Shanpū erst an mir vorbei muss, wenn sie etwas von dir will.“ Mit einem lauten Knurren läßt Ranma seine Faust ein weiteres Mal in die Mauer krachen. Noch mehr Putz brökelt herab. „Wenn du gegen sie kämpfst und verlierst, musst du sie nach Amazonengesetz heiraten. So war es bei mir. Hast du das etwa vergessen?“ „Ich habe nicht vor, gegen sie in einem Duell zu kämpfen. Und bei Notwehr gilt das nicht.“ Finster starrt Ranma ihn an. Er hat Recht, aber trotzdem wird der Drang, diesem Idioten die Tracht Prügel seines Lebens zu verabreichen, immer stärker - doch etwas hält ihn zurück. Es dauert eine Weile, bis Ranma begreift, woran das liegt: Tatewaki beschützt ihn, und das ist das allererste Mal in seinem Leben, dass jemand so etwas für Ranma tut ohne dafür etwas von ihm zu erwarten. Jenseits allen verletzten Stolzes – er ist stark, er kann gut selbst auf sich achtgeben! - ist es ein völlig neues, ungewohntes Gefühl, bei dem ihm ganz warm ums Herz wird. Wieder bleibt sein Blick auf Tatewakis Hämatom im Gesicht hängen, dann schnauft er einmal laut. Wortlos dreht er sich um und geht. Aber nach drei Schritten bleibt er stehen, wirft Tatewaki einen auffordernden Blick über die Schulter hinweg zu, und wartet, bis dieser zu ihm aufgeschlossen hat. Kapitel 11: Ukyō ---------------- 11. Kapitel Ukyō   Ihre Hoffnung, sich ungesehen vom Kunō-Anwesen entfernen zu können, erfüllt sich leider nicht. „Ranma!" Unter das Sirren von Fahrradspeichen und das Knirschen von Gummireifen auf sandigem Asphalt mischt sich eine wohlbekannte Stimme. Und dann ist die Sechzehnjährige auch schon heran und springt von ihrem Fahrrad in gewohnter Art und Weise fast in Ranmas Arme. Der fängt sie wie immer instinktiv auf und stellt sie dann wieder schnell auf ihre eigenen Füße. „Ucchan, was machst du denn hier?" Sie lacht verschmitzt und streicht sich eine lange, dunkelbraune Haarsträhne zurück hinters Ohr. „Ich bin Akane gefolgt. Ich dachte mir, ich kann dich trösten, nachdem sie dich zusammen gestaucht hat. Oder dir anbieten, dich bei mir zu verstecken, wenn du vor ihr auf der Flucht bist. Du weißt doch, ich bin immer für dich da.“ „Ah, danke“, meint Ranma und wirft einen zögernden Blick zu Tatewaki hinüber, der gerade damit beschäftigt ist, Ukyōs Fahrrad von der Straße aufzuklauben. Der Lenker ist verbogen und während Tatewaki den kleinen Schaden schnell wieder behebt, hat Ukyō nur Augen für Ranma. „Ich habe gehört, dass die Hochzeit abgesagt wurde? Würdest du-" „Ucchan, können wir in dein Restaurant gehen?“ unterbricht dieser sie hastig. „Wir haben noch nichts gegessen und deine speziellen Frühstücks-Okonomiyaki wären jetzt genau das Richtige." Erst jetzt scheint sie sich gewahr zu werden, dass er nicht alleine ist. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ihr Tatewaki ihr Fahrrad zurückgibt. Für einen klitzekleinen Moment wirkt sie sogar verlegen, wenn man das leichte Rotschimmern auf ihren Wangen richtig interpretiert, aber das ist schwer zu sagen, denn sie wirkt allgemein sehr erhitzt und aufgeregt. „Natürlich, Ran-chan." Ranma in Tatewakis Begleitung anzutreffen irritiert sie sichtlich, schmälert aber nicht ihre Begeisterung. „Und ich werde niemanden heiraten. Niemanden", stellt Ranma klar, während sie zügig die Straße hinuntergehen. Sein Tonfall ist so entschlossen, ja, schon fast unterkühlt, dass sie unwillkürlich ins Grübeln kommt. „Ich verstehe", meint sie schließlich zögernd und wirft dann einen kurzen Blick über die Schulter zurück zu Tatewaki, der einen knappen Meter hinter ihnen geht. Zwischen ihren schmalen Augenbrauen bildet sich eine nachdenkliche Falte.       Zehn Minuten später sitzt Tatewaki an einem der kleinen Tische vor Ukyōs Okonomiyaki Restaurant und wartet darauf, dass sein Freund sein Gespräch mit der Inhaberin beendet und wieder zu ihm herauskommt. Oder dass ihm das bestellte Frühstück gebracht wird. Wahrscheinlich wird es auf beides hinauslaufen. Obwohl es ihm zutiefst widerstrebt, Ranma mit einer seiner Verehrerinnen alleine zu lassen, gebieten ihm seine Manieren, den beiden ihre Privatsphäre zu lassen. Anders als Akane besitzt Ukyō nämlich eine gewisse Reife, schließlich leitet sie trotz ihres jungen Alters schon ein Restaurant, so klein und bescheiden es auch sein mag. Die warmen Sonnenstrahlen und die sonntägliche Ruhe genießend, lehnt sich Tatewaki etwas zurück und läßt seine Blicke schweifen. Eine kleine Bewegung auf der anderen Straßenseite erweckt seine Aufmerksamkeit. Auf einem Mauervorsprung sitzt eine zierliche, cremefarbene Siamkatze, die ihn aufmerksam beobachtet und neben ihr sitzt ein weißer Enterich - Shanpū und Mūsu in ihren tierischen Formen. Tatewakis Augenbrauen zucken kurz erstaunt in die Höhe, denn normalerweise sieht man diese beiden nicht so friedlich zusammen sitzen. Üblicherweise wird der Enterich von der Katze davongejagt und fängt sich dabei auch schon mal ein paar gemeine Krallenhiebe ein. Doch diesmal, als der Enterich der Katze mit seinem Schnabel etwas zu nahe kommt, leckt diese ihm nur kurz über die Wange, um gleich eine Sekunde später, als wäre ihr dieses Zärtlichkeit peinlich, Kopf und Blick wieder stur geradeaus zu wenden. Tatewaki verbeißt sich ein Schmunzeln und tut, als hätte er nichts bemerkt. Und während er mit der Speisekarte vor sich auf dem Tisch herumspielt, fragt er sich, wann das wohl passiert ist. Wann genau hat Shanpū den Avancen ihres Verehrers nachgegeben? Zugegebenermaßen ist Mūsu sehr tolpatschig, aber er hat das Herz am rechten Fleck. Außerdem ist er ein passabler Kämpfer, und darauf legen die Amazonen ja viel wert. Ist das der Grund, wieso die Amazonen ihn gestern so unbehelligt aus ihrem Café haben spazieren lassen? Weil Shanpū schon längst das Interesse an Ranma verloren hat? Das wäre natürlich eine glückliche Fügung. Wenn er Ranma von seiner Beobachtung eben erzählt, sollte das diesen auch wieder etwas beruhigen. Vielleicht ist er dann nicht mehr ganz so sauer auf ihn. Tatewaki wirft einen verstohlenen Blick auf die andere Straßenseite hinüber. Die beiden sitzen immer noch da und behalten ihn im Auge. Das macht ihn allmählich nervös, aber er beschließt, sich nicht provozieren zu lassen. Wenn die beiden etwas von ihm wollen, werden sie schon herüber kommen. Plötzlich öffnet sich die Tür und Ukyō tritt heraus, in der Hand einen Teller mit Okonomiyaki balancierend. Nur einen, und den stellt sie alles andere als sanft vor ihn auf den Tisch. Ihre Miene ist ernst, fast ein wenig grimmig. Ranma folgt ihr in einem Meter Abstand und setzt sich dann zu ihm. Tatewaki sieht erst auf den Teller, dann in Ukyōs Gesicht und schließlich in Ranmas. „Du hast es ihr erzählt", stellt er möglichst neutral fest. „Ja, das hat er“, antwortet Ukyō an Ranmas statt und verschränkt dabei die Arme vor der Brust. Ranma lächelt nur etwas verlegen. Tatewaki mustert sein Okonomiyaki argwöhnisch. „Muss ich mir Sorgen machen, ob das Essen vergiftet ist?" „Pah. Ich bin Geschäftsfrau." Ernsthaft beleidigt reckt Ukyō die Nase etwas mehr in die Höhe und funkelt ihn von oben herab an. Das hält sie ungefähr für zehn Sekunden durch, dann kurven sich ihre Lippen überraschend zu einem kleinen Lächeln. „Außerdem habe ich schon vor zwei Wochen eingesehen, dass Ranma nie mir gehören wird.“ Bei diesen Worten tauscht sie mit Ranma einen langen Blick. „Irgendwie“, fährt sie dann an Tatewaki gewandt fort, „bin ich froh, dass du es bist, dem sein Herz gehört. Gegen einen Jungen zu verlieren ist ...“, sie zögert kurz, sucht nach dem richtigen Wort, „... einfacher, denn mit einem Jungen kann ich nicht konkurrieren." Sie schenkt Tatewaki ein etwas schiefes Lächeln, doch nur kurz, dann wird ihre Miene wieder ernst. „Dennoch … laß dir nicht mehr Zeit als nötig fürs Essen und gib mir ja ein anständiges Trinkgeld.“ Mit diesen Worten verschwindet sie wieder im Inneren ihres kleinen Restaurants. Tatewaki sieht ihr noch einen Moment hinterher, dann betrachtet er sein Frühstück etwas genauer. Er hat nicht für einen Augenblick wirklich angenommen, dass es vergiftet sein könnte, er hatte das nur gesagt, weil es ihm in diesem Moment witzig erschien, und er muß zugeben: es sieht verdammt lecker aus. „Willst du etwas abhaben?“ fragt er Ranma, doch der lehnt ab. „Nein, danke, ich hab drinnen schon einen gegessen.“ Tatewaki nickt. Das hatte er sich schon gedacht. „Ich habe kein Geschrei gehört“, meint er, während er sich den ersten Bissen auf der Zunge zergehen läßt. „Und sie sah auch nicht aus, als hätte sie geweint.“ „Nein, sie hat es sehr ruhig aufgenommen. Als hätte sie etwas ähnliches schon geahnt.“ „Sie ist ein sehr kluges Mädchen. Und sie ist schon sehr erwachsen. Darüber hinaus noch verdammt hübsch. Ich kenne mindestens fünf Jungs aus meiner Klasse, die sie gerne um ein Date bitten würden. Und jeder davon wäre eine gute Partie.“ Er sieht, wie Ranma eine Grimasse zieht und verbeißt sich ein kleines Grinsen. Der Gedanke daran, dass seine Ucchan plötzlich ernst zu nehmende Verehrer haben könnte, ist für ihn wohl noch gewöhnungsbedürftig. Manchmal benimmt er sich ihr gegenüber wirklich wie ein großer Bruder. „Es ist auch viel besser, wenn ihr nur befreundet bleibt“, fährt Tatewaki versonnen fort. Er ist wirklich froh, dass die Sache so reibungslos ablief. „Von einer Freundschaft zu einer Liebesbeziehung ist es vielleicht nur ein kleiner Schritt, aber ein Zurück davon gibt es nicht.“ Ranma blinzelt überrascht. „Du bist nicht sauer, wenn ich mit Ucchan befreundet bleibe?“ Daraufhin verschluckt sich Tatewaki fast an seinem Frühstück. „Ranma - ich verbiete dir ganz bestimmt nicht deine Freunde!