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Eine Chance für Ranma

von

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Silberstreif

6. Kapitel

Silberstreif

 

Der Rest der Nacht verläuft ungestört, und als Ranma am Morgen aufwacht, ist es das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, dass er von alleine wach wird. Kein Wecker, kein Vater und keine wütende Akane reißen ihn aus seinem wohlverdienten Schlummer. So kommt es aber auch, dass es schon kurz vor acht Uhr und er ganz alleine im Raum ist, als er aufwacht.

Als er das realisiert, sitzt er innerhalb einer Sekunde aufrecht im Bett. Oh nein! Er kommt zu spät zur Schule! Er sieht sich nach seinen Sachen um, rafft sie eifrig zusammen und stürmt dann voller Hast Richtung Bad. Dabei fällt er fast über Sasuke, der auf dem Gang kniet und hingebungsvoll den Steinfußboden schrubbt.

„Oh, guten Morgen, Ranma-kun“, begrüßt ihn der Ninja und Hausdiener fröhlich. „Vorsicht bitte, es ist rutschig,ich habe gerade frisch gewischt.“

„Ja“, erwidert Ranma verdutzt, während er vorsichtig über den Wassereimer steigt. „Das sehe ich.“ Dann hält er zögernd inne, als er sich an das erinnert, was Sasuke ihnen damals über die Zustände im Hause der Kunōs erzählt hat. „So früh schon bei der Arbeit? Musst du... ich meine … zwingen sie dich...“ er macht eine unsichere Handbewegung, die Sasuke, den Gang und die Putzutensilien mit einschließt. Dabei fühlt er sich sichtlich unwohl.

Sasuke blinzelt ihn einen Moment einfach nur verwirrt an, doch dann begreift er und reibt sich verlegen lächelnd den Nacken.

„Neinnein“, beeilt er sich zu versichern, „das gehört zu meinen täglichen Aufgaben. Und ich mag es, wenn alles sauber ist. Ich darf mir sogar selbst aussuchen, was ich wann erledige.“ Er hält kurz inne, während seine Wangen plötzlich in einem zarten Rot zu schimmern beginnen. „Es hat sich einiges verändert seit ich damals weggelaufen bin und bei den Tendōs Unterschlupf fand. Und vieles, was damals meine Gefühle verletzte, beruhte einfach auf Mißverständnissen.“

Ranma nickt erleichtert. Die Vorstellung, dass Tatewaki seinen hauseigenen Ninja wie einen Sklaven behandelte, hat ihn immer davor zurück schrecken lassen, Tatewaki genauer kennen lernen zu wollen.

Nicht, dass sich Ranmas Herz je daran gestört hätte...

Er setzt sich wieder Richtung Bad in Bewegung, aber Sasukes Stimme läßt ihn noch einmal innehalten, und es ist, als habe er Ranmas Gedanken gelesen.

„Sie haben ein großes Herz, die beiden. Gib ihnen einfach eine Chance.“

Ranma spürt, wie er flammendrot anläuft.

„Ja... gut“, stottert er und beeilt sich, weiterzukommen. „Entschuldige, ich muss los. Muss mich beeilen, komme sonst zu spät zur Schule.“

„Aber Ranma-kun“, läßt Sasukes überraschter Ausruf ihn abermals stoppen. „Heute ist Samstag, da ist kein Unterricht.“

„Oh.“ Ranma fühlt sich wie der größte Idiot. Wie konnte er das nur vergessen? Ja, er geht gerne zur Schule, aber so sehr nun auch wieder nicht.

Sasuke mustert den Jungen mitleidig, wie er langsam im Bad verschwindet. Der Ärmste steht wirklich noch völlig neben sich – aber das ist in Anbetracht der Geschehnisse ja auch gar kein Wunder.

 

 

 

Ohne Sasukes Hilfe hätte sich Ranma in dem großen Anwesen bestimmt verlaufen, aber der Ninja bringt ihn, ohne dass Ranma ihn überhaupt danach fragen muß, in die Küche.

