Decision von MoonLestrange ================================================================================ Kapitel 6: Sonnenfolter ----------------------- Urd war verschwunden, zusammen mit Lest Karr und das schon seit einigen Minuten. Wohin waren sie gegangen? Was hatte Urd gewittert? Aoi hatte sich inzwischen auf den Boden gesetzt und sich mit dem Rücken an das Geländer gelehnt. Ob sie es sich erlauben konnte, ein wenig zu dösen? Aber dann würde sie vielleicht etwas Wichtiges verpassen. „Was machst du da? Schläfst du etwa ein?“, Ky Luc saß neben ihr auf dem Geländer. Wann war er gekommen? Sie hatte ihn nicht bemerkt. „Immer noch etwas neben der Spur, hm? Hat Meister Geales wirklich so viel genommen?“, fragte er gut gelaunt und begann mit seinen Beinen zu baumeln. „Du…weißt also doch davon“, ihre Hand fuhr erneut zu ihrer Kehle. Sie sollte sich das abgewöhnen. Er lächelte breit: „Natürlich weiß ich das, es war nicht zu überriechen. Aber er sah sehr zufrieden aus, also wird’s ihm wohl ganz gut geschmeckt haben. Er sagte zwar zu uns, das es ganz in Ordnung war, aber sein Blick hat was anderes gesagt. Er ist wirklich ein schlechter Lügner.“ Na toll, ihr Blut entsprach also genau Urds Geschmack. Wie viel Pech konnte sie eigentlich haben? „Woran erkennst du das? Ich sehe ihm ins Gesicht und sehe nichts. Ist euer Geschmack wirklich so verschieden? Ist Blut nicht einfach…Blut?“, murmelte Aoi, aber Ky Luc konnte sie natürlich trotzdem verstehen. Ky blies seine Wangen auf: „Hör mal, du Banause. Natürlich leben wir in Zeiten in denen wir es uns nicht leisten können wählerisch zu sein. Aber bevor dieser Virus alles verwüstete hatten viele Adelige, aber auch normale Vampire, freiwillige Spender. Ach ja, damals kam die Beute noch von selbst zu uns. Selbstverständlich hat jeder Vampir einen anderen Geschmack, aber das habt ihr Menschen ja auch, wenn ich mich nicht irre. Wäre ja furchtbar, wenn alle dasselbe mögen würden, oder? Meister Geales hat gelernt, seine Gedanken gut zu verbergen. Aber wenn man ihn gut kennt, dann kann man ihn doch irgendwann durchschauen.“ Jetzt wurde es langsam kompliziert. Vampire waren wirklich eine eigene Spezies, auch wenn Aoi inzwischen eine Menge über sie erfahren hatte, so ganz wusste sie immer noch nicht, wie sie tickten. Vielleicht war es auch für Menschen völlig unmöglich. „Wieso lügt er euch an? Ich dachte, ihr versteht euch so gut“, fragte Aoi. „Tun wir ja auch, zumindest für Vampirverhältnisse. Aber…“, Ky beugte sich etwas nach vorn, „Er wird vermutlich nicht mal im Traum darüber nachdenken, seine Beute zu teilen. Zumindest solange keiner von uns am Hungertuch nagt. Dann schon, er würde wohl keinen von uns verdursten lassen. Jeder Vampir weiß, wie es sich anfühlt länger nichts getrunken zu haben. Ich auch, ich wäre sogar mal fast verdurstet, aber Letzen Endes hat Meister Geales mich gerettet.“ „So ist das also!“, Aoi schlug mit einer Hand gegen das Geländer, „Der will mich zu seinem Blutbeutel machen! Glaubt er wirklich, dass ich mich so einfach von ihm zu einem…Zuchttier machen lasse? Oder wie auch immer ihr Vampire das nennt.“ Ky hob abwehren die Arme: „Nun komm mal wieder runter. Es gibt sicher Vampire, die das sagen, aber doch nicht Meister Geales.“ Aoi verschränkte die Arme vor der Brust: „Soll mich das beruhigen?“ Dann drehte Ky Luc sich um: „Oh, da sind sie ja wieder.