“ „Du bist nicht eifersüchtig? Nicht im Geringsten?“ Ranma klingt überrascht, verwirrt und sogar ein klein wenig enttäuscht. Für einen Moment ist Tatewaki versucht, in alte Gewohnheiten zurück zu fallen und das lachend abzustreiten, doch dann entscheidet er sich für die Wahrheit. „Natürlich bin ich eifersüchtig. Am liebsten hätte ich dich für mich ganz allein, aber das würde dich nur unglücklich machen. Und das ist das Letzte, was ich will.“ Gerührt greift Ranma nach seiner Hand und drückt sie. In seinen Augen schimmert es verdächtig feucht, und er muß ein paar Mal schlucken, bis er seine Stimme wiederfindet. „Tachi-“ ist dann doch alles, was er herausbringt, und es ist nicht mehr als ein schwaches Hauchen. Dieser lächelt nur wieder dieses gottverdammte, schöne Lächeln, drückt Ranmas Hand und widmet sich auffällig hastig dem letzten Rest seines Frühstücks. Ranma spürt, wie er wieder errötet und ist sich plötzlich nur allzu sehr der Tatsache bewußt, dass sie hier mitten auf der Straße sitzen und jeder sie sehen kann. Außerdem halten sie immer noch Händchen. Vor Verlegenheit weiß er gar nicht, wohin er blicken soll, und so landet sein Augenmerk schließlich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Zum allerersten Mal bemerkt er die Katze und die Ente, die dort auf einer Mauer sitzen und zu ihnen hinüber starren. Aber bevor er irgendwie darauf reagieren kann, reckt und streckt sich die Katze genüßlich, dreht sich um und spaziert dann mit hochaufgerichteten Schwanz davon, dicht gefolgt von dem weißen Enterich. Das ganze wirkt so friedlich, dass sich Ranma ernsthaft fragt, ob er seinen Augen noch trauen kann.   Kapitel 12: Shanpū ------------------ 12. Kapitel Shanpū   „Ranma...“ „Nein“, erklärt dieser unbeirrt, „ich will das jetzt klären.“ Mit diesen Worten wirft er noch einen scharfen Blick über seine Schulter zurück zu dem hinter ihm stehenden Tatewaki, bevor er entschlossen den Klingelknopf zum Cat Café drückt. Tatewaki seufzt nur einmal tonlos auf. Er hat keine Ahnung, woher dieser Tatendrang auf einmal kommt, aber er vermutet, es liegt ganz einfach daran, dass sie der Konfrontation mit Akane ausgewichen sind. Diesen Kratzer in seinem Stolz musste sein kleiner Dickkopf wohl erst mit einem Gespräch mit Ukyō und jetzt mit einem mit Shanpū ausgleichen. Und das, obwohl er ihm vor einer halben Stunde erst fast den Kopf abgerissen hätte, weil er es gewagt hatte, gestern mit den Amazonen zu reden. Aber gut, sei es, wie es sei - wenn es Ranma glücklich macht, dann soll es ihm recht sein. Keine fünf Sekunden nachdem Ranma geklingelt hat, sieht man Bewegung hinter der Glasscheibe in der Tür, gefolgt von einem Klicken des Schlosses und dann steht die chinesische Amazone vor ihnen. Wie immer sieht sie in ihrer traditionell chinesischen Kleidung einfach nur bezaubernd aus. Ihr langes, glänzendes Haar trägt sie ausnahmsweise mal zu einem chinesischen Dutt hochgesteckt und das läßt sie älter wirken als ihre sechzehn Jahre. „Oh, Ranma. Kunō-kun“, begrüßt sie sie freundlich, aber zugleich auch ungewohnt zurückhaltend. „Wir haben noch geschlossen.“ Anstatt sie hinein zu bitten, stellt sie sich nur mit einem nichtssagenden Lächeln auf die Türschwelle. „Ja, ich weiß“, beginnt Ranma. Lange Erfahrung mit der streitlustigen Amazone hat ihn gelehrt, die richtige Mischung aus Respekt und Vorsicht in seine Stimme zu legen ohne gleich unterwürfig zu klingen. „Ich möchte auch nur mit dir reden.“ Ihr Lächeln wird um eine winzige Spur herzlicher, als sie zu ihnen heraustritt und dabei die Tür hinter sich ins Schloß zieht. „Seid mir nicht böse, dass ich euch nicht hereinbitte. Großmutter schläft noch.“ „Ist in Ordnung. Es dauert auch nicht lange.“ Ranma zögert plötzlich, während er gleichzeitig nach den richtigen Worten sucht, um sein Anliegen vorzubringen. Das hier ist viel schwieriger als bei Ukyō, weil zwischen ihm und Shanpū keine Vertrauensbasis besteht. Bei Shanpū geht es immer nur ums Kämpfen. Ihr ganzes Leben wird von diesen Amazonen-Regeln bestimmt und Ranma kann zwar mit ihr kämpfen, hat sie sowohl als Ranko wie auch als Ranma immer besiegt, aber er weiß nicht, wie man mit ihr normal redet. Sie nimmt ihm die Entscheidung schließlich ab. „Kommst du, um dich zu entschuldigen?“ will sie plötzlich von ihm wissen. „Entschuldigen? Wofür?“ platzt es aus ihm entgeistert hervor, bevor er sich zurückhalten kann. In ihre Augen tritt ein kleines Funkeln und um ihre Lippen zuckt so etwas wie ein Lächeln. „Ich habe viel Zeit damit verschwendet, Pläne zu schmieden, wie ich deine Hochzeit mit Akane verhindern kann. Und gestern erfahre ich, dass diese Hochzeit gar nicht stattfindet. Und dann“, ihr Blick bohrt sich in Tatewaki hinter Ranma, „behauptet Kunō auch noch, dass du ihm gehörst.“ „So habe ich das aber nicht gesagt“, murmelt Tatewaki protestierend, doch er wird von Ranma übertönt. „Ja“, erklärt dieser nämlich gerade, „damit hat er völlig recht.“ Es dauert eine Weile, bis ihm klar wird, was genau er da eben gesagt hat, aber das hindert ihn nicht, die Nase noch um einen Zentimeter höher in die Luft zu recken und Shanpū herausfordernd anzustarren. Sie entgegnet seinen Blick völlig unbeeindruckt und meint dann plötzlich: „Gut.“ „Gut?“ wiederholt er perplex. „Ja“, nickt sie und bei ihren nächsten Worten versteht er, was sich hinter ihrem Lächeln verbirgt: Bosheit. „Wenn du in diese Richtung gehst, bist du als Ehemann für eine achtbare Amazone wie mich sowieso ungeeignet. Für deine Ehrlosigkeit sollte ich dich umbringen, aber ich verzichte darauf, weil ich schon längst einen vollwertigen Ersatz für dich gefunden habe.“ Ihr harten, verächtlichen Worte treffen Ranma nur teilweise. „Mūsu? Du meinst Mūsu?“ „Ja, Mūsu“, bestätigt sie. „Er hat mich letzte Woche im Kampf geschlagen. Er hat dafür hart trainiert und sich meine Aufmerksamkeit redlich verdient.“ „Mūsu? Hast du ihn nicht eher gewin-“ Ranma kommt nie dazu, diesen Satz zu beenden, weil ihm Tatewaki hastig den Mund zuhält. „Pst, Ranma“, zischt er dabei leise und meint, höflich an Shanpū gewandt: „Entschuldige die Störung, Shanpū. Wir müssen jetzt leider gehen. Wir wünschen dir noch einen schönen Sonntag. Sayonara.“ Mit diesen Worten zieht er Ranma mit sich fort. Shanpūs belustigtes „Zàijiàn“ hören sie schon gar nicht mehr.       „Mūsu? Ein vollwertiger Ersatz? dass ich nicht lache.“ Grummelnd kickt Ranma einen herumliegenden Kieselstein über den Gehweg und reibt sich dann über die Lippen. Sein Mund prickelt, dort, wo ihn Tatewakis Hand berührt hat. Er hätte ihn beißen sollen! „Sei doch froh, dass sich alles so zum Guten gewendet hat“, gibt Tatewaki neben ihm zurück. Sie schlendern durch die eher wenig frequentierten Gassen Nerimas, weil keiner von ihnen Lust auf eine weitere unliebsame Begegnung hat, aber ihre generelle Richtung führt sie wieder zurück zum Kunō-Anwesen. „Ja, aber Mūsu?“ Ranma kann es immer noch nicht fassen. „Den schlage ich doch mit links und auf einem Bein hüpfend.“ „Willst du sie vielleicht doch heiraten? Dann geh los und kämpfe gegen sie. Wieder einmal“, fügt Tatewaki leise, aber mit deutlicher Bitterkeit hinzu. „Ich will sie nicht heiraten. Ich will keines dieser Mädchen heiraten!“ Ein weiterer Kieselstein klackert quer über die Straße davon. Tatewaki schnaubt einmal laut. Er hebt die Hand, um Ranma am Ellbogen zurückzuhalten, zieht sie aber auf halben Wege wieder zurück und atmet stattdessen nur einmal tief durch. „Dann vergiß mal ausnahmsweise deinen Stolz“, erwidert er betont ruhig. „Du musst niemandem etwas beweisen. Ganz Nerima weiß, dass du der hiesige Champion bist. Vergiß Mūsu. Vergiß Shanpū. Sei einfach froh, dass du sie so einfach losgeworden bist.“ Mitten im Schritt wirbelt Ranma zu ihm herum und packt ihn am Kragen seines Sweaters. „Hast du das gewußt, das von Shanpū und Mūsu? Bist du deshalb gestern so unerschrocken zu ihnen gegangen? Weil du wußtest, dass du nichts zu befürchten hast?“ Er schnauft einmal schwer und läßt ihn genauso plötzlich los, wie er ihn gepackt hatte. „Und ich hatte Angst um dich!“ Er schafft es meisterhaft, das sowohl vorwurfsvoll wie auch verächtlich klingen zu lassen. „Woher sollte ich das wissen?“ Aufgebracht gibt Tatewaki ihm einen Stoß gegen die Schulter, der Ranma verblüfft einen Schritt zurückstolpern läßt. „Ich hatte die letzten Wochen keine Zeit für irgend etwas anderes, weil ich dir auf Schritt und Tritt gefolgt bin.“ Zwei weitere Stöße und zwei kleine Schritte rückwärts. „Weil ich mir Sorgen um dich machte! Und glaubst du im Ernst, ich hätte dir das nicht gesagt, wenn ich das gewußt hätte?“ „Das weiß ich nicht!“ kommt es zurück geknurrt. Ranmas flache rechte Hand landet mitten auf Tatewakis Brust und schiebt diesen rückwärts gegen den nächstbesten Straßenbaum. „Du hast bisher ja auch nicht viel erzählt!“ Da hat er Recht. Betroffen beißt sich Tatewaki auf die Zunge. Aber sich deswegen zu entschuldigen bringt er nun doch noch nicht über sich. Und so senkt er nur betreten den Blick. Bei diesem Anblick verpufft Ranmas Wut sofort und macht seinen eigenen Schuldgefühlen Platz. Tatewaki kann schließlich nichts dafür – es ist Ranma, der dieses ganze Päckchen an Problemen mit sich herumschleppt. Tatewaki versucht nur, ihm zu helfen. Ächzend läßt sich Ranma schwer gegen ihn sinken und vergräbt sein Gesicht an Tatewakis Schulter. „Baka“, seufzt er dabei. „Gomen“, entschuldigt sich Tatewaki daraufhin leise, während er zögernd seine Arme um ihn legt und ihn dann vorsichtig an sich drückt. Eine ganze Weile bleiben sie so stehen, bis sie das Bellen eines Hundes von einem der Grundstücke aus ihrer kleinen Wohlfühlblase holt. Ranma seufzt einmal leise auf und tritt, sichtbar widerwillig, einen halben Schritt zurück. „Sogar mit dir zu streiten ist anders“, murmelt er, während er nachdenklich Tatewakis Sweater glattstreicht. Er wagt es kaum, ihm ins Gesicht zu sehen, denn schon diese kurze Umarmung hat genügt, um sein Herz wieder Purzelbäume schlagen zu lassen. Bevor Tatewaki eine entsprechende Frage stellen kann, redet Ranma schon weiter. „Du hörst mir zu, wenn ich etwas sage. Auch wenn ich dich anbrülle. Das bin ich nicht gewohnt.