Ranma ist verblüfft, die Geschwister an dem schweren Eichenholztisch sitzen zu sehen als wären sie ganz normale Menschen aus der Mittelschicht. Er dachte immer, so reiche Leute wie sie, würden vornehm in einem extra dafür vorgesehenen Salon speisen.

Doch sogar die Miso-Suppe und der Tee sind so normal, dass er sich wegen seiner Vorurteile glatt schämt.

Die beiden haben extra mit dem Frühstück auf ihn gewartet und begrüßen ihn nun mit einem so freundlichen Lächeln, dass er ganz verlegen wird.

Sie haben ihm dem Platz an der Stirnseite des Tisches freigehalten, so dass Tatewaki rechts und Kodachi links von ihm sitzt, und er hat kaum Platz genommen, da gießen sie ihm Tee und Suppe ein.

So wurde er noch nie bedient, und das macht ihn nur noch verlegener. Doch abgesehen davon, dass sich Kodachi völlig normal benimmt, so normal, dass er lieber nicht darauf herumreitet, scheint irgend etwas anderes wirklich nicht zu stimmen. Die beiden versuchen es sich nicht anmerken zu lassen, aber es herrscht eine gewisse Anspannung im Raum. Sofort muß er daran denken, dass der Haushalt der Kunōs nicht nur aus den Geschwistern besteht, von dem Oberhaupt der Familie aber nichts zu sehen ist. Aber wenn dem alten Mistkerl die Nacht im Innenhof nicht bekommen ist, hätte ihm Sasuke doch etwas gesagt, oder?

„Geht's euren Vater gut?“ erkundigt er sich beinahe verzagt.

„Leider“, grummelt Tatewaki, wofür er sich von seiner Schwester einen vorwurfsvollen Blick einfängt.

„Ihm geht es gut“, erwidert Kodachi, während sie Tatewaki streng mustert. Ihr Tonfall ist völlig normal und das ist Ranma ziemlich unheimlich. Es ist, als würde eine völlig andere Person neben ihm sitzen. „Daddy hat das Haus schon verlassen. Ich glaube, er wollte zum Strand fahren, in der Hoffnung, dort auf ein paar seiner Schüler zu treffen.“

Ranma verbeißt sich ein Grinsen. Seine armen Mitschüler tun ihm jetzt schon leid. Kein Strand der Welt ist groß genug, um diesem ständig seine Schüler maßregelnden Direktor zu entkommen.

„Es ist nicht das erste Mal, dass er im Innenhof übernachtet.“ Der böse Blick seiner Schwester hat Früchte getragen. Tatewaki hat bemerkt, dass sein grummeliger Tonfall Ranma nur unnötig beunruhigt hat, und daher bemüht er sich jetzt um ein besonders aufmunterndes Lächeln. „Er denkt dann immer, er sei schlafgewandelt.“

„Ist das seine Ausrede?“ murmelt Ranma mit einem unversöhnlichen Unterton. „Dass er nur schlafwandelt?“

Beruhigend legt Tatewaki eine Hand auf seine und lächelt entschuldigend. Dabei zuckt sein Blick für einen winzig kleinen Moment zu Kodachi hinüber, und Ranma versteht. Es geht nicht darum, was der verrückte Kunō, sondern darum, was Kodachi denkt. Sie soll nichts von dem nächtlichen Besuch ihres Vater bei ihrem Bruder erfahren.

Also verschluckt Ranma alles, was ihm dazu sonst noch auf der Zunge liegt. Vorerst jedenfalls.

Aber wenn es nicht um den Alten geht, was ist dann los?

Ranma braucht noch etwas Zeit, bis er sich ein Herz faßt und das fragt – genau so lange, bis er seine Miso-Suppe zur Hälfte aufgegessen hat.

„Ihr habt doch was. Was ist passiert?“

Die Geschwister verständigen sich mit einem langen Blick. Und Tatewaki, dessen Hand immer noch auf Ranmas liegt, drückt diese nun sachte und lächelt schief.