“ Aoi zog sich an dem Geländer hoch und Ky sprang zurück zu der Gruppe. Urd und Lest Karr waren zurück von ihrem kurzen Ausflug. Die beiden waren nicht allein, Lest Karr hatte den silberhaarigen Vampir an seinem Zopf gepackt und Urd hielt ein kleines Mädchen mit rosafarbenen Haar in seiner Hand. War das diese Krul Tepes, von der Urd bereits gesprochen hatte? Aoi meinte jedenfalls dieses Kind schon einmal gesehen zu haben, aber ihr fiel gerade nicht mehr ein wo. Lest und der silberhaarige unterhielten sich kurz leise, aber anscheinend hatte Lest dieses Gespräch nicht gefallen, denn er verpasste ihm einen Schlag in die Magengrube, der bestimmt nicht von schlechten Eltern gewesen war. Urd hielt das kleine Mädchen an ihrem Nacken und hob sie in die Höhe: „Wir haben die beiden Verräter geschnappt! Wir werden sie der Sonnenfolter unterziehen! Bereitet alles vor!“ Dieses Mal brauchte sich Aoi nicht anstrengen, um das gesagte zu verstehen, Urds Stimme hallte über den gesamten Platz. „Was?“, die Kleine stieß einen Ruf des Entsetzens aus. Ihre kindliche Stimme war schon fast Mitleiderregend, aber egal wie sie sprach, sie war vermutlich ein tausende Jahre alter Vampir. Was meinte Urd mit Sonnenfolter? Der Reaktion nach zu urteilen musste es eine ziemlich harte Strafe sein. Aber ihr dämmerte bereits, dass sie schon gleich sehen würde, was damit gemeint war. Urd ließ seine Gefangene neben den anderen Vampir fallen. „Ihr werdet zehn Tage in der Sonne braten. Wenn ihr dann etwas zu sagen habt, höre ich euch gerne zu. Ich werde euch kurz und knapp befragen“, Urds Stimme hatte einen bedrohlichen Unterton bekommen, „Wehe, ihr sagt dann etwas Falsches!“ Bisher hatte sie Urd immer als ruhige Persönlichkeit wahrgenommen. Seine Stimme war ohne jede Emotion gewesen, doch jetzt schien er nur so vor Autorität zu strotzen. Er hatte also auch eine andere Seite, die man lieber nicht kennenlernen wollte. Offenbar war er in der Lage, sich durchzusetzen, wenn es die Situation erforderte und drastische Maßnahmen zu ergreifen. Niemand schien seine Entscheidung infrage zu stellen, ein Zeichen dafür, dass er die absolute Kontrolle besaß. Egal was er sagte, es wurde gemacht. Es war schon komisch, wie viele Parallelen es zwischen der japanischen, kaiserlichen Dämonenarmee und der Vampirgesellschaft gab. Wenn ein Mitglied der Hiragis etwas befahl, dann wurde es auch gemacht, ob man das nun wollte oder nicht. „Ky Luc!“, rief Urd, „Du beaufsichtigst die Folter!“ „Was? Ich? Wirklich?“, Kys Stimme klang verwundert, „Ferid ist kein Problem, aber eine Urahnin dritten Ranges?!“ Ihm schien das Ganze nicht so richtig zu behagen. Urd redete wieder etwas leiser, Aoi konnte nur noch hören, wie er sagte: „Ich will hier keinen Ärger.“ „Jawohl“, antwortete Ky ihm gewissenhaft. Mika beobachtete das Schauspiel mit Unmut. Das war gar nicht gut, Urd Geales schien ziemlich sauer zu sein. Ob er von Kruls Experimenten wusste? „Jetzt warte doch mal, Urd!“, hörte er Krul sagen. Doch Urd ließ nicht mit sich reden. Er packte sie am Arm und zog sie nah vor sein Gesicht: „Ruhe jetzt! Dein Auftritt hier ist vorbei. Du hast dich an einem der größten Tabus vergriffen und dabei versagt, die Organisation der Menschen zu zerschlagen. Wir haben dir dieses Gebiet überlassen, aber du hast deine Autorität und unsere Leute schändlichst missbraucht! Ich werde dir das nicht durchgehen lassen, egal was deine Gründe sind, der Zweck rechtfertig nicht immer die Mittel!