“ Um seine Lippen zuckt ein schüchternes Lächeln, als er es dann doch wagt, den Blick zu heben und seinem Freund offen ins Gesicht zu sehen. Das heftige Herzklopfen nimmt er dafür gern in Kauf. Es ist eine merkwürdige Form der Entschuldigung, aber Tatewaki hat gar keine erwartet. Schließlich kennt er doch Ranmas aufbrausendes Temperament zur Genüge und diesmal hatte er mit seinen Vorwürfen ja auch recht. „Ich habe eine streitlustige, egozentrische Schwester und einen unzuverlässigen Vater, der seine Rolle als Familienoberhaupt nicht ernst nimmt. Dazu noch einen Ninja als Hausdiener, der ensibler sein kann als wir alle zusammen. Ich schätze, da lernt man sowas einfach“, erwidert Tatewaki mit einem Schulterzucken. „Außerdem kommen wir nie weiter, wenn wir ständig aneinander vorbei reden. Ich finde, das haben wir lange genug gemacht.“ „Weiterkommen?“ wiederholt Ranma in einem seltsam schnurrenden Tonfall, den er sonst nur in seinem weiblichen Alter Ego anwendet. Er ist sich dessen nicht einmal bewußt, aber auch seine Miene und vor allem die Art, wie er sich Tatewaki entgegenlehnt, erinnern stark an Ranko. Tatewaki wäre wirklich ein Baka, wenn er diese Gelegenheit nicht am Schopfe packen würde. „Weiterkommen“, bestätigt er daher und kommt seinem Freund entgegen, um ihn in den provozierten, süßen Kuß zu verwickeln.     Kapitel 13: Gewitterziegen -------------------------- 13. Kapitel Gewitterziegen   Ranma bekommt nie genug von diesen Küssen, wenn sie einmal damit angefangen haben. All sein Ärger samt sämtlicher Sorgen – vergangene und aktuelle – wird von diesem süchtig machenden Geschmack davon gespült. Die Art, wie ihn Tatewakis Arme dabei halten, wie er ihn an sich preßt – nicht zu sanft, aber auch nicht zu wild, sondern gerade richtig - das lässt ihn sich sicher und behütet fühlen. Und er behält jederzeit die Kontrolle. Er weiß aus Erfahrung, dass Tatewaki auf jedes noch so kleine Signal von ihm achtet und ihn sofort gehen lässt, sollte er es wollen. Und vielleicht will Ranma gerade deswegen nicht und schmiegt sich nur leise seufzend noch fester in diese Umarmung, in diesen Kuss hinein. Und es ist ihm gerade total egal, wie sehr ihn das erregt und dass sie hier in aller Öffentlichkeit auf der Straße stehen. Es ist ihm egal, was die Nachbarn dazu sagen mögen. Oder ob man sie erkennt. Es ist ihm auch egal, dass so etwas in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen wird. Es ist sein Leben, verdammt nochmal, und hier und jetzt will er das genießen. Und wenn Tatewaki Angst um seinen Ruf hätte, hätte er diesen Kuss gar nicht erst initiiert. Er ist so sehr in seiner kleinen Wohlfühlblase gefangen, dass er die Gefahr nicht spürt, die sich ihnen nähert. Tatewaki bemerkt sie, aber leider auch viel zu spät. Er löst den Kuß und ihm gelingt mit Ranma in seinen Armen gerade mal eine halbe Drehung, doch es ist schon zu spät. Mit einem lauten Platsch ergießt sich ein eisiger Wasserschwall über sie. Ranma spürt, wie er um einen halben Kopf schrumpft, ihm Brüste wachsen und noch allerlei andere weibliche Kurven dazukommen, während seine Männlichkeit verschwindet. Aber die Erregung bleibt. Ein heißes, angenehmes Gefühl tief in seinem Inneren. Und er spürt immer noch Tatewakis Arme um sich, auch, wenn sie durch seine veränderte Größe jetzt an anderen Stellen seines Körpers liegen. Was... wer... verdutzt wischt sich Ranma das Wasser aus dem Gesicht. Wie kommen die nur immer an kaltes Wasser? Tragen die es immer bei sich? Widerwillig dreht er den Kopf, um zu sehen, wem er das hier zu verdanken hat. Und krallt sich dann unwillkürlich fester in Tatewakis Sweater. „So. Schon besser.“ Zufrieden grinsend wirft Tendō Nabiki den Gartenschlauch wieder zurück in den Garten, aus dem sie ihn offensichtlich entwendet hatte. Neben ihr steht ihre Schwester Akane, und ihr Gesichtsausdruck verheißt nichts Gutes. Tatewaki wirft den beiden nur einen kurzen, zornigen Blick zu, dann stellt er sich so, dass er zwischen ihnen und dem inzwischen vor Kälte zitternden Ranma steht. „Schnell, zieh dein Oberteil aus und das hier drüber.“ Mit diesen Worten schlüpft er aus seinem Sweater und reicht ihn ihm. Ranma gehorcht rein automatisch und mit Tatewakis tatkräftiger Unterstützung fühlt er sich schnell weniger nass und klamm. Zum Glück hat die Hose weniger abbekommen, weil alle bei solchen Aktionen immer nur auf Ranmas Kopf zielen. Und Tatewakis Sweatshirt hat zwar auch einige Tropfen abbekommen, aber es ist weich und noch warm von seinem Körper. Es riecht sogar nach ihm. Unwillkürlich kuschelt sich Ranma fester in diesen schönen Stoff hinein. Er hebt den Kopf und dann noch ein wenig höher, weil er Tatewaki jetzt nur noch bis zur Brust reicht und bedankt sich bei ihm mit einem Lächeln. Dieser hält das tropfendes Oberteil in der linken Hand und mit der anderen streicht er ihm ein paar tropfnasse rote Haarsträhnen aus dem Gesicht. Da er direkt vor ihm steht und dadurch die Sicht auf die Tendō-Schwestern verdeckt, hätte Ranma sie für einen Augenblick fast vergessen. Jedenfalls so lange, bis sich Nabiki lautstark wieder in Erinnerung bringt. „Du nimmst wohl jede Gelegenheit wahr, um ihr an die Titten zu gehen?“ „Ach, und wem haben wir das zu verdanken?“ zischt Tatewaki aufgebracht zurück und mustert sie voller Verachtung. „Wie kindisch bist du überhaupt?“ „Und mir macht es gar nichts aus, wenn er mir an die Titten geht. Er darf das. Er darf noch viel, viel mehr.“ Mit diesen Worten streckt Ranma ihr die Zunge heraus, während er gleichzeitig beide Arme um seinen Freund schlingt, um seinen Standpunkt für alle ganz deutlich zu machen. Nabiki grinst nur noch breiter, als sie vielsagend ihren Fotoapparat hervorzieht. Während sie mit den Worten „die verkaufe ich an die Schülerzeitung“ die ersten Bilder knipst, hat Akane ihre Sprache wiedergefunden. „Schämst du dich nicht?“ herrscht sie ihren ex-Verlobten hochrot im Gesicht und die Hände auf Hüfthöhe zu Fäusten geballt, an. „Er hat für dich bezahlt, das ist dir schon klar, oder?“ „Ihr habt das Geld doch nur zu gerne angenommen“, kontert Tatewaki sofort zurück, doch sie achtet nicht auf ihn. Ihre ganze Aufmerksamkeit gehört dem rothaarigen Mädchen, das eigentlich ihr Verlobter sein sollte. Der Anblick, wie selbstverständlich sie Tatewakis Sweater trägt und die Vertrautheit, mit der sie sich an ihn schmiegt, macht Akane nur noch wütender. Sie konnte Ranmas weibliches Ich noch niemals leiden, ihrem Empfinden nach, nutzte sie ihre weiblichen Vorzüge immer viel zu sehr aus. „Du schuldest mir mehr als das! Du treuloser Bastard! Nie kannst du dich deiner Verantwortung stellen! Nicht einmal jetzt. Stattdessen schickst du Kunō vor, damit er mit seinem Scheckbuch wedelt und dich von deinen Verpflichtungen freikauft! Und als Dank wirfst du dich ihm an den Hals! Du … du Flittchen!“ Ranma hat Tatewakis Seite verlassen und unwillkürlich Abwehrhaltung eingenommen. Bereit, sich mit den Fäusten zu verteidigen, sollte es notwendig werden. „Na, dir werfe ich mich ganz bestimmt nicht an den Hals!“ schleudert er Akane entgegen. „Ich wollte dich nie heiraten! Nie! Ein Mannweib wie du ist gar nicht mein Typ! Und lieber bin ich Tatewakis Flittchen als dein Ehemann!“ Akane schnappt sichtbar nach Luft, und nur Nabikis Hand an ihrem Ellbogen scheint sie davon abzuhalten, sich auf ihn zu stürzen. „Er steht nicht auf dich, Kunō“, wendet sich Nabiki jetzt direkt an Tatewaki, während sich ihr Griff um Akane sichtbar festigt. Sie hat eindeutig Mühe, sie zurück zu halten. „Er nutzt dich nur aus. Sei nicht so dumm und falle darauf herein. Er will sich nur durchfressen wie immer.“ Daraufhin gibt Ranma nur ein abfälliges Schnauben von sich, beruhigt sich jedoch, als Tatewaki sich wieder direkt neben ihm stellt und ihm sanft mit einer Hand über den Nacken streichelt. „Was willst du noch?“ will Tatewaki dabei von Akane wissen. Seine Stimme und Miene sind völlig ruhig, nüchtern und absolut sachlich, ein auffälliger Kontrast zu allen anderen hier. Doch darunter liegt eine stählerne Härte, wie man es von ihm nicht gewohnt ist. „Ihr habt einen Vertrag unterschrieben.“ „Du kommst einfach zu uns und bietest uns ein Vermögen für diesen Nichtsnutz!“ Entschlossen schüttelt Akane ihre Schwester ab. Doch sein ungewohntes Benehmen verunsichert sie, so dass sie es nicht wagt, sich auf ihn zu stürzen. Dafür schraubt sich ihre Stimme derart in die Höhe, dass es ein Wunder ist, dass keine Schaulustigen herbeiströmen. „Natürlich sagen unsere Väter da zu! Du weißt um die Probleme mit der Kampfschule und hast das ganz hinterhältig ausgenutzt! Du konntest nie bei irgend jemanden landen und kaufst dir jetzt einfach dieses Flittchen! Das ist ja so schäbig! Du bist schäbig!“ „Besser als einem Minderjährigen eine Hochzeit aufzuzwingen“, kommt es wieder so unheimlich ruhig zurück. „Wieso spielst du das überhaupt mit? Vor einem halben Jahr warst du selbst noch vehement gegen diese Hochzeit! Willst du wirklich jemanden heiraten, der dich nicht liebt?“ „Das hat etwas mit Verantwortung und Pflichtbewußtsein zu tun! Aber davon versteht ihr nichts!