„Vor zehn Minuten hat uns dein Vater auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ihnen ist aufgefallen, dass du über Nacht nicht nach Hause gekommen bist. Jetzt rufen sie alle an und fragen nach dir.“

„Oh“, macht Ranma und schluckt einmal schwer, während seine Blicke auf diese Nachricht hin unruhig zwischen Tür und Fenstern hin und her irren, als befürchte er, die gesamte Familie Tendō würde plötzlich durch die Fenster hineinstarren oder als würde Akane zusammen mit seinem Vater jederzeit durch die Tür stürmen, um ihn mit zu schleifen.

„Mach dir keine Sorgen, Ranma-kun.“ Mit einem wahrhaft bezaubernden Lächeln – eines, das so ganz anders ist, als sonst, viel freundlicher, viel ehrlicher – lehnt sich Kodachi etwas zu ihm hinüber und legt ihre Hand auf seinen Unterarm. Es ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht, vor allem, weil sie endlich auf dieses übertriebene „-sama“ hinter seinem Namen verzichtet. „Mein Bruder hat einen Plan. Er regelt das. Nicht wahr, Niichan?“ vergewissert sie sich mit einem auffordernden Tonfall bei ihrem Bruder. In Ranmas Ohren klingt es wie ein verbaler Tritt in den Allerwertesten.

„Natürlich“, erwidert Tatewaki und trinkt bedächtig seinen Tee. „Verlaßt euch ganz auf mich.“

Ranma runzelt die Stirn, denn entgegen seiner Worte wirkt Tatewaki sehr angespannt, und sofort verspürt Ranma sein schlechtes Gewissen. Er hat kein Recht, Tatewaki derart in Schwierigkeiten zu bringen. Aber bevor er etwas sagen kann, hängt plötzlich Kodachi an seinem Arm.

„Und wir beide gehen währenddessen in die Innenstadt. Ich will shoppen gehen und brauche eine Begleitung.“

„Was-“ instinktiv will er sie abschütteln, wie so viele Male zuvor, doch wie ebenfalls schon so viele Male zuvor, bleibt sie hartnäckig. Nur ihr Lächeln hat jetzt gar nichts krokodilartiges mehr an sich. Im Gegenteil – hätte sie schon immer so gelächelt, hätte sie vielleicht eine Chance bei ihm gehabt.

„Das ist eine sehr gute Idee.“ Tatewakis ruhige Worte zerstören jede Hoffnung auf Schützenhilfe von dieser Seite. „Und ich stoße dann später zu euch, dann gehen wir zusammen ins Kino. Was haltet ihr davon?“

„Das klingt super, Niichan. Nicht wahr, Ranma-kun?“

„Was-?“ Ranma starrt nur erst sie und dann ihren Bruder entgeistert an. Zweifellos haben sich die beiden abgesprochen.

„Ranma.“ Plötzlich liegen Tatewakis Finger nicht mehr auf Ranmas Hand, sondern auf seiner Wange. „Ich weiß, ich habe dir versprochen, dass nie wieder jemand über dich bestimmen wird, aber ich bitte dich: nur noch dieses eine Mal. Geh mit meiner Schwester in die Innenstadt, während ich diese Sache ein für alle Mal regele. Ich erzähle dir dann alles, wenn ich zu euch stoße. Vertrau mir, bitte.“

Ranma versinkt in diesen wunderschönen, ernsthaften saphirblauen Augen und kann nur stumm nicken.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Witch23
2020-08-22T10:25:59+00:00 22.08.2020 12:25
Das desorientierte auf und losjagen war auch schon wieder recht normal. Aber schön wie Sasuke ihn abgefangen hat ^^

Dazu dann die Geschwister waren auch irritierend. Ich glaube neben der Tatsache das es Ranma nicht so gut geht sorgt auch das so andere verhalten der Geschwister dafür das er etwas leicht neben sich wirkt ^^
Antwort von:  MariLuna
23.08.2020 23:01
Ich liebe eben solche Psycho-Dingens. Und ich kenn mich aus mit "von der Rolle sein", "total neben sich stehen" und all dem Zeugs. ^^


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