“ Egal wie sehr Mika Krul vertraute, er konnte leider nicht sagen, dass Urd Geales ganz Unrecht hatte. Diese Forschungen mit dem Seraph of the End waren viel zu gefährlich, um sie weiter zu betreiben. Urd übergab Krul an Lest Karr und schaute sich um, anscheinend suchte er jemanden. Schließlich blieb sein Blick an Mika hängen. Mika musste schlucken, als dieses Monstrum von Vampir auf ihn zukam. Mika hatte sich nie wirklich mit den Herrschern der Vampire beschäftigt, aber von Urds großer Macht hatte er schon gehört. Wollte er ihn etwa auch bestrafen? Hatte Krul geplaudert? Würde er auch Yuu aus dem Weg räumen wollen? Unsicher legte er eine Hand auf den Griff seines Schwertes. Natürlich hatte er im direkten Zweikampf keine Chance, aber besser als sich einfach abschlachten zu lassen. „Immer mit der Ruhe, kein Grund, gleich zur Waffe zu greifen“, sagte er, „Ich werde dir schon nichts tun. Ich nehme an, du bist Mikaela?“ Mika nickte: „Ja.“ „Krul hat dich uns zwar nie vorgestellt, aber du hättest Anspruch auf einen Rang als Urahn. Von daher hoffe ich, dass wir uns verstehen. Auf gute Zusammenarbeit“, Urd reichte ihm die Hand. Unsicher sah Mika ihn an, aber um nicht für Unmut zu sorgen nahm er sie an. Dieser Rang war ihm ehrlich völlig egal. Er wollte eigentlich ablehnen, aber Urd war schon wieder gegangen, er wollte wohl bei den Vorbereitungen für die Sonnenfolter aufpassen. Mika beschloss, erst einmal zu den anderen zurückgehen. „Was ist, Mika? Was wollte dieser Typ von dir?“, fragte Yuu, natürlich in voller Lautstärke. Mika hielt ihm den Mund zu: „Rede doch mal leiser! Wenn dich einer hört! Die haben gute Ohren!“ Yuu befreite sich aus Mikas Griff: „Ist ja gut, ich rede ja schon leiser. Hey, Mitsuba. Was ist? Du schaust so nachdenklich.“ Mitsuba saß auf einem der Sitzpolster und schaute gedankenverloren zum Fenster hinaus. „Ah, nein. Alles in Ordnung. Ich dachte nur…vergiss es.“ „Mitsuba?“ Die Vorbereitungen gingen zügig voran. In Windeseile hatten die Vampire zwei hölzerne Kreuze besorgt und ihre beiden Gefangenen daran befestigt. Aoi wusste nicht so recht was sie vorhatten, aber Ky Luc beantwortete ihre Frage recht schnell. Ihm wurde ein Schwert gebracht, was Aoi etwas wunderte. Hatte er kein eigenes? Jetzt, wo sie so darüber nachdachte hatte sie bei ihm noch keine Waffe gesehen. „Dann legen wir mal los. Zerstört die UV-Schutzringe!“, rief Ky und zog sein Schwert aus der Scheide. Den UV-Schutzring zerstören? Aber ohne den können Vampire doch nicht…Aoi schluckte, jetzt war ihr klar, was mit Sonnenfolter gemeint war. Das hätte sie sich vielleicht auch denken können. Ky holte mit dem Schwert aus und man sah einen dunklen Ring wegfliegen. Kurz darauf stand der silberhaarige Vampir in Flammen und ein markerschütternder Schrei breitete sich aus. Auch von ihrer Position aus konnte sie den Geruch nach verbranntem Fleisch wahrnehmen. Aoi war wie in Schockstarre, sie hatte schon einiges gesehen, aber das musste entsetzlich sein. Aoi schüttelte den Kopf. Um die Blutsauger machte sich ein Mitglied der Dämonenarmee keine Gedanken, was interessierte es sie? Ky erhob erneut sein Schwert: „Als nächstes darf ich Euch bitten, Majestät!