“ Vor Zorn am ganzen Körper bebend, holt Akane mit dem rechten Arm aus, doch der Schlag bleibt nur angedeutet, denn sie erstarrt regelrecht, als Tatewaki plötzlich einen Schritt nach vorne macht, und dadurch ganz offensiv in ihre Reichweite hineintritt. Das hat sie nicht erwartet. Und dann beugt er sich zu ihr herunter, bis sie auf gleicher Augenhöhe sind. Unwillkürlich läßt sie ihre Hand wieder sinken und weicht einen winzigen Schritt zurück. Obwohl sie ihn seit Jahren kennt, ist ihr noch niemals aufgefallen, wie groß und imposant er wirklich ist. „Und wo bleibt deine Verantwortung dir selbst gegenüber? Willst du wirklich den Rest deines Lebens mit jemanden verbringen, der dich nicht liebt?“ „Ich-“ beginnt sie, doch da tritt er schon wieder aus ihrer Wohlfühlzone heraus. In seiner Miene liegt etwas, was sie in Verbindung mit sich selbst noch niemals bei ihm gesehen hat: Tiefste Verachtung. „Und was ist mit euer Verantwortung gegenüber Ranma? Wieso hat niemand von euch bemerkt, wie schlecht es ihm mit dieser geplanten Hochzeit ging? Wieso hat es euch nie gekümmert, was er fühlt, was er will? Bei mir hat er wenigstens die freie Wahl. Ich zwinge ihn zu nichts. Ich zwinge ihn auch nicht mit hinterhältigen Wasserattacken, sich in Ranko zu verwandeln, nur, weil es mir Spaß macht, ihn zu demütigen. Weißt du auch nur annähernd, was das für ein Gefühl ist, nicht Herr über seinen eigenen Körper zu sein? Wenn jene, denen du vertraut hast, dir etwas aufzwingen, weil du dich nicht gegen sie wehren kannst? Wenn sie mit deinen Ängsten spielen, nur, weil sie es können?“ Nicht nur Akane und Nabiki starren ihn nach diesem Ausbruch völlig sprachlos an. Auch Ranma hat es kurz die Sprache verschlagen, wenn auch aus anderen Gründen – anders als die beiden hat er den klugen, furchtbar erwachsenen Kunō Tatewaki ja schon kennen gelernt. Aber bevor er etwas sagen kann, legt ihm sein erstaunlicher, immer wieder für Überraschungen guter Freund schon fürsorglich seinen Arm um seine Schultern und führt ihn weg von den Tendō-Schwestern. „Komm, wir müssen nach Hause, bevor du dich erkältest.“ Das ist ein Vorschlag, dem Ranma nur zu gerne befolgt. Es gelingt ihm sogar, sich nicht ein einziges Mal umzudrehen, bis sie zwanzig Meter weiter hinter einer Straßenecke verschwinden können. Die ganze Zeit hält er den Blick starr geradeaus und konzentriert sich einzig und allein auf Tatewakis Nähe. Seine Gedanken aber rasen. „Tachi?“ fragt er schließlich schüchtern, als er sie außer Hör- und Sichtweite weiß und wirft ihm dabei einen vorsichtigen Blick zu. „Das, was du da eben gesagt hast... was ist dir...“ Er wagt es nicht, den Satz zu beenden. Er will es nicht hören, wirklich nicht, aber er muß es wissen. „Mein Vater hat fragwürdige Erziehungsmethoden“, ist die ausweichende Antwort. Tatewaki lächelt schief und festigt seinen Griff um seine Schultern, drückt ihn einmal kurz an sich. „Es war schlimmer, als ich jünger war. Und Kodachi hat er glücklicherweise immer in Ruhe gelassen.“ Ranma nickt nur beklommen, denkt unwillkürlich an vorletzte Nacht zurück und drückt sich im Laufen etwas enger an seine Seite. Im Stillen erneuert er seinen Schwur, dass dieser alte Verrückte seinen Zorn zu spüren bekommt, sollte er es je wieder wagen, seinem Tachi zu nahe zu kommen.       „Ran-chan.“ Von der anderen Straßenseite eilt ihnen plötzlich eine junge Frau entgegen. „Ran-chan“, wiederholt sie, als sie vor ihnen steht und dann, mit ihrem üblichen Lächeln, an Tatewaki gewandt: „Kunō-kun. Guten Morgen. Ich suche meine Schwestern, seid ihr ihnen irgendwo begegnet?“ „Guten Morgen, Senpai“, erwidert Tatewaki genauso höflich und deutet dann mit dem Daumen über seine Schulter nach hinten. „Dort. Um die Ecke.“ „Danke.“ Kasumi, die älteste der Tendō-Schwestern deutet eine kleine Verbeugung an. „Ich bitte um Entschuldigung. Ich komme wohl zu spät, um sie zur Vernunft zu bringen.“ Mit diesen Worten kramt sie eine Thermoskanne aus ihrer Umhängetasche hervor, öffnet sie und gießt dem rothaarigen Mädchen vor sich den heißen Inhalt über den Kopf. Hustend und spuckend verwandelt sich Ranma in einen Jungen zurück. Tatewaki hilft ihm mit dem immer noch feuchten Thangzhuang, sich das Gesicht zu trocknen und nimmt dabei auch die Ärmel seines T-Shirts zu Hilfe. Dabei wirft er Kasumi wahrhaftige Todesblicke zu, die diese einfach ignoriert. „Willst du es dir nicht doch noch einmal überlegen, Ran-chan?“ fragt sie, während sie ihre Thermoskanne wieder verstaut. „Wir sind alle etwas gestresst wegen der geplanten Hochzeit gewesen und wir können den Termin ja auch gerne verschieben. Du und Akane braucht vielleicht noch etwas mehr Zeit, ihr seid ja noch sehr jung. Aber wegen so ein paar Differenzen, die es immer mal wieder gibt, musst du doch nicht gleich alles absagen. Wenn du und Akane einfach mal in Ruhe miteinander redet, renkt sich das bestimmt wieder ein.“ „Kasumi...“ beginnt Ranma, doch da redet sie schon weiter. „Kunō-kun, wir sind dir sehr dankbar für das Geld und dass du Ranma Unterschlupf gewährst, aber sein Zuhause ist bei uns.“ „Senpai“, erklärt Tatewaki wieder ausgesucht höflich, „ich weiß nicht, was sie dir erzählt haben. Du warst gestern unterwegs, als ich mit deinem Vater, deinen Schwestern und Ranmas Vater einen Vertrag geschlossen habe. Ich habe euch fürstlich dafür bezahlt, dass ihr Ranma aus euren Hochzeitsplänen entlasst. Zeigt jetzt bitte endlich Würde und akzeptiert das.“ Kasumis überraschte Miene spricht Bände. „Einen Vertrag?“ wiederholt sie in einem Tonfall, der beweist, dass sie tatsächlich nichts von den genaueren Umständen wußte. Einen Augenblick lang starrt sie nur perplex von einem zum anderen, dann schlägt sie plötzlich entsetzt die Hand vor den Mund. „Das bedeutet dann doch... du hast Ranma... gekauft? - Ran-chan? Und das ist für dich in Ordnung?“ Ranma wechselt einen schnellen Blick mit Tatewaki und nickt dann. „Kasumi, bitte versteh doch: ich kann Akane nicht heiraten. Ich l-“, er hat wirklich Probleme damit, dieses Wort in der Öffentlichkeit auszusprechen. „Mag sie nicht so sehr, dass es für eine Hochzeit reicht. Ich mag...“ Er zögert, errötet und wirft dem Siebzehnjährigen neben sich einen eindeutigen Blick zu. Kasumi benötigt einen etwas längeren Moment, um das zu verstehen, dann wandert ihr Blick zu Tatewakis Hand auf Ranmas Schulter und sie registriert die Art, wie sich Ranma vertrauensvoll in diese Berührung hineinlehnt und schließlich kurven sich ihre Lippen zu einem verständnisvollen Lächeln. „Oh. So ist das.“ Dann wird ihre Miene wieder ernst und sie verbeugt sich abermals. „Ich entschuldige mich für den Ärger, den euch meine Familie gemacht hat. Ich verspreche euch, dass das nie wieder geschehen wird.“ Sie nickt ihnen noch ein letztes Mal zum Abschied zu, bevor sie an ihnen vorbei eilt. „Akane! Nabiki!“ Ihr Tonfall verheißt nichts Gutes für ihre jüngeren Schwestern.   Kapitel 14: Zuhause ------------------- 14. Kapitel Zuhause   Ranma verbeugt sich etwas tiefer, als es dem Anlass angemessen wäre, um Kodachi zu zeigen, wie ernst es ihm ist. „Ich entschuldige mich für den Ärger, den dir die Tendōs und mein Vater wegen mir gemacht haben. Und ich hoffe, du nimmst das hier als Wiedergutmachung an.“ So tadellos höflich und formell hat man Ranma noch nie erlebt. Sasuke, der gerade die letzten Scherben handgefertigter Blumenübertöpfe zusammenkehrt, stützt sich schmunzelnd auf seinem Besen ab und beobachtet zunehmend amüsierter, wie seine junge Herrin auf das überraschende Geschenk ihres Gastes reagiert. Er ist sich sicher, dass Ranma keine Ahnung von Heilpflanzen hat und den Xiancao auf Tatewakis Anraten hin wählte. Natürlich zieht Tatewaki es vor, als Ersatz für die Giftpflanzen eine Gesundheitspflanze wie den Xiancao, die Pflanze der Unsterblichkeit, zu kaufen. Und Sasuke kennt nur eine Gärtnerei hier in der Nähe, die am Sonntagvormittag geöffnet hat, und die verlangt Wucherpreise. Kein Problem für einen reichen Kunō-Erben, aber so, wie er Ranma kennt, wird der Junge das auf jeden Yen zurückzahlen wollen. Die Geste ist daher doppelt zu werten. Und Kodachi weiß das auch. „Das ist sehr lieb von dir, Ranma.“ Mit angemessenem Ernst nimmt Kodachi ihm dem Topf mit dem Xiancao ab und stellt ihn sorgsam neben die traurigen Reste ihres Fingerhutes. „Warum hast du so feuchtes Haar?“ will sie dann besorgt wissen und mustert seinen merkwürdigen Aufzug von oben bis unten. Sie sieht Ranmas nasses, rotes Oberteil in den Händen ihres Bruders und zieht sofort die richtigen Schlüsse. „Oh, Ranma-chan“, bekümmert legt sie ihre Hände auf seine Schultern, dreht ihn herum und schiebt ihn dann vor sich her aus dem Raum. „Zieh dich um, sonst erkältest du dich noch. Oniichan, wieso hast du ihn nicht sofort nach Hause gebracht?“ Während sie Ranma den Flur entlangschiebt, wirft sie ihrem Bruder einen vorwurfsvollen Blick zu. „Es ist nicht seine Schuld“, verteidigt Ranma seinen Freund. „Ich bin nicht aus Zucker. Und ich bin es gewohnt, nass durch die Gegend zu laufen.“ Der kleine Umweg über die Gärtnerei ist ganz allein auf seinem Mist gewachsen und es war ihm einfach wichtig. Er weiß aber nicht, wie er ihr das erklären kann ohne dass sich irgend jemand schuldig fühlt, also lässt er es lieber gleich bleiben. „Ich kann alleine gehen“, meint er schließlich und befreit sich höflich, aber bestimmt aus ihrem Griff. „Zieh dich um“, befiehlt sie unbeeindruckt und gibt ihm noch einen kleinen Schubs, bevor sie sich in eine andere Richtung wendet. „Ich mache Tee.“ Mit wehendem Rock und wippenden Pferdeschwanz verschwindet sie Richtung Küche. „Sie ist so herrisch“, murrt Ranma. Tatewaki nickt nur, grinst und gibt ihm dann auch einen kleinen, aber weitaus sanfteren Schubs. „Hey!