Blood and Whine von Daelis (Ist doch alles Käse!) ================================================================================ Prolog: Greifen greifen ----------------------- Kalter Abendwind wehte mir ins Gesicht, zerzauste meine Haare und ließ die bunten Baumkronen so laut rauschen, dass es sich fast anhörte, als wäre man am Meer. Laub raschelte und knisterte bei jedem Schritt unter meinen Füßen. Ich mochte dieses kleine Waldstück. Wenn man es denn so nennen wollte, immerhin konnte man im Winter problemlos von einem Rand zum anderen sehen. Jetzt im Spätherbst waren die Bäume zwar schon kahl, der Boden jedoch voller Blätter, die in schönsten Gelb- und Rottönen leuchteten. Hinter den dichten Wolken konnte man die Sterne mehr erahnen als sehen. Es war viel später geworden, als ich es geplant hatte. Eigentlich hätte ich längst daheim sein wollen, gemütlich eingekuschelt auf meinem Sofa oder vorm Rechner. Stattdessen stand ich hier und konnte förmlich spüren, wie der erste Frost sich durch die Sohlen meiner Turnschuhe zog bis hoch in meine Beine. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, dennoch innezuhalten und für einen Moment einfach nur die Stille zu genießen. Die Ruhe währte jedoch nicht lange, sondern wurde von einem mir wohlbekannten Klang gestört, den ich unter anderen Umständen besser hätte genießen können. Mein Handy hatte unversehens begonnen, „Tesham Mutna“ vom Witcher III-Soundtrack abzuspielen. Missmutig kramte ich das Telefon aus meiner Umhängetasche und blickte auf das Display, welches mir musikalisch unterlegt kundgab, dass mich eine SMS erreicht hatte. Sansi. Einen Moment lang war ich versucht, die Nachricht einfach zu ignorieren. Allein die Erinnerungen an unseren dummen Streit genügte, um jeden Anflug von Entspannung direkt wieder zunichtezumachen. Verbissen rief ich die SMS auf, mit dem festen Vorsatz, nicht vorschnell zu antworten, um nichts zu schreiben, das mir später leidtäte. Die ganze Planung war einfach scheiße gelaufen, daran hatten wir beide gleichermaßen Schuld oder eben auch nicht und im Grunde wussten wir das beide. Es war albern, dass wir uns deswegen überhaupt in die Haare bekommen hatte. Wieso hatten wir darüber überhaupt gestritten? Wir waren wohl letzten Endes wohl einfach beide zu frustriert gewesen, weil der geplante Kurztrip ins Wasser fiel, obwohl wir beide uns so darauf gefreut hatten. Seufzend schob ich das Handy zurück in meine Jackentasche und hob den Blick zum Himmel. Die Wolkendecke hatte sich an einer Stelle geöffnet und gab den Blick auf ein funkelndes Sternenmeer preis. Dass genau in diesem Moment eine Sternschnuppe durch mein Blickfeld fiel, war reiner Zufall, aber einer, der mich schmunzeln ließ. „Wäre es doch nur immer so ruhig“, wünschte ich mir stumm, schloss die Augen und atmete bewusst einige Male ein und aus. Mein Wunsch wurde mir nicht erfüllt. Ein schrilles Kreischen durchbrach die abendliche Stille und kaum, dass ich mich zur Quelle des Lärms umgewandt hatte, erblickte ich auch schon ihren Ursprung in Form einer Kreatur, von der ich niemals erwartet hatte, sie jemals zu erblicken. Eine Kreatur, die es schlicht und ergreifend nicht gab! Meine Augen weiteten sich vor Schreck und Unglauben gleichermaßen, denn direkt vor mir erhob sich ein Greif. Ich schluckte schwer, doch der Kloß in meinem Hals wollte nicht verschwinden. Dann traf mein Blick den des Greifen. Genau genommen, flüsterte meine innere Stimme mir altklug zu, handelte es sich um einen Königsgreif. Ganz toll. Wirklich ganz toll. Ich wusste also, was mich töten würde. Jackpot. Erneut schrie das Ungeheuer auf, dann spreizte es die Flügel und erhob sich in die Lüfte. Mir erschien der Greif in diesem Moment einfach nur gigantisch und groß war er allemal. Sein Körper war mindestens so groß wie ein Löwe, ein wirklich großer Löwe mit Flügeln und einem Schnabel, der durchaus den Eindruck erweckte, man könnte damit auch Menschen wunderbar zerlegen. Mit wenigen Flügelschlägen hatte der Greif ein paar Meter an Höhe gewonnen und den Blick dabei eindeutig auf mich geheftet. Nicht gut. Gar nicht gut. Es brauchte keinen weiteren Aufschrei des Greifen, um mir das Signal zu geben, mich möglichst schnell vom Acker zu machen. Ich drehte auf dem Absatz herum und rannte so schnell ich konnte. Das war zugegeben nicht sehr schnell, denn Sportlichkeit konnte man mir wirklich nicht nachsagen, aber Angst und das Adrenalin, das durch meine Adern raste, trieben mich an. Darauf geachtet, wohin ich eigentlich lief, hatte ich in meiner Panik nicht. In meinem Kopf gab es nur noch den Gedanken, dass ich so schnell wie nur möglich von hier wegmusste, wenn ich nicht herausfinden wollte, wie sich die Klauen der Chimäre in meinem Fleisch anfühlten. Planlos rannte ich zwischen den Bäumen her, wobei ich es nicht wagte, mich umzusehen, wenngleich ich den Greif oder vielmehr seine Flügelschläge doch genau hören konnte. Gerade wollte ich einen Haken schlagen, da spürte ich, wie sich etwas in meine Jacke bohrte, meinen Rücken streifte und dort einen schmerzhaften Kratzer hinterließ. Was jedoch sehr viel schlimmer war, war der Umstand, dass mich dieses etwas vom Boden hob und hoch in die Lüfte zog. „Nein!“, wollte ich schreien, doch aus meiner Kehle kam nicht mehr als ein recht erbärmliches Japsen, während die Bestie mit mir im Schlepptau immer höher stieg. Das Geräusch der mächtigen Schwingen dröhnte in meinen Ohren, während der Greif mich über die die Baumkronen hinweg trug. Wohin, das wollte ich lieber nicht wissen. Schon allein deshalb nicht, weil sich meine Höhenangst bemerkbar machte und mir derart übel wurde, dass ich einfach die Augen schloss, um nicht nach unten sehen zu müssen. Es war auch so unangenehm genug, dass meine dicke Jacke mir unangenehm gegen den Hals drückte, was mich ein klein wenig würgen ließ. Wenigstens hielt die Jacke, tröstete ich mich, sonst hätte ich jetzt ganz andere Probleme, als nur von einem Greifen verschleppt zu werden. Als mich die Bestie plötzlich losließ, riss ich erschrocken die Augen auf und schrie schrill auf vor Schreck. Im ersten Moment glaubte ich, mein Leben würde damit enden, dass ich mit der Eleganz eines Schnabeltieres einen Abgang machte, indem ich einfach auf den Boden klatschte, doch zu meinem Glück fiel ich nicht tief, kaum mehr als einen Meter, dann plumpste ich auf trockenes Laub und Äste. Verwundert blinzelnd sah ich mich um, während über mir der Greif aufschrie, mir dann aber keine weitere Aufmerksamkeit schenkte, sondern davonflatterte. Noch während mein Blick über das Geflecht aus Ästen, Blättern und seltsamen Büscheln Wasauchimmer glitt, dämmerte mir, wo ich gelandet war. Das musste das Nest des Greifen sein. Neben mir lagen sogar drei Eier, die glatt eine Unterarmlänge maßen. Ernüchtert starrte ich die potentiellen Mega-Omeletts an, als deren erster Snack ich wohl geplant war. Mehr als einen Augenblick lang zog ich ernsthaft in Erwägung, die Eier einfach aus dem Nest zu schubsen. Dann könnten sie mich zumindest nicht mehr fressen! Allerdings machte mir die Mami sowieso sehr viel mehr Sorgen. Eines war in jedem Fall klar: Ich würde nicht hierbleiben. Nur blöd, dass das mit dem Abhauen auch so einen Haken hatte. Namentlich den Baumwipfel, in dem ich hier hockte. Wie hoch genau dieser massige Baum war, wollte ich lieber nicht genau wissen, aber ein vorsichtiger Blick über den Rand des Nests genügte, dass sich mir gehörig der Magen herumdrehte. Das waren mindestens 20 Meter! Oder zumindest bildete ich mir das ein. Schätzen war nicht so meine Stärke. „Scheiße“, murmelte ich in mich hinein und rutschte eilig wieder etwas zur Nestmitte, um nicht doch noch eine ungeplante Flugstunde zu nehmen, die nur nach unten führte. Ein kurzer Blick aufs Handy. Kein Netz. War ja klar. Also lag es an mir. Was blieb mir auch anderes übrig, als zu versuchen, irgendwie diesen verdammten Baum herunterzukraxeln? Abwarten, bis Mama Greif nach Hause kam, wollte ich sicher nicht. Also schwang ich mich über den Nestrand auf den nächstbesten abstehenden Ast. Das hier würde die absolute Hölle, soviel war mir klar. Selbst, wenn ich beim Herunterklettern nicht abstürzte oder mir die Beine brach, hatte ich noch immer absolut keine Ahnung, wo genau ich eigentlich steckte. Hätte ich doch bloß besser aufgepasst, anstatt die Augen zuzukneifen. Vorsichtig und ungeschickt rutschte ich von Ast zu Ast. Das sah in Filmen auch bedeutend leichter aus. Nach nicht einmal zwei Metern war ich nicht nur aus der Puste, sondern auch zerkratzt. Mehrmals war ich an irgendwelchen Zweigen hängengeblieben, was mir mindestens einen längeren Riss auf Kniehöhe in der Hose eingebracht hatte. Wie meine Jacke aussah, konnte ich in der Dunkelheit nicht genau erkennen, aber sie hatte sicher auch einiges abbekommen. War das Karma wegen des Streits mit Sansi? Klar, ich hatte mich da nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert und mich kindisch benommen, aber das hier erschien mir dann doch etwas arg heftig. Mal ehrlich: Von einem Greifen verschleppt? Das war kreativer als alles, was ich mir selbst hätte ausdenken können, auch wenn es keine der Fragen beantwortete, die ich mir im Stillen stellte. Zum Beispiel, um’s mal ganz elementar zu halten: Seit wann zur Hölle gab es diese Viecher?! Davon müsste man doch wissen, oder? Jeder Zoologe würde vermutlich völlig ausflippen, wenn ihm so ein Greif vor die Nase kam. Unauffällig war das Vieh ja nicht gerade. Da hätte man meinen sollen, es wäre irgendwie irgendwem schon einmal aufgefallen. Aber nein. Nein, nirgendwo war auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verloren worden, dass so ein Mistvieh sich hier herumtrieb und wahlweise Großwild oder Menschen zum Abendessen mitnahm, und zwar als das Abendessen. Nichts in den Nachrichten im Radio, keine Warnschilder im Park ala “Achtung. Sie könnten von einem Greif gefressen werden”. Nichts. Ächzend hielt ich auf meinem Ast inne und wagte einen Blick nach unten. Der Anblick ließ mich direkt noch einmal seufzen. Nicht einmal die Hälfte geschafft und ich könnte schwören, beim nächsten Kletterakt würden entweder meine Arme nachgeben oder ich müsste kotzen. Womit hatte ich das bloß verdient? Mein Blick wanderte nach oben. Hätte die kleinen Scheißer doch aus dem Nest werfen sollen, dachte ich grimmig, atmete tief durch und machte mich wieder an den Abstieg. Zumindest musste ich dank meiner dicken Jacke nicht frieren und war bisher recht glimpflich davongekommen, was Kratzer anging, denn überall standen kleine Äste ab, in denen auch meine Haare immer wieder hängen blieben. Wenn ich das hier überlebte, sah ich vermutlich aus, als hätte ich eine Woche Zombieapokalypse hinter mir - als Zombie! Den letzten Meter sprang ich kurzerhand. Um nichts in der Welt hätte ich das noch länger durchgehalten. Mir tat buchstäblich alles weh. ALLES! Beine, Arme, Hände. Letztere waren ordentlich zerschunden, meine Hose hatte mehrere Risse, die Jacke sowieso und obendrein war ich derart durchgeschwitzt, dass ich für eine heiße Dusche so einiges gegeben hätte. Aber wenigstens hatte ich es irgendwie nach unten geschafft. Erschöpft ließ ich mich einfach ins Gras fallen. Was ein Scheiß! Schwer atmend schloss ich die Augen, da ließ mich ein Kreischen auch schon hochschrecken und alle Erleichterung darüber, den Kletterparcours überlebt zu haben, vergessen. Ich hätte nicht nach oben blicken müssen, um zu wissen, dass es der Greif war, den ich da hörte. Dieser Schrei würde mich für immer verfolgen. Eilig rappelte ich mich auf. Das Vieh würde sicher gleich bemerken, dass seine Beute getürmt war und wenn es soweit war, wollte ich auf gar keinen Fall in der Nähe sein. Ohne weiter zu fackeln, und meiner Erschöpfung zum Trotz, die mich ahnen ließ, dass ich nicht mehr weit käme, hastete ich drauf los. Wohin war mir dabei erst einmal völlig egal, ich lief einfach blindlings in irgendeine Richtung. Da ich sowieso nicht wusste, wo ich hier überhaupt gelandet war, waren alle Richtungen gleich gut und gleich schlecht. Wenn ich nur irgendwo Schutz oder Hilfe fände! Ein Haus, ein Panzer, vielleicht ein FLAK? Ich war flexibel! Erneut ertönte hinter mir der Aufschrei des Greifen und müsste ich raten, würde ich wohl darauf tippen, dass da jemand so gar nicht erfreut darüber war, dass sich das Abendessen verpisst hatte. Da wäre ich auch nicht unbedingt begeistert gewesen. Das Geräusch mächtiger Schwingen ließ mich diesen Gedanken aber sofort wieder vergessen. Hastig taumelte ich weiter, wobei ich einen Blick über die Schulter wagte. Sehen konnte ich das Untier zwar nicht, aber das erneute Kreischen genügte mir als Beweis, dass der Greif nahe war. Zu nahe für meinen Geschmack. Panik und die blanke Angst um mein Leben hatten längst jede andere Überlegung beiseitegefegt und ließen nur für einen einzigen Gedanken Raum: Ich musste ein sicheres Versteck finden! Kapitel 1: Der Hexer -------------------- Planlos raste ich durch den dunklen Wald, blieb dabei immer wieder an Ästen und Zweigen hängen und verfluchte den Tag und den Greifen über mir im Besonderen, denn der war längst auf mich aufmerksam geworden. Wie hätte es auch anders sein können? Als wäre ich so ein widerlich stinkender Kreuzdorn! So hieß, meinte ich, die Pflanze, die in Flüssen wuchs, stank als gäbe es kein Morgen und als Greifenköder fungierte. Eine der Lektionen Vesemirs, die in meinem Kopf hängen geblieben waren. Nur, dass mir das überhaupt nicht weiterhalf, denn ich wollte ja keinen Greif anlocken, sondern vielmehr einem entkommen. Hinter mir ertönte erneut lautstark und für meinen Geschmack viel zu nahe das Kreischen des Greifen, als habe dieser meinen Gedanken gehört und plane, mir aufzuzeigen, dass der Gedanke, ich könnte vor ihm davonlaufen, ziemlich absurd war. Mit seinen mächtigen Schwingen war das Biest zweifellos wirklich viel schneller. Mein einziger Vorteil war, dass die Äste der Baumkronen den Greifen daran hinderten, zwischen den Stämmen durchzufliegen. Sonst hätte er mich wohl auch schon längst eingeholt. Aber auch so war das mystische Wesen mir näher, als mir lieb war. Nur der Gedanke an die Klauen der Kreatur genügte, um mich anzuspornen, das Brennen in meiner Brust ebenso zu ignorieren wie meinen rasselnden Atem. Japsend taumelte ich halb vorwärts, halb rückwärts weiter und wie es der Zufall so wollte, fand ich dabei die eine lose Wurzel im ganzen Umkreis, um an eben dieser Wurzel hängen zu bleiben und ungebremst auf meinen linken Arm zu fallen. Glühend zog sich der Schmerz meinen Ellenbogen hinauf bis in meine Schulter. Autsch! Das würde auch morgen noch kräftig wehtun, vorausgesetzt natürlich ich überlebte bis dahin, denn direkt neben mir war der Greif gelandet. Schrill durchdrang sein Kreischen den Wald und ging mir durch Mark und Bein. Ich wollte schreien, doch jeder Laut blieb mir im Halse stecken, als das Biest mich mit seinem Blick fixierte. Wäre es vernunftbegabt, hätte ich vielleicht darauf hoffen können, mich irgendwie aus meiner misslichen Lage herauszureden, doch die nach mir schlagende Klaue verriet klar, dass ich mir die Mühe auf jeden Fall sparen konnte. Heiße Tränen schossen mir in die Augen. Es fühlte sich an, als wäre die Zeit plötzlich träge geworden, so viel ging mir durch den Sinn, während ich mir der Endgültigkeit meiner Lage bewusst wurde. Alles außer den Greifen hatte ich sowieso längst ausgeblendet. Womit hatte ich das nur verdient? Warum musste ich so jung sterben! Ich hatte noch so viele Pläne! Ich wollte noch so gerne die neue Witcher-Serie von Netflix schauen, die im nächsten Jahr erscheinen sollte, ich wollte so gerne noch Tanz der Vampire sehen, Thomas Borchert live hören! Doch jetzt würde das Letzte, das ich sah und hörte, das Mistvieh sein, das sich auf mit gespreizten Schwingen auf mich stürzte. Instinktiv hob ich die Arme schützend vor mein Gesicht. Dass ich am ganzen Leib schlotterte und die Hände zu Fäusten geballt hatte, bemerkte ich nicht einmal mehr. Mein Ende war nah. Der Greif würde mich töten und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Der erwartete Schmerz kam nicht. Stattdessen erfüllte ein strahlend grelles, bläuliches Licht den Wald, blendete mich und den Greifen gleichermaßen, sodass ich die Augen zukneifen musste, ohne überhaupt zu ahnen, woher dieses Licht überhaupt kam, wenn ich auch insgeheim zuerst mein Handy im Verdacht hatte. Ansonsten trug ich ja nichts bei mir, das hätte leuchten können, auch wenn mich dieses Licht eher an das Fernlicht eines Autos erinnerte. Selbst durch die geschlossenen Lider drang noch Helligkeit, sodass weiße Blitze über mein Sichtfeld zuckten. Erst, als ich eine Weile lang keine Krallen in meinen Armen spürte und Stille mich einhüllte, öffnete ich blinzelnd die Augen. Das Lich verebbte gerade und zu meiner Überraschung trug ich seine Quelle um den Hals. Ein blauer Stein mit silberner Fassung, welcher an einem dunklen Lederband hing. Doch noch ehe mich darüber wundern konnte, woher dieser Anhänger denn kam, den ich nie zuvor gesehen hatte, fiel mir etwas viel Bedeutenderes auf. Ich lebte. Der Greif hatte mich nicht angefallen und zerrissen. Mein Blick glitt suchend umher. Fassungslos rieb ich mir über die Augen. Der Greif, er war verschwunden! Einfach so! Allerdings war nicht nur der Greif fort, sondern auch der Wald. Statt kahlen Baumstämmen offenbarten sich mir weite Felder und Wiesen. Der Boden unter mir war nicht länger weich und mit buntem Laub bedeckt. Stattdessen spürte ich zahlreiche feste Grashalme unter meinen Fingern. "Was zur Hölle...?", murmelte ich in mich hinein und ließ meinen Blick fassungslos über die Umgebung schweifen. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wo ich hier war. Zugegeben, das war nicht so ungewöhnlich bei meinem miesen Orientierungssinn, aber ich könnte schwören, dass ich hier ganz bestimmt noch nie gewesen war. Allerdings hatte ich auch keine Ahnung, in welche Richtung der Greif mich verschleppt hatte. Allzu weit von zuhause konnte es eigentlich nicht sein. Unischer rappelte ich mich auf und versuchte, trotz der Dunkelheit, mehr zu erkennen. Vergeblich, auch wenn ich ein paar Gebäude ausmachen konnte, die sich als kleine Häuser entpuppten, als ich auf sie zuging. Eine Straße oder auch nur Straßenlaternen konnte ich jedoch nirgends entdecken. Selbst für ein Dorfkind wie mich war das hier quasi der Arsch der Welt. Das musste eine der Gegenden sein, in denen das Internet etwas war, das man nur vom Hörensagen kannte. W-LAN, was ist das? Ich selbst hatte ja einen guten Teil meiner Kindheit und Jugend in so einer Gegend zugebracht. Entsprechend war mir der Anblick von weiten Wiesen und Feldern auch bekannt, aber die Häuser hier muteten mehr als altbacken an. Himmel, die waren nicht nur im vorletzten Jahrhundert hängen geblieben, sondern im vorletzten Jahrtausend! Entschlossen, besser schnell herauszufinden, wo ich war und wie ich hier schnell wieder wegkam, stapfte ich einfach auf die Häusergruppe zu. Vielleicht hatte ich, überlegte ich, das Bewusstsein verloren oder träumte das alles nur. Inzwischen schien mir Letzteres schon am wahrscheinlichsten. Zumindest erschien mir das realistischer, als dass mich ein Greif in sein Nest verschleppt hatte, aus dem ich dann geflüchtet war, um schließlich von einem mysteriösen Kettenanhänger davor bewahrt zu werden, als Greifenbabymahlzeit zu enden. Prüfend griff ich nach der Kette und betrachtete den blauen Kristall, der daran hing. Eindeutig nicht meiner, so viel konnte ich sicher sagen. Dass ich ihn dennoch um den Hals trug, sprach für meine Traumtheorie. Mit einem Seufzen schob ich das Kleinod unter mein T-Shirt und kramte stattdessen nach meinem Handy, dessen Display mir die entmutigende Realität zeigte, mit der ich schon gerechnet hatte. Kein Netz. Aber bestimmt ließe man mich im Dorf irgendwo telefonieren. Wenn mir niemand half, ein Taxi zu bezahlen, könnte ich immer noch die Polizei anrufen und ihnen erklären, dass ich nicht wusste, was mir widerfahren war. Den Teil mit dem Greif würde ich dann auf jeden Fall auslassen, sonst landete ich höchstens in der Ausnüchterungszelle. Auch wenn das vermutlich immer noch besser wäre, als hier draußen, irgendwo im Nirgendwo, festzuhängen. Unsicher beäugte ich meine Umgebung, so gut das eben möglich war, wenn es nirgends eine ordentliche Lichtquelle gab und man nur mit seinem Handy zugange war. Nicht einmal eine richtige Straße gab es hier, nur einen breiten Trampelpfad, der die einzelnen Gebäude miteinander verband, welche alle durch halbhohe Zäune voneinander getrennt waren. Die Zäune waren allerdings so krumm und schief aus Stöcken und Brettern zusammengenagelt, dass sie diese Bezeichnung eigentlich nicht verdienten. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Wo zur Hölle war ich hier nur gelandet? Hinterwäldlerhausen? Blöderweise half es alles nichts. Wenn ich hier wegwollte, musste ich irgendwo nach einem Telefon fragen. Außerdem hatte ich ohnehin wenig Lust, weiter draußen im Kalten zu stehen. Nach kurzem Zögern entschied ich mich für das größte der Gebäude, aus dem Lachen und Gejohle schallte. Kurz wog ich ab, einfach anzuklopfen, doch dann entschied ich mich, die Tür einfach aufzuschieben. Vielleicht war das ja eine Art Bar? Mit dieser Vermutung war ich nah dran gewesen, wie ich beim Eintreten feststellen sollte. Rustikal eingerichtet erinnerte das Innere des Hauses ebenso wie sein Äußeres stark an eine Gaststube, wie sie vor einigen Jahrhunderten üblich gewesen wäre. Damit gesellte sich zu meiner Theorie, dass ich träumte, die Möglichkeit, dass ich auf ein Mittelalterfest gestolpert war. Würde irgendwie auch den Greif erklären, der dann natürlich nicht echt gewesen sein konnte, auch wenn er sich wirklich echt angefühlt hatte. Für all das musste es einfach eine rationale Erklärung geben und noch hoffte ich, dass die weder „Ich bin durchgedreht“ noch „Ich liege im Koma“ lautete. Kaum, dass ich den Schankraum betrat, kehrte Stille ein und nur in einer entfernten Ecke johlte ein Gast lallend weiter, der mich wohl nicht einmal mehr bemerkt hätte, wäre ich ein riesengroßes Pikachu. Alle Anderen jedoch starrten mich ausnahmslos an. Unsicher hob ich eine Hand zum Gruß. "Hallo?" Wie unangenehm. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen und mehr als jetzt gerade ging nun wirklich nicht mehr. Einen Moment lang blieb es still, dann ergriff ein Mann, der am Tisch neben der Tür saß, das Wort. "Kommt rein, sucht Euch einen Platz und belästigt keinen, Fremde." Dabei sah er mich finster an, als hätte ich ihm persönlich den Abend gehörig versaut. Kein Grund, gleich unfreundlich zu werden. Ich war auch nicht gerne hier, danke, Anwohner. Die bissige Bemerkung, die mir auf der Zunge lag, schluckte ich herunter. Arschloch. Ich hatte ihm doch gar nichts getan. Als würde ich hier herumlaufen mit dem einzigen Ziel, Leuten auf den Sack zu gehen! Meinen giftigen Blick bemerkte er wohl nicht, dafür aber sein Trinkkumpan, der seine Karten auf den Tisch legte und mich unfreundlich ansah. "Wir haben hier genug von Fremden. Geht wieder." Na, das nannte ich mal Gastfreundlichkeit. "Keine Sorge, hab' nicht vor, lang' zu bleiben", gab ich patzig zurück und erntete nun erst recht misstrauische und wenig wohlwollende Blicke der anderen Gäste. Ganz toll. Unter den skeptischen Blicken der Gäste suchte ich mir einen Platz an der Theke, ganz am Rand, in der Nähe der Tür. So richtig sicher fühlte ich mich hier nicht und irgendwie erschien es mir ratsam, einen Fluchtweg nahe zu wissen, auch wenn ich mir eigentlich nicht vorstellen konnte, dass jemand einfach so handgreiflich würde, solange ich mich benahm. Dass man hier Fremdenfeindlichkeit pflegte, hatte ich zwar sehr gut verstanden, doch das war ja noch lange kein Grund für Gewalt. Alles, was ich wollte, war, ein Taxi oder die Polizei anzurufen, damit jemand mich abholte und heimbrachte. Seufzend zog ich erneut mein Handy heraus. Nope, kein Netz. Wäre ja auch zu schön gewesen. Also würde ich wohl oder üblich nach dem Telefon fragen müssen. Nach der wenig erfreulichen Begrüßung hatte ich gehofft, ein Wunder in Form von Netzverbindung über mobile Daten wäre mir hold. Leider schien heute so überhaupt nicht mein Tag zu sein. Also schob ich mich entschlossen an die Theke und tatsächlich entschied die Frau dahinter, sich mir nach einer gefühlten Stunde endlich zuzuwenden, anstatt weiter einen dreckigen Lappen an einem Holzbecher zu reiben, der längst trockener als die Wüste Gobi sein musste. "Was wollt Ihr trinken?", fragte sie mich. "Wir? Äh... nein, nichts. Danke. Ich bin allein und möchte eigentlich nur kurz telefonieren. Ehrlich gesagt, weiß ich nämlich nicht so richtig, wo ich bin und mein Handy kriegt keinen Empfang", erklärte ich ihr eilig, doch sie verstand scheinbar kein einziges Wort. Oder sie wollte es nicht, da war ich mir nicht ganz sicher. War das hier ein LARP-Event? Oh man! Man konnte es auch übertreiben. Dass ich nicht dazugehörte, war doch offensichtlich. "Hören Sie", fuhr ich beschwörend fort, "Ich will hier wirklich nicht stören, aber wenn ich kurz telefonieren könnte, wäre ich auch ganz schnell wieder weg." Die Frau wirkte nicht überzeugt, schüttelte nur den Kopf und reichte mir schließlich einen Becher, aus dem irgendetwas nach Kräutern roch, während sie etwas vor sich hinmurmelte, das eindeutig nach "Völlig verwirrt, das junge Ding" klang. Der gab ich gleich verwirrt! Missgelaunt nahm ich den Becher entgegen, immerhin wollte ich nicht undankbar sein. Geholfen hatte sie mir damit allerdings nicht wirklich. "Mist", brummelte ich, mehr an mich selbst als jemand anderes gewandt, da ließ mich ein leises, grollendes Lachen aufhorchen. Noch während ich das Gefühl, diese Stimme zu kennen, einzuordnen versuchte, war meinen Augen sofort klar, was Sache war. Meinem Verstand allerdings überhaupt nicht mehr. Gelbe Katzenaugen trafen meinen Blick, welcher fassungslos über die mir gleichermaßen fremde wie bekannte Gestalt glitt. Der Mann neben mir wäre wohl als "gealterter Krieger" gut beschrieben, doch ich wusste es besser. Geralt von Riva. Der Schlächter von Blaviken. Weißer Wolf. Hexer der Wolfsschule von Khaer Morhen. Ein Mutant, der Monster jagte. Stumm starrte ich ihn an. Alles passte. Wirklich alles. Die Statur, die Rüstung, die beiden Schwerter auf seinem Rücken, das grauweiße Haar und diese stechenden, gelben Katzenaugen. Jede einzelne Narbe, von denen es wirklich einige gab, war da. Der Weißhaarige mit dem Dreitagebart neben mir war eindeutig Geralt von Riva. Nur, dass das völlig unmöglich war. Genauso unmöglich wie ein Greif oder ein Kettenanhänger, der herumleuchtete und Leute teleportierte. Kein gutes Argument, das musste ich mir selbst eingestehen. Mein inneres Fangirl machte einen aufgeregten Satz. Geralt von Riva. Scheiße, Yeah! All diese hammerspannenden Quests, die ich in seiner Rolle durchgespielt hatte, all diese tollen, traurigen und schönen Geschichten, all diese Erlebnisse! Am liebsten hätte ich ihn direkt um ein Autogramm gebeten, doch dann hätte mich wohl jeder hier endgültig als wahnsinnig abgestempelt. Ein bisschen stimmte das sogar, wenn man ehrlich war. Der Fan in mir war hin und weg. Selbst wenn ich das Spiel Wild Hunt nicht so geliebt hätte, hätte ich niemals leugnen können, dass dieser Mann wahnsinnig attraktiv war und dann noch diese Stimme! Geralt von f*cking Riva! Das hieß, hier lief vielleicht auch noch Yennefer irgendwo herum. Die würde ich auch zu gern kennenlernen! Auch wenn ich vermutlich nicht darauf hoffen dürfte, dass die kluge und begabte Zauberin ihr Wissen mit mir teilte, wäre ich doch Feuer und Flamme, nur einen Blick auf ihre Kunst zu erhaschen, immerhin gab es nach meinem bisherigen Weltbild keine Magie. Wenn auch nur in einem seltsam realistischen Traum, sie könnte mich womöglich eines Besseren belehren. So sehr mein inneres Ich auch durchdrehte und kreischend im Kreis lief, so still und stumm war ich nach außen hin geblieben. "Dein erster Hexer, hrm?", ergriff er nach einigen Augenblicken peinlicher Stille das Wort. Meine Antwort hing irgendwo zwischen Nicken und Kopfschütteln, was er mit erhobenen Augenbrauen quittierte. Als ich wieder keinen Ton herausbrachte, fuhr Geralt fort: "Ihr selbst seht aber auch ziemlich ungewöhnlich aus." Nun war es an mir, die Augenbrauen zu heben. "Aha?", entgegnete ich und blickte an mir hinab. Absolut nicht seltsam. Ein bisschen zerrupft definitiv, aber nicht seltsam. Nun ja, zumindest nicht für meine Verhältnisse. Man sollte meinen, ein Charakter aus einem Traum würde sich nicht daran aufhängen, dass ich Kleidung aus einer völlig anderen Epoche trug – oder einer anderen Welt. Wie auch immer man das nun bezeichnen wollte. Spielte vermutlich keine Rolle. Träume hinterfragten solche Details üblicherweise nicht und wer wäre ich, dieses ungeschriebene Gesetz ändern zu wollen? „Mich hat so ein Vieh angegriffen. Ich bin zwar irgendwie entkommen, aber...“ Seufzend zupfte ich an meiner zerrissenen Jeans, die so fleckig war, dass ich beinahe das Gefühl hatte, mich bei der Bundeswehr eingekleidet zu haben. „Ich hatte wohl mehr Glück als Verstand. Sonst wäre ich überhaupt nicht lebend hier angekommen, sondern als ein erster Snack für den Nachwuchs geendet“, versuchte ich möglichst vage bezüglich des Greifen zu bleiben. So skeptisch wie die Leute hier eh schon auf mich reagierten, wollte ich jetzt nicht noch nachlegen, sonst könnte nicht einmal ein Hexer mich mehr beschützen. Auf einen wütenden Mob konnte ich gut und gerne verzichten. Da zog ich es vor, dass mich die Gäste inzwischen einfach ignorierten. Geralts Aufmerksamkeit hatte ich nun allerdings. Sollte mir recht sein. Wenn ich schon im Koma lag - und das schien mir inzwischen glaubwürdiger als die Schlaf-Theorie - dann konnte ich auch das Beste daraus machen und Geralt war doch ein ziemlich guter Anfang. Auf jeden Fall um Längen besser als der Greif. Also wandte ich mich dem Hexer mit einem zufriedenen Lächeln zu, den das offenbar mindestens so sehr irritierte wie meine Kleidung, wenn ich seinen Blick richtig deutete. So ganz verübeln konnte ich es ihm nicht. Erst starrte ich ihn an und hielt Maulaffen feil, dann freute ich mich plötzlich über seine Anwesenheit. Ersteres war er von den Leuten wohl sogar noch gewohnt, immerhin waren Hexer nicht so häufig, aber zweiteres gehörte üblicherweise nicht in das Repertoire der Leute, die zum ersten Mal einen Mutanten trafen. Die Hexer, gleich welcher Schule sie angehörten, erfreuten sich nicht unbedingt eines guten Rufs und üblicherweise waren die Leute froh, wenn sie entweder keinen brauchten oder ihn schnell wieder loswurden, nachdem er seine Arbeit getan hatte. Um die hiesigen Monster loszuwerden, waren ihnen die Hexer gut genug, aber im Hause wollte keiner einen haben. Ein wirklich undankbares Business, wenn man mich fragte. "Ein Vieh?", hakte der Weiße Wolf interessiert nach und ich nickte. "Ja, ein Königsgreif. Hat nicht viel gefehlt und er hätte mich gefressen. Also... sie, nicht er. Sie brütet gerade. Hat mich einfach in ihr Nest geschleppt. Ich bin nur knapp entkommen", erklärte ich und ließ die Geschichte mit dem Anhänger erstmal aus. Nach allem, was ich wusste, hatte der mich vermutlich wegteleportiert, was dann auch erklären würde, wieso ich plötzlich nicht mehr in einem Wald, sondern am Rand dieses Dorfes im Dreck gelegen hatte. Das musste Geralt nicht wissen. Er mochte ja eh keine Portale. Außerdem wollte ich nicht, dass er mich für eine Zauberin hielt, denn das war ich schlichtweg nicht. Sonst hätte ich mich wohl besser gegen die Bestie verteidigen können. Meine Worte hatten jedoch genügt, damit sich der Katzenäugige nebst seinem Drink gänzlich zu mir drehte. "Königsgreif?", wiederholte Geralt fragend. Einen Moment lang glaubte ich, Misstrauen in seinen Augen blitzen zu sehen, doch schnell war dieser Eindruck verflogen, also schob ich es auf meine Einbildung und nickte. „Das trifft sich gut“, befand der Hexer nach kurzem Schweigen. „Ich habe nämlich den Auftrag, diesen Greifen zu erledigen. Ihr könnt mir doch sicher die grobe Richtung weisen.“ Konnte ich nicht. Aber das musste er ja nicht wissen. Ein süffisantes Grinsen breitete sich auf meinen Zügen aus. "Quid pro quo, Clarice." Geralt sah mich nur verständnislos an. Klar, Schweigen der Lämmer kannte er nicht, also klärte ich auf: "Was kriege ich dafür?" Geralt stutzte, dann lachte er. Der Hexer glaubte wohl, ich mache einen Scherz, aber als ich ruhig blieb, dämmerte ihm scheinbar, dass dem nicht so war. Ein grimmiger Zug trat in seine Miene. „Ich bezahlte Euch nicht“, meinte Geralt knapp. Ich schüttelte nur den Kopf. „Ich will auch gar kein Geld.“ "Was wollt Ihr dann für diese Information haben?" Geralt sah aus, als müsse er jeden Moment loslachen, als er einen Schluck aus seinem Becher nahm, über dessen Rand er mich im Auge behielt. Ich tat es ihm gleich und ächzte erschrocken, als die Flüssigkeit eine brennende Spur in meinem Hals hinterließ. Igitt, Alkohol! "Bleh", würgte ich verhalten und schüttelte mich. Himmel, das Zeug ätzte einem ja die Stimmbänder weg! "Ich will hier weg. Am besten in eine große Stadt", erklärte ich ihm, meinen Becher demonstrativ ein Stück von mir schiebend. "Und du", fuhr ich ungeniert fort, "wirst mich mitnehmen." Stille legte sich über uns. Geralt sah mich ruhig an und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken. Wie machte er das nur? Das Zeug war bestialisch! Ich wollte mich schon schütteln, wenn ich nur daran dachte, noch einmal daran zu nippen. Mein Hals fühlte sich an, als hätte ich Schmirgelpapier inhaliert. Der Hexer setzte seinen Becher schließlich ab und musterte mich. "Nein, werde ich nicht", erklärte der Weiße Wolf entschieden. Ich starrte zurück. "Doch, wirst du." Ungläubig schüttelte er den Kopf. "Nein. Es sei denn, Ihr zahlt dafür", brummte er halbherzig und griff nach einem Stück Käse, das vor ihm auf einem Holzteller lag. Während er sich seinem Abendessen widmete, kramte ich in meiner Jackentasche und entleerte schließlich deren Inhalt auf dem Tresen. Handy, Fussel, zwei 1 €-Münzen, Schlüsselbund und ein zerknülltes Theaterticket. Nicht gerade Reichtümer, die ich aufbieten konnte, und irgendwie zweifelte ich daran, dass der Hexer sich für irgendetwas davon erwärmen könnte. "Ich biete 2 € und einen Fussel?", bot ich scherzhaft an, hielt aber inne, als mir auffiel, wie misstrauisch Geralt mein Handy begutachtete, welches ich umso eiliger wieder einsteckte, ebenso wie meinen Schlüsselbund. Die standen eindeutig nicht zur Debatte. "Mehr hab' ich nicht dabei, wie du siehst." Mit diesen Worten schob ich Geralt die Münzen zu. Der Hexer begutachtete erst die Münzen, schnipste dann den Fussel vom Tresen und untersuchte anschließend das Theaterticket, welches er kurz, aber eindringlich studierte. "Ist schon vorbei", wollte ich erklären, aber da schob er mir den Zettel auch schon zu und ich steckte ihn wieder ein. „Seltsame Münzen. Behalt sie“, murmelte Geralt leise, wobei sein Blick nicht auf mir ruhte, sondern auf der Gastwirtin, die uns skeptisch beäugte. Den Wink verstand sogar ich. Eilig griff ich nach meinem Geld. „Also wirst du mich nicht mitnehmen“, schloss entmutigt aus Geralts Geste. "Ich überlege es mir, wenn", betonte er eindringlich, "Ihr mir helft, den Greifen zu finden." Er war eindeutig nicht überzeugt, sondern wollte nur nicht weiter diskutieren, das merkte ich genau. Vielleicht traute er den Leuten um uns herum auch einfach nur zu, dass sie uns beide aufknüpften, weil wir ihnen suspekt waren. Oder er hatte schlicht Mitleid mit mir, weil ich offensichtlich alleine unterwegs und total verpeilt war. Diese Abwägungen weckten in mir jedoch auch die Sorge, der Hexer könnte sich einfach ohne mich vom Acker machen, um sich nicht mit mir herumschlagen zu müssen. "Ich kann mehr einstecken, als es den Anschein hat!", argumentierte ich ungefragt und ignorierte Geralts Seufzen. Der Rest der Tavernengäste war eindeutig froh, dass sich der Hexer geopfert hatte, sich mit mir abzugeben, sodass sie selbst es nicht mussten. Sie hielten sich nämlich fein raus und vermieden jeden Blick in unsere Richtung. Dem Hexer stand ins Gesicht geschrieben, dass er bereits bereute, mich angesprochen zu haben, doch so schnell ließ ich mich nicht von meinem Plan abbringen, mich an seine Fersen zu heften. Das hier war mein Koma und hier entschied ich. Und ich wollte gefälligst mit meinem Lieblingshexer herumziehen! „Also? Ich zeige dir den Weg zum Greifen und du nimmst mich dafür mit“, bohrte ich weiter nach. Geralt seufzte erneut tief, sichtlich überlegend, wie er aus dieser Sache wieder herauskam. „Hör zu“, wechselte er zur informellen Anrede, „Ich habe keine Zeit für solchen Unfug. Sag mir einfach, in welcher Richtung das Nest liegt. Dann ersparst du mir eine Menge Zeit und den Dorfbewohnern weitere tote Ziegen und Schafe.“ Stur verschränkte ich die Arme, anstatt zu antworten. Das kam nicht in Frage. "Fein", ächzte der Hexer ergeben. „Trinken wir drauf.“ So wie er klang, wollte er wohl eher sagen „Nüchtern ertrage ich das nicht“, aber ich ließ es so stehen, fest entschlossen, dem Kerl zu zeigen, dass er mich nicht unterschätzen sollte. Immerhin war ich dem Greifen schon einmal entkommen, wenn ich auch keine Ahnung hatte, wie. Ich griff nach meinem Becher und stürzte den Inhalt herunter. Absolut scheußlich! Neben mir schüttelte der Hexer nur den Kopf, folgte meinem Beispiel aber. "Und wie heißt meine neue Begleiterin?", wollte Geralt nach schließlich wissen, nachdem er schweigend auch noch ein Stück Speck von seinem Teller verspeist hatte. Einen Moment lang zögerte ich. Mir lag etwas Albernes wie „Die, deren Name nicht genannt werden darf“ auf der Zunge, doch das hatte Geralt einfach nicht verdient. Meinen richtigen Namen würde ich hier allerdings lieber auch nicht herumposaunen, also entschied ich mich einfach für meinen Nick. "Daelis." Geralt hob eine Braue und nickte. „Daelis also.“ Er glaubte mir nicht, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Man sollte meinen, er wäre besser darin, seine Gefühle und Gedanken zu verbergen. Vielleicht wollte er aber auch einfach nur, dass ich ihm ansah, dass er meine Lügen nicht kaufte. „Na meinetwegen. Ich hei-“ „Geralt“, unterbrach ich ihn. Misstrauisch nickte der Hexer, dann schob er mir meinen Becher zu, den die Wirtin wieder gefüllt hatte. Mir war noch vom ersten unangenehm warm, doch ich wollte mir keine Schwäche anmerken lassen. Vorsichtig nippte ich am Gesöff. Immer noch ekelhaft, doch Geralt nahm einen Zug und da ich leider entweder nicht mehr nüchtern oder willensstark genug war, um einfach darüberzustehen, genehmigte ich mir auch einen, als müsste ich mich beweisen. Man sollte meinen, das wüsste ich besser. "Guter Schnaps", lobte der Hexer die Wirtin, die nur knapp nickte. Gut am Arsch. Ächzend rieb ich mir die Schläfen, was Geralt ein Lachen entlockte. "Sag bloß, du kannst schon nicht mehr?" Demonstrativ nahm ich noch einen Schluck und bereute es sofort. Das Zeug war nicht nur widerlich, es verätzte einem glatt neben der Speiseröhre noch gleich den kompletten Magendarmtrakt mit. Wie mich der Hexer aus den Augenwinkeln mit deutlich ernsterer Intention musterte, bekam ich nur noch am Rande mit. Weniger mein unübersehbar beschwipster Zustand als vielmehr die ungewöhnliche Kleidung, die ich trug, und der Umstand, dass ich verletzt war, machten mich interessant. Ein Teil von mir ahnte, dass Geralt überhaupt nur deshalb bereit war, mich mitzunehmen, weil er glaubte, ich sei eine Ausgestoßene ähnlich wie er. Viel weiter reichten meine Gedanken jedoch nicht mehr. Dafür war ich längst zu sehr im Suff versumpft. Das kam davon, wenn man nie trank: Man vertrug nichts. Dass meine Aussprache bereits begann, unter der Wirkung des Schnapses zu leiden, sorgte allerdings nicht dafür, dass ich die Klappe hielt, ganz im Gegenteil. Noch vor dem dritten Becher lehnte ich lallend gegen den Hexer und erzählte ihm etwas von den „Zeugen Jehovas, die immer wieder klingeln“, was ihm freilich absolut nichts sagte und mein gesamtes Umfeld wohl nur noch in der Überzeugung bestärkte, dass ich irgendwie nicht ganz richtig im Kopf war. Kapitel 2: Kater und Katzenaugen -------------------------------- "Ngh." Noch ehe ich mich dazu durchringen konnte, die Augen zu öffnen, wanderte meine Hand wie von selbst zu dem unangenehmen Pochen, welches seinen Ursprung an meiner Schläfe hatte, aber dafür sorgte, dass mein ganzer Kopf sich anfühlte, als habe darin jemand Cola mit Mentos gemischt und das Ergebnis dann kräftig geschüttelt. Jeder, der das einmal beobachtet hatte, würde mir wohl zustimmen, dass das Ergebnis zwar beeindruckend ausfiel, aber auch mit wenig erfreulichen Spuren rund um den Ausbruch einherging. Ähnlich penetrant wie sich Cola auf einem Teppich gab, drang nun auch Licht durch meine geschlossenen Lider und ich ahnte, dass es unangenehm brennen würde, sobald ich sie öffnete. Nicht unbedingt ein gelungener Start in den Tag, aber vielleicht erklärte der Grund für meine Kopfschmerzen wenigstens, wieso ich diesen seltsamen Traum von einem Greifen und Geralt gehabt hatte. Vermutlich sollte ich einfach hoffen, dass es sich nicht um eine zu heftige Gehirnerschütterung handelte und ich ansonsten unverletzt. Zumindest tat mir im Moment noch nichts weiter weh, sah man davon ab, dass sich mein Nacken ein bisschen verkrampft anfühlte. Mit einem weiteren, leisen Ächzen rieb ich mir über die Augen, bevor ich vorsichtig blinzelte. Verwirrt starrte ich auf eine Holzwand, die aussah, als habe sie jemand mehr mit gutem Willen als Können zusammengezimmert. Einen Reim konnte ich mir auf meine Umgebung im ersten Moment nicht machen. Wo war ich hier? Wie ein Krankenhaus sah das jedenfalls nicht aus, womit meine Theorie von einer Gehirnerschütterung irgendwie nicht mehr so überzeugend klang. Noch immer irritiert blinzelte ich und wandte den Kopf zur Seite, um unerwartet in die großen, braunen Augen eines Pferdes zu blicken, auch wenn ich einen Moment brauchte, um das zu begreifen. Erst jetzt erfasste ich mein Umfeld wirklich. Stroh und Erde, der Geruch von Tier und natürlich das Pferd, dessen Kopf auf Höhe meiner Schultern hing. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen lag ich in einer Pferdebox. Ganz toll. Für einige Momente schloss ich die Augen, um den gestrigen Tag noch einmal Revue passieren zu lassen. War das alles wirklich passiert? Dass ich hier war, wo immer genau hier auch war, sprach eindeutig dafür. In der direkten Nähe meines Zuhauses gab es keine Reithallen und ganz bestimmt hätte ich mich sowieso nicht ausgerechnet dorthin verirrt. Eine Pferdenärrin war an mir einfach nie verloren gegangen, nicht einmal als keines Mädchen. Da hatte ich, anders als meine Mitschülerinnen, nämlich mehr für Dinos übrig gehabt. Prüfend streckte ich Arme und Beine, darauf bedacht, das große Tier vor mir nicht zu berühren oder ihm zu nahe zu kommen. Nicht, dass es sich noch von mir bedroht fühlte und mir eine verpasste. Immerhin schien ich, abgesehen von hämmernden Kopfschmerzen, in Ordnung zu sein. Das war zumindest der Schluss, zu dem ich nach einer kleinen, mentalen Überprüfung kam, bei der ich großzügigerweise die brennenden Kratzer an meinen Handflächen und Knien nicht einberechnete. Woher die kamen, wusste ich nur zu gut, vorausgesetzt natürlich, der gestrige Tag war tatsächlich real gewesen und kein wirrer Traum. Im Moment sah es zumindest danach aus, auch wenn der Gedanke nicht unbedingt zu meinem Wohlbefinden beitrug. Am liebsten hätte ich den Kopf geschüttelt, doch ich sparte mir die Geste, um das Pochen in meinem Schädel nicht noch herauszufordern. Stattdessen sah ich mich noch einmal genauer um. Das Ergebnis war das gleiche wie zuvor. Eine Pferdebox, in der sich außer mir nur ein Pferd befand, welches mich noch immer mit freundlichen Augen musterte. Unsicher lächelte ich das Tier an. „Tschuldige, dass ich dir hier Platz wegnehme“, nuschelte ich leise in seine Richtung. Wenn ich hier rauskam, brauchte ich ganz dringend eine heiße Dusche und etwas Sauberes zum Anziehen. Zwar würde ich nicht so weit gehen, zu behaupten, dass Pferde zum Himmel stanken, aber ein Wohlgeruch begleitete sie eben auch nicht. Generell wäre es schön, erstmal nach Hause zu kommen. Allerdings würde der Greif mich wohl kaum zurückfliegen, egal wie nett ich ihn fragte. Ich würde einen anderen Weg finden müssen, sofern es denn überhaupt einen gab. Vage Erinnerungen an eine mittelalterliche Taverne und einen gewissen Hexer tauchten aus dem Dunkel. Ich konnte mich daran erinnern, mit Geralt gesprochen zu haben, damit er mich mitnähme, aber auch daran, dass ich mit ihm zusammen irgendein ekelhaft brennendes Getränk getrunken hatte. Verdammtes Zeug! Ich hätte wissen müssen, dass ich davon lieber die Finger hätte lassen sollen. Ich trank sonst nie Alkohol. Da war es vorprogrammiert, dass mir hartes Zeug nicht bekam. Und das war es eindeutig nicht, wenn ich die Kopfschmerzen bedachte, die mir ein erneutes Ächzen entlockten. Ich wusste nicht einmal, wie genau der gestrige Abend ausgegangen und ich hier gelandet war. Hoffentlich hatte ich nichts völlig Bescheuertes in meinem ersten und eindeutig letzten Suff angestellt. "Aufgewacht, Prinzessin? Dann können wir ja los." Irritiert sah ich mich nach der Stimme um, hatte aber im nächsten Moment schon wieder eine Pferdenase vor der eigenen. Mein Blick wanderte nach oben. Neben Plötze stand bereits der mir nur zu gut bekannte Hexer, an dessen Mundwinkeln ein Grinsen zupfte. Dass es mir nicht allzu gut ging, sah man mir wohl an. Geralt hingegen wirkte, anders als ich, nicht im geringsten verkatert. Missmutig verzog ich das Gesicht, verkniff mir jedoch eine Bemerkung. Ich war ja selbst schuld an meiner Misere. Niemand hatte mich gezwungen, dieses ekelhafte Gesöff anzurühren und ausgerechnet mit einem Hexer mithalten zu wollen. Selbst wenn ich trinkfester gewesen wäre, wäre das eine dumme Idee gewesen, weil die Mutanten einen viel schnelleren Stoffwechsel hatten als ein normaler Mensch. Wäre es nicht so, würden Hexer wohl auch ihre eigenen Tränke nicht überleben, immerhin waren die nicht nur nützlich, sondern auch giftig. Die Hexertränke waren wenigstens hilfreich, doch ich würde nicht so weit gehen, das auch von dem Schnaps von gestern Abend zu behaupten. Wieso zur Hölle tranken Leute nur freiwillig, wenn so heftige Kopfschmerzen die Nebenwirkungen waren? Ächzend rappelte ich mich auf und bereute es sofort. Für einen unangenehm langen Moment wurde mir schwindelig und ich hatte das Gefühl, mein Mageninhalt hätte nicht übel Lust, die Morgensonne enthusiastisch zu begrüßen. „Scheiße“, brummte ich leise. Nie wieder, schwor ich mir, würde ich mich betrinken. Geralt hingegen lachte nur ob des unterdrückten Fluchs. "Trink nicht, wenn du es nicht abkannst, Daelis", mahnte er scherzhaft und zog dabei den Sattel um Plötze fest, welche mich derweil ruhig ansah. Hatte Geralt mich in ihrer Box abgeladen, nachdem ich mich ins Nirvana gesoffen hatte? Etwas verunsichert tätschelte ich Plötzes Nüstern und erntete dafür ein sanftes Schnauben. „Versteh ich“, murmelte ich dem Tier leise zu, als habe das kluge Geschöpf meinem stummen Entschluss, nie wieder einen Tropfen Alkohol anzurühren, zugestimmt. Der Hexer schüttelte kaum merklich den Kopf, dann stieß er mit einer Hand die Pferdebox auf und führte Plötze an den Zügeln heraus. Mit respektvollem Abstand folgte ich ihnen, um nicht versehentlich in Plötzes Austritt-Zone zu geraten und mir womöglich doch noch einen oder zwei Knochen brechen zu lassen, nachdem ich, wie durch ein Wunder, gestern ohne schwerwiegendere Verletzungen davongekommen war. Mit einem eleganten Satz schwang sich Geralt auf Plötzes Rücken, von dem aus er mir auffordernd die Hand hinhielt. Als ich diese nicht ergriff, hob der Hexer fragend eine Augenbraue. Stumm sah ich zu ihm hoch. Wie stellte er sich das vor? Ich hatte nicht nur keine Ahnung von Pferden. Abgesehen von den Schnupperstunden im Reiten und Voltigieren als Kind in der örtlichen Reithalle, hatte ich keine Zeit auf dem Rücken eines Pferdes verbracht. Und überhaupt: Konnte Plötze uns beide tragen? Sie musste doch schon allerlei anderen Kram herumschleppen, wie Trophäen, Kleidung, Vorräte, Monsteröle, Loot. Halt alles, was Geralt unterwegs so einsammelte und für interessant genug hielt, um es mitzunehmen. Unsicher sah ich von Plötze zu Geralt und zurück. "Ich kann nicht reiten", gestand ich schließlich und konnte sehen, wie der Hexer den Blick für einen Moment zum Himmel hob, als wolle er sein Schicksal und mich für meine Unfähigkeit gleichzeitig verfluchen oder einen göttlichen Segen erbitten, der ihm aus dieser Misere half. Glaubte er vielleicht, ich sah das nicht? In meinem Stolz angekratzt, griff ich kurzentschlossen nach der behandschuhten Hand des Hexers und konnte von Glück reden, dass Geralt mich mit so viel Schwung vor sich auf das Pferd zog, dass ich nicht mehr viel tun brauchte, um vor dem Weißen Wolf auf Plötzes Rücken zu landen. Elegant sah anders aus, aber immerhin war ich nicht direkt wieder heruntergesegelt. "Versuchen wir es einfach", entschied der Hexer schwer aufseufzend und schnalzte mit der Zunge, um damit die Stute anzutreiben. Wir beide schwiegen, während der weißhaarige Hexer sein Pferd aus dem Dorf lenkte. Das sanfte Auf und Ab hatte mich schnell dazu veranlasst, mich verkrampft irgendwo festzuhalten. Dabei hatte eine Hand ihren Weg in Plötzes Mähne gefunden, mit der anderen umklammerte ich den Rand des Sattels. Irgendwie glaubte ich nicht, dass ich mich an diese Art des Reisens gewöhnen würde oder wollte. Ein Auto mochte zwar weniger umweltfreundlich sein, aber es war eindeutig komfortabler. Noch tat mir nichts weh, doch wenn man Geschichten glauben durfte, dann hätte ich später brennende Schenkel, weil ich das Reiten einfach nicht gewohnt war. Keine sehr verlockende Aussicht, doch neben Plötze und Geralt zu Fuß herlaufen, war auch keine Alternative, allein schon deshalb nicht, weil ich nicht wusste, wohin es überhaupt ginge und sollte Geralt entscheiden, es eilig zu haben, hätte der Hexer mich schneller abgehängt, als ich seinen Namen sagen konnte. Zutrauen tat ich es ihm allemal. Zweifelsohne fände er den Greif auch ohne meine Hilfe im Nu, aber ich auf der anderen Seite war ohne ihn aufgeschmissen. Weder besaß ich auch nur eine Münze der hiesigen Währung, noch hatte ich irgendwelche Fähigkeiten, mit denen ich mir etwas verdienen könnte. Schließlich war ich keine Zauberin und gemessen an dem, wie hier der Alltag für die meisten Menschen anging, war ich absolut nicht überlebensfähig. Ich hatte noch nie mit einer Sense Korn geerntet, verstand nichts von essbaren Pflanzen und verstand nichts davon, ein Tier zu zerlegen. "Du hast also den Greifen gesehen", griff der Hexer das Thema des gestrigen Tages auf, auch wenn ich mich nur vage daran erinnerte, was ich ihm über das Ungeheuer gesagt hatte. „Kann man so sagen, ja“, meinte ich ausweichend und zupfte dann demonstrativ an meiner Jacke, an der die Krallen der Bestie merkliche Spuren hinterlassen hatten. „Sieht man das nicht?“ „Nein“, folgte die Antwort des Hexers prompt. „Normalerweise findet man die Opfer von Greifen nur tot oder schwer verletzt. Ist nicht immer einfach, noch jemanden zu identifizieren. Sie spielen gerne mit ihrer Beute.“ Wow, danke Geralt. Das machte einem ja Mut! Er wusste wirklich, was man den Leuten erzählte, die gerade erst mit knapper Not einem Monster entkommen waren. Missmutig sah ich über die Schulter zu dem ergrauten Mann, der sich davon nicht im mindesten beeindrucken ließ. "Du hattest ziemliches Glück", statierte der Hexer nur trocken und warf mir einen Blick zu, der mich ahnen ließ, dass er inzwischen in Erwägung zog, ich könnte ihn angelogen haben. Tatsächlich hatte ich das ja auch, nur nicht unbedingt den Umstand betreffend, dass mich ein Greif angegriffen hatte. Das war die reine Wahrheit gewesen. Nie würde ich vergessen, wie die Kreatur mich gepackt und in die Luft gehoben hatte. Schon die Erinnerung daran ließ mich schaudern. „Ich war wohl für den Nachwuchs gedacht. Der Greif hat mich in sein Nest geschleppt und dort abgeladen“, erzählte ich ohne Umschweife. „Es waren etwa vier Eier dort, aber ganz genau kann ich es nicht mehr sagen.“ In dem Moment hatte ich einfach andere Sorgen gehabt, als abzuwägen, ob mich nun drei oder vier junge Greifen verputzen würden. Doch meine Worte verfehlten ihren Zweck nicht. Die Skepsis wich zwar nicht aus Geralts Miene und er sagte auch nichts zu meinen Ausführungen, aber immerhin schubste er mich nicht direkt vom Pferd. Stattdessen blickte er mich nur weiter abwartend an. „Was?“, wollte ich unsicher wissen. „Ich lüge nicht. Das ist wirklich passiert! Ich bin den Baum herunterklettert, auf dem sich das Nest befindet und habe dann den Weg zur Gaststube gefunden, in der wir uns getroffen haben.“ Der Weiße Wolf schnaufte leise. "Wo geht es zum Nest?", hakte der Hexer genervt nach. Oh, da war ja was! Schwitzend durchwühlte ich meine etwas verwaschenen Erinnerungen an den gestrigen Abend. Ich hatte Geralt versprochen, ihn zum Greifen zu führen, wenn er sich im Gegenzuge bereit erklärte, mich mitzunehmen. Wenn er allerdings glaubte, bis zur nächsten Stadt würde genügen und dann wäre er mich los, hatte der Gute sich geschnitten. Meine Wenigkeit würde ihm noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Jetzt allerdings war es erst einmal an mir, mein Wort zu halten, sonst würde der Hexer vermutlich nicht zögern, mich einfach irgendwo in der Pampa abzusetzen, wo ich dann zusehen könnte, wie ich klarkäme. „Äh, da entlang“, riet ich einfach und deutete wahllos in eine Richtung, in der ich die Grenze eines Waldes bemerkt hatte. Dort, so hoffte ich, standen meine Chancen, richtig zu liegen, nicht allzu niedrig. Geralt macht keinen besonders überzeugten Eindruck, kommentierte meine vage Angabe jedoch nicht, sondern lenkte Plötze in die von mir gewiesene Richtung. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, ihn nicht völlig in die Irre geführt zu haben. Dass Geralt nicht gerade der gesprächige Typ war, hatte ich ja erwartet, aber nicht, dass er mich konsequent mit kurzen Brummlauten abspeisen würde, egal wie sehr ich auch versuchte, lockeren Smalltalk zu halten. Immer wieder hatte ich ihn nach seiner Arbeit gefragt, nach seiner Familie oder anderen Hexern, ja sogar nach Plötze! Weil ich eigentlich nichts über Khaer’Morhen wissen durfte, verbiss ich mir jede genaue Nachfrage. Dabei hätte ich so gerne mehr über die Hexerfestung und ihre verbliebenen Bewohner erfahren. Oder über die Loge! Allerdings warf mir Geralt bei meiner Fragen ach seiner Familie einen so finsteren Blick zu, dass ich nicht wagte, weiterzubohren, auch wenn mir das die Möglichkeit nahm, auf Yennefer und damit Zauberinnen im Allgemeinen zu sprechen zu kommen. Nach einer Weile, die mir vorkam wie eine Ewigkeit, gab ich auf und wir schwiegen uns einfach an, auch wenn mich das maßlos ärgerte. Insgeheim hatte ich gehofft, über Geralts Antworten herausfinden zu können, wie weit die Geschichte des Hexers gediehen war. Steckte ich vielleicht in den Geschehnissen der Bücher fest? Man sah Geralt sein Alter leider überhaupt nicht an und als ich ihn danach gefragt hatte, hatte ich wie erwartet keine Antwort bekommen. Solange der Hexer vehement schwieg, konnte ich nur raten, wann ich gelandet war, so seltsam das auch klang. Den Anfang des dritten Spiels konnte ich wohl ausschließen. Zwar hatte da auch ein Greif eine Rolle gespielt, doch Vesemir hatte Geralt begleitet und der alte Hexer fehlte. Seufzend sah ich in die Ferne. Vielleicht hatte es mich ja in den dritten Teil der Spielreihe verschlagen. Darauf hoffte ich, denn da kannte ich mich wenigstens aus. Allerdings böte selbst diese Angabe noch einen ziemlich großen Spielraum. So ganz ohne den kleinsten Hinweis seitens des Weißen Wolfs, war ich, was die zeitliche Einordnung anging, ziemlich aufgeschmissen. Was machte ich, wenn die Witcher III-Geschichte noch gar nicht stattgefunden hatte? Die ersten Teile der Spielreihe kannte ich noch nicht. Ich spürte, wie Panik in mir aufstieg und drängte diese energisch zurück. Mir darüber das Hirn zu zermartern, brachte mich nicht weiter. Soweit ich es wusste, könnten die Bücher und Spiele auch reine Fiktion sein und das Leben des „echten Geralt“ ganz anders aussehen. Vielleicht gab es in seinem Leben ja gar keine Yennefer, keine Cirilla, keine Triss. Vielleicht war er nur irgendein Typ, der mit zwei Schwertern umherzog, um Monster für bare Münze zu töten? Mir kam das Ganze mit jeder Minute mehr und mehr wie ein völlig schräger Traum vor. Allerdings fühlten sich insbesondere meine Kopfschmerzen und der Hexer in meinem Rücken wirklich real an. Obendrein war ich mir ziemlich sicher, dass ich mir ganz bestimmt nicht zusammenträumte, von einem Greifen verschleppt zu werden. Wieso sollte ich auch? In den Spielen hatte ich diesen Kreaturen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, zumal sie nicht besonders interessant waren. Da gab es andere Kandidaten, wie beispielsweise Hims oder Ekimmen. Und selbst wenn ich glauben wollte, dass der Greif nur ein Traumbild gewesen war, waren da noch immer die Kratzer an meinen Händen, die schmerzhaft brannten. Ich musste unbedingt herausfinden, wann ich war. Eine Jahreszahl würde mir dabei leider überhaupt nicht helfen, dafür war ich nicht firm genug in der Witcher-Lore. Ich brauchte Infos über Geralts Leben. Wenn nur mein Kopf nicht so brummen würde! Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren, solange mein Oberstübchen sich anfühlte, als bearbeite es jemand mit einem Schlagbohrer. "Du bist nicht der erste Hexer, den ich treffe", versuchte ich also erneut ein Gespräch zu beginnen. Wie erwartet, erwiderte Geralt nichts, also fuhr ich einfach direkt fort. "Sein Name ist Vesemir. Du kennst ihn nicht zufällig?" Nicht besonders dezent, aber mit Subtilität kam ich bei Geralt offenbar nicht weiter. Dann musste ich eben mit der Tür ins Haus fallen. Vesemir war ein hervorragendes Stichwort, das mir helfen könnte, herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt der Geschichte ich in dieser Welt gelandet war. Wenn Vesemir schon gestorben war, wüsste ich immerhin, dass die Schlacht gegen die Wilde Jagd schon stattgefunden hatte. Wonach sonst könnte ich noch fragen, um den Zeitpunkt genauer zu definieren? Nach dem Spiegelmeister? Lieber nicht. Zum einen könnte ich nicht erklären, wieso ich eine Verbindung zwischen Geralt und ihm vermutete, und zum anderen wollte ich dessen Aufmerksamkeit auf gar keinen Fall auf mich lenken. Vielleicht sollte ich nach Toussaint fragen und behaupten, ich käme von dort. Ob der Hexer mir das glauben würde? "Vesemir, mh?" Ah, er konnte doch sprechen! Nach meinen letzten Monologen, die Geralt nur mit wenig enthusiastischen "Hrm" und "Mhm" begleitet hatte, war ich mir da schon fast nicht mehr sicher gewesen. "Ja, genau. Kennst du ihn?", fragte ich eilig nach, bevor der Weiße Wolf wieder stumm vor sich hin brütete. Komm schon, sag was, betete ich im Stillen. "Ja." Am liebsten hätte ich mich umgedreht und Geralt kräftig geschüttelt. War das schon alles? Der ließ sich ja alles aus der Nase ziehen. Ungeduldig rang ich mit mir und gerade, als ich nachhaken wollte, fuhr Geralt fort. "Er ist gestorben." Shit. Ich seufzte leise und murmelte: "Tut mir Leid." Das tat es wirklich. Vesemirs Tod hatte mich beim Spielen schon getroffen. Warum nur hatte der coole, alte Onkel Vesemir sterben müssen? Wäre das hier nur mein Traum, hätte ich das auf jeden Fall zu verhindern gewusst. Und nicht nur Vesemirs Tod! Es gab noch so einige andere Ecken der Geschichte, an denen ich nur zu gerne ein paar Anpassungen vornehmen wollte. Auf jeden Fall war ich ganz erpicht darauf, meine Lieblings-Gruftbewohner zu treffen, nämlich Regis und Dettlaff, die beiden Charaktere, die man im zweiten DLC „Blood and Wine“ traf. Mit meinem Wissen könnte ich womöglich viele Leben retten! Ohne nachzudenken, hatte ich mich Geralt zugewendet, um ihm „Regis ist in Toussaint und braucht deine Hilfe“ entgegenzuschmettern, doch obwohl ich meinen Mund öffnete, kam kein Ton heraus. Ich stutzte. Geralt starrte mich entgeistert an, als erwarte er, dass ich etwas sagte. Das wollte ich auch, aber auch beim zweiten Versuch blieb ich einfach stumm. So sehr ich mich auch bemühte, ich brachte keinen Laut heraus. Es war wie verhext. Jedes Mal versagte mir die Stimme, sodass ich nach mehreren Versuchen einfach aufgab und nur leise nuschelte, dass Vesemir ein guter Mann gewesen war und die Welt ohne ihn schlechter dran. Schweigend setzten wir unseren Ritt fort, der uns nicht nur an den Waldrand führte, sondern darüber hinaus in den Wald hinein. Lebten Greifen überhaupt in Wäldern? Im Spiel, erinnerte ich mich, fand man ein Nest auf einem Hügel, aber der wiederum war von einem Waldstück umgeben. Mein Greif jedoch hatte sein Nest in einem sehr hohen Baum gehabt, das wusste ich aus erster Hand. Plötze trabte langsam durch das Gestrüpp diverser Büsche, sodass ich genug Zeit hatte mich umzuschauen. Gab es hier einen Baum, der stark genug war, ein so großes Geschöpf wie einen Greif zu tragen? So langsam kam wohl auch Geralt der Gedanke, dass meine Richtungsangabe uns beide nicht zum Greifen führen würde, denn nach nur wenigen Minuten ergriff der Weißhaarige zum ersten Mal von sich aus das Wort. „Bist du sicher, dass die Richtung stimmt? Greife nisten normalerweise am Boden.“ Nicht die Bohne. Ich hatte absolut keine Ahnung, wo wir waren und ob wir uns auch nur annähernd in der Nähe des Greifennests befanden. Selbst wenn ich wüsste, wo das Mistvieh steckte, würde ich mich lieber davon weg als auf es zu bewegen. Nach unserem letzten Aufeinandertreffen war ich ganz sicher nicht scharf drauf, den Greif wiederzusehen. „Ja, ganz sicher“, versuchte ich, möglichst gelassen zu klingen. In Gedanken entschuldigte ich mich bei Geralt, denn selbst wenn ich der Überzeugung wäre, dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden, musste das noch lange nichts heißen. Geralt lernte gerade die berühmte Orientierungslosigkeit kennen, die sich durch meine Familie zog wie ein roter Faden. Wir verliefen uns schlicht und ergreifend überall. Selbst das beste Navi konnte das oft nicht verhindern. Pech für dich, Geralt! Ich konnte den Hexer in meinem Rücken schwer seufzen hören. Überzeugt war er von meinen Worten offenbar nicht und wer konnte es ihm verübeln? Meine Richtungsangabe war absolut geraten gewesen. „Als wäre einen Greif lebend zu fangen, nicht wahnwitzig genug“, ächzte der Hexer, den ich ob dieser Aussage halb fragend, halb entsetzt ansah. Lebend? War das sein Ernst? Wieso hatte er so einen beschissenen Auftrag überhaupt angenommen? Er plante doch hoffentlich nicht wirklich, einen Greifen lebendig einzufangen, oder? „Drehen wir um und holen weitere Info-“, ergriff der Weiße Wolf das Wort, da krachte es unweit von uns im Wald. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ein langgezogenes Knarren folgte und schließlich das Geräusch von zersplitterndem Holz. Es war so laut, dass sogar ich mit Sicherheit sagen konnte, dass mehr als ein Baum gerade das Zeitliche hatte segnen müssen. Ein Monster? Geralt zumindest schreckte der Krach eindeutig nicht ab, denn er steuerte Plötze einfach in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Dass ich mich damit alles andere als wohlfühlte, würde ihn wohl nicht interessieren, oder? Ich wollte da nicht hin! Was, wenn das wirklich der Greif war? „Scheint, als hättest du doch richtig gelegen.“ Ganz toll. Da konnte man sich ausgerechnet jetzt nicht auf die eigene Orientierungs-Legasthenie verlassen! Gerade jetzt, wo sie ausnahmsweise mal nützlich gewesen wäre! „Ja“, entkam es mir halblaut. Mehr brachte ich nicht heraus, während Geralt die Stute weiter durch das Unterholz lotste und schließlich anhalten ließ. Als der Hexer absattelte, um einen umgestürzten Baumstamm zu untersuchen, erwartete ich beinahe, er würde jetzt irgendwelche Selbstgespräche führen - halt wie im Spiel - doch Geralt gab zu meiner Enttäuschung keinen Mucks von sich, sodass er meiner Einsicht nach einfach nur im Grünzeug herumgriffelte. Schließlich griff er sogar nach einem Blatt, rieb die Finger daran und roch dann an diesen. Was war er? Ein Hund? Braver Geralt, guter Junge, lobte mein innerer Galgenhumor. Ob ich ihm beizeiten mal ein Leckerchen zuwerfen sollte, wenn er das tat? Unterhaltsam war die Vorstellung allemal, doch angesichts der Kreatur, nach der wir jagten, blieb mir das Lachen im Halse stecken. Umso mehr, als ein mir nur zu gut bekanntes Kreischen die Luft zerriss, das mir selbst dann Kopfschmerzen bereitet hätte, würde mein Kopf nicht eh längst pochen, als sei ein Specht eingezogen. Ein unangenehmer, eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Der Greif! „Scheiße!“ Wie um mir zuzustimmen, wieherte Plötze laut. Panisch klammerte ich mich an die Zügel, während der Hexer weder seinem Pferd noch mir länger Aufmerksamkeit schenkte. Er hatte die Silberklinge vom Rücken gezogen und suchte mit dem Blick den Himmel ab. Mit angehaltenem Atem tat ich es ihm gleich und musste nicht lange suchen. Krachend und mit einem weiteren, ohrenbetäubenden Aufschrei landete der Greif nur ein paar Meter entfernt, die Flügel angriffslustig spreizend. Ich wollte hier weg, und zwar schnell. Die Angst von gestern schlug mit voller Wucht über mir zusammen und ließ mich gefühlt versteinern. Ich war unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. Stattdessen starrte ich die Kreatur nur mit weit aufgerissenen Augen an. Dass meiner Kehle ein ängstlicher Schrei entwich, bemerkte ich nicht einmal, dafür aber umso mehr, dass Plötze nicht weniger panisch als ich auf den Greifen reagierte. Wiehernd stieg sie auf. Erschrocken ließ ich die Zügel los, sodass ich im nächsten Moment auch schon unsanft vom Rücken der Stute rutschte und ungelenk auf dem weichen Waldboden landete. Ich hätte schwören können, dass sich ein Ast sich direkt in meine Hüfte bohrte, während ich eilig versuchte, wieder auf die Füße zu kommen, schon um einen möglichst großen Abstand zwischen den Greifen und mich zu bringen. Ob es nun Glück war, dass der Greif auch begriff, dass Plötze und ich die weniger große Bedrohung waren, oder ob Geralt einfach appetitlicher aussah, spielte am Ende wohl keine Rolle. Die Bestie griff nicht das Pferd oder mich an, sondern den Hexer. Ich schämte mich nicht, zuzugeben, dass das Vieh mir riesige Angst machte und ich mich hier in dem kleinen Busch, deutlich sicherer fühlte als an Geralts Seite. Da nahm ich auch gerne in Kauf, dass mir spitze Dornen Gesicht und Hände weiter zerstachen und obendrein meine Jacke weiter in Mitleidenschaft zogen. Alles war besser, als dem Königsgreifen gegenüberzustehen, der mich zu meiner Erleichterung völlig vergessen zu haben schien. Seine Aufmerksamkeit galt allein dem Hexer, welcher wiederum seine ganze Aufmerksamkeit der Bestie schenkte. Geschickt wirbelte der Weiße Wolf herum, um den Angriffen der gigantischen Klauen zu entgehen, die immer wieder nach ihm hieben. Ich konnte gar nicht hinsehen. Allein das Geräusch, als des Greifen Klauen den Boden an genau der Stelle aufrissen, an der eben noch Geralt gestanden hatte, genügte, damit sich mir alles drehte. Am liebsten wäre ich geflohen, doch ich glaubte nicht, dass meine zittrigen Beine mich weit tragen würde. Scheiße! Richtig große Scheiße! Wie hatte ich mich nur in diesen Mist geritten? Wenn das hier Karma war, was zur Hölle hatte ich dann in meinem vorherigen Leben verbrochen, dass ich das hier verdiente? Natürlich waren diese Welt und das Leben des Hexers im Besonderen im Spiel total aufregend und spannend gewesen, doch real daran teilzuhaben, stellte sich als etwas heraus, auf das ich gut und gerne verzichten hätte können. Wäre das alles hier nur ein Traum, wäre ich weniger hilflos, weniger nutzlos und könnte mich selbst verteidigen. Wenn ich also noch einen Beweis gebraucht hatte, um alles um mich herum als Realität zu akzeptieren, dann fand ich ihn in meiner eigenen Angst. Ängstlich zuckte ich zusammen, wann immer Greif oder Hexer angriffen, unfähig mich zu rühren oder den Blick abzuwenden. Geralt konnte nicht sterben, oder? Das sah die Story nicht vor, richtig? Wenn Geralt hier drauf ging und der Greif mich entdeckte, wäre es um mich geschehen. Kein verlockender Gedanke. Konnte ich irgendwie helfen? Suchend sah ich mich um. Laub, Erde, Äste. Kurz: Dreck. Doch selbst wenn ich eine Waffe gehabt hätte, wäre ich dem Weißen Wolf wohl mehr Hindernis als Hilfe gewesen. Wütend schlug der Greif mit den Flügeln, dann schnappte er mit dem Schnabel nach Geralt, der sich mit einer Rolle in Sicherheit brachte, ehe er blitzschnell selbst mit dem Schwert nach der Kreatur hieb. Gebannt folgte ich dem Kampf, das Kinn auf der kühlen Erde und halb verborgen hinter dem Gesträuch, in welchem ich reglos hockte. Den Greif zu fangen, hatte sich wohl erledigt. Vermutlich hatte Geralt das sowieso nie wirklich vorgehabt und ich konnte es gut verstehen. Wer immer so etwas verlangte, musste schon ziemlich irre sein und an Geralts Stelle hätte ich bestimmt auch nicht versucht, dieser Bestie Fesseln anzulegen, mal vorausgesetzt, man fand überhaupt welche, die hielten. Nein, den Greif zu töten, war die einzig kluge Entscheidung. Dennoch bedauerte es ein Teil von mir, als der Greif mit einem schmerzerfüllten Aufschrei unter des Hexers Klinge zu Boden ging, die sich im nächsten Augenblick durch den Schädel der Bestie bohrte. Mir war jedoch klar, dass die einzige Alternative die gewesen wäre, dass Geralt und ich zu Greifenfutter wurden und genug Selbsterhaltungstrieb, mein Leben über das eines Tiers zu stellen, hatte ich dann doch. "Daelis?" Erst Geralts Stimme riss mich aus meiner Starre und nach einigen Augenblick brachte ich schließlich auch ein zaghaftes "Ich bin hier" heraus, woraufhin der Hexer mich kurz abschätzend ansah, sich dann der toten Bestie zuwandte, wobei er ein Messer von seinem Gürtel löste. Langsam erhob ich mich und klopfte mit zitternden Händen Laub und Dreck von meiner Kleidung. Eigentlich war ich immer sicher gewesen, nicht so empfindlich zu sein, doch allein zuzusehen, wie der Hexer dem Greifen den Kopf abschnitt, genügte, dass mir dezent übel wurde. Ich unterdrückte den Würgereiz, bemüht nicht zu genau hinzuschauen. Live war das eindeutig ekelhafter als im Spiel oder Fernsehen! Hoffentlich wurden wir diese Trophäe schnell wieder bei Geralts Auftraggeber los. Kapitel 3: Vom Regen... ----------------------- Nie wieder, schwor ich mir, würde ich einem verdammten Greifen so nahe kommen, ganz egal, ob tot oder lebendig. Aber fast noch mehr verstörte mich dieses absolut ekelerregende, klatschende Geräusch, das der blutbesudelte Greifenkopf jedes Mal machte, wenn er gegen Plötzes Flanke schlug, während wir über den holprigen Weg ritten. Himmel, war ich froh, wenn wir das Ding endlich losgeworden waren! Gefühlt konnte ich es sogar riechen, auch wenn mir das in Wahrheit natürlich erspart bleib. Allerdings konnte ich sehr wohl die Fliege brummen hören, die schon seit einer ganzen Weile um den abgetrennten Kopf kreiste. Den Hexer schien das nicht zu stören. Der hatte allerdings auch schon nichts gesagt, als er die Trophäe mit Seilen umwickelt und sie daran an Plötzes Sattel befestigt hatte, und auch nicht, als ich kleinlaut an seine Seite geeilt war. Irgendwie hatte ich fast erwartet, dass Geralt sauer wäre, weil ich ihm so gar keine Hilfe gewesen war. Stattdessen hatte der Hexer geschwiegen. Ich hatte also keine Ahnung, wie er über meine Feigheit dachte, allerdings konnte mich auch nicht überwinden, ihn zu fragen. Wenigstens hatte ich Geralt nicht im Weg gestanden, tröstete ich mich gedanklich. Welche Hilfe hätte ich ihm auch sein können? Nicht nur, dass ich keine Waffen besaß, ich hätte damit auch nicht umgehen können. Selbst optimistisch betrachtet hätte ich nicht mehr tun können, als die Aufmerksamkeit des Greifen auf mich zu lenken, wenn überhaupt. Ob das dem Hexer eine Hilfe gewesen wäre, darüber ließe sich bestimmt streiten. Still seufzte ich in mich hinein. Geralt mochte es gewohnt sein, seine Gedanken mit niemandem zu teilen, doch für mich war es seltsam befremdlich, dass wir kein einziges Wort wechselten. Smalltalk brauchte ich wohl gar nicht erst versuchen. Darin war ich sowieso absolut unterirdisch und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass der Weiße Wolf Lust hatte, mit mir über das Wetter oder die aktuelle politische Lage zu diskutieren, zumal er in dieser Hinsicht als Hexer sowieso neutral sein sollte. Nicht, dass ihm das je wirklich gelungen wäre. Es war genau wie bei dieser Gefühlssache. Angeblich hatte seinesgleichen keine Gefühle mehr, weil die Mutationen sie abgetötet hatten, und auch das hielt ich für gequirlte Scheiße. Wäre dem so, wäre Geralt nicht so von Yennefer eingenommen und nicht so um Ciri besorgt. Im Grunde drehte sich ja sogar das ganze Spiel The Witcher III nur darum, dass Geralt nach seiner Ziehtochter suchte. Keine Gefühle mehr am Arsch. Wer es denn glaubte! Ich jedenfalls nicht. Zugegebenermaßen würde Geralt mir gegenüber diesen Emotionen aber wohl kaum freien Lauf lassen. Ich war eine Fremde und rein objektiv nicht unbedingt vertrauenswürdig, wie ich mir selbst eingestehen musste. Bisher hatte ich weder erzählt, woher ich kam, noch wohin ich wollte oder wieso. Dazu kam meine ungewöhnliche Kleidung, meine auffällige Art zu sprechen, und wer wusste, was sonst noch alles. Stumm klammerte ich mich an den Rand des Sattels, während meine Gedanken darum kreisten, wie ich das Vertrauen des Hexers gewinnen könnte. Es gab so vieles, das ich ihm sagen musste! Erst, als mir dämmerte, dass wir nicht zum Dorf ritten, sondern weiter durch den Wald, durchbrach ich die Stille. "Wir kehren nicht zurück?", wollte ich verwundert wissen. Wirklich wohl fühlte ich mich dabei nicht. Zwar ging ich nicht davon aus, dass mir Geralt ohne einen triftigen Grund etwas tun würde, allerdings war ich auf der anderen Seite wiederum nicht sicher, was bei ihm so alles als triftiger Grund durchginge. „Nein“, erwiderte der Weiße Wolf knapp. „Hattest du nicht ein Nest erwähnt? Das suchen wir noch.“ Oh, stimmt. Das hatte ich glatt vergessen. Nach der Begegnung mit dem Greif hatte ich nicht wirklich Lust, mich auch nur in die Nähe der Brutstätte einer solchen Bestie zu begeben. Hoffentlich könnte ich dieses Mal bei Plötze warten, vorzugsweise weit weg von dem Baum, in dessen Ästen die Greifen nisteten. Hätte ich die verschissenen Eier mal doch aus dem Nest geschubst, dann hätten wir das Problem jetzt nicht! Mist. Während ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie genau der hohe Baum ausgesehen hatte. Die Antwort war ernüchternd. Wie alle Bäume hier. Ein Baum halt. Ich hätte für alles Geld dieser Welt nicht sagen können, um welche Art Baum es sich handelte, geschweige denn wo genau dieser spezielle stand. So ein extrem großer Baum ließe sich doch aber bestimmt finden. Selbst hier, wo man buchstäblich vor lauter Bäumen den Wald nicht sah. Mein Blick glitt gerade hoch zu den Baumkronen, als mir noch ein anderer, viel beunruhigenderer Gedanke kam. Es brauchte zwei Greifen, um kleine Baby-Greifen zu machen! Im Umkehrschluss bedeutete das, dass uns beim Nest wahrscheinlicher der Partner von Geralts neuer Trophäe erwartet. Scheiße! So wie ich Geralt einschätzte, wollte er den zweiten Greifen dann auch gleich erledigen. Seufzend wandte ich den Blick zum Himmel, der sich langsam dunkler färbte. Frischer Wind zog auf und ließ das Blätterdach über uns rascheln. Hoffentlich regnete es heute nicht. Das hätte mir echt noch gefehlt. Nur gut, dass meine Jacke, so zerschlissen und mitgenommen sie auch war, eine Kapuze hatte. "Wirst du mich danach zur nächsten Stadt mitnehmen?", meinte ich nach einer Weile, das Thema wechselnd. Bisher hatte der Hexer zwar durch Schweigsamkeit geglänzt, aber mit etwas Glück konnte ich ihm ein paar Informationen aus der Nase ziehen. Vielleicht erfuhr wenigstens im Groben, wo ich war. Vermutlich irgendwo in Velen, wenn ich raten müsste, aber das war alles andere als eine genaue Angabe. Obendrein war die Beschilderung hier dermaßen scheiße, dass ich mir die Suche nach einem Ortseingangsschild wohl getrost sparen konnte. Wobei mir das sowieso nicht geholfen hätte. Meine Orientierung war dermaßen unterirdisch, dass mir ein Dorfname keine Vorstellung davon gegeben hätte, wo ich war. Eine Landkarte, die wäre super, aber ich zweifelte daran, dass in einer solchen Gegend jemand etwas so Wertvolles besaß, geschweige denn, es mir umsonst überließe, und Geld hatte ich keines. Meine beste Chance war also Geralt und dann die nächste Stadt, denn dort wäre die Chance, von Monstern gefressen zu werden, merklich geringer, wenngleich dort dann alle möglichen anderen Gefahren nur auf mich warteten. Diebe, Meuchelmörder, religiöse Fanatiker, Mistkerle im Allgemeinen. "Oxenfurt ist nur ein paar Tagesreisen entfernt. Wie versprochen", riss mich Geralts Brummen aus meinen Gedanken. Oxenfurt! Erleichterung durchflutete mich. Eine Stadt der Bildung klang unendlich viel besser als irgendein hinterwäldlerisches Dorf, in dem der natürliche Stammbaum jeder Familie ein Kreis war. Aber Oxenfurt war ein Zentrum der Bildung, des Fortschritts! Dort lebte auch Shani! Dann stockte ich. Hieß das, ich hing im DLC Hearts of Stone? Hoffentlich nicht. Ich schauderte. Gaunter O'Dimm fand ich zwar als Charakter unglaublich spannend, aber auch gruselig genug, um ihn nicht unbedingt persönlich kennenlernen zu wollen. Der Spiegelmeister trieb für meinen Geschmack zu gefährliche Spiele mit seinen Opfern und dass er als Bezahlung Seelen verlangte, machte es nicht besser. Wenn ich mit meiner Vermutung richtig lag und Geralts Weg den des, was auch immer Gaunter war, bald erneut kreuzte, sollte ich unbedingt irgendwie einen Hinweis bezüglich der Kröte in der Kanalisation einstreuen. "In Oxenfurt sollten wir dir auch etwas zum Anziehen besorgen", fuhr Geralt unbeirrt fort und klang dabei in etwa so angespannt, wie ich mich fühlte. Ich konnte förmlich seinen Blick an meinem Hinterkopf spüren. Für ihn musste meine Kleidung wirklich seltsam aussehen, auch abgesehen von ihrem eher abgeranzten Zustand. Er war schon ohne mich auffälliger, als ihm lieb war, aber mit mir im Schlepptau könnte er genauso gut Pauke spielend und mit Konfetti werfend Einzug in die Stadt halten. Blöderweise hatte ich kein Geld, mit dem ich hier irgendetwas hätte kaufen können und ich bezweifelte, dass ich in Oxenfurt Arbeit fände, bei der mir mein Wissen irgendwie hilfreich wäre. Obendrein kannte ich dort auch niemanden und hätte nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Selbst wenn ich davon ausging, dass mir weder mein nicht vorhandenes Hab und Gut gestohlen wurde, noch die Stadtwache fand, dass ich zu verdächtig aussah, um frei herumzulaufen, wäre ich immer noch völlig aufgeschmissen. Das waren natürlich alles nicht Geralts Probleme, doch ich war nicht bereit, den Hexer so einfach davonkommen zu lassen. Wenn ich schon in dieser Welt festsaß, dann wollte ich wenigstens das Beste draus machen. Es gab so vieles, das ich hier erkunden und erleben könnte! Wäscherin in Oxenfurt zu sein, fiel eindeutig nicht in diese Kategorie. "Ich habe kein Geld." Meine Worte waren nicht mehr als eine Feststellung, doch ich ahnte, dass die nicht auf Begeisterung stoßen würde. Schon im nächsten Moment bewies Geralt, dass ich mit dieser Einschätzung Recht hatte. "Warum überrascht mich das nicht?", ächzte er hinter mir. Blödmann! Als wäre er superreich. Als Hexer hatte er so einige harte Wochen hinter sich, wie ich wusste. Kein Wunder, dass die Wolfsschulen-Hexer im Winter, wenn das Reisen noch gefährlicher wurde und nachts der Erfrierungstod drohte, nach Khaer’Morhen zurückkehrten. Ich presste die Lippen zu einem schmalen Strich. Geralts Leben war hart und dass er nun mich am Arsch hatte, machte es nicht einfacher. Das schlechte Gewissen nagte an mir, doch ohne Geralts Hilfe würde ich Oxenfurt niemals heil erreiche. "Hab eine alte Freundin dort. Sie leiht dir bestimmt etwas." Shani. Er meinte ganz bestimmt Shani. "Eine alte Freundin?", erkundigte ich mich wie beiläufig. Leider merkte ich dabei schon selbst, dass meine Stimme vor Aufregung seltsam verzerrt klang. Wenn Geralt bisher nicht misstrauisch gewesen war, dann war er es spätestens jetzt. Toll gemacht, Daelis. Mental schlug ich mir vor die Stirn. "Sie ist Ärztin", bemerkte Geralt knapp. Das half mir jetzt nicht wirklich weiter. „Oh, dann hat sie dich bestimmt mal zusammengeflickt. Kennt sie sich mit Kampfwunden aus?“, fragte ich weiter. „Sie hat viele Soldaten versorgt.“ Vermutlich hatte Geralt erwartet, dass ich einen Namen erfahren wollen würde, doch darum ging es mir nicht. Ich wusste ja längst, dass er von Shani sprach. Was ich wirklich hatte wissen wollen, hatte ich dennoch erfahren. Wenn Geralt wusste, dass Shani für die Armee arbeitete, hatten sie sich kürzlich gesprochen. Oder anders gesagt: Er hatte sie in Witcher III schon getroffen, sonst wüsste er davon nämlich nicht. Das hieß dann wohl, dass Hearts of Stone schon durch war, denn ein Mal von O'Dimm trug Geralt auch nicht. Wie es wohl ausgegangen war? Besser, ich fragte nicht danach. Etwas Nasses tropfte auf meine Nase und ließ mich aufsehen. Am Himmel zogen die Wolken mehr und mehr zu. Es dauerte nur Minuten, dann setzte Nieselregen ein, der den Hexer und mich gleichermaßen durchnässte. Nicht sofort, aber doch stetig genug, dass mir die Haare bald in feuchten Strähnen im Gesicht klebten. Wie gerne hätte ich jetzt bei aufgedrehter Heizung in einem Auto gesessen. Damit wäre die Reise nicht nur weniger holprig, sondern auch deutlich wärmer gewesen. Aber davon konnte ich im Moment nur träumen. Der technische Fortschritt dieser Welt entsprach eher dem Mittelalter und vermutlich konnte ich schon von Glück sagen, wenn man mich nicht dafür auf dem Scheiterhaufen verbrannte, dass ich behauptete, die Erde drehe sich um die Sonne. Ein ziemlich ernüchternder Gedanke, aus dem mich Geralt abrupt herausriss, indem er ohne Vorwarnung an Plötzes Zügeln zog. Die Stute wieherte auf und tippelte auf der Stelle, sodass auch ich erschrocken zusammenzuckte. Meine Finger hatten sich sofort in die Mähne des treuen Pferdes gekrallt. "Was ist los?", verlangte ich zu wissen, einen Blick über die Schulter zu dem Hexer werfend. „Ein Unwetter zieht auf. Sollten besser zurückreiten und morgen nach dem Nest suchen“, antwortete Geralt mit brummender Stimme. Er sah mich dabei nicht einmal an, sondern ließ den Blick umherschweifen. Ich seufzte leise. Schon klar, die Eier würden wohl auch nicht unbedingt weglaufen und die Trophäe für seine Belohnung hatte er schon. Einen Moment lang wollte ich ihm trotzdem widersprechen, immerhin ging von dem Partner des toten Greifen keine geringe Gefahr aus, doch wer war ich, einen Hexer zu belehren? Er war der Profi und ich sicher nicht scharf drauf, im immer stärker werdenden Regen herumzureiten. Erspart blieb mir das allerdings nicht, auch wenn wir direkt umkehrten. Noch ehe das Dorf in Sichtweite gekommen war, prasselte ein Regenguss auf uns herunter, der uns bis auf die Knochen durchnässte. Dagegen halfen auch unsere Kapuzen nichts und der Umstand, dass ich vor dem Hexer saß und besserte meine Lage auch nicht gerade, denn gleichzeitig peitschte mir der Wind dicke Regentropfen ins Gesicht. Der Hexer in meinem Rücken, der sich vorlehnte und mir dabei förmlich den Kopf auf die Schulter legte, spendete nicht annähernd genug Wärme, um mich darüber hinwegzutrösten, dass unter Plötzes Hufen Schlamm bis zu meinen Knien hochspritzte. Geralt schien das alles nicht zu stören. Sein Atem streifte über meinen Hals und meine Wange. Zwar jagte diese unerwartete Nähe einen heißen Schauer in mein Gesicht und ich hätte wetten können, hier mit einer defekten Ampel zu konkurrieren, doch besser fühlte ich mich damit sicher nicht. Vielmehr war mir das hochgradig unangenehm. Attraktive Menschen waren gruselig, vor allem, wenn sie nicht wussten, dass sie attraktiv waren. Ein Paradebeispiel dafür war Geralt. Lag bestimmt daran, dass er allzu oft als Mutantenmonster beschimpft wurde. Dass ich ihm beim Spielen ungeniert mehr als einmal auf den Hintern gestarrt hatte, trug im Moment nicht zu meinem Wohlbefinden bei. Und wenn es mal nur sein Hintern wäre! Verdammt, da gab es wirklich noch sehr viel mehr zu gucken! Am liebsten hätte ich mich für diese Gedanken geohrfeigt, doch mutig genug, den Klammergriff um Plötzes Mähne zu lösen, war ich nicht, besonders nicht ob des halsbrecherischen Tempos, zu dem Geralt die Stute antrieb. Als wir schließlich das Gasthaus erreichten, in dem Geralt mich aufgelesen hatte, war ich nicht nur klatschnass, sondern auch matschbespritzt bis zu den Knien, durchgefroren und ziemlich mies gelaunt. Letzteres vor allem wegen der anderen Punkte. Zitternd und frierend wartete ich darauf, dass der Hexer sein Pferd unterbrachte, von dem ich ungeschickt heruntergestürzt war, heilfroh, wieder Boden unter meinen Füßen zu haben. Wer immer behauptet hatte, das Glück der Erde liege auf dem Rücken der Pferde, war offensichtlich nie Auto gefahren. Konnte man Muskelkater in seinem Hintern haben? Falls ja, dann würde ich mich damit diagnostizieren und konnte gleichzeitig bezeugen, Muskeln entdeckt zu haben, von denen ich nicht gewusst hatte, dass ich sie besaß. Warum nur war ich in Kindheitstagen kein Pferdemädchen gewesen wie alle anderen? Dann wäre dieser Ritt durch den Regen bestimmt weniger anstrengend gewesen. Wenigstens erwartete mich nun eine warme Gaststube. Plötze hingegen konnte nur auf den Stall hoffen, der nicht wirklich den Eindruck machte, als würde es darin so richtig warm. Ich bezweifelte stark, dass jemand sich in diesen Zeiten die Mühe machte, einen Pferdestall zu beheizen, wo doch alle Ressourcen gebraucht wurden, um die eigene Familie über den kalten Winter zu bringen. Mitleidig sah ich zum Stalltor, durch das Hexer und Pferd verschwunden waren. Den Blick auf den Stall geheftet, hatte ich die Gestalt nicht kommen sehen, der mich beinahe umrannte. "He!", schreckte ich zusammen und wirbelte herum. "Verzeiht." Eine Stimme wie flüssiges Karamell drang an mein Ohr und ließ mich meinen eigenen, wenig freundlichen Tonfall direkt bereuen. Der Fremde konnte ja nichts für meine schlechte Laune oder das beschissene Wetter. „Schon gut“, murmelte ich leise und musterte den Mann aus den Augenwinkeln. Er hatte seine Kapuze ähnlich tief ins Gesicht gezogen wie ich und wer konnte es ihm bei dem Mistwetter verübeln? Was ich jedoch darunter erkennen konnte, konnte sich sehen lassen. Ich schätzte den Mann auf etwa 30 Jahre. Er hatte schwarzes Haar und die hellsten Augen, die ich jemals gesehen hatte. Verdammt, der war hübscher als die meisten Frauen, die ich je gesehen hatte! Und dafür hatte er sich nicht einmal stundenlang vor einem Spiegel zurechtmachen müssen. Manche Leute hatten einfach das unglaubliche Talent, selbst an einem Scheißtag nach einer Reise durch Matsch und Regen auszusehen, als wären sie direkt aus einer Modelkampagne herausgestolpert. „Vielleicht“, ergriff der Fremde zu meiner Überraschung erneut das Wort, „darf ich Euch zur Entschuldigung auf einen kleinen Umtrunk oder einen Teller heiße Suppe einladen?“ Im ersten Moment war ich so verdattert, dass ich gar nicht wusste, was ich sagen sollte und den Mann einfach nur anstarrte, der freundlich lächelte und seine Kapuze etwas nach hinten schob, als wolle er mich beruhigen. Nervös schluckte ich und wollte im eigentlich ablehnen, aber etwas Heißes zu essen klang verdammt verlockend. Also nickte ich und lächelte, wobei meine Zähne verräterisch klapperten. Von Geralt war noch nichts zu sehen. Vielleicht war der Hexer auch längst durch eine Verbundtür im Gasthaus verschwunden. Ich warf einen kurzen Blick in Richtung Stall, dann wieder zu dem gutaussehenden Mann, der noch immer unverbindlich lächelte. Wer immer der Kerl war, er war nicht nur nett, sondern auch wirklich ein Hingucker. Ein Grund mehr für mich, eigentlich abzulehnen. Was mich schließlich dazu bewegte, mir einen Ruck zu geben, wusste ich nicht, aber ich hörte mich "Sehr gerne. Danke" sagen. Der Fremde trat nun einen Schritt von mir zurück und machte mit einem Arm eine einladende Geste gen Tür der Gaststube. „Nach Euch. Wir sollten nicht länger im Regen verweilen.“ Dem konnte ich nur zustimmen! Gerade als ich die schwere Holztür öffnete, die in ihren Angeln quietschte wie ein sterbendes Meerschweinchen, konnte ich aus den Augenwinkeln noch sehen, wie Geralt aus dem Stall kam. Der Hexer folgte uns auf dem Fuße, tat jedoch, sagte jedoch kein Wort und ignorierte sowohl den Fremden als auch mich völlig, ganz so, als würden wir uns nicht kennen. Vielleicht baute er ja darauf, mich loszuwerden? Pah, träum weiter, Geralt! So schnell würde er mich nicht los. Dafür war ich ohne ihn viel zu aufgeschmissen und gleichzeitig zu misstrauisch, als dass ich mein Schicksal einem völlig Unbekannten anvertrauen würde. Nein. Geralt müsste mich mindestens bis nach Oxenfurt zu Shani bringen. Vorerst jedoch galt meine Aufmerksamkeit dem fremden Schönling, der in der kleinen Wirtsstube die Kapuze vom Kopf zog und mich mit einer eleganten Geste in Richtung eines Tisches lotste. Eine Einladung, der ich nur zu gerne folgte. Dankbar für den Platz in der Nähe des Kamins zog auch ich meine Kapuze herunter und schob die feuchten Haare einfach nach hinten. Es war ein ekelhaftes Gefühl, wie mir kleine kalte Regentropfen von den Haaren in den Nacken tropften und dann über den Rücken liefen. Was hätte ich für ein Handtuch gegeben oder einen Föhn oder wenigstens ein Haargummi, um die Mähne hochzubinden, damit sie mir nicht nass über den Rücken hing und dabei meine Kleidung durchnässte. Bestimmt sah ich ziemlich zerzaust aus, doch das Lächeln des schwarzhaarigen Mannes ließ mich nichts davon spüren. Es war schon fast peinlich, wie sehr seine Aufmerksamkeit auf mir lag. Wollte er mir vielleicht etwas verkaufen? Den Gedanken verwarf ich wieder. Der Mann schien nichts bei sich zu tragen, das er mir andrehen könnte, und mir sah man zweifellos an, dass ich eh nicht das Geld hätte, um irgendetwas zu kaufen. Meine von Greifenkrallen zerrissenen Jackenärmel sah man nämlich auch unter dem Umhang noch ziemlich gut. „Ich hoffe, Ihr könnt mir mein Missgeschick von vorhin verzeihen. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten.“ Gelassen fuhr der Fremde sich durch seine feuchten Haarsträhnen. So zerrupft wie ich mich fühlte, so topgestylt sah er aus. Die Welt war echt unfair. Trotzdem genügte sein Lächeln, damit ich mich direkt ein bisschen entspannte. „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Derand. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Daelis“, beeilte ich mich, zu antworten, und hätte ihm beinahe die Hand hingehalten, um seine zu schütteln. Ich verkniff mir die Geste. Wer wusste schon, wie die hier aufgefasst wurde? Dass Geralt gute Freunde mit einer ähnlichen Geste, nämlich dem Griff ans Handgelenk, begrüßte, wusste ich aus dem Spiel, aber an den typischen Handschlag konnte ich mich nicht erinnern. Schlimm genug, dass ich aussah wie ein begossener Pudel und meine Kleidung den Eindruck erwecken musste, als käme ich von furchtbar weit her aus einem Land jenseits jeder Mode. Ich musste nicht auch noch im Hinblick auf hiesige Gepflogenheiten mehr anecken, als ich es sowieso schon hatte. Die Wirtin musste geglaubt haben, dass ich völlig den Verstand verloren hatte. Oh, wenn sie nur wüsste! Ein Blick in meine Realität und ihr bliebe die Spucke weg. Allerdings ginge es allen anderen hier wohl ebenso, einschließlich Derand, dessen Züge ein erleichtertes Lächeln zeigten. Verdammt, er war wirklich, wirklich hübsch! So hübsch, dass es an ein schieres Wunder grenzte, dass ich überhaupt einen sinnvollen Satz herausbekam. Auf fremde Leute zuzugehen und Kontakte zu knüpfen, war sowieso nicht gerade meine Stärke und auffallend attraktive Menschen machten es mir noch schwerer, wenn auch nicht absichtlich. „Da gibt es aber wirklich nichts zu entschuldigen. Ich habe auch nicht aufgepasst“, fuhr ich fort, den Gedanken an mein erstes Gespräch in dieser Welt beiseite drängend. "Daelis, was für ein hübscher Name." Ein totaler Standardspruch und dennoch kroch mir die Röte in die Wangen, als ich ein verlegenes "Danke" murmelte. Die Zeit, mich zur Räson zu rufen, verschaffte mir glücklicherweise der Wirt, der herangetreten war, um zwei Schüsseln dampfender Suppe vor uns abzustellen. Zwei Becher folgten, dann zog sich der ergraute Mann zurück. Das musste der Ehemann der Frau sein, die mir gestern den Schnaps gegeben hatte, schloss ich und hatte den Wirt im nächsten Moment schon wieder völlig vergessen, weil Derand ohne jede Vorwarnung nach meiner Hand gegriffen hatte. Etwas unschlüssig starrte ich auf unsere Hände, bevor ich meine zurückzog. Das ging mir dann doch etwas zu weit. Ich war sowieso nicht so der touchy Typ Mensch und mit Fremden erst recht nicht. Daran änderten auch ein hübsches Gesicht und eine honigsüße Stimme nichts. Derand schien sich an meiner Reaktion nicht zu stören, denn sein Lächeln blieb genauso strahlend wie seit dem Moment, in dem ich mich vorgestellt hatte. "Ihr seid nicht von hier, oder?", führte Derand das Gespräch gelassen fort. Nicht von hier war die Untertreibung des Jahrhunderts. Genau genommen war ich ja nicht einmal sicher, ob diese Welt überhaupt real war, die man in meiner Heimat doch als Fiktion kannte. Aber wie sollte ich ihm das bitteschön erklären? Selbst wenn er inhaltlich verstünde, was ich versuchte ihm zu verklickern, würde Derand mich ziemlich wahrscheinlich für wahnsinnig halten. Genau wie alle anderen Leute hier. Niemand würde mir glauben, außer vielleicht ein Magier, der in meinen Gedanken sehen konnte, dass ich die Wahrheit sagte. Soweit ich wusste, war Derand jedoch kein Magier, also nickte ich einfach. "Ich komme aus Toussaint", log ich direkt drauf los. Das Herzogtum hatte mir im Spiel nach der tristen und grauen Umgebung der nördlichen Königreiche umso schöner erschienen und es war weit genug weg, um hier als Fremde zu wirken. Außerdem wollte ich ja auch dorthin, sodass ich einfach behaupten könnte, auf der Heimreise zu sein. „Toussaint?“, hakte Derand hörbar überrascht nach, bevor er sich merklich entspannte. „Ich war vor einigen Jahren mal dort. Ein wunderschöner Flecken Erde.“ Stumm nickte ich, was offenbar genügte, um den Schönling vor mir zu animieren, weiterzureden. Obwohl Derand den Großteil der Unterhaltung führte und ich meistens nur zuhörte, hätte ich mich nicht wohler fühlen können. Er war angenehme Gesellschaft und die Zeit verflog nur so, während wir uns unterhielten, harmlose Scherze tauschten und gemeinsam lachten. Ins Gespräch vertieft, bekam ich weder mit, dass sich die Wirtsstube mit voranschreitender Stunde merklich leerte, noch, dass Geralt uns mit skeptischem Blick beobachtete. „Bis morgen dann, werteste Daelis.“ "Bis morgen", stimmte ich Derand gut gelaunt zu, ein Gähnen unterdrückend. So langsam machte sich der lange Tag bemerkbar. Nicht nur, dass meine Kratzer allesamt tierisch brannten und mein Hintern sich anfühlte, als hätte ich mich in einen Brennnesselstrauch gesetzt, auch der Kampf mit dem Greif hatte mich erschöpft, obwohl ich ja nicht mal daran teilgenommen hatte. Gefühlt tat mir einfach jeder Muskel im Leib weh. Ich wollte nur noch ins Bett und schlafen. Das war irgendwann auch Derand aufgefallen, der sehr nachsichtig mit mir gewesen war, als ich zugegeben hatte, dass ich schon halb im Reich der Träume war. Um nicht unhöflich zu sein, hatte ich mich mit Derand direkt für den nächsten Vormittag verabredet, um unsere Unterhaltung fortzuführen, wenn ich ausgeruhter war. Dann könnte ich vielleicht auch mal mitreden, anstatt nur zuzuhören und dümmlich vor mich hinzunicken wie ein Wackeldackel auf der Ablage eines alten Opel Corsa. Geralt und ich würden ja eh noch ein Weilchen bleiben, oder? Schließlich wollte der Hexer noch nach den Eiern sehen. Dafür brauchte er mich wirklich nicht. Das könnte er in Ruhe machen, während ich mich mit Derand traf. Danach könnte der Hexer mich nach Oxenfurt bringen, ich mich bei Shani einkleiden und wir hoffentlich irgendwann in Richtung Toussaint aufbrechen. Sofern Geralt die Chance nicht nutzte, um sich vom Acker zu machen. Dann wäre ich am Arsch und säße hier ohne Orientierung, Reisemöglichkeit und die Mittel, mich selbst zu versorgen, fest. Dazu kam natürlich noch die Frage, ob ich in Toussaint überhaupt noch irgendetwas bewirken könnte. Bisher wusste ich nur, dass die Ereignisse rund um den Spiegelmeister bereits geschehen waren, aber eine besonders genaue Angabe war das nicht. Es könnte durchaus sein, dass Geralt das Weingut Corvo Bianco einfach nicht erhalten hatte. Oder vielleicht hatte er sich auch dafür entschieden, die Hauptquest einfach nicht bis zum Ende zu verfolgen. Ging das? Konnte er das tun? Ich hatte keine Ahnung. Doch einen besseren Plan für die Zukunft hatte ich nicht. Zumindest, bis ich wusste, wie ich hergekommen war, wie ich zurückkam und wieso ich nicht über das sprechen konnte, was ich wusste. Zwar hatte es gestern auf dem Rückweg zum Dorf noch mehrfach versucht, doch jedes Mal war ich stumm wie ein Fisch geblieben. Offenbar war es hier tabu über Fandom-Wissen über die Zukunft zu tratschen. Sehr schade. Geralt und ich hätten sonst amüsante Unterhaltungen führen können. Obendrein wäre es viel einfacher, den Hexer zu bestimmten Entscheidungen zu drängen, wenn ich ihm einfach sagen könnte, welche Folgen seine Taten haben würden. So jedoch musste ich darauf bauen, dass ich auch ohne Zukunftsvorhersagen überzeugend genug war. Schwerfällig schlurfte ich auf Geralt zu, der in Richtung einer schmalen Treppe nickte. Schwere Schritte folgten mir die Stufen hinauf in einen engen Flur, von dem drei Zimmer abgingen. Fragend sah ich über die Schulter, da schob mich Geralt auch schon auf die erste Tür zur Linken zu, in deren rostiges Schloss er einen kleinen Schlüssel schob. Zweimal drehte Geralt diesen herum, dann hörte man ein Klicken. „Unser Zimmer.“ Schwer legte sich Geralts Hand auf meine Schulter, um mich in das kleine Zimmer zu schieben. Bevor ich protestieren konnte, fiel die Tür auch schon hinter uns ins Schloss. Der Raum erinnerte mehr an eine Besenkammer. Es gab neben einem Bett noch ein Beistelltischchen, das ziemlich wackelig aussah, und einen Stuhl, auf dem bereits Satteltaschen lagen. „Unsere?“, wollte ich verwirrt wissen und wandte mich um, nur um mich Auge in Auge mit dem Hexer wiederzufinden, dessen Katzenaugen mich skeptisch fixierten. "Wer ist der Kerl?" Der Kerl? Genervt rollte ich mit den Augen. „Sein Name ist Derand“, antwortete ich knapp. Geralts Miene blieb steinern. Was war eigentlich sein Problem? „Er ist sehr freundlich und wir treffen uns morgen noch einmal“, fuhr ich nach einer unangenehmen Pause fort. „Er könnte gefährlich sein, hast du das mal bedacht?“, fragte der Weiße Wolf geradeheraus. Wie konnte man nur so paranoid sein? Nicht jeder wollte einem gleich ans Leder. Am liebsten hätte ich Geralt eine Predigt darüber gehalten, dass er nicht immer so grimmig dreinschauen und so misstrauisch sein sollte, doch zum Einen war ich dafür viel zu müde und zum Anderen glaubte ich nicht, dass ich ihm seine Skepsis noch würde austreiben können. „Genau wie du“, konterte ich etwas verspätet und begleitet von einem Gähnen. Der Hexer seufzte hörbar, bevor er zurücktrat, soweit es das kleine Zimmer erlaubte, in dem wir beide die Nacht verbringen würden. Mein Blick wanderte noch einmal prüfend durch den winzigen Raum, der mich vage an meinen Kellerraum erinnerte - nur weniger sauber. Gemütlich war echt etwas anderes, aber es war auf jeden Fall besser, als draußen zu übernachten, besonders bei dem Regen, den man hier oben laut auf das Strohdach prasseln hören konnte. Obendrein heulte und zischte der Wind gefühlt durch jede Ritze. Von guter Dämmung hatte man hier eindeutig auch noch nichts gehört. Ein Teil von mir hätte am liebsten protestiert, weil der Raum einfach zu klein für den Hexer und mich war, doch soweit kam ich gar nicht. Ohne mich auch nur im Geringsten zu beachten, begann Geralt sich direkt vor meiner Nase aus der noch vor Nässe glänzenden Rüstung zu schälen. Fassungslos starrte ich Geralt an. Hallo? Ich war noch hier? Gerne hätte ich ihm das und noch so einiges anderes um die Ohren gehauen, doch vor Überraschung bekam ich keinen Ton heraus. Nach und nach landeten Handschuhe, Stiefel und Lederrüstung auf dem Boden. Als der Hexer schließlich Anstalten machte, sein Hemd auszuziehen, schaffte ich es aber immerhin, meine Schockstarre für einen Moment zu lösen, um mich herumzudrehen, das Gesicht hochrot und den Hexer dabei anzischend. "Hast du kein Schamgefühl? Du kannst dich doch hier nicht einfach ausziehen!", empörte ich mich und erntete damit nur ein Lachen. "Hätte dich nicht für so prüde gehalten." Prüde? Dem gab ich gleich prüde! Von seinem blöden Kommentar angestachelt, drehte ich mich wieder zu ihm um und merkte im gleichen Moment, dass der Hexer genau diese Reaktion hatte provozieren wollen. War ich wirklich so leicht zu manipulieren? Scheinbar. Geralts Grinsen jedenfalls sprach Bände. „Zieh die nassen Sachen aus, sonst holst du dir den Tod. Morgen sollten sie trocken sein.“ Gerne hätte ich protestiert, sie wären es schon, immerhin hatte ich nahe am Kamin gesessen, doch leider stimmte das eindeutig nicht. Meine Jeans hing klamm an meinen Beinen und aus meinen Socken könnte man glatt die Nordsee wringen. Brummend schlüpfte ich zumindest aus meinen Turnschuhen und Socken, ehe ich die Jacke auszog und mangels eines richtigen Stuhls einfach zu Geralts Rüstung auf den Boden legte. Das klamme Hemd des Hexers folgte. Als ich keine Anstalten machte, mich weiter auszuziehen, sondern stattdessen unsicher im Raum umhersah, blieb mein Blick schnell wieder an den gelben Katzenaugen des Weißen Wolfs hängen. Ich konnte sehen, wie seine Miene nun nur noch skeptischer wurde. Bis ich verstand, dass diese Skepsis nicht einmal meiner Weigerung galt, die nasse Kleidung abzulegen, während er selbst nur noch in Unterhose herumstand, sondern vielmehr der Art meiner Kleidung, dauerte es einen Moment. „Das ist modisch in meiner Heimat“, rechtfertigte ich mich sofort, was Geralt lediglich ein Seufzen entlockte. „Ziehst du das noch aus?“ „Nein“, entschied ich prompt. Einen Augenblick lang sah mich der Hexer nur an, dann nickte er in Richtung Bett. „Schlaf. Wir brechen morgen früh auf, um das Nest zu suchen.“ Ich stutzte. „Wir? Ich dachte, du erledigst das, während ich mich mit Dera-“ Geralts Blick ließ mich verstummen. „Schon gut, schon gut.“ Beschwichtigend hob ich beide Hände und kletterte eilig in das kleine Bett, das genauso ungemütlich war, wie es aussah. Hoffentlich fing ich mir keine Läuse oder Schlimmeres ein. Der mit Heu gefütterte Sack, auf dem ich hier lag, konnte mit einer richtigen Matratze einfach nicht mithalten. Stumm sehnte ich mich nach zuhause, während ich meine Haare geschickt mit beiden Händen griff, sie zu einem Zopf zusammendrehte und dann in einen Dutt rollte. So hingen sie mir wenigstens nicht nass überall herum. Als wäre die Matratze, sofern das Ding in meinem Rücken diesen Namen überhaupt verdient hatte, nicht schon unbequem genug, quetschte sich ganz ohne Vorwarnung Geralt neben mich. Wie sollte ich da noch ein Auge zu kriegen? Stroh, das mich in den Rücken piekste, klamme Kleider am Leib und den fast nackten Geralt neben mir, der schon nach wenigen Augenblicken entweder schlief oder meditierte. Ächzend versuchte ich, etwas Abstand zwischen den Hexer und mich zu bringen, gab das aber bald als unmögliches Unterfangen auf und fügte mich meinem schlaflosen Schicksal. Wenigstens war Geralt schön warm. Gefühl vergingen Stunden, bis ich endlich bibbernd einschlief. Kapitel 4: ... in die Traufe ---------------------------- Zu meiner eigenen Überraschung war ich letzten Endes doch recht schnell eingeschlafen, trotz klammer Kleidung und schmerzenden Muskeln. Letztere fühlten sich bei meinem Erwachen auch nicht unbedingt besser an. Generell fühlte ich mich wie durch den Reißwolf gedreht. Mir war kalt, mein Hals tat weh und ich hatte nicht übel Lust, mich einfach unter der Bettdecke einzurollen und so zu tun, als könnte mich der Rest der Welt am Allerwertesten. Leider machte mir Geralt da direkt einen Strich durch die Rechnung. "Steh auf", hörte ich ihn neben mir. Der Hexer war bereits dabei, seine getrockneten Sachen anzuziehen und sah nur kurz über die Schulter in meine Richtung, als ich missmutig etwas Unverständliches zurückbrummelte.  Widerwillig verließ ich meinen warmen Hort und bereute es sofort. Ungemütlicher hätte meine zerrupfte, klamme Hose kaum sein können, vom Pulli ganz zu schweigen. Mit einem Brummen machte gab ich meinem Unmut Luft und erntete nur einen genervten Blick seitens Geralt. "Hab' dir gesagt, du sollst die nassen Sachen ausziehen." Ich sah den Hexer nur finster an. Ja, Mama Geralt. Als ich ihm jedoch einen entsprechend bissigen Kommentar drücken wollte, unterbrach mich mein eigenes Niesen. Scheiße, das hatte mir noch gefehlt. Den gleichen Gedanken hatte mein nicht ganz freiwilliger Begleitschutz auch. "Dass du krank wirst, hat mir echt noch gefehlt", ächzte der Weiße Wolf, während er seine Rüstung anlegte und ich mich daran machte, Socken und Schuhe an meine Füße zu bringen. Wieder nieste ich, dieses Mal gleich mehrfach hintereinander. Noch ehe ich allerdings nach meiner Winterjacke greifen konnte, aus der an einigen Stellen schon die Daunen herausguckten, dank der unverkennbaren Greifenkrallenspuren, legte sich Geralts Hand schwer auf meine Schulter. "Du wartest hier, während ich die Belohnung für den Greifen einfordere." An jedem anderen Tag hätte ich protestiert, schon aus Angst, Geralt könnte mich einfach zurücklassen, weil ich ihm zu anstrengend geworden war, doch zum Diskutieren fühlte ich mich einfach nicht gut genug. Mein Kopf hämmerte beinahe noch übler als gestern Morgen nach dem Schnaps und so nickte ich nur brav. "Danach suchen wir das Nest und reisen direkt weiter." Wieder nickte ich nur. Damit war der Hexer wohl zufrieden, denn ohne ein weiteres Wort ließ er mich in dem kleinen Zimmer allein.   Um nichts in der Welt hätte ich irgendwem erklären können, wann ich eingeschlafen war und wie ich es doch noch aus meiner klammen Kleidung geschafft hatte, jetzt, wo ich allein war, aber geweckt wurde ich durch ein wiederholtes Klopfen an der Zimmertür. Einen stummen Fluch auf den Lippen quälte ich mich hoch. Erneut klopfte es und nun hörte ich auch eine Stimme. "Lady Daelis? Seid Ihr anwesend?" Derand. Oh Mist! Sofort war ich hellwach. War es schon so spät? Wie lange hatte ich geschlafen? Nicht, dass es eine Rolle spielte, denn ausgeschlafen und entspannt fühlte ich mich nicht im mindesten. Am liebsten hätte ich mich direkt wieder eingerollt und den Tag als Ganzes einfach ignoriert, doch ich ahnte, dass das keine Option war - und nicht nur wegen Derand, den ich ungern warten ließe. Eilig schlug ich die Decke beiseite, bereute das sofort, weil es schlicht und ergreifend arschkalt war und griff nach meinen immerhin weitestgehend trockenen Klamotten. "Ich bin gleich soweit, einen Augenblick bitte!", rief ich in Richtung Tür. Angezogen hatte ich mich schnell, aber es brauchte keinen Spiegel, um mir zu sagen, dass ich scheiße aussah. Und zwar nicht nur von der Sorte 'schlecht geschlafen'-scheiße sondern klar von der Sorte 'schlecht geschlafen, abgeranzte Klotten und keine Bürste gefunden'-scheiße. Zumindest für den Schein fuhr ich mit den Fingern durch meine heillos verhedderten Haare. Ohne Bürste keine Chance, wellte die Mistmähne sich doch bei Regen gleich nochmal extra. Missmutig zupfte ich an meiner zerschlissenen, muffigen Kleidung herum, zog ein paar Haarsträhnen zurecht und befand schließlich, dass es ja doch nicht besser würde, aber das auch keine große Rolle spielte, weil hier gefühlt sowieso niemand viel Wert auf Hygiene legte.   Das Glück war auf meiner Seite oder aber Derand nur unglaublich höflich, denn sein Lächeln gab nicht im mindesten preis, dass ich aussah, als hätte ich keine besonders erholsame Nacht hinter mir, wenngleich das durchaus stimmte. Im Gegenteil strahlte Derand mich förmlich an und war direkt so galant, mir seinen Arm anzubieten, während er berichtete, wir könnten draußen frühstücken, er habe ein paar Decken auftreiben können und vom Wirt ein paar Kleinigkeiten erworben. Im ersten Moment klang die Vorstellung, bei dieser Arschkälte draußen zu sitzen, nicht besonders verlockend in meinen Ohren, doch als wir im Schankraum ankamen, wurde mir schnell klar, dass es die einzige Option war. Ein gutes Dutzend schmuddeliger Kerle saß an den Tischen, es stank nach verbranntem Fett und die Geräuschkulisse erinnerte mich vage an ein Schützenfest und zwar nicht im positiven Sinne. Wären die Umstände ein wenig anders, hätte ich mich garantiert tierisch für meine unordentliche Erscheinung geschämt und zwar in Grund und Boden, doch angesichts der Blicke, die mir die Anwesenden zuwarfen, wollte ich einfach nur dringend hier weg und das nicht einmal, weil ich mich schmutzig fühlte. Selbst mit einigen Schritt Entfernung fiel es mir schwer, die Nase nicht zu rümpfen oder sie mir direkt zuzuhalten. Ekelig! Wenn ich schon eine Dusche brauchte, könnte man die bitte direkt in Desinfektionsmittel baden. Zum Glück bugsierte mich Derand erfolgreich an der Gruppe vorbei und es blieb bei abschätzenden Blicken, während die Kellnerin weniger Glück hatte und eine ungewaschene Hand mit hörbarem Klatschen auf ihrem Hintern landete. Ich glaube nicht, dass ich jemals so froh war, auszusehen, als wäre ich durch einen Reißwolf gedreht worden und obendrein als niesende Bazillenschleuder die Leute auf Abstand halten zu können. Ugh, die arme Bedienung tat mir ziemlich Leid. So gerne ich mich jedoch direkt eingemischt hätte, wäre es wohl doch besser, wenn ich meinen Sabbel hielt und nicht versuchte, hier die Dicke zu markieren, solange mit kein Hexer den Rücken freihielt. Obwohl es vernünftig war, schämte ich mich, als Derand und ich die Gaststube verließen und damit die arme Frau mit einem geifernden Haufen widerlicher Grabscher allein ließen.   Derand hatte nicht zu viel versprochen. Ein gutes Stück abseits des Dorfes hatte er ein hübsches Plätzchen ausgesucht, an dem wir es uns auf einer Decke bequem machten und aus dem mitgebrachten Korb zauberte er allerlei kleine Leckereien. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt sagen, er machte mir den Hof. So nannte man das doch noch in dieser Zeit, oder? Ein wenig tat es mir glatt Leid, dass daraus wohl nichts werden würde. Nicht nur, dass ich nicht vorhatte, in dieser wahnsinnig gefährlichen und zugleich technisch unfassbar rückständigen Welt hängen zu bleiben, ich hatte erst recht nicht vor, jemanden zu heiraten, dem ich kaum die Wahrheit über meine Herkunft erzählen könnte. Ohnehin würde Derand sicher auffallen, wie seltsam ich wirklich war, je näher wir uns kennenlernten. Genau genommen war ich ja schon jetzt überrascht, dass er sich weiter mit mir abgab, denn auch wenn ich mich um eine möglichst angepasste Sprachweise bemühte, waren meine Ansichten einige Dinge betreffend doch ziemlich offensichtlich untypisch für diese Welt.  Sollte ich wirklich nicht von hier wegkommen, dann würde ich vielleicht einfach so eine Art Frauenrechtlerin. Oder ich könnte mich für Monster einsetzen. Unbeliebt machen würde ich mich damit zwar auf jeden Fall, doch mit der hiesigen Ideologie einer braven Hausfrau, die Kinder in die Welt setzte, konnte ich mich definitiv nicht anfreunden. Für eine Karriere als Monster-Schützerin sollte ich nur unbedingt nicht gerade Novigrad als Startpunkt aussuchen, sonst würde ich wohl ziemlich schnell zusammen mit Zauberinnen und Dopplern auf einem Scheiterhaufen brennen. Dafür für Radovid sorgen. Es sei denn natürlich, Geralt hatte bei seiner Ermordung geholfen, doch danach konnte ich den Hexer wohl schlecht fragen. Soweit ich es sagen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als herauszufinden, ob das DLC Blood and Wine schon passiert war oder nicht, wenn ich wissen wollte, was gerade Sache war. Aber vielleicht konnte mir ja sogar schon Derand dabei helfen. Nur... wie fragte man unverfänglich nach ermordeten Rittern in Toussaint?    