“ Damit flog auch der zweite UV-Schutzring. Sie konnte sehen, das Urd noch einmal mit Ky sprach, bevor er und Lest Karr zurück an Bord des Schiffes gingen. Allmählich lehrte sich der Platz, nur Ky blieb mit den beiden brennenden Vampiren zurück. Sie konnte die Schritte der beiden hören. Sie klopfte sich ein paar Mal auf die Wangen und rief sich zur Ordnung. Sie wollte nicht, dass die beiden ihr ihre Gefühle bemerkten. Sie schaute noch einmal zurück zu dem Bus, sie konnte sehen wie ihre Schwester und ihr Team ihn verließen und loszogen, wohin auch immer. Was hatten die vor? Hoffentlich nichts Dummes. Dann drehte Mitsuba ihren Kopf noch einmal in ihre Richtung. Aoi erstarrte, als ihre Blicke sich trafen. Ob Mitsuba sie gesehen hatte? Sie hoffte nicht, immerhin war sie ziemlich weit weg. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, ihre kleine Verräter-Schwester, die sie zusammen mit Vampiren sah. Aber bei dem Glück, was sie in den letzten Stunden gehabt hatte, war es gar nicht mal so unwahrscheinlich. „Gut, bereitet alles vor. Bei Einbruch der Abenddämmerung geht es los. Bereitet die Helikopter vor“, es war Urds Stimme, damit zog er Aois Aufmerksamkeit wieder auf sich. Warum brauchten sie die jetzt? Wo sollte es hingehen? Wollten sie direkt Shibuya angreifen? Hoffentlich nicht. Schon bald würde Kureto versuchen, Tenri Hiragi zu stürzen. Nicht die gesamte Armee stand auf Kuretos Seite, somit waren Reibereien vorprogrammiert. Wenn dann auch noch Vampire angriffen, dann würden sie noch Chancenloser sein, als ohnehin schon. Dann würden sie einfach alle von Urd und seiner Armee hinweggefegt werden. Nein, das durfte sie nicht zulassen! Wenn das tatsächlich ihr Plan war, dann musste Aoi sich etwas einfallen lassen, sie musste die Vampire dazu bringen, nicht Shibuya anzugreifen, zumindest nicht solange, wie der Machtwechsel noch nicht von statten gegangen war. Gab es nicht einen anderen Ort, denn die Vampire angreifen konnten? Vielleicht war ihre Armee dann auch etwas geschwächt, wenn sie zuerst einen anderen Posten angriffen? Vielleicht sollte sie so tun, als würde sie mit den Vampiren kooperieren und ihnen dann ein besseres Ziel nennen? Sie ging zu Urd, der gerade wieder ins Innere des Schiffes zurückging. „Warte!“, rief sie. Er drehte sich um: „Ich habe jetzt zu tun und keine Zeit, mich um dich zu kümmern, Aoi.“ Nannte er sie jetzt schon beim Vornamen? „Was habt ihr vor, wozu bracht ihr Helikopter?“, fragte sie ihn einfach direkt. Es würde ihr keine Punkte bringen, um den heißen Brei zu reden. Urd seufzte, antwortete ihr jedoch: „Wir brechen jetzt nach Sanguinem auf und werden dort das Chaos beseitigen, was du und deine Leute dort angerichtet haben.“ Innerlich atmete Aoi auf, sie wollten noch nicht nach Shibuya, also hatten sie doch keine Blitzkrieg-Taktik. Vermutlich war es aus ihrer Sicht auch sinnvoll, ihre Hauptstadt als erstes wieder ins Visier zu nehmen. Ihr war jetzt schon klar, dass die dort stationierten Soldaten dem Angriff der Vampire nie und nimmer standhalten konnten. Aber sie konnten vielleicht etwas Zeit schinden, bis Kureto und seine Leute Terni getötet hatten. Sie hatte sich jetzt schon damit abgefunden bei dem Putsch nicht dabei zu sein, aber vielleicht konnte sie zumindest Kureto den Rücken frei halten. Der war bestimmt bald in Shibuya und hatte noch immer keine Ahnung von der Bedrohung aus Europa. Sie musste ihn warnen, vielleicht konnte sie Urd davon überzeugen, sie mitzunehmen und sie konnte das Chaos für einen Funkspruch nutzen. Aoi rannte los und rief ihm zu: „Moment! Nehmt mich mit! Ich kann euch behilflich sein!“… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)