“ protestiert Ranma, wirbelt zu ihm herum und gibt ihm einen Knuff vor die Brust. „Baka“, meint er dabei. Doch er grinst. Tatewakis einzige Warnung ist das übermütige Aufblitzen in Ranmas blauen Augen, dann findet er sich plötzlich mit dem Rücken an der Wand wieder und vor sich einen zu allem entschlossenen Ranma, der sich mit dem ganzen Körper gegen ihn schmiegt und ihn gnadenlos um den Verstand knutscht.       Eigentlich wollte er sich ja um Ranmas Haare kümmern, sie mit einem Handtuch trocken rubbeln. Eigentlich... Wenigstens das mit dem Wechseln der Klamotten bekommen sie hin – wenn auch auf eine völlig andere Art und Weise wie es von Kodachi gedacht war. Aber daran ist ganz alleine Ranma schuld, tröstet sich Tatewaki, während er Ranma noch fester an sich zieht, und sich mit ihm ein wildes Zungenduell liefert, das er – eigentlich – schon längst verloren hat. Denn Ranma ist heute besonders ungestüm und fordernd. Erst schubst er ihn gegen die Wand, dann drängt er ihn knutschend durch den wirklich sehr, sehr langen Gang bis in sein Zimmer und schlußendlich wirft er sich mit ihm regelrecht aufs Bett. Und das alles ohne ein einziges Mal Lippen- und Körperkontakt zu unterbrechen. Das Sweatshirt landet als erstes auf dem Fußboden und da Ranma darunter nichts trägt, sind Tatewakis Finger schnell damit beschäftigt, all diese schöne, warme Haut zu erkunden. Ranma japst nur in ihren Kuß hinein, um sich gleich noch leidenschaftlicher auf Tatewakis Lippen zu stürzen, während seine eigenen Hände unter Tatewakis T-Shirt auf Wanderschaft gehen. Es dauert nicht lange, dann sind sie auf dem Bett zu einem scheinbar unentwirrbaren Knäuel aus Armen und Beinen verschlungen, erstaunlicherweise aber: je mehr sich ihre Leiber verknoten, desto ruhiger, ja, geradezu besinnlicher, werden ihre Küsse. „Ich liebe dich“, haucht Ranma, dem schon ganz schwindlig geworden ist. Ob das am beginnenden Luftmangel, Tatewakis Wärme oder seinem eigenen immer größer werdenden Glücksgefühl liegt, weiß er nicht. Er weiß nur: es ist unglaubliches schön. „Ich dich auch“, kommt es leise zurückgewispert. Ranma spürt, wie es ihm bei diesem Tonfall heißkalt die Wirbelsäule hinunterrieselt und schmiegt sich unwillkürlich noch enger an den Körper vor sich. Hier, ja, genau hier, tief aufseufzend vergräbt er sein Gesicht an Tatewakis Schulter, fühlt er sich Zuhause, hier fühlt er sich wohl. Das will er nie wieder aufgeben. Nie wieder. Verträumt krault er mit seinen Fingern durch das dichte, dunkelbraune Haar seines Liebsten, spürt, wie dieser darob erschauert und seufzt erneut glücklich auf, als sich Tatewakis Griff um ihn automatisch verstärkt. War er vor wenigen Minuten noch wild und stürmisch, genügt es Ranma jetzt, einfach nur so da zu liegen, zu halten und gehalten zu werden, in der Körperwärme des anderen zu ertrinken und kleine Zärtlichkeiten auszutauschen. Das könnte ruhig ewig so weitergehen. Mit einem lauten Geräusch wird die Tür beiseitegeschoben und Kodachi betritt den Raum. In den Händen trägt sie ein Tablett mit Teekanne und drei Tassen und sie stockt wirklich nur ganz kurz, als sie die beiden Jungen auf dem Bett sieht. „Imōto, was fällt dir ein?“ keucht Tatewaki entsetzt, während er und Ranma erschrocken in die Höhe fahren. „Ich bringe den Tee“, erklärt sie ungerührt, setzt sich an den kleinen bodennahen Tisch und beginnt in aller Seelenruhe, die Teekanne und die Tassen dort abzustellen. Ganz eindeutig hat sie nicht vor, schnell wieder zu gehen und das wird sehr offensichtlich, als sie beginnt, den Tee in die Tassen zu füllen. Notgedrungen und nur sehr widerwillig verlassen die beiden das Bett, und während Ranma zum Wandschrank hinübergeht und sich wahllos ein T-Shirt greift, um sich damit zu bedecken, läßt sich Tatewaki schon neben seiner Schwester auf den Fußboden sinken. „Sehr aufmerksam von dir“, meint er dabei ironisch. Sie schenkt ihm nur ein typisches Black-Rose-Lächeln, während sie Ranma ganz ungeniert beobachtet. In ihre Miene hat sich dabei ein anerkennender Ausdruck geschlichen. Ranma weiß nicht wirklich, was das soll, schließlich ist es nicht das erste Mal, dass sie ihn mit bloßen Oberkörper sieht – das letzte Mal erst im Sommer am Strand. Und seitdem hat er sich nicht groß verändert. Vielleicht ist er zwei Zentimeter gewachsen und seine Schultern sind noch breiter geworden, aber das ist doch nun wirklich kein Grund, so zu starren. Sauer über ihren plötzlich Auftritt, aber zu höflich, um sich das anmerken zu lassen, läßt sich Ranma neben Tatewaki nieder. So sitzt er zwar Kodachi direkt gegenüber, aber damit kann er leben. Wenigstens riecht der Tee sehr lecker. Schweigend macht er es den Geschwistern nach, greift zu seiner Tasse und nimmt einen Schluck. Kurz kommt ihm der Gedanke, wie sehr sich die Zeiten doch ändern. Noch vor drei Tagen hätte er niemals etwas getrunken oder gegessen, was ihm von Kunō Kodachi angeboten wird, schließlich weiß er aus eigener Erfahrung, dass sie oft irgendein nicht tödliches Gift untermischt, das ihre Opfer entweder paralysiert oder sie ihr auf irgend eine Art gefügig macht. Und jetzt sitzt er mit ihr einträchtig an einem Tisch ohne jegliches Mißtrauen. Darüber kurven sich seine Lippen bei seinem nächsten Schluck zu einem kleinen Schmunzeln. „Es tut mir leid, dass du offensichtlich doch noch auf die Tendō Schwestern gestoßen bist“, meint Kodachi plötzlich an ihn gewandt. Ranma blinzelt verdutzt. „Woher weißt du das denn?“ Sie setzt sich etwas aufrechter hin und erklärt selbstzufrieden: „Nur die Tendō-Schwestern spielen immer mit deinem Fluch herum, indem sie dich, wann immer es ihnen passt, mit Wasser übergießen. Es war also logisch, gleich an sie zu denken, wenn du nass nach Hause kommst, obwohl es nicht regnet.“ Ihre Kombinationsgabe ist beeindruckend. Noch viel überraschender aber ist das, was sie noch gesagt hat. Ranma holt einmal tief Luft und umklammert seine Teetasse noch etwas fester. „Du sagst es schon wieder … nach Hause.“ Er kann nicht verhindern, dass seine Stimme ein klein wenig zittert. „Du bist hier Zuhause, Ranma-chan“, kommt es geradezu feierlich von ihr zurück. Er blinzelt rasch ein paar mal hintereinander, um die Feuchtigkeit aus seinen Augen zu vertreiben und versteckt sich schnell hinter seiner Teetasse. Rücksichtsvoll wendet sie sich an ihren großen Bruder, der das Gespräch mit einem kleinen Lächeln verfolgt hat. „Ansonsten seid ihr aber unverletzt?“ „Ja“, erwidert Tatewaki, „es wurde nur viel geschrien und geflucht.“ Kodachi nickt zufrieden. „Dann war das Opfer meiner armen Pflanzen also nicht umsonst.“ „Das tut mir leid“, entschuldigt sich Ranma sofort, aber sie winkt ab. „Ist alles damit endlich geklärt?“ will sie nur wissen. Tatewaki seufzt einmal tief auf. „Hoffentlich.“ Betreten senkt Ranma den Kopf. „Ich mache euch nur Probleme...“ „Nein, das stimmt nicht.“ Tatewaki widerspricht ihm sofort. Seine Hand landet auf Ranmas Knie und streichelt sanft darüber. „Es ist nicht deine Schuld.“ „Es wird trotzdem Zeit, dass du dich dafür revanchierst“, unterbricht Kodachi ihren Bruder, lehnt sich in Ranmas Richtung und spitzt vielsagend die Lippen. „Und zwar mit einem Kuß.“ „Kodachi...“ knurrt Tatewaki warnend. Sie rückt wieder von Ranma ab, verschränkt ihre Arme vor der Brust und verzieht übertrieben schmollend die Mundwinkel. „Immer willst du alles für dich alleine haben. Nie gibst du mir was ab. Du bist ein schlechter großer Bruder.“ „Und du willst immer alles, was mir gehört.“ Lachend hebt Ranma die Hände. „Ich bin kein Gegenstand, ihr zwei Vollidioten. Und der einzige Kuß, den du von mir bekommst, ist so einer.“ Mit diesen Worten beugt er sich schnell zu ihr hinüber und gibt ihr einen kleinen Schmatzer auf die Wange. Kodachi legt eine Hand auf ihre soeben geküße Wange und seufzt übertrieben enttäuscht auf. „Oh, Ranma-chan... mehr hast du für deine Kodachi nicht übrig?“ „Nein“, gibt er immer noch lachend zurück. „Tut mir Leid. Der Rest ist ganz allein für deinen Bruder reserviert.“ „Und wenn er Ranko bekommt und ich Ranma?“ Ranma schüttelt nur vergnügt den Kopf und widmet sich dem Rest seines Tees, bevor er ihr noch verrät, wie süß er sie plötzlich findet. Sie ist so witzig und charmant, und er fühlt sich in ihrer Nähe so wohl, dass er, würde er nicht ihren Bruder lieben und ihm treu sein, sie eben bestimmt wie von ihr gewünscht auf den Mund geküsst hätte. Es ist ganz anders als bei den Tendōs. So freundlich diese ihn auch aufgenommen haben, die Beziehung der drei Schwestern ist ganz anders als dies hier, da herrschte irgendwie immer viel mehr Konkurrenz und er fühlte sich dort immer wie der Gast, der er war, aber hier … das fühlt sich an, als wäre er in einen inneren Kreis mit aufgenommen worden. Amüsiert verfolgt er den weiteren verbalen Schlagabtausch zwischen Bruder und Schwester. „Als dein großer Bruder erlaube ich dir keinen Herrenbesuch, bis du volljährig bist“, stellt Tatewaki auf ihren dreisten Vorschlag hin klar. „Aber du darfst einen haben? Das ist unfair.“ „Das ist etwas völlig anderes.“ „Ach ja? Inwiefern?“ „Weil ich der Ältere bin.“ „Siehst du, womit ich mich hier jeden Tag herumschlagen muß?“ wendet sich Kodachi theatralisch jammernd an Ranma. Der läßt sich von der derzeitigen Stimmung mitreißen und tätschelt ihr beruhigend die Wange. Es ist dieselbe, die er eben noch geküßt hat. „Erst die Schule beenden, dann ist immer noch Zeit für Männer“, rezitiert er eine von Tendō Nabikis Ausreden, als er diese mal gefragt hatte, warum sie keinen Freund habe. Und damit Kodachi das nicht wieder gegen ihn und Tatewaki verwenden kann, fügt er noch betont ernst hinzu: „Junge, schöne Fräuleins wie du sollten sich sowieso nicht dem erstbesten an den Hals werfen.