Zu meiner Überraschung und Erleichterung war das gar nicht so schwierig. Wie von selbst landeten Derand und ich schon nach einigen Minuten beim Thema Toussaint, immerhin hatte ich ja behauptet, von dort zu stammen. "Gewiss vermisst Ihr Eure Heimat, Milady. Ganz besonders jetzt, wo das Land hier vom Krieg gebeutelt ist." Wie selbstverständlich nickte ich. "Schon, das kann ich nicht leugnen. Allerdings ist es auch sehr lehrreich und angesichts der Morde, die Beauclair heimsuchen...", warf ich Derand einen Brocken hin, den dieser sofort auffing. "Morde?" Er hatte also nicht davon gehört. Nun, das konnte bedeuten, dass womöglich noch keine geschehen waren oder aber sie waren ob der Nacht der langen Zähne einfach untergegangen. Informationen verbreiteten sich hier ja ein wenig langsamer und obendrein per Brief oder mündlich. Wir wissen ja, wie gut stille Post funktioniert. Also nickte ich nur. "Ja. Ein ehemaliger Ritter, Count Crespi, ist auf grausamste Weise ermordet worden." War der überhaupt das erste Opfer gewesen? Ganz sicher war ich nicht, doch da Derand eh nicht auf dem aktuellen Stand war, kam es darauf wohl nicht an. "Ein Ritter? Wirklich eine Schande. Sie sind die Zier des Herzogtums und man hört nur Gutes über sie." Wieder nickte ich nur, verhalten niesend. Wirklich mehr wusste ich jetzt zwar nicht, aber es war einen Versuch wert gewesen. "Ich bin zuversichtlich, der Mörder wird schnell gefangen, wenn es nicht schon geschehen ist." Nein, wie süß! Derand versuchte offenbar mich zu beruhigen. Wirkte ich so ängstlich? Was mir an dieser Sache Sorgen bereitete, war zwar nicht der Mörder, doch wie sollte er das ahnen? "Gewiss. Womöglich wird man ihn schon hingerichtet haben, ehe ich wieder Zuhause ankomme." Wow. Wenn ich mich bis jetzt für meine Lügen nicht geschämt hatte, dann spätestens jetzt, als Derand meinte: "Mir wäre dennoch wohler, würdet Ihr nicht alleine reisen. Die Wege sind gefährlich und eine Dame sollte nicht ohne Begleitschutz einen so weiten Weg auf sich nehmen." Oh, Derand. Wenn du wüsstest... Mit Geralt im Gepäck fühlte ich mich nämlich schon ziemlich sicher und da ich immerhin grob wusste, wo welche Wesen lebten, hatte ich immerhin eine gute Idee davon, welche Plätze ich besser meiden sollte. Nämlich so ziemlich alles abseits der Straße, besonders verlassene Häuser, Ruinen und Wälder.    "Eure Sorge ehrt Euch, Derand", säuselte ich freundlich und überlegte, wie ich ihm am besten verklickerte, dass ich mich an einen Hexer geklettet hatte. "Ein Stück des Weges wird mich ein fahrender Ritter begleiten und in Toussaint werden meine Verwandten mir sicher eine Kutsche zur Verfügung stellen." Noch mehr Lügen. Sorry, Derand. Doch die Wahrheit, die ich ja auch Geralt nicht erzählt hatte, würde wohl höchstens dazu führen, dass man mich für schwachsinnig erklärte und in einem Tollhaus absetzte. Wie toll die Versorgung von psychisch Erkrankten in dieser Welt sein würde, konnte ich mir gut ausmalen und daran teilhaben wollte ich ganz bestimmt nicht. In jedem Fall kam es natürlich nicht in Frage, Derand mitzunehmen und auch Geralt musste ich irgendwie wieder loswerden. Der einzige Charakter, dem ich zutraute, die Wahrheit wirklich händeln zu können, war Gaunter O'Dimm. So wenig mit die Vorstellung gefiel: Es war gut möglich, dass dieser Seelenhändler der einzige war, der mir helfen konnte, nach Hause zu kommen. Doch das musste warten. Zumindest, wenn ich den Zeitpunkt richtig einschätzte. Was ich nicht einberechnet hatte, war Derands Hartnäckigkeit und der verführerische Klang, mit dem er versuchte, sie mir schmackhaft zu machen. "Vielleicht nehmt Ihr mich ja mit?" Vor Schreck ließ ich das Stück Käse, das ich mir gerade in den Mund hatte schieben wollen, beinahe fallen. So wie er die Worte sagte, hätte er ebenso gut fragen können, ob ich nicht Lust hätte, ihn in meinen persönlichen Reiseharem aufzunehmen. "Äh..." Wo war meine Schlagfertigkeit nur in solchen Momenten? Was sollte ich ihm sagen? Ihn mitzunehmen kam absolut nicht in Frage, selbst wenn er das noch wollte, wenn er erst hörte, dass ich an einem Hexer klebte. Wobei der mich bestimmt gerne an Derand abträte. Vielleicht war die Idee nicht einmal schlecht. Wäre da nicht diese eine Sache, wegen der ich Geralt an der kurzen Leine halten müsste bis ich sicher war, dass er sich nicht auf das Biest von Beauclair stürzen würde.   "Gewiss würdet Ihr es nicht bereuen, Milady." Ich zuckte zusammen. Wann war Derand so nahe gekommen? Nur wenige Zentimeter - wenn es denn Zentimeter waren - trennten unsere Nasenspitzen. Das ging mir nun doch eindeutig zu schnell. "Da-da-das ist wirklich überaus schmeichelhaft", begann ich, ohne selbst zu wissen, was ich sagen wollte, außer: 'Kommt nicht in die Tüte'. "A-Also äh... e-es gibt da eine Sache..." Instinktiv lehnte ich mich von Derand weg, dessen Miene sich nun verzog und mit einem Male gar nicht mehr so freundlich und charmant wirkte. Ehe ich mein Sprachvermögen wiederfand umfasste er mit festem Griff meine Schulter. Fest genug, dass es wehtat. "Überaus... bedauerlich."  Selbst mir brauchte niemand sagen, dass Schluss mit lustig war. Dazu hätte ich auch nicht sehen müssen, wie Derand mit der freien Hand nach einem Messer griff. Wusste der Himmel, wo er das her hatte. Der Anblick jedoch genügte, dass ich mich gegen den Griff an meiner Schulter stemmte und versuchte, mich diesem zu entwinden. "Da-darüber können w-wir doch sprechen", versuchte ich eilig und unterbrochen vom eigenen Niesen, die Lage zu entschärfen und machte damit wohl alles nur noch schlimmer, denn im nächsten Moment sauste die Messerklinge auch schon in meine Richtung. Dass sie mich verfehlte, verdankte ich reinem Glück, denn in meiner Panik war es mir gelungen, mich dem Griff Derands zu entwinden, sodass die Klinge lediglich meinen Ärmel zerschnitt und meinen Arm darunter verletzte. Heiße Tränen stiegen mir in die Augen und ein schmerzerfüllter Aufschrei entrang sich meiner Kehle. In Filmen hielten die Leute immer alle Verletzungen locker aus, doch verdammt nochmal, das tat höllisch weh, tief oder nicht!    Derand ließ sich nicht beirren, doch sein Antlitz flimmerte, beinahe wie ein alter, defekter Fernseher. Als wäre ein Schleier gelüftet worden, hatte sich sein Gesicht verändert und war doch das gleiche geblieben. Seine Haut war dunkler und wies weiße Linien auf und aus seinem Haar ragte ein Paar Hörner. Noch während ich versuchte, von ihm wegzurutschen und Derand wiederum nach mir griff, das Messer fest in einer Hand, dämmerte mir, was ich hier sah. Derand war ein Incubus.  Im Spiel hatte ich - oder vielmehr Geralt - ein paar Succubi getroffen, die weibliche Version, wenn auch nie ein männliches Exemplar. Dennoch war unverkennbar, was Derand sein musste. Aber hieß es nicht, Succubi seien eher zurückhaltend, friedliebend und Menschen gegenüber nicht gerade feindlich gesonnen? Davon, dass sie ihr Aussehen ändern konnten, hatte ich auch noch nie etwas gehört. Irgendwie passte Derand da doch nicht so ganz in dieses Bild. "Lass mich los!", fauchte ich mehr panisch als drohend. Verschwendeter Atem, wie ich im tiefsten Inneren wusste. Er würde mich nicht einfach ziehen lassen. Seinesgleichen wurden von Radovid und den Hexenjägern gejagt und lebendig verbrannt. Würde ich ihn verraten, würde ihm das gleiche Schicksal blühen. Ungelenk trat ich nach meinem Angreifer, der mit einer solchen Rangelei wohl auch nicht gerechnet hatte. Ein klügerer Kopf hätte vielleicht bemerkt, dass Derand kein geübter Kämpfer war, doch mein Verstand war derart von Panik vernebelt, dass ich nur an eines denken konnte: Ich musste weg hier, sonst würde mich Derand töten. Nicht einmal der Gedanke, dass ich aus diesem Komatraum vielleicht erwachen würde, wenn ich in ihm starb, kam mir. Der Incubus bekam mein Fußgelenk zu fassen und zog mit einem Ruck daran, sodass ich anstatt aufzustehen auf dem Rücken landete und dabei erschrocken japste.   Keiner von uns beiden bemerkte, dass jemand hinzugekommen war, ehe sich des Hexers Schatten bedrohlich über uns legte. Derand, der mit dem Rücken zu Geralt kniete, während er versuchte, mich so festzuhalten, dass er mir die Kehle durchschneiden konnte, hatte heute eindeutig keinen Glückstag. Der Hexer kannte keine Gnade, schwang die Silberklinge noch ehe Derand sie überhaupt sah, obwohl er nun auch herumwirbelte. Blut spritzte, benetzte meine Kleidung und mein Gesicht. Jedes Lächeln, das ich ob Geralts Ankunft und meiner Rettung zustande hätte bringen mögen, erstarb im Keim. Vielmehr wurde mir speiübel. Genau hier, genau jetzt tötete Geralt jemanden vor meinen Augen. Jemanden, der keine wilde Bestie war, kein verstandloses Monster. Instinktiv wollte ich etwas sagen, wollte protestieren, doch jeder Ton blieb mir vor lauter Schreck in der Kehle stecken, sodass ich nur da lag und zu Geralt und Derand hinaufstarrte. Letzterer hieb zischend mit seinem Messer in Richtung des Weißen Wolfs, der geschickt auswich. Welchen Ausgang dieser Kampf hätte, war uns allen dreien wohl klar. Derand, der Geralt merklich hoffnungslos unterlegen war, Geralt, der das fraglos direkt bemerkte und mir, die alles nur mit geweiteten Augen und einem stummen Schrei in der Kehle beobachten konnte.  Das hatte ich nicht gewollt. Nichts davon! Niemand sollte meinetwegen sterben oder überhaupt sterben. Nicht so sinnlos! Zwar gab ich gern die Kühle, war die Letzte, die sich bei Toten in Filmen anstellte, doch hier in der Realität war das etwas ganz anderes. Vermutlich war es eben dieser Moment, in dem mir erst klar wurde, dass ich nicht träumte und alles um mich herum absolut real und echt war. Der Traum wurde ein gutes Stück weit zum Alptraum. Wie Derand zusammensackte, blutend, kraft- und leblos, bemerkte ich nicht einmal in meiner Schockstarre. Das hier war noch schlimmer als der Tod des Greifen. Der hatte mir im Nachhinein ein wenig leidgetan, aber was war Geralt übrig geblieben? Er hätte den Greifen ja schlecht zu einer Gruppentherapie einladen können. Doch mit Derand konnte man reden! Er war vernünftig, klug, gebildet und einem Menschen so ähnlich, dass ich jeden Unterschied für nichtssagend hielt.    "Daelis!" Ich zuckte zusammen und starrte Geralt entgeistert an. Wann hatte ich mich aufgesetzt? Wann war Geralt neben mir in die Hocke gegangen? Starrte er mich schon lange so abwartend an? Wenn ich seinen Blick richtig deutete, ja. "J-ja?" Er seufzte leise und richtete sich auf, dabei nach meinem Handgelenk greifend und mich auf die Füße ziehend. Beinahe wie tröstend legte der Hexer im nächsten Moment auch schon eine Hand auf meinen Kopf, sodass es mich alle Beherrschung kostete, nicht sofort loszuheulen. Die ersten Tränen konnte ich in den Augenwinkeln allerdings schon brennen spüren. Derand war tot. Einfach so. Ich brachte es nicht über mich, in seine Richtung zu sehen und als hätte Geralt meine Gedanken erraten, schob er mich von der Leiche weg. Meine Gefühle standen mir vermutlich ins Gesicht geschrieben. Ich konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war. "Ist schon spät", brummte  der Hexer. "Geh in der Wirtstube ein Bad nehmen, du siehst scheußlich aus." Jetzt schniefte ich und der Damm brach. Tränen rannen mir über die Wangen, tropften auf die blutbesudelte Kleidung und verschwanden darin. Ich wollte etwas sagen, wollte wenigstens wütend auf Geralt sein, doch beides gelang mir nicht. Der Hexer hatte mir das Leben gerettet. Ohne ihn wäre ich tot. Derand hätte mich ermordet, wieso auch immer. Das hatte ich nicht mehr herausgefunden und vielleicht spielte es auch keine Rolle. Hatte ich Derand vielleicht zu sehr verärgert? Vielleicht hätte ich ihn einfach mitkommen lassen sollen? Mein Verstand erkannte, wie albern diese Gedanken waren. Derand hatte nicht wirklich mitgewollt, sondern mich nur einfacher töten wollen, doch ein Teil von mir konnte nicht anders, als nach einer Ausrede zu suchen, mir selbst die Schuld in die Schuhe zu schieben, egal wie sinnlos es war. "Ich will nach Hause", brachte ich schließlich hervor und schluchzte unverhohlen, was den Hexer nur veranlasste, mich eilig selbst in Richtung der Taverne zu schieben.   Ich konnte nicht behaupten, dass ich mich nach dem Bad wirklich besser fühlte. Besser ja, vor allem körperlich, weil mir wieder warm war, auch wenn ich meine schmutzigen Kleider wieder anziehen musste. Damit konnten wir uns wirklich in keiner Stadt lange sehen lassen. Alles war blutig. Während ich mich anzog, bebten meine Finger und am liebsten hätte ich mich heulend in eine Ecke verkrümelt, doch Geralt klopfte an die Tür, noch ehe ich es über mich brachte, die nunmehr rotbraune Jeans anzuziehen, die erbärmlich stank, da halfen auch die Kräuter nichts, die ich darüber hatte ausstreuen sollen. Den Schnitt von Derand an meinem Arm hatte ich kurzerhand so belassen. Er wirkte nicht tief, auch wenn es tierisch brannte. Zum Glück war ich gegen Tetanus geimpft.  "Beeil dich, Daelis." Stumm seufzte ich in mich hinein, aber überwand mich, mich zuende anzukleiden, damit der Hexer in seiner Ungeduld nicht entschied, mich hier zu lassen.  Als ich das kleine Bad, wenn man den Raum denn so nennen wollte, verließ, wartete Geralt bereits mit einem Reiseumhang. Ein abgewetztes Stück, aber immerhin sauber, welches er mir um die Schultern legte. "Besser als deine Jacke", entschied er und ich konnte ihm nur zustimmen. Die Jacke war nämlich dreckig, zerfetzt und obendrein voller Blutflecken, dass man meinen konnte, ich wäre durch ein Kriegsgebiet gerobbt. Geralt sagte nichts weiter, sondern schob mich einfach mit sich nach draußen. Inzwischen war es schon wieder dunkel geworden und ich ahnte, dass der Weiße Wolf sich um Derands Leiche gekümmert haben musste. Sterne funkelten am klaren Himmel und an jedem anderen Tag hätte ich den Anblick wohl besser genießen können. Heute aber fühlte ich mich nur... ich wusste es nicht einmal. Ich stand einfach neben mir.  Erst, als wir ein großes Lagerfeuer erreichten, dämmerte mir, dass irgendetwas im Busch war. Neben mir ließ sich Geralt ein Bier in die Hand drücken, dann reichte man auch mir eines. Das ganze Dorf schien versammelt. "Dorfgründungsfeier", brummelte Geralt neben mir und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bier. "Morgen geht es weiter." Er sagte es nicht, doch ich wusste, das tat er mir zuliebe. Damit ich zur Ruhe kam, damit ich durchhielt und abgelenkt wurde. Dankbar nickte ich dem Hexer zu, schon wieder den Tränen nahe. Er war doch sensibler, als man ihm zugestand.   Kapitel 5: Nachwuchs -------------------- Es war noch früh. Zu früh. Woher ich das wusste? Ganz einfach: Geralt lag noch neben mir und strahlte angenehme Wärme aus, die ich heute ausnahmsweise auch wollte. Vorgestern hatte ich mich noch gescheut, in Unterwäsche neben dem Hexer zu liegen, doch heute war ich einfach froh, dass er da war und obendrein so angenehm warm. Ein kleiner Trost. Die ganze Nacht hatten mich Alpträume heimgesucht, die mir Derand zeigten, der auf mich losging, Derand, der starb, Derand, der in seinem Blut lag und mich anstarrte. Meine Schuld. Zumindest fühlte es sich so an. So mies hatte ich mich schon eine ganze Weile nicht mehr gefühlt. Vor ein paar Jahren schon mal, aber da war mein Schuldgefühl um einiges intensiver und berechtigter gewesen, die tote Person mir sehr viel näher und sie hatte mich obendrein niemals bedroht. Keine wirklich vergleichbare Situation, doch es änderte nichts daran, dass Geralt Derand nur tötete, um mich zu retten. Dass mich der Incubus angegriffen hatte - scheinbar grundlos - stand dabei auf einem anderen Blatt. Eigentlich sollte man meinen, mich ließe diese Sache kalt. In Filmen und Serien tat es das immer. Ich war die Letzte, die noch grinste, wenn das Blut spritzte, aber gestern war ich winzig klein mit Hut geworden, als mich Derands Blut tränkte. Am liebsten wäre ich einfach weggelaufen, doch ich war ja wie versteinert gewesen. Wie Geralt mich überhaupt irgendwohin gebracht hatte, entzog sich mir gänzlich. Selbst das Fest, auf das Geralt mich gestern Abend mitgenommen hatte, hatte die düsteren Gedanken nicht vertreiben können, obwohl ich natürlich gute Miene zum bösen Spiel gemacht hatte, während ich schniefend und niesend an meinem Bier genippt hatte - übrigens scheußliches Zeug. Es war nicht Geralts Schuld, das ich nicht damit klar kam, wenn jemand einfach getötet wurde. Dabei war mir ja durchaus klar, dass das in dieser Welt nicht gerade ungewöhnlich war. Hier starben andauernd Leute - und nicht nur wegen der katastrophalen hygienischen Zustände und der miserablen medizinischen Versorgung. Doch mit Derands Tod war die bittere, harsche Realität dieser Welt über mich hereingebrochen. Jeder Gedanke an einen Traum war verflogen, jede Idee eines Komas vergessen.    Obwohl ich mittendrin war, schien es mir noch immer absurd. Wie konnte das alles wirklich sein? Hieß das, ich müsste jetzt jeden Tag um mein Leben fürchten, weil ich nicht wusste, ob mir ein Bandit oder Monster ans Leder wollte? Ohne Kampffähigkeiten, magische Kräfte oder auch nur Orientierung, von grundlegenden Dingen wie Geld, Kleidung und Vorräten abgesehen, war ich hier hoffnungslos verloren, sobald Geralt mich über hatte. Der Hexer, an dessen Rücken ich mich klammerte und versuchte, nicht zu weinen - mit wenig Erfolg - ahnte ja nicht, wie sehr ich ihn brauchte. Ich war völlig von ihm abhängig. Wie könnte ich das je wieder gutmachen? Vielleicht, indem ich ihm in Toussaint half, Milton zu retten? Ich wusste ja, wo der Mord stattfinden würde! Immerhin das, befand ich mit tränennassem Gesicht, Geralts Rücken anstarrend, könnte ich für den Weißen Wolf tun, auch wenn er es nie erfahren würde. "Wir sollten uns langsam auf den Weg machen." Geralts raue Stimme ließ mich vor Schreck zusammenzucken. So schnell ich konnte, zog ich meine Hände von ihm zurück und suchte Abstand, obwohl das wohl eher albern anmutete. Wer konnte schon sagen, wie lange der Weiße Wolf wach war? Ihm war wohl kaum entgangen, dass ich die Nacht über geklammert hatte. Und selbst wenn ich ihn erst geweckt hätte, wäre ihm wohl nie die Nässe an seinem Rücken entgangen, die meinen Tränen geschuldet war. Eilig wischte ich mir über die Augen und nickte, so leise schniefend, wie ich nur konnte. Eigentlich war mir überhaupt nicht danach, das Bett zu verlassen, so ungemütlich das auch war. Meine Augen waren geschwollen, ich war müde und mir war kalt. Obendrein fühlte ich mich einfach nur zerschlagen und die Vorstellung, jetzt nach einem zweiten Greifen zu suchen, war alles andere als verlockend. Doch was half es? Die Kraft, mit Geralt darüber zu diskutieren hatte ich allemal nicht. Nicht heute.   Keine zehn Minuten später standen wir beide in der Gaststube und ließen uns ein karges Frühstück vor die Nase setzen. Appetit hatte ich nach gestern keinen und zu sehen, wie schmutzig die Finger des Gastwirts waren, steigerte ihn nicht unbedingt. Hygiene war hier wirklich ein Fremdwort. Geralt neben mir aß ganz ungeniert und als ihm auffiel, dass ich nur lustlos auf meinem Brot herumkaute, bediente er sich auch an meiner Portion. Mir war das nur recht. Sollte er nur essen, wenn er heute noch einen Greif erlegen wollte. In meinem Kopf spukte noch zu sehr Derand. Hätte ich ihn vielleicht irgendwie retten können? Ich wusste ja, dass es in The Witcher nicht immer Entscheidungen gab, die glücklich machten, aber dennoch konnte ich nicht umhin, mich zu fragen, wann der entscheidende Punkt gekommen war, der Derands Tod festgelegt hatte. Schon, als ich dem Date zustimmte? Im Spiel hatte es den Incubus nicht gegeben. War das vielleicht eine Anomalie, die ich durch meine Anwesenheit hervorgerufen hatte? Oder war es ein Hinweis darauf, dass ich in einem Geschehen nach Witcher III steckte und Geralt sich dagegen entschieden hatte, sich einen faulen Lenz in Corvo Bianco zu machen? Ich mochte mir gar nicht ausmalen, was ich sonst so alles durcheinander bringen könnte. Klar, ich wusste, was im Spiel von statten ging und besonders im DLC Blood and Wine, doch ich musste auch tierisch aufpassen, dass ich keine Änderung einführte, die am Ende alles derart durcheinander brachte, dass womöglich noch mehr Leute als unbedingt nötig starben. Mein Kopf tat schon beim Grübeln darüber weh. Am besten, ich stellte erst einmal sicher, wann ich war. Dann konnte ich weitersehen.   Im Stall begrüßte uns Plötze mit einem freundlichen Wiehern und hielt still, während Geralt erst mich in den Sattel schob und sich dann selbst hinaufschwang. Die Aussicht auf einen Ritt im strahlenden Sonnenschein schien die Stute zu locken, denn kaum, dass der Hexer die Zügel ergriffen hatte, lief Plötze auch schon los, während ich es vorzog, wieder in meinen finsteren Gedanken zu versinken und über Rätsel zu brüten, die ich sowieso nicht würde lösen können. Wäre doch nur Yennefer hier oder Triss oder sonst eine Zauberin der Loge. Die könnten mir vielleicht weiterhelfen, wenn ich ihnen erklären konnte, wer ich war und woher ich kam. Blieb die Frage, ob ich das konnte. Wann immer ich versucht hatte, Geralt etwas in dieser Hinsicht zu verklickern oder etwas aus meiner Welt auszuplaudern, hatte ich immerhin keinen Ton herausbekommen, als habe man mich wie einen Fernseher auf 'lautlos' gestellt. Wie wir den Wald erreichten, in dem Geralt den ersten Greifen erschlagen hatte, bemerkte ich gar nicht. Ohnehin wäre es für mich nur irgendwie irgendein Wald gewesen, wäre nicht der Kadaver des Greifen, an dem Geralt innehielt. Erste Insekten waren bereits über das tote Tier hergefallen und ein leicht süßlicher Geruch hing in der Luft, der mich würgen ließ. Der Hexer saß nicht einmal ab, sondern musterte den toten Körper nur kurz, ehe er weiterritt. Die Zeit kroch nur so dahin und bald war ich wieder in meine Grübeleien versunken, von denen ich doch genau wusste, dass sie mich nirgendwo hinführen würde. Ich konnte nicht ungeschehen machen, was geschehen war und niemanden fragen, wo eigentlich Derands Problem mit mir gelegen hatte. Ich seufzte vernehmlich und tat also das einzige, das mir übrig blieb. Ich fragte Geralt. "Hast du eine Ahnung, wieso mich Derand angegriffen hat?" Der Hexer schnaubte leise. "Ungewöhnlich für Succuben, aber nicht für ihre Brüder. Gibt nicht viele von ihnen, war der Erste, den ich je sah. Schätze, er wollte einfache Beute machen. Angeblich sammeln sie das Haar ihrer weiblichen Opfer." Ich schauderte. "Was mich viel mehr interessiert ist, wieso er sich als Mensch tarnen konnte." Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Da war ich auch überfragt, doch immerhin hatte ich etwas Neues über Incubi gelernt, wenn auch nichts Erfreuliches. Stille legte sich wieder über uns, denn weder Geralt noch ich waren epicht darauf, weiter über den toten Derand zu sprechen. Geralt war Derand wohl schlicht egal und mir lag der Incubus schwer auf dem Gewissen.   Als Plötze abrupt innehielt, riss es mich aus meinen Gedanken. Fragend sah ich mich erst um, dann über die Schulter zu dem Weißen Wolf, dessen Blick nun auch auf mir lag. "Was ist?", wollte ich wissen. "Du warst hier." Verwirrt blinzelte ich den Hexer an. Was faselte er da? Wann sollte ich wohl schon mal hier gewesen sein? Machte ich den Eindruck? Scheinbar stand mir das Unverständnis ins Gesicht geschrieben, denn Geralt fuhr fort: "Da vorne am Busch hängt ein Fetzen deiner Jacke und der Boden zeigt Spuren von einem Greifen. Offenbar nähern wir uns dem Nest." So wie er klang, könnte man meinen das sei eine gute Nachricht, doch das sah ich eindeutig anders. Ich wollte nicht noch einmal dorthin. Dort gab es einen weiteren Greifen, der womöglich obendrein noch stinksauer war, weil Geralt entweder Mama Greif oder Papa Greif erschlagen hatte. So abrupt wie Plötze innegehalten hatte, lief sie nun auch wieder los, wohl von einer Geste Geralts angetrieben. Eilig klammerte ich mich an die Zügel. Das letzte, was ich gebrauchen könnte, war hier nun auch noch vom Pferd zu fallen und mir etwas zu brechen. Dass wir den Baum so schnell finden würden und obendrein den dazugehörigen Greifen, den Geralt mit "Ah, die Mutter", kommentierte, gehörte eindeutig zu den Dingen, auf die ich hätte gut und gerne verzichten können. Ich wollte in Sicherheit, weg von hier, in die nächste Stadt, in der es keine Monster gab. Oder zumindest keine, mit denen man nicht diskutieren konnte. Die nämlich fürchtete ich nicht so sehr, trotz Derands Versuch, mich zu töten. Allein der Schrei des Greifen genügte, dass es mir eisig über den ganzen Rücken lief und ich am liebsten geschrien hätte. Im Spiel hatte ich Greifen immer recht hübsch gefunden, so mehr oder weniger eben, aber nach der ersten Live-Erfahrung hatte sich meine Meinung über diese Viecher grundlegend geändert. Ich wollte sie nicht in meiner Nähe, wollte nicht in ihre und wenn es nach mir ging, konnten sie bleiben, wo der Pfeffer wuchs, solange sie mich nur in Ruhe ließen und mich nicht in ihre Nester schleppten. Hinter mir schwang sich Geralt von Plötzes Rücken und ich tat es ihm nach kurzem Nicken seinerseits gleich. Konnte ich nicht lieber ein Stück mit Plötze wegreiten? "Ist das der Baum mit dem Nest?" Geralt starrte den wuchtigen Baum hinauf, der breit genug war, dass wir beide hätten den Stamm nicht füllen können. Ich nickte. "Ja, glaube schon." Wie zur Bestätigung ertönte erneut der Schrei eines Greifen, doch dieses Mal begleitet von einem Schatten, der sich über uns legte. Mama Greif. Ich schluckte. Ob sie sich auch an mich erinnerte? Äste knackten, brachen und fielen krachend zu Boden, ehe auch der Greif mit gespreizten Flügeln nur wenige Schritt entfernt den Boden erreichte. Instinktiv wich ich zurück und tat es damit Plötze gleich. Wir wollten wohl beide nicht in den Kampf zwischen Hexer und Greif geraten.   Wie auch schon bei Geralts letzter Auseinandersetzung mit einem Greifen konnte ich nichts weiter tun, als mit großen Augen und klopfendem Herzen zuzusehen. Wieder hatte ich mich in die Büsche geschlagen und dort klein gemacht, um im Falle eines Falles nicht als lohnende Beute in den Blick der Bestie zu rutschen, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass Geralt starb. Das war einfach absurd. Er konnte nicht sterben! Er war der Protagonist und hatte obendrein gefälligst seinen Lebensabend gemeinsam mit einer Zauberin seiner Wahl auf dem Weingut Corvo Bianco zu verbringen, während er Wein kelterte und altkluge Unterhaltungen mit Regis führte, im Winter Besuch von Eskel und Lambert bekam, Ciri gelegentlich einlud und tat, was immer Hexer so taten, wenn sie nichts zu tun hatten. Wahlweise auch auf einem Einhorn. Der Kampf allerdings weckte Zweifel in mir. Die Klauen des Greifen verfehlten Geralt knapp, das ich mich so sehr anspannte, dass sich meine Finger in den weichen, matschigen Waldboden krallten und ich sogar das absolut verhasste Gefühl von Dreck unter den Nägeln gänzlich ignorierte, das mich sonst immer sofort kribbelig machte und an meinen Nägeln herumkratzen ließ. Ich konnte sehen, wie Geralt die Finger hob und ein Zeichen die Luft malte. Aard. Hatte er das in dem anderen Kampf auch getan? Ich konnte mich nicht erinnern. Allerdings war ich auch so verängstigt gewesen, dass ich es vielleicht einfach nur nicht gesehen hatte, aber jetzt beeindruckte mich die Hexermagie umso mehr. Richtige, echte Magie! Der Anblick brachte meinen inneren Skeptiker, der esoterische Vorstellungen prinzipiell erstmal verneinte und nach Erklärung und Beweisen verlangte, zum Schweigen. Ich wusste zwar, dass Hexerzeichen keine besonders beeindruckende Magie darstellten, wenn man es mit dem Können von Zauberern verglich, doch ich fand es dennoch mehr als imposant. Ob ich sowas wohl auch lernen könnte? Würde Geralt mir das beibringen oder war das so ein Hexergeheimnis? Bestimmt letzteres, so wie ich den misstrauischen Haufen kannte.   Zumindest war das Glück - oder war es Schicksal? - auf Geralts und meiner Seite. Nach einem heftigen Kampf, bei dem der Hexer eine klaffende Wunde an der Hüfte und sicher so einige Prellungen davontrug, wenn ich daran dachte, wie der Greif ihn mit dem Flügel erwischt und über den Boden geschleudert hatte, fiel der Greif leblos zu Boden, ganz ohne einen theatralischen letzten Aufschrei. Aus meinem Versteck kam ich allerdings erst, als Geralt sich merklich nach mir umsah. Auf eine Trophäe wollte er dieses Mal wohl verzichten. "Das Nest", begann der Hexer und ich unterbrach ihn, mit dem Finger nach oben deutend. "Ist auf diesem riesigen Baum. Ganz sicher." Überzeugt wirkte Geralt nicht und ich konnte es ihm nicht verübeln, nachdem ich ihn ja schon einmal ziemlich in die Irre geführt hatte. Mit einem Seufzen nickte er jedoch und machte sich zu meiner Verwunderung tatsächlich daran, den Baum hochzukraxeln. Ein Beispiel, dem ich nicht folgte. Mir hatte es vollauf genügt, einmal da herunterzuklettern. Auf eine Wiederholung konnte ich getrost verzichten. "Willst du nicht lieber erst die Wunde versorgen?" Geralt tastete sich prüfend ab. "Kann warten. Ist nicht so schlimm." Männer! Immer den Harten markieren! So wie das aussah, tat es sicher tierisch weh. Aber wie er wollte. Während ich unten wartete, erreichte der Hexer mit erstaunlichem Geschick zügig das Nest in der Baumkrone. Komischer Ort für ein Greifennest, fand ich, jetzt, wo ich Zeit hatte, darüber nachzudenken. Bei meiner Flucht vor Mama oder Papa Greif hatte ich darauf gar nicht geachtet, doch nisteten diese Viecher nicht normalerweise auf dem Boden? Seltsam. "Verdammt!", konnte ich Geralt oben fluchen hören und blickte zu ihm hoch. "Was ist los?", rief ich zurück und bekam prompt eine Antwort. "Sie sind geschlüpft!"  Greifenbabys. Wenngleich die erwachsene Version dieser Viecher in mir ganz sicher keine liebevollen Gefühle wecken konnte, galt dies für die Küken absolut nicht. Sie wären bestimmt ganz hinreißend! "Bring sie mit runter!" Ich konnte Geralts Gesicht nicht sehen, doch ich ahnte, dass er mir gerade die Pest an den Hals wünschte für diese Idee. "Wag es ja nicht, sie einfach zu töten!", setzte ich nach. "Das sind unschuldige Babys!" Das musste doch auch Geralt einsehen, oder? Ich hoffte es zumindest, auch wenn ich irgendwie das Gefühl hatte, dass er bei Monstern nicht unterschied. Mir allerdings war absolut nicht wohl bei der Vorstellung, kleine wehrlose Greifenküken abzuschlachten.   Eine ganze Weile geschah nichts und ich fürchtete schon, Geralt hätte meine Worte einfach ignoriert und kurzen Prozess mit den Küken gemacht, da konnte ich den Hexer sehen, der sich wieder über den Rand des Nests schwang und begann, den Baum wieder herunterzuklettern. Dabei machte er eindeutig eine bessere Figur als ich vor zwei Tagen - und er war dabei sogar noch verletzt! Noch ehe er den Boden erreichte, durchflutete mich Erleichterung, denn das schrille Piepsen, das aus Geralts eingerolltem Umhang ertönte, den er an seinem Gurt befestigt hatte, ließ mich hoffen, dass sich darin die süßen, kleinen Greifenküken befanden. Eine Hoffnung, die sich zumindest zum Teil erfüllen sollte. Unten angekommen brummte mich Geralt missmutig an. "Einer hat's wohl nicht geschafft, aber hab' die zwei Jungen mitgebracht. Glaube nicht, dass sie lange überleben ohne ihre Mutter. Hässliche Biester." "Sag' sowas nicht! Bestimmt sind sie absolut hinreißend, entzückend, niedlich und..." In genau diesem Augenblick schlug Geralt das Bündel auf und ich stutzte. "Hässlich", beendete der Weiße Wolf meinen Satz und so gern ich ihm widersprochen hätte, ich konnte es nicht. Verdammt, die waren wirklich hässlich! Aber entzückend hässlich. Demonstrativ griff ich nach den beiden Küken, die mir prompt die Finger zerkratzten und nach meinem Arm hackten, wo sie lediglich meine Jacke zerrupften. "Aww, das macht nichts. Ihr seid halt hässlich-süß, ihr Kleinen." Geralts Blick verriet mir offen, dass er ob meiner Worte an meinem Verstand zweifelte. Ob das nun daran lag, was ich sagte oder vielmehr daran, dass ich mit Greifenbabys sprach, konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen.  "Wenn du mich fragst, sind diese Biester noch nicht selten genug. Wir sollten sie töten und weiterziehen." Entsetzt und empört schnaubte ich Geralt an. "Kommt nicht in Frage!" Zwar schüttelte der Hexer den Kopf, doch er ließ es dennoch zu, dass ich beide Greifenküken in die Arme nahm, während er seine Wunde versorgte, die nach meinem Urteil zwar immer noch unter 'ziemlich übel' lief, aber für den Weißen Wolf wohl kein so großes Hindernis darstellte. Vermutlich war das seine Art zu sagen: 'Sie sterben eh und so hält die Irre wenigstens die Klappe und trauert dem Incubus nicht länger nach.' Sollte mir recht sein. In meinen Augen hatte ich nämlich längst die Mutterrolle für die Küken übernommen, die in ihrer Hässlichkeit eben doch mein Herz erwärmten, sodass mich auch die Kratzer nicht störten, die sie an meinen Fingern hinterließen, als ich versuchte, sie beruhigend zu streicheln. Für Kinder hatte ich zwar nichts übrig, aber Tierjunge waren natürlich etwas ganz anderes. "Schon gut. Mama Daelis passt auf euch auf", säuselte ich den Kleinen zu und konnte dabei zum Glück nicht sehen, wie Geralt die Stirn in skeptische Falten legte. Kapitel 6: Im Auftrag Ihrer Gnaden ---------------------------------- "Schau nur, wie süß sie sind!", ereiferte ich mich und erntete ein vielsagendes Ächzen von Geralt, der hinter mir auf Plötzes Rücken saß. Ich ging dem Hexer vermutlich kräftig auf den Keks mit meiner Schwärmerei, doch je länger ich die hässlichen Greifenküken anstarrte, desto entzückender fand ich sie. Ja, sie waren wirklich keine Schönheiten, so mit zotteligem Gefieder und Glubschaugen, doch wenn sie mich so anblinzelten, konnte ich gar nicht anders, als sie einfach hinreißend zu finden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten ließen sich die beiden sogar ein wenig von mir streicheln. Scheinbar waren sie so frisch geschlüpft, dass sie noch keinen Menschenhass erlernen konnten. Puh, Glück gehabt! "Wie sollen wir die Zwei nennen?" "Du willst ihnen Namen geben?" Unglauben schwang in Geralts Stimme mit. "Natürlich!" So wie er klang, könnte man meinen, ich benähme mich hier seltsam. "Du gibst deinen Pferden doch auch Namen." Am liebsten hätte ich ihm noch gedrückt, dass er dabei so unfassbar unkreativ war, dass es an ein Wunder grenzte, dass seine Plötzes sich darüber nicht beschwerten. Vielleicht würde es ja diese, wenn Geralt zu der Quest kam, in der er mit Plötze sprechen konnte? "Hässlich und Hässlicher", ertönte es verhalten hinter mir. Idiot. Etwas unsanft stieß ich mit dem Ellenbogen nach hinten, traf dabei aber nur des Hexers Rüstung, was wohl mir mehr wehtat als ihm. "Hört nicht auf ihn, ihr kleinen Schätze. Ihr seid absolut entzückend." Wie von selbst wurde meine Stimme höher und nahm einen süßlichen Klang an, sobald ich mich an die beiden Greifen wandte. Den gleichen Tonfall, in dem ich auch mit meinem Kater sprach und den ich bei Eltern kleiner Kinder absolut ekelerregend fand. Wenn die Kleinen jedoch eines mit Leichtigkeit schafften, dann, mich von meinen finsteren Grübeleien abzulenken. Statt mich in Schuldgefühlen Derands Tod betreffend zu suhlen, ging ich völlig darin auf, die kleinen Greifen zu betüdeln. Sogar, als Geralt anmerkte, sie fräßen rohes Fleisch, das ich selbst erlegen müsste, hätte mich das nicht weniger jucken können. Als ließe ich diese kleinen Schätzchen einfach im Stich. Dass sie sonst niemand wollte, ließ sie in meinen Augen nur noch schützenswerter erscheinen. Wenn ihnen niemand anderes Liebe geben wollte, tat ich das eben! Für die Aggressivität ihrer Eltern konnten sie schließlich nichts! Natürlich wusste ein Teil von mir es eigentlich besser. Diese Greifen waren keine Haustiere, sie brauchten ihre Eltern und die wiederum waren natürlichen Instinkten gefolgt. Was mich jedoch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen holte, war die erste Nacht unter freiem Himmel. Nicht, dass ich das noch nie gemacht hätte, doch normalerweise waren Schlafsack und Iso-Matte mit von der Partie gewesen. Geralt hatte weder das eine noch das andere. Zwei Decken waren alles und beide ließen mich mit Wehmut an das vielleicht doch nicht so unflauschige Gefieder von Mama Greif denken. Die beiden Küken, die ich nach kurzer Diskussion mit Geralt nicht 'Hässlich' und 'Hässlicher' genannt hatte - wirklich! Was dachte sich Geralt nur dabei?! - hingegen waren noch ziemlich spärlich befiedert. Den größeren der Zwei, der zahmer war, hatte ich Sam getauft, den kleineren, der mich immer böse ansah, Dean. Unkreativ, doch ein Teil von mir fand es einfach witzig, wenngleich der Hexer meine Erheiterung darüber nicht verstehen konnte. Die Nacht verlief zwar ereignislos, allerdings war sie etwa so erholsam wie leistungsorientiertes Ausdauertraining. Nämlich gar nicht. Immer wieder rollte ich mich herum in dem Versuch, eine möglichst bequeme Position zu finden, ohne dabei Sam und Dean zu wecken, die zu meiner Freude wirklich schliefen, nachdem ich mein Abendessen, ein Stückchen Hase, großzügig mit ihnen geteilt hatte. Geralt hatte noch gebrummt, die beiden hässlichen Viecher zu füttern, sei Verschwendung, doch ich war ganz hin und weg, als sie mir aus der Hand fraßen. Anschließend waren sie in meinen Armen eingeschlafen. Als Geralt sich im Morgengrauen neben mir so ausgeruht erhob, als hätte er gemütliche acht Stunden durchgeschlafen, folgte ich seinem Beispiel nur, weil ich schon geraume Zeit wach war und die Winchesters, wie ich die Greifenküken im Duo bezeichnete, dabei beobachtete, wie sie einander am Gefieder zupften. Hässlich waren sie, aber auch irgendwie niedlich. Das Frühstück aus diversem Grünzeug, das aussah, als habe Plötze es gesammelt, nicht Geralt, kaute ich nur lustlos. Ich war einfach zu müde, um hungrig zu sein. Die beiden Greifenküken hingegen vertilgten zufrieden und sich kabbelnd das Trockenfleisch, das ihnen der Hexer hingeworfen hatte. Oder vielmehr: Welches er Dean mit der Bemerkung "Hässliche Biester" an den kleinen Kopf geworfen hatte. Zwar hatte ich  gegen die raue Behandlung meiner Babys sofort protestiert, doch die hatten sich ohne zu zögern auf das Futter gestürzt, sodass ich es gut sein ließ. Immerhin waren sie versorgt und so lange ich nicht gelernt hatte, Fallen zu stellen oder etwas mit Pfeil und Bogen zu schießen, war ich mehr denn je auf Geralt angewiesen. Ich könnte vielleicht Gras und Löwenzahn essen, doch die zwei Küken brauchten unverkennbar Fleisch. Kaum, dass wir vier aufgesessen hatten - also Geralt, ich vor diesem und die Winchesters vor mir - ergriff der Hexer zu meinem Erstaunen das Wort. Normalerweise war er doch immer so schweigsam, dass man ihm jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen musste. "Dafür, dass du mit diesen Viechern die ganze Zeit redest, sagst du ziemlich wenig. Woher kommst du eigentlich?" Mit dieser Frage hatte ich viel eher gerechnet und als sie nicht gekommen war, hatte ich sie nach und nach vergessen. Jetzt aber holte mich alles wieder ein. Geralt hatte bestimmt noch mehr Fragen und ich nicht den geringsten Schimmer, wie ich sie beantworten sollte, ohne bei einer Lüge ertappt zu werden. Dass ich nicht aus Toussaint kam, wäre dem Weißen Wolf sofort klar. Allein meine Kleidung musste den weitgereisten Hexer vor Fragen stellen, auf die ich schlicht keine Antwort hatte. Anfangs hatte ich versucht, ihm alles zu erzählen, doch anscheinend verbot das irgendein Naturgesetz. Ob ich es ihm vielleicht aufmalen könnte? Aber käme er überhaupt auf die Idee, ich könnte aus einer anderen Welt stammen, in der er und alles um ihn herum nur Fiktion war? Und selbst wenn er es begriff: Wie nähme Geralt das auf? Ich wusste ja nicht einmal, wie ich damit klar kam. "Ich komme von einer Insel", flunkerte ich also eilig drauf los. "Sie liegt nördlich von Novigrad und heißt Bierde." Das würde er mir nie glauben. Selbst in meinen Ohren klang ich absolut nicht überzeugend, doch der Hexer brummte nur zustimmend, als erkläre das meine seltsame Kleidung und mein für ihn sicher nicht weniger seltsames Gebaren. "Nie von gehört." Das wiederum wunderte mich überhaupt nicht. "Ah, für mich ist hier auch alles neu", beeilte ich mich hinzuzufügen. "Wir haben sonst keinen Kontakt zum Festland." Dass ich weder fischen konnte, was ich meiner Geschichte folgend eigentlich beherrschen müsste, noch die geringste Ahnung von Seefahrt, Wetter oder generell üblichen Dingen wie Nähen, Stricken, Spinnen, Ackerbau oder dergleichen hatte, würde mir noch große Probleme bereiten. Ein Königreich für fließend Wasser, Boiler und Supermarkt. Oder Betten. Was gäbe ich für ein richtiges Bett und ein langes, gemütliches Wochenende auf dem Sofa oder vorm Rechner. Stattdessen lagen vor mir aber wohl noch viele Kilometer sandige Straßen, indiskutable hygienische Zustände und ein Hexer, dessen Fragen auf lange Sicht dafür sorgen würden, dass ich mich in meinem Lügengespinst verstrickte, wenn ich das nicht schon hatte. Als hätte Geralt diesen Gedanken gelesen, meinte er: "An dem Abend als wir uns kennenlernten hast du etwas ganz anderes erzählt." Ich schluckte. Hatte ich das? Scheiße. Ich konnte mich an besagten Abend kaum erinnern, weil mir der Alkohol zu Kopf gestiegen war. "Ach, wirklich?", spielte ich die Ahnunglose, allerdings mit wenig Erfolg, wie mir Geralts Stimme sofort verriet. Der spöttische Unterton klang aber zu meiner Beruhigung immerhin eher amüsiert denn wütend. "Wirklich. Allerdings war das auch ziemlich wirres Zeug. Irgendetwas von einem Händi und einem Streit." Jetzt kam ich wirklich ins Schwitzen. Bevor ich jedoch etwas dazu sagen konnte, das mich vermutlich nur noch tiefer in den Lügensumpf gezogen hätte, fuhr Geralt fort. "Ich weiß nicht, was genau passiert ist, doch ich rate mal: Du bist von Zuhause nach einem Streit mit deinem Ehemann weggelaufen und kommst eindeutig von ziemlich weit her. Vielleicht hattest du Hilfe von einem Zauberer. Vermutlich." Das hieß dann wohl, dass er meinte, ohne ein Portal hätte ich es lebend nie hergeschafft. Leider musste ich dem beipflichten. Ohne Geralt würde ich hier keine Woche überleben. "Ehrlich gesagt ist mir das auch egal, aber versuch nicht, mich anzulügen. Das mag ich gar nicht." Jetzt klang er wütend und ich schluckte wieder vor Nervosität. "Okay." "Bitte?" "Hab's verstanden." Geralt schnaubte und Plötze tat es ihm gleich, wobei das vermutlich eher daran lag, dass Dean frech an ihrer Mähne zupfte. "Aber", meldete ich mich kleinlaut zu Wort. "Ich bin nicht freiwillig hier und ich bin nicht verheiratet." Geralt sagte dazu nichts mehr, sodass ich instinktiv versuchte, die unangenehme Stille zu überbrücken. "Den Streit hatte ich mit meiner besten Freundin. Kurz bevor ich... hier landete und von dem Greifen verschleppt wurde. Viel lieber wäre ich zuhause, das kannst du mir glauben. Weit weg von mordlüsternen Incubi und all diesem..." Ich ächzte. Krieg. Sexismus. Monster. Allem hier. Außer vielleicht Sam, Dean und Geralt. "Diesem Leben hier, das mir so fremd ist", endete ich stattdessen lahm. "Aber ich habe keine Ahnung, wie ich nach Hause kommen soll." Meine Stimme war nun nur noch ein Flüstern, dann verstummte ich auch.   Auch die nächste Nacht mussten wir wieder am Straßenrand verbringen und dieses Mal waren Sam und Dean leider nicht so genügsam. Sie krakeelten die halbe Nacht lauthals herum, so sehr ich auch versuchte, die beiden Kleinen zu beruhigen, aus Angst, Geralt könnte sich überlegen, sie vielleicht lieber zu braten statt zu füttern. Ich wollte gar nicht wissen, wie beschissen ich aussah, aber müsste ich raten, wäre ich auf einer Skala von Eins bis Zehn mindestens eine solide Acht. Meine Augenringe fühlte sich schon an wie Schluchten und wie zerrupft meine Kleidung und Haare aussahen, konnte ich ja selbst sehen. Ob man im Sitzen auf einem Pferd wohl schlafen konnte? Ich würde es herausfinden, denn schon beim Frühstück fielen mir die Augen beinahe wieder zu und das obwohl Dean mir gierig über die Finger pickte. "Hohlweg ist das nächste Dorf. Da sollten wir vielleicht schon mal ein Kleid oder so für dich auftreiben. Und was für die Haare", brummte Geralt und warf den beiden Greifenküken finstere Blicke zu. Offenbar hatte selbst seine Meditation nicht funktioniert, so laut wie die Winchesters heute Nacht randaliert hatten. Was sein Problem mit meinen Haaren war, wusste ich zwar nicht, doch um weiter darüber nachzudenken, war ich einfach nicht wach genug. "Hohlweg. Okay. Meinetwegen", gähnte ich zurück. Mir war fast jeder Ort recht. Doch irgendetwas klingelte bei mir. Hohlweg. Dieses Dorf kannte ich. Aber das musste schließlich nichts heißen. Würde man mir andere Dörfer aus The Witcher nennen, würden sie mir sicher auch bekannt vorkommen. Und doch... war das nicht das Dorf mit der Parodie auf Rotkäppchen? Diese Banditenführerin Rotkäppchen, die ein Werwolf war, war mir markant in Erinnerung geblieben. Dass man - oder zumindest ich - nicht auf einem Pferderücken schlafen konnte, sollte ich schnell herausfinden. Die Sonne war gerade aufgegangen, da saßen wir schon wieder im Sattel und so gerne ich mich einfach an Geralt gelehnt und die Augen ausgeruht hätte, es ging einfach nicht. Ich konnte partout nicht entspannen, geschweige denn schlafen. Vor allem nicht, wenn es hell war. Und als hätte die Welt sich gegen mich verschworen, musste heute, ausgerechnet heute, ein sonniger Tag sein, der nicht ahnen ließ, wie verregnet und kalt die letzten Tage gewesen waren. Das war doch zum Kotzen! Ächzend wandte ich mich den Winchesters zu, um diese mit kleinen Krauleinheiten zu verwöhnen. Eigentlich hatte ich Geralt fragen wollen, ob er mir beibrachte, wie man Fallen baute, doch dazu war ich jetzt viel zu müde. Selbst wenn der Hexer mir jetzt irgendetwas erklärte, verstünde ich davon wohl in etwa so viel wie von Quantenphysik. Nämlich nichts.   Die Sonne stand noch am Horizont als das Dorf in Sichtweite kam, sodass wir dieses gegen Mittag erreichten. Hätte mir Geralt nicht geholfen, von Plötze zu klettern, hätte ich mich garantiert lang gelegt. Dieses viele Reiten mochte für ihn sein Täglich Brot sein, doch für mich war es wahnsinnig anstrengend. Meine Oberschenkel fühlten sich an, als würde ich o-beinig laufen. Ächzend rieb ich sie mir unter den halb entsetzten, halb abfälligen Blicken der beiden Frauen, die vor der Gaststube saßen und zwei Hühner rupften. Ich konnte die beiden tuscheln sehen und sogar, wie eine der beiden mit dem Finger auf mich zeigte, während ich meinen Umhang so um mich wickelte, dass ich die Winchesters vor mir hertragen konnte. Eine der beiden Frauen verzog merklich die Mundwinkel, doch ich tat, als bemerkte ich das nicht. Sollte sie halt. Dass ich als Begleitung eines Hexers und besonders mit zwei Greifenküken vor der Brust Aufmerksamkeit erregen würde, hätte ich mir wohl denken können. Mit einer knappen Geste bedeutete mir der Weiße Wolf, ihm zu folgen. Auf den ersten Blick sah diese Gaststube einfach mal genauso aus wie die letzte, in der wir untergekommen waren. Stilvolle Inneneinrichtung wurde hier halt nicht groß geschrieben, das wusste ich ja. Herzhaft gähnend nahm ich neben dem Hexer Platz, der sich eine abgeschiedene Ecke gesucht hatte. Der Wirt, ein hagerer Mann mit schütterem braunen Haar und Augenringen, die sich mit meinen messen konnten, ließ nicht lange auf sich warten. Er funkelte erst Geralt, dann mich - oder vielmehr die Winchesters - unzufrieden an. "Soll ich die Viecher für euch braten?", erkundigte er sich grantig. Empört starrte ich ihn an. War der noch ganz knusper? Meine Babys - braten?! Offenbar war mein Gesicht Antwort genug, denn er wandte sich wieder an Geralt, dessen Lippen ein leichten Grinsen umspielte. "Bring uns etwas Brot und Käse, dann sind wir auch bald wieder weg." Damit schien der Wirt zufrieden. Er murmelte noch etwas, das ich nicht verstand, aber Geralt scheinbar sehr wohl, denn der Hexer verzog das Gesicht merklich. Fragend blickte ich ihn an. "Was hat der Kerl gesagt?" "Nichts weiter", wich Geralt aus und rieb sich über die Augen. "Was hat er ge-" "Er denkt du wärst meine persönliche Hure", unterbrach Geralt mich. Zum zweiten Mal in weniger als fünf Minuten blickte ich empört zu dem Wirt, nur, dass der es dieses Mal nicht bemerkte. "Was bringt ihn auf diese Schnapsidee?", verlangte ich zischend zu wissen und erregte damit Sams Aufmerksamkeit, der quietschend seine Meinung kundgab. Welche, das auch immer war. Geralt hob zur Antwort nur vielsagend eine Braue und ließ den Blick an mir entlangwandern. Bissig starrte ich zurück. Wo sah ich denn bitteschön wie eine Hure aus? Meine Kleidung war nicht freizügig, ich hatte nichts Anstößiges gesagt und war bei weitem nicht auf Kuschelkurs mit dem Hexer. Ohnehin: Seit wann hatten Hexer denn ihre persönlichen Prostituierten? Als könnten die sich das leisten...   Der Wirt hatte uns gerade das bestellte Essen gebracht, da erregte ein Scheppern meine Aufmerksamkeit. Mein Blick fiel auf zwei Ritter, beide in glänzend polierten Rüstungen, die mit einer Vielzahl Verzierungen versehen waren. Jetzt wusste ich, wann ich war. Das waren Palmerin und Peyrac-Peyran. "Geralt!", tönte einer der beiden überschwänglich. Vom Rest der sicher überaus feierlichen Begrüßung, die von Geralt vermutlich mit dem ihm eigenen nicht vorhandenen Enthusiasmus erwidert wurde, bekam ich nicht mit. Vielmehr versank ich in einen Überlegungen. Wenn ich offenbar zu Beginn von Blood and Whine steckte, dann war noch alles offen! Ich könnte nicht nur Peyrac-Peyrans golden gerüsteten Hintern retten, sondern auch Dettlaff und wer weiß wie viele Bewohner Beauclairs, wenn ich dafür sorgte, dass Syannas Plan nicht aufging. Wenn es mir gelänge, Regis oder Geralt früh genug auf ihre Spur zu bringen oder noch besser, sie direkt zu verpetzen... Als jemand meine Hand griff und einen Kuss darauf hauchte, riss es mich aus meinen Gedanken. "Es ist mir eine Freude, Milady. Welch erhebender Anblick, eine Dame in meines alten Freundes Gesellschaft anzutreffen. Noch dazu, so sie von solchem Liebreiz ist." Einen Moment lang starrte ich Palmerin einfach nur stumpf an. Liebreiz? Eines musste man ihm lassen: Er war überaus gut darin, die Augen vor der Realität zu verschließen. "Äh... danke. Freut mich auch. Mein Name ist Daelis", stellte ich mich vor und schüttelte ungelenk Palmerins Hand, der nun ebenso irritiert guckte, wie ich noch vor einem Augenblick. Sein Ritterkollege schmunzelte ein wenig, räusperte sich dann aber und wandte sich an Geralt. "Wir würden uns gerne unter vier Augen mit dir unterhalten, Geralt. Wir kommen in einer brisanten Angelegenheit." Unsicher warf Peyrac-Peyran einen Blick zu mir. "Ah, schon gut. Ich mache einen kleinen Spaziergang durchs Dorf", entschuldigte ich mich. "Dann können die Herren alle Angelegenheiten in Ruhe besprechen." Als wüsste ich nicht längst, worum es ging. Das Biest von Beauclair natürlich und die beiden toten Ritter, die es bisher gab. Dass es ein weiteres Opfer geben würde, wenn Geralt mit den zwei Rittern in Toussaint ankäme, wusste ja im Moment nur ich. Zu gerne hätte ich die ulkigen Bilder gesehen, die die zwei Ritter mitgebracht hatten. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach zeigte eines davon nämlich nicht Dettlaff, sondern Slenderman. Zügig griff ich mir ein Stück Brot, winkte den drei Männern zu, die nun alle etwas verdattert über meinen raschen Rückzug wirkten und verschwand durch die Tür nach draußen. Ich konnte Palmerin noch hören, wie er Geralt danach fragte, seit wann der denn in weiblicher Gesellschaft reise. Zumindest würde Geralt wohl nun klar machen, dass ich nicht seine was-auch-immer war, sondern er mich "nur" nach Oxenfurt bringen wollte. Nur, dass ich da jetzt nicht mehr hin wollte. Die Sache eilte immerhin, wie die Ritter dem Hexer sicher auch gleich erklären würden und ich hatte wenig Lust, mich stumpf bei Shani abliefern zu lassen, obwohl ich bessere Chancen als die drei Schwertschwinger hatte, die Probleme in Beauclair zu klären.   Vor der Gaststube hatten es sich derweil eine Handvoll Männer bequem gemacht, die einfach im Staub saßen und Karten spielten. Ein kurzer Blick verriet mir, dass sie weder Gwent spielten noch Rommé oder Mau-Mau. Damit war ich raus. Ohnehin hätte ich ja eh kein Geld, das ich hätte setzen können. Planlos starrte ich gen Dorf. In die Banditen wollte ich bestimmt nicht reinlaufen, wenn sie kamen. Vielleicht sollte ich einfach bei Plötze im Stall warten. Da würden mich die Banditen im Fragefall nicht gleich bemerken und ich musste mich nicht von allen Leuten so deppert anstarren lassen. Einer der Spieler pfiff mir hinterher und meinte "He Süße, setz dich doch zu uns und wir spielen auch ein wenig mit dir" als ich den Stall ansteuerte. Ich machte mir gar nicht die Mühe, etwas zu sagen, sondern zeigte ihm einfach über die Schulter den Mittelfinger. Kannten die Leute hier diese Geste überhaupt? Hoffentlich. Idiot. "Wartet's nur ab. Wenn ihr erst groß seid, hört sowas auf jeden Fall auf", nuschelte ich leise in Richtung der beiden Greifenküken, die es vorzogen, das Brot zu zerkauen, das ich aus der Gaststube mitgenommen hatte.   Plötze fand ich in dem kleinen Stall schnell. Energisch schritt ich an dem Rappen vorbei, der direkt am Eingang stand und nur kurz mit den Ohren zuckte, als die Tür hinter mir wieder zufiel. "Plötze", begrüßte ich die braune Stute und strich ihr über den Hals. Sie beachtete mich gar nicht weiter, sondern fraß ungeniert. Seufzend nahm ich neben ihr Platz. "Meinst du, ich schaffe es lebend bis nach Beauclair?" Klar, es brachte nichts, sich mit einem Pferd zu unterhalten, solange die Konversation einseitig blieb, aber ich wusste immerhin genau, dass mich Plötze verstand. "Mit etwas Glück kann ich weitere Morde verhindern und fast alle retten", murmelte ich weiter, dann hörte ich das metallene Geräusch eines Türriegels. Das musste dann wohl der Eingang der Gaststube sein, den das Personal benutzte. Ein kalter Schauer durchlief mich. "Tür zu, es zieht!", rief ich ohne mich umzudrehen. Wie kalt so ein Zugwind doch werden konnte. Draußen hatte ich es noch angenehm gefunden. Kapitel 7: Die Ritter von Toussaint ----------------------------------- Ein weiterer kalter Schauer durchlief mich. "Tür zu!", beschwerte ich mich nun noch einmal lauter und wollte gerade aufstehen, um meiner Forderung Nachdruck zu verleihen, als ich unvermittelt nur noch blaues Leuchten sah. Oh nein. Oh nein! Das kannte ich doch schon! Das letzte Mal hatte mich dieses Leuchten von dem Greifen wegteleportiert, der mich gejagt hatte. Nur war dieses Mal kein Greif auf meinen Fersen und das Letzte, das ich jetzt gebrauchen konnte, war ein Teleport wusste der Himmel wohin. Zu meiner Verwunderung sollte jedoch keine ominöse Teleportation folgen, sondern bloß ein kräftiges Zerren an meinem Hals, das sich magisch über meinen ganzen Körper legte und mich innerhalb von Augenblicken zur Stalltür hinauszog.  Kaum war der metallene Riegel hinter mit eingeschnappt, verblasste das Leuchten und der Anhänger hing erneut unscheinbar um meinen Hals, als wäre nichts geschehen. Mir jedoch war übel. Protestierend zwitscherte Dean vor meiner Brust, dem das wohl ähnlich unheimlich war wie mir. Was in aller Welt war das gewesen und was sollte das? Was war das überhaupt für ein Anhänger und sollte ich mit Geralt darüber sprechen? Vielleicht gehörte er eigentlich einer Zauberin, die ihn sicher würde zurückhaben wollen. Oder noch schlimmer: Das Ding stand unter einem Fluch, der jetzt mich traf. Dann brauchte ich einen Spezialisten und noch hatte ich den zur Hand! Eigentlich hätte mir die Idee ja schon eher kommen sollen. Immerhin hatte dieses magische Gebimmsel mir auch bei dem Greifen schon den Arsch gerettet. Hatte es das hier vielleicht wieder getan? Aber wenn ja, wovor hatte es mich beschützt und wieso war es bei Derand nicht aktiv geworden? Vielleicht funktionierte es nur, wenn niemand in der Nähe war? Fragen, auf die mir der blaue Anhänger, den zu tragen mir jetzt schon nicht mehr so behagte, keine Antworten gab.    Lange Zeit, darüber zu grübeln, hatte ich allerdings nicht, denn noch während ich den kleinen, blauen Kristall in den Händen drehte und betastete, ertönte Geralts Stimme. "Daelis, da steckst du." Wie ertappt zuckte ich zusammen und schob den Anhänger eilig unter mein Shirt. "Mh? Ja, was gibt's?" In Geralts Begleitung waren wieder die zwei Ritter Palmerin de Launfal und Milton de Peyrac-Peyran. Aber wo blieben die Banditen, die dieses Dorf eigentlich heimsuchten? Die hätte Geralt doch eigentlich zusammen mit den Beiden vertreiben sollen. "Hier, zieh das an und dann brechen wir auf. Es eilt und wir können nicht lange in Oxenfurt halten, um dich abzusetzen." Ohne weitere Vorwarnung warf mir der Hexer ein Stoffbündel an den Kopf, welches ich gerade so noch auffangen konnte, damit es nicht in den Dreck fiel. Ungläubig starrte ich ihn an. Sollte ich mich etwa hier umziehen? HIER? Zurück in den Stall war wohl keine Option, so wie ich meinen blauen Kristallfreund einschätzte. Zum Glück sprang mir einer der Ritter bei. "Bitte nehmt doch Vorlieb mit der Hütte dort drüben. Man versicherte mir, es sei die beste im ganzen Dorf, als der Älteste sie uns überließ." Dankbar nickend nahm ich den gereichten Schlüssel entgegen.  "Ich muss nicht nach Oxenfurt. Ich komme mit nach... Toussaint", beendete ich meinen Satz nicht ohne Zögern. Die Ritter verrieten ja das Ziel indirekt und ich hoffte, damit nicht noch weiter Misstrauen zu erwecken, offen zu legen, dass ich ihre Zugehörigkeit erkannte. Ehe Geralt oder einer der Ritter widersprechen konnte, grinste ich nur. "Da wollte ich eh schon immer mal hin. Es soll dort wunderschön sein! Außerdem... ähm... ihr solltet", druckste ich herum, den Blick gen Stalltür wendend, "vielleicht noch ein wenig warten, bis ihr zu den Pferden geht." In Gedanken entschuldigte ich mich bei Plötze. Wenn da drin ein Monster war, dann hätte jetzt vielleicht ihr letztes Stündlein geschlagen. Geralt hingegen hob ob meiner nebulösen Warnung nur eine Augenbraue, griff nach seiner Silberklinge und schob sich an mir vorbei, wobei er mich finster ansah. "Du scheinst Monster wirklich förmlich anzulocken." Ich blies die Wangen auf. Erstens stimmte das überhaupt nicht und zweitens: Als wäre es meine Schuld! Beleidigt stapfte ich gen Gaststube, um mich umzuziehen. Geralt hatte ja sein Schwert, der käme klar.   Ich schloss gewissenhaft hinter mir ab. Sicher war sicher. Den Schlüssel ließ ich sogar stecken, obwohl ich mir bei dieser paranoiden Geste selbst albern vorkam. Wer würde denn schon herkommen? Niemand. Dennoch beeilte ich mich, mich aus meinen Sachen zu schälen, während die Winchesters piepsend auf dem Bett hockte und mir dabei zusahen. So gut ich konnte, rollte ich meine Hose zusammen und stopfte das Paket in einen Ärmel meiner Winterjacke, die ich vermutlich zeitnah entsorgen müsste. Wer immer mich darin sah, müsste mich zwangsläufig für eine wahnsinnige Serienmörderin halten. Kein Wunder, dass man mich damit überall angestarrt hatte. Das Kleid überzuziehen, war kein Problem, doch mit der beiliegenden Corsage kämpfte ich eine ganze Weile, ehe das Ding halbwegs saß. Eng geschnürt hatte ich es natürlich nicht. Ich schätzte es, zu atmen und hatte wenig Lust, wegen Atemnot bewusstlos vom Pferd zu fallen. Apropos Pferd. Ich lauschte. Es war still. Hieß das, der Kampf war schon vorbei? Oder hatte es vielleicht nie etwas zu bekämpfen gegeben und dieser seltsame Anhänger hatte einfach nur ebenso paranoide Anwandlungen wie ich? Gerade, als ich die Winchesters mit meinem Pullover, wieder vor meine Brust band, damit ich die Kleinen im Blick hatte, die sich sofort wärmesuchend an mich schmiegten, hörte ich draußen laute Stimmen. Im ersten Moment glaubte ich, Geralt und die Ritter hätten nun wohl doch irgendein Pferde hassendes Monster gefunden, doch der Blick aus dem kleinen Fenster belehrte mich direkt eines Besseren. Die Banditen waren jetzt da. Das hatte sich also nicht ganz verändert. Ausnahmsweise war mein Timing dabei aber mal gut und ich konnte hier in Ruhe warten, bis die drei bewaffneten Männer diese Schwachmaten in die Flucht geschlagen (oder vielleicht eher getötet) hatten. Während im Dorf die Kämpfe ausgefochten wurden, hatte ich mich aufs Bett gesetzt und beschwichtigte die Greifenküken, die der Lärm ganz nervös machte. Besonders Sam duckte sich verschüchtert in die Falten des Stoffes. "Schon gut, meine Süßen. Gleich ist es vorbei und dann reisen wir nach Toussaint. Dort gibt es sehr viel weniger Räuber und keinen Krieg." Vor allem letzteres beruhigte mich immens. Ich hatte im Spiel schnell bemerkt, wie viele Kriegsopfer es gab und auch, wie viele Ghoule das anlockte. Darauf konnte ich getrost verzichten. Schwer zu sagen, ob ich eher Sam und Dean beruhigte oder aber die beiden mich, aber erst, als es draußen still blieb, wagte ich erneut einen Blick aus dem Fenster. Das Bild, das sich unter mir ausbreitete, kam nicht unerwartet. Zwar konnte ich von hier nur Geralt und einen der beiden Ritter sehen, doch ich wusste ja, dass sie beide überlebten. Einer von ihnen müsste ja zum vierten Opfer des Biests von Beauclair werden. In einem Hasenkostüm. Fand eigentlich nur ich das irgendwie entwürdigend? Na, aber was oblag es auch mir, zu urteilen? Immerhin lief ich ja auch gerne mal im Cosplay herum und sah damit auch nicht gerade unauffällig aus.   Als ich aus dem Haus trat, hob einer der Ritter, Palmerin de Launfal, wie zum Gruße eine Hand. "Milady. Ich bin höchst erfreut, Euch wohlauf zu sehen. Welch glücklicher Umstand, dass Ihr in Sicherheit weiltet, als diese Flegel angriffen." Recht hatte er. Wäre ich hier draußen gewesen, hätte man mich bestimmt auch angegriffen. "Sind... sind die Dorfbewohner in Ordnung?", erkundigte ich mich und reichte dem Ritter den Schlüssel zurück. Nun mischte sich auch Milton Peyrac-Peyran in das Gespräch ein. "Diesen Unholden gelang es glücklicherweise nicht, jemandem weiteren Schaden zuzufügen. Wir konnten sie gemeinsam mit Geralts Hilfe in die Flucht schlagen." Mein Blick wanderte über die blutbefleckten, reglosen Körper, die auch hier vor der Gaststube lagen. Ich schluckte und nickte. In die Flucht geschlagen wäre zwar nicht meine Beschreibung für dieses Massaker gewesen, doch angesichts meiner Situation sollte ich wohl gerade jetzt nicht allzu wählerisch sein. Wenn Geralt mich hier ließ, war ich am Arsch. Zumindest bis nach Beauclair wollte ich noch mitkommen. Von dort aus wusste ich eh besser als Geralt, wo es lang ging. Der Hexer trat erst jetzt heran. Er hatte eben noch ein Stückchen entfernt neben einem der am Boden liegenden Männer gekniet und ich konnte sehen, wie er seinen Dolch in den Gurt schob. Was er getan hatte, konnte ich mir gut ausmalen. Geralt hingegen schien davon unberührt und musterte mich nun mit einem abschätzenden Blick, den auch die Ritter bemerkten. Es war Palmerin, der schmunzelte und meinte: "Kleider machen Leute, nicht wahr, Geralt? Kaum trägt die Dame ein Kleid, gewinnt sie gar noch an Schönheit." Irgendwie zweifelte ich daran, dass es das war, was Geralt dachte. Der überlegte wohl eher, ob er mich an die Ritter abschieben könnte. Sollte mir auch Recht sein. Hauptsache, es ging nach Beauclair. Unwohl fühlte ich mich dennoch unter dem Blick der gelben Katzenaugen. "Im Stall war nichts Ungewöhnliches." Mehr sagte Geralt nicht dazu, doch mir war klar, dass er mich jetzt erst recht verdächtig und seltsam fand. Meine Gedanken jedoch kreisten um eine ganz andere Frage viel mehr: Wenn dort nichts gewesen war, worauf hatte der Anhänger dann reagiert? Im Spiel war dort auch nichts Auffälliges gewesen, oder? Hing es vielleicht damit zusammen, dass ich aus einer anderen Welt kam? "Dann brechen wir also jetzt gen Beauclair auf?", wechselte ich das Thema und Milton deutete eine Verneigung an. "Mir scheint, die Dame kann es kaum erwarten, in zivilisiertere Lande zu kommen. Wie könnten wir diesem Wunsch widersprechen? Lasst mich nur geschwind, den Herren Wirt entlohnen und den Schlüssel abgeben." Also, wenn dieses Gesäusel den ganzen Weg so weiterging, würde ich ihm vielleicht zeigen, wie wenig zivilisiert ich sein konnte, aber fürs Erste verkniff ich mir jeden Kommentar. Ich musste nach Beauclair und alleine standen meine Chancen einfach beschissen. Mit diesen drei Typen im Gepäck jedoch war es ziemlich sicher, dass ich Toussaints Hauptstadt lebend und in einem Stück erreichen würde.   Am frühen Morgen überquerten wir die Grenze und schon am Nachmittag des sechsten Tages, die ich allesamt erfolgreich Lügen um meine Herkunft gesponnen hatte, ritten wir den mir bekannten Pfad entlang, der zu den Windmühlen führte, an denen dieser Jungspund Guillaume diesen Riesen-Oger-Gedöhns-Typen zu töten versucht, was er natürlich nicht geregelt bekam. Aber dafür gab's ja Geralt. Schon aus der Entfernung konnte man die Kämpfenden sehen. Der Hexer trieb Plötze an und neben uns taten die beiden Ritter gleiches mit ihren Pferden. "Vielleicht solltest du lieber auf Abstand mit der Dame bleiben", befand Palmerin, doch Geralt schnaubte nur abfällig, als wolle er sagen: 'Dame? Welche Dame?' Insgeheim stimmte ich dieser Einstellung sogar zu. Natürlich wollte ich auf keinen Fall im Kampf mitmischen, aber einfach abgeschoben werden, wollte ich auch nicht und eine Dame war ich sowieso schon mal nicht. "Die kommt schon klar", meinte Geralt schließlich gelassen und zog an Plötzes Zügel, um die Stute zum Anhalten zu zwingen. Zu nahe wollte das treue Pferd bestimmt sowieso nicht an dieses Monster heran. Neben uns sattelten die Ritter ab. "Bitte wartet hier, Milady." Eine Bitte, der ich nur zu gern nachkam. Dafür hätte es auch das nervöse Piepsen der Winchesters nicht gebraucht, die so schnell wuchsen, dass ich am Ende eines Tages schon richtig Nackenschmerzen davon bekam, sie in dem improvisierten Tragetuch herumzuschleppen. Während die vier Männer den hünenhaften Riesenoger - oder was auch immer dieser Kerl gewesen war - erledigten, nutzte ich die Chance, mich ein wenig umzusehen. Fruchtbare, grüne Wiesen, das strahlend blaue Wasser des Flusses und die märchenhaft anmutende Stadt Beauclair, die sich jenseits der Brücke erhob. Es sah schon wirklich beeindruckend aus, das musste ich zugeben. Hier zu sein, fühlte sich aber dennoch einfach surreal an. All das hier war eine Spielwelt, war nicht real und beinahe hätte ich wieder glauben können, das ich nur träumte, wäre da nicht Dean gewesen, der mir auf die Schulter kletterte, um mir ins Ohr zu piepsen. "Ist ja gut, mein Süßer", flüsterte ich beschwichtigend in seine Richtung, während der vorlaute Greif mir an einer Haarsträhne zupfte. Das war dann wohl Deans Art mir zu sagen, dass er Hunger hatte. Er und Sam wurden gefühlt mit jeder Stunde verfressener. Beide waren schon so groß wie Katzen und angesichts der Größe ihrer Eltern, darauf hätte mich Geralt unterwegs nicht extra hinweisen müssen, würden die Winchesters bald so groß sein wie kleine Hunde. Vier Jahre, hatte der Hexer mir erzählt, brauchte ein Greif, um ganz auszuwachsen, aber schon nach einem Jahr stünden die "Babys" ihren Eltern nur noch in wenig nach. Das hieß dann leider auch, dass ich die beiden nicht mehr lange mit mir herumtragen könnte - ganz besonders nicht in Städten, wo die Menschen üblicherweise wenig wohlwollend auf Monster reagierten.   Das gesamte Gespräch mit Guillaume hatte ich eigentlich aussitzen wollen und betont unbeteiligt getan, doch geholfen hatte das nicht. Offenbar erachtete selbst Palmerins Schützling es als eine Art Ritterehrenfplicht, mir Honig ums Maul zu schmieren. Als er mich jedoch tatsächlich als "zartes Geschöpf, einer Blume gleich, die Licht in die triste Welt des Hexers" bringt, beschrieb, fiel es mir sehr schwer, nichts zu sagen. Geralt offenkundig auch, wenn ich dessen Miene richtig deutete, als er nach Plötzes Zügel griff. Aber die beiden Greifen, die an mir klebten, waren dem Möchtegernhelden aufgefallen, ja? Als der junge Ritter dann aber von einem weiteren Opfer des Biests berichtete, war ich ganz Ohr. Jetzt kamen wir zum spannenden Teil! Wobei ich ja eigentlich längst wusste, was Guillaume erzählen würde - und weit mehr. Das nächste Opfer des Biests war im nahen Fluss entdeckt worden, zerstückelt. Um wen es sich dabei handelte, sei noch nicht geklärt. Den abschätzenden Blick den Geralt mir zuwarf, als ihm mein Interesse auffiel, bemerkte ich nicht. Dafür aber, wie ungern Palmerins Schützling über das Thema zu sprechen schien, denn er warf mir immer wieder vorsichtige Blicke zu, als fürchte er, ich könnte jeden Moment in Ohnmacht fallen.   "Dann sollte ich mir den Ort des Verbrechens näher ansehen", entschied der Hexer. Milton nickte zustimmend. "Zögern wir nicht. Ich werde dich begleiten." Schon bei diesen Worten ahnte ich, dass man mich wieder einfach abschieben würde. Und natürlich taten die Männer genau das. Kaum, dass wir die Brücke erreichten, verließ uns Palmerin, um uns der Herzogin anzukündigen und Geralt befand, dass ich mit den Pferden und den Winchesters - wobei Geralt sie 'die hässlichen Biester' nannte - warten sollte. Ehe ich auch nur hätte widersprechen können, hob Geralt die Hand. "Wir sind gleich zurück und schauen uns nur kurz das Ufer an." Missmutig starrte ihn den Hexer an,doch der fuhr unbeirrt fort. "Außerdem haben diese Viecher in einer Gaststube nichts zu suchen und wir brauchen Informationen. Warte einfach." Schnippisch sah ich den Hexer an, zuckte dann aber mit den Schultern. "Meinetwegen."  Milton hingegen wirkte empört. "Geralt, das kann nicht dein Ernst sein." Der Ritter schüttelte den Kopf. "Selbstverständlich werdet Ihr mein Gast sein, Milady. Hier gibt es die beste Langustensuppe von ganz Toussaint. Geht ruhig schon hinein, während wir den Ort des Schreckens untersuchen." Eilig winkte ich ab. "Schon gut. Ich kümmere mich um die Pferde und die Kleinen. Hunger habe ich sowieso nicht." Vielmehr hatte ich nicht übel Lust, voranzuschleichen und mir selbst schonmal die Spuren am Fluss anzusehen, obwohl ich eh nichts erkennen würde, sondern mich nur auf meine Erinnerungen verlassen könnte. Im Spiel hatte ich mich noch frischfröhlich durch die ganzen Kisten dort gelootet. Das ließe ich hier aber wohl besser sein. Als Diebin die Hände zu verlieren, wollte ich nicht riskieren. Obendrein könnte ich von hier vielleicht die Bruxa beobachten, die dann nach Corvo Bianco eilen würde, um Dettlaffs Hand zu holen. Vielleicht könnte ich ihr sogar zuvorkommen! Das Zeitfenster dafür war allerdings verdammt knapp und die Wachen dort würden mich bestimmt niemals zum Leichnam lassen - besonders nicht mit den Winchesters im Schlepptau, also verwarf ich diesen Plan wieder. Milton wirkte noch immer nicht überzeugt, doch ich winkte demonstrativ noch einmal ab. "Wirklich. Mir ist es lieber so. Hier draußen ist es so schön und ich kann die Aussicht etwas genießen." Damit war der Ritter zum Glück beschwichtigt, auch wenn ich ahnte, dass es eher daran lag, dass er nur nicht wollte, dass ich die blutigen Details des Leichenfundes mithörte. Als ob ich das nicht alles längst wusste. Das und noch viel mehr. Ganz die Touristin, die ich ja wirklich war, machte ich es mir am Geländer bequem und genoss für einen Moment die Aussicht, jedoch nicht, ohne immer wieder verstohlen zur Tür der Taverne zu sehen, sobald ich Milton und Geralt da drin hatte verschwinden sehen. Die Bruxa ließ nicht lange auf sich warten, bemerkte mich aber nicht und verschwand so schnell wieder, wie sie gekommen war. Das lief also alles wie erwartet. Sollte ich mich darüber jetzt freuen oder ärgern? Natürlich hieß das, dass ich die Fähigkeit hatte, die nächsten Geschehnisse vorauszusagen, doch wenn ich sie änderte, wie groß wären die Ausiwrkungen dann schlussendlich? Unwillkürlich musste ich an die berühmte Butterfly Effect-Theorie denken. Ganz wohl war mir dabei nicht, doch vielleicht bekam ich es ja hin, ohne dass ich die Geschichte in ganz neue Bahnen lenkte? Ein Schubser im richtigen Moment und sie würde eine der möglichen Bahnen nehmen und zwar eben die, die mir am besten gefiel.   Als Hexer und Ritter die Taverne verließen, wartete ich bereits auf heißen Kohlen. Die Bruxa war ja gewissermaßen mein Zeichen gewesen. Geralt entging meine Hibbeligkeit nicht und auch die Winchesters waren deshalb unruhig. Dean biss mir sogar einfach in den Arm. "Machen wir uns auf den Weg." "Ich werde mich verabschieden. Milady, Geralt. Auf mich wartet eine gewichtige Aufgabe." Geralt nickte nur, sichtlich um Ernsthaftigkeit bemüht und mir fiel es ähnlich schwer. Die 'ernsthafte Aufgabe' hieß immerhin in einem Hasenkostüm in einem Gewächshaus zu hocken. Allerdings würde er dort auch so sterben, wenn ich Geralt nicht antrieb. Meine Sorgen ob des Butterfly Effects waren verflogen. Ich konnte doch Milton nicht einfach sterben lassen, nur weil es die Originalgeschichte so vorschrieb! Nicht, wenn es in meiner Macht stand, etwas zu ändern! Im Stillen fasste ich schon jetzt den Entschluss, direkt zum Gewächshaus zu gehen, wenn Geralt und die Herzogin nach den Hinweisen suchten, die sie dorthin führen würden. Als wir uns Corvo Bianco näherten, konnten wir schon die Schreie hören. Für mich nicht überraschend, doch für den Hexer hinter mir ein Ansporn, Plötze anzutreiben. "Du wartest hier", wies er mich an, als er im Hof aus dem Sattel sprang. "Ja, ja. Mach du nur." Geralt warf mit einen wütenden Blick zu, untersuchte dann aber kurz einen der Toten, ehe er mit gezogener Silberklinge in das Kellergewölbe stieg, in dem er auf die Bruxa träfe, die gerade Dettlaffs Hand beim Leichnam von De la Croix fand. So langweilig es auch war, immer zurückgelassen zu werden, sobald es um Mord und Todschlag ging, so war es doch in besonders diesem Fall einfach sicherer. Vor einer Bruxa hätte Geralt es schwer, mich zu beschützen. Außerdem wollte ich eigentlich nicht, dass sie starb, doch diesen Kampf konnte ich schwerlich verhindern. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit bis Geralt wiederkam, Blutspritzer auf der Kleidung und ohne Frage die vampirische Hand im Gepäck, auf die er sich noch keinen Reim machen konnte. "Machen wir uns auf den Weg zum Turniergelände", entschied er und schwang sich wieder auf Plötzes Rücken zu mir. "Was war da unten?", wandte ich mich scheinheilig an den Hexer. "Das Biest? Hast du es erledigt?" Als ob das so einfach wäre, doch ich musste ja den Schein waren. Geralt schnaubte. "Nein, eine Bruxa. Eine Art Vampir - und nein, die kannst du nicht auch wie ein Baby mit dir herumschleppen", erklärte er, wohl davon ausgehend, dass ich das nicht wusste. "Aber die war nicht das Biest. Sie hängen nur irgendwie zusammen." Schweigend klammerte ich mich an die Züge, mir einen Knoblauchscherz verkneifend. Mir tat die Bruxa Leid. Sie war ein vernunftbegabtes Wesen und wäre die Situation eine andere gewesen, hätte man das Problem durch Reden aus der Welt schaffen können. Genau wie bei Derand. Hätte ich jetzt schon gewusst, dass der Hexer mein Schweigen bereits mit Skepsis aufnahm, hätte ich bestimmt weitergeplappert, schon um ihn abzulenken, während Geralt Plötze in Richtung des Turniergeländes lenkte, wo Anna Henrietta sicher schon auf ihn wartete.   So aber erfuhr ich erst, wie wenig Geralt mir traute, als er sich über mich als 'undurchschaubares Weibsbild' beklagte als wir den Turnierplatz erreichten und dort auch auf Palmerin stießen. Der Ritter führte seine Geschichte für die Horde Kinder, die sich um ihn geschart hatte, zum Ende ehe er uns um die Tribüne herum führte. Dabei stießen wir auch auf den Glumaar, dem gerade Glöckchen an den Schwanz gebunden wurden. Das arme Ding! Schon im Spiel hatte ich mich sofort empört, als ich das gesehen hatte. Und sowas schimpfte sich Ritter! Zwar verkniff ich mir jedem Kommentar, doch meine Blicke sprachen Bände und Geralt war offenkundig der gleichen Meinung, das wusste ich ja ohnehin. Im Spiel merkte er ja etwas an. Jetzt jedoch schwieg der Hexer zu meiner Verwunderung. Hatte ich hier schon etwas durch meine Anwesenheit verändert? "Ihre Gnaden wird euch nach der Eröffnungszeremonie empfangen", teilte Palmerin uns mit, den Glumaar keines Blickes würdigend. Euch. Das schloss mich dann wohl mit ein. Sehr gut. Dann konnte ich ihr auch gleich erzählen, was ich davon hielt, einen armen, verängstigten Glumaar so zu quälen! "Wer wird sich dem Glumaar denn stellen?", hörte ich Geralt sich erkundigen. Mir war die Antwort natürlich längst bekannt. Guillaume. Blondie würde sich in der Arena auf einen Glumaar stürzen und dabei kräftig aufs Maul kriegen. Mein Mitleid hielt sich arg in Grenzen. In dieser Sache stand ich klar auf der Seite des Glumaars. "Guillaume. Er hat der Dame seines Herzens den Kopf eines Ungeheuers versprochen und die Liebe verlangt große Opfer." Ganz unverhohlen schnaubte ich abfällig, doch wenn einer der Männer es bemerkte, ignorierten sie beide es gekonnt. Wieso sollte denn bitteschön der Glumaar das Opfer für die unerwiederte Liebe Guillaumes bringen? Der konnte doch echt nichts dafür. Sollte Geralt lieber Viviennes Fluch brechen, dann wäre der Bengel auch erstmal glücklich und würde später dann merken, dass man Liebe eben nicht kaufen konnte. Weder mit toten Glumaaren noch mit Gefälligkeiten beim Fluchbrechen. Hoffentlich würde sich Geralt damit hier nicht zu lange aufhalten, sonst müsste ich die Biest von Toussaint-Angelegenheit noch ohne ihn klären. Lustigerweise ginge das ja vielleicht sogar. Das nötige Wissen hatte ich und die einzigen Feinde, an denen ich erstmal vorbei müsste, wären die Leute in Burg Tynne. Mit zwei Höheren Vampiren im Schlepptau wäre das aber ein Kinderspiel. Als ich im Spiel mit Geralt dort gewesen war, waren Regis und Dettlaff so durch die Meute gepflügt, dass ich ebensogut herumstehen udn warten hätte können. Die hatten einem nichts übrig gelassen! Wären wir vor den Männern De la Tours dort, könnte ich sogar den ganzen Märchenlandteil skippen, der für mich wieder ein Problem geworden wäre. Ganz zu schweigen von der Nacht der langen Zähne!   "Bitte hier entlang, edle Dame", bedeutete mit Palmerin zu folgen und führte mich auf eine der Tribünen, Geralt nach, der vorangestapft war. Die dort Anwesenden musterten uns skeptisch. Mich noch mehr als Geralt, was sicher nicht zuletzt daran lag, dass ich noch immer die beiden Greifeküken im Schlepptau hatte. "Uns steht ein aufregender Kampf bevor." Dem alternden Ritter stand der Stolz ins Gesicht geschrieben, als Guillaume die Arena betrat. Mein Augenmerk galt allerdings eher diesem reimenden Vollhonk, der unaufhörlich plapperte und mich schon im Spiel an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Konnte dem bitte einfach irgendjemand mal das Maul stopfen? Danke. Unten in der Arena entfaltete sich schnell das erwartete Drama. Der Glumaar befreite sich von seinen Glöckchen und gab einen beinahe fiepsenden Schrei von sich, der mich immer ein wenig an diesen süßen kleinen Frosch erinnerte, den ich von Youtube kannte und dessen wütende Quakerei einfach nur niedlich klang.  Für Guillaume hingegen war er natürlich eine düstere Vorwarnung. Gleich würde Geralt in die Arena springen und dem jungen Ritter helfen, das wusste ich. Die anderen Zuschauer jedoch nicht, denn von denen konnte man erschrockene Rufe und aufgeregtes Getuschel hören. Mein Blick wanderte zu Geralt. Komm schon, Hexer. Do your thing. Ein schrilles Piepsen lenkte meine Aufmerksamkeit jedoch schnell von Geralt ab und stattdessen auf Sam, der in dem Tuch vor meiner Brust hing und unruhig herumflatterte. Wie von ihm angesteckt, wurde nun auch Dean unruhig, der auf meinen Schultern hing. "Shh, ganz ruhig, ihr Süßen", versuchte ich die beiden flüsternd zu beschwichtigen. Zumindest bemerkte ihre Aufmerksamkeit im Moment keiner, weil alle nur Augen für Guillaume und den Glumaar hatten.   Kapitel 8: Ein Herz für Monster ------------------------------- Mit einem beherzten Satz landete der Hexer in der sandigen Arena und lenkte mit einem lauten "He!" auch gleich die Aufmerksamkeit des Glumaars auf sich. Wieder schrie die Kreatur auf und mir war absolut klar, dass dieses arme Geschöpf einfach nur Angst hatte und verunsichert war. Wie auch nicht? Eingefangen, eingesperrt und dann blind mit Glöckchen am Schwanz in die Arena gezerrt, um zu sterben. Ekelhaft! Mich erinnerte das ganze Spektakel unangenehm an Stierkämpfe und auch für die hatte ich absolut nichts übrig. Die Idioten, die dabei umkamen, war meiner Meinung nach selbst schuld und mit gleicher Abscheu beäugte ich auch Guillaume, dem Geralt gerade das Leben rettete. Ich hoffte nur, der Hexer würde den Glumaar verschonen. Die Menge wurde wieder lauter, es ertönten Anfeuerungsrufe und irgendwo pfiff jemand laut. Der Glumaar schrie auf, doch es ging beinahe im Trubel unter. Sam und Dean entging das Geräusch jedoch merklich nicht. Sam zappelte heftig in meinen Armen und noch ehe ich etwas hätte tun können, um es zu verhindern, löste sich Dean zu meinem Erstaunen von meiner Schulter und... flog. "Dean!", rief ich dem kleinen Greifen erschrocken nach, doch da war er schon über die Köpfe des Paares vor mir geflattert. Elegant sah er dabei nicht aus und in jedem anderen Moment wäre ich sicherlich eine superstolze Greifenmutti gewesen, jetzt aber hatte ich einfach nur Angst um den Kleinen. Noch mehr, als Sam sich strampelnd aus meinen Armen befreite, um seinem Bruder zu folgen. "Sam, Dean, wartet!" Panisch schob ich mich zwischen den Leuten hindurch, die nun auch auf die beiden Küken aufmerksam wurden und mit den Fingern auf sie zeigten. "Sieh nur, da fliegen diese hässlichen Hühner", konnte ich einen Kommentar ausmachen. Oh man, man merkte wirklich, dass die hier alle Adelige waren, wenn sie die Winchesters für Hühner hielten. Allerdings musste man wohl einräumen, dass die meisten Leute nie einen Greifen gesehen hatten. "Lasst mich durch!" Ruppig schob ich einen Mann beiseite, dessen wütende Einwände ich schon nicht einmal mehr hörte, denn ohne zu zögern war ich den Winchesters gefolgt, die zur Arena und damit zu Geralt und dem Glumaar geflattert waren. Ungeschickt sprang ich von der Tribüne und landete im Sand der Arena. Dabei nicht vorsichtiger gewesen zu sein, bereute ich sofort. Geralt konnte sich das vielleicht erlauben, doch ich war natürlich prompt schief aufgekommen und so tat mir der linke Knöchel jetzt tierisch weh. Hinter mir hörte ich entsetzte Rufe. Verständlich. Immerhin grenzte es an Wahnsinn zu einem wütenden Glumaar in die Arena zu springen. Besonders, wenn man kein Hexer war. Denn auch dessen Blick sprach Bände. "Bist du verrückt? Sieh zu, dass du weg kommst!", rief er mir zu und schob sich doch schon schützend zwischen Glumaar und mich. Er brummte noch etwas, das ich nicht verstand, doch so wie er den Kopf hob, um nach oben zu sehen, war es sicher ein Fluch, der sich gegen die Winchesters richtete. Die flatterten nämlich nur eine Armlänge über dem Glumaar und fiepsten dabei aufgeregt. Beinahe, als unterhielten sie sich, denn auch der Glumaar gab einen seltsamen, hohen Laut von sich.   "Verdammte Viecher", konnte ich Geralt jetzt lauter fluchen hören, als der Glumaar sich aufrichtete, um dann stampfend auf alle Viere zu fallen. Erneut schrie die Kreatur schrill auf, ehe sie mit dem Schwanz ausschlug und dabei Guillaume unsanft von den Füßen riss, der versucht hatte, sich von hinten anzuschleichen, um das Monster zu erledigen, das ganz auf die Winchesters und Geralt fixiert gewesen war. "Verdammt." Geralt griff nun ebenfalls an, die Silberklinge erhoben. Über ihm kreischten Sam und Dean laut auf, wohl ebenfalls verängstigt, als der Hexer in ihre Richtung vorpreschte. Dessen Attacke jedoch galt dem Glumaar, der einen schmerzerfüllten Schrei von sich gab, als die Hexerklinge ihn traf. Schwer zu sagen, wer am meisten Panik schob: Der angegriffene Glumaar, die Greifenküken oder ich, die fürchtete, ihre Babys könnten im Kampf Hexer gegen Glumaar versehentlich zu Rührei werden. Hilflos konnte ich nur zusehen, wie Geralt den Glumaar immer und immer wieder angriff, was dieser mit schrillen, ängstlichen Schreien quittierte und sich schließlich in die Ecke gedrängt sah. Sam und Dean flatterten laut fiepsend in der Luft, direkt zwischen Monster und Mann, offenbar ähnlich wie ich starr vor Angst. Ich schluckte. Meine Hoffnungen, Geralt könnte den Glumaar leben lassen, schwanden mit jeder Sekunde weiter. Nicht zuletzt, weil Guillaume bewusstlos am anderen Ende der Arena lag, seit ihn der Glumaar mit dem Schweif von den Füßen gefegt hatte. Bedrohlich blitzte des Hexers Silberklinge im hellen Sonnenschein. Nicht nur den Glumaar würde es erwischen, sondern vielleicht auch die Winchesters. Die Kleinen waren zu nahe am Kampfgeschehen. Wenn Geralt sie versehentlich traf oder aber der Glumaar sich einkugelte, um durch die Arena zu rollen so wie im Spiel... Ich handelte, ohne nachzudenken. Mein Körper bewegte sich wie von selbst, als ich mich zwischen Geralt und den angeschlagenen Glumaar sowie die Greifenküken schob. "Nicht, Geralt! Er ist doch auch nur ein Opfer dieses grausamen Schauspiels!" Meine Stimme klang mehr flehend als befehlend, doch offenbar genügte dies, um den Hexer innehalten zu lassen. Geralt senkte die Klinge, hielt sie jedoch weiterhin fest in der Hand. Hinter mir fiepste der Glumaar leise, als wolle er mir zustimmen. "Er ist doch keine Gefahr mehr. Lass ihn gehen", bat ich vorsichtiger, während einer der Greifen es sich wieder auf meiner Schulter gemütlich machte und mit dem Schnabel nach einer Haarsträhne schnappte, um daran zu zupfen. Bestimmt Dean, dieser kleine Frechdachs.   Geralt schnaubte, nickte dann aber, mit der linken Hand ein Zeichen gebend, das offenbar genügte, damit im nächsten Moment auch schon gleich sechs bewaffnete Männer mit langen Spießen durch ein hochgezogenes Fallgitter in die Arena stapften. Mit scheppernden Rüstungen umringten sie den armen Glumaar, auf dem, wie ich nun sah, Sam gelandet war. Der Anblick des verängstigten Monsters und meinem Baby auf dessen Rücken brach mir schier das Herz, umso mehr, da ich überhaupt nicht gutheißen konnte, dass ihn einer der Soldaten mit seiner Waffe traktierte, wohl um den Glumaar in eine Richtung zu treiben. "Lass das!", zischte ich den überraschten Mann an, der offensichtlich nicht verstehen konnte, wo mein Problem war. "Du armer Schatz", wisperte ich mitleidig und streckte langsam die Hand nach dem Glumaar aus, der den Kopf hob, um nach mir zu schnuppern. Mein Herz raste und verdammt nochmal, ich hatte Angst, aber zusehen, wie das arme Ding zu Tode gequält wurde, wollte ich auf keinen Fall. Dass Geralt, wie ich aus den Augenwinkeln sehen konnte, die Silberklinge fest umklammert hielt, gab mir ein wenig Sicherheit. Sam fiepte leise, als wolle er mich ermuntern. "Siehst du, alles gut?", flüsterte ich beruhigend weiter als der Glumaar leise schnaufte. Mein Blick wanderte von Geralt zu den Soldaten, die ich streng musterte. "Entlasst ihn gefälligst abseits der Siedlungen in die Freiheit. Er hat wirklich genug durchgemacht." Die Männer wechselten Blicke, offenbar unschlüssig, was sie auf meine Worte geben sollten. Rund um uns herum konnte ich zudem hören, wie die Menschenmenge unruhig wurde, die nicht mithören konnte, was hier besprochen wurde, während am anderen Ende der Arena jemand Guillaume auf die Füße half. Kurzentschlossen stapfte ich in die Mitte der Arena, Dean noch auf meiner Schulter. Ich ließ meine Augen über die Menge wandern und schließlich fand ich Anna Henrietta auf ihrer Empore. Die Herzogin allein könnte dem armen Glumaar die Freiheit schenken. Ich musste darauf bauen, dass sie das auch tun würde. "Eure Hoheit", begann ich und hasste es bereits jetzt, dass ich damit sämtliche Blicke auf mich zog. Schon in der Schule hatte ich es gehasst, Vorträge halten zu müssen. Das hier war eine Steigerung. Am liebsten wäre ich mit dem Glumaar zusammen einfach zur Pforte herausspaziert.   "Diese arme Kreatur hat genug erlitten. Eingesperrt, seiner Sicht beraubt und zum Vergnügen der Massen hierher verschleppt. Wie würde einem jeden von euch hier", ließ ich meinen Blick kreisen, "solch ein Schicksal gefallen? Der Glumaar ist für niemanden hier mehr eine Gefahr, Eure Hoheit. Schenkt ihm ein Leben in Freiheit. Zeigt Güte und Mitgefühl gegenüber einem Monster und beweist, dass wir Menschen keine sind!" Zugegeben, damit bewegte ich mich auf ziemlich dünnes Eis, zumal ich die Herzogin mit meinen Worten öffentlich unter Druck setzte. Obendrein glaubte ich ja selbst nicht, was ich andeutete. Natürlich waren wir Menschen Monster, mitunter sogar die schlimmsten. Doch um des Glumaars willen musste ich Anna Henrietta überzeugen. "Kein Wesen, ob Monster, Mensch oder Tier verdient solch ein Schicksal. Wie können wir behaupten, besser zu sein als die Monster, die alle so gerne verurteilen, wenn wir uns wie welche aufführen? Mitgefühl und Gnade unterscheiden uns von Monstern. Ihr, Eure Hoheit, seid stets ein Vorbild in diesen Tugenden gewesen und ich bitte darum, dass Ihr es auch jetzt seid. Zeigt Mitgefühl, habt Gnade."   Stille legte sich über den Platz. Jeder wartete auf die Antwort der Herzogin. Allein das leise, metallische Geräusch einer Rüstung verriet mir, dass sich Geralt an meine Seite gesellte. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, auf die, die Dean nicht für sich beanspruchte. "Gut gemacht", flüsterte mir der Hexer zu, wohl um mir meine Anspannung zu nehmen. Eine Geste, die ich zu schätzen wusste, wenn sie auch wenig brachte. Ich wollte hier weg, je eher desto besser. Beinahe fühlte ich mich selbst wie der Glumaar, inmitten der Arena zur allgemeinen Unterhaltung. All diese Menschen, die mich anstarrten, machten mich einfach nervös. Ein leises Krächzen lenkte meine Aufmerksamkeit zu Sam, der herangeflattert kam und den Weg in meine Arme fand, um sich an mich zu schmiegen. Meine Kleinen waren sicher. Allein dafür hatte es sich gelohnt. Doch erst, als Geralt neben mir das Wort ergriff, löste sich meine innere Unruhe. "Euer Gnaden, ich denke, meine Begleiterin hat Recht. Lasst den Glumaar frei, er wird niemanden bedrohen, wenn man ihn in der Wildnis entlässt." Ah, der Titel, den hatte ich nicht richig hingekriegt. Sah die Herzogin mich deshalb so finster an? Shit, an diesen Mist hatte ich einfach keine Gedanken verschwendet, sondern einfach aufs Geratewohl eine Anrede gewählt, die ich passend gefunden hatte. Welche hier aber angemessen war, wüsste wohl sogar Geralt besser als ich. "Die junge Dame hier hat sich als überaus kundig darauf verstanden, zu friedlichen Übereinkünften mit Monstern zu kommen. Selbst jenen, die wir als geistlose Kreaturen erachten. Der Glumaar ist der beste Beweis, doch ihre beiden gefiederten Freunde", erklärte Geralt und zum ersten Mal sprach er nicht abfällig von den Winchesters, "sind zwei Greifen. Kreaturen, wie ich sie schon einige Male jagen musste." Er verschwieg dabei natürlich dezent, dass Mama und Papa Greif nicht so gut auf mich zu sprechen gewesen waren. "Ich denke, es ist nur angemessen, wenn", fuhr der Hexer fort, wurde aber von der Herzogin mit einer kleinen Geste unterbrochen. "Genug, Hexer." Geralt verstummte und mein Herz sank mir ob des harten Tonfalls der Herrscherin tief in die Magengrube. Sie klang nicht erfreut. "Wir haben entschieden", erhob sie schließlich erneut die Stimme, "dass der Kreatur die Freiheit zugestanden wird - in Anerkennung an den Heldenmut des Hexers und des sanften Herzens seiner Begleiterin."  Mir fiel ein Stein vom Herzen. Wie die Soldaten den Glumaar abführten, bekam ich ebensowenig mit wie die Erstversorgung Guillaumes durch die Hofdamen der Herzogin, die sich nur wenige Momente später in Begleitung dieser höchstselbst in die Arena begab. "Hexer, wir haben ein paar Dinge zu besprechen." Ihr Blick wanderte zu mir. "Gewiss möchtet Ihr derweil den Feierlichkeiten beiwohnen, die das Turnier begleiten. Palmerin, begleite die Dame", winkte sie den Ritter heran, der sofort gehorchte.    Gut gelaunt lud mich der ältere Ritter auf einen Becher Wein ein, an dem ich nur zögerlich nippte. Eigentlich trank ich ja keinen Alkohol, doch Wein war in Toussaint heilig und ich wollte es mir nicht gleich ganz mit den Leuten hier verscherzen. Vor allem nach meinem Stunt eben in der Arena. Selbst hier starrte mich so ziemlich jeder an und konnte hinter vorgehaltenen Händen Getuschel hören. Palmerin jedoch wirkte davon nicht weiter beeinflusst. "Meine Dame, ihr müsst mir verraten: Wie kommt es dazu, dass Ihr mit Geralt reist? Seid Ihr womöglich eine Zauberin, deren Herz er zu erobern vermochte?" Wow, Geralts Frauengeschichten sprachen sich echt rum. Energisch schüttelte ich den Kopf. "Ganz sicher nicht, nein. Ich habe Geralt bei einem Auftrag kennengelernt. Es ging um einen Greif." Palmerins Blick wanderte zu den Winchesters und ich nickte, seine Gedanken erahnend. "Daher sind die Küken." Verlegen räusperte sich der Ritter. "Haltet Ihr es wirklich für weise, diese Kreaturen aufzuziehen? Sie werden schnell groß und könnten für euch bald eine Gefahr darstellen." Ich funkelte Palmerin missmutig an. "Sie sind absolut entzückend und sehr lieb. Wenn sie groß sind, wildere ich sie einfach weit weg von menschlichen Siedlungen aus. Sie haben doch auch ein Recht darauf, zu leben", versuchte ich zu argumentieren. In diesem Punkt stand meine Meinung ohnehin längst in Stein gemeißelt.  Die meisten "Monster" waren doch im Grunde nichts anderes als Tiere und für meine süßen Greifenbabys galt das auf jeden Fall. Wie könnte man einem Tier Bosheit vorwerfen, nur weil es sich ganz seinen Instinkten gemäß verhielt und um sein Überleben kämpfte? Dass die Leute Greifen und Glumaare in den gleichen Topf warfen wie Doppler oder Vampire ging mir sowieso nicht in den Kopf. Mit einem Schleimling könnte man wohl keine tiefgreifende Diskussion führen, doch Derand hatte mir klar gezeigt, dass es mit einem Incubus beispielsweise durchaus möglich war. Obendrein hatte es im Spiel genug "Monster" gegeben, denen ich das auch zurechnete. Den Vampiren Hubert, Regis, Dettlaff und Orianna, dem Geist der Pesta auf der Reuseninsel oder auch Werwölfen - um nur ein paar zu nennen. Ich sah dem Ritter an, dass er über das Thema nicht mit mir streiten wollte, doch anders als Geralt, der dann immer nur vielsagend herumächzte, schenkte mir Palmerin ein Lächeln. "Ihr habt ein großes Herz, edle Dame. Eine großartige Gabe. Bewahrt sie Euch." Ein wenig verlegen streichelte ich über das Köpfchen von Dean, der sich quer über meine linke Schulter gelegt hatte. "Danke. Ich werde es versuchen."   Eine Stunde und für den Ritter drei Becher Wein später hatte ich ihn soweit, dass er mir vom Biest erzählte und mir sogar die Zeichnungen zeigte, die er auch Geralt mitgebracht hatte. Die Augenzeugen hier hatten wirklich Sinn für Humor oder aber waren blind wie Wühlmäuse, doch ich beherrschte mich und hielt mit einem Lachen hinter dem Berg. Im Gegenzuge hatte ich Palmerin erzählt, wie ich Geralt kennengelernt hatte und nutze das zugleich als kleine Ausrede, nur sehr zögerlich zu trinken. Auf einen weiteren verkaterten Morgen konnte ich nämlich gut verzichten. Gerade, als Palmerin erzählte, dass er absolut keinen Zweifel daran habe, dass Geralt das Biest erledigen würde, setzte sich auch Guillaume zu uns, der und schweigend lauschte, die Hände unter dem Kinn verschränkt. Wo der in seinen Gedanken war, wusste ich ja längst. Vivienne und deren Fluch. Und als hätte man ihn gerufen, traf wenig später auch schon der Fluchbrecher-Fachmann hinzu. Die bedeutenden Blicke, die Guillaume ihm zuwarf, hießen dann wohl, dass sie sich schon unterhalten hatten. Prima, dann wurde ich den Hexer sicher für ein Weilchen los und könnte mich selbst ein wenig umsehen. Brummelnd ergriff Geralt neben mir schließlich das Wort, Dean einen finsteren Blick zuwerfend, der auf meiner Schulter hockte und mit dem Schnäbelchen nach dem Hexer schnappte. "Nehme heut Nachmittag am Turnier teil. Sieh zu, dass du nicht wieder so ein Aufsehen erregst, sonst könnten deine Biester schneller im Topf enden, als dir lieb ist. Diesmal hat Ihre Gnaden das noch durchgehen lassen." Ich schluckte und nickte. Geralt hatte mich also aus der Scheiße geholt. Still dankte ich ihm dafür. Wieder mal. Zeit, mich zu revanchieren und die Angelegenheit mit dem Biest für ihn zu regeln - und mit etwas Glück auch Mr. Bunny zu retten. Der bereitete sich bestimmt schon auf seine Rolle als Gartenhäschen vor, während das Turnier lief. Palmerin hatte mir berichtet, dass die Hasenjagd Tradition sei und ich natürlich auch mitmachen dürfe. Sie finde am Abend in den herzoglichen Gärten statt und sei eine wahre Freude. Ich hatte durchaus vor, mitzumischen, doch nicht wirklich auf die Art, wie sich der Ritter das wohl vorstellte.   Ein Horn kündigte den Beginn des Turniers an. Oder vielmehr gab es den Hinweis, dass sich die Teilnehmer und Gäste einzufinden hatten. Sofort herrschte rege Betriebsamkeit. Jeder wollte die besten Plätze ergattern und sehen, wer die verschiedenen Disziplinen für sich gewann. Mir jedoch war das alles herzlich egal. Meine Pläne sahen vor, dass ich zuerst Plötze einen Besuch abstattete und mich dann vom Acker machte. Das erwies sich als sogar noch einfacher, als ich es erwartet hatte. Der Stallknecht erkannte mich und schwafelte sofort etwas von 'die ehrenwerte Bestienbändigerin', als ich mich nach Plötze erkundigte. Dass ich in Geralts Begleitung reiste, hatte sich rasant herumgesprochen. Sollte mir Recht sein, denn immerhin ließ man mich so anstandslos durch, sodass ich Plötzes Satteltaschen durchwühlen konnte. In denen fand ich zu meiner Freude sogar fast sofort, was ich gesucht hatte. Ich grinste und schob die Hand Dettlaffs in meine improvisierte Umhängetasche. Beizeiten müsste ich mir eine richtige zulegen. So eine, wie sie Regis hatte. Jetzt aber wollte ich die Umgebung erkunden. Unbehelligt konnte ich vom Turniergelände schlüpfen. Zwar deuteten zwei Leute auf mich, die gerade ein Spanferkel zubereiteten, doch die meisten waren längst beim Turnier.   Es tat unwahrscheinlich gut, ein wenig weg von all diesen Menschen zu kommen. Eine Freundin von Menschenmassen war ich nie gewesen und dieses Gedrängel und Gekuschel auf den Tribünen war einfach nicht mein Ding. Außerdem musste ich echt nicht wissen, wer hier am besten schoss, ritt oder was diese Leute da auch trieben. Sollten sie halt. Die grün blühende Umgebung fand ich viel spannender. Statt dem Geruch von Pferden und Essen und Alkohol drang hier nur der klare Duft von Gräsern an meine Nase. Viel besser! Ziellos lief ich ein wenig über die grüne Weite, umflattert von meinen beiden Schützlingen, auf deren zugegeben noch etwas uneleganten Flugkünste ich jetzt doch stolz war. "Sehr gut, Sammy. Und jetzt komme her. Na komm. Komm zu Mama", forderte ich den größeren der Zwei auf, ehe mich ein Zwitschern aufhorchen ließ. Gerade so noch konnte ich sehen, wie Dean in einer Erdspalte verschwand. Kacke! Ohne zu zögern packte ich Sam, drückte ihn an mich und folgte seinem Bruder. War ja klar, dass Dean von den beiden der Unruhestifter war! Ungeschickt rutschte ich dem Greifen nach in eine Art unterirdischen Gang. Wohl früher mal ein Keller oder sowas. Die Wände waren aus Stein und viel sehen konnte ich nicht. Es gab hier unten keine Lichtquelle. "Dean?", rief ich in den Gang und folgte diesem soweit ich sehen konnte. Er führte in zwei abgehende Gänge. Ich folgte dem, aus dem ich ein Fiepsen hören konnte. Unsicher tastete ich mich die Wand entlang. Zwei Biegungen weiter stieß ich auf zwei Kammern, von denen eine eingestürzt war, soweit ich zu erkennen glaubte. Da fand ich auch das Greifenjunge. "Du kleiner Unhold. Nur Flausen in deinem süßen Fusselköpfchen", seufzte ich, als der Greif auf mich zuflatterte und dann seinen Stammplatz auf meiner Schulter einnahm. Am liebsten hätte ich den Kopf geschüttelt. Besser wieder raus hier. So gerne ich die Ruinen weiter erforscht hätte, so gut wusste ich doch aus The Witcher, dass Ruinen in der Regel auch Monster bedeuteten und mit Erscheinungen oder Kikimoras oder ähnlich ekeligem Zeug käme ich nicht klar. Außerdem war es verdammt kalt hier unten. Ich fröstelte sogar, dabei war mir eben noch warm gewesen.   Ich wandte mich um und zuckte heftig vor Schreck zusammen. Plötzlich stand jemand vor mir. Eine hochgewachsene Gestalt, mehr konnte ich im nicht erkennen. Nicht Geralt, soviel jedoch war mir klar. Wo kam der Kerl her? Ich hatte nichts gehört oder bemerkt. Lebte der etwa hier unten? Oh shit, dann waren wir auf Monsterebene angekommen. Als hätte er mir die Befürchtungen angesehen, hob er beschwichtigend beide Hände. "Verzeiht, sollte ich Euch erschreckt haben. Nichts läge mir ferner." Haha, witzig. Mein Herz raste und mein Puls war locker auf 180. "Darf ich mich vorstellen? Theodor Brunn, sehr erfreut." Er legte eine Hand an die Brust und verneigte sich. Etwas unsicher tat ich es ihm gleich und sah dabei vermutlich mehr als dämlich aus, zumal Dean protestierend fiepte, als er beinahe von meiner Schulter rutschte. Seine Krallen bohrten sich schmerzhaft in mein Fleisch und ich ahnte, das das üble Kratzer gäbe.  "Daelis", stellte ich mich kurz angebunden vor, während ich aus den Augenwinkeln bereits den Fluchtweg abschätzte. Wenn ich mich beeilte und an ihm vorbeihuschen konnte, dann könnte ich vielleicht herausklettern, ehe er mich packte. Allerdings war das eine ziemlich optimistische Prognose. Wahrscheinlicher wäre wohl, dass mich dieser Theodor direkt abfing.  "Ah, vielleicht gehen wir ein Stück, Milady. Bei unserer letzten Begegnung hatte ich leider nicht mehr die Chance, das Gespräch mit Euch zu suchen." Unserer letzten Begegnung? An die konnte ich mich zumindest nicht erinnern. Wann sollte das denn gewesen sein? "Wir haben uns bereits getroffen?", fragte ich ganz unverblümt und konnte sehen, wie Theodor nickte. Er machte mir den Weg frei und instinktiv wanderte ich in die Richtung aus der ich glaubte, gekommen zu sein. Als würde mir das helfen, falls dieser Theodor mir schaden wollte. Hier unten könnte ich um Hilfe schreien, so viel ich wollte. Niemand würde mich hören. "In der Tat. Es ist schon ein paar Tage her", sinnierte er ruhig und folgte mir. "Im Stall der Gaststube in Hohlweg." In meinem Kopf schrillten alle Alarmglocken. An diesen Vorfall erinnerte ich mich sehr genau. War er das Monster, vor dem der Anhänger mich hatte warnen wollen? Nun, da er menschlich auszusehen schien, konnte ich zwar einiges ausschließen, doch ich hatte Derand nicht vergessen. War das hier auch ein Incubus? War er womöglich auf Rache aus? Dann war ich diesmal echt am Arsch. Auf jeden Fall konnte er im Dunkeln sehen, denn während ich mehrmals beinahe über unebene Steine auf dem Boden stolperte, verursachte er keinen Laut.    "Kann mich grob entsinnen", gab ich vorsichtig zurück, doch Theodor ließ sich nicht beirren, sondern plauderte gut gelaunt weiter. "Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, ein paar Worte mit Euch bezüglich Eures Anhängers wechseln zu können." Es überlief mich eiskalt. Er wusste davon? Nichtmal Geralt hatte etwas bemerkt. Hieß das, dieser Kerl wusste vielleicht, woher der Anhänger kam? "Ihr könnt mir nicht zufällig berichten, wie lange dieses Schmuckstück schon in Eurem Besitz ist? Ist es womöglich ein Erbstück? Habt Ihr mit dem Hexer in Eurer Begleitung darüber gesprochen?" Hilflos starrte ich in seine Richtung. So mit Fragen gelöchert zu werden, hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Allerdings hatte ich bestimmt nicht vor, einem Fremden, den mein Anhänger offenbar als Gefahr einstufte, alles anzuvertrauen.  "Was seid ihr?", verlangte ich stattdessen zu wissen. Theodor stockte und schwieg für einen Moment, ehe er mit ernster Stimme zu einer Antwort ansetzte. "Ah, ich verstehe. Bitte seid ungeachtet meiner folgenden Worte gewiss, dass ich Euch mitnichten schaden möchte." Na, die Vorrede half ja ungemein, Vertrauen zu fassen. Sam kuschelte sich enger an mich, als spüre er meine Besorgnis. "Kommt zum Punkt. Wenn Ihr mir wirklich nicht feindlich gesonnen seid, gibt es keinen Grund für langes Drumherumgerede", entschied ich harsch, was Theodor dazu veranlasste, das Haupt zu neigen. "Selbstverständlich, Lady Daelis. Angesichts Eurer Begleitung habt Ihr gewiss schon von Vampiren gehört?" Ich nickte. Viel gelernt hatte ich diesbezüglich von Geralt zwar nicht unbedingt viel, doch das machte nichts. Ich wusste schließlich Bescheid. "Was für einer bist du?", wollte ich wissen und bombardierte den Vampir nun meinerseits mit Fragen. "Woher weißt du von dem Anhänger und woher weißt du, dass ich ihn habe? Was ist das überhaupt für einer? Kommt er aus der Welt der Vam..." Ich unterbrach mich. Theodor war verschwunden. "...pire?" Hilflos sah ich mich um, soweit ich es denn konnte. Zwar hatten sich meine Augen inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, doch mehr als vage Schemen konnte ich nicht erkennen. "Theodor?" Meine Stimme hallte in den Ruinen wieder. Die einzige Antwort, die ich erhielt, gab mir jedoch nicht der Vampir, sondern Sam, der an meiner Brust piepste und damit wiederum auch Dean anstachelte, der über meine Schultern kletterte, als wäre ich eine Art Kratzbaum. Meine Angst schwand und machte Unmut breit. Ließ dieser Kerl mich hier einfach stehen! Was dachte der sich bitte dabei? Er war es doch, der reden wollte und dann verpisste er sich einfach? Grimmig schnaubte ich. Dann halt nicht. Es sei denn natürlich, er hatte, weswegen er gekommen war. Den Anhänger. Beinahe panisch tastete ich mit einer Hand nach diesem und fand ihn fast sofort. Der blaue Kristall hing noch immer um meinen Hals. Gut. Wenigstens das.   Zeit, von hier abzuhauen. Eine Hand an der Wand tastete ich mich den Weg zurück. Oder zumindest den Weg entlang, von dem ich glaubte, dass er zurück führte. So ganz sicher war ich mir nämlich nach der ganzen Aufregung nicht mehr, wenn ich ehrlich war. Schon nach dem ersten Schritt jedoch stolperte ich über etwas. Etwas, das nachgab und mit einem dumpfen Geräusch ein Stück verrutschte. Etwas, das eindeutig kein Stein war. Wider besseren Wissens siegte meine Neugier. Schlimmstenfalls war es ein Rattenkadaver. Bestenfalls irgendein spannender Fund, den ich Geralt zeigen konnte. Meine Finger tasteten über rauen Boden, fand einige Pflanzenstängel, die zwischen den Steinen hervorgebrochen waren und dann, wogegen ich getreten war. Ein fester Einband. Leder. Das war ein Buch! Ich fackelte nicht lange und griff danach, um es mitzunehmen. Später im Hellen könnte ich es mir dann ansehen.   Mein Plan erwies sich nur als theoretisch gut. Praktisch hatte ich mich nämlich erfolgreich verlaufen. Zweimal bog ich ab und spätestens, als dann immer noch kein Licht zu sehen war, dafür aber ein unheimlicher Schein am Ende des Ganges, wusste ich, dass ich unmöglich richtig sein konnte. Da konnte ich auf keinen Fall entlang, das sah nach Erscheinung aus. Eilig drehte ich um, ehe mich noch etwas bemerkte. Zum Glück schienen die Winchesters bessere Instinkte zu haben und zu bemerken, dass ihre Mutti keine Ahnung hatte, wo sie war. Nach einer gefühlten Ewigkeit, die mich alle Nerven kostete und mich an den Rand eines Panikanfalls führte, flatterte Dean unvermittelt voraus. Erschrocken folgte ich dem Greifen, nach ihm rufend. "Dean, bleib hier!" Nochmal wollte ich den Kleinen sicher nicht verlieren. Zu meinem Glück jedoch führte mich Dean direkt zurück zu dem Loch, durch das ich die Ruinen betreten hatte. Es war nur eine Biegung weiter gewesen. Erleichterung durchflutete mich. "Dean, du bist ein Schatz", seufzte ich erleichtert, als ich das Loch erreichte und ungeschickt hinauskletterte. Hatte sich frische Luft je so gut angefühlt? Schwer atmend lag ich einen Moment lang einfach nur im Gras und genoss die warme Sonne auf meiner Haut, die frische Luft und das Gekrächze und Gefiepse meiner beiden Schützlinge, die in kleinen Kreisen über mir umherflatterten. Wie die Geier, amüsierte ich mich in Gedanken darüber und richtete schließlich meinen Blick auf mein Mitbringsel. Der Einband des Buches war völlig verstaubt und so schob ich erstmal einige Wollmäuse beiseite, ehe ich den Buchdeckel aufschlug. Die Seiten hatten auch schon bessere Zeiten gesehen. Die Ränder waren etwas ausgefranst und schon die erste Seite hatte Stockflecken. Ich blätterte um. In dicken, dunklen Lettern fand ich nun auch den Titel. "Die magische Kunst von Chronokinese und Zeitreisen". Meine Augen weiteten sich. Ein Buch über Zeitreise-Magie? Das hatte ich im Spiel nicht gesehen, da war ich ganz sicher. Das hing doch bestimmt mit Ciri zusammen, würde ihr vielleicht sogar helfen, so als Kind des Älteren Blutes! So gerne ich meine Nase schon jetzt in das Buch gesteckt hätte, das müsste wohl aber warten. Ich wusste schließlich nicht, wie viel Zeit ich in den Ruinen wirklich verplempert hatte. Entschlossen schob ich das Buch in meinen Umhängebeutel, der nun Platz bot, da die Greifenjungen mir fliegend folgten. Zum Glück konnte man von hier aus sehr gut sehen, wo die Gärten lagen, in denen die Hasenjagd stattfinden sollte. Blieb also nur noch, das Gewächshaus zu finden und dort nötigenfalls mit Gewalt einzubrechen. Den Schlüssel würden ja Geralt und die Herzogin holen, aber so lange konnte ich nicht warten, wenn ich Milton retten wollte.   Als ich das Gewächshaus erreichte, war ich glatt ein wenig stolz auf mich, denn ich hatte wirklich nur ein einziges Mal nach dem Weg fragen müssen. Leise hatte ich mich angeschlichen. Die Vordertür war verschlossen, das wusste ich ja, aber Dettlaff floh ja auch durch den Hinterausgang, also würde ich einfach auch den benutzen. Soviel zu meinem Plan. Enthusiastisch hatte ich mich ins Gesträuch geworfen, doch je weiter ich mich vorankämpfte, desto mehr bereute ich diese Entscheidung. Hätte ich man doch einfach geklopft und Milton gebeten, mich reinzulassen. Das hätte mir garantiert zahlreiche Kratzer und Schnitte erspart. Aber dafür war es jetzt zu spät. Die Winchesters flatterten beide über dem Häuschen und waren zu meinem Erstaunen recht still. Zu still. Ob sie etwas ahnten? Hatten sei einfach meine Stimmung gespürt oder kam ich womöglich zu spät?  Ungeschickt stolperte ich über eine Wurzel und knallte mit dem Gesicht voran gegen das Gewächshaus. Immerhin konnte ich die halb zugewucherte Tür nun sehen, durch die Dettlaff fliehen würde. Dorthin gab es auch einen Trampelpfad, aber den zu nehmen, war mir natürlich nicht eingefallen. Ich Depp. Einem Vampir, der sich in Nebel auflösen könnte, war das natürlich alles egal. Klar. Innerlich schlug ich mir vor die Stirn, doch lange Zeit, mich zu ärgern hatte ich nicht. Im Nu hatte meine Hand die Klinke gefunden, die ich herunterdrückte. Mit dem Anblick, der sich mir bot, als ich die Tür aufstieß, hatte ich nicht gerechnet. Wie sich zeigte, kam ich gerade noch rechtzeitig. Ich stand in Dettlaffs Rücken, welcher die langen Klauen bereits ausgefahren hatte, eine Hand hinter dem Rücken und eindeutig bereit, den verwirrt dreinblickenden Ritter im Hasenkostüm jeden Moment zu töten. Miltons Blick fand meinen und auch der Vampir wandte sich ob der Störung um. Mein Timing mal wieder. Scheiße.   Kapitel 9: Timing ----------------- Jap. Das war eindeutig nicht mein Tag. Das gleiche musste sich wohl auch Milton denken, denn immerhin war es der Ritter im Hasenkostüm, der hier um sein Leben bangen musste. So hatte er sich diesen besonderen Ehrentag bestimmt nicht vorgestellt. Und überhaupt: Wieso ging das als Ehrentag durch? Da wo ich herkam, war ein Bunnykostüm echt nichts, das man als übermäßig würdevoll ansähe. Seins war nicht einmal sexy! Obwohl das unter den gegebenen Umständen vielleicht auch besser war, denn sonst wäre die Situation wohl noch absurder gewesen, als sie es sowieso schon war. Mal ehrlich: Ein Vampir, der einen Ritter im Hasenkostüm tötet? Das könnte ich nicht einmal aussprechen, ohne zu lachen. Trüge Milton statt der recht moderaten Verkleidung das, was ich unter einem Bunny-Kostüm verstand, hätten wir hier einen Abgrund aufgetan, über den wir alle wohl hätten schweigen wollen. Zugleich wäre das sicher auch urkomisch gewesen. So wie ich mich kannte, hätte ich garantiert gelacht und damit alle Anwesenden gegen mich aufgebracht. Allerdings war die Situation live, echt und in Farbe gar nicht mehr so komisch.  Für einen Wimpernschlag starrte ich unschlüssig zwischen Dettlaffs vampirischem Gesicht und der erschrockenen Miene Miltons hin und her, der die langen Klauen des Vampirs bereits vor der Nase hatte und sich entsprechend auch ausmalen konnte, welches Schicksal ihm hier blühte. Alles war wie im Spiel. Alles außer mir. Jetzt würde sich wohl zeigen, in wie weit es mir möglich war, den Verlauf der Geschichte zu ändern, denn bisher hatte ich das nur im Detail, jedoch niemals in der Essenz. Die Banditen waren gestorben, Geralt war hergereist, der Glumaar war sicher. Das alles war im Spiel auch möglich. Niemals war ich von den vorbestimmten Bahnen so weit abgewichen, dass sich wirklich etwas hätte ändern können für diese Welt. "Rhena!", rief ich einfach, betend, dass dieses Wort das Zauberwort war und genügen würde, damit Dettlaff nicht einfach entschied, Milton die Kehle aufzuschlitzen, ehe er sich zu einem Plausch mit mir herabließ.  Mir schien es fast, als hielte die Welt selbst den Atem an. Dettlaffs Blick ruhte nun ganz auf mir, Miltons ebenfalls. Beinahe, als hätten beide vergessen, dass sie eigentlich etwas völlig anderes vorgehabt hatten. Töten. Sterben. Dabei hielt Dettlaff den Ritter noch am Kragen, bereit diesem jederzeit die langen Klauen in den Leib zu stoßen und sein Leben damit zu beenden. Ein eisiger Schauer durchlief mich. War es hier grad prompt 10°C kälter geworden? "I-ich kenne Rhenawedd", erklärte ich eilig, um gleichermaßen die unangenehme Stille zu füllen als auch zugleich zu bekräftigen, dass ich nicht als Feind hier war, sondern als Freund, immerhin war es mein erklärtes Ziel, Dettlaff zu retten. Die Chancen dafür schienen mir zumindest deutlich besser, wenn er keinen Freund von Geralt tötete und weiteren Zorn auf sich zog. Obendrein konnte ich mit meinem Wissen ja vielleicht wirklich helfen, denn auch wenn 'Rhenawedd' aka Syanna mich natürlich nicht kannte - ich kannte sie und wusste obendrein, wo sie sich versteckt hatte und im Moment vermutlich zufrieden ihren Sangreal schlürfte. Sollte sie doch an einer Alkoholvergiftung sterben!   Aus Miltons Richtung konnte ich ein leises Japsen hören, als ringe er um Atem. Wenn ihm der vor Angst weggeblieben war, konnte ich es ihm nicht verübeln, denn mir ging es jetzt nicht anders, denn mein erstes Ziel hatte ich fraglos erreicht. Dettlaffs Aufmerksamkeit galt nun ganz mir. Er ließ Milton unvermittelt los, der zu Boden fiel und sich an Hals fasste, Dettlaff entsetzt musternd, der dem Ritter sogar den Rücken zuwandte, um an mich heranzutreten. Instinktiv wollte ich einen Schritt zurücktreten, stieß dabei aber bereits gegen die Hintertür des Gewächshauses, die hinter mir zugefallen war. "Du kennst sie?" Meine Nackenhaare stellten sich auf. Miltons bleiche Miene war nicht unbedingt beruhigend. Der Ritter sah mich schon tot, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich hatte Angst, das konnte ich nicht leugnen. Dass Dettlaff einer meiner Lieblingscharaktere war und ich wusste, dass hinter der Fassade eigentlich ein Supersoftie steckte, konnte daran nichts ändern. Sah er mich als Problem an, wäre es ihm ein Leichtes, mich zu töten und niemand könnte ihn daran hindern. Nicht ich und nicht Milton. Mein Blick wanderte zu den langen, elfenbeinfarbenen Klauen. Musste ich mich ausgerechnet jetzt daran erinnern, mit welcher Leichtigkeit er die in Syannas Herz gebohrt hatte? Am liebsten wäre ich auf dem Absatz umgedreht und weggelaufen, doch mein Körper fühlte sich an wie erstarrt. Nervös nickte ich schließlich. "Ja." Dettlaffs Blick schien an Sanftmut zu gewinnen, aber vielleicht bildete ich mir das auch ein und wollte daran nur gerne glauben. "Sie hat... hat von dir erzählt, von eurer Beziehung", brachte ich mühsam heraus und betete, dass das nicht so seltsam klang wie ich glaubte. Es war ja nicht so, als hätte Syanna mir ein Foto zeigen können oder irgendwelche WhatsApp-Nachrichten. Die Beschreibungen, auf die man sich dieser Zeit verlassen musste, waren ja doch meist eher recht vage. Ich schluckte, als Dettlaff einen Schritt auf mich zu machte. Langsam, beinahe als erwarte er, dass ich die Flucht ergreifen würde. Hätte ich ja auch gerne, wenn man ehrlich war. Irgendwie hoffte ich jedoch, dass auch das ein gutes Zeichen war. Wollte er mir schaden, hätte er das längst gekonnt und sehr viel schneller, als ich das überhaupt hätte begreifen können. "Warum?", wollte der Vampir wissen. Jetzt war ich verwirrt. Warum? Warum erzählte man von jemandem? Ja, warum denn bitteschön nicht? Dann dämmerte es mir. Klar. Dettlaff war ein Vampir. Wenn seine geliebte Rhenawedd dieses Geheimnis ausgeplaudert hatte, musste ihn das ja misstrauisch machen. Immerhin könnte ich diese Informationen mit Gewalt erlangt haben.  Hilfesuchend sah ich an Dettlaff vorbei zu Milton, der sich langsam wieder zu fassen schien. Nicht, dass das etwas ändern würde, immerhin war er immer noch unbewaffnet, wobei zugegeben auch eine Waffe keinen Unterschied gemacht hätte. Milton konnte mir nicht helfen, zumal ironischerweise ja ich hier war, um ihn zu retten. Damsel in Distress zu sein, stand mir nicht gut zu Gesicht. Dafür war ich viel zu stolz. Also hieß es, meine Angst runterzuschlucken und zumindest so zu tun, als gäben meine Beine nicht jeden Moment unter mir nach. Zu meinem Glück hatte den Vampir meine verwirrte Miene offenbar schon von meiner Unschuld an Syannas Entführung überzeugt. "Du bist also eine Freundin von ihr." Das klang zwar nicht wirklich wie eine Frage, aber ich nickte dennoch. "Wir stehen uns sehr nahe." Glatt gelogen. Ich konnte Syanna nichtmal leiden. Meiner Meinung hatte sie sich bei dieser Racheaktion einen Dickmove nach dem anderen erlaubt und nichtmal die Eier gehabt, selbst zu handeln, sondern hatte jemanden, der sie aufrichtig liebte, für ihre Zwecke missbraucht. Mit ihrer Rache hätte ich kein Thema gehabt, aber die Umsetzung... Meh!   Dass mein Timing nicht gerade perfekt gewesen war, würde wohl niemand bestreiten, doch wenn es irgendjemanden gab, der das überbieten konnte, dann war es Geralt. Genau der stieß nämlich in diesem Moment die Tür des Gewächshauses auf, als habe er beschlossen, die ganze Situation in ein 50 Shades of Awkward- Desaster zu verwandeln. Erfolgreich. Dettlaff wirbelte herum, noch immer die vampirische Transformation aktiv, die Geralt ohne Frage als solche erkennen würde, sah man mal von den Klauen ab. Milton hatte sich gerade aufgerappelt, als die Tür aufflog und war vor lauter Schreck beiseite gesprungen. Dem Ritter war anzusehen, dass ihn die Situation mindestens so sehr überforderte wie mich, Dettlaff und jetzt auch Geralt. Es war wirklich zum Heulen. Was hatte ich eigentlich getan, um das zu verdienen? Musste Geralt ausgerechnet jetzt hier reinplatzen? Hätte er nicht noch einen Moment länger brauchen können, um das Rätsel zu lösen? Hätten ihn die Winchesters nicht ablenken können? Irgendetwas? Aber nein... Der Hexer stürmte ausgerechnet jetzt rein. Geralt kannte kein Zögern. Er griff direkt nach seiner Silberklinge, bereit, diese jeden Augenblick gegen Dettlaff einzusetzen. Es war vermutlich lediglich Vorsicht, die Geralt überhaupt davon abhielt, sofort loszustürmen. "Warte!", rief ich in des Hexers Richtung. Ich wollte ihm erklären, dass er das Schwert nicht brauchen würde, dass es keinen Mord geben musste und dass ich wüsste, wie man diese Problematik auflöste. Wir konnten Dettlaff helfen, seine Rhenawedd - also Syanna - zu finden und ihre Intrigen aufzudecken. Normalerweise hätte Geralt ja erst nach Miltons Tod hier aufkreuzen dürfen. Dann wäre Dettlaff geflohen und irgendwie hatte ein Teil von mir wohl erwartet, dass der Vampir diesem Schema auch ohne toten Ritter folgen würde. Notfalls auch ohne weitere Erklärung. Da ich ja wusste, dass Regis hier war und wie wir Dettlaff finden konnten, wäre auch das kein so großes Problem gewesen. Allerdings schien Dettlaff nur bedingt an seinem ursprünglichen Muster festzuhalten. Er floh. Allerdings nicht allein. So schnell wie Geralt zur Waffe gegriffen hatte, hatte Dettlaff nach mir gegriffen. Dazu meiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen, kam ich auch schon nicht mehr, denn im nächsten Augenblick kippte meine Welt.  Der Vampir hatte mich mit Leichtigkeit hochgehoben und über die Schulter geworfen, wie es kein Mensch gekonnt hätte. Dettlaff wirbelte herum und mich prompt mit, sodass ich Geralts erschrockene Miene sehen konnte. "Verdammt!", konnte ich den Weißen Wolf noch zischen hören, während ich nur hilflos über Dettlaffs Schulter hing und versuchte, mich irgendwie an seinem Mantel festzuhalten. Offenbar hatte Geralt mit dieser Wendung ebenso wenig gerechnet wie ich. "Sam und Dean, pa-" Weiter kam ich nicht, weil Dettlaff die Mauer des Gartens hinter sich ließ und gesprungen war. Für mich fühlte es sich an, als fielen wir und ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, obwohl ich ja eigentlich wusste, wie holprig der Fluchtweg war. Schon beim ersten Durchspielen war ich von Geralts todesmutiger Verfolgung beeindruckt gewesen, die ihr Ende in einer Halle am Hafen fände. Dort würden Hexer und Vampir dann aufeinander treffen, was mir dann hoffentlich die Möglichkeit gab, endlich alles zu klären, sodass Regis nicht beherzt eingreifen müsste. Auch wenn er es überlebte, wenn man ihm ein faustgroßes Loch in den Torso schlug, musste das doch wirklich nicht sein, oder?   Dass mein Gewicht den Vampir nicht weiter behinderte, wurde mir schnell klar, denn auch wenn ich Geralt erst noch sehen konnte, so wurde der Abstand doch größer. Moment! Größer? Dann dämmerte es mir. Dettlaff schlug einen anderen Weg ein. Natürlich tat er das. Hätte ich es in diesem Moment gekonnt, ich hätte mir wohl kräftig vor die Stirn geschlagen. Mit mir im Schlepptau konnte sich Dettlaff ja auch nicht einfach in Nebel auflösen und auf diese Weise fliehen oder kämpfen. Mir war das immerhin nicht möglich. Also ein anderer Fluchtweg. Na da hatte ich ja etwas angerichtet. Ob Geralt von alleine auf Regis traf? Irgendwie beschlich mich das ungute Gefühl, dass das nicht passierte. Mit meiner Rettungsaktion für Milton hatte ich die Story dann wohl kräftig durcheinander gebracht. Zum ersten Mal seit meiner Ankunft. Bis hierher war immer alles im Rahmen der spielerischen Möglichkeiten gelaufen, kleine Abweichungen beiseite gelassen. Doch das hier, das machte einen Unterschied und zwar keinen geringen. Hatte ich damit jetzt irgendwie das Gefüge der Welt erschüttert? Die Realität gestört? Allein darüber nachzudenken, welche Folgen diese Änderungen haben könnten - nicht nur für die betroffenen Personen wie Geralt, Regis, Syanna, Milton und Dettlaff, sondern auch für die Welt als Ganzes - mochte ich mir gar nicht ausmalen. Was selbst kleine Dinge änderten, hatte der Film Butterfly Effect eindrucksvoll gezeigt. Meine etwas holprige Entführung trug da nicht unbedingt zu meinem Wohlbefinden bei. Dettlaffs Schulter bohrte sich unangenehm gegen meine Rippen und obwohl der Vampir mich mit einer Hand festhielt, hatte ich ununterbrochen Angst, ihm jeden Augenblick mit der Nase voran im wahrsten Sinne des Wortes den Buckel runterzurutschen. Wohin ging es nun überhaupt? In die Gruft wohl kaum, oder? Immerhin hatte Regis nicht gewusst, wo sich Dettlaff verbarg. Allerdings, dämmerte mir, hatte er Dettlaff verfolgt und gefunden, nicht Geralt. Würde Regis also auch jetzt der Spur folgen? "Lass sie in Ruhe!", konnte ich Geralt noch schnaufen hören, als Dettlaff und ich um eine Ecke bogen. Dass der Vampir den Hexer abhängte, war unverkennbar. Übermenschliche Ausdauer und viel Training hin oder her, gegen einen höheren Vampir reichte das offensichtlich nicht. Sollte ich mich darüber jetzt freuen, weil es Geralt den Kampf ersparte oder sollte ich lieber Angst haben, weil ich nicht den blassesten Schimmer hatte, wohin mich Dettlaff brachte? Stumm dankte ich dem Hexer für seinen Rettungsversuch und betete, dass er sich um Sam und Dean kümmern würde. Gnade ihm, wenn er die beiden am Spieß briet, statt sie aufzuziehen, wie es sich für ihn als unfreiwilligen Ziehpapi gehörte!   Da ich ja ohnehin eine Orientierung wie eine Gurke hatte, war es kaum verwunderlich, dass mir völlig schleierhaft war, wie es Dettlaff mit mir im Gepäck so schnell an den Rand der Stadt geschafft hatte, geschweige denn, an welchem Rand der Stadt wir waren. Fakt war lediglich, dass er mich ungezwungen hochzog und behutsam auf dem Boden absetzte. "Ich entschuldige mich für die... abrupte Unterbrechung unserer Unterhaltung", ergriff Dettlaff als erster das Wort, meinen Blick suchend, als wolle er prüfen, wie verängstigt ich war. Hielt sich in Grenzen. Wüsste ich nicht so einiges über ihn, wäre mir der Arsch allerdings derbe auf Grundeis gegangen. Angesichts der Umstände jedoch war ich fast sicher, dass er mich nicht töten würde. Auch wenn ich dennoch der Meinung war, dass er mich nicht gleich hätte entführen müssen. Wir hätten uns doch auch einfach zu einem Treffen verabreden können, um in Ruhe zu quatschen. "Schon gut. Es war... überraschend, aber es ist ja keinem was passiert", winkte ich ab und lächelte etwas unsicher, musste ich doch unwillkürlich an die Winchesters denken. Gnade dir Gott, Geralt, wenn du meine Babys aufisst. Dettlaff musterte mich, beinahe zögerlich, als hadere er mit etwas. Vermutlich tat er das sogar, so wie ich ihn einschätzte. Er wollte mehr wissen, wollte von Rhena hören und warum sie ihn verlassen hatte, ganz ohne ein Wort. Meine ehrliche Antwort würde ihm da sicher nicht gefallen. 'Weil sie eine feige Bitch ist, die nicht die Eier hatte, Schluss zu machen, wenn sie denkt, eine Beziehung funktioniert nicht.' Meh. Lieber nicht. Wäre wohl kein guter Eisbrecher und wir hatten uns ja eh schon unter recht speziellen Umständen kennengelernt. Nett ausgedrückt. Obendrein hatte ich noch immer das Gefühl, jemand habe mir einen Eisbeutel auf den Rücken gedrückt, dessen Kälte mich noch immer durchlief. "Also? Wohin geht es?", erlöste ich den Vampir aus seinem inneren Monolog. Sein Blick wanderte in die Ferne. "Ich habe ein Versteck nicht allzu weit von hier..." Wieder zögerte er. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass die Entführung eine spontane Entscheidung war, von der er jetzt schon selbst nicht mehr wusste, wie er damit umgehen sollte. Mich einfach gehen lassen und damit seine Chance vertun, etwas von Rhenawedd zu hören? Mich gegen meinen Willen festhalten, obgleich ich eine Freundin Rhenas war? Auch dieses Mal ersparte ich ihm die unangenehme Suche nach passenden Worten. "Klingt gut. Machen wir uns auf den Weg", stimmte ich zu, ehe er überhaupt etwas fragte. "Und mach dir wegen Milton und Geralt keine Sorgen. Die Zwei sind große Jungs und kommen klar." Verwirrung huschte über Dettlaffs Miene. "Geralt?" Ich nickte. "Der Hexer. Wir sind... irgendwie Freunde. Ich kam mit ihm nach Toussaint", erklärte ich, ehe ich eilig hinzufügte: "Wir kennen uns auch noch nicht lange und haben uns zufällig kennengelernt, als er einen Greif jagte, der... mich gejagt hatte." "Das klingt nach einer außerordentlichen Geschichte." Hell yes, das konnte er laut sagen und dabei hatte er die Winchesters noch gar nicht kennengelernt. Der Vampir wirkte aber auch jetzt noch skeptisch, als fürchte er, ich könnte jeden Moment eine Silberklinge gegen ihn richten, weil ich mit einem Hexer reist. Vielleicht schwante ihm auch einfach nur, dass Geralt hergerufen worden war, um Jagd auf ihn zu machen. Davon abgesehen jagten Hexer ja generell auch Vampire und einige niedere zählte Dettlaff zu seinem Pack, wie ich wusste. Nicht die optimalsten Bedingungen für den Start einer Freundschaft, mochte man meinen.   Einige Minuten folge ich ihm schweigend, in denen ich mich vor allem konzentrierte, mich zu orientieren. Keine Ahnung, wo wir waren. Erst, als wir eine rote Tür erreichten, die zur Werkstatt eines Spielzeugmachers gehörte, hätte ich mir am liebsten kräftig an die Stirn geschlagen. Natürlich! Wohin auch sonst hätte er gehen sollen! Die Werkstatt. Später würden auch Regis und Geralt hierher kommen, doch dann wäre Dettlaff schon fort und sie würden nur die Zettel mit den Namen finden und auch den mit dem Weinfleck, der sie auf die Spur des Sangreal führen würde. Neugierig folgte ich Dettlaff in das Gebäude, nachdem er mir - ganz der Gentleman - die Tür aufgehalten hatte und sie dann auch hinter mir schloss, während ich mich drinnen aufmerksam umsah. Dass sein wahres Versteck im Obergeschoss lag, wusste ich natürlich und genau dorthin führte mich Dettlaff nun auch. Hier zu sein fühlte sich seltsam surreal an. Diesen Ort hatte ich im Spiel gründlich durchsuchtg, doch wirklich hier zu sein, die Luft zu riechen, das Wachs und das Holz, war einfach etwas völlig anderes. Und natürlich war da auch noch das Bild von Syanna an der Wand, das ich ganz unverhohlen musterte. Du blöde Kuh, fluchte ich stumm. Du hast all das in Gang gesetzt. Wart's nur ab, dir spuck ich sowas von in die Suppe. Ob Dettlaff meinen Blick bemerkte, konnte ich nicht sagen. Wenn ja, dann ließ er sich nichts anmerken. "Bitte. Nehmt doch Platz", bot er mir höflich den einzigen Stuhl im Raum an, während er sich auf das Bett setzte, mich nicht einen Moment aus den Augen lassend. Hatte er etwa Angst, ich würde mich einfach auflösen? Wäre das nur so einfach. "Rhenawedd", begann er schließlich und am liebsten hätte ich geseufzt. Die Bitch. Wie gerne hätte ich ihm einfach alles erzählt und auch, was sie noch tun würde, aber dass ich nicht ausplaudern durfte, was noch nicht passiert war, wusste ich ja inzwischen. Sonst hätte ich Geralt und Milton ja auch einfach warnen können. "Sie hat... von mir erzählt?" Ich nickte. "Ja, hat sie. Ehe sie hierher kam", erklärte ich bedächtig. Jetzt musste ich aufpassen, mich nicht in Lügen zu verstricken oder etwas zu verraten, dass auch Syanna nicht gewusst hatte. "Sie hat nie erwähnt, dass..." Dettlaff unterbrach sich. "Ich wusste nicht, dass sie sich jemandem anvertraute." Ihm war anzusehen, wie unangenehm ihm das war. Immerhin hatte ich behauptet, sie habe sein Geheimnis ausgeplaudert. "Keine Sorge. Ich habe es niemandem erzählt und werde es auch nicht. Ohnehin", plauderte ich locker weiter, "finde ich sowieso, dass Rassismus totaler Schwachsinn ist. Wer wir sind, bestimmen wir und nicht unsere Spezies. Ich wette, es gibt unter Vampiren genau solche Arschlöcher wie unter Menschen. So verschieden sind wir doch überhaupt nicht." Fast bereute ich meine Worte. Doch, wir waren verschieden, denn Vampire betrogen einander nicht. Nicht so, wie es Menschen taten und wie Syanna ihn betrogen hatte, auch wenn er das noch nicht wusste. Armer Tropf. Dettlaffs Miene zeugte von offener Überraschung, von der ich nicht sicher sagen konnte, ob sie meinen Ansichten galt oder nicht doch eher meiner Wortwahl. "Arschloch" war nicht unbedingt etwas, das eine der hiesigen Damen sagen würde. Im Gegensatz zu mir, schien Dettlaff seine Worte besser abzuwägen. "Nur wenige Menschen begegnen uns... Monstern so vorurteilsfrei." Das war es eindeutig nicht, was er eigentlich hatte sagen wollen. Ich konnte es ihm förmlich an der Nasenspitze ansehen. Er versuchte bloß, höflich zu sein und mich nicht mit Fragen zu bombardieren, die ihm auf der Zunge brennen mussten. Woher kannte ich Rhena? Wusste ich, wo sie war? Wie hatte ich erfahren, dass Milton das nächste Ziel wäre? Fragen, die zu beantworten nicht einfach würde.   Statt allerdings das Thema zu wechseln und nach Rhenawedd zu fragen, wie ich es eigentlich erwartet hätte, meinte er: "Dann seid Ihr die Dame aus der Ferne, die dem Glumaar die Freiheit schenkte." Naja, fast. Freigelassen hatte Annarietta den Glumaar, aber immerhin hatten Geralt und ich dazu maßgeblich beigetragen. Ich nickte also und wir schwiegen uns einen Moment lang beredt an, ehe ich die Stille durchbrach. "Zwar liefen meine bisherigen Begegnungen mit Monstern nicht immer besonders gut, aber immerhin mit dem Glumaar und den Winchesters kam ich bisher gut aus." Beinahe wäre mir ein 'und mit dir' herausgerutscht, doch das hätte ich garantiert bereut. In meinen Augen waren Vampire ebensowenig Monster wie es Hexer waren oder Elfen oder Zwerge. Sie waren eine andere, vernunftbegabte und selbstreflektierende Spezies. Die physischen Unterschiede kamen mir da doch eher unwichtig vor und dass sich Vampire untereinander besser benahmen, war wohl eher löblich. "Von Winchesters habe ich noch nie gehört. Stammen diese Wesen aus dem Norden?" Bei dem Versuch, nicht zu lachen, verschluckte ich mich fast. "Die Winchesters", erklärte ich schmunzelnd, "sind zwei Greifenküken. Ich nenne sie nur so. Also... Sam Winchester und Dean Winchester. Das ist gewissermaßen eine Hommage an etwas aus meiner Heimat." Dettlaff kommentierte meine Ausführungen nicht. Was da im Detail hintersteckte konnte ich auf gar keinen Fall erzählen. Dann würde Dettlaff mich bloß für völlig plemplem halten und mir bestimmt nicht mehr zuhören, wenn ich versuchte, ihm klar zu machen, was es mit Rhenawedd aka Syanna auf sich hatte und wo sie steckte. Konnte ich das überhaupt verraten? Geschehen war ihre Ankunft in Burg Tynne ja schon, aber herausgefunden hatte das noch keiner. Wie wurde das gewertet? "Jedenfalls... weil ich Rhena bisher nicht gefunden habe, habe ich nach dir gesucht", versuchte ich das Thema locker anzuschneiden. "Ich meine: Ich wusste ja, wie du aussiehst. Zwar hätte ich nicht gedacht, dich ausgerechnet in einem Gewächshaus kennenzulernen, aber wieso nicht? Auf einem Friedhof hätte ich wohl einfach einen geschmacklosen Witz gerissen und in der Einkaufspassage hätte ich dich vielleicht ganz unverbindlich besprungen." Verwirrung zog sich über sein Gesicht und ich konnte es ihm nicht verdenken. "Äh... egal. Da-das sagt man so, da wo ich herkomme." Dettlaff nickte zögerlich. So zögerlich, dass ich mich stumm weit weg wünschte. Jetzt musste er mich für eine totale Spinnerin halten. Das könnte ich niemals alles wirklich sinnvoll erklären. Ich senkte den Blick und entschied, dass es wohl besser wäre, ihn erstmal reden zu lassen. Weniger Katastrophenpotential.   Eindringlich starrte mich Dettlaff an, unter dessen Blick ich mich mit jeder Sekunde unwohler fühlte. Stumm bat ich, er möge doch bitte einfach fragen, damit ich nicht drauf losplapperte und mich dann in meinen Lügen verstrickte. "Ihr reist mit diesem Geralt, dem Hexer", begann Dettlaff schließlich, als habe er entschieden, mich genug auf die Folter gespannt zu haben. "Dann jagt ihr mit ihm im Auftrag der Herzogin das Biest?" "Nö", gab ich prompt zurück und zuckte mit den Schultern. "Es hielt keiner für nötig, mich in irgendwelche Aufträge einzubeziehen. Aber ich habe nach dir gesucht und in gewisser Weise habe ich das Biest von Toussaint damit ja vor dem Hexer erwischt", meinte ich feixend, bereute meine Worte aber sofort ob Dettlaffs verbissener Miene. "Entschuldige... Ich wollte nicht..." Mist. Er räusperte sich. Seine Stimme klang beinahe heiser, als er leise sprach. "Es ist nicht unwahr. Gewiss... nicht der beste erste Eindruck." Jetzt tat er mir direkt wieder leid.  "Ich weiß, dass du das nicht tust, weil du es willst!" Ich biss mir auf die Zunge. Konnte ich nicht einfach den Sabbel halten? ich redete mich hier noch im wahrsten Sinne des Wortes um Kopf und Kragen. "Da-das klingt überhaupt nicht nach dem Dettlaff van der Eretein, von dem mir Rhena erzählt hat", fügte ich hinzu und betete, dass das als Erklärung ausreichen würde. Dettlaffs Lächeln war bitter, doch er sagte nichts. "Diese Morde...", begann ich also und ließ den Blick schweifen. Bei diesem Thema konnte ich ihm echt nicht ins Gesicht sehen. "Du wirst erpresst, oder?" Hah, war ich nicht gut? Beinahe klang das wie geraten. Dettlaff seufzte leise. "Rhena wurde entführt." Ich schluckte. Oh, wie falsch du doch lagst, du Cinnamon Roll. Wider besseren Wissens nickte ich. "Verstehe. Dann... sollten wir sie wohl besser retten, mh?" Der Vampir sah drein wie ein geprügelter Hund, den Blick und die Schultern gesenkt. Er schämte sich für seine Taten, sogar vor mir, obwohl ich 'nur' Rhenawedds Freundin war und nicht einmal sie selbst. "Ich habe keine Hinweise auf die Männer, die sie gefangen halten außer ein paar... ominöse Nachrichten." Mit einer knappen Geste deutete er gen Schreibtisch. Ich stand nicht auf, um nachzusehen, sondern fixierte den Vampir mit meinem Blick, der diesen erwiderte. "Ich helfe dir." Auf seiner Miene wechselten sich verschiedene Emotionen ab und ich konnte nicht sagen, welche schließlich die Oberhand gewann, denn ich fuhr bereits fort. "Unterschätz mich nicht. Ich sehe vielleicht harmlos sein und bin hoffnungslos orientierungslos, aber ich weiß eine Menge über die Gegend hier und auch über die Leute und ihre Machenschaften. Wir finden Rhena und die Leute, bei denen sie ist." Bewusst vermied ich die Erwähnung von Entführer, denn die gab es ja schließlich gar nicht. Wirklich motiviert sah der Vampir ob meiner Worte allerdings nicht drein. Wenn er sie nicht fand, wie sollte auch ich es anstellen? Der würde sich noch wundern. Jetzt mochte er noch daran zweifeln, dass ich irgendwie eine Hilfe sein könnte, aber bald schon würde ich ihn eines besseren belehren. Zeit, herauszufinden, wie viel ich Dettlaff sagen konnte! Vielleicht könnte ich ihn ja wirklich zu Burg Tynne führen? Oder zumindest zum Sangreal, wenn das nicht möglich war. Denn der Weinfleck war ja schon auf einem der Zettel. Diese Sachen waren alle schon passiert. Genau wie Syannas Intrige. Wenn ich sie einfach verpetzen könnte, wäre das vielleicht zu wagemutig, so ganz ohne Beweise, aber wenn es mir gelänge, Dettlaff zu eben diesen Beweisen zu führen, könnte das alles anders auflösen. Ohne, dass Geralt und  Regis zu sehr involviert würden. Ohne, dass es zu einem Kampf kommen könnte, was - am Spiel orientiert - für meinen Geschmack zu wahrscheinlich war. Irgendwie musste ich mich darum herummogeln, nichts verraten zu können, das nicht schon geschehen war! Wenn ich schon mit der Zeitlinie Unheil trieb, dann wenigstens richtig!  Kapitel 10: Lügen ----------------- Dass Dettlaff nicht so ganz überzeugt von meiner Selbstdarstellung war, stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ein guter Lügner war an ihm wirklich nicht verloren gegangen, das hatte man ja schon im Spiel bemerkt, doch auch live, echt und in Farbe war er kinderleicht zu lesen. Umso schlechter fühlte ich mich, weil ich dem armen Tropf so viele Lügengeschichten aufgetischt hatte. Aber welche Wahl hatte ich auch? Immerhin konnte ich ihm die Wahrheit schlicht nicht sagen. Sonst hätte ich Geralt schon so einige Dinge diesen Auftrag betreffend erzählt und ihn direkt zu Regis geschickt. Hoffentlich fanden sich die Zwei. Sonst müsste ich die Rolle beider übernehmen und so ganz wohl war mir dabei doch nicht. Ich war weder so effektiv im Umgang mit anderen Leuten wie Geralt, was nicht zuletzt daran lag, dass er einfach mehr Respekt einflößte als ich, noch war ich so weise und klug wie Regis. Der hatte mir ja auch locker ein paar Jahrhunderte voraus. "Rhena, sie...", begann er zögerlich, stockte dann aber und verstummte. Er hockte da wirklich wie ein Häufchen Elend, sichtlich mit sich hadernd, weil er nicht wusste, wo er beginnen sollte, wie er erklären sollte. Allein, dass wir uns bei einem Mordversuch getroffen hatte, machte die Situation schon ein wenig unangenehm. Dass ich ein überaus genaues Bild davon hatte, wie es dazu hatte kommen können, konnte er ja unmöglich ahnen und besser war es wohl auch, wenn ich ihn das nicht wissen ließ.Wie konnte Syanna ihm das nur antun? "Erzähl mir doch einfach, was passiert ist." Dettlaff hatte bis jetzt meinen Blick gemieden, jetzt aber sah er mich an, zögerte wieder und nickte schließlich. "Vor wenigen Wochen erhielt ich eine Nachricht", erklärte er tonlos, den Blick an mir vorbei auf den Schreibtisch richtend, auf dem Geralt und Regis auch die Zettel mit den Namen gefunden hätten. "Sie zeugte von Rhenas Entführung. Man drohte, sie zu töten, wenn ich nicht..." Dettlaffs Stimme versagte ihm den Dienst. Wieder wanderte sein Blick auf den Boden zu seinen Füßen. Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen, so leid tat mir der Vampir vor mir. Die Stadt mochte in ihm das berüchtige Biest von Beauclair sehen, ein grausames Monster, das blutig mordete, aber alles, was ich hier sah, war ein Mann mit gebrochenem Herzen und voller Schuldgefühle. Wie gerne hätte ich ihm einfach alles erzählt. Dass seine Rhena ihn nur für ihren Plan benutzt hatte, dass sie ihn verlassen hatte und jetzt nur Kontakt suchte, weil sie seine übernatürlichen Kräfte für ihre Rache verwenden wollte. Allerdings ahnte ich, dass mir dieser Versuch wohl in erster Linie den Zorn Dettlaffs zugetragen hätte. So traurig es war, Dettlaff war von seiner Liebe zu Rhenawedd - oder vielmehr Syanna - geblendet.   "Dir wurde gedroht, dass Rhena stirbt, wenn du nicht die Personen tötest, die man dir nennt", schloss ich leise. Dettlaff sagte nichts, doch manchmal sagte Schweigen mehr als Worte und ich wusste ja längst, dass ich Recht hatte. Vorsichtig trat ich näher, um eine Hand an seinen Arm zu legen. Eine Geste, die ihn zurückzucken ließ. Ich wusste ja, dass er scheu war, aber als Rhenas Freundin hatte ich gehofft, einen kleinen Vertrauensvorschuss zu bekommen. "Wir finden heraus, wo sie ist und dann wird sich alles klären", versprach ich beruhigend. Innerlich zermarterte ich mir bereits das Hirn, was ich jetzt tun sollte. Eigentlich wäre Dettlaff nicht hierher geflohen und eigentlich hätte Geralt jetzt Regis getroffen, der ihm erklärt hatte, dass Dettlaff nicht das Monster war, für das die Stadt ihn hielt. Uneigentlich konnte ich mich aber jetzt nicht mehr darauf verlassen, dass Regis und Geralt einander gefunden hatten. Vielmehr würde der Hexer jetzt wohl der Herzogin und ihren Leuten berichten, dass er das Biest auf frischer Tat ertappt hatte und es seine Begleiterin entführt hatte. Das konnte ja heiter werden. Jetzt war sogar indirekt selbst ein Problem für Dettlaff geworden, weil mich aufzuspüren einfacher wäre, als ihn. Wenn ich den Laden verließ, bestand also sogar die Chance, dass mich jemand erkannte, nachdem ich ja so eine großkotzige Nummer in der Arena gebracht hatte. "Niemand wird ihr etwas tun", versuchte ich ihn zu beruhigen. Ohne Erfolg. Vielmehr fuhr der Vampir wütend auf. "Warum sollten sie nicht? Ihre Entführer könnten..." So schnell wie er aufgefahren war, sank Dettlaff zurück in sich zusammen. "Verzeiht. Es ist nicht Eure Schuld, was geschehen ist. Ihr meint es nur gut." Gut erkannt, Kumpel, befand ich still, tätschelte aber nur mitleidig seinen Arm. "Schon gut. Aber mal im Ernst. Wenn sie dich erpressen wollen, brauchen sie Rhena, das wird ihnen klar sein. Ohne ihre Geisel kommen sie nicht weiter. Obendrein wissen sie ja offenbar, was du bist. Das heißt, jemand muss es ihnen erzählt haben - vermutlich Rhena selbst - und das heißt, sie wissen auch, wie unangenehm deine Rache ausfallen könnte", bemühte ich mich um logische Argumentationen. "Darum ganz ruhig. Wir finden sie." Leise knirschte Leder, als Dettlaff die Hände zu Fäusten ballte und diese dann wieder löste. Jetzt suchte sein Blick meinen, beinahe forschend. Hatte ich mich verplappert? Etwas unwohl wurde mir jetzt schon und umso mehr, während der Vampir mich einfach nur anstarrte. "Habt Ihr Erfahrung in solchen Belangen?", fragte er schließlich. Verdattert schüttelte ich den Kopf. "Nein. Gibt auch nicht viel, um das man mich erpressen könnte." Nun schüttelte er den Kopf. "Ich meinte, ob Ihr entführt wurdet." Wieder verneinte ich. "Wer würde das denn wollen? Diese armen Idioten gäben mich freiwillig zurück."    Mein Blick wanderte herum zum Schreibtisch. "Darf ich mir das mal ansehen?" Dettlaff machte eine einladende Geste. Ich ließ mich nicht zweimal bitten und studierte zuerst die Zettel mit den Namen, vier an der Zahl. Crespi, du Lac, de la Croix, Peyrac-Peyran. Welchen Namen der fünfte Zettel tragen würde, wusste ich. Anna Henrietta. Dettlaff ahnte das sicher nicht. Er hatte drei der Ritter getötet, den vierten Mord hatte ich verhindert. Nachdenklich drehte ich einen der Zettel zwischen den Fingern, grübelnd, wie ich Dettlaff auf die Spur des Sangreals setzen könnte, von dem er ja eigentlich überhaupt nichts wusste. Ebenso wenig wie von Syanna. Vielleicht wäre es besser, diesen Geschichtsstrang auszulassen? Sollten doch Geralt und die Herzogin der Spur dem Herz von Toussaint folgen, nachdem sie den Cintrier damit in Verbindung gebracht hatten und wussten, dass Syanna in dieser Intrige steckte. Die Spur des Sangreals würden sie natürlich nur finden, wenn Geralt hierher kam, um den Zettel zu finden. Dazu jedoch brauchte es auch Regis. Das konnte ich mir wohl von der Backe putzen. Selbst wenn Geralt und Regis einander fanden, hieß das noch lange nicht, dass sie in den nächsten Tagen hier auflaufen würden. Zugleich gab es mit Milton, der ja nun überlebt hatte, einen weiteren Zeugen, das Biest betreffend. Hatte ich ja super hinbekommen. All das würde Dettlaff allerdings wohl nicht interessieren und ich hatte auch keine Ahnung, wie ich ihm schmackhaft machen könnte, die Schwester der Herzogin gemeinsam mit Geralt zu suchen ohne gleich die Bombe platzen zu lassen, dass sie zugleich seine Rhenawedd war. Wie der Vampir sich zu mir gesellte, bemerkte ich nicht. Viel zu sehr war ich in meine Grübeleien versunken. Umso mehr erschrak ich, als eine Hand an mir vorüber langte und nach dem Zettel griff. "Fünf Tote haben sie mir gesagt", konnte ich Dettlaff leise hinter mir flüstern hören, Bedauern in der Stimme. Ein leichter Schauder durchlief mich. Wieder diese Kälte, die aus dem Nichts zu kommen schien und wohl in meiner Nervosität grundete. Ich presste die Lippen zusammen. Der Mord an de la Croix hatte ihn besonders geschmerzt, das wusste ich. Er hatte einen Freund getötet, um Rhena zu beschützen, so sehr liebte er sie. Sie, die ihn nur benutzte für ihre Rache. So gerne ich ihm einfach alles erzählt hätte, so gerne würde ich all das auch einfach von ihm fernhalten, damit er bittere Wahrheit niemals erfahren musste. Sie würde ihm nur weh tun, ihn verbittern und so er denn überlebte, zu dem Schluss führen, dass es besser wäre, ein Leben weit weg von den Menschen zu führen, weil sie logen, betrogen und einander verrieten. Scham durchlief mich. Ich war keinen Deut besser. Ich belog ihn ja auch und zwar nach Strich und Faden. Ob ich dafür später die Quittung bekäme? Vermutlich, doch aus dieser Sache kam ich jetzt wohl eh nicht mehr raus.   "Rhena... sie hat von mir erzählt?", riss mich die Frage aus den Gedanken und ich nickte. "Ja. Oft sogar. Mir kommt es fast vor, als würde ich dich schon lange kennen", behauptete ich und versuchte mich damit zu trösten, dass das nicht nur gelogen war, denn immerhin kannte ich ihn ja über Erzählungen recht gut. Allerdings war das nicht Syanna zu verdanken, sondern eher CD Projekt Red. Er ließ den Zettel los. Einen Moment noch studierte ich die Schrift, die mir natürlich überhaupt nichts sagte, dann legte ich den Zettel wieder auf den Schreibtisch, auf dem noch lauter angefangene Holzspielzeuge lagen sowie Werkzeuge, von denen ich einige nicht einmal annähernd einordnen könnte. "Sie hat..." Dettlaff klang gepresst, verunsichert, dann auf einmal fast forsch, beinahe wütend. "Sie hat nie von dir gesprochen." Ich zwang mich zu einem Lächeln und wandte mich um. "Nicht? Das wundert mich." Schnell ließ ich das Lächeln fallen. "Vielleicht hatte sie doch Sorge, ich käme mit den Dingen, die sie mir offebarte, nicht zurecht?", gab ich vor, nachzudenken, was die Gründe für Rhenawedds Schweigen gewesen waren. Der echte Grund war natürlich, dass sie keine Ahnung hatte, wer ich war. "Man hört nicht alle Tage, dass eine liebe Freundin mit einem Vampir liiert ist", gab ich kleinlaut vor und erntete nun doch ein Nicken. "Ja... Ja, das ist wohl wahr. Verzeiht, falls ich Euch än-" "Ach was, alles gut. Die Situation ist für uns beide ein wenig angespannt", unterbrach ich Dettlaff eilig. "Versuchen wir doch einfach, ganz ohne Vorurteile auf einander zuzugehen, während wir uns auf die Suche nach Rhena machen, ja?" Wieder ein Punkt, der mich eher traf als ihn. Ich hatte Vorurteile. Ich kannte ihn ja bereits ganz gut, ich wusste, was passieren würde oder zumindest passieren könnte, wenn ich es nicht verhinderte. Er hingegen war ahnungslos und ein Opfer schrecklicher Machenschaften. Der Vampir neigte höflich sein Haupt. "Sehr gerne. Und dennoch schulde ich Euch meine Entschuldigung, weil ich Euch einfach entführte." Ich winkte nur ab. "Ich wäre auch freiwillig mitgekommen. Kein Thema. Und Geralts dummes Gesicht war das allemal wert", fügte ich mit einem Grinsen hinzu, erhielt jedoch keines im Gegenzuge, sodass sich eine unangenehme Stille über uns beide legte, von der ich einige Momente lang einfach nur hoffte, sie möge verschwinden.   Da Dettlaff jedoch beharrlich schwieg, war es wieder an mir, das Gespräch zu suchen. "Hauptsache ist doch, dass wir jetzt an einem Strang ziehen, nicht wahr? Also... Ich heiße Daelis und es freut mich, dich kennen zu lernen." Ich streckte ihm die Hand entgegen, die er nach kurzem Zögern auch ergriff. Kurz aber kräftig schüttelte ich seine, dann entließ ich ihn aus meinem Griff. "Unser Vorgehen betreffend, denke ich, sollte ich mich lieber erstmal etwas bedeckt halten. Sicher hat die Geschichte von der Feier die Runde gemacht und man sucht überall nach mir. Wäre wohl nicht gut, wenn mich jemand sieht, wie ich deinen Laden verlasse. Das könnte Geralt auf deine Fährte locken. Der kocht sicher. Ich hoffe nur, nicht die Winchesters", fügte ich mit einem Seufzen hinzu. Meine armen kleinen Babys. Hoffentlich ging es ihnen gut. "Es steht Euch frei zu gehen. Ich habe..." Ich hob nur eine Augenbraue, das ließ ihn verstummen. "Andere Verstecke? Die würde ich ja nie finden. Du bleibst schön hier. Wir keksen das schon irgendwie aus. Bis dahin könnte ich mich ja hier ein wenig nützlich machen oder ich muss im Schutz der Nacht die Stadt verlassen." Dettlaff schien abzuwägen, immerhin hatte ich mich gerade gewissermaßen selbst eingeladen. "Wenn Ihr es wünscht, geleite ich Euch gerne zu Eurem Gasthaus", bot er schließlich an. Ich grinste schief. "Ich fürchte, ich habe keine Ahnung, wo Geralt untergekommen ist und bei mir habe ich nur..." Demonstrativ zuppelte ich an meinem Kleid. Wie gerne hätte ich wenigstens meine Sachen angehabt. "Verzeiht." Eilig hob ich die Hände. "Schon gut, wirklich. Du musst dich nicht immer entschuldigen. Dafür gibt es gar keinen Grund." Er machte es einem wirklich nicht einfach. "Wir stecken jetzt zusammen in dieser Sache, also regeln wir das irgendwie. Wäre doch gelacht." Der Vampir wirkte noch nicht ganz überzeugt, nickte schließlich aber. "Ich... Ich danke Euch." Für einen Moment glaubte ich sogar ein Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfen gesehen zu haben. Das war doch mal ein Fortschritt! Meine Laune jedenfalls besserte sich sofort. "Finden wir doch erst einmal heraus, was wir wissen. Vielleicht fällt uns dann ja etwas auf", schlug ich vor und bedeutete ihm, sich doch hinzusetzen. Der beste Vorwand, um über den aktuellen Stand informiert zu werden und mir nicht aus den Fingern saugen zu müssen, wieso ich denn überhaupt so viel wusste. Wortlos ließ ich mich vor ihm auf dem Boden nieder, als er begann, zu erzählen.   Der Vampir ließ nichts aus, fasste sich jedoch bei Dingen kurz, von denen er fand, sie wären privat oder ich müsste sie womöglich schon wissen. Er erzählte, wie Rhena und er sich getroffen hatten, ganz zufällig in einer Gaststube bei einem Wein. Sie hatte wohl schnell bemerkt, dass er kein Mensch war. Gute Beobachtungsgabe, das musste ich ihr lassen, denn auf den ersten Blick unterschied Dettlaff nichts von Menschen. Ich wusste ja lediglich, dass er keiner war. Während er erzählte, wie sie einander schließlich näher gekommen waren und Rhena entdeckt hatte, was er war, wie furchtlos sie gewesen war und nur beim ersten Anblick geflohen war, hielt Dettlaff den Blick gesenkt und hob ihn erst ob des Lobes auf Rhenawedds Mut. "Ihr seid ihr in dieser Hinsicht sehr ähnlich. Die meisten Menschen an Eurer Stelle wären geflohen, ganz gleich ob sie vorgewarnt gewesen wären." "Hättest du auf einmal acht Beine ausgestreckt, hätte ich den ganzen Garten zusammengeschrien. Versprochen", konterte ich mit einem Grinsen, dem er dieses Mal sogar wirklich mit einem kleinen Lächeln begegnete.  So wie er klang, vermisste er diese gemeinsamen Tage mit Rhena sehr. Als er schließlich berichtete, wie sie einfach verschwunden war und wie sehr ihn das erschüttert hatte, hatte ich schon fast vergessen, über welche intrigante Schlampe er hier eigentlich sprach. Wo endete Rhena, wo begann Syanna? Ich konnte es ehrlich nicht sagen, aber ich erinnerte mich gut daran, was sie zu Regis und Geralt gesagt hatte oder vielmehr sagen würde, ehe sie in Tesham Mutna auf Dettlaff träge, um sich zu erklären. Anfangs sei sie fasziniert gewesen, doch dann wäre ihr das alles zu viel geworden, denn Dettlaff liebe mehr wie ein Tier denn ein Mann. Doch eben so einer saß hier vor mir, das Herz schwer von einer Last, die nicht an ihm gewesen wäre zu tragen. Er lebte wirklich noch in einer Welt, in der Partner einander nicht verließen - und schon gar nicht einfach so. Wie würde ein eingefleischter Game of Thrones-Fan sagen? Oh sweet summer child.  Er erzählte schließlich, wie ihn der Brief erreicht hatte, in dem Rhenas Entführer drohten, ihre Gefangene zu töten, wenn er nicht tat, was sie verlangten. Also war er fügsam gewesen, denn so sehr er sich auch bemüht hatte, er hatte keine Spur aufnehmen können, die ihn zu den Entführern führten. Natürlich nicht, denn die Entführerin war ja Rhenasyanna selbst, die genau wusste, worauf sie achten musste, schließlich kannte sie Dettlaffs Fähigkeiten. Ich ballte die Hände zu Fäusten. "Ich habe sie seit damals nicht wieder gesehen. Das ist nun mehr als ein Jahr her", gab Dettlaff schließlich zu und senkte den Blick auf seine Hände. "Wenn sie ihr etwas antun..." Er stockte und seine Finger verkrampften sich nur noch weiter. "ich könnte es mir nie vergeben." Vorsichtig griff ich nach seinen Händen. Es fiel mir wirklich schwer, jetzt nicht zu weinen. Nicht nur ob der Traurigkeit seiner Geschichte, sondern weil ich die sehr viel bitterere Wahrheit kannte, die dahinter lag. Mein Schniefen war durch und durch echt, als ich meinte: "Ihr wird nichts passieren. Bestimmt geht es ihr gut. Wir finden sie." Seine Finger fühlten sich ganz kalt an, doch ich drückte sie dennoch sanft. Wäre doch nur Regis hier. Er wüsste bestimmt die richtigen Worte, um Dettlaff ein wenig Trost zu spenden. Ich hingegen wusste gar nicht, was ich sagen sollte.   Als mich die Sonne am nächsten Morgen weckte, dauerte es einen Moment, ehe mir überhaupt wieder klar war, wo ich mich befand. Im ersten Moment konnte ich nur Regale mit Spielzeugen sehen und war verwirrt, dann überfielen mich die Erinnerungen des letzten Tages förmlich. Ich war in Dettlaffs Werkstatt, seinem Versteck. Müde rieb ich mir über die Augen. Gut geschlafen hatte ich nicht und vermutlich auch nicht allzu lange. Wir hatten noch lange über Rhena gesprochen und darüber, was wir über ihren jetzigen Aufenthaltsort und die Situation wussten. Nicht viel, wenn man ehrlich war. Ich hatte aber zumindest noch versucht, Dettlaff auf die Frage zu lenken, was die Opfer gemeinsam hatten, die zu töten man ihm befohlen hatte. Mit dem Motiv, hatte ich argumentiert, könnte man vielleicht eine Spur zum Täter finden. Beinahe wie in einem Krimi, nur, dass ich das Ende schon kannte. Spoiler: Rhena war's. Ich wusste noch, dass ich behauptet hatte, Rhena etwa ein Jahr vorher auf einem Dorffest kennengelernt zu haben. Zufällig natürlich. Und ich hatte von meiner Begegnung mit Geralt berichtet, von den Greifen und sogar flüchtig von Derand. Aber mehr war mir auch schon nicht mehr vor Augen, geschweige denn, dass ich noch wusste, wann ich eingeschlafen war. Mit einem Grummeln erhob ich mich. Normalerweise war ich echt kein Morgenmuffel, aber ich fühlte mich wie gerädert. Das musste der Stress sein. Rasch richtete ich mein Kleid und sah mich nach Dettlaff um. Von ihm war nichts zu sehen, da dämmerte mir aber, in wessen Bett ich hier überhaupt lag. Ohje, hatte ich ihn auf den Boden verdammt? Verlegenheit und ein schlechtes Gewissen gaben sich in meiner Gefühlswelt die Hand, als ich die Leiter ansteuerte, die ins Erdgeschoss führte.  Schon vom Absatz aus konnte ich unten den Vampir erkennen, der über etwas gebeugt saß. Vermutlich ein Spielzeug. Still hockte ich mich an den Rand der Empore, die das Obergeschoss ausmachte und beobachtete Dettlaff einfach eine Weile bei seinem Tun. Da er mit keiner Regung zeigte, dass er mich gehört hatte, nahm ich an, dem wäre auch so und war umso überraschter, als er nach einigen Minuten unvermittelt das Wort an mich richtete. "Es gibt keinen Grund zur Furcht. Kommt doch hinab. Ihr solltet etwas frühstücken." Ertappt zuckte ich zusammen. "Äh... ja. Guten Morgen und... Danke", beeilte ich mich zu sagen, ehe ich die Leiter herunterstieg. Das Frühstück, bestehend aus Brot, Butter und Käse stand auf einem Schemel bereit. Dettlaff drehte sich nicht zu mir um, als ich dort Platz nahm und am Brot zu knabbern begann. So richtig Appetit hatte ich nicht bei allem, was so anstand. Vielleicht sollte ich auch einfach froh sein, dass er hierher geflohen war und nicht in die Gruft, die er mit Regis bewohnt hatte. Dass nebenan nämlich diese krabbeligen Spinnenviecher lebten, wusste ich noch ein wenig zu genau. So gerne ich Regis und die Gruft auch kennenlernen wollte, das könnte ich schlecht vorschlagen, denn Dettlaff hatte seinen Freund mit keinem Wort erwähnt. Offiziell wusste ich also gar nichts von Regis. Scheiße!   Die folgenden Tage waren die ruhigsten, die ich in dieser Welt überhaupt verbracht hatte und an denen ich nicht am Straßenrand neben einem schnarchenden Hexer schlafen musste. Dettlaff überließ mir das Bett im Spielzeugladen und zog sich nachts in ein "anderes Versteck" zurück, über dessen genauen Ort er sich vage hielt. Ich bohrte nicht nach. Stattdessen trafen wir uns morgens zum Frühstück und fanden sogar in gewisser Weise eine Zusammenarbeit, wenn ich nicht gerade in dem Buch über Temporalmagie blätterte, das mir Theodor hinterlassen hatte. Das meiste verstand ich allerdings überhaupt nicht. Meistens versuchte ich, Dettlaff zur Hand zu gehen. Zwar hatte ich keine Ahnung von der Spielzeugherstellung, doch ich konnte immerhin sauber machen und beim Bemalen helfen, was den Vampir sichtlich in Überraschung versetzte. Da machte sich das Hobby mal belohnt, denn auch wenn er mehr Übung hatte, gelangen mir Details doch ganz gut. Wie sich zeigte, verstanden Dettlaff und ich uns sogar so gut, sodass mir immer häufiger Dinge herausrutschten, die ihn innehalten ließen, weil sie kein Mensch dieser Welt und Zeit jemals so gesagt hätte. Zugegeben, ich hätte mir wohl zumindest verkneifen sollen, dass sich diese ganze Entführungssache doch nur irgendein gottverdammtes, verficktes, asoziales Arschloch ausgedacht haben könne. Der Vampir hatte mich mindestens eine geschlagene Minute nur fassungslos angestarrt, ehe ich mich eilig für meine Wortwahl entschuldigte. Davon ab, erwiesen wir uns jedoch als ganz gutes Team. Während er tagsüber arbeitete, schlich ich mit einer Haube über dem Haar durch die Stadt, um Neuigkeiten aufzuschnappen. Manchmal begleitete mich Dettlaff sogar. Die Geschichte meiner Entführung hatte auf jeden Fall die große Runde gemacht und überall hörte man davon, dass der Hexer seine Gefährtin suche, eine mächtige Monsterbändigerin. Eine Aussage, über die ich beim ersten Mal schon herzlich lachen musste, was mir einen tadelnden Blick des Vampirs an meiner Seite einbrachte. "Ach komm, das ist lustig", versuchte ich ihn kichernd zu überzeugen. "Monsterbändigerin. So könnte man wohl nennen, was du tust." Ich musste nur wieder lachen. Erst als ich mich beruhigte, dämmerte mir, dass er bei Monster in diesem Zusammenhang nicht an Dean und Sam oder den Glumaar gedacht hatte, sondern an sich selbst. Zu unserem Glück trafen wir jedoch auf niemanden, der mich kannte oder mit dieser strengen Haube erkannt hätte. Dass ich das Ding innig hasste, stand auf einem anderen Blatt, aber als Tarnung klappte es echt gut. Ohne die langen blonden Haare war ich nur ein weiteres Bauernweib an der Seite ihres - als was sahen die Leute Dettlaff wohl, wenn er mich begleitete? Meinen Herren, für den ich arbeitete? Vermutlich. Auf jeden Fall funktionierte die Tarnung. Ich für meinen Teil nutzte jedoch besonders die Tage, an denen ich allein war, um mich nach Regis umzuhören, doch der war so subtil und unaufdringlich, dass ich nirgends von ihm hörte. Direkt nach ihm zu fragen, traute ich mich nicht. Das könnte Geralt auf den Plan rufen und den wollte ich lieber noch ein wenig auf Abstand zu Dettlaff halten. Nur zur Sicherheit, zumal meine Lügen allesamt aufflögen, wenn Geralt auf den Vampir traf. Der Hexer würde garantiert sofort wissen, dass etwas im Busch war und dann stand ich bis zum Hals in der Scheiße. Da könnte ich mich niemals herausflunkern und solange die Wahrheit zu sagen, mir unmöglich war, hatte ich wenig Optionen.   Vier Tage musste ich warten, dann schnappte ich auf, worauf ich gelauscht hatte. Eine Soiree bei Orianna, an der zahlreiche Künstler teilnähmen. Dort würden die Herzogin und Geralt über den Cintrier stolpern. Vielleicht zumindest. Aber es gab mir eine grobe Idee, wie viel Zeit noch war und dass jetzt vielleicht ein guter Moment war, um Dettlaff auf die richtige Spur zu bringen, ehe Geralt diese fände. Von Geralt hörte ich freilich auch an jeder Ecke etwas. Der mysteriöse Monsterschlächter aus dem Norden, der das Biest jagen sollte. Einige munkelten, es habe des Hexers Gefährtin entführt, um sie zu foltern, wieder andere behaupteten, das Monster und der Hexer stritten sich um die Dame. So ein Schwachsinn! Die Leute hier hatten wirklich zu viel Freizeit, wenn sie aus den Fakten so einen Blödsinn zusammendichteten. Hauptsache kitschig bis zum Erbrechen. Garantiert musste Geralt darüber mindestens so sehr den Kopf schütteln wie ich. Das Glück war mir heute hold. Niemand hatte weiter Notiz von mir genommen, als ich die Straße entlanggerannt war, um zurück zum Spielzeugladen zu gelangen. Noch ehe die Tür hinter mir zufiel, prasselte heftiger Regen. "Dettlaff?", überfiel ich den Vampir förmlich, der den Blick fest auf ein kleine Holzpferd gerichtet hatte, das er gerade behutsam zurechtfeilte. "Ich habe Neuigkeiten. Ich glaube, ich weiß, wo Rhena ist!", ereiferte mich, nun seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf mich ziehend. "Wo?" Vergessen waren Feile und Holzpferd. Dettlaff war aufgesprungen und stand nun, den Blick auf mich fixiert, beinahe bedrohlich da. "Was hast du erfahren?" Immerhin duzte er mich jetzt, bemerkte ich zufrieden. "Zwei Männer haben sich über eine Frau unterhalten. Eine dunkelhaarige Fremde, die als Gast in einer Burg hier in der Nähe weile! Einer hat dem anderen den Weg gewiesen. Ich kann uns dorthin führen!" Uns. Darauf lag hier die Betonung. Angst müsste ich zumindest vor dem Burgherren und seinen Leuten keine haben. Zu gut erinnerte ich mich daran, mit welcher Leichtigkeit Regis und Dettlaff im Spiel durch diese Leute gepflügt waren. So nutzlos hatte ich mich als Geralt nie zuvor und nie wieder danach gefühlt. "Und du bist dir sicher?" Dettlaff zögerte. "Es könnte eine Adelige sein..." "Nein, ich bin absolut sicher! Einer hat sich über ihr Verhalten beschwert und das klang absolut nach Rhena!", ereiferte ich mich, mich immer tiefer in meiner Lüge verstrickend. Ich war so am Arsch, wenn das rauskam. Bevor Dettlaff auf Syanna traf und herausfand, was eigentlich los war, konnte ich aber auch nicht abhauen, sonst würde sie das Opfer mimen und Dettlaff es blind glauben. Ich konnte sehen, wie der Vampir noch immer zögerte. "Was haben wir zu verlieren?", bohrte ich nach. "Wenn sie es ist, könnten wir sie retten und herausfinden, was hinter all dem steckt!" Das genügte offenbar, um Dettlaff umzustimmen, denn nun nickte er langsam. "Dann sollten wir keine Zeit verschwenden." Seine Stimme klang kalt und ich konnte sehen, wie er die Hände zu Fäusten ballte. "Ich werde die Männer, die sie entführt haben, töten." Sein Blick wanderte zu mir, als gelte mir diese Warnung. Glaubte er, ich konnte den Anblick nicht ertragen? Dagegen würde ich nicht argumentieren. So hart war ich nicht, seit all dieses Morden um mich herum Realität geworden war. Im Spiel war das eben etwas ganz anderes. Zugleich galt mir diese Mahnung auf einer Ebene, die er noch gar nicht ahnte. Immerhin hatte ich ihn auch belogen, Rhena betreffend. Nicht so wie sie und nicht mit der Intention, ihm zu schaden, aber nichts desto trotz hatte ich gelogen und ihn manipuliert. Hoffentlich geriet ich nicht in die gleiche Situation wie alle anderen vor Ort - nämlich in die, einen wütenden Vampir gegen mich zu haben. Ich schluckte. "Brechen wir direkt auf."   Das war eine beschissene Idee gewesen. Eine richtig beschissene Idee. Innerlich schlug ich mir kräftig an die Stirn, weil ich nicht einfach noch einen Tag die Füße still gehalten hatte, dann müsste ich jetzt nicht durch den strömenden Regen. Zu Fuß eilte ich Dettlaff hinterher, der ein strenges Tempo anschlug und es offenbar kaum erwarten konnte, dass ich ihm zeigte, wo wir hinmüssten. Den Ort hatte ich absichtlich noch nicht mit Namen genannt, so konnte ich später behaupten, diesen selbst nicht gewusst zu haben. Außerdem hatte ich Sorge, dass er mich - sicherlich in bester Absicht und um meiner Sicherheit willen - zurückließ, um seine Rhena alleine zu befreien. Das wiederum würde ihren Arsch retten und meinen direkt ins Aus befördern, denn so leicht ich ihre Lüge aufdecken konnte, vermochte sie es mit meiner. Mit einem großen Schritt umging ich eine Pfütze und konnte doch das schmatzende Geräusch des Matsches unter meinen Schuhen hören. Die waren zwar eh längst ruiniert durch meine Zeit hier in dieser Welt, doch besser würde es so auch nicht. Der Abstand zu Dettlaff wurde immer größer. "Warte!", rief ich ihm nach, als ein Regenschleier seine gestalt bereits verwischte. Zu meiner Erleichterung hielt er wirklich inne und sah fast ein wenig schuldbewusst drein, als ich aufschloss. "Verzeih. Es ist nur..." "Schon klar, du hast es eilig", lenkte ich lächelnd ein und wischte mir mit dem Ärmel über das regennasse Gesicht. Eine Geste, die ich mir getrost hätte sparen können, denn es goss noch immer wie aus Kübeln. "Da entlang", wies ich. "Sie sprachen von einer Bu-hu-hu-hurg!", nieste ich das letzte Wort.   Während wir uns Burg Tynne näherten, blieb Dettlaff an meiner Seite. Seine Anspannung allerdings war unverkennbar. Er war wirklich mies darin, zu verbergen, wie es in ihm aussah. Seine verbissene Miene und seine ganze Haltung verrieten ihn völlig. Durch und durch eine ehrliche Haut. Gerade, als ich fragen wollte, wie wir uns denn überhaupt vorstellen sollten und ob es nicht sicherer wäre, wenn man ihn dort nicht sah - womöglich war sein Gesicht den Leuten vor Ort ja bekannt - ließ mich ein schrilles Fiepen aufhorchen. Ich kannte dieses Geräusch doch! Schon im nächsten Moment rammte sich etwas in meinen Brustkorb, das mir die Luft aus den Lungen trieb. Hilflos japste ich auf uns wäre ohne Dettlaffs stützende Hand in meinem Rücken garantiert rücklinks im Matsch gelandet. Wieder quietschte es und dieses Mal konnte ich erkennen, was mein Verstand bereits gehofft hatte. Die Winchesters! "Meine Babys!", freute ich mich ungeniert, die Arme um den vor mir flatternden Dean schließend, der mich eben beinahe aus den Latschen geflogen hätte. Sam umkreiste mich freudig krächzend. "Sam, Dean, das ist Dettlaff", stellte ich sie einander vor, was Dean nur mit aufgeregtem Kreischen kommentierte. Die beiden waren wirklich groß geworden, musste ich erschrocken feststellen. Inzwischen waren sie glatt so groß wie Dachse, wenn nicht größer. Dabei hatten wir uns nur ein paar Tage nicht gesehen. Das hieß dann wohl aber, dass sich Geralt um die Zwei gekümmert hatte. Apropos Geralt... wo steckte der? Wenn die Winchesters hier waren, war der Hexer womöglich auch nicht weit. Die gleiche Überlegung schien auch Dettlaff angestellt zu haben. Angespannt sah der Vampir sich um, wann immer sein Blick nicht voller Erstaunen über die Winchesters huschte. "Das sind also die beiden Greifenjunge. Sie sind... sehr zutraulich." Stolz nickte ich. "Sie sind zwei echte Schätzchen, nicht wahr? Sooo süß!", drückte ich Sam einen Kuss aufs Köpfchen, der wie zur Bestätigung krächzte. "Von dem Hexer ist jedoch keine Spur", fügte Dettlaff nachdenklich hinzu. Hatte Geralt die Kleinen etwa sich selbst überlassen? Gnade ihm Gott, wenn das so war. Eiskalt durchfuhr es mich ohne jede Vorwarnung. Genauso wie vor etwa zwei Wochen im Stall, genauso wie in den Ruinen und genauso wie im Gewächshaus. Die gleiche Kälte, die immer ein wenig blieb, wenn Dettlaff nahe war. Doch der war die ganze Zeit hier. Waren das meine Instinkte, die vor Gefahr warnten? Oder womöglich vor einer ganz speziellen? Vielleicht spürten Menschen ja doch irgendwie, wenn Vampire nahe waren und es war nur noch keinem aufgefallen? Geralts Sinne waren so verändert, der war keine gute Quelle und andere Leute würden einen Vampir ja niemals erkennen. "Ich glaube, es ist aber noch jemand anderes hier", murmelte ich und lenkte damit Dettlaffs Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Er runzelte die Stirn, dann sah er wieder zu mir. "Theodor. Ich habe ihn vor ein paar Tagen in einer Ruine gesprochen. Er ist..." Ich zögerte. "Ein Vampir." Einer, der mir ein mehr als fragwürdiges Buch überlassen hatte, aus dem ich partout nicht schlau wurde. Dettlaffs Miene zeugte von Skepsis. "Bist du dir si-" "Bin ich", unterbrach ich ihn einfach. "Er hat mich schon ehe ich nach Toussaint kam gezielt aufgesucht. Wir kamen allerdings nicht dazu, uns ausgiebig zu unterhalten." Sollte es mir zu denken geben, dass ich auf der einen Seite einen Vampir retten wollte, während ein anderer mich irgendwie verfolgte und Bücher hinterließ, die unangenehm darauf hinwiesen, dass er mehr darüber wissen könnte, wie ich hergekommen war? Ja, eindeutig. Sogar mir bereitete das Bauchschmerzen. Ich schüttelte die Kälte so gut es ging ab, was nicht wirklich gelang, so nasskalt wie es ohnehin schon wetterbedingt war. "Gehen wir weiter. Rhena könnte hier sein." Das überzeugte Dettlaff zum Glück.   