“ Sie zögert einen Moment. „Du findest mich schön?“ wiederholt sie dann perplex. Verdutzt starrt Ranma mitten in ihr Gesicht, das dem Tatewakis so ähnlich ist und nickt. Er versteht nicht wirklich, wieso sie diese Frage stellt – sie sieht sich doch jeden Tag im Spiegel, oder? Und garantiert bekommt sie so etwas öfter zu hören. „Warum“, will sie leise wissen, „wolltest du dann nie mit mir ausgehen?“ „Äh... Weil du dich unmöglich benommen hast?“ Sie legt den Kopf schief und mustert ihn nachdenklich. „Wenn ich also netter zu dir gewesen wäre, dann wärst du jetzt vielleicht doch mein Liebster und nicht der meines blöden Bruders?“ Aus Ranma unerfindlichen Gründen verstärkt sich der Druck der Hand ihres „blöden Bruders“ um Ranmas Knie plötzlich, aber so wirklich achtet er nicht darauf, weil ihn diese Frage wirklich wieder nur zum Lachen reizt. „Nein. Garantiert nicht. Tut mir leid.“ Er bezweifelt wirklich stark, daß es irgend einen Menschen auf dieser Welt gibt, der sein Herz so zum Klopfen bringt wie ihr „blöder Bruder“. Noch immer mit einem breiten Grinsen auf den Lippen pflückt er Tatewakis Hand von seinem Knie, sucht dessen Blick und hält ihn fest, während er diese Hand hoch zu seinen Lippen führt und sich zärtlich über jeden einzelnen Knöchel küsst. „Gut“, Kodachis zufriedene Stimme holt ihn aus seiner kleinen Wohlfühlblase heraus. Es ist der gefürchtete Tonfall der Black Rose. „Das war die richtige Antwort. Schön, dass ich dich nicht meinem Krokodil zum Fraß vorwerfen muß.“ Ranma sieht, wie sich Tatewakis Augen plötzlich weiten, und dann hat er ihm auch schon die Hand entzogen und wirbelt zu seiner Schwester herum. „Kodachi!“ Aufgebracht aufschreiend packt Tatewaki sie an ihrem Pferdeschwanz und beginnt unbarmherzig daran zu ziehen. „Hast du etwas in den Tee gemischt? Du hast mir versprochen, so etwas nie wieder bei Ranma zu machen!“ „Auauau!“ Mit Schmerztränen in den Augen versucht sie, sich aus seinem Griff zu befreien. „Niichan, bitte, hör auf! Ich habe nichts in den Tee getan! Wirklich nicht! Au! Niichan, bitte... ich schwöre es!“ „Tatewaki“, schlichtend fällt ihm Ranma in den Arm. „Lass sie los, bitte.“ Sein Freund folgt dieser Aufforderung nur sehr, sehr widerwillig, und während Kodachi hastig von ihm fortrückt und leise jammernd ihre Frisur wieder richtet, durchbohrt er sie unablässig mit seinem besten Todesblick. Sie funkelt nicht minder wütend zurück, zieht es aber vor, mitsamt ihrem Tee aus seiner Reichweite zu rutschen. „Ich hab wirklich nichts in den Tee getan“, erklärt sie trotzig und nimmt einen besonders großen Schluck aus ihrer Tasse. „Da ist bestimmt nichts drin“, springt Ranma ihr hilfreich bei. Sie tut ihm leid, denn sie hat nichts Falsches getan und es wirklich nur gut gemeint. Um zu beweisen, dass er ihr vertraut, gießt er sich eine zweite Tasse ein. „Außerdem, Tatewaki - Sei froh, dass du eine Schwester hast, die sich so um dich sorgt. Und jetzt vertragt euch wieder.“ Und dann kann Ranma mit Erstaunen feststellen, dass seine Worte hier Gewicht haben, denn die beiden entschuldigen sich tatsächlich, wenn auch etwas zögerlich, und keine Minute später sitzen sie wieder so friedfertig am Tisch, als hätte es diesen kleinen Zwischenfall überhaupt nicht gegeben.     Kapitel 15: Liebe ----------------- 15. Kapitel Liebe   Draußen ist es Nacht geworden und der Mond versteckt sich hinter dunklen Wolken. Durch das leicht geöffnete Fenster dringt das Konzert der letzten Zikaden dieses Jahres herein und irgend etwas plätschert im großen Gartenteich. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Kodachis Krokodil. Ranma will gar nicht erst genauer darüber nachdenken. Denn dieses monströse Vieh passt zur Black Rose, aber nicht zu der netten, charmanten Kodachi, die er kennenlernen durfte und die heute Nachmittag mit ihm und Tatewaki im Garten ein bisschen Judo trainiert hat. Es war eine seltsame Art des Trainings, bei der es eher um ein „miteinander“ anstatt „gegeneinander“ ging und erstaunlicherweise hat es Ranma wirklich Spaß gemacht. Es war ein seltsamer Nachmittag. Nein, eigentlich war es ein merkwürdiger Tag, der sich nahtlos in den gestrigen, ebenfalls merkwürdigen Tag einreiht. Alles ist merkwürdig seit vorgestern, aber auf eine gute Art. Sogar die letzten drei Stunden waren gut. Müde reibt er sich die Augen und räumt das Buch, den Notizblock und die Stifte zurück in seine Schultasche. „Ich kann nicht mehr. Heute Nacht träume ich bestimmt nur noch von Algebra.“ Sein Kopf fühlt sich so vollgestopft an. Langsam schlurft er zurück zu Tatewaki aufs Bett. „Dafür kannst du es jetzt“, lächelt dieser stolz auf ihn, denn immerhin hat Ranma die letzten drei Stunden ohne Pause gelernt. „Nun brauchst du dir wegen der Prüfungen keine Sorgen mehr zu machen.“ „Bei diesem guten Lehrer ist das kein Wunder. Ich hätte dich schon früher um Nachhilfe bitten sollen. Damals in Kalligraphie habe ich Dank dir auch eine Bestnote erhalten. Habe ich dir dafür eigentlich jemals angemessen gedankt?“ „Hm... lass mich überlegen. Nein, ich glaube nicht.“ „Oh. Dann lass mich das nachholen.“ Mit einem vorfreudigen Grinsen packt Ranma seinen Freund am T-Shirt-Kragen und zieht ihn mit sich hinunter auf die Matratze. Sobald er liegt, hascht er nach Tatewakis Lippen und verwickelt ihn in einen langen, süßen Kuß, während er ihm gleichzeitig hilft, bequem auf ihm zu liegen zu kommen. Unwillkürlich seufzt Ranma in ihren Kuß hinein. So viel Druck an genau den richtigen Stellen! Und dann weht abermals sein tiefer Seufzer durch den Raum, als Tatewakis Lippen von seinem Mund weiterwandern und sich an seinem Hals festsaugen. Oh, das wird einen Knutschfleck geben, aber Ranma kann sich nicht dazu überwinden, ihm deswegen böse zu sein. Seine Welt versinkt in einer Mischung aus Wärme, Verlangen und Liebe, und Ranma lässt sich nur zu gerne von all diesen neuen, aufregenden Gefühlen davon tragen. Das ist besser als all seine Träume zusammen, weil das hier echt ist. Tatewaki ist wirklich da, hier bei ihm. Und er liebt ihn. „Ich liebe dich so sehr...“ Tatewakis Stimme direkt an seinem linken Ohr jagt Ranma einen fast noch größeren Schauder über den Rücken als dessen Worte. Und sie fährt ihm direkt in den Unterleib. „Ich dich auch“, wispert Ranma zurück und schlingt Arme und Beine so fest um ihn, als wolle er ihn nie wieder loslassen. Und genau das will er auch nicht. Sekundenlang tauschen sie einfach nur einen langen, tiefen Blick, dann prallen ihre Lippen diesmal zu einem wilden, stürmischen Kuss zusammen und sie plündern sich gegenseitig ihre Münder als gäbe es kein Morgen mehr.       Irgendwann, irgendwie haben sie die Position getauscht und jetzt liegt Tatewaki unten und Ranma sitzt auf seinen Hüften. Das ist eine sehr delikate Stelle, und er geht jede Wette ein, dass Ranma jetzt genau weiß, wie es um ihn bestellt ist, aber das schert ihn wenig. Viel zu sehr nimmt ihn dieser entrückte Ausdruck in Ranmas schönem Gesicht gefangen, die Art, wie sich diese aparte Röte in seine Wangen geschlichen hat und dann diese sinnlichen, leicht geöffneten Lippen. Diese küssenswerten Lippen... Seine Augen... Nur ganz am Rande nimmt er die warmen Finger wahr, die sich unter sein T-Shirt geschlichen haben und sich über seinen Oberkörper streicheln. All die Wärme, all das erwartungsvolle Zittern und die sehnsüchtige Spannung, die das in ihm auslöst, ist schon längst in den Hintergrund getreten. Da ist ein sonderbares Gefühl in seiner Brust, schwer und leicht zugleich, und ihm stockt tatsächlich kurzfristig der Atem, als Ranma bemerkt, wie er ihn anstarrt. Er hält damit inne, seine Hände über Tatewakis Brustkorb wandern zu lassen. Ihre Blicke begegnen sich, halten einander fest. Und dann löst sich aus Tatewakis Kehle ein leises Wimmern, als er in diesen ausdrucksstarken, dunkelblauen Augen versinkt. Geradezu verzaubert hebt er seine rechte Hand und streicht all diese frechen schwarzen Haare aus Ranmas Gesicht, damit er dieses Strahlen in ihnen noch besser erkennen kann. Das wieder zu sehen, ist so schön! Ich liebe ihn. Ich liebe ihn so sehr. So sehr. Er kann sich gar nicht daran sattsehen. Plötzlich ändert sich Ranmas Miene, wird mit einem Mal todernst, und da erscheint sogar eine Falte zwischen seinen Augenbrauen, als er sich zu Tatewaki herunterbeugt und ihn besorgt mustert. Seine Finger berühren seinen linken Augenwinkel, seine Schläfe, streicheln über die erhitzte Haut, wischen zärtlich die vereinzelte Träne fort. „Tacchi? Warum weinst du?“ Uh? Verständnislos starrt er zu ihm hoch. Es dauert eine Weile, bis er begreift, und dann ist es nur noch furchtbar peinlich. „Ist schon in Ordnung“, flüstert Tatewaki und zieht ihn am Kragen tiefer zu sich herunter, um ihm einen beruhigenden Kuß zu geben. „Ich bin einfach nur glücklich.“ Das „dass du noch lebst und hier bei mir bist“, spart er sich, denn sie haben ja abgemacht, nie wieder darüber zu sprechen. Er versteht ihn sicher auch so. Es wird ein langer, süßer Kuß und Tatewaki legt all seine Gefühle für ihn, sein ganzes Herz, ja, auch seine Seele, hinein und verliert sich nur zu gerne in Ranmas süchtig machendem Geschmack. Tacchi... Ranma entgegnet den Kuss voller Hingabe und stürzt sich nicht minder sehnsüchtig hinein wie Tatewaki. Er tastet nach Tatewakis Händen und verschlingt zärtlich ihre Finger miteinander, während er den Kuss noch mehr vertieft. Er spürt, wie sich ihm Tatewakis gesamter Körper vertrauensvoll entgegenschmiegt und verspürt einen Hauch von Melancholie in sich aufsteigen, gefolgt von wilder Entschlossenheit. Es ist ihm egal, ob das eine Träne des Glücks war – er will ihn nie wieder weinen sehen! Aber das eben hat ihn auch wieder daran erinnert, wie sensibel und sentimental sein Liebster im Grunde doch ist. Er ist ein hoffnungsloser Romantiker, der viel gibt ohne je etwas dafür zu verlangen. Jedenfalls, wenn man ihm die Chance dazu gibt. Schweratmend löst er ihren Kuss, und brummt unwillkürlich zufrieden bei dem Anblick, der sich ihm hier bietet: gerötete Wangen, zerzauste Haare und einen absolut verklärten Glanz in den wunderschönen Augen. „Es tut mir leid“, flüstert Ranma gegen die Lippen seines Angebeteten und zieht sich dann wieder etwas zurück, um noch besser in seiner Miene lesen zu können. Im Moment erkennt er aber nur grenzenlose Verwirrung. „Ich war immer so gemein zu dir.“ Ranma weiß, er war in der Vergangenheit aus den verschiedensten Gründen selten nett zu ihm, und das tut ihm nicht nur leid, sondern beschämt ihn auch. Auch wenn Tatewaki sich seine Rolle als arroganter, ignoranter und penetranter Schnösel mit einem Hang zur Aggressivität selbst ausgesucht hatte und als solcher einfach nur unausstehlich war – er hatte nicht jede Beleidigung, Tritt oder Hieb, den er von Ranma (oder Ranko) kassierte, verdient. Wie schmerzhaft es wirklich für ihn gewesen sein musste, von dem Menschen, den er über alles liebt, derart behandelt worden zu sein, kann sich Ranma nicht einmal ansatzweise vorstellen. „Das tut mir leid.“ Und er wird es tausendfach wieder gut machen. Er wird ihn mit all seiner Liebe überschütten und an sich arbeiten, damit er mindestens genauso aufmerksam für die Wünsche seines Liebsten wird wie dieser es schon für Ranmas ist. „Ab sofort werde ich dich auf Händen tragen.“ Verdutzt blinzelt Tatewaki zu ihm hoch und schnauft dann einmal amüsiert. „Ist das nicht eher mein Spruch?“ „Nicht heute“, kommt es leise, aber bestimmt zurück. „Ich bin nämlich viel stärker als du.“ Um seine Worte zu unterstreichen, verstärkt er nicht nur seinen Griff um Tatewakis Hände, sondern verlagert auch sein Gewicht etwas und drückt ihn nachdrücklich tiefer in die Matratze. „Ja“, ächzt Tatewaki, versucht aber gar nicht erst, sich dagegen zu wehren. „Aber ich bin immer noch größer.“ Verschmitzt lächelnd beugt sich Ranma ganz tief zu ihm herab. „Ich wachse noch.“ „Hm. Aber ich werde immer ein Jahr älter sein als d-“ „Baka.“ Ranma ist diese Diskussion leid und bringt ihn einfach mit einem Kuss zum Schweigen.       Zufrieden kuschelt sich Ranma fester in Tatewakis Umarmung, atmet den Duft von Seife, Shampoo und darunter einfach nur Kunō Tatewaki ganz tief ein. Frisch geduscht, mit geputzten Zähnen und in Tatewakis Jinbei – hah, den gibt er nie wieder her – fühlt er sich rundum wohl. Und sehr schläfrig. „Ich liebe dich“, murmelt er und drückt seine Nase dabei so fest gegen Tatewakis Halsbeuge, wie es nur geht. Er ist so schön warm. Und er fühlt sich so sicher und geborgen bei ihm. Er wird ihn nie, nie wieder hergeben. „Ich dich auch. Und jetzt schlaf, Ranma. Wir müssen morgen zur Schule. Und ich habe morgen eine Prüfung und habe nicht gelernt.“ „Was?“ erschrocken rückt Ranma etwas ab und hebt den Kopf, um ein Blick in das Gesicht seines Geliebten zu erhaschen. Er hat sich doch hoffentlich nur verhört? Tatewaki lächelt beruhigend und gibt ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn. „Keine Sorge, alles gut.“ Zuerst runzelt Ranma die Stirn, doch dann kommt ihm eine fabelhafte Idee. „Ach, wenn du durchfällst, wiederholst du eben das Jahr und machst mit mir zusammen den Abschluß.“ „Das würde dir gefallen, was?“ Ranma grinst bis über beide Ohren. „Sehr sogar.“ Tatewaki legt nur eine Hand in Ranmas Nacken und drückt dessen Kopf wieder in die vorherige Position. Er liebt es, ihn dort zu spüren. Ja, Ranma ist stärker als er, aber gleichzeitig kann er so anschmiegsam sein wie ein kleines Kätzchen. „Jetzt schlaf endlich, du Nervensäge.“ Um Ranmas Mundwinkel zuckt ein kleines, diabolisches Lächeln, als er seine Hände unter Tatewakis Oberteil schummelt und dessen Rücken zu streicheln beginnt. So warm, so samtig, so breit und stark. Einer kleinen, gemeinen Anwandlung folgend, hebt er eine seiner Hände noch etwas höher und krault durch Tatewakis Haaransatz am Nacken. Als Tatewaki daraufhin erwartungsgemäß erschauert, fühlt er so etwas wie Triumph in sich aufsteigen. „Ich sollte dich wachhalten, damit du morgen auf alle Fälle durchfällst.“ Vielsagend rutscht er dabei mit seinem Unterkörper ganz eng an Tatewakis und schiebt lasziv ein Bein über dessen Hüfte. Tatewaki gibt einen seltsamen Laut von sich und dann landet seine Hand auf Ranmas Hinterteil. Doch seine Stimme klingt sehr ruhig. „Selbst wenn, ändert das nichts daran, dass ich immer noch der beste meines Jahrgangs bin. Außerdem -“ bedeutungsschwanger hält er inne. „Ja?“ hakt Ranma schließlich atemlos nach, nachdem er gute zehn Sekunden geduldig gewartet hat, dass sein Liebster weiterspricht. Oder seine gottverdammte Hand bewegt. Tatewaki schweigt noch einen Moment, um die Spannung zu erhöhen. „Du wohnst jetzt hier“, meint er schließlich und lässt zu Ranmas großer Enttäuschend seine Hand von Ranmas Allerwertesten nach oben in dessen Kreuz wandern. Wo sie dann auch verbleibt. „Auch wenn wir nicht mehr auf dieselbe Schule gehen, sehen wir uns jeden Tag. Und jede Nacht.“ Er zögert und fügt dann leise und liebevoll hinzu, nachdem er ihm einen Kuss auf den Haarschopf gegeben hat: „Baka.“ „Selber Baka“, kichert Ranma nur und schmiegt sich - grenzenlos zufrieden und trotz seiner vorherigen Worte sehr, sehr müde - glücklich an ihn. Zwei Minuten später verraten ihre tiefen Atemzüge, dass sie endlich eingeschlafen sind. Auf eine Art und Weise aneinander gekuschelt und miteinander verschlungen, wie es vor drei Tagen noch völlig undenkbar war.       So findet sie Sasuke, als er, seiner Neugier folgend, noch eine in ihr Zimmer wirft, bevor er noch ein letztes Mal seine Fallen auf dem Gang überprüft, und während er dies tut, liegt ein kleines, glückliches Lächeln auf seinen Zügen.   Kapitel 16: Gemeinsam --------------------- 16. Kapitel Gemeinsam   „Ranma.“ Eine leise Stimme direkt an seinem Ohr, die wie goldene Wärme in sein Bewußtsein tropft und ihn langsam weckt. „Ranma, wir müssen zur Schule.“ Unwillig dreht sich Ranma auf die Seite und kuschelt sich tiefer in die Decke, während er versucht, sich zurück in seine Traumwelt zu flüchten. Es war so ein schöner Traum... „Ranma.“ Jemand zieht ihm die Decke fort, dann spürt er Finger in seinem Haar, an seinem Kinn und der Wange und dann berühren weiche Lippen seinen rechten Mundwinkel. Schlaftrunken dreht er sich etwas und stiehlt sich einen richtigen Kuss. Er liebt diesen Traum! Unwillkürlich schlingt er die Arme um denjenigen, der ihn hier so hingebungsvoll küsst, in den Bestreben, ihn zu sich herunter zu ziehen. Doch er erntet erheblichen Widerstand. „Ranma, wenn wir uns nicht beeilen, kommt Sasuke hier rein und jagt uns höchstpersönlich zur Schule. Ohne Bentobox. Und dann bleibt uns nur der Schulfraß.“ Bei diesen Worten ist Ranma schlagartig wach und blinzelt irritiert hoch in Kunō Tatewakis Gesicht. „Huh? Kein Traum?“ „Nein, kein Traum.“ Amüsiert wuschelt ihm Tatewaki mit einer Hand durchs vom Schlaf ganz zerzauste Haar, pflückt Ranmas Hände von seinen Hüften und schwingt sich aus dem Bett. Während er so dasteht, vom blassen Licht des Morgens umschmeichelt und sich gähnend streckt und reckt, wobei sein nachlässig geknöpftes Jinbeioberteil verrutscht und viel helle Haut samt einem Knutschflecken an seinem Halsansatz entblößt, kann Ranma ihn nur fasziniert anstarren. Sein Hirn braucht lange, um sich von den letzten Eindrücken seines Traumes zu befreien, aber dann kehren die Erinnerungen an die letzten beiden Tage langsam zurück, und er beginnt breit zu grinsen. Nein, das hier ist kein Traum. Es ist viel, viel besser.       Sie schaffen es rechtzeitig zur Schule. Sasuke musste nicht nachhelfen. Sie hatten sogar noch Zeit für ein kleines Frühstück – und Sasukes Miso-Suppe ist wirklich köstlich, die zu verschlafen wäre eine Sünde gewesen. Auf dem Weg zur Schule stellt Ranma dann Verschiedenes fest. Das erste ist, dass Kodachi die ersten fünfhundert Meter denselben Schulweg hat und dass sie, zweitens, verdammt entzückend in ihrer Schuluniform aussieht. Das ist Ranma bisher noch niemals aufgefallen, vielleicht, weil der schlechte Charakter der Black Rose immer alles überschattet hatte. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er ihre wahre Seite kennenlernen durfte. Diese Seite zeigt sie nicht jedem, aber es gibt doch ganz offensichtlich ein paar Menschen, denen sie genug vertraut, denn an der Ecke, wo sie sich von ihnen trennt, warten zwei Freundinnen auf sie, mit denen sie sofort kichernd und schwatzend weitergeht wie jedes normale Mädchen in ihrem Alter. Den Blicken nach zu urteilen, die sie ihm zuwerfen und dem Tuscheln danach, geht er jede Wette ein, dass sie über ihn reden. Noch vor drei Tagen hätte ihn das beunruhigt, aber heute sieht er dem Trio nur amüsiert hinterher. Der Rest des Schulweges ist genau derselbe, wie er ihn zusammen mit Akane immer genommen hat – was nur logisch ist, weil das Tendō Dōjō und das Kunō Anwesen nur dreihundert Meter Luftlinie voneinander trennt. Als Ranma das bewußt wird, fühlt er sich plötzlich sehr unwohl in seiner Haut. Er möchte ihr nicht begegnen (wenigstens ist heute Montag, da haben sie keinen Unterricht gemeinsam), aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, wird er nicht davon rennen. Das verbietet ihm sein Stolz. Trotzdem ist er froh, als sie das Schultor erreichen ohne auch nur eine Haarspitze der Tendō-Schwestern zu sehen. Es fällt ihm schwer, Tatewakis Seite zu verlassen, und um ehrlich zu sein, war er den ganzen Weg über versucht, dessen Hand zu nehmen, hat sich letztendlich aber doch nicht wirklich getraut. Sie waren schließlich auf dem Weg zur Schule, und je näher sie ihr kamen, desto mehr Mitschüler und Lehrer begegneten ihnen und außerdem sind sie zwei Jungen! An einem Sonntagmorgen, wo kaum jemand unterwegs ist, knutschend unter einem Straßenbaum zu stehen ist etwas ganz anderes als das hier. In der ganzen Schule sind sie als Rivalen bekannt, als Gegner, die sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit provozieren und duellieren. Und die wenigsten Menschen um sie herum werden bemerkt haben, dass sie schon vor zwei Wochen damit aufgehört haben, alles, was ihnen in Erinnerung geblieben ist und immer bleiben wird, sind ihre erbitterten Kämpfe gegeneinander. Niemand weiß, wie sie reagieren würden, wenn sie die Wahrheit wüssten. Und Ranma weiß nicht, ob er das schon herausfinden möchte. „Also, bis später. Sei fleißig.“ Tatewakis warme Stimme reißt Ranma aus seinen Grübeleien. Ranma erschauert wohlig, als ihm Tatewaki zum Abschied einmal sanft über die Wange streichelt. Das kommt aber auch so unverhofft, dass Ranma erst einmal wie erstarrt dasteht, und erst, als Tatewaki schon fünf Meter weiter ist, findet er seine Stimme wieder. „Ja, du auch!“ ruft er ihm schließlich hinterher. „Und viel Glück bei der Prüfung!“ Tatewakis dreht sich kurz lächelnd um und winkt ihm zum Abschied noch einmal zu, dann taucht er in einer Gruppe von Mitschülern seines eigenen Jahrgangs unter. „Hey, Ranma!“ wie aus dem Nichts erscheinen plötzlich seine besten Freunde Daisuke und Hiroshi vor ihm. „Wie war dein Wochenende?“ „Was wollte Kunō von dir?“ fragt Hiroshi gleich weiter, ohne auf eine Antwort der ersten Frage zu warten. „Kämpft ihr nach Schulschluß wieder?“ Seiner Miene nach zu entnehmen, gäbe es nichts, was er sich mehr wünschen würde. Ranma versteht nicht, woher das kommt – wieso sehen seine Freunde ihn so gerne kämpfen und gewinnen? Ist ihr Leben so langweilig? Noch während er ein klares „Nein“ knurrt, will Daisuke von ihm irritiert wissen: „Hast du Kunō eben wirklich viel Glück gewünscht?“ „Ich bin eben höflich“, erwidert Ranma. „Oder wollt ihr, dass er das Schuljahr wiederholen muss und vielleicht in unserer Klasse landet?“ setzt er in Erinnerung an ihr Gespräch von Freitag noch süffisant hinzu. Bei diesem Gedanken schaudert Daisuke übertrieben und Hiroshi schüttelt eifrig den Kopf. Ranma lächelt grimmig und packt seine Schultasche etwas fester. „Lasst uns reingehen, bevor es klingelt.“       Bei einem kann man sich in der Furikan Oberschule sicher sein: Neuigkeiten verbreiten sich rasend schnell. Und so wundert es Ranma nicht im Geringsten, dass er nach der ersten Unterrichtsstunde regelrecht von seinen Mitschülern belagert wird, insbesondere natürlich von Daisuke und Hiroshi, die es gar nicht fassen können. „Ranma, stimmt es, dass deine Hochzeit abgesagt wurde?“ „Warum? Was ist passiert?“ „Die arme Akane.“ Zuerst versucht er, es ihnen ruhig und sachlich zu erklären, dass so alles besser sei, weil das ganze sowieso eine Schnapsidee war und die Zeiten für arrangierte Hochzeiten ja wohl vorbei sind. Er wagt es sogar, zuzugeben, dass er sie nicht liebt, obwohl er dieses Wort in der Öffentlichkeit nicht gerne in den Mund nimmt. Aber egal wieviel Mühe er sich auch gibt, zur Mittagspause sind sie alle sauer und enttäuscht von ihm. Sie werfen ihm vor, wie er es nur wagen könne, so ein tolles Mädchen wie Akane sitzen zu lassen, so kurz vor der Hochzeit. Sie nennen ihn „Schuft“ und „Herzensbrecher“ und noch allerlei und er fühlt sich wie bei einem Spießrutenlauf. Die wenigen, die genau entgegen gesetzt reagieren und sich stattdessen freuen, weil sie sich jetzt wieder in der Position sehen, die „liebreizende Akane“ ungestraft umgarnen und anhimmeln zu können, sind dagegen die reinste Erholung. Zum Glück ist bisher noch niemandem die Idee gekommen, ihn zu fragen, ob er trotz allem noch bei den Tendōs wohnt. Es scheint, als wäre ihnen dieser Gedanke noch gar nicht gekommen. Alles Idioten! Mürrisch lässt sich Ranma auf seinen Stammplatz in der Cafeteria fallen. Es fühlt sich an, als würden alle Blicke auf ihm ruhen und es macht ihn nervös, dass er die Gespräche um sich herum unter dem ganzen Stimmengewirr nicht herausfiltern kann, er also nicht weiß, ob sie über ihn tuscheln oder nicht. Die, die ihm böse Blicke zuwerfen, reden aber garantiert über ihn, und das sind nicht wenige. Als Akane mit ihren Freundinnen hereinkommt – ohne ihn dabei eines Blickes zu würdigen - wird das Geschnattere noch einmal kurz lauter, und als sie sich hinsetzen, wird ihr Tisch sofort belagert. Ranma versteht nicht, was sie sagen, aber Körpersprache und Mienen sind eindeutig: so sehr sie ihn hassen, so sehr bemitleiden und trösten sie Akane. Ranma schnauft einmal und konzentriert sich lieber auf sein Bento. Er ist unendlich erleichtert, dass Akane ihm offensichtlich genauso wenig begegnen will wie er ihr. „Wow! Das sieht aber lecker aus!“ ruft Daisuke neben ihm und starrt zusammen mit Hiroshi geradezu gierig in Ranmas Bentobox. Er hat zwar recht, aber Ranma denkt nicht daran, ihnen auch nur einen Krümel davon abzugeben. Geradezu schadenfroh nimmt er seine Essstäbchen zur Hand und nimmt den ersten Bissen zu sich. Es sind nur ein Reisbällchen und ein paar Sushi, aber etwas Köstlicheres hat Ranma noch nie gegessen. Sasuke ist wirklich ein begnadeter Koch. „Hah? Sasuke? Meinst du damit etwa Sarugakure Sasuke, den Diener der Kunōs?“ erst Hiroshis verdatterte Frage macht ihm bewußt, dass er diesen Gedanken wohl laut ausgesprochen hat. Ertappt beißt sich Ranma auf die Unterlippe, doch dann gibt er sich einen Ruck. „Ja, genau dieser Sasuke. Glaubt ihr wirklich, ich will noch bei den Tendōs wohnen, wo ich Akane täglich begegne? Ich wohne seit Freitag Abend im Kunō Anwesen.“ Für die Dauer einiger Sekunden starren die beiden ihn nur entgeistert an. „Soll … soll das bedeuten...“, stammelt Hiroshi schließlich, „du...“ er holt einmal tief Luft. „Dass du Akane nicht liebst und sie deshalb nicht heiraten willst, habe ich ja kapiert, aber soll das heißen, du willst die verrückte Kunō Kodachi heiraten?“ „Ich will niemanden heiraten“, entfährt es Ranma lauter als beabsichtigt. Schon starren andere neugierig zu ihm hinüber. Hastig senkt er die Stimme. „Darum geht es gar nicht. Und außerdem ist Kodachi sehr nett, wenn man sie erst einmal richtig kennt.“ Die beiden mustern ihn zweifelnd. „Na ja“, meint Daisuke dann nachdenklich, „vielleicht keine schlechte Idee. Wenn du mal als Ranko und mal als Ranma vor ihnen stehst, bringst du sie ganz durcheinander. Ich meine, Tatewaki sieht dich ja als bösen Zauberer, der sein geliebtes Mädchen mit dem roten Zopf vor ihm versteckt. Und Kodachi sieht Ranko als Konkurrentin zu Ranma.“ „Wenn du sie gegeneinander ausspielst“, spinnt Hiroshi den Faden weiter, „sind die beiden Durchgeknallten darauf konzentriert, aufeinander loszugehen. Vielleicht bringen sie sich ja gegenseitig um und dann haben wir alle unsere Ruhe vor denen.“ Im ersten Moment ist Ranma fassungslos und würde ihm am liebsten eine Lektion erteilen, aber da er gerade ein Sushi im Mund hat, verzichtet er darauf. Es wäre wirklich eine Schande, diese leckere Köstlichkeit nicht einfach nur zu genießen. Und je länger er kaut und der Diskussion zwischen seinen beiden Freunden einfach zuhört, desto mehr begreift er, warum Tatewaki niemals zugegeben hat, dass er weiß, dass Ranma und Ranko ein und dieselbe Person sind. Es entbehrt nicht einer perfiden Schadenfreude, zuzusehen, wie sich andere echauffieren ohne dabei zu wissen, wie lächerlich sie sich damit in Wirklichkeit machen. Einer inneren Eingebung heraus folgend hebt er den Kopf und blickt Richtung Eingangstür, durch die just in diesem Moment niemand geringerer als Kunō Tatewaki tritt. Er zögert und sieht sich suchend um und rein automatisch hebt Ranma den Arm und winkt ihn heran zu seinem Tisch. Nur ganz am Rande seines Bewußtseins nimmt Ranma wahr, wie Daisuke und Hiroshi verdutzt verstummen. Auch ein paar Gespräche an den Nebentischen stocken und man beobachtet mit neuerwachter Neugier, wie sich Tatewaki wie selbstverständlich zu ihnen setzt. „Wie war die Prüfung?“ will Ranma sofort wissen. „Erstaunlich leicht“, kommt es zurück. Und dann fühlt sich Ranma von saphirblauen Augen besorgt gemustert. „Und bei dir ist auch alles okay?“ Ranma zögert und für die Dauer zweier Herzschläge bleibt sein Blick auf Tatewakis Hämatom unter dem linken Auge hängen. Es schimmert immer noch blau-violett und hebt sich deutlich von Tatewakis hellem Teint ab. Ranma fasst einen Entschluss. „Nein“, gibt er mit einer unbestimmten Geste zu Daisuke, Hiroshi und allen anderen im Raum zu. „Seit die wissen, dass ich Akane nicht heiraten werde, flippen die alle völlig aus. Als wäre ich ein Schwerverbrecher. Die sind schlimmer als mein Vater. Was ist so schlimm daran, wenn ich einmal leben will, wie ich es will?“ „Nichts.“ „Wenn ich einmal tun will, was ich tun will?“ „Geht auch in Ordnung.“ „Gut.“ Ranma holt einmal tief Luft. Um seine Mundwinkel spielt ein pfiffiges Lächeln, als er aufsteht, über den Tisch langt, Tatewaki am Kragen seiner Schuluniform packt und ihn daran hoch und zu sich heran zieht, um ihm einen stürmischen Kuss aufzudrücken.       ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)