Kapitel 11: Rhenawedd --------------------- Wir konnten vermutlich von Glück sagen, dass es so regnete und man die Hand vor Augen kaum sah. Mir würde das zwar ziemlich sicher eine herbe Erkältung einbringen, denn schon jetzt fror ich erbärmlich in meinem Kleid und hätte jederzeit den Regen gegen karibische Sonne eingetauscht, aber zumindest konnte man uns so von den Burgmauern aus auch nicht sehen. Sonst hätten uns die Bogenschützen bestimmt unter Beschuss genommen. Hören konnten wir die nämlich allemal, jedoch gedämpft, als wären sie weit weg. Vermutlich hockten die irgendwo zusammen, soffen sich einen und spielten Karten. Damit man uns nicht sofort bemerkte, waren wir vom Weg abgewichen und über ein Feld gestapft, immerhin hatten wir nicht gerade vor, freundlich anzuklopfen und mal Hallo zu sagen. Ganz besonders Dettlaff nicht. Immer wieder ließ ich den Blick schweifen, doch der Regenschauer verschleierte alles um mich herum, sodass ich im Grunde nichts weiter sah, als graue Schemen. War einer davon Theodor? Wenn ja, was wollte er hier? Wenn dieser Kerl sich mit mir unterhalten wollte, sollte er sich gefälligst einfach zeigen und endlich Klartext reden. Er wusste irgendetwas, soviel war klar. Wie sonst sollte ich das Buch deuten, das er mir da gelassen hatte? Sollte mir das helfen oder mich nur verunsichern? Im Moment tat es vor allem letzteres. Keine Ahnung, was ein Vampir - zumal die ja nichtmal Magie benutzen konnten - mit meiner Anwesenheit hier zu tun hatte, aber dass mich einer stalkte, half nicht gerade dabei, mich wohl zu fühlen. Als hätte dafür nicht schon die vor mir liegende Situation genügt. Auf die sollte ich mich jetzt wohl besser konzentrieren. Wenn Theodor mir etwas zu sagen hatte, sollte er das Maul aufmachen, befand ich im Stillen, mich über den Vampir ärgernd. Im Grund war es dennoch erst Dettlaffs Hand in meinem Rücken, die mich wirklich dazu anhielt, Theodor Theodor sein zu lassen. "Weiß der Hexer, dass dich jemand verfolgt?", erkundigte sich Dettlaff wie beiläufig, doch ihm war ein Hauch Sorge anzuhören. "Glaub' nicht. Ich hab's ihm zumindest nicht erzählt", gab ich zu. Dass das ziemlich dumm klang, war sogar mir klar, doch wenn Theodor wirklich wusste, woher ich kam und womöglich auch, wie ich zurück käme, dann wäre es nicht gerade vorteilhaft, ihn zu vertreiben oder mir zum Feind zu machen. "Geralt ist... in manchen Dingen etwas vorurteilsbehaftet", erklärte ich nur ausweichend und konnte zu meinem Glück nicht sehen, wie Dettlaff die Stirn runzelte, als wolle er mich wissen lassen, dieses Mal die Meinung des Hexers zu teilen. "Gehen wir weiter, Rhena wartet", lenkte ich Dettlaffs Aufmerksamkeit weg von meinem persönlichen Stalker. Rhena war wirklich ein Zauberwort, dessen Wirkung auf den höheren Vampir ich in den letzten Tagen oft genug hatte beobachten können. Wann immer er unschlüssig war, zögerte oder zu verzweifeln schien, half es besser als jegliche Logik und jede Erklärung, die ich sowieso hätte herbei lügen müssen. Seine ganze Welt drehte sich um sie. Da war die Schadenfreude, die ich bei meiner Reise nach Toussaint noch bei der Vorstellung, Syannas Intrigen aufzudecken, empfunden hatte, schnell geschwunden. Ihr könnte das alles nicht halb so Leid tun, wie es sollte. Im Spiel hatte sie ja auch keine Reue gezeigt und nicht einmal versucht, sich bei Dettlaff zu entschuldigen. Klar, sie hatte sich erklären wollen, doch das war auch echt das Mindeste, jedoch nicht das Problem. Ob sie das nicht hatte begreifen können oder wollen, konnte ich bis jetzt nicht sagen. Je näher wir Burg Tynne kamen, desto mehr ließ der Regen nach. Dafür zog Nebel auf. Ideal, um sich rein zu schleichen. Gezielt zog ich Dettlaff mit mir, noch ehe wir die Burgmauern erreichten. Überwinden könnte ich die ja sowieso nicht ohne Hilfe, aber ich hatte noch eine grobe Idee, wo Geralt rein geklettert war. Vielleicht könnten Dettlaff und ich uns diese Lücke auch zunutze machen. Dass ich dem mein Tun nicht erklärte, sondern ihn aus seiner Sicht wahllos einfach in eine Richtung zog, fiel mir erst auf, als er es ansprach. "Was hast du vor, Daelis?" Ungeduld schwang in Dettlaffs Stimme mit. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er am liebsten direkt los geprescht wäre, um die Burg auf den Kopf zu stellen und seine Rhena zu finden. Allein mein Hiersein hielt ihn davon ab, denn folgen könnte ich einem Vampir auf keinen Fall, sobald der erst einmal loslegte. "Ich denke, wir sollten besser nach einer Art Hintereingang suchen. Einem Schlupfloch. Ich kann ja schlecht über die Mauer springen", versuchte ich zu erklären. Sam fiepte zustimmend, ehe er im nassen Gras neben mir landete, um dann dort wie ein Hund "bei Fuß" an meiner Seite zu bleiben. Dean hingegen zog über unseren Köpfen immer weitere Kreise. Hoffentlich entdeckten ihn die Armbrustschützen nicht, die hinter den Mauern lauerten. Sonst wären nicht nur alle Burgbewohner in Alarmbereitschaft, sondern mein Baby obendrein in höchster Gefahr. "Ich bezweifle, dass wir eine Leiter finden werden", klang Dettlaff schon fast amüsiert, während wir durch nunmehr kniehohes Gras wanderten. Insgeheim musste ich ihm Recht geben. Selbst wenn ich diesen Schuppen fand, über den Geralt gestiegen war - ich könnte das nicht. Selbst wenn man meine Ungeschicklichkeit in Sachen Klettern beiseite ließ, wäre ich vermutlich nicht einmal groß genug, um überhaupt an den Rand des Dachs fasse nzu können, geschweige denn, dass ich in der Lage wäre, mich dort hoch zu ziehen. Allerdings kam es auf keinen Fall in Frage, dass ich einfach hier wartete. Verdammt! Im Nebel hätte ich den Verschlag in den Büschen beinahe übersehen. "Ich denke", begann Dettlaff neben mir, während ich ein paar nasse Zweige beiseite schob, um den zugegeben nicht besonders stabil wirkenden Schuppen zu inspizieren, "dass du besser zurück gehen solltest. Hier bist du unnötig in Gefahr. Rhena wü-" "Rhena würde auch nicht kuschen", unterbrach ich ihn brummelnd und sprang in die Höhe. Fast kam ich die Dachkante. Soviel also dazu. Vielleicht gab es ja in dem Schuppen etwas, das mir beim Klettern half. Hinter mir konnte ich Dettlaff seufzen hören. "Es ist gefährlich." Das gleiche könnte man auch über ihn sagen, doch die Bemerkung verkniff ich mir. "Was ist das nicht? Du redest mit jemandem, der Glumaare beschützt und Greifen großzieht", scherzte ich stattdessen halbherzig, während ich an der Tür rüttelte. Ob sie nun verschlossen war oder klemmte, ich bekam sie nicht auf. "Ach scheiße!", entfuhr es mir verärgert. Ich verpasste der Tür einen Tritt, jedoch tat das eindeutig mir mehr weh als der Tür, die nur ein wenig ruckte. Gerade wollte ich schon den nächsten, dieses mal eher schmerzerfüllten als wütenden Fluch loslassen, als mich etwas um die Hüften griff. Ehe ich mich versah, hatte Dettlaff mich mit der selben Leichtigkeit wie schon einmal hochgehoben. "Ich bringe uns über die Mauer. Halt dich fest." Das brauchte er mir wirklich nicht zweimal sagen. Meine Finger krallten sich wie von selbst in das Leder seines Mantels, da spürte ich auch schon einen kalten Luftzug und alles drehte sich. Hatte ich schon erwähnt, dass ich so etwas hasste wie die Pest? Karussells waren nie ein Thema gewesen, aber sobald es in die Höhe ging, war ich raus. Und ja: fünf Meter waren hoch! Aus reinem Reflex hatte ich die Augen zugekniffen, um wenigstens nicht sehen zu müssen, wie hoch diese verdammte Mauer wirklich war. Meiner Einschätzung nach mindestens 15 Meter, allerdings lag ich bei solchen Schätzungen gerne kräftig daneben. Wie mich Dettlaff absetzte, etwas sagte und schließlich meine verkrampften Hände von seinem Mantel löste, bekam ich nur halb mit. Mein Herz raste und zugleich fühlte ich mich wie erstarrt. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich lieber ein Loch unter der Mauer gebuddelt, als darüber zu springen. Auf einer Leiter hätte ich wenigstens die Illusion gehabt, etwas festen Boden unter den Füßen zu haben. Erst, als mich Dettlaff eilig mit sich in den Schatten eines Unterstandes zog, in dem zwei Pferde standen, beruhigte sich mein Puls wieder. Die beiden Tiere sahen sofort zu uns und wurden merklich unruhig. Verdammt, stimmt. Da war ja was. In einem der Bücher erwähnte Regis, dass Pferde sehr scheu auf Vampire reagieren. Sie spürten instinktiv, dass diese keine Menschen waren, wenn sie auch so aussahen. "Eine Patroullie", raunte der Vampir leise, dann hörte ich auch schon Stimmen und Schritte. "Dass der Alte sich so anpisst. Es sind doch nur ein paar Äpfel. Man könnte glatt meinen, hier herrsche eine Hungersnot", ließ eine dunkle Stimme missgelaunt vernehmen und erntete ein Lachen aus rauer Kehle. "Kennst ihn doch. Macht immer so einen Heckmeck. Wette, er ist nur so mies drauf, weil seine Frau ihn nicht mehr ranlässt, seit sie ihn mit der Nachbarin in den Feldern erwischt hat." Ich konnte hören, wie die beiden Männer lachten, offenbar nicht ahnend, dass sie belauscht wurden. Also hatte es noch keinen Alarm gegeben. Nervös war ich dennoch und ohne es überhaupt selbst zu bemerken, hielt ich sogar den Atem an. "Du solltest hier warten." Hier warten? Fassungslos starrte ich Dettlaff an. Er konnte es ja nicht wissen, aber wenn ich hier wartete und Anna Henriettas Leute oder Geralt hier aufkreuzten, wäre ich so gut wie tot, wenn ich hier blieb. Von verirrten Pfeilen mal abgesehen, war die Chance zu hoch, dass mich jemand entdeckte und mich eine oder beide Seiten für einen Feind hielten. Nein, ich wollte ganz bestimmt nicht hier blieben, auch wenn Mitkommen ein eigenes Risiko barg, das ich nur zu gern ausblendete. Ich wusste genau, wo Syanna war und wie das Treffen beider verlaufen würde. Sie würde sich herauswinden, würde Lügen erfinden, wenn Geralt und Regis nicht dabei wären, um alles aufzuklären. Dettlaff würde glauben, er habe seine liebste Rhena gerettet, die zugleich meine Lügengeschichten alle auf einmal auffliegen lassen würde. Ich musste auf jeden Fall dabei sein, um Syannas Lügen aufzudecken, auch wenn ich noch nicht so richtig wusste, wie ich das am besten anstellen sollte. Mich selbst würde ich in jedem Fall in die Scheiße reiten. "Ich komme mit", entschied ich und auch wenn ich sehen konnte, wie der Vampir innerlich seufzte, versuchte er nicht noch einmal, mich vom Gegenteil zu überzeugen, sondern nickte nur ergeben. "Bleib in Deckung. Ich gebe dir ein Zeichen, wenn du herauskommen kannst." In der Theorie eine gute Idee, erwies sich das in der Praxis als gar nicht so einfach. Dettlaff war vorgeprescht und natürlich sofort angegriffen worden. Aus meinem Versteck, wenn man es denn so nennen wollte, konnte ich die wütenden Rufe und mehr als einen Fluch hören, ehe ein unangenehmes Knacken folgte. Eigentlich hatte ich mich echt nie für empfindlich gehalten, besonders nicht, seitdem ich mit Geralt reiste und schon das eine oder andere Leichenteil gesehen hatte, doch das Geräusch genügte, damit sich mir ein wenig der Magen umdrehte. In Filmen hatte mir das nie etwas ausgemacht. Als dann noch der Geruch von Blut dazu kam, war ich wirklich mehr als heilfroh, dass ich nicht sehen musste, was genau da passierte. Dass Dettlaff die Schützen nicht fürchten musste, wusste ich ja. Selbst wenn sie Silberwaffen hätten, könnten sie ihn nicht töten, vermutlich nicht einmal aufhalten. Hastige Schritte und Rufe kündeten von weiteren Burgbewohnern, zweifellos allesamt bewaffnet. Unischer duckte ich mich in mein Versteck. Ein Fehler, wie ich schnell merken sollte. Meine Bewegung hatte wohl jemand aus dem Augenwinkel bemerkt, denn im nächsten Moment richtete sich auch schon eine Armbrust auf mich. "Rauskommen! Langsam!", wies mich der Mann an, auf dessen Wange ich eine Narbe erkennen konnte, die ziemlich übel aussah. Als habe jemand etwas hineingebohrt. Als ich nicht sofort reagierte zuckt er mit seiner Waffe. "Ich sagte: Sofort!" Er klang mehr wütend als nervös und so taumelte ich eilig aus meiner Ecke heraus, die Hände erhoben. "Ich bin unbewaffnet!", brachte ich heraus, meine eigene Stimme schrill vor Angst. Seit ich in dieser Welt angekommen war, hatte ich so einiges erlebt und überlebt. Wenn ich eines jetzt ganz sicher nicht wollte, dann durch irgendeinen Namenlosen in dieser ollen Burg mit einer Armbrust erschossen zu werden. Da wäre selbst der Greif ein würdigeres Ende gewesen. "Na, was haben wir denn da. Ein kleines Fräulein", wechselte sein Tonfall von alarmiert sofort eher zu amüsiert, als er mich sah. Am liebsten hätte ich dem Kerl sofort eine gelangt. Der Sexismus in dieser Welt war wirklich schwer zu ertragen. War man nicht gerade eine mächtige Zauberin oder Herrscherin, gab es dauernd solche Bemerkungen. Niemand nahm einen für voll. "Bist du eine neue Dienerin? Egal. Mitkommen, Kleines. 'S Gibt einen Eindringling. Wollen doch nicht, dass es dich erwischt. Kannst mir zum Dank das Lager heut Nacht wärmen." Ughs. Als ob! Ich verzog das Gesicht, als er die Hand nach mir ausstreckte. "I-ich habe mich nur etwas verlaufen und sollte lieber schnell zu-" "He! Die kenn ich!", unterbrach mich ein junger Mann, der herangeeilt war. Er mochte kaum älter als 18 sein, gerade so ein Erwachsener in meinen Augen und doch hielt er ein Schwert in der Hand, wohl um den Eindringling - also Dettlaff und irgendwie auch mich - bekämpfen zu können. "Das ist die Bestienbändigerin, die mit dem Hexer hergekommen ist!" Der Jungspund deutete mit ausgestrecktem Finger auf mich und wie um seine Worte zu bekräftigen, kam im nächsten Moment auch schon Dean angeflattert. Kreischend flatterte der nicht mehr ganz so kleine Greif vor dem Armbrustschützen herum, der erschrocken zurückwich. Die Jungs hatten vermutlich über der Burg ihre Kreise gedreht und waren durch den Tumult angelockt worden, denn aus Sam kam heran geflogen, um sich neben meinen Füßen zu postieren und aufzuplustern. Beinahe, als wäre er ein Wachhund. Mir jedoch bereitete das Ganze eher Sorge, denn ich wollte auf keinen Fall, dass die beiden Männer auf die Greifenküken losgingen, die in meinen Augen noch immer Babys waren und vielleicht immer bleiben würden. "Scheiße! Verpiss dich, du Mistvieh! Sonst mach ich dich kalt!", konnte ich den jungen Mann schimpfen hören, während derjenige mit der Narbe, bereits seine Armbrust fallen ließ, in die sich Dean erfolgreich verbissen hatte. Stattdessen zog der Mann sein Schwert. Doch zu spät. Ein nasses Gurgeln entkam seiner Kehle, schwarzer Nebel fand seinen Weg an ihm vorbei, umringe den jüngeren Mann und brachte diesen zu Fall, als er sein Heil in der Flucht suchte. Dettlaff. Ich musste nicht genau hinsehen, um zu wissen, dass beide Männer tot waren. Die reglosen Körper am Boden und die schimmernden roten Pfützen, die sich unter ihnen ausbreiteten, verrieten mir das auch so. "Darum solltest du im Versteck bleiben", hörte ich den Vampir grimmig anmerken. Seine Stimme verriet, dass seine Gesichtszüge gerade vampirisch sein mussten und er mir deshalb noch den Rücken zuwandte. "Das bin ich", protestierte ich kleinlaut und fügte hinzu: "Aber ich wurde entdeckt. Danke für deine Hilfe." Ich erschreckte fast selbst darüber, wie dünn und zittrig meine Stimme klang. Die Zeit hier in dieser Welt zeigte mir erst, wie brutal und schonungslos das Leben zu einer anderen Zeit gewesen sein musste. Für mich eine Neuerung, an die ich mich vielleicht nie gewöhnen würde. "Hier entlang", wies mir Dettlaff den Weg, während Sam neugierig sein Hosenbein beschnupperte. Dem Vampir war anzusehen, dass er der Meinung war, es wäre besser gewesen, wäre ich nicht mitgekommen, nachdem ich es schon jetzt geschafft hatte, mich in Gefahr zu bringen. Dafür, dass er das nicht laut aussprach, war ich im Stillen dankbar. Müsste ich nicht hier sein, um Syannas Lügen aufzudecken, hätte ich garantiert die Sicherheit der kleinen Werkstatt vorgezogen. Doch welche Wahl hatte ich schon angesichts der Situation? Zumindest war ich mit meinen nicht mehr ganz so kleinen Schützlingen wieder vereint. Dean kreischte nun auch nicht mehr aufgeregt, sondern landete förmlich in meinen Armen. Herr im Himmel, war der schwer geworden! Ein richtiges kleines Dickerchen! Nur wenige Meter weiter, hielt Dettlaff den Arm vor mich und schnitt mir damit den Weg ab. "Warte." Ehe ich antworten konnte, war er auch schon voraus gerauscht, aufgelöst in den schwarzroten Nebel, in den er sich immer wieder mal verwandelte. Dieses Mal konnte ich überhaupt nichts sehen, doch aufgeregtes Rufen und ein langgezogener Schrei folgten, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Wenn ich daran dachte, dass ich mir mit meinen Lügen Dettlaff auch zum Feind machen würde, wurde mir ganz anders. Zumindest würde es schnell gehen, meldete sich mein Galgenhumor in meinem Hinterkopf zu Wort. Dann blieb es still. Kein Zeichen von Dettlaff. Ungeduldig blickte ich mich um, während Sam zu meinen Füßen sich an meinem Bein rieb, wie es eine Katze getan hätte. Gerade, als ich entschied, nicht länger darauf zu warten, dass vielleicht weitere Patrouillen dazu kamen und mich entdeckten, konnte ich eine mir nur allzu gut bekannte Stimme hören. "Was hast du mit ihr gemacht?", erklang es hörbar wütend von Geralt. "Wo ist sie?" Ich brauchte ihn nicht zu sehen, um zu wissen, dass er vermutlich gerade seine Silberklinge zog, wenn er sie nicht schon in der Hand hielt. Eine deutlich ruhigere Stimme mischte sich ein und auch wenn ich die Worte nur dem Sinn nach ausmachen konnte, wusste ich sofort, wer da versuchte, zwischen Geralt und Dettlaff zu schlichten. Regis. Also hatten sich die beiden gefunden, obwohl ich den eigentlichen Zeitverlauf gestört hatte. Wie sie wohl auch den Cintrier und den Sangreal gestoßen waren? Das befleckte Stück Papier, das eigentlich als Hinweis diente, lag schließlich noch auf Dettlaffs Schreibtisch. "Ich bin hier. Mir geht es gut!", mischte ich mich ein, auf die drei ungleichen Männer zu eilend mit den beiden Greifen im Schlepptau. Sofort wandten sich mir alle Blicke zu. In Geralts glaubte ich, sogar ganz kurz so etwas wie Erleichterung zu erkennen, ehe er die Winchesters bemerkte, die mit auf dem Fuße folgten. "Wie ich sehe, haben deine Viecher dich auch schon gefunden", brummelte der Hexer missmutig, ehe er seine Aufmerksamkeit in Dettlaffs Richtung wandte, die Silberklinge fest in der Faust. Deutlich entspannter wirkte Regis, den ich jetzt zum ersten Mal traf. "Ich freue mich, Euch nun persönlich kennen zu lernen, Lady Daelis. Wenn ich mich vorstellen darf: Regis Godefroy." Da hatte er aber ordentlich gekürzt. Dass sein voller Name deutlich länger war, wusste ich sehr genau, doch darauf kam es im Moment ja wirklich nicht an. "Die Freude ist ganz auf meiner Seite, aber wir sollten", begann ich und bemerkte erst, dass Regis meinen Handrücken hatte küssen wollen, als ich seine Hand bereits schüttelte. "Wir sollten zusehen, dass wir weiterkommen. Soweit ich das verstanden habe, gibt es hier zwei Frauen zu befreien", unterbrach mit Geralt und nickte gen Hauptgebäude, das sich hinter einem niedrigen Gebäude, vermutlich Gesindewohnungen, bereits abhob. "Zwei?" Dettlaff runzelte die Stirn. "Ah, in der Tat. Wir vermuten die Schwester der Herzogin ebenfalls hier und wollen wie, wie auch deine Rhena, retten", erklärte Regis ruhig und am liebsten hätte ich direkt heraus posaunt, dass es hier nur eine Frau zu finden gab und die ganz sicher keine Rettung benötigte. Die Miene Dettlaffs blieb undurchsichtig. Für irgendeine Adelige interessierte er sich natürlich nicht. "Gehen wir", grollte er schließlich, merklich ungeduldig. Noch ehe Geralt oder Regis hätten etwas erwidern können, ging Dettlaff voran. Uns entgegen kamen auch schon die ersten Kämpfer des Burgherren. Ihn selbst hatte ich noch nicht bemerkt, allerdings war ich auch absolut nicht sicher, ob ich ihn überhaupt erkennen würde. Er wusste ohnehin nicht, worin er hier verstrickt war und wäre keine Hilfe. "Halte dich hinten. Du und die hässlichen Biester", grollte Geralt mir mit einem Blick entgegen, der mich ahnen ließ, dass ich einige Fragen beantworten müsste, wenn die Zeit gekommen war. Darauf freute ich mich ja so mal gar nicht. Selbst wenn es mir gelänge, mich aus Dettlaffs Fragen herauszuwinden, die ich ja eigentlich nicht beantworten konnte, würde es bei Geralt sehr viel schwieriger. Ganz zu schweigen von Regis. Der Vampir mochte nicht so energisch nachhaken wie Geralt, doch ich hielt ihn für deutlich klüger und zweifellos würde er näher an die Wahrheit herankommen, die ich so vehement verbarg, als der Hexer. "Ich bleibe in Eurer Nähe, Daelis. Seid versichert, Euch wird nichts geschehen", wandte sich Regis mit einem wohlwollenden Lächeln an mich. Dankbar nickte ich ihm zu. Was er wohl von mir denken mochte? Geralt hatte ihm sicher erzählt, wie er mich gefunden hatte und dass ich mich mit Dettlaff verstand, brachte sicher Bonuspunkte. Blöd, dass die mich vielleicht auch nicht retten würden, wenn meine Lügen aufflogen. "Danke", gab ich leise zurück. "Ich werde versuchen, kein zu großer Klotz am Bein zu sein." Denn genau das war ich in dieser Situation, egal wie man es drehte. Ich hatte noch gut in Erinnerung, wie heftig die zwei Vampire hier im Spiel durch die Angreiferhorden gepflügt waren. Hilflos war ich als Geralt nur hinterher gelaufen und dabei praktisch nutzlos gewesen. Als ich selbst war ich nicht nur keine Hilfe, sondern eine Bremse, weil immer jemand meinen Babysitter spielen musste, während ich die beiden Greifen babysittete. Lange würde das wohl auch nichts mehr werden. Die beiden wuchsen so schnell, dass sie bald auf mich aufpassen konnten. Wie lange dauerte es noch gleich, bis Greifen ausgewachsen waren? Ein paar Jahre? Ich könnte schwören, Dean und Sam wollten diese Zeit herunter kürzen. Regis und ich folgten Dettlaff und Geralt in einigem Abstand. Wie sich zeigte, brauchte es nur einen Vampir, um hier binnen Minuten eine ganze Truppe von Kriegern niederzumähen. Auch in der Realität blieb für Geralt vergleichsweise wenig zu tun und doch war es eindrucksvoll. Geschickt wich er Hieben aus, sprang über eine Klinge, wirbelte herum, wirkte ein Zeichen und verbrannte einen Mann, der ihm gehofft hatte, in den Rücken fallen zu können. Die Bolzen, die sich Regis' und meine Richtung verirrten, fing der ergraute Vampir an meiner Seite spielend leicht ab. "Bitte erschreckt nicht ob meiner Erschei-" "Schon gut, ich weiß Bescheid. Macht mir nichts aus", unterbrach ich Regis eilig, als er den ersten Bolzen schlicht mit seinen langen Klauen zerspalten hatte, ehe er mich durchbohren konnte. Haarscharf. Ich war einfach nur froh, nicht tot zu sein. Als sich tatsächlich zwei Krieger zu uns vorwagten, brauchte es Regis' Eingreifen nicht einmal mehr. Dettlaff hatte die beiden bemerkt und gnadenlos niedergestreckt. Binnen Sekunden lagen beide Männer in ihrem eigenen Blut reglos mit zu einem stummen Schrei verzogenen Mienen am Boden. Zu genau sah ich lieber nicht hin, sonst würde ich mich bloß übergeben müssen. Offenbar sah man mir das auch an. Anders konnte ich die sanfte Geste, mit der mich Regis voran schob und damit auf das Hauptgebäude zu, nicht deuten. Er ahnte ja nicht, dass dort für mich der nächste Anlass zu Übelkeit und Panik wartete. Mit etwas Pech erlebte ich gerade meine letzten Minuten. Hätte mich Regis nicht geführt, ich hätte vielleicht keinen einzigen Schritt mehr getan. Der Boden war übersäht mit Toten, alles war voller Blut und ich konnte sogar einen abgetrennten Arm sehen, obwohl ich versuchte, nicht zu genau hinzuschauen. Im Spiel hatte mir das alles überhaupt nichts ausgemacht, doch in der Realität zu sehen, wie gnadenlos sich ein einzelner Vampir durch eine ganze Gruppe Bewaffneter hatte kämpfen können, war beängstigend. Als ich Geralts Blick auf mir bemerkte, versuchte ich mich an einem Lächeln, um zu zeigen, dass ich in Ordnung war, doch so wie der Hexer dreinsah, war mir das gehörig misslungen. Zumindest Sam und Dean wirkten nicht angespannt. Dean flatterte sogar voran, um dann an einem der Toten zu knabbern. Noch etwas, das ich lieber nicht zu genau ansehen wollte. Mir genügte das reißende Geräusch und schließlich des klappernden Schnabels des Greifenjungen, dem sein Bruder Sam inzwischen Gesellschaft leistete. Appetitlich war das nicht, aber Menschen standen nun mal auf der Speisekarte ihrer Spezies, das hatte ich schließlich am eigenen Leib erfahren. "Bleibt hinter mir", grollte Geralt uns entgegen. Dettlaff war längst vorgeprescht. Quer durch den Flur, vorbei an Türen und hin zu der Treppe, die nach oben führte. Ich konnte hören, wie etwas Schweres die Stufen herunterpolterte. Das musste der Mann sein, den Dettlaff dort antraf und tötete. Daran konnte ich mich noch gut erinnern. Oben würde uns Syanna erwarten. Rhena. Sollte ich mich vielleicht jetzt absetzen? Ließen Regis und Geralt das überhaupt zu? Wenn ich blieb, war auf jeden Fall klar, dass meine Lügen auch aufflogen. Damit Syannas Geheimnis herauskam, brauchte es mich ja jetzt nicht mehr, da Geralt und Regis hier waren. Oder fehlte ihnen das passende Puzzleteil noch? Verdammt! Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe, während wir Dettlaff folgten. Als ich den Raum hinter Geralt betrat, der auch jetzt noch das Schwert in der Hand hielt, auf dessen Klinge ich rote Flecken erkennen konnte, hatte Dettlaff seine Rhena bereits entdeckt und fest in die Arme geschlossen. Unsicher blieb ich in der Tür stehen, sodass mich Regis beiseite schieben musste, um ebenfalls eintreten zu können. Keiner von uns sagte ein Wort, während ich nur auf die Weinflasche starren konnte, von der ich wusste, dass sie Sangreal enthielt und Syanna sie eben absichtlich beiseite geschoben hatte. Zählten Regis und Geralt gerade eins und eins zusammen? Dämmerte ihnen, was hier gespielt worden war? Hilfesuchend blickte ich zum Weißen Wolf, dessen Blick meinem gefolgt war. Seine Miene verhärtete sich kaum merklich und wie im Spiel auch, wandte er den Blick zu den knisternden Flammen im Kamin. Sag was, bat ich den Hexer stumm. Sprich aus, was Sache ist. Komm schon, Geralt! Es war Regis, der zuerst das Wort ergriff. "Jetzt müssen wir nur Anna Henriettas Schwester finden. Wo sollen wir suchen?" Geralt schüttelte den Kopf, schwieg jedoch. Dettlaff und Syanna wechselten leise Worte. Ihm standen Schuldgefühle und Freude gleichermaßen ins Gesicht geschrieben. Wie froh er in diesem Moment sein musste, sie gefunden zu haben und wie sehr er sich schämte, getötet zu haben, nicht ahnend, dass sie all das längst wusste und sogar gewollt hatte. Mich konnte ihr Lächeln nicht täuschen. Die Frage war eher: Wann würden Dettlaff die fragenden Blicke auffallen, die sie in meine Richtung warf? Welche Fragen würden sich ihm stellen, wenn sich zeigte, dass sie keine Ahnung hatte, wer ich war? Verdammt, egal! Wenn Geralt nicht mit der Sprache herausrückte, dann täte ich es eben und würde offenbaren, dass Syanna und Rhena die gleiche Person waren. Vor lauter Anspannung hatte ich den Atem angehalten, als es mich auf einmal eiskalt durchlief, als hätte jemand ohne jede Vorwarnung entschieden, dass hier und jetzt ein guter Ort und Zeitpunkt wäre, um mich der Icebucket Challenge zu unterziehen. Augenblicklich war das wiedervereinte Paar vergessen, wenn auch nur für einen Moment. Ich kannte dieses Gefühl, diese Kälte. Das musste Theodor sein. Den hatte ich ja schon draußen bemerkt. War er uns in die Burg gefolgt? Oder vielmehr mir? Was wollte dieser Kerl nur von mir? Ob ich heute ein paar Antworten aus ihm heraus bekäme? Unschlüssig blickte ich von Regis zu Geralt, der mich einen Moment lang intensiv anstarrte, dann aber das Wort ergriff und Regis korrigierte. "Das brauchen wir nicht. Ich habe Roderick getroffen, den Herrn von Burg Tynne. Er sagte mir, wo wir Syanna finden." Klang für mich, als würde hier alles nach ursprünglichem Script laufen. Da sich nun alle Blick auf Geralt richtete, der begann, Syanna direkt zur Rede zu stellen, nutzte ich die Chance, um mich hinterrücks zur Tür hinaus zu schleichen. Zwar glaubte ich, kurz Regis' Blick bemerkt zu haben, als ich durch die Tür verschwand, doch da keiner etwas sagte und mir niemand folgte, stieg ich langsam und so leise, wie ich nur konnte, die Stufen hinab. Erneut durchlief es mich kalt, wie immer wenn Theodor nahe war, als wolle mich mein Körper auf diese Weise warnen. "Theodor?", flüsterte ich in die unheimliche Stille, dann hörte ich Schritte. In dem Moment, in dem ich den Blick in die Richtung wandte, in der ich sie gehört hatte, konnte ich auch schon den Vampir sehen, der mir ein kleines Lächeln schenkte. Es kostete mich Überwindung, aber ich schluckte meine Angst herunter und trat näher an Theodor heran, der ruhig stehen blieb, die Hände hinter dem Rücken gefaltet. Ganz so, als habe er nur auf mich gewartet. "Ich nehme an, du hast einige Fragen. Doch wir haben nicht viel Zeit", begann er ruhig, noch ehe ich überhaupt die erste meiner vielen Fragen stellen konnte. "Warum hast du mir das Buch gegeben? Was weißt du darüber, wie ich hergekommen bin?", fing ich direkt an. Wenn wir nicht viel Zeit hatten, dann sollten wir besser keine Zeit mit Smalltalk verschwenden. Dass Theodor genau wusste, was ich mit "hierher gekommen" meinte, davon war ich ziemlich überzeugt, seit er mir das Buch über Zeitmagie hinterlassen hatte. "Wieso verfolgst du mich und warum bist du jetzt hier?" Abwartend starrte ich ihn an. Aus der Ruhe bringen konnten ihn meine Frage merklich nicht, doch sein Lächeln schwand langsam und machte einem Ausdruck von Bedauern Platz. "Das alles muss warten", erklärte er schließlich. "Kann es nicht!", protestierte ich sofort. "Dauernd tauchst du einfach auf und..." Frustriert gestikulierte ich umher. "Und erklärst gar nichts!" Der Vampir seufzte leise und löste die Hände hinter seinem Rücken, um sie nun vor seinem Bauch zu halten, die Fingerspitzen aneinander gelegt. "Ich bin hier, um dir mitzuteilen, dass sehr bald noch viel mehr Blut fließen wird als in den Kriegen der Menschen und du", betonte er, den Blick fest auf mich gerichtet, "wirst dabei eine wichtige Rolle zu spielen haben." Am liebsten hätte ich ihn gepackt und geschüttelt. Anstatt irgendetwas zu erklären, warf er nur immer noch mehr Fragen auf. "Sprichst du von der Na-" Weiter kam ich nicht, dann zerfiel er einfach in grauen Rauch, ganz ohne jede Vorwarnung und nebelte aus der Tür heraus. Wütend sah ich ihm nach. Was für ein Arsch! Konnte der nicht einfach mal aufhören, immer nur mit kryptischen Hinweisen um sich zu werfen und mal Klartext sprechen? Meinte er mit seinen Andeutungen die Nacht der langen Zähne? Die würde sicher einige Leben fordern, doch war ganz sicher kein Vergleich zu den Kriegen, die in den letzten Jahrzehnten geführt worden waren. Frustriert starrte ich dem grauen Nebel nach. Ob man einen Vampir in dieser Gestalt wohl in einem Einmachglas fangen könnte? Vielleicht würde mir das helfen, klare Antworten von Theodor zu bekommen. Einen kurzen Moment erwog ich, mein Heil in der Flucht zu suchen, doch angesichts meiner nicht vorhandenen Orientierung würde ich vermutlich nicht einmal den Weg aus der Burg finden, ehe sich oben alle Fronten geklärt hatten und mich ein ziemlich wütender Vampir einholte, der erfahren hatte, dass er gleich von zwei Menschen nach Strich und Faden belogen worden war. Dann wollte ich Dettlaff lieber direkt konfrontieren - mit Geralt und Regis im Rücken, die vielleicht dafür plädieren würden, mich erst einmal anzuhören. Zweifellos hatte sowieso auch der Hexer einige Fragen. Während unserer Reise hatte ich immerhin so manches Mal lügen müssen und nicht immer unbedingt geschickt. Als ich wieder durch die Tür in den Raum trat, den Syanna in den vergangenen Wochen ihr Heim genannt hatte, hielt Dettlaff die Schwarzhaarige gerade mit einer Hand an ihrem Hals an eine Wand gedrückt. Sie zappelte, dann ließ er sie los. "Komm in drei Tagen nach Tesham Mutna und erkläre dich. Kommst du nicht, mache ich Beauclair dem Erdboden gleich", grollte Dettlaff und stapfte gen Fenster ohne auch nur einen einzigen Blick zu Geralt, Regis oder mir zu werfen. Sollte ich das als Glück werten? Vermutlich. Doch das änderte nichts daran, dass Regis' Blick direkt zu mir wanderte, ehe ihn Geralt ansprach. "Denkst du, er meint das ernst?" Der ergraute Vampir legte in grüblerischer Pose eine Hand an sein Kinn. "Ich weiß nicht. Dettlaff ist unberechenbar, wenn er wütend ist." Syanna rieb sich den Hals. "Er meint es ernst. Ich kenne ihn und ich werde mich ihm stellen." Regis' Blick verengte sich. Ich wusste genau, was nun passieren würde. Regis würde nicht ohne Hohn reagieren ob der Verlogenheit Syannas, ehe Geralt und er die Schwester der Herzogin gemeinsam zurück nach Beauclair bringen würden. Ich seufzte im Stillen und wartete auf das Unvermeidliche, doch diesmal wich Geralt vom Skript ab. "Nicht nur Syanna hat ein paar Dinge zu erklären, findest du nicht auch, Daelis?", wandte sich Geralt an mich und ließ mich damit direkt bereuen, nicht doch abgehauen zu sein. Nervös schluckte ich den Kloß herunter, der sich in meiner Kehle bildete und nickte. "Jedoch nicht hier", mischte sich Regis beschwichtigend ein. "Anna Henrietta wartet sicher schon sehnsüchtig auf ihre Schwester und alles weitere können wir später in Ruhe besprechen." Der Weiße Wolf nickte grimmig und bedeutete Syanna mit einem Nicken, voran zu gehen. Er selbst folgte ihr auf dem Fuße und hinter ihm Regis und ich. Regis' neugierige Blicke versuchte ich zu ignorieren. Seine Fragen könnte ich ihm sowieso nicht beantworten. Vor der Burg erwarteten uns bereits die Männer von Damien De la Tour, die Geralt Rückendeckung gegeben hatten, als er hinterrücks in die Burg stürmte. Regis' Anwesenheit schien niemanden zu überraschen. Das hieß dann wohl, dass der Vampir nicht überraschend hinzu gekommen war wie im Spiel. Allerdings hatte er da ja auch Dettlaff mitgebracht, den dieses Mal ich zur Burg geführt hatte. Damien zeigte sich jedoch über meine Anwesenheit umso überraschter. Aber vielleicht galt seine Miene auch den beiden Greifenjungen, die neben mir herliefen wie zwei Hunde. "Milady! Ihr seid in Sicherheit!", begrüßte er mich höflich. Ich nickte nur. "Hey..." "Hat das Biest Euch hierher verschleppt?", fragte der Anführer der Wache Ihrer Durchlaucht, der Herzogin mich, aber sein Blick wanderte längst zu Geralt. "Habt Ihr die Kreatur erledigt, Hexer?" Seufzend schüttelte Geralt den Kopf. "War nicht hier und es kam auch zu keinem Kampf mit dem Biest von Beauclair. Aber wir haben Syanna gefunden und herausgefunden, wie alles mit dem Biest und den Opfern zusammenhängt. Die Herzogin wird das hören wollen." De la Tour war anzusehen, dass ihm nicht gefiel, wie wenig ihm der Hexer verriet, aber er nahm es mit einem grimmigen Nicken hin. "Natürlich. Wir sollten sie nicht warten lassen." Erst jetzt wandte er sich auch wieder mir zu. "Es ist eine frohe Kunde, dass Ihr wohlauf seid. Die Bewohner Beauclairs bangten um Euch, zumal es Gerüchte gab, dass..." Er stockte und räusperte sich. Fragend hob ich eine Braue. "Dass was?", hakte ich nach, doch Damien schüttelte den Kopf als Zeichen, dass er mir keine Antwort geben würde. Dafür gab mir Geralt eine. "Dass das Biest dich abgeschlachtet hat, weil du des Hexers Begleiterin bist", erklärte er in sarkastischem Tonfall, sodass ich gar nicht anders konnte, als mitzuspielen. "Oh wirklich? Hast du ihnen denn nicht gesagt, dass ich die sogenannten Monster zu zähmen pflege, anstatt sie zu töten?" Der Hauptmann der Wache und Regis schauten ein wenig pikiert drein, doch zumindest Geralt konnte über meine Bemerkung lachen. "Nun denn." Damien De la Tour räusperte sich verhalten. "Machen wir uns auf den Weg. Ihre Hoheit erwartet uns." Zwar war ich nicht unbedingt erpicht darauf, mit zum Palast zu kommen, blieb mir wohl keine andere Wahl. Blieb also zu hoffen,dass Annarietta ihre Fragen in erster Linie an Geralt wenden würde und sie sich nicht so sehr dafür interessierte, wie ich überhaupt in die Burg gekommen war - oder warum. Seufzend ließ ich mir von Geralt auf Plötze helfen, ehe sich der Hexer selbst in den Sattel schwang. "Hätte nicht erwartet, dich hier anzutreffen", raunte mit der Weiße Wolf zu, als er De la Tour und Regis nach ritt. Drei Soldaten begleiteten uns, die anderen blieben zurück. Keiner sagte ein Wort, während wir gen Palast ritten. Die Bewohner der Stadt jedoch, die zur Nachtstunde noch unterwegs waren und uns sahen, starrten uns nach und ich konnte hören, wie einige von ihnen tuschelten. Vermutlich gäbe es morgen schon eine ganze Reihe neuer Gerüchte darüber, was das Biest war, wohin es verschwunden und was mit mir passiert war. Ganz toll. Kapitel 12: Auszeit I --------------------- “Nun, berichte, was geschah, Hexer”, verlangte die Herzogin mit strenger Stimme, kaum, dass uns die Soldaten zu ihr geführt hatten. Ich stand neben Regis hinter Geralt, der kurz respektvoll den Kopf neigte, um die Herrscherin zu begrüßen. Deren Blick huschte über Regis zu mir. Wow, wenn Blicke töten könnten. Sie mochte mich wirklich nicht, soviel war klar. Besser, ich hielt mich zurück. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich jedoch, dass Regis’ Blick ebenfalls auf mir ruhte. Verübeln konnte ich es dem Vampir nicht. Sicherlich hatte er auch so einige Fragen und wer wusste schon, was ihm Geralt erzählt hatte. Vermutlich nichts Gutes. Vielleicht hatte aber auch schon mein Auftritt in der Arena genügt, zumal die beiden Greifenjungen, die neben mir auf dem Boden hockten, sie garantiert daran erinnerten, was da passiert war. Geralts Ausführungen fielen ziemlich knapp aus. So knapp, dass ich fast meinen wollte, er ließe absichtlich die Hälfte aus. Nicht, dass ich ihn dafür verurteilen würde. Das meiste wollte die Herzogin vermutlich gar nicht so genau hören und ich konnte mir gut vorstellen, dass der Hexer auch keine Lust hatte, das Ziel ihres Ärgers zu werden, wenn sie erst hörte, dass dieses Mordkomplott bei Syanna keine Reue auslöste. Allerdings, das fiel mir dann doch auf, sagte niemand auch nur ein Wort davon, dass es noch ein weiteres Ziel geben sollte. Das hatten Regis und Geralt dann wohl nicht herausgefunden. Ob ich es einfach verraten sollte? Würde mir Anna Henrietta überhaupt glauben? Daran hatte ich nämlich so meine Zweifel. Ich erinnerte mich gut an das offiziell “gute Ende” DLCs. Syanna versöhnte sich mit ihrer Schwester, alle Taten wurden ihr vergeben und Dettlaff war getötet worden. Am Arsch! Als ob ich das zuließe! Ich fand es schlicht unannehmbar, dass Syanna einfach so davon kam, nur weil sie die Schwester der Herzogin war, immerhin hatte sie jemanden zur Ermordung mehrere Leute erpresst. Ganz zu schweigen davon, dass Dettlaffs Tod auch bedeutete, dass ausgerechnet Regis seinen Blutsbruder töten müsste und sich damit selbst aus der Gesellschaft der Vampire für sehr, sehr lange Zeit ausschloss, weil er ein striktes Verbot missachtete. Nein, das kam eindeutig nicht in Frage! Nicht, solange ich noch etwas zu melden hatte! Ein wenig missmutig starrte ich Geralts Hinterkopf an. Gerade, als Regis schließlich ansetzte, zu offenbaren, wer der Vampir war, den Syanna erpresste, funkte ich dazwischen, ohne meine Worte abzuwägen. “Es waren zwei Vampire vor Ort. Wir wissen leider noch nicht, inwieweit und ob der zweite ebenfalls in diese Sache involviert ist.” Das war immerhin nur halb gelogen. Hoffentlich verstanden Regis und Geralt, die mich beide überrascht anstarrten, zumindest den Wink, dass sie Dettlaffs Namen doch bitte für sich behalten sollten. Theodor mochte mit dieser Intrige nichts zu tun haben, aber er hatte dafür eine ganze Menge damit zu tun, dass ich hier war und darüber wollte ich unbedingt mehr wissen. Es könnte also nicht schaden, wenn ein paar Augenpaare mehr offen blieben, falls sich Theodor nochmal zeigte. “Noch ein Vampir?”, hakte die Herzogin unverkennbar gereizt nach. Ich nickte. “Ja. Er hat mich schon zum dritten Mal aufgesucht”, erklärte ich und erntete sofort einen ziemlich finsteren Blick von Geralt. Ja, ja. Ich hätts vielleicht erwähnen sollen. Regis hingegen sah eher überrascht aus. Ganz anders Annarietta, deren Miene sich verdunkelte, während sie zugleich die Nase abfällig rümpfte. “Uns scheint, Ihr treibt euch zu oft mit solchen Monstern herum. Man sollte meinen, an der Seite eines Hexers zu reisen, belehre Euch eines besseren.” Zicke. Finster starrte ich zurück. “Ich mag”, betonte ich, “diese Monster. Sie sind meistens sehr viel netter und ehrlicher als die meisten Menschen.” Als wollte er mich in meinen Worten unterstützen, krächzte Sam leise, was die Herzogin einfach ignorierte. Stattdessen warf sie mir noch einen letzten, herablassenden Blick zu, ehe sie sich wieder an Geralt wandte. “Ich verlange, dass du diese Vampire aufspürst und diese Sache klärst. Bring mir den Kopf des Biests, Hexer!” Aus dem Rest der Unterhaltung klinkte ich mich gedanklich aus. Wie es weiterging, wusste ich sowieso. Geralt sollte Dettlaff töten und keiner seiner Einwände, einen höheren Vampir aufzuspüren, sei schier unmöglich, würde die Herzogin gelten lassen. Ich knirschte mit den Zähnen. Wie konnte sie nur so ignorant sein? Würde sie auch Regis’ Tod verlangen, wenn sie wüsste, dass er ein Vampir war? Diese Engstirnigkeit trieb mich an den Rand meiner Selbstbeherrschung Wie gerne hätte ich sie einfach angeschrien, sie gepackt und geschüttelt. Doch das würde alles nur dazu führen, dass man mich einsperrte. Vermutlich konnte ich von Glück sagen, überhaupt noch auf freiem Fuß zu sein, nachdem ich tagelang die “Gefangene” des Biests von Beauclair gewesen war, aber offensichtlich gesund und wohlauf. Vielleicht sollte ich dankbar sein, dass Annarietta mich nicht danach fragte, was in diesen Tagen passiert war. Vor allem jetzt, da ich klar gemacht hatte, Monster Menschen vorzuziehen. “Geht jetzt”, beendete die Herzogin schließlich das Gespräch, warf noch einen letzten, mahnenden Blick in unsere Richtung, von dem ich nicht sicher sagen konnte, ob er mir oder Geralt galt, und wandte sich dann ab. Die gleichen Wachleute, die uns hierher begleitet hatten, führten uns auch wieder vor die Tore des Palasts. Beinahe hätte ich erwartete, dass sie uns durch einen Hinterausgang des Gartens lotsen würden, doch das hätte wohl wenig Sinn, weil wir bei unserer Ankunft sowieso gesehen worden waren. Müsste ich wetten, dann machte die Geschichte nebst dutzender falscher Gerüchte längst die Runde durch die gesamte Stadt. Kaum, dass die Wachen sich abwandten, griff Geralt mich grob am Arm und zog mich mit sich in Richtung Plötze. Jammernd versuchte ich mich, aus seinem Griff zu befreien, doch der Hexer griff mich einfach und hob mich unter protestierendem Gekrächze der Winchesters auf Plötzes Rücken. “Du hast einiges zu erklären”, grollte er mir entgegen. “Kein Grund, mir den Arm auszukugeln”, knurrte ich zurück, da mischte sich auch schon Regis ein. “Beruhige dich, Geralt. Ich bin sicher, wir können alles in Ruhe besprechen und dann herausfinden, wie wir am besten weiter vorgehen.” So weit war es also schon. Regis glaubte, mich beschützen zu müssen. Der Hexer schnaubte jedoch nur leise und schwang sich hinter mir auf den Pferderücken. “Wir kommen morgen früh”, begann Geralt, doch ich unterbrach ihn. “Wir sollten jetzt reden.” Mein Blick wanderte hilfesuchend zu Regis, der kaum merklich nickte. Vor allem wollte ich jetzt nicht allein mit Geralt sein, denn der würde mich sicher nicht in Ruhe lassen, ehe er einige Antworten hätte und ein paar davon konnte ich ihm einfach nicht geben. Ehe der Hexer Einspruch erheben konnte, ergriff Regis das Wort. “Sehr gut. Ich werde Tee aufsetzen und erwarte Euch gleich bei mir?” Hinter mir hörte ich Geralt brummen, doch offenbar genügte das für den Vampir als Zustimmung, denn Regis deutete eine kleine Verbeugung an, dann wandte er sich ab, um in einer schmalen Gasse zu verschwinden, zweifellos um sich dort in Nebel aufzulösen und in sein Versteck zu reisen. Ich hatte eigentlich befürchtet, dass Geralt mich ausfragen würde, kaum, dass wir unterwegs waren, doch der Hexer schwieg beharrlich, sodass ich mich mit jeder Minute unwohler fühlte. Vielleicht war sogar genau das sein Ziel. Falls ja, hatte er es erreicht. Als er Plötze schließlich am Rand des Friedhofs Mère-Lachaiselongue halten ließ, war ich für meinen Teil durchgefroren und heilfroh. Sam und Dean waren einfach über uns hergeflattert und hatten damit blöderweise so viel Aufmerksamkeit auf uns gezogen, dass nun so ziemlich jeder in ganz Beauclair wissen musste, dass der Hexer unterwegs war. Ob sie ihn auch während der vergangenen Tage begleitet hatten? Irgendwie eine niedliche Vorstellung. Geralt schwang sich wortlos aus dem Sattel. Etwas ungeschickt folgte ich seinem Beispiel und wäre dabei fast auf der Nase gelandet. Selbst jetzt sagte Geralt kein Wort, sondern stapfte raschen Schrittes voran in die Dunkelheit, während ich ihm hinterher stolperte. Anders als der Hexer konnte ich nämlich in der Dunkelheit nicht besonders gut sehen und inzwischen waren die Sterne am Firmament die einzige Lichtquelle. Nicht gerade optimal, um über die unebene Erde eines Friedhofs zu kraxeln. Mehr als einmal blieb ich an irgendwelchen Gestrüpp hängen und als Geralt schließlich in eine Gruft hinabstieg, hätte ich am liebsten geächzt. Hoffentlich waren diese Spinnenkrabbelviecher da unten schon erledigt, sonst wäre ich da schneller wieder raus, als er meinen Namen sagen konnte. Dennoch folgte ich dem Hexer ohne zu zögern. Immerhin war ich diejenige, die darauf bestanden hatte, noch heute mit Regis zu reden und die Karten offen - soweit es eben ging - auf den Tisch zu legen. Zum Glück war es nicht weit und offenbar erwartete uns Regis wirklich schon, denn als Geralt mich durch einen Durchbruch schob, konnte ich schon durch eine Tür das flackernde Licht von Kerzen sehen. Phew! Heilfroh wollte ich schon auf die Tür zusteuern, hielt dann aber nochmal inne, um mich zu dem Hexer umzudrehen, aus dessen Miene ich überhaupt nicht schlau wurde. Wenn ich so guckte, hatte ich die Nacht durchgemacht oder hatte Lust auf Schokolade. Oder beides. “Danke, dass du auf Sam und Dean aufgepasst hast”, murmelte ich etwas unsicher in seine Richtung. Wir waren zwar oft nicht einer Meinung, aber ich wusste zu schätzen, dass er die beiden beschützt hatte. Jeder fremde Hexer hätte sie sicher einfach getötet, ehe sie zu Problemen wurden. Geralt brummte nur etwas Unverständliches, dann schob er sich an mir vorbei, auf die angelehnte Tür zu, durch die er ohne zu klopfen trat. Mit einem stummen Seufzer folgte ich ihm. Dank Regis hatte ich die Chance, erst einmal zu erzählen, ehe Geralt direkt auf mich losging und so ließ ich fast nichts aus. Ich begann mit dem Vorfall im Stall, ehe wir nach Beauclair aufbrachen und auch, wie ich Theodor später getroffen und erfahren hatte, dass er es gewesen war, der mir dort aufgelauert hatte. Sogar von dem Buch erzählte ich, das ich stets bei mir trug. Nach kurzem Zögern zog ich es sogar aus meinem Beutel und zeigte es Regis und Geralt, doch schlauer wurden sie auch nicht daraus. Sie waren eben auch keine Magier. Dennoch sahen mich beide bedeutungsschwer an. Geralt runzelte die Stirn. “Als du sagtest, du seist nicht aus dieser Ecke, hat das wohl eher geheißen, du kommst nicht aus dieser Zeit.” Es klang nicht wie eine Frage, auch wenn es sich so anfühlte. Also zuckte ich mit den Schultern. “Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht sicher. Aber scheinbar nimmt Theodor an, dass es eine Art Zeitreise war”, versuchte ich vage zu bleiben. Erklären, woher ich wusste, wie die Geschehnisse hier weitergingen, konnte ich damit zwar bedingt, doch nie ob all der Details, die ich kannte. Ich konnte sehen, wie Geralt schon die nächste Frage stellen wollte, doch Regis hob eine Hand. “Bitte berichte weiter.” Dankbar nickte ich dem Vampir zu und fuhr fort. Was bei unserer Ankunft hier passiert war, ließ ich aus, das war schließlich bekannt. Dafür erklärte ich, dass ich geahnt hatte, wo Dettlaff sein nächstes Opfer suchen würde und direkt dorthin gegangen war, um den Mord zu verhindern. Das war mir ja immerhin auch gelungen. Etwas kleinlaut gestand ich sogar, dass ich direkt gewusst hatte, wer und was das Biest von Beauclair war, als die beiden Ritter Geralt mit der Jagd beauftragten. Hier allerdings wich ich auf eine Lüge aus. Statt zu verraten, dass ich die die Zukunft kannte, erklärte ich den beiden Männern, dass diese Intrige Syannas mir bekannt war, weil sie zu meiner Zeit schon passiert war und dass ich darum geschaltet hatte, als wir in Beauclair ankamen und mir die Geschehnisse bekannt vorkamen. Also hätte ich entschieden, etwas ändern zu wollen und darum versucht, einen Draht zu Dettlaff zu knüpfen. Noch etwas, das mir ganz gut gelungen war. Die Tage, die ich in Dettlaffs Werkstatt verbracht hatte, fasste ich nur kurz zusammen. Aufregendes war da ja schließlich nicht passiert. “Als ich in der Stadt dann Gerüchte über die Burg Tynne hörte, habe ich nur noch eins und eins zusammengezählt”, beendete ich meine Erklärung mit einer weiteren Lüge. Doch die hatte ich ja schon Dettlaff aufgetischt, also wäre es besser, davon nicht zu weit abzuweichen. “Dass Theodor auch da auflaufen würde, konnte ich ja nicht ahnen. Dieser Kerl scheint mich irgendwie zu stalken, aber so richtig rückt er nicht mit der Sprache raus”, seufzte ich leise und traf dabei Regis’ nachdenklichen Blick. “Höchst ungewöhnlich”, hörte ich den Vampir murmeln. “Leider ist mir dieser Theodor nicht bekannt”, fuhr er ob der fragenden Blicke fort, die ihm Geralt und ich gleichermaßen zuwarfen. Der Hexer wirkte nun schon etwas entspannter, doch irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass da noch ein dickes Ende auf mich wartete. “Also kommen wir da nicht weiter”, stellte ich fest. “Ich glaube auch nicht, dass er etwas mit der Intrige Syannas zu tun hat.” Geralt nickte mit zustimmend zu. “Sehe ich auch so. Aber wenn dieser Kerl hinter dir her ist, solltest du vorsichtig sein. Du ziehst Monster wirklich an”, scherzte er bissig, was mich veranlasste ihm die Zunge rauszustrecken. Regis hingegen hob nur eine Augenbraue, überging das Thema dann aber. “Sagt, hat Euch dieser Theodor während der Tage, die Ihr an Dettlaffs Seite weiltet, aufgesucht?” Verwundert starrte ich Regis an. “Nein. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Er versuchte bisher immer, mich alleine abzupassen”, erwiderte ich und verstand im gleichen Moment, worauf Regis hinauswollte. Ich sollte nicht mehr alleine herumlaufen. Theodor war womöglich ein Katakan oder ein ähnlich mächtiger Vampir, sodass er eine Begegnung mit Geralt vermeiden wollte, weil dieser ihm gewachsen wäre. Gleiches galt dann auch für Dettlaff. Für mich allein hingegen wäre ein Katakan ein unüberwindbarer Gegner. Wenn Theodor also nur mit mir sprach, wenn ich allein war, dann vermutlich, weil er einen Kampf mit meinen deutlich wehrfähigeren Bekannten fürchtete. Regis und Geralt tauschten einen ernsten Blick. Schon klar, keiner wollte Kindermädchen spielen, aber das war meiner Meinung nach auch gar nicht nötig. Hätte Theodor mir schaden wollen, hätte er das längst gekonnt. Mehr als einmal. War ja nicht so, als hätten die Kleinen mich gegen ihn schützen können. Wenn ich ehrlich war, war ich nicht einmal sicher, ob ein ausgewachsener Greif gegen einen Katakan sicher gewänne. Und selbst wenn: ich würde ganz sicher nicht das Wohlergehen der Winchesters riskieren. Allerdings glaubte ich auch nicht, dass Theodor mich einfach töten wollte. Warum auch? Ich hatte ihm ja nichts getan. Tatsächlich dachte ich sogar eher darüber nach, gezielt allein zu sein, damit er mich aufsuchte anstatt ihn auf Abstand zu halten. Es gab schlicht zu viele offene Fragen, auf die er mir Antworten geben könnte. “Ich denke, es wäre am besten, du tauchst erstmal unter”, begann Geralt, doch darauf hatte ich nur gewartet. “Träum weiter. Ich werde nicht zusehen, wie diese ganze Scheiße ihren Lauf nimmt! Außerdem hat mich Theodor bisher auch immer gefunden. Wieso sollte er es auf einmal nicht mehr?” “Sie hat Recht”, sprang mir Regis bei. “Die Sinne eines Vampir sind sehr viel schärfer als die eines Menschen. Er wird ihre Spur sicher hierher verfolgen.” Dankbar lächelte ich den ergrauten Vampir an, bis dieser fortfuhr: “Einer von uns sollte stets an Eurer Seite bleiben, denke ich.” Ah und mich fragte dann wohl niemand, was ich davon hielt? Empört sah ich von Regis zu Geralt und zurück. “Kann nicht. Muss Dettlaff jagen”, fiel Geralts Reaktion knapp aus. Schwer zu sagen, ob Regis oder ich weniger erfreut ob dieser Aussage dreinsah, aber wenigstens waren wir uns einig. “Lass Dettlaff gefälligst in Ruhe”, brummte ich, während Regis zeitgleich deutlich sachlicher argumentierte. “Du wirst ihn nicht finden, wenn er nicht gefunden werden will.” Missmutig ächzte der Hexer. “Muss es wenigstens versuchen. Ich glaub nicht, dass Ihre Hoheit erfreut wäre, wenn ich auf der faulen Haut liege.” Geralt verschränkte die Arme und ich tat es ihm gleich. “Ich brauche keinen Aufpasser”, entschied ich kurzerhand. “Und ich werde dir nicht helfen, Dettlaff zu finden, geschweige denn, ihn zu töten. Und du auch nicht!” Streng funkelte ich Regis an, der verwundert blinzelte, dann aber tatsächlich ein wenig lächelte. “Ich schlage vor, Lady Daelis und ich verweilen hier und überlegen uns, wie wir Dettlaff am besten konfrontieren. Derweil kannst du deinen eigenen Untersuchungen nachgehen und vielleicht eine Spur entdecken oder zumindest die Herzogin beschwichtigen”, bemerkte Regis. “Komme morgen wieder her”, verabschiedete sich der Weiße Wolf an dem Durchbruch, durch den wir auch in die Gruft gekommen waren. “Pass auf, dass die Kleine dir nicht auch den letzten Nerv raubt. Sie und ihre Viecher.” Abfällig starrte er dabei zu Dean und Sam, welche es sich auf einem der Särge bequem gemacht hatten und schlummerte. “Bis morgen, Geralt. Sollten wir etwas Interessantes entdecken, lasse ich es dich wissen”, verabschiedete Regis seinen alten Freund höflich, während ich nur winkte. Dass Geralt mich hier ließ, fand ich überhaupt nicht schlimm. Ganz im Gegenteil. Regis’ kleine Bibliothek wollte ich nur zu gerne mal durchforsten. Wenn es irgendwo nützliche Infos über Vampire gab, die auch stimmten, dann hier - oder halt von Regis selbst. Außerdem war der eh viel interessanter als Muffelpott Geralt, der mich eh nur wieder irgendwo parkte, während er irgendwelche Viecher jagte. “Nun, für heute sollten wir es jedoch gut sein lassen. Es ist schon fast früher Morgen und zweifellos seid Ihr erschöpft und müde”, wandte sich der Vampir mir zu, kaum, dass Geralt meinem Blick entschwunden war. “Mh? Ja, schon aber…”, wollte ich widersprechen, musste dann aber wie auf ein Stichwort gähnen und ersparte mir jede weitere Bemerkung und nickte nur. So müde, wie ich war, störte es mich nicht einmal länger als einige Sekunden, dass ich tatsächlich ein Sarg als improvisiertes Bett diente. Als mich eine Mischung aus Krächzen und Zwitschern weckte, fühlte ich mich keinen Deut besser. Gefühlt tat mir alles weh, mein Kopf war mit Brei gefüllt und es dauerte geschlagene drei Sekunden, bis ich mich daran erinnerte, wo ich überhaupt war. Vor allem, weil das erste, was ich sah, als ich die Augen aufschlug, Sam war, der mich mit großen Kulleraugen anstarrte. Und wo Sam war, war sein Bruder nicht weit. Im nächsten Augenblick spürte ich schon das Gewicht Deans auf meinem Rücken. “Ugh… Dean…”, brummte ich, zu müde, um mich wirklich wehren zu können. Erst ein leises, amüsiertes Glucksen lenkte meinen Blick an Sam vorbei. Nur einen Steinwurf entfernt saß Regis über eine gläserne Apparatur gebeugt, sah nun aber zu den Winchesters und mir herüber. “Die beiden sind wirklich sehr anhänglich. Es ist das erste Mal, dass ich davon höre, dass jemand Greifenjunge aufzieht”, meinte Regis nachdenklich. In seiner Stimme klang eine stille Warnung mit, dass meine Süßen eben nicht immer klein bleiben würden. Sie waren Greifen. Als wüsste ich das nicht. Eines Tages würden unsere Wege sich trennen müssen. Dann konnte ich nur dafür sorgen, dass sie irgendwo weit weg von Menschen ein gutes Leben führen konnten. “Gibt halt immer ein erstes Mal und ich konnte sie ja schlecht sterben lassen.” Regis’ Miene wurde weicher. “So wie Dettlaff?” Ah, darum ging es hier also! “Er ist ein Opfer dieser ganzen Angelegenheit”, verteidigte ich den Abwesenden sofort und Regis nickte abwägend. “Und doch würden die meisten Menschen vor allem den mordenden Vampir in ihm sehen. Ihr seid wirklich eine außergewöhnliche Person.” Regis lächelte, dann wandte er sich wieder seinen Utensilien zu. Ungeschickt kletterte ich aus dem Steinsarg und stieß mir dabei das Knie unsanft an der Kante. “Fuck!”, entfuhr es mir leise. Das gäbe sicher einen dicken blauen Fleck. “Kann ich mir deine Bücher ein wenig ansehen? Und… äh… mir Frühstück suchen gehen?”, wandte ich mich erneut an Regis, als ich mich mehr oder wenig entknautscht hatte und sowohl Dean als auch Sam kräftig durchgekuschelt hatte, bis die Zwei genug davon hatten. Regis sah nicht von seiner Glasapparatur auf, in der er irgendwelche Flüssigkeiten… mischte? Ich hatte keine Ahnung. Er tat Dinge. “Bitte, fühlt Euch frei. Auch wenn ich befürchte, Weniges wird Eure Aufmerksamkeit fesseln können. Wenn ich mich richtig entsinne, stehen nebenan noch etwas Brot und Käse. Bitte bedient Euch.” “Danke und… duz mich doch, ja? Ich fühle mich unwohl bei diesem ganzen höflichen Getue”, bat ich den Vampir schmunzelnd, der nun doch aufsah, mein Lächeln erwiderte und nickte. Den kompletten Nachmittag verbrachte ich damit, mich mit Regis’ kleiner Privatbibliothek anzufreunden. Einiges war für mich tatsächlich böhmische Dörfer, weil es um Tinkturen und Tränke ging und ein paar der Bücher beschäftigten sich tatsächlich mit Geschichte. Die Sphärenkonjunktion war da allerdings das einzige Ereignis, das mich wirklich interessierte. Bücher über Vampire fand ich jedoch zu meiner Enttäuschung nur drei Stück. Das erste, nach dem ich griff, kannte ich aus dem Spiel. Es gab einen Verweis darauf, dass Regis den Autor gekannt und diesem das Leben gerettet hatte, wobei aufgeflogen war, dass Regis kein Mensch war. Den Schwur, dieses Geheimnis für sich zu behalten, hatte der Autor auf jeden Fall nicht gehalten, obwohl ihm vermutlich kaum jemand seine Geschichte glaubte. Viel weiter half mir das Buch jedoch nicht. Die wenigen Informationen, die ich darin fand, waren mir nicht neu und so wandte ich mir dem zweiten Buch zu, welches ich nach nicht einmal einer halben Stunde mit dem Urteil “Totaler Bullshit” wieder aus der Hand legte. Warum hatte Regis hier Fantasyliteratur stehen? Wobei ich mir vorstellen konnte, dass das für ihn als echten Vampir sogar Unterhaltungswert hatte. Was Regis wohl zu Titel wie Twilight sagen würde? Himmel, wollte ich das überhaupt wissen und gab es in The Witcher nicht auch eine Anspielung darauf oder war das 50 Shades of Grey? Verdammt, ich wusste es einfach nicht mehr sicher. Das dritte Buch hingegen wirkte auf mich tatsächlich fast fachlich. Aber halt auch nur fast. Man musste eben nehmen, was man kriegen konnte, also verschlang ich die Seiten nur so und bekam dabei nicht mehr mit, was Regis überhaupt trieb. Erst, als der Vampir mich antippte, sah ich auf. “Mh?” “Ah, entschuldigung. Du warst so vertieft, dass du mich wohl nicht gehört hast”, schmunzelte Regis unverhohlen, ehe er in Richtung einer Tür nickte, von der ich keine Ahnung hatte, was eigentlich dahinter lag. “Was hältst du davon, dem hiesigen Badehaus einen Besuch abzustatten? Nach der ganzen Aufregung wird ein wenig Entspannung dir sicher gut tun”, bot er an. Skeptisch verengte ich die Augen. Badehaus? Das hatte im Spiel jedenfalls keine Erwähnung gefunden. Offenbar missverstand Regis meinen Blick, denn er klang fast rechtfertigend, als er hinzufügte: “Etwas Kontakt zu den jungen Damen Beauclairs kann sicherlich nicht schaden.” Leise lachte er auf. “Es wäre schade, würdest du deine Zeit mit uns alten Männern gänzlich verschwenden, auch wenn ich deine Bemühungen zu schätzen weiß, Dettlaff zu helfen.” In seinem Blick lag eine Wärme, dass ich ihn am liebsten direkt umarmt hätte. Stattdessen nickte ich nur, ehe ich einen Blick zu den schlafenden Greifen warf. “Klingt nach einer guten Idee. Ich war noch nie in so einem Badehaus.” Erstaunen huschte über Regis’ Züge, sodass ich mich beeilte, hinzuzufügen: “Dort, wo ich herkomme, hat jeder Haushalt fließend heißes Wasser und eine eigene Dusche. Badehäuser haben sich einfach nicht durchgesetzt.” Ich war heilfroh, dass Regis mir einen anderen Ausgang aus der Gruft wies, sodass ich nicht durch die dunkle Höhle klettern musste, sondern von ihm begleitet durch die von Kerzen erhellten Gänge und Treppen der Gruft hinauf. Mein Zeitgefühl war längst hoffnungslos im Eimer, doch jetzt konnte ich am Abendhimmel immerhin grob erahnen, wie viel Zeit ich damit verbracht hatte, Regis Büchersammlung zu durchstöbern. Nicht, dass ich das bereute. Ganz und gar nicht. Mit einem Haufen so interessanter Bücher konnte man mich ziemlich gut und lange beschäftigen. Allerdings, rief ich mir in Erinnerung, war ich nicht zum Lesen hier. Das Ziel war Dettlaffs Rettung und noch hatte ich den Knackpunkt nicht abwenden können. Alles könnte noch laufen, wie im Spiel. “Ich wusste gar nicht, dass es hier ein Badehaus gibt”, meinte ich, als Regis mich die Hauptstraße entlang führte und schließlich am Marktplatz vorbei. “Nun, solche Örtlichkeiten sind in größeren Städten besonders im Kaiserreich Nilfgaards sehr verbreitet”, erklärte mir der Vampir freundlich und nickt in Richtung einer Flügeltür. Wir hatten unser Ziel wohl erreicht. Eine kleine Halle öffnete sich vor uns, in der man bereits die Wärme und Feuchtigkeit bemerkte, die in den anderen Räumen herrschen musste. “Herzlich Willkommen in Beauclairs bestem Badehaus”, begrüßte uns eine Frau mit strahlendem Lächeln. Regis meldete uns beide mit knappen Worten an, winkte aber ab, als sie ihre Hilfe anbot. Er kenne sich hier aus. So nahm die Frau nur die Münzen und nickte, während ich etwas verloren im Raum stehen blieb. Der Vampir wandte sich in Richtung einer Tür, doch als ich Regis folgen wollte, hielt mich die Frau dann allerdings auf. “Bitte folgt mir, Milady. Die Umkleiden der Damen sind auf der anderen Seite.” Offenbar sah ich ziemlich planlos aus, denn die Frau lächelte und erklärte ohne Nachfrage weiter. “Wir haben einige gemeinsame Baderäume, die derzeit offen sind, doch die Umkleiden sind getrennt. Natürlich gibt es auch getrennte Baderäume und Séparées für private Treffen. Ich zeige Euch gerne alles.” Dankbar nickte ich ihr zu. “Das ist nett, danke. Muss ich etwas Bestimmtes beachten?” Ihr schwarzes Haar, welches sie zu einem kurzen Pferdeschwanz trug, wippte, als sie lachen musste. “Es ist Euer erster Besuch in einem Badehaus, oder?”, wollte sie wissen und wieder schien meine Mimik ihr bereits die Antwort zu geben. “Ihr solltet Euer Handtuch in jedem Fall nicht lüften. Solche Dienste werden in diesem Badehaus nicht geboten und nicht geduldet.” Sie blickte mich vielsagend an und auch wenn es einen Wimpernschlag dauerte, dämmerte dann auch mir, was sie meinte und ich nickte eilig. Hier blank zu ziehen, hatte ich sowieso nicht vorgehabt. Regis sah ich erst im Becken wieder. Er schien schon einige Minuten hier zu sitzen und wirkte überaus entspannt. Als ich in das Wasser stieg, begrüßte er mich mit einem Lächeln. “Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass wir hier unter uns sind”, meinte er etwas zögerlich und ich winkte ab. Wenn er sich Sorgen machte, ich hätte da irgendwie Sorgen ihn betreffend, lag er völlig falsch. “Gar nicht. Ich denke sogar, das passt ganz gut, denn ich habe einige Fragen, die besser nicht jeder mithören sollte”, gab ich zurück. Regis’ Miene wurde ernst und er nickte. “Das hatte ich erwartet.” Kapitel 13: Auszeit II ---------------------- Eines musste ich Regis lassen: Er war geduldig. Geflissentlich beantwortete er all meine Fragen und verstummte erst, als ich ihn nach dem Unsichtbaren fragte. Dass ich von dieser Kreatur überhaupt wusste, erschreckte den Vampir merklich. Er zuckte zusammen und wurde ganz blass um die Nase. “Um unser beider Willen sollten wir darüber nie wieder ein Wort verlieren. Dieses Wissen ist gefährlich”, meinte Regis schließlich mit gedämpfter Stimme und so ernst, dass ich nur nicken konnte. Im Spiel hatte der Unsichtbare Geralt direkt getötet, als er etwas patzig wurde. Regis hingegen war unfähig gewesen, sich auch nur zu bewegen. Was genau dieser Unsichtbare auch war, er spielte in einer ganz anderen Liga als die höheren Vampire wie Regis und Dettlaff es waren. Und die waren schon eine ganz andere Liga als Menschen, war man ehrlich. Mit dem Unsichtbaren wollte ich mich lieber nicht anlegen. Dafür erzählte mir Regis davon, wie er Geralt kennengelernt hatte und auch, wie er schließlich von Vilgefortz durch einen Zauber scheinbar getötet worden war, geschmolzen zu einem nassen Fleck an einer Säule. Als ich nachfragte, erzählte er sogar kurz davon, wie es gewesen war, körperlos zu sein, doch das Thema war ihm sichtlich unangenehm, sodass ich eilig das Thema wechselte und ihn ein wenig über die Zeit mit Dettlaff ausfragte. Darüber sprach Regis offensichtlich lieber, denn er erklärte mir, dass Dettlaff ihm nicht hätte helfen müssen, zumal die Regeneration einen hohen Preis forderte und doch hatte Dettlaff nicht gezögert, Regis mit seinem eigenen Blut zu nähren, bis Regis’ Körper wiederhergestellt war. Seitdem, betonte der ergraute Vampir fast feierlich, verbinde ihn und Dettlaff ein Blutsband, das sie so nahe stehen ließ wie Brüder. Zumindest sollte ich es mir so vorstellen, denn als Mensch könnte ich die wahre Natur dieses Bandes schwerlich begreifen. Beinahe klang er bei diesen Worten entschuldigend, doch ich war nicht beleidigt. Natürlich konnte ich das nicht nachfühlen, da war doch nichts bei. Also nickte ich nur und fragte ihn ein wenig darüber aus, wie die beiden ihre Freizeit verbrachten. Regis selbst hatte auch einige Fragen an mich und so erzählte ich munter von meinem ersten Treffen mit Geralt und davon, wie ich die Winchesters adoptiert hatte und nach kurzem Zögern sogar von meiner Bekanntschaft mit dem Incubus Derand und wie unschön sie ein Ende gefunden hatte. Am meisten schien ihn jedoch zu interessieren, wie ich Dettlaff getroffen hatte und es dazu gekommen war, dass dieser mich entführte. Geralts Version der Geschichte war vermutlich wenig schmeichelhaft ausgefallen, sodass meine deutlich wohlwollender ausfiel. “Das klingt, als hättet ihr euch angefreundet”, sinnierte Regis schließlich. Ich nickte, ohne nachzudenken. “Wieso denn auch nicht?” Kurz huschte Überraschung über die Züge des Vampirs, dann schmunzelte er, schüttelte leicht den Kopf und ließ das Thema fallen, um mich nach meinen Überlegungen bezüglich meines Hierseins zu befragen. Mehr als vage Ideen hatte ich dazu allerdings auch nicht. Zeitreise? Möglich, aber unwahrscheinlich, egal, was Theodor glaubte. Eine andere Welt ähnlich wie bei der Wilden Jagd? Sehr viel wahrscheinlicher, auch wenn ein temporaler Aspekt nicht ausgeschlossen war, immerhin kannte ich die Zukunft dieser Welt. Zumindest ein klein bisschen, auch wenn ich Regis schlecht sagen konnte, welche Details ich kannte, zumal diese verschiedene Versionen der Zukunft beinhalteten. Dass alles hier für mich ein Videospiel war, konnte und wollte ich auf gar keinen Fall erklären. Also bleib ich vage und auch wenn ich das Gefühl hatte, dass Regis mich durchschaute und ahnte, dass ich mehr wusste, als ich verriet, bohrte er zu meiner Erleichterung nicht nach. Vielleicht war ihm klar, dass mein Wissen gefährlich war oder aber er baute darauf, dass ich Dettlaff helfen wollte und auch weiterhin versuchen würde, das Geschehen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Bisher war mir das ja leider nur bedingt gelungen. Milton war gerettet, aber ansonsten war alles beim Alten geblieben. “Puuh, ich bin schrumpelig wie eine Omi”, seufzte ich, meine Hände aus dem warmen Wasser hebend. Regis lachte leise. “Wir sind schon recht lange hier. Es wird wohl Zeit, zu gehen.” Ich nickte ihm zu und erhob mich als erste. So angenehm es auch gewesen war, hier im warmen Wasser zu fläzen und sich zu entspannen, ich fühlte mich schon fast wie eine Rosine und sah auch so aus. “Ich wollte mich eh noch ein bisschen umsehen und schauen, ob ich mich irgendwo nützlich machen kann”, ließ ich Regis wissen. Natürlich wollte ich auch ein wenig Geld verdienen, immerhin lag ich bisher immer nur Geralt auf der Tasche und so richtig wohl fühlte ich mich damit wirklich nicht. “Ich denke, es spricht nichts dagegen, wenn Ihr ein wenig die Stadt erkundet. Bei dem alltäglichen Treiben wird sich Theodor gewiss nicht zeigen.” Erst jetzt hob der Vampir den Blick und sah mich beinahe mahnend an. “Bitte bleib unbedingt auf den Hauptstraßen. Ich habe Geralt versprochen, auf dich aufzupassen.” Boah, als wären sie meine Eltern nur in schlimmer. Genervt rollte ich mit den Augen, grinste aber. “Ja, Mama. Ich verrate Papa auch nichts.” Ein leises Lachen war noch von dem Vampir zu hören. “Sei zur Dämmerung am Eingang des Friedhofes, dann hole ich dich dort ab. Die Gräber sind nicht sicher. Ghoule und andere Kreaturen treiben sich dort herum.” Ich seufzte leise, nickte aber. “Ich werde pünktlich sein, versprochen.” Man könnte meinen, ich wäre ein Teenager, dass ich um eine bestimmte Uhrzeit zuhause sein musste, aber ich wusste ja, dass aus Regis aufrichtige Sorge sprach. “Bis später, Regis.” Kurz winkte ich ihm noch zu, dann steuerte ich die Umkleide an, ehe es sich der Vampir anders überlegen konnte und doch noch fand, dass es nicht sicher wäre, wenn ich alleine durch die Stadt turnte. Dabei glaubte ich nicht, dass mir ausgerechnet Theodor gefährlich werden würde. Eher der eine oder andere Mensch, dem nicht schmeckte, welche Unruhen ich nach Beauclair gebracht hatte. Außerdem hatte sich sicherlich längst rumgesprochen, dass ich mit zwei Greifenjungen und einem Hexer unterwegs war. Wer würde sich mit denen schon anlegen wollen? Dass ich dann noch den Shaelmaar gerettet hatte, hatte sicherlich auch Eindruck hinterlassen. Obendrein hatte ich das berüchtigte Biest von Beauclair offenkundig überlebt. Wette, da schlotterten so manchem die Knie. Auf die Gerüchte war ich auf jeden Fall gespannt. In der Umkleide traf ich erneut auf die Frau, die mir bei der Ankunft alles gezeigt hatte. Sie musterte mich von Kopf bis Fuß und schmunzelte vieldeutig. Ich runzelte die Stirn. “Stimmt etwas nicht?” Prüfend warf ich einen Blick an mir herab. Ja, ich war ziemlich schrumpelig an Fingern und Füßen, aber ansonsten konnte ich nichts ungewöhnliches feststellen. Blass war ich für diese Region sicher auch, aber das konnte man auch sehen, wenn ich mehr trug, als ein riesiges Handtuch. “Ihr schient Euch in der Nähe dieses Herren sehr wohl zu fühlen, trotz Eurer knappen Bekleidung”, sinnierte die Frau laut, als wäre das eine Antwort auf meine Frage. Abwartend sah ich sie an, was ihr ein Kichern entlockte. “Und?”, hakte ich nach, die Brauen demonstrativ gehoben. “Nun”, druckste die Frau herum und sortierte dabei die Handtücher noch einmal, die sie vorhin abgelegt hatte. “Er ist zwar nicht der Jüngste, doch sehr charmant und höflich. Eine gute Wahl.” Wieder kicherte sie, während bei mir der Groschen fiel. “Oh!”, entfuhr es mir, dann schüttelte ich lachend den Kopf. “Oh, nein, nein. Wir sind nur befreundet, das ist alles”, wehrte ich die Überlegungen der Frau ab, die hochrot wurde vor Verlegenheit und den Blick senkte. “Ver-verzeiht, ich dachte… nachdem Ihr ja mit dem Hexer…” Ah, die Gerüchte. Da waren sie schon. Zeit, das richtig zu stellen. “Geralt und ich sind nur Reisegefährten. Mehr ist da nicht, wirklich. Genau genommen verstehen wir uns nicht einmal besonders gut”, versuchte ich zu erklären. “Und Regis ist ein Freund, gewissermaßen ein Vorbild für mich.” So wie die Frau mich ansah, war ich mir echt nicht sicher, ob meine Worte sie wirklich erreichten. Was brachte sie denn nur auf die Idee, zwischen Regis und mir könnte etwas laufen? Ich fand schon die Idee völlig bescheuert, ich hätte etwas mit Geralt. Hoffentlich erzählte diesen Blödsinn niemand Yennefer, sonst grillte die mich vielleicht. “Aber das Biest…”, begann sie leise und wieder schüttelte ich den Kopf und führte ihren Satz weiter. “Hat mich mitgenommen, als ich mich einmischte, weil ich Informationen hatte, die für ihn von großer Wichtigkeit sind, um nicht töten zu müssen.” Sie sah nur noch verwirrter aus, dann hob sie die Hand vor den Mund und flüsterte leise in meine Richtung. “Bitte verzeiht. Es ist nur… die Leute reden und…” “Schon gut”, winkte ich ab. “Hab mir schon gedacht, dass es Gerede geben wird, aber glaub mir: Alles Blödsinn.” Die Frau wirkte noch immer nicht überzeugt, sondern fuhr verhalten fort. “Seid Ihr Euch sicher? Das Biest hat Euch entführt, direkt vor des Hexers Nase und Euch leben lassen.” In ihren Augen konnte ich die ungestellte Frage sehen, warum ich überlebt hatte. Ich seufzte leise. “Mit Geralt hatte das nichts zu tun. Das Biest ist eine Person, die nur ihre Lieben beschützen möchte und kein kaltblütiger Mörder”, verteidigte ich Dettlaff, doch offensichtlich umsonst, denn die Miene der Frau verzog sich, als sie einen Schritt zurücktrat. Sie glaubte mir nicht und ich konnte nicht einmal sagen, ob sie es nicht konnte oder schlicht nicht wollte. Was sie noch murmelte, konnte ich nicht verstehen, aber sie gab es auf, vorzuspielen, beschäftigt zu sein und verließ den Raum mit einem höflichen “Gebt auf Euch Acht, Milady. Einen schönen Tag noch”, auf den Lippen. Regis traf ich an der Tür des Badehauses wieder. “Bitte denk an unsere Abmachung. Ich möchte Geralt nur sehr ungerne erklären, dass ich nicht weiß, wo du bist”, ermahnte mich der ergraute Vampir mit ernster Miene. Innerlich seufzte ich, doch nach außen hin brachte ich ein Nicken zustande. “Klar doch. Ich werd mich einfach nur ein bisschen umsehen und schauen, ob ich mich irgendwo nützlich machen kann.” Ob Regis’ skeptischer Miene fügte ich noch hinzu: “Ganz harmlos natürlich. Vielleicht ein entlaufenes Kätzchen suchen oder so?” Kopfschüttelnd beließ er es dabei, doch ich konnte ihm ansehen, dass er seine Entscheidung, mich allein losziehen zu lassen, bereits ein wenig bereute. “Bis später, Regis”, verabschiedete ich mich eilig, ehe er es sich doch noch überlegen konnte. Schließlich hatte ich wenig Lust, die verbliebenen eineinhalb Tage vor der Nacht der langen Zähne damit zu verbringen, an Regis’ Rockzipfel zu hängen. Nicht, wenn ich auch versuchen könnte, mir eine adäquate Ausrüstung zu suchen - oder zumindest kein Kleid, denn das würde eindeutig nie ein Highlight für mich werden. Zwar hatte Regis mir eines zum Wechseln besorgt und ich wusste das sehr zu schätzen, dennoch wären Hosen nach all der Zeit echt eine feine Sache. Sie waren so viel praktischer! Zumindest hatte ich mich nicht in ein Korsett quetschen müssen. Die sinnloseste Erfindung überhaupt. Da die Leute mich hier sowieso für seltsam hielten - und des Hexers Hure, soweit ich ein getuscheltes Gespräch in meinem Rücken mithören konnte - kam es auf meine Kleidung sowieso nicht mehr an. Die Leute redeten eh längst. Energisch schritt ich aus, während ich im Kopf die Nebenquests durchging, an die ich mich noch erinnern konnte. Alles mit Monstern entfiel natürlich, denn im Kampf hätte ich nicht den Hauch einer Chance. Als erstes fiel mir das Bankhaus ein, doch mir würde man sicher nicht bescheinigen, dass Geralt noch lebte und sein Konto leeren wollte. Das müsste er schon selbst tun. Ein nicht gerade kleiner, ziemlich schadenfroher Teil von mir, zog für einige kostbare Sekunden in Erwägung, einfach hinzugehen, um zuzuschauen, wie die Leute dort verzweifelten, einschließlich Geralt. Aber letzten Endes könnte ich meine Zeit wohl mit sinnvolleren Dingen verbringen. Vielleicht sollte ich zum kleinen Friedhof am Stadtrand gehen, der anders als Regis’ neue Heimat, noch Besucher anlockte und gepflegt wurde. Ich wusste immerhin, dass die nächtlichen Geräusche nicht von einem Monster kamen, sondern zwei Geistern, die sich zofften, weil sie eine Gruft teilen mussten. Ein Problem, das ich durchaus beheben könnte. Allerdings würden die Geister erst nachts aktiv. Ich hatte also noch Zeit. Die vertrieb ich mir damit, hier und da einfach mit den Leuten zu quatschen. Viel tun brauchte ich nichtmal, damit sich jemand dazu bereit erklärte. Vielmehr sprachen die Leute mich an, kaum, dass ich es mir auf einem niedrigen Zaun bequem gemacht hatte. Offenbar war ich wirklich das Stadtgespräch geworden. Die Fragen waren jedoch meistens die gleichen. Wer war ich für den Hexer und wie hatte ich das Biest davon überzeugen können, mich nicht zu töten? Hatte mir die Kreatur etwas angetan? Ich wusste nicht, wie oft ich schließlich betonen musste, dass Geralt nur ein Reisebekannter war und meine Entführung mit ihm nicht das Geringste zu tun hatte. Und nein, wir waren einander nie nahe gekommen. Nein, ich war keine Zauberin, sondern trug mein Haar nur einfach so skandalös offen. Nein, ich wollte keine Haube haben, danke. Dass ich schließlich einem kleinen Mädchen erlaubte, mir die Haare zu flechten, war eher meiner Genervtheit zu verdanken als dem Wunsch, mich anzupassen. “Ich wurde nicht verletzt und das Biest hat auch nicht versucht, mir zu schaden. Ganz im Gegenteil”, beteuerte ich energisch, fragte man mich doch nach meiner Entführung fast noch lieber als nach Geralt. So richtig schien mir jedoch niemand zu glauben, dass ich wirklich unbehelligt geblieben war. Ebensowenig wie den Fakt, dass ich das Biest nicht für ein Monster sondern sehr sympathisch hielt. Dettlaffs Namen hielt ich zwar fein raus, doch ich machte keinen Hehl daraus, dass wir uns verstanden und er das Opfer einer Intrige war. Eine Information, die ziemlich offensichtlich niemand hören wollte außer zwei Frauen, die wissen wollten, ob ich das Biest verführt hatte. Vor Schreck hatte ich mich glatt an meiner eigenen Spucke verschluckt und war so rot angelaufen, dass die beiden nur vielsagend kicherten, als ich verneinte. Was ging bloß mit den Leuten hier? Wieso interessierte sich bitte jeder für mein nicht vorhandenes Sex-Leben? War denen echt so fade, dass das ein so spannendes Tratsch-Thema war? Oh man. Irgendwann hatte ich genug davon und löste mich unter einer ziemlich fadenscheinigen Ausrede, ich wolle mir noch die eine oder andere Sehenswürdigkeit der Stadt ansehen, aus der kleinen Menschentraube, die sich um mich gebildet hatte. Ich mochte es ohnehin nicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Schon Referate in der Schule waren ein Alptraum gewesen. Jetzt Beauclairs neuer Lieblingstratsch zu werden, stand da auch nicht unbedingt auf der Hitliste der Dinge, die ich unbedingt mal erlebt haben wollte. “Ah, Milady”, sprach mich ein Mann unvermittelt von der Seite an, den ich zuerst gar nicht wahrnahm, weil ich mich schlicht nicht angesprochen fühlte. Erst, als er seine Hand auf meine Schulter legte, zuckte ich erschrocken zusammen und starrte ihn verdattert an. “Milady? I-Ihr seid doch die Dame Daelis, die Monsterbändigerin, die mit dem Hexer in unser schönes Beauclair kam, nicht wahr?” Ich nickte, obwohl ich noch nicht so richtig begriff, worauf er überhaupt hinaus wollte. Mit seinem starken Akzent war es ohnehin nicht so einfach, ihn zu verstehen. “Ah, welch Glück! Bitte, sprecht mit Eurem Hexer in meinem Namen! Es ist ein dringender Notfall, der keinen Aufschub dulden kann. Einer der bedeutendsten Schätz der Stadt wurde entwendet”, regte er sich auf, offenbar doch um Haltung ringend, was ihm nicht gerade gut gelang. In meinem Hinterkopf ging ich bereits meine Erinnerungen durch. Ein Schatz, der gestohlen wurde? Da klingelte bei mir überhaupt nichts. Aber anhören konnte ich es mir ja mal. “Ich bin ganz Ohr”, erklärte ich und sah abwartend zu dem hageren Mann, der unsicher zu einer Tür in einem Holzzaun hinter sich sah. Der kam mir nun doch etwas bekannt vor. Was war denn noch…? Ehe ich zu einer Antwort kam, schob der Mann die Tür auf. “Besser ist es, ich zeige es Euch, Milady. Es ist eine Katastrophe! Eine solche Schandtat! Dass ich das erleben muss.” Zögerlich folgte ich ihm durch die Tür in eine Art Innenhof, der vor allem aus Treppen bestand, die zu einer Empore führten, auf der ich eine mir nun doch bekannte Statue erblickte. “Reginald d’Aubry, ein Volksheld und Verführer von Frauenherzen, wie es keinen zweiten gab”, seufzte der Mann neben mir, als wir vor der Statue ankamen. “Wie konnte jemand ihm das nur antun?”, fuhr er fort, als wäre ich gar nicht da. “Nun, das kann ich nicht beurteilen”, mischte ich mich einfach ins Gespräch ein, was den Mann aufblicken ließ. Jetzt blickte er schuldbewusst. “Ich muss mich entschuldigen, mit einem so pikanten Anliegen an eine Dame heranzutreten. Wahrlich, es beschämt mich. Doch ich bin ein von Verzweiflung getriebener Mann!” Was für eine Dramaqueen dieser Kerl war. Zumindest konnte man sagen, dass er seinen Job mit echter Hingabe liebte. “Schon gut”, meinte ich beschwichtigend. “Ich werde sehen, was ich machen kann, um Reginalds Gemächt zurückzubringen.” Dabei deutete ich auf die offensichtlich beschädigte Stelle der Statue des unbekleideten Heldens. “Ihr? Aber ich dachte, der Hex-” “Ich. Und wenn ich nicht weiterkomme, schalte ich Geralt ein, versprochen”, unterbrach ich direkt und winkte zum Abschied, ehe der Mann widersprechen konnte. Zum Glück wusste ich noch grob, wohin ich musste. Weit war es nicht gewesen und so viele Türen stünden wohl nicht offen um diese Zeit, oder? Ein Krächzen ließ mich aufblicken, kaum, dass ich den Innenhof, der als Museum für die Statue Reginalds herhielt, verlassen hatte. Offenbar hatten Sam und Dean genug davon gehabt, in der Gruft auf ihre Mama zu warten und sich eigenständig auf den Weg zu mir gemacht. Wie es ihnen gelungen war, mich so schnell ausfindig zu machen, erstaunte mich nur kurz, denn aus den Augenwinkeln konnte ich einen Raben ausmachen. Wenn der mal nicht zu Regis gehörte. Dass der mit Krähen und Raben gerne einen Schnack hielt, wusste ich ja, aber das hier war wirklich beeindruckend. Dean stieß seinen gar nicht mehr so kleinen Kopf gegen mein Knie. “Au, ist ja gut. Wir suchen etwas, meine Süßen”, summte ich leise und streichelte die beiden Greifenjungen nacheinander. Sie waren wirklich groß geworden, das konnte ich nicht leugnen. Inzwischen gingen sie mir schon über Kniehöhe. Wenn die weiter so schnell wuchsen, dann konnten sie in wenigen Wochen den Kopf auf meine Schulter legen. Sam und Dean auf den Fersen versuchte ich, mich möglichst genau zu erinnern, hinter welcher Tür ich den Dieb fände. Der war nämlich nichts weiter als ein alter Mann, der gerne mit seiner jüngeren Geliebten ein wenig mehr Spaß wollte, als sein Körper eigentlich hergab. An den Gerüchten, dass Reginalds Kronjuwelen die Manneskraft stärkten, war nämlich tatsächlich etwas dran und deshalb hatte er sie gestohlen. Diese Details zu kennen, machte die ganze Situation für mich jedoch nicht im mindesten weniger absurd. Allerdings beklagte ich mich besser nicht, denn so merkwürdig das alles auch war, es verhalf mir zu etwas Geld, denn wenn ich mich richtig erinnerte, war die Belohnung für diese Quest recht großzügig gewesen. Der Alte würde mir schon keine Schwierigkeiten machen, zumal ich ja jetzt die Winchesters bei mir hatte. Ob der Ehemann der Frau wohl auch dieses Mal hinzu käme? Das nannte man dann wohl schlichtweg Karma und Karma war bekanntlich ne Bitch. Die ersten beiden Türen, an denen ich rüttelte, waren verschlossen, doch die dritte öffnete sich sofort und bescherte mir eben den Anblick, mit dem ich fest gerechnet hatte. Ein Mann jenseits der Sechzig mit schütteren Resten von Haar auf dem Kopf stand mit heruntergelassener Hose neben dem Bett, auf dem sich eine Frau räkelte, die in etwa mein Alter hatte. Mich schauderte. Ich wollte nicht urteilen, aber wenn sie mit dem ins Bett ging, war es wohl wirklich Liebe, denn als gutaussehend ging der Mann echt nicht durch. War halt nicht jeder ein George Clooney. Dass sie ihren Ehemann betrog, fand ich gar nichtmal so schlimm. Wer wusste schon, ob sie diese Ehe überhaupt freiwillig eingegangen war? Gleichberechtigung war ja noch nicht wirklich Teil des hiesigen Zeitgeists. Allerdings hieß das alles noch nicht, dass ich mich nicht ziemlich unwohl damit fühlte, das Schäferstündchen unterbrochen zu haben. Schon jetzt hatte ich eindeutig mehr gesehen, als ich hatte sehen wollen, egal, wie intensiv ich das Muster der Tapete hinter der Frau anstarrte. Entgeistert starrten mich die beiden an, als ich eine Hand zum Gruß hob. “Hi.” Schwer zu sagen, wer von uns am wenigsten Freude über dieses Treffen empfand. Die Frau zog eilig die Bettdecke um sich, während ihr gealterter Liebhaber versuchte, seine Hose hoch zu ziehen. “We-wer seid Ihr und was sucht Ihr in meinen Gemächern?!”, empörte sich die Frau schließlich. Zugegeben konnte ich ihren Ärger verstehen, aber es war nun wirklich nicht so, als hätte ich meine helle Freude daran, ausgerechnet jetzt hier zu sein. Wirklich nicht. Aber ich konnte nunmal das Gold gebrauchen, das es als Belohnung dafür gäbe, Reginalds Kronjuwelen zurückzubringen. Die Situation war so absurd, dass ich echt nicht sicher war, wie ich das überstehen sollte, ohne zu lachen. Allein, dass jemand die Hoden einer Statue geklaut hatten, um seiner eigenen Potenz auf die Sprünge zu helfen, war schon irgendwie urkomisch, auch wenn es schrägerweise ja funktionierte. “Ich heiße Daelis und ich bin”, begann ich, wurde aber direkt unterbrochen. “Raus hier, Kleines!”, keifte der Alte mich an. “Ich bin hier, um die gestohlenen Kronjuwelen Reginalds einzusammeln”, beendete ich meine Erklärung bemüht sachlich und warf dem alten Mann, dem die Hose immerhin nicht mehr um die Knöchel hing, einen finsteren Blick zu. “Danach könnt ihr… meinetwegen tun, was immer ihr so tut. Das geht mich nichts an und interessiert mich auch nicht.” Abwehrend hob ich die Hände. “Ehrlich, das ist euer Bier. Damit will ich nichts zu tun haben. Ihr seid beide alt genug, das selbst entscheiden zu können. Aber ich muss auf die Aushändigung der Hoden bestehen.” Empört plusterte der Mann sich nun auf. “I-ich weiß nicht, wovon Ihr überhaupt sprecht, noch wer Ihr glaubt zu sein, hier einfach reinzuplatzen. Meine Frau und ich wollen Euch hier nicht haben. Raus!” Woah, wen glaubte er bitte, hier zu verarschen? “Pass mal auf, Alterchen. Wir drei wissen, dass ihr beide nicht verheiratet seid. Wenn ich also Reginalds Klöten mitnehme und über das hier”, gestikulierte ich zwischen dem Mann und der inzwischen erschrocken dreinblickenden Frau hin und her, “für mich behalte, dann ist das eine Gefälligkeit. Also rück die Eier raus, sonst setzt es was!” Dass meine Drohung nicht unbedingt besonders eindrucksvoll war, hätte ich mir natürlich denken können, doch dass es dem Alten so klar ins Gesicht geschrieben stand, tat schon fast ein wenig weh. Allerdings hatte meine Tonlage wohl genügt, um Sam und Dean auf den Plan zu rufen, die sich nun krächzend aufplusterten und angriffslustig näher an den Mann heranrückten, der es nun doch mit der Angst zu tun bekam. “Ni-Nimm die verdammten Viecher weg! Was sind das überhaupt?!” Ich grinste nur zur Antwort. “Sie sind Greifen. Du weißt schon: Die Art von Monster, für die man normalerweise einen Hexer anheuert, den man mit Pech nicht einmal mehr bezahlen muss, weil er dabei draufgeht”, flötete ich gespielt arglos. “Nun? Die Hoden, wenn ich bitten darf.” Erwartungsvoll streckte ich die Hand aus. Ich konnte nur raten, wie seltsam es aussah, als ich mit den steinernen Hoden Reginalds in der Hand aus der Tür trat und dabei in den nun tatsächlich heimkehrenden Ehemann der Frau hineinlief, der mich verdattert anstarrte. Zum Glück hielt er mich wohl nur für eine Besucherin, auch wenn er ziemlich verwirrt dreinsah. Das allerdings könnte auch daran gelegen haben, dass mich die Winchesters begleiteten wie zwei zahme Hunde. Von der Größe her lagen sie immerhin schon mit Schäferhunden gleichauf. Sie waren wirklich unglaublich schnell groß geworden, meine kleinen Babys. Auf der Straße konnte ich gerade noch hören, wie in dem Raum, den ich verlassen hatte, ein Streit vom Zaun brach. Puh, da wollte ich mich wirklich nicht einmischen. Das sollten die mal schön unter sich ausmachen. Mein Interesse galt mehr der Belohnung, die ich mir nun abholen würde. Zwar konnte ich nicht behaupten, jetzt eine Meisterleistung vollbracht zu haben, doch Reginald hatte seine Kronjuwelen zurück und ich war um einiges reicher als vorher und auf dem Weg zum Friedhof, um mich dort meinem nächsten Fall zu widmen. Die Sonne stand bereits tief und die Dämmerung nahte. Mit etwas Glück könnte ich die beiden Geister schon antreffen, ehe es völlig duster war. Zwar war auf dem Friedhof sonst nicht so viel los, aber in die Grabräuber wollte ich lieber nicht laufen und auch nicht in das Pärchen, das sich nachts in den Büschen traf. Brr! Nein, danke. Zumindest hatte ich die Winchesters bei mir, da fühlte ich mich direkt sicherer. Dankbar tätschelte ich Sams Kopf, der leise quietschte. “Wir gehen jetzt noch ein paar Leuten helfen und dann zurück zu Regis, damit er nicht mit uns schimpft”, erklärte ich ihm, auch wenn er sowieso nicht verstand, was ich ihm mitteilte. Das hatte mich jedoch auch meinem Kater gegenüber nie davon abgehalten, mit ihm zu sprechen. Tatsächlich war mir das Glück hold. Ich hatte die Gruft gerade betreten, da hörte ich schon eine Stimme lospoltern. “Verschwinde von hier!”, keifte die Frauenstimme, von der ich genau wusste, dass ihre Worte nicht mir galten, sondern dem Geist ihres Ehemannes, der etwas zurückfauchte, dass ich nicht verstehen konnte, weil es so stark von den Wänden der Gruft widerhallte. Schnellen Schrittes folgte ich den Stimmen, doch als ich die Kammer erreichte, war von beiden keine Spur zu sehen. Ich seufzte. Eigentlich hatte ich keine Lust, mich stundenlang hinter die olle Statue in der Ecke zu hocken, bis die beiden weiter stritten. “Okay, wisst ihr was? Ich weiß, dass ihr hier seid und auch, wo euer Problem ist. Wie wäre es also”, begann ich ins Nichts zu reden, “wenn ich einen von euch von hier wegbringe? Dann habt ihr beide eure Ruhe voreinander.” Einige Minuten blieb es still, doch gerade, als ich noch etwas sagen wollte, tauchte unvermittelt der Geist der Frau vor mir auf und erschreckte mich fast zu Tode. Japsend machte ich einen Satz zurück, was ihr ein Glucksen entlockte, ehe sie mich skeptisch musterte. “Wenn du diesen spielsüchtigen Idioten von hier wegschaffen könntest, wäre ich dir wirklich dankbar”, meinte sie und warf einen giftigen Blick zur Seite, wo sich nun auch der Geist des Mannes offenbarte, der sofort schnaubte. “Bring mich bloß weg von dieser Schreckschraube!” Ich konnte schon sehen, dass die Frau zu einer Erwiderung ansetzte, also mischte ich mich direkt ein, bevor es weiter eskalierte. “Ist gut. Kein Problem. Ich bringe dich”, wandte ich mich an den Mann, “am besten in die Kammer der Gwent-Freunde, wie klingt das?” Seine Miene hellte sich sofort auf. “Ja! Ja, das ist gut. Danke!”, überschlug sich seine Stimme fast. Immerhin das wäre wohl geklärt. Ohne lange zu fackeln schnappte ich mir seine Urne, die gut sichtbar in einer Ausbuchtung stand, da sprach mich seine Frau noch einmal an. “Wenn du ihn weggebracht hast, komm doch nochmal zurück. Ich verrate dir ein Geheimnis.” Ah, klar. Die Gwent-Karten, die sie vor ihm versteckt hatte. Die könnte ich zwar nicht holen wegen dieser Giftspuckerpflanze, aber ich nickte ihr dennoch zu. Vielleicht wollte Geralt sie ja später einsammeln. “Mache ich. Bis gleich.” Die Grabräuber waren wohl noch nicht da, denn als ich die Kammer betrat, war sie leer, sodass ich nur die Urne platzieren brauchte, damit der Spielsüchtige hier seine endgültige Ruhestätte fand. Zumindest wäre auf dem Friedhof nun nachts wieder Ruhe. “Dankeschön, junge Dame! Hier kann ich endlich meiner Leidenschaft frönen und bin umgeben von Gleichgesinnten”, schwärmte der Mann. “Kein Thema. Viel Spaß und so”, winkte ich ab. So langsam sollte ich mich sputen, immerhin wartete Regis bestimmt schon auf mich. Zumindest der Geist der Frau hielt sich ans Script und erklärte mir, wo sie die wertvolle Gwent-Karte ihres Mannes versteckt hatte. Ich bedankte mich artig bei ihr und versprach, die Karte zu bergen und jemandem zu geben, der daran Freude hätte. Dass ich selbst nicht spielte, sickerte dabei wohl durch, doch so wie die Frau lächelte, hieß sie das gut. Kein Wunder bei der Vorgeschichte. Kapitel 14: Die Nacht der langen Zähne -------------------------------------- Wie erwartet, waren Regis und Geralt beide nicht besonders erfreut über meine Verspätung. So wie der Hexer guckte, hatte er Regis auch schon zurechtgewiesen, weil der mich überhaupt erst unbeaufsichtigt gelassen hatte. Man könnte meinen, ich wäre ein kleines Mädchen, dass immer einen Aufpasser brauchte. Missmutig ließ ich Geralts Standpauke über mich ergehen, ehe ich kurz zusammenfasste, wo ich gewesen war und was ich so getrieben hatte. Während die Geschichte über Reginalds verschwundene Kronjuwelen den Hexer noch eindeutig amüsierte, wirkte er ob der Geschichte der zwei Geister direkt wieder miesepetrig, woran sich auch nichts änderte, als ich ihm verriet, wo er eine sehr seltene Gwent-Karte bergen konnte. “Das war ziemlich unvorsichtig. Nachts auf einem Friedhof herumzulungern…”, bemerkte er grollend. Giftig starrte ich Geralt an. “Du hast mich selbst auf einem zurückgelassen und auf dem gibt es obendrein Monster”, zischte ich. Geralt sog scharf die Luft ein, mich wütend anfunkelnd. “Dass du so über Regis spri-” “Nicht Regis!”, unterbrach ich den Weißen Wolf ungehalten. “Ich meine die Viecher in den Gängen. Regis ist ebensowenig ein Monster wie du oder ich.” Einen Moment lang starrte Geralt mich nur an und ich konnte auch Regis’ Blick auf mir spüren, ehe der Hexer seufzte und einlenkte. “Na meinetwegen, aber dennoch solltest du solche offensichtlichen Gefahren meiden. Du bist kein Hexer und nur, weil dir zwei Greifen im Moment noch aus der Hand fressen, heißt das nicht, dass das so bleiben muss.” Ja Mama. Ich verbiss mir jede Erwiderung. “Was machen wir jetzt wegen Syanna?”, wechselte ich also das Thema. “Dettlaff will sie übermorgen schon sehen, sonst werden die Vampire über die Stadt herfallen.” Nicht, dass sie das nicht sowieso würden. Das konnte niemand mehr verhindern, doch wenn Syanna nicht kam, würde Dettlaff versuchen, Geralt zu töten und seine Drohung wahr machen, die Stadt auszulöschen. Und wenn Geralt nicht starb, tat es Dettlaff. Beide Varianten wollte ich lieber vermeiden und damit war ich bestimmt nicht alleine. Mein Blick suchte von ganz allein den von Regis, der ernst nickte. “Zwar bezweifle ich, dass die Herzogin es gutheißen wird, wenn wir ihr vorschlagen, Syanna auszuhändigen, doch ich bin ebenfalls der Ansicht, dass sie sich Dettlaff erklären sollte, wenn wir hoffen wollen, eine friedliche Lösung zu finden.” Er ahnte ja nicht, dass Anna Henrietta nicht nur dagegen war, sondern ihre Schwester gut versteckt hatte. Zum Glück wusste ich aber, wo. So sparten wir Zeit und vielleicht könnten wir verhindern, dass die Vampire die Stadt zu übel zerlegten, ehe wir mit Syanna im Schlepptau nach Tesham Mutna kamen. Geralt nickte grimmig. “Hoffen wir, dass das funktioniert, sonst…” Er ließ den Satz unbeendet, doch wir wussten wohl alle sehr genau, was der Hexer sagen wollte und ich wusste, zu welcher Situation uns ein Kampf Geralt gegen Dettlaff führen würde. Einer von ihnen müsste sterben und gleich welcher, Regis würde leiden ob der Schuldgefühle, einen Freund dem Tod überantwortet zu haben. Ein Schicksal, dass ich weder Regis wünschte, noch Dettlaff oder Geralt. Dass ich den nächsten Tag jedoch unter Hausarrest in der Gruft verbringen musste, weil Geralt wegen meines kleinen Alleingangs stinksauer auf mich war, gehörte nicht zu meinem Plan. Regis war zum Aufpassen verdonnert worden und warf mir immer wieder entschuldigende Blicke zu, wenn ich eindeutig missgelaunt von einem Buch aufsah. Mangels besserer Beschäftigung hatte ich mich nämlich schnell wieder der kleinen Bibliothek zugewandt, welche Regis sein Eigen nannte. Morgen Abend, sagte ich mir, wäre es schon soweit. Drei Tage wären um und dann würde die Nacht der langen Zähne beginnen. Diese Nacht musste ich unbedingt ausruhen und schlafen, ebenso den Tag, damit ich dann am morgigen Abend und vor allem nachts während des Angriffs, fit wäre. Zwar würde mir das in keinem Kampf helfen, doch ich müsste immerhin irgendwie versuchen, mit Regis und Geralt mitzuhalten, deren physische Fähigkeiten meine locker in den Schatten stellten. Wenn ich Regis auch nicht sagen konnte, was genau uns erwartete, so war ich doch sicher, dass er ebenso angespannt war, wie ich selbst. Er kannte Dettlaff wohl besser als jeder andere und wusste, wozu sein Blutsbruder fähig war. Ebenso, wie wir beide wussten, dass die einzig sichere Möglichkeit, ihn jetzt zu stoppen, wäre, den Unsichtbaren aufzusuchen. Eine Option, die ihm vielleicht in den Sinn gekommen war, ich jedoch nicht einmal in Erwägung zog. Kam nicht in Frage. Vermutlich war es ziemlich arrogant von mir, das zu hoffen, aber ich wollte dennoch glauben, dass niemand sterben müsste, abgesehen vielleicht von Syanna, die den Tod nach hiesigem Recht sowieso verdient hätte, wäre sie nicht zufällig die Schwester der Herzogin. Dass Annarietta trotz allem und dem Wissen, dass sie das finale Ziele in Syannas Racheplan gewesen wäre, dennoch unbedingt ihre Schwester von aller Schuld frei sprach und obendrein Dettlaff allein verurteilte, hatte mich schon im Spiel wütend gemacht. Wie konnte man nur so blind sein? In meine Gedanken und die Bücher von Regis abwechselnd versunken, krochen die Stunden nur so vor sich hin. Als es jedoch endlich dämmerte und ich mich in das Bett kuschelte, von dem mir langsam dämmerte, dass es wohl mal Dettlaffs gewesen war, fand ich keine Ruhe. Das Wissen darüber, was die nächste Nacht bereit hielt, sorgte dafür, dass ich einfach nicht einschlafen konnte. So gerne hätte ich verhindert, dass es überhaupt dazu kam, doch meine eigenen Lügen hatten mir dabei schließlich im Weg gestanden und von Theodor hatte ich auch nichts wirklich Neues erfahren können. Es war frustrierend! Erst, als der Morgen dämmerte, siegte die Müdigkeit schließlich und ich versank in unruhigen Träumen. Ich saß buchstäblich auf heißen Kohlen, bis es dämmerte und Geralt entschied, nun wie befohlen, die Herzogin aufzusuchen, um ihr mitzuteilen, dass er wie vorhergesagt keine Spur des Biests von Beauclair hatte finden können. Regis würde ihn begleiten, zumal die Herzogin ja vom Treffen bei Orianna eh schon wusste, dass Dettlaff das Biest und ein Bekannter von Regis war. Fast hatte ich gehofft, die Zwei würden mich einfach in der Gruft zurücklassen, um die beiden Greifenküken zu bespaßen, die den vorigen Tag damit verbracht hatten, wie wild über den Friedhof zu tollen, sicherlich nicht, ohne den einen oder anderen Grabstein umzuschmeißen. Wenn sie so weiterwuchsen, würde ich sie wohl leider nicht mehr lange bei mir behalten können und müsste sie irgendwo auswildern, wo keine Menschen lebten. Der Gedanke schmerzte, doch für meine Kleinen wäre es das Beste. Zum Besuch bei der Herzogin durften die Zwei jedoch mit. Sie folgten mir auf Schritt und Tritt, sehr zum Ärger Geralts, der voran ging, während ich mit Regis folgte. Der Vampir sah besorgt aus, was ich gut verstehen konnte. Auch er wollte Dettlaff helfen und wusste nicht, wie. Am liebsten hätte ich seine Hand gedrückt, um ihm zu signalisieren, dass ich verstand und dass alles gut werden würde, doch so ganz sicher war ich mir dabei leider selbst nicht. Dass ich Ritter Hasenfuß gerettet hatte, hatte nicht so viel verändert wie gehofft. Hätte ich Dettlaff nicht so viele Lügen aufgetischt, hätte ich vielleicht in Burg Tynne mehr tun können, doch sich jetzt darüber zu ärgern, war müßig, zumal ich Dettlaff die Wahrheit über meine Kenntnisse ja nicht hätte verraten können. Das hatte bisher nie funktioniert, sonst hätte ich ja längst versucht, Geralt alles zu erklären, als wir uns das erste Mal trafen. Seufzend ignorierte ich die Wachen am Tor, die uns mit großen Augen musterten, dann aber kommentarlos passieren ließen. Leises Getuschel jedoch folgte uns, wenn ich auch kein Wort verstand. Regis hingegen sehr wohl. Ein kurzes Schmunzeln huschte über seine Züge, als uns eine junge Frau entgegen kam, die verkündete, der Hexer würde nun von Ihrer Hoheit empfangen, doch wir anderen möchten bitte hier warten. Dass ihr Blick dabei abfällig über mich und die Winchesters glitt, ignorierte ich gekonnt. Mir war klar, dass Annarietta nicht gut auf mich zu sprechen war. Ihr Problem. Sollte sie ihren Hofdamen gegenüber nur lästern, so viel sie wollte, auf diese Kontakte legte ich eh keinen Wert. Kaum, dass Geralt mit der jungen Frau verschwunden war, neigte sich Regis in meine Richtung, um mir etwas zuzuflüstern. “Bisher kam mir dieser Gedanke nicht, doch anscheinend hast du dir einen Ruf als Monsterbändigerin in mehr als einer Hinsicht gemacht.” Ich runzelte die Stirn und blickte fragend zu ihm hoch, ehe ich ihn nur kurz korrigierte. “Was meinst du?”, wollte ich wissen und erntete einen etwas verlegenen Blick. Der Vampir räusperte sich, ehe er zögerlich meinte: “Nun, manch einer vertritt wohl die Erwägung, du könntest dem Biest näher gekommen sein und wärst deshalb verschont worden.” Läge in seinem Blick nicht solches Wohlwollen, ich hätte abfällig geschnaubt, so aber blickte ich ihn nur tadelnd an. Wirklich, Regis? Dass er auf die Gerüchteküche hörte, hätte ich nicht von ihm gedacht. “Offenbar will bloß keiner hier die Wahrheit hören”, gab ich etwas patzig zurück. “Da lief nichts. Wirklich”, betonte ich mit fester Stimme und fügte, als Regis fast enttäuscht blinzelte, hinzu: “Nichts gegen Dettlaff, wirklich nicht. Aber wir hatten nicht so viel Zeit, uns kennenzulernen und obendrein geht es hier um seine Geliebte Syanna.” Regis nickte bedächtig und schwieg, sichtlich in Grübeleien versinkend, während mir zugleich auffiel, dass Regis doch eigentlich bei der Unterredung hätte dabei sein müssen, wenn ich mich richtig erinnerte. Insgeheim war ich aber dankbar dafür, dass er hier bei mir geblieben war, denn ich wusste, der Angriff begänne jeden Moment. Lange dauerte es nicht, bis genau das passierte, worauf ich gewartet hatte. Regis sah sich unruhig um und ich könnte schwören, er witterte, was kam. Die Vampire waren da, um über Beauclair herzufallen. Ich presste die Lippen zu einem schmalen Strich und widersprach nicht, als Regis mich am Arm griff und mit knappen Worten mit sich zog. “Folg mir und bleib nahe.” Oh, das würde ich auf jeden Fall. Die Winchesters hingen mir an den Hacken. Sie wussten vermutlich ebenso gut wie ich, welche Gefahr sich uns näherte und tatsächlich dauerte es keine Minute, bis ein Wachmann an uns vorbei taumelte, der aus schweren Wunden blutete. Weit kam er nicht, denn ein Schemen sprang ihn aus der Unsichtbarkeit heraus an und riss ihn zu Boden. Eine Bruxa. Ihr wilder Blick wanderte zuerst zu dem Wachmann, nach dessen Ableben zu Regis, dessen Hand schwer auf meiner Schulter ruhte, und mir. Sie funkelte uns kurz an, huschte dann aber so schnell weiter, dass ich nicht einmal hätte sagen können, in welche Richtung. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Wäre Regis nicht hier, sie hätte mich zweifelsfrei einfach getötet. “Sehen wir besser nach Geralt”, brachte ich gepresst heraus und winkte Dean zu, mitzukommen. Der Greif hatte sich vorgewagt, um der Bruxa nachzukrächzen, die das vermutlich schon nicht einmal mehr gehört hatte. Regis drückte meine Schulter fest. “Lauf, so schnell du kannst. Ich bleibe immer an deiner Seite, doch wir müssen vorsichtig sein. Sie wird nicht allein hergekommen sein”, mahnte er mit ernster Stimme. Ich nickte ihm nur still zu und schickte ein Stoßgebet an einen Gott, an den ich nicht glaubte, dass ich das hier irgendwie überlebte und mit Dettlaff reinen Tisch machen konnte. Am besten mit allen. Wenn ich ihnen doch nur erklären könnte, woher ich über mein Wissen verfügte und dass ich wirklich als Freundin an sie herangetreten war. Doch darüber könnte ich mir wohl den Kopf zerbrechen, wenn ich die Nacht der langen Zähne überstanden hatte. Wie blind taumelte ich Regis’ Führung hinterher. Mehrmals kamen wir an Leichen vorbei, die in einem so schrecklichen Zustand waren, dass es an ein Wunder grenzte, dass ich mich nicht übergab. In Filmen machte mir das alles überhaupt nichts aus, doch in der Realität war es etwas völlig anderes. Diese Leute waren einfach niedergemetzelt worden und hatten keine Chance gehabt, auch wenn einige von ihnen ein Schwert in der Hand hielten. Als könnte ihnen das gegen einen Vampir wirklich helfen. Selbst mit einer Silberklinge bewaffnet, wäre eine Bruxa oder ein Katakan oder ein Ekimma noch immer ein mehr als gefährlicher Gegner für eine Gruppe Krieger. Wäre nicht der sanfte Druck von Regis’ Hand an meiner gewesen, ich hätte wohl noch einen Moment länger auf den Toten gestarrt, dessen leerer Blick auf mir zu ruhen schien, als wolle er mir einen stummen Vorwurf machen, weil ich all das hier nicht verhindert hatte. Ich schluckte schwer und ließ mich von Regis mitziehen, der mir einen ernsten Blick zuwarf. “Beeilen wir uns besser. Sicherlich wäre es auch nicht in Dettlaffs Interesse, dass du hier dein Ende findest.” Irgendwie war ich mir da nicht so sicher. Spätestens, wenn Dettlaff meine Lügen aufdeckte, konnte das schon ganz anders aussehen. Die anderen Bewohner der Stadt interessierten ihn ja scheinbar auch nicht besonders, wenn man diesen drastischen Angriff bedachte. Im Zorn war eben keiner mehr Herr seiner selbst und für Dettlaff galt das ganz eindeutig besonders. Ich hoffte wirklich, mein Wissen könnte wenigstens beschleunigen, was nun anstand, damit weniger Menschen sterben mussten. Dafür brauchte ich allerdings den Hexer und der wiederum mich. Dass Regis Geralts Spur folgte, hoffte ich einfach. Im Spiel hatten die beiden sich ja auch innerhalb der Schlossmauern gefunden, um dann nach Syanna zu suchen. “Regis, Daelis.” Erleichterung durchflutete mich, als der Hexer mit schnellen Schritten auf uns zueilte. Sein Blick wanderte nur kurz über uns beide. “Sieht verdammt übel aus”, zischte Geralt hörbar gereizt. An seiner Silberklinge klebte bereits Blut. “Wir sollten Syanna suchen, damit sie sich mit Dettlaff trifft”, mischte ich mich ein. Geralt starrte mich skeptisch an, doch Regis kam mir zum Glück zur Hilfe. “Sie hat es selbst angeboten und ich denke, das ist der einzige Weg, wie wir das hier beenden können”, stimmte er mir zu. Mit einem leisen Schnauben nickte der Hexer. “De La Tour hat erzählt, sie sei im Palast. Hoffen wir, dass wir nicht zu spät kommen.” Ich verstand sofort, was er meinte. Bei all den angreifenden Vampiren hier, fürchtete er, dass Syanna auch angegriffen worden sein könnte. Na, da konnte ich ihn beruhigend. “Sie ist in Ordnung. Trödeln wir hier nicht länger herum”, hetzte ich den Hexer und bedeutete ihm zugleich mit einer Geste, voran zu gehen. Wo genau die Tür war, durch die er im Spiel zu den Gemächern gelangt war, in denen das Märchenbuch lag, wusste ich nämlich nicht mehr. Zum Glück jedoch fand der Hexer den Weg auch ganz ohne Hilfe. Als wir die richtige Tür erreichten, erkannte ich die Umgebung sofort und tippte Regis an. “Kannst du dich da hereinnebeln, um uns die Tür aufzumachen?”, bat ich ihn. Wir hatten schlicht keine Zeit mehr zu verschwenden. Im Spiel dauerte es gefühlte Ewigkeiten, bis den beiden diese Idee kam und Geralt nicht versuchte, die Tür mit Gewalt zu öffnen. “Ich bin sicher, wir finden hier Syanna”, betonte ich Regis gegenüber mit belegter Stimme. Der ergraute Vampir runzelte nur kurz die Stirn, nickte dann aber. “Natürlich. Bitte habt einen Moment Geduld.” Dean und Sam hielten sich nun nahe bei meinen Beinen. Sie hatten bestimmt auch Angst, meine armen Kleinen. “Alles wird gut”, flüsterte ich ihnen zu, ungeduldig auf die Tür starrend, während Geralt neben mir etwas von “Mistviechern” brummte. Viel länger als einen Moment brauchte Regis zum Glück wirklich nicht, um uns einzulassen. Als ich an ihm vorbeistürmte, rief ich ihm noch ein “Danke” zu, hastete dann aber auch schon die Treppe hinauf. Ich glaubte mich zu erinnern, dass der Raum im Obergeschoss lag. Hinter mir hörte ich Geralt fluchen und meinen Namen rufen, doch ich ignorierte das ebenso wie das Krächzen der Winchesters. Das erste Zimmer, an dessen Tür ich rüttelte, war verschlossen, doch an der zweiten Tür hatte ich Glück. Bingo! Das war es! Hier musste das Märchenbuch liegen, in dessen Zauber die Herzogin Syanna versteckte und gefangen hielt. Mein Blick suchte das Buch bereits, als mich etwas am Arm griff und damit fast aus dem Gleichgewicht brachte. “Verdammt, bleib gefälligst an meiner Seite!”, blaffte Geralt mich an. “Es könnte gefährlich sein!” Ich murrte: “Ist es aber nicht und jetzt lass mich los. Wir müssen Syanna finden!” Einen Moment lang noch starrte mich der Weiße Wolf finster an, dann lockerte sich sein Griff und müsste ich raten, lag das wohl vor allem an Regis Hand auf Geralts Unterarm. Lange suchen musste ich das Buch nicht. Es lag in einem ansonsten fast leeren Schrank. Geralt hatte derweil das Tagebuch der Amme gefunden, die sich um Syanna und Annarietta gekümmert hatte, als die Schwestern noch klein gewesen waren. Im Spiel las er daraus nun eigentlich ein paar Zeilen vor, doch das hielt ich für Zeitverschwendung. Also wedelte ich demonstrativ mit dem Märchenbuch. “Sie ist hier drin! Das hier ist ein magisches Buch. Es wurde so verzaubert, dass eine Art magische Realitätsebene entsteht, in der die beiden Schwestern als Kinder gespielt haben. Das Innere ist allerlei Märchen nachempfunden”, erklärte ich kurz angebunden und erntete erstaunte Blicke seitens Geralts und Regis’, wobei ich wetten könnte, dass gerade der Vampir sich gerade zusammenreimte, dass ich doch sehr viel mehr Details kannte, als ich ihm und Geralt gegenüber zugegeben hatte. “Ist das dein Ernst?” Der Hexer klang noch nicht so richtig überzeugt. Ich nickte. “Absolut. Sie ist hier drin. Wer würde schon in einem Buch nach ihr suchen? Ein besseres Versteck gibt es doch gar nicht”, versuchte ich ihm das Ganze schmackhaft zu machen. Dass der Zauber inzwischen korrumpiert war und nicht mehr wie ursprünglich angedacht funktionierte, weshalb die Märchenfiguren nun durchdrehten, erzählte ich ihm besser noch nicht. Das würde Geralt dann schon sehen. Er seufzte, als ich das Buch auf dem Tisch ablegte, auf dem er das Tagebuch der Amme gefunden hatte. “So wie du guckst, willst du wohl mit, mh?”, brummte der Weiße Wolf in meine Richtung. “Natürlich.” Er würde mich brauchen, sonst dauerte der ganze Kram nur unnötig lange. Obendrein wollte ich unbedingt verhindern, dass er sich auf eine Runde Gwent gegen das Mädchen mit den Zündhölzern einließ und Syanna ihr magisches Haarband gewann. Dass sie entkam und damit vielleicht das offiziell gute Ende einleitete, in dem sie einen auf glückliche Familie mit der Herzogin machte, während Dettlaff sterben müsste, würde ich nicht zulassen. Obendrein bestünde dadurch auch noch die Möglichkeit, dass alle drei starben: Dettlaff, Syanna und Annarietta. “Dann sollten wir alsbald aufbrechen”, sinnierte Regis, das Märchenbuch skeptisch musternd. “Weißt du auch, wie wir in das Buch gelangen?” Fragend sah er mich an und wieder nickte ich. “Man muss es nur aufschlagen und lesen. Aber zur Sicherheit sollte jemand hier bleiben oder besser am Notausgang des Buches, draußen am Brunnen”, verplapperte ich mich und konnte direkt Misstrauen in Geralts gelben Katzenaugen aufblitzen sehen. Regis hingegen war die Ruhe selbst. “Dann werde ich dort warten. Für den Fall, dass Vampire den Weg dorthin finden, bin ich als einziger außer Gefahr”, erklärte der Vampir sachlich. Bildete ich mir das ein oder versuchte er gerade, mir zu helfen, meinen Willen zu kriegen? Beschweren würde ich mich darüber nicht, denn so wie Geralt guckte, hätte der mich nur zu gerne hier gelassen. “Ich kenne die Märchen ziemlich gut und weiß, wie wir schnell zum Ausgang kommen. Aber ich kann nicht kämpfen und das Buch wird uns vermutlich als Eindringlinge betrachten…” Mein Blick wanderte zu Geralt, der nur leise ächzte. “Gut, einverstanden.” Diesen Kampf hatte ich zwar gewonnen, doch die Winchesters wollte der Hexer partout nicht mitnehmen. Sie wären uns nur im Weg und ohnehin könnten sie nicht lesen, wie sollten sie überhaupt in das Buch kommen? Zwar zog ich eine Schnute und brummte beleidigt, weil er meine süßen Winchesters als “Hässlich und Hässlicher” betitelte, aber gegen das letzte Argument konnte ich nichts sagen. Als Regis versprach, auf sie aufzupassen, während Geralt und ich Syanna holten, beruhigte mich jedoch, auch wenn Geralts Miene ahnen ließ, dass er nicht der Meinung war, dass irgendjemand die Greifen beschützen müsste. Wenn ich die beiden in die Freiheit auswilderte, sollte ich wirklich besser aufpassen, das weit weg von jeglichen Hexern zu tun. Ein bisschen traurig stimmte mich der Gedanke, doch die beiden waren inzwischen so groß geworden, dass sie nicht mehr lange mit mir herumlaufen könnten. Schon jetzt wurden sie überall argwöhnisch beäugt. Noch größer und jeder würde auf den ersten Blick Monster in ihnen sehen. In den Zauber des Buches gezogen zu werden, war alles andere als angenehm und mein Magen fühlte sich mächtig flau an, als sich mein Blick endlich wieder klärte und den Blick auf einen dicht bewachsenen Wald preisgab. “Ich hasse Portale”, konnte ich Geralt neben mir leise brummen hören. Verhalten kicherte ich und deutete dann auch schon auf die golden schimmernden Steine, die auf dem Boden erkennbar waren, wenn auch an vielen Stellen bereits überwuchert. “Denen sollten wir folgen, egal ob sie zum Zauberer von Oz oder Alice im Wunderland gehören”, meinte ich und ging voran, den Hexer direkt auf den Fersen. “Keine Ahnung, wovon du sprichst, aber meinetwegen. So schwer kann es ja nicht werden, Syanna hier zu finden.” Ich nickte. Syanna zu finden, war wirklich nicht das Problem. Hier herauszukommen schon eher. Aber das würde Geralt schon noch selbst merken, wenn wir erst bei der Hexe ankamen, die Syanna gerade gehörig auf den Keks ging. Entspannt trabte ich den Pfad entlang, umrundete eine eingestürzte Brücke, die über einen Bach führte, der eh kein Wasser mehr führte. “Ziemlich ruhig hier”, merkte Geralt an, der nun neben mir ging, sein Schwert bereits in der Hand. Welches von beiden es war, wusste ich zwar nicht, aber im Fragefall würden hier wohl sowohl die Silberklinge als auch das Stahlschwert ihren Zweck erfüllen. Wir überquerten gerade die zweite Brücke, als auch schon das Haus der Bösen Hexe in Sichtweite kam. Geralts Schritte beschleunigten sich wie von selbst, sodass ich Mühe hatte, ihm überhaupt so schnell zu folgen. Offenbar hatte nicht nur ich es irgendwie eilig. Syannas Stimme konnte ich hören, doch was sie sagte, nicht genau ausmachen. Allerdings zerrte sie am Ofen herum, um, wie ich wusste, Hans zu befreien, weil sie von ihm die magischen Bohnen wollte. Nur damit käme sie auf die Wolken hinauf und dort zum Brunnen, der den Hinterausgang des magischen Landes markierte. Es war jedoch nicht Syanna, der meine Aufmerksamkeit zuerst galt, sondern vielmehr die Böse Hexe, die munter in ihrem Kessel rührte. Als wir näher kamen, hob sie den Blick und fixierte Geralt skeptisch. “Und wer ist das? Ein verirrter Reisender? Du solltest nicht hier sein, mein Bester.” Ah, ich wurde also ignoriert? Na meinetwegen. Viel Wert legte ich eh nicht darauf, an diesem Kampf teilzunehmen. Helfen konnte ich Geralt da sowieso nicht. Als der jedoch einen Schritt auf die Hexe zu tat, wohl bereits in der Erwartung, dass ein nettes Gespräch hier nicht helfen würde, hielt ich ihn am Arm fest. “Wenn du kannst, zerschlag ihren Besen”, zischte ich ihm zu und erntete einen verwirrten Blick. Da Geralt jedoch nicht nachfragte und die Hexe ihm dafür auch nicht allzu viel Zeit ließ, ersparte ich mir jede weitere Ausführung und lief zu Syanna herüber, um ihr dabei zu helfen, vielleicht doch das Schloss zu zerstören, das den Ofen verschloss. “Und du bist dann wohl diese Daelis?”, sprach Syanna mich an, als ich das Schloss in Augenschein nahm und mich anschließend umsah. Vielleicht fand ich ja einen losen Ziegel, mit dem ich darauf einschlagen könnte. “Ja, genau. Hallo”, hielt ich die Vorstellung knapp und ignorierte gekonnt ihr halbherziges Lachen. “Wusste nicht, dass ich so eine gute Freundin habe, die nach mir sucht.” Grimmig funkelte ich sie an. “Hast du auch nicht”, brummte ich zurück und griff nach einer metallenen Suppenkelle, die auf einem kleinen Tischchen neben dem Ofen lag. Nicht optimal, aber vielleicht klappte es ja. Energisch schob ich Syanna beiseite und schob die metallene Griffstange unter den Metallbalken des Schlosses, in der Hoffnung, die Hebelwirkung würde genügen. “Und doch bist du hier”, sinnierte die schwarzhaarige Frau neben mir und klang doch ein wenig nervös. Allerdings lag das wohl eher am Kampf der Hexe gegen Geralt und weniger an mir. “Nicht für dich. Oder hast du vergessen, dass hunderte von Leben in Beauclair auf dem Spiel stehen?”, fauchte ich sie an, da knackte das Metall in meinen Händen und die Kelle brach entzwei. Frustriert pfefferte ich die beiden Teile auf den Boden. “Scheiße.” Kapitel 15: Wie im Märchen, nur anders -------------------------------------- “Dann habe wohl nicht nur ich Dettlaff einiges zu erklären”, bemerkte Syanna spitzfindig. Grimmig funkelte ich sie an. Unrecht hatte sie natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Ich hatte dem Vampir ja auch reichlich etwas vorgeflunkert, allerdings nicht, um ihm zu schaden, sondern weil ich die Wahrheit nicht erzählen konnte, unabhängig davon, ob ich es wollte. Dabei würde ich unbedingt auf Regis’ Hilfe bauen müssen, sonst wäre vielleicht die einzige Änderung am Ende dieser Misere, dass ich auch starb. Obendrein hatte ich noch gar nicht viel helfen können, wenn es darum ging, dass Syanna ihre Strafe erhielt und nicht Dettlaff am Ende den Preis für ihre Intrige zahlen musste. Alles war im Groben noch immer wie im Spielverlauf, was auch hieß, dass das Ende noch offen war. Wenigstens könnte ich verhindern, dass sie dieses magische Dingsbums-Band bekam und damit entkäme. Da ich ihr nicht geantwortet hatte, sondern nur demonstrativ weiter nach einem Werkzeug suchte, um den Riegel vor dem Ofen aufzustemmen, bekam ich nicht nur nicht mit, was Syanna noch zu mir sagte, sondern auch nicht, wie Geralt die Hexe erledigte. Erst deren Todesschrei ließ mich aufblicken. Geralts Blick wanderte nur kurz zu Syanna, die ihm ein kokettes Schmunzeln zuwarf, ehe sie an die Hexe herantrat und in deren Taschen kramte. Diesen Moment nutzte Geralt, um mich am Arm zu packen und mir leise zuzuzischen: “Du weißt doch schon wieder mehr!” Seine Worte klangen fast wie eine Anklage, dabei hatte ich mit meinem Hinweis eben doch nur helfen wollen. “Ja, weiß ich”, gab ich etwas gereizt zurück und versuchte, mich aus seinem Griff zu lösen, was mir erst im zweiten Anlauf gelang und da auch nur, weil Geralt es zuließ. “Ich bringe uns zügig hier durch. Also bitte vertrau mir. Ich bin auf deiner Seite”, flüsterte ich dem skeptisch dreinblickenden Hexer zu. Dass er mir nicht so richtig über den Weg traute, konnte ich ja verstehen. Regis’ hatte zwar offen die Theorie geäußert, ich sei eine Zeitreisende, aber meine Antwort war immerhin kein klares Ja gewesen, sondern eher ein vages Vielleicht. Aber was sollte ich machen? Soweit ich es wusste, war ich nicht durch die Zeit gereist, sondern in ein Videospiel und das konnte ich nun wirklich nicht erklären. Müsste ich raten, dann würde ich sagen, dass der Hexer mir nur nicht antwortete, weil Syanna im gleichen Moment zurückkam, einen Schlüssel in der Hand, den sie triumphierend hoch hielt und sich dann am Riegel zu schaffen machte. Dass ein Junge heraussprang, überraschte wohl nur Geralt, der mir einen fragenden Blick zuwarf. Entrüstet starrte ich zurück. Also wirklich! Als wäre es meine Schuld, dass die Hexe das Balg da drin eingesperrt hatte. “Syanna”, begrüßte der Junge die Frau begeistert, Geralt und mich ignorierend. Mir war das nur recht. Zu Kindern hatte ich partout keinen Draht und je weniger ich mit ihnen zu tun haben musste, desto besser. “Hans, schön dich zu sehen. Hier hat sich einiges verändert”, meinte Syanna und gerade als Hans zu einer Erwiderung ansetzen würde, mischte ich mich ein. Das Blag vertrödelte wertvolle Zeit. “Verändert oder nicht, wir müssen hier wieder raus.” Syanna sah mich kurz überrascht an, nickte dann aber und wandte sich erneut an Hans. “Wo sind die Zauberbohnen?”, wollte sie wissen. Was hätte ich darum gegeben, ihr die Antwort direkt geben zu können. “Das weiß ich nicht. Aber Joss weiß es bestimmt!”, ereiferte sich der Junge, während ich kurzentschlossen den Saum meines Kleides in den Gürtel klemmte. Ein wenig beneidete ich Syanna um ihre Hosen. So langsam war es mir egal, ob ich eine Skandalnudel war, ich wollte mich wieder praktisch kleiden. “Aber Joss lügt ja immer”, seufzte Hans und Syanna nickte lachend. “Ist schon gut. Wir kommen damit klar.” Am liebsten hätte ich laut geseufzt. Joss war der Junge, der immer log und schrie, die Wölfe kämen. Konnten wir uns das bitte sparen? “Ich denke, wir sehen uns einfach so um. So schwierig wird es nicht sein, diese Zauberbohnen zu finden”, erklärte ich entschlossen und warf dabei einen beschwörenden Blick in Geralts Richtung. Wenn er mir in dieser Sache vertraute, wären wir im Nu wieder hier raus. Offenbar hatte der Weiße Wolf den Wink verstanden, denn als Syanna Einspruch erhob, hob er die Hand und nickte knapp in meine Richtung. “Verlieren wir keine Zeit”, entschied Geralt. “Das ist absurd! Die Bohnen könnten überall sein”, widersprach Syanna diesem Plan energisch gestikulierend. “Wir finden sie”, betonte ich noch einmal energisch und erntete einen fassungslosen Blick von der Adeligen. Zugegeben: Für sie musste das wirklich bescheuert klingen. “So wie ich die Märchen kenne”, versuchte ich es mit einer Erklärung, die im Grunde Blödsinn war, “finden wir eine Bohne bei dem Großen bösen Wolf, eine bei den Drei kleinen Schweinchen und eine bei Rapunzel.” Geralt hob vielsagend eine Braue. Kannte er die Märchen nicht? Egal, da würde ich ihn schon durchlotsen. Wäre doch gelacht. Syannas Miene hingegen war von Misstrauen gezeichnet. Bestimmt fragte sie sich, woher ich wusste, welche Märchen es hier gab oder ob ich nur gut geraten hatte. Tja, das würde sie nie erfahren. Wie schade aber auch. Entschieden stapfte ich voran, den Hexer auf meinen Fersen, dem wiederum Syanna folgte. “Wir sollten uns die Einhörner da vorne nehmen. Dann sind wir schneller”, meinte sie und fügte noch stichelnd hinzu: “Wo wir es doch schon so eilig haben.” Ziege. Aber Recht hatte sie. Allerdings konnte ich wirklich nicht behaupten, dass ich scharf darauf war, zu reiten. Den Dreh hatte ich nämlich nie so richtig rausbekommen und dass Geralt ein guter Lehrer war, konnte man auch wirklich nicht behaupten. “Ah, das weckt Erinnerungen”, summte Syanna schließlich fast gut gelaunt, als wir den Pfad auf den Einhörnern entlang ritten, sie voran und Geralt hinter ihr, vor dem ich auf dem zweiten Einhorn saß. Hinter mir hörte ich den Hexer leise auflachen und ehe er etwas sagen konnte, meinte ich schon: “Bei dir auch, mh?” Einen Moment lang stutzt der Weiße Wolf und man konnte hören, wie ihm das Lachen im Halse stecken blieb, während er mich streng ansah. “Du weißt wirklich zu viel”, brummte er. Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich hatte nicht übel Lust, den schreienden Bengel einfach schreien lassen. Ja, die Wölfe kamen. Schön für ihn! Ich rollte mit den Augen, als uns die Rufe erreichten. “Das ist Joss, der Junge, der immer lügt”, erklärte Syanna überflüssigerweise. Geralt schnaubte und sie fuhr fort: “Aber als er die Wahrheit sagt, glaubt ihm keiner mehr, wenn er ruft, dass die Wölfe kämen.” “Dieser Wolf wird ihm schon nichts tun”, bemerkte ich gereizt und bezog mich damit natürlich auf Geralt, dessen Beiname immerhin Weißer Wolf war. Syanna kicherte leise, was mich erneut dazu verleitete, mit den Augen zu rollen. Ich wusste zwar, dass sie versuchte, sich mit Geralt und mir gut zu stellen und sich dabei nicht verstellte, aber ich wollte sie überhaupt nicht mögen. Nicht nach dem, was sie Dettlaff angetan hatte. Sie konnte jetzt noch so nett zu uns sein, sie hatte Dettlaff verraten und seine innigen Gefühle für ihre Rache ausgenutzt, hatte ihn auf schlimmste Weise betrogen. “Die Wölfe kommen, die Wö-”, krähte der Junge und ich ächzte. Den überließ ich gerne Syanna, wenn sie denn unbedingt mit ihm reden wollte. “Geralt”, zischte ich leise, “lass uns schonmal die Bohnen holen. Das hier kostet uns unnötig Zeit.” Ich nickte an Joss vorbei in die Ferne in Richtung des hohen Turms, der sich über das Tal erhob, welches die verschiedenen Märchen wie einzelne Stationen beherbergte. “Da oben ist die erste. Rapunzels Geist hat sie”, erklärte ich flüsternd, während Syanna versuchte, aus Joss herauszubekommen, wo die magischen Bohnen waren. Der Hexer hob fragend eine Braue, nickte dann aber und ließ das Einhorn weiterlaufen. Verdattert sah Syanna auf. “Wo wollt ihr denn hin? Wir wissen doch noch gar” “Wir wissen, wo die Bohnen sind. Komm. Wir haben es eilig”, unterbrach Geralt die Herzoginschwester. Er klang dabei fast so unfreundlich wie ich, wann immer ich mit Syanna sprach. Ob das an meiner merklichen Abneigung lag? Wer wusste schon, was der Hexer da reininterpretierte, jetzt, wo er über Regis’ kluge Schlüsse erfahren hatte, dass ich über einiges an Wissen über zukünftige Ereignisse verfügte? Mir sollte es recht sein. Jetzt, wo ich dabei war, würde aus deren kleines Nümmerchen in den Wolken halt auch definitiv nichts. Wenn ich so darüber nachdachte, war das vermutlich nicht das erste Mal, dass meine Anwesenheit den Hexer um Sex brachte. In diesem Fall, fand ich, sollte er mir dafür lieber dankbar sein. Ein gewisses Niveau sollte er doch bitte halten, wenn er schon hinter Yens Rücken herumvögelte. Vor dem Turm hielt Geralt das Einhorn an und schwang sich als erster aus dem Sattel. Skeptisch beäugte er das Gebäude, dann seufzte er. “Wartet einfach hier”, wies er Syanna und mich an, ohne uns dabei anzusehen. Vielmehr glitt sein Blick merklich über die kleinen Vorsprünge an der Außenmauer. “Pass auf ihre Haare auf!”, riet ich Geralt noch, als dieser sich daran machte, den Turm zu erklimmen. Grimmig schnaubte er in meine Richtung. “Hab deine oft genug ins Gesicht bekommen, hab Übung.” Zugegeben, das stimmte schon irgendwie. Meine Haare waren allerdings nicht annähernd so lang wie die von Rapunzel, aber das würde Geralt schon feststellen, wenn er oben ankam. “Pfft”, machte ich halbherzig beleidigt, dann wandte ich mich dem Einhorn zu, um nicht mit Syanna sprechen zu müssen die direkt neben mir stand. Leider schien meine Haltung nicht deutlich genug zu sein, denn sie ergriff dennoch das Wort. “Du kannst mich nicht leiden. Schön. Aber verrate mir doch mal, woher du mich überhaupt zu kennen glaubst.” Jetzt klang sie genauso schnippisch wie im Spiel, als man sie damit konfrontierte, was sie getan hatte und die Schuld auf jene schob, die ihr Unrecht getan hatten. Da war ich tatsächlich sogar bei ihr. Sie wegen irgendeinem Möchtegern-Fluch abzuschieben und aus dem Land zu jagen, war ein Dick-Move sondergleichen gewesen, den ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Allerdings fand ich zugleich auch, dass das keine Entschuldigung dafür sein durfte, einen Unschuldigen deshalb auszunutzen und sogar zum Mörder zu machen. Sie war damit keinen Deut besser als genau die Leute, die sie so harsch verurteilte, eher schlimmer, weil sie aus niederen Beweggründen handelte. Ich seufzte leise. “Das kann ich nicht. Ich würde ja gerne, aber das würde nicht nur klingen, als wäre ich irre, es gibt… gewissermaßen höhere Mächte, die es mir verbieten”, blieb ich ausweichend und doch so konkret, wie ich konnte. So ungläubig wie Syanna mich ansah, ahnte ich, dass sie davon ausging, dass ich einfach nur keine Lust hatte, mich ihr zu erklären. “Ehrlich”, beteuerte ich ächzend. “Geralt kann ich auch nicht mehr sagen. Wenn ich es versuchte, dann… naja, dann krieg ich buchstäblich keinen Ton heraus.” Ich zuckte hilflos mit den Schultern. “Nicht sehr überzeugend”, entgegnete Syanna spitz und wandte den Blick hoch gen Turmspitze. Geralt war oben angekommen und kletterte gerade durch das kleine Fenster ins Turmzimmer. “Tja, ändert nur nichts daran, dass es so ist. Aber nein: Ich kann dich nicht leiden. Die Nummer, die du mit Dettlaff abgezogen hast, ist unterste Schublade”, brummte ich und hielt mich noch zurück. Am liebsten hätte ich ihr noch so einiges mehr zu diesem Thema rechts und links um die Ohren gehauen. “Und wer bist du, darüber zu urteilen? Du hast doch keine Ahnung”, zischte Syanna mich an. “Für jemanden, der nichtmal aus Toussaint stammt, bist du ziemlich vorlaut. Sei lieber froh, dass der Hexer auf dich aufpasst, so wie du herumläufst. Man könnte glauben, du seist eine Hure mit den entblößten Beinen und dem offenen Haar.” Wütend funkelte ich sie an. Was ging sie das bitte an? Lieber hässlich, als ne Egozentrikerin. Meine Selbstbeherrschung bröckelte und meine Zunge war bereits schneller als mein Verstand. “Wer von uns hat hier keine Ahnung? Bitch, wenn du wüsstest, wie man sich dort kleidet, wo ich herkomme, würden dir die Augen rausfallen und wenn mein Aussehen dein einziges Argument ist, solltest du zukünftig wohl besser oben ohne herumlaufen, wenn du noch jemanden überzeugen willst.” Einen kurzen Moment lang sahen wir einander nur wütend an. Ihre Wangen waren vor Zorn gerötet und ich konnte ihr ansehen, dass nicht viel fehlte, damit sie die Beherrschung verlor. Blöderweise gehörte ich zu genau dem Menschenschlag, die genau dann die Klappe schwer halten konnte. Syanna ging mir tierisch gegen den Strich und ihr eins auszuwischen und sie dumm dastehen zu lassen, erschien mir in diesem Moment einfach viel zu verführerisch, als dass ich mich hätte zügeln können. “Obwohl dich das wohl jetzt auch nicht mehr vor Dettlaffs Ärger retten wird”, bemerkte ich spitzfindig und stichelte direkt weiter: “Hättest du Eier, hättest du mit ihm gesprochen und dich getrennt, anstatt einfach zu verduften. So viel Respekt gegenüber einer Person, die einen liebt und die man selbst auch liebt oder geliebt hat, ist doch das Mindeste.” Ich konnte Syanna förmlich mit den Zähnen knirschen hören, doch noch ehe sie etwas erwidern konnte, fuhr ich fort und überschritt damit eine Grenze: “Stattdessen bist du feige abgehauen und versteckst dich auch jetzt noch hinter anderen.” Meine Wange brannte. Syanna hatte die Beherrschung verloren und mir eine gelangt. Tränen prickelten in meinen Augenwinkeln, während ich mir die schmerzende Stelle hielt und die Schwarzhaarige finster anstarrte. Sie sah nicht weniger hasserfüllt zu mir zurück. “Sagt diejenige, die sich hinter einem Hexer versteckt!”, fauchte Syanna mich an. “Ich verstecke mich überhaupt nicht hinter Geralt!”, keifte ich ungehemmt zurück. “Ach nein?! Und wem rennst du hinterher?”, schrie sie nun schon fast. Jetzt riss auch mein Geduldsfaden. “Ich helfe ihm, du grenzdebiles Miststück. Anders als du, die immer nur an sich denkt, versuche ich nämlich, auch mal Anderen zu helfen.” Ein Teil von mir erwartete fast die nächste Ohrfeige, die jedoch nicht kam. Allerdings hatten wir inzwischen beide vor lauter Wut unsere Hände zu Fäusten geballt. Dass wir mit unserem Gezerge die Einhörner verjagt hatten, bemerkte ich gar nicht. “Du weißt nichts über mich, Daelis”, spie sie meinen Namen wie eine Beleidigung. Ihre Hand zuckte. Und wieder konnte ich die Fresse einfach nicht halten. “Hast du ihn überhaupt je geliebt oder war das Ganze für dich immer nur ein kleiner Nervenkitzel zum Zeitvertreib?” Meine Stimme war keinen Deut ruhiger geworden. Ich sollte mich beruhigen, das wusste ich. Niemandem war damit geholfen, dass Syanna und ich uns beschimpften, doch dieser Gedanke erschien mir einfach nicht mehr überzeugend genug, um es gut sein lassen. Häme zeigte sich auf dem Gesicht Syannas. “Es war wirklich aufregend, eine Zeit lang”, kommentierte sie mit boshafter Gelassenheit. “So wie du dich aufführst, könnte man meinen, du wärst in ihn verliebt”, fügte sie herablassend hinzu. “Du weißt ja nicht, worauf dich dich einlässt. Dettlaff liebt mehr wie ein Monster denn ein Mann.” Allein der spöttische Tonfall, den sie dabei an den Tag legte, ließ bei mir eine Sicherung durchbrennen und dieses Mal war diejenige, die zuschlug. Fassungslos starrte Syanna mich an. Es war Syanna, die schließlich als Erste wieder das Wort ergriff. “Wenn du dir mehr erhofft hast, solltest du diese Hoffnung besser fahren lassen. Deine Lügen habe ich längst aufgedeckt. Wie schade, dass du mich nicht vorher eingeweiht hast, sonst hätte ich dir mit Dettlaff sicher geholfen”, meinte sie in süßlichem Tonfall. Gerne hätte ich ihr direkt noch eine gelangt. Mir war egal, ob sie glaubte, dass ich einfach nur in Dettlaff verknallt war - auch wenn das überhaupt nicht erklärte, woher ich wusste, was ich wusste. Es war absolut in Ordnung, wenn sie mich nicht leiden konnte und mich angiftete, ich mochte sie ja auch nicht. Aber dass sie so herablassend über den Mann sprach, der sie so sehr liebte, dass er im wahrsten Sinn des Wortes für sie tötete, machte mich einfach nur wütend. Begriff sie überhaupt die Tragweite ihres Ego-Trips? Sie ruinierte das Leben Dettlaffs für ihre Rache und zog damit nun auch Geralt und Regis mit in diese Sache. Hatte sie echt geglaubt, die Herzogin würde einfach zusehen, wie ihre Leute gemeuchelt wurden? So dumm war sie doch nun wirklich nicht, das hatte sie mehrfach bewiesen. Nein, sie war nur arrogant, egoistisch und rücksichtslos, was ihr Verhalten in meinen Augen nur noch verurteilenswerter machte. Gerade öffnete Syanna den Mund, zweifelsohne um eine weitere Gemeinheit von sich zu geben, als ein lautes Platschen unser beider Aufmerksamkeit auf den kleinen See lenkte, der direkt neben dem Turm lag. Prustend tauchte Geralt aus dem Wasser auf. Er hatte wohl beim Weg nach unten eine Abkürzung bevorzugt. Bevor eine von uns etwas sagen oder nach der Bohne fragen konnte, starrte uns der Hexer beide gleichermaßen missgelaunt an. “Ihr keift so laut, man hat euch bis oben gehört. Habt den Geist ziemlich abgelenkt”, knurrte er, als er aus dem See stieg. “Wenn ihr euch so gerne schlagen wollt, solltet ihr vielleicht den nächsten Gegner bekämpfen.” Ein bisschen schuldbewusst senkte ich den Blick. Unrecht hatte er ja nicht. Während wir uns hier angezickt hatten, hatte er einen wirklich gefährlichen Gegner alleine bezwingen müssen. Syanna gab nur ein halbherziges “Hmpf” von sich. Mit einer Geste wischte er das Thema beiseite, offenbar unwillig, sich länger mit unserem Streit befassen zu müssen. “Wo ist die zweite Bohne?”, wollte er stattdessen wissen. “Die finden wir bei den drei kleinen Schweinchen. Deren Häuser werden vom Wolf weggepustet”, erklärte ich sofort, froh darüber, dass wir hier weiterkamen. Wäre nicht die Nacht der langen Zähne, hätte ich sicher gerne ein bisschen Sightseeing betrieben, aber uns saß die Zeit im Nacken. “Dann bin ich wohl der Wolf, nehme ich an?”, ächzte der Hexer und bedeutete mir zugleich mit einem Nicken, voranzugehen und den Weg zu weisen. Oder zumindest hatte ich gedacht, er meinte mich. Stattdessen schob sich Syanna voran. “Mir nach. Ich zeige euch den Weg”, sagte sie erhobenen Hauptes und schritt direkt eilig voran. Na wenigstens versuchte sie nicht, Zeit zu schinden. Mir sollte es recht sein, so konnte ich Geralt noch kurz instruieren. “Sie werden sich in einem Haus verstecken und sicher angreifen, wenn du es wegpustest”, erklärte ich Geralt leise flüsternd. Der hob verwirrt eine Augenbraue. “Ich soll ein Haus wegpusten?” Er klang nicht überzeugt, doch ich nickte. “So besagt es das Märchen. Wird schon klappen.” Die drei kleinen Schweinchen erwiesen sich als absolut kein Hindernis für den klatschnassen Hexer und auch wenn ich nicht wagte, es anzusprechen, hatte ich doch das Gefühl, dass er die Schweine rücksichtsloser platt machte, als nötig gewesen wäre. Da wollte ich lieber kein Öl ins Feuer gießen. “Wohin jetzt?”, brummte Geralt in meine Richtung, als er die zweite Bohne aus den Ruinen des Hauses geborgen hatte. “Als nächstes geht es zu Rotkäppchen. Also… zum Bösen Wolf.” “Ich dachte, der bin ich?”, hakte Geralt nach, die Augenbrauen fragend hebend. “In diesem Fall nicht. Der Wolf hat die Großmutter verschlungen und eigentlich auch Rotkäppchen, doch dann kommt der Jäger und rettet beide aus dem Magen des Wolfs.” Ich zuckte etwas unsicher mit den Schultern, da mischte sich Syanna ein. “Früher haben Annarietta und ich manchmal Rotkäppchens Rolle übernommen. Der Wolf frisst es in dieser Fassung nicht, weil der Jäger pünktlich zu Rettung eilt. Vielleicht finden wir den ja auch direkt über dem toten Wolf, dann müssen wir uns damit nicht länger befassen.” Wäre es doch nur so einfach. Ich schüttelte den Kopf. “Einer von uns muss Rotkäppchen spielen und einer den Jäger”, erklärte ich eilig und erntete ein genervtes Seufzen seitens des Hexers. “Bringen wir es hinter uns. Wie schlimm kann es schon werden?” Ob er diese Frage wohl bereute, als wir auf den Wolf trafen? Der hing nämlich in das rosa Nachthemd nebst Haube der Oma gekleidet auf dem Boden und jammerte uns erst einmal kräftig die Ohren voll, weil er schon sooo lange darauf warte, seine Rolle in dem Märchen wieder zu spielen, ihn jetzt aber sein Kater quälte. Sollte er halt nicht so viel saufen! Als er sich dann auch noch freute, Syanna wiederzusehen und sie bat, sein Rotkäppchen zu sein, schauderte es mich förmlich. Was ein Masochist. Immerhin wurde der vom Jäger aufgeschlitzt und das wäre auch dieses Mal so, denn die Bohne verbarg sich im Magen des Wolfs. Ekelhaft! Schweigend ließ ich den Wolf quatschen, der unaufhörlich weiterjammerte, wie langweilig sein Leben doch geworden sei, seit Rotkäppchen und die Großmutter in den Brunnen gestürzt seien. Ich rollte mit den Augen und kletterte über den Brunnenrand. Ehe ich mir das auch nur eine Minute länger anhörte, holte ich das rote Cape einfach selbst. Monster gab es da unten ja schließlich keine. Sollte also kein Problem sein. “He, was wird das?”, packte mich Geralt unvermittelt am Kragen. “Ich hole das Cape. Das braucht Rotkäppchen schließlich. Ihr könnt ja versuchen den großen bösen Wolf”, konnte ich mir eine gute Portion Sarkasmus nicht verkneifen, “auszunüchtern. Oder gebt ihm besser was Hochprozentiges, dann kriegt er es nicht so sehr mit, wenn er seinem Schicksal folgend stirbt.” Geralt und ich seufzten zeitgleich. “Ich hole das Cape”, entschied der Hexer dann und zog mich vom Brunnenrand. “Wenn du da unten ungünstig fällst, hast du dir sofort die Beine gebrochen. Wir Hexer sind widerstandsfähiger.” Im Grunde wusste ich ja, dass er Recht hatte, dennoch hätte ich gerne meinen Teil dazu beigetragen, diese Sache schnell zu erledigen und viel Möglichkeit dazu hätte ich nicht mehr. Die Kämpfe würden immerhin alle an Geralt hängen bleiben. “Schau nicht so”, brummte der Hexer, der nun selbst die Beine über den Brunnenrand schwang. Neben uns diskutierten der Wolf und Syanna noch darüber, ob der rote Umhang auch wirklich nötig war, dann sprang der Hexer in den Brunnen hinab. Besonders beeindruckend sahen wir drei wohl nicht aus, als uns der Wolf unsere Rollen zuteilte. Er selbst würde natürlich den großen, bösen Wolf spielen, Syanna selbstverständlich wie früher das Rotkäppchen, Geralt sollte der Jäger sein und mir hatte er kurzerhand eine Rolle dazuerfunden. Ich sollte des Jägers treuer Gehilfe sein. “Na, meinetwegen. Können wir dann anfangen?”, wollte Geralt wissen, merklich ungeduldig. Ihm ging das Gefasel von dem Wolf merklich auf den Keks. Der war aber auch eine Dramaqueen. Allein Syanna hatte merklich Spaß daran und schien es auf einmal auch überhaupt nicht mehr eilig zu haben. Ob ihr wohl so langsam der Arsch auf Grundeis ging, weil ihr klar war, was sie nach diesem kleinen Ausflug ins Märchenland erwartete? Verstehen könnte ich das, denn angenehm würde das nicht werden, soviel war klar. Wären Geralt und ich nicht hier aufgelaufen, sie hätte bestimmt versucht, dem Märchenland zu entkommen und dann Toussaint zu verlassen. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie so ganz ohne Zwang im Rücken nach Tesham Mutna gegangen wäre, aber vielleicht tat ich ihr damit auch Unrecht. Zumindest Geralt hatte offensichtlich wenig Lust, unnötig lange hier herumzutrödeln, denn er erledigte den Wolf schnell und gnadenlos, der schließlich blutend zu Boden ging. Wieder hatten Syanna und ich nur dumm daneben stehen können. Ein bisschen musste ich schon würgen, während der Hexer die Zauberbohne aus den Eingeweiden des Wolfes schnitt. Urghs. Neben mir konnte ich Syanna schadenfroh kichern hören. “Für so empfindlich hätte ich dich gar nicht gehalten, liebste Daelis”, summte sie spielerisch in meine Richtung. Finster blinzelte ich Syanna an, wusste aber nichts zu erwidern. Eigentlich hielt ich mich nämlich auch nicht für besonders empfindlich und obwohl ich seit meiner Ankunft in dieser Welt so einiges gesehen hatte, so richtig daran gewöhnt war ich nicht. “So, wohin jetzt mit den Bohnen?” Geralt sah fragend zu mir, doch dieses Mal gab ich an Syanna ab. Daran konnte ich mich nämlich nur sehr vage erinnern. Syanna grinste nur selbstgefällig in meine Richtung, dann gen Geralt. “Es gibt hier ein Feld, da dürften sie gut gedeihen. Folgt mir.” Missgelaunt trabte ich Syanna und Geralt hinterher. Dann würden wir gleich eine Klettertour hinlegen. So richtig begeistern konnte mich der Gedanke nicht. Am besten, ich klammerte mich so schnell wie möglich an eines der Blätter um mich dann nach oben tragen zu lassen. Mehrere Meter an der Ranke hochzuklettern, klang in meinen Ohren nämlich nicht besonders gesund. Ein falscher Tritt und ich wäre nichts weiter aus ein matschiger Fleck am Fuße der Bohnenranke. Kapitel 16: Im Schatten der schwarzen Sonne ------------------------------------------- “AAAAAAAAAAAAH!” Panisch klammerte ich mich an die rasant wachsende Bohnenranke, die zuerst gar nicht hatte sprießen wollen, dann aber unvermittelt in die Höhe geschossen war. Was in meinem Kopf noch nach einer guten Idee geklungen hatte, nämlich sich direkt festzuhalten und dann hochtragen zu lassen, erschien mit jetzt gar nicht mehr so clever. Die Augen hatte ich zugekniffen ob des Zugwinds und die Arme fest um den Stengel geschlungen, der bald schon zu breit wurde, sodass ich mich hilflos an ein großes grünes Blatt krallte, stumm betend, es möge mich halten, bis es die Wolkendecke durchbrach, auf die ich mich schnell würde fallen lassen müssen. Das war auch der einzige Grund, aus dem ich mich zwang, die Augen wieder zu öffnen. Ich durfte meinen Absprung nicht verpassen. Auch wenn mir bei dem, was sich hier gerade tat, so gar nicht nach abspringen, sondern eher nach festklammern zumute war. Wie es mir schließlich sogar wirklich gelang, zur rechten Zeit loszulassen und etwas unsanft über den Wolkenboden zu kullern, konnte ich wirklich nicht sagen. Ziemlich sicher jedoch konnte ich sagen, dass ich so etwas nie, nie wieder machen wollte. Nur ein winziger Blick nach unten hatte völlig genügt, dass mir der Arsch gründlich auf Grundeis ging. Nichts für Leute mit Höhenangst. Und wenn ich dann daran dachte, wie schnell ich versehentlich hätte herunterfallen können, um dann unten aufzuklatschen und damit meine letzten Spuren in Form eines matschigen Flecks hinterließe, wurde mir ganz übel. Meine Finger zitterten nicht zu knapp und ich war heilfroh, dass es eine Weile dauerte, bis Geralt und Syanna, die gezwungen waren, die Bohnenranke hinaufzuklettern, bei mir ankamen. So hatte ich etwas Zeit, um mich zu beruhigen und mein Zittern in den Griff zu kriegen. Besonders vor Syanna wollte ich mir keine Blöße geben. Auf weitere bissige Bemerkungen von ihr konnte ich nämlich gut verzichten. Außerdem war ich nicht sicher, ob ich dann noch an mich halten könnte und sie nicht doch einfach mal kräftig packte, schüttelte und anschrie. Dazu hatte ich nämlich nicht übel Lust und je länger ich Syanna persönlich kannte, desto verlockender erschien mir die Idee. Vielleicht sollte ich sie auch einfach hier von den Wolken schubsen und das Problem damit aus der Welt schaffen. Allerdings würde Dettlaff dann wohl niemals wirklich akzeptieren, was sie getan hatte und wie er ausgenutzt worden war. So wenig ich Syanna leiden konnte und ihre Taten verurteilte, es war wichtig und richtig, dass sie sich freiwillig den Konsequenzen stellte. Konsequenzen, die im Moment nur ich kannte. Mir war klar, dass weder Regis und Geralt noch Syanna ahnten, dass Dettlaff wirklich bereit wäre, sie zu töten. “Da seid ihr ja”, begrüßte ich den Hexer und die ihm folgende Syanna, als beide von einem großen Blatt auf die Wolkendecke sprangen. Geralt warf mir einen finsteren Blick zu und brummte etwas, das ich nicht verstand. “Also, wo geht es jetzt weiter?”, wollte er dann von mir wissen. Neben ihm schnappte Syanna sichtlich beleidigt nach Luft, weil die Frage mir und nicht ihr galt. Dieses Mal jedoch mischte sie sich nicht ein, was vermutlich nur daran lag, dass sie noch nach Atem rang. Diese Klettertour muss ziemlich anstrengend gewesen sein. Ich schob den Gedanken beiseite und nickte in Richtung des bereits sichtbaren Gebäudes. “Da drüben. Wenn wir leise sind, können wir uns vielleicht an dem Riesen vorbeischleichen. Sein Schatz interessiert uns ja nicht. Wir müssen nur zum Brunnen”, erklärte ich und machte mich direkt auf den Weg. Geralt protestierte nicht, doch hinter ihm konnte ich Syanna ächzen hören. “Findest du nicht, du hast es etwas sehr eilig, Daelis?”, ergriff sie nun doch das Wort. Ich zog die Nase kraus und warf einen Blick über die Schultern, ehe ich spitzfindig zurückgab. “Nein, finde ich nicht. Du hast diesen ganzen Mist erst angefangen und je eher wir ihn beenden, desto weniger Menschen müssen sterben.” Vermutlich war es eher Geralts Blick, der sie zum Schweigen veranlasste, aber es funktionierte, sodass wir uns tatsächlich vorsichtig näher an das steinerne, halb in Wolkenschwaden verborgene Gebäude schlichen. Vielleicht war es naiv, zu hoffen, wir könnten diesen Kampf skippen, doch ich fand, es war einen Versuch wert. Kämpfen müsste sowieso Geralt allein, denn gegen einen Riesen wären weder Syanna noch ich irgendeine Hilfe. “Der Brunnen da vorn”, zischte Geralt mir in fragendem Tonfall zu, als wir uns hinter eine Steinmauer drückten, um nicht von dem Riesen gesehen zu werden, der zu wittern schien, dass irgendetwas nicht stimmte. Kein Wunder, bei der riesigen Bohnenranke, die plötzlich durch seinen Vorgarten wuchs. “Genau der”, flüsterte ich zurück, dankbar, dass Geralt meine Hinweise nicht hinterfragte. Das hatte ich bestimmt Regis’ Einfluss zu verdanken. Jetzt, wo die beiden wussten, dass ich Teile der Zukunft kannte und helfen wollte, war der Hexer deutlich empfänglicher für die Dinge, die ich ihm sagte, auch wenn ich sie nicht erklärte. Vielleicht hatte er aber auch einfach nur die Schnauze vom Märchenland voll und wollte schnell hier weg. Dabei hatten wir nichtmal Schattengegner getroffen, die ich insgeheim die ganze Zeit erwartet hatte. Die waren immerhin nur dazu da, um Eindringlinge - also alle außer Syanna und Annarietta - aus dem Märchenland zu tilgen. Vermutlich waren wir einfach zu fix gewesen. “Und was machen wir am Brunnen?” “Wir springen rein”, raunte ich Geralt zu, Syannas leises Kichern ignorierend. Für sie mochte das alles klar sein, aber sie hatte ja auch schon als Kind hier gespielt. Für Geralt und mich galt das nicht und dass besonders der Hexer mit Riesen so ganz andere Erfahrungen gemacht hatte, war doch wirklich naheliegend. “Einfach so?” Geralt sah mich skeptisch an. “Was ist los, Hexer, traust du dich nicht und musst erst dein Frauchen um Erlaubnis bitten?”, stichelte Syanna mit einem breiten Grinsen. Geralt warf ihr einen finsteren Blick zu, dann sah zum Brunnen. “Ihr beide zuerst. Ich folge euch, falls der Riese es sich überlegt.” Entschieden ging ich voran. Auch wenn ich wusste, dass Regis uns am Ausgang erwarten würde, traute ich Syanna nicht und wollte ihr die Idee, sie könnte vor uns weglaufen, direkt austreiben. Nur Augenblicke später standen lagen wir etwas ungelenk übereinander gestapelt in dem Springbrunnen, in den der Ausgang aus dem Märchenbuch mündete. Mit einem leisen “Uff”, kommentierte ich noch das Gefühl von Syanna, die in meinem Rücken landete und mich damit mit der Nase voran ins Wasser beförderte, welches eisig kalt war. Kurz danach stürzte uns auch schon Geralt hinterher, der uns beide gleichermaßen ins kühle Nasse schob, sodass wir schließlich alle aussahen wie begossene Pudel. Toll. Ganz toll. “Sehr schön, dass ihr alle es unbeschadet überstanden habt”, begrüßte uns Regis höflich, worauf Geralt mit einer Art Grunzen antwortete. Der Vampir schien sich daran nicht zu stören. Vermutlich war er Geralts rüde Art einfach schon gewohnt. Als mir Regis die Hand anbot, um mir aus dem Springbrunnen zu helfen, ergriff ich diese dankbar. “Danke, Regis. Schön, dass du uns hier direkt gefunden hast.” Für einen Moment glaubte ich, ein schalkhaftes Blitzen in seinen Augen zu sehen, doch Regis sagte nichts, sondern blickte stattdessen nun mit ernster Miene zu Syanna, die sich fröstelnd die Oberarme rieb. “Wir sollten wohl besser keine weitere Zeit vergeuden. Dettlaff”, begann Regis ernst, unterbrach sich dann aber. Verwirrt folgte mein Blick seinem zu Syanna, die uns im ersten Moment verständnislos anstarrte, im nächsten aber selbst erschrocken aufschrie, als sich aus ihrem Schatten heraus eine Gestalt erhob, als forme sie sich aus der Dunkelheit selbst. Mit einem Satz hatte sich Geralt vor Regis und mich geschoben, die Silberklinge gezückt, während die Schwärze Form annahm, sodass wir schließlich einer bildschönen Frau in einer langen, roten Robe gegenüberstanden. Syanna suchte von selbst Schutz hinter Geralt und Regis, doch auch ihr Blick verriet, dass sie weder die Frau kannte, noch wusste, was hier gerade geschehen war. Geralts fragenden Blick bemerkte ich nur am Rande, da zog mich Regis auch schon weiter zurück. “Davor hättest uns wirklich warnen können”, hörte ich den Hexer knurren, dann trafen sich unsere Blicke. Er runzelte kaum merklich die Stirn, doch mir stand zweifellos ins Gesicht geschrieben, dass ich eben nicht hätte warnen können. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wer diese Frau war, noch wieso sie auf einmal hier aufkreuzte. Genau genommen wusste ich ja nicht einmal, was sie war. Was für ein Wesen erhob sich aus dem Schatten eines Menschen? Gehörte sie vielleicht zur gleichen Art wie Gaunter O’Dimm? Falls ja, saßen wir richtig übel in der Scheiße. Majestätisch streckte sich die fremde Frau, die in ein edles, dunkles Kleid gewandet war, an dessen Dekollete zahlreiche Edelsteine funkelten. Es war Regis, dessen geweitete Augen mir die meiste Sorge bereiteten. Wenn ein höherer Vampir sich fürchtete, konnte das nichts Gutes bedeuten. Mein Blick wanderte zu den Händen der Frau. Hände mit langen Nägeln, wie man sie nur selten dieser Tage sah. Sehr wohl aber bei Regis und Dettlaff. Oder bei Orianna. Bei höheren Vampiren. Ich öffnete den Mund, um Geralt zu warnen, dass er sich jeden Angriff sparen könnte, doch zu spät. Der Hexer hatte zwar nicht den ersten Schritt getan, doch die Vampirin hatte es sehr wohl. Beinahe hätte ich wetten können, sie hielt selbst Regis’ Anwesenheit hier für keine Bedrohung für sich, obwohl auch dieser Zeichen der Verwandlung zeigte und seine langen Klauen erhoben hatte, bereit den Angriff abzuwehren, der zu schnell kam, als dass ich auch nur hätte beiseite springen können. Ich war so erstarrt vor Angst, dass ich meinen eigenen Aufschrei nicht hörte. Gerade, als ich glaubte, die Klauen der Vampirin müssten sich in Geralts Oberkörper bohren, erstrahlte ohne jede Vorwarnung ein gleißendes, blaues Licht. Jetzt war es die Vampirin, die wütend aufschrie, ehe sie sich in einen Strudel blaugrauen Rauchs verwandelte und davonstob. Geblendet durch das Leuchten des seltsamen Anhängers konnte ich nur vage ausmachen, in welche Richtung sie verschwand, doch kaum, dass die Vampirin fort war, ebbte das Licht wieder ab. Dafür jedoch wandten sich nun die Blicke aller Anwesenden fragen zu mir. Besonders in Geralts Miene las ich offenes Misstrauen. Ich konnte mir gut vorstellen, welche Antworten er nun gerne hätte. Nur, dass ich ihm die nicht geben konnte. Was mir Theodor bisher über den Kristall erzählt hatte, schien mir noch immer ziemlicher Unfug, aber dass das Teil irgendwie auf Gefahr reagierte, war unverkennbar. Zum Glück ging das Teil nicht auch bei Geralt los, denn so finster, wie der mich anstarrte, war ich nicht sicher, ob ich ihn nicht auch als Gefahr für mich einstufen müsste. Für einen Moment regte sich keiner von uns, dann wirbelte Geralt zu mir herum und griff mich so fest am Oberarm, dass ich zusammenzuckte. Bestimmt gäbe das einen blauen Fleck. “Was war das und was hast du damit zu tun?!”, verlangte er wütend zu wissen. “I-ich habe keine Ahnung”, stammelte ich, da schaltete sich zu meinem Glück Regis ein. “Eine Vampirin, Geralt. Und ich glaube nicht, dass Daelis und ihre Anwesenheit vorenthalten hätte, wenn sie davon gewusst hätte.” Ermutigend nickte Regis mir zu. Geralt schnaubte. “Du ziehst Unheil wirklich magisch an”, knurrte der Weiße Wolf, ehe sein Blick zu Syanna galt. “Dann weißt du wohl auch nicht, wer das war?” Die Antwort stand Syanna ins Gesicht geschrieben. “Ich habe nicht die geringste Ahnung”, gab sie spitzfindig zurück. “Der einzige Vampir, den ich kenne, ist Dettlaff. Hältst du mich für so dumm?” Es fiel mir richtig schwer, mich nicht einzumisch und ihr mit “Ja” zu antworten. Dass sie Dettlaff auf so grausame Weise benutzt hatte und auch noch glaubte, sie käme damit durch, war schon irgendwie selten dämlich. Und doppelt, wenn man bedachte, dass sie den Vampir näher kannte und eigentlich hätte wissen müssen, wie wütend es ihn machen würde, wenn die Wahrheit ans Licht kam. “Woher kam dann diese Vampirin?” Geralts Blick wanderte von Syanna zurück zu mir, dann zu Regis, der hilflos mit den Schultern zuckte, aber doch etwas verkniffen wirkte. “Sie war keine Bruxa”, schlussfolgerte Geralt und Regis schüttelte den Kopf. “Sie ist also…?” Der Hexer beendete die Frage nicht, doch das war auch nicht nötig, denn Regis nickte bereits. Geralts Miene verhärtete sich, während sich in meinem Kopf alles drehte. Wie konnte es sein, dass plötzlich jemand völlig Fremdes sich so einmischte? Wenn sie eine höhere Vampirin war, war das vielleicht Regis’ ehemalige Gefährtin, die Königin der Nacht? Nein, das hätte er bestimmt gesagt und Geralt hätte sie dann erkannt. Orianna und den Unsichtbaren konnte ich zu meiner Erleichterung auch ausschließen. Erstere hätte ich erkannt, zweiterer interessierte sich einen feuchten Dreck dafür, was in Beauclair passierte. Im Spiel, da war ich mir absolut sicher, hatte es diese Frau nicht gegeben und wie sie aus Syannas Schatten heraus gestiegen war, erinnerte mich eher an diesen Him, dem sich Geralt in Skellige stellte. So eine Art Alptraum-Dämon. In meinem Kopf routierte alles. Wie ich es auch drehte und wendete, ich konnte mir einfach keinen Reim auf diese Vampirin machen. “Du weißt wirklich nicht, wer das war.” Ernüchtert starrte mich Geralt an. Hilflos schüttelte ich den Kopf. “Nein. Sie… sie hätte nicht hier sein dürfen, soweit ich das sagen kann.” Ein genervtes Ächzen ertönte seitens des Hexers, da legte sich eine schwere Hand auf meine Schulter. Ich wollte gerade aufblicken, als eine Stimme ertönte, die ich zwar kannte, hier und jetzt jedoch nicht erwartet hatte. “Vielleicht kann ich hier aushelfen.” Theodor! Regis Griff an meiner Schulter verkrampfte sich etwas. Ein schmales Lächeln zog sich über Theodors Züge, als er eine Verbeugung andeutete. “Trotz der höchst unangenehmen Umstände, ist es mir eine Freude”, erklärte er höflich, da unterbrach ihn Geralt auch schon. “Komm zum Punkt. Theodor, richtig?” Theodor nickte und das Lächeln auf seinen Zügen erstarb. “Bedauerlicherweise scheint es, als wäre mein Eingreifen zu zögerlich gewesen”, begann er und dieses Mal unterbrach ich ihn. “Was hast du mit dieser Vampirin zu schaffen? Und was zur Hölle willst du eigentlich von mir? Erst dieses Buch, dann die Geschichte um den Anhänger. Komm zur Sache!” Mit meiner Geduld war es inzwischen wirklich nicht mehr weit her. Wer immer die Vampirin war, sie störte empfindlich den Verlauf der Zeit, den ich versuchte, so zu beeinflussen, dass es möglichst wenig Tote gab. Jetzt drohte alles aus dem Ruder zu laufen. Theodors Miene war nun von Ernst gezeichnet. “Ihretwegen war ich hier. Ihr habt soeben die Auferstehung der ersten Vampirkönigin Krul bezeugt.” Er hielt inne und ich konnte Regis neben mir scharf die Luft einziehen hören. “Die Legende sprach davon, sie sei vor sehr langer Zeit von den Ältesten vernichtet worden”, mischte sich der ergraute Vampir überraschend ein. Verblüfft sah ich zu ihm auf. Regis wusste also von ihr? Schön und gut, doch es erklärte nicht, wieso sie hier war. Eigentlich durfte das nicht sein. Hatte ich das ausgelöst? “Richtig”, unterbrach Theodor meinen Gedankengang. “Doch der Fluch der schwarzen Sonne war für sie eine Chance, in diese Welt zurückzukehren.” Unser aller Blicke wanderten zu Syanna, die defensiv die Arme verschränkte. “Guckt nicht so. Ich hatte damit absolut nichts zu tun”, bemerkte sie schnippisch. Theodor seufzte, dann wanderte sein Blick zu mir. “Wenn sie nicht aufgehalten wird, wird die Welt förmlich in Blut versinken. Um das zu verhindern, bin ich aus der Zukunft hierher gereist.” Ich hatte das Gefühl, als habe er mich mit Eiswasser übergossen. Theodor stammte aus der Zukunft? Hieß das vielleicht, dass das für mich auch galt und man in meiner Zeit nur nichts mehr von all diesen Geschehnissen wusste? Nein, das machte überhaupt keinen Sinn. Es hätte immer irgendwelche Spuren gegeben. Regis und Geralt hingegen würden nun sicher glauben, Theodor und ich stammten aus der gleichen Zeit und nur er und ich wüssten, dass dem nicht so war. “Als ich auf dich traf, hatte ich gehofft, du könntest die Magie aus dem Buch anwenden, das ich dir gab. Mir war sofort klar, dass du nicht aus dieser Zeit stammen konntest.” Oder wusste auch er nicht, dass bei mir noch mehr nicht stimme? Forschend starrte ich in seine Augen, doch klüger wurde ich davon nicht. “Meinesgleichen ist eigentlich nicht in der Lage Magie anzuwenden und die Relikte, die ich benutzte, um meine Zeitreise anzutreten, sind erschöpft”, gab er zögerlich zu. Dabei nestelte er an seiner Weste. Das Ganze war ihm offenbar ziemlich unangenehm, aber zumindest verstand ich nun, wieso er versucht hatte, unsichtbar zu bleiben. Er wollte die Zeitlinie nicht zu sehr stören. Ähnliche Sorgen hatten mich ja auch geplagt. “Das ist ja alles schön und gut, aber wie in aller Welt will einer wie du diese Vampirkönigin aufhalten? Wie ein Hexer siehst du nicht aus”, mokierte sich Syanna und auch wenn ich ihr insgeheim Recht gab, dass Theodor diese Krul wohl nicht bremsen könnte, wenn es mehrere Leute vom Kaliber des Unsichtbaren gebraucht hatte, wusste ich doch auch, dass ein Hexer für einen so mächtigen Vampir praktisch keine Gefahr darstellte. Theodors Lächeln war fast entwaffnend. “Oh, ich hatte nicht erwartet, dies selbst bewerkstelligen zu können. Aber ich habe hier in dieser Epoche bereits gefunden, was es braucht, damit eine Chance besteht.” Geralt gab ein skeptisches Grunzen von sich, doch Theodor fuhr unbeirrt fort. “Dein Anhänger, Daelis.” Instinktiv griff ich ob dieser Aussage nach dem blauen Kristall, der unscheinbar um meinen Hals hing. Mehr als einmal hatte das Kleinod reagiert, wenn ich in Gefahr gewesen war. Vielmehr als eine Art nützliches Frühwarnsystem einschließlich Taschenlampe hatte ich da bisher allerdings nicht herausinterpretieren können. “Dieser Glücksbringer kann nur von jemandem benutzt werden, der reinen Herzens ist”, erklärte Theodor ernst. Dennoch fiel es mir schwer, ein Kichern zu unterdrücken. Für mich klang das ziemlich nach so einer Magical Girl-Nummer und dass keiner von uns diese Anforderungen erfüllte, stand für mich völlig außer Frage. Geralts Schnauben klang kaum weniger amüsiert. Offenbar hatte er den gleichen Gedanken gehabt. Der Gedanke war einfach ziemlich unterhaltsam. Regis, der ganze Dörfer geschlachtet hatte, fiel zweifellos ebenso aus dem Raster wie Geralt, der so manch Unschuldigen dem Tod überantwortet hatte. Von Syanna zu schweigen, die mit dem Mordkomplott gegen ihre Schwester noch einige Tote mehr auf ihrem Konto verzeichnen konnte. Zwar hatte ich noch niemanden getötet, doch indirekt fühlte ich mich dennoch für zwei Tode verantwortlich. Dettlaff brauchten wir wohl auch nicht fragen. Zwar hielt ich ihn für durch und durch eine sanfte Seele, doch diejenigen, die ihre Leben durch seine Krallen verloren, waren schwer zu leugnen, auch wenn ich die Toten eher Syanna zuschrieb. “Also suchen wir uns nun ein Kind, dass diesen Kristall benutzt, um damit die Vampirkönigin zu verscheuchen? Oder braucht es einen Magi-” Geralts Frage wurde durch einen lauten Schrei unterbrochen. Es war Theodor, der als erstes das Wort erneut ergriff. “Wir haben keine Zeit zu verlieren. Krul wird jeden in dieser Stadt niedermachen, wenn wir sie nicht aufhalten!”, betonte er und griff im nächsten Moment auch schon nach meinem Arm, um mich mit sich zu ziehen. Regis war jedoch schneller und hatte seine eigene Hand einem Schraubstock gleich um Theodors Arm gelegt. Beide Vampir sahen einander kurz an, dann löste sich erst Theodors Griff um meinen Arm, dann Regis’ um Theodors Handgelenk. Bevor jedoch unangenehmes Schweigen eintreten konnte, mischte ich mich eilig ein. “Dann sollten wir wirklich los. Sonst hat Dettlaff keine Stadt mehr, die er bedrohen kann.” Makaber, aber wahr. Geralt brummte leise etwas, das ich nicht verstand, aber zumindest setzten wir uns als Gruppe in Bewegung. Dass der Hexer damit nicht so zufrieden war, stand ihm ins Gesicht geschrieben und irgendwie ahnte ich, dass das nicht nur an Krul lag, sondern auch an Theodor. Gelogen hatte Theodor nicht. Krul hinterließ wirklich eine unverkennbare, blutige Spur. Wir brauchten ihr nur folgen. Dabei schien die Vampirkönigin auch keine Rücksicht für ihre eigene Art zu kennen, zumindest nicht für die weniger mächtigen. Im Rinnstein fanden wir nicht nur die Leichen einer Familie, sondern auch einer Bruxa, die ziemlich offensichtlich durch Klauen und nicht durch ein Schwert gestorben war. Eilig zog Regis mich weiter, doch der besorgte Ausdruck auf seinem Gesicht blieb nicht vor mir verborgen. Ich ahnte, was in seinem Kopf vor sich ging. Wie sollten wir diese Krul töten? Nur ein höherer Vampir konnte einen anderen töten und offenbar hatte es dereinst noch mächtigere Angehörige dieser Spezies gebraucht. Selbst mit dem Unsichtbaren, wäre er denn hier, wäre das hier vermutlich eine ziemliche Selbstmordmission. Nicht gerade der ermutigendste Gedanke. Die Straßen Beauclairs waren wie leergefegt. Kein Wunder. Die Bewohner der Stadt hatten sich bestimmt schon vor Kruls Auferstehung verschanzt, immerhin suchten dutzende niedere Vampire die Stadt auf Dettlaffs Befehl hin heim. Lebende trafen wir zwar keine, nicht einmal von der Stadtwache, dafür jedoch einige, die ihr Leben bereits in dieser Nacht hatten lassen müssen. “Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass wir dieses Monster aufhalten können, oder?” Syannas Stimme klang ganz außer Atem, als wir in einer Gasse Halt machten, um zwei Katakane passieren zu lassen, die sich nicht weiter für uns zu interessieren schienen. Eigentlich hätte ich erwartet, sie würden uns wittern, doch anscheinend war unser Geruch gut genug vom allgegenwärtigen Blutgeruch überdeckt, den sogar ich in der Luft wahrnehmen konnte. Ekelhaft. Wie es Regis und Theodor damit ging, wollte ich mir lieber gar nicht vorstellen. “Nein, nicht wirklich. Aber wir versuchen es trotzdem”, entgegnete ich Syanna, die mich abfällig ansah und schon widersprechen wollte, als Geralt sich einmischte. “Erst kümmern wir uns um diese Krul, dann um Dettlaff. Wie Daelis schon sagte: Wenn diese Vampirkönigin nicht gestoppt wird, wird es nicht mehr viel geben, das wir vor Dettlaff beschützen müssen.” Sein Blick wanderte zu Syanna. “Und du schuldest wohl noch die eine oder andere Erklärung. Also los jetzt.” Die Schwester der Herzogin schnaubte, als wolle sie noch etwas sagen, das sie sich dann aber verkniff. Ich konnte nicht sagen, ob es mich beruhigte, dass der Nieselregen und damit einhergehende Nebel uns gut verbargen oder aber beunruhigte, weil dies auch für Krul ein guter Sichtschutz wäre. Dass ihre Sinne sehr viel besser waren als unsere, oder zumindest Geralts, Syannas und meine, zweifelte ich nicht einen Augenblick lang an. “Dieser Anhänger”, zischte ich leise zu Theodor, “wie benutzt man ihn? So wie ich das verstanden haben, brauchen wir ihn ja, um Krul in ihre Schranken zu weisen.” “Ich weiß es nicht”, erwiderte Theodor leise. Entgeistert starrte ich ihn an. Er wusste es nicht? Ganz toll. Wirklich ganz, ganz toll. War das sein verdammter Ernst? Er wollte alle Hoffnungen auf etwas setzen, von dem er nicht einmal wusste, wie man es benutzte? Plötzlich ertönte ein schriller Schrei, wie von einem Kind, gefolgt von einem klatschenden Geräusch. “Verdammt”, fluchte Geralt verhalten, dann sprintete er voran, Regis auf den Fersen. Der jedoch drehte sich noch einmal kurz um. Sein Blick galt dabei Theodor. “Beschütze die beiden Frauen und folge uns!” Theodor nickte, dann bedeutete er Syanna und mir zu folgen. Ich hätte wetten können, dass Syanna sich nur nicht sträubte, weil sie zu große Angst hatte, in diesem höllischen Chaos allein zu sein. Verübeln konnte ich ihr das nicht. Überall fanden wir Tote oder zumindest verräterische rote Spuren. Während Regis und Geralt das Kämpfen übernahmen, schlichen wir anderen drei meistens nur heimlich an dem Getümmel vorbei. Als wir schließlich den Stadtkern Beauclairs erreichten, waren wir nicht nur alle bis auf die Knochen durchnässt, sondern auch nervlich angeschlagen. Vier Mal hatten wir uns mit einem Gegner konfrontiert gesehen. Zwei Ekimmen, ein Katakan und eine Bruxa, die Geralt wohl zerfetzt hätte, wäre Regis nicht dazwischen gegangen, um die Vampirin aufzuhalten. Selbst Syannas Miene war nicht mehr von Arroganz, sondern von Angst gezeichnet. Zwar konnte ich sie genauso wenig leiden wie noch vor einer halben Stunde, aber dass sie verängstigt war, konnte ich gut verstehen. Wäre so eine uralte Vampirkönigin aus meinem Schatten gekrochen, wäre mir der Arsch auch auf Grundeis gegangen. Aufmunternd drückte ich ihre Schulter. “Keine Sorge, irgendwie kriegen wir das schon hin. Und wenn nicht… naja, dann müssen wir uns wenigstens keine Sorgen machen drum machen, richtig?” Hatte ich schonmal erwähnt, dass Motivationsreden nicht so mein Ding waren? Entgeistert sah mich Syanna mit einem Blick an, der ahnen ließ, dass sie sich gerade fragte, ob ich noch alle Tassen im Schrank hatte. Doch immerhin wich die Panik in ihrem Blick ein wenig und machte Spott Platz. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, brachte Theodor uns beide zum Schweigen. “Psst. Sie ist da vorne.” Sie. Damit meinte er natürlich Krul und die hatte tatsächlich Stellung auf dem Marktplatz bezogen. Die umgeworfenen Stände schienen sie nicht zu stören, ganz im Gegenteil. Hoheitlich hatte sie auf einem davon, genau genommen auf der Markise, Platz genommen. “Und was jetzt?”, knurrte Geralt leise neben mir und wischte sich eine nasse Strähne aus den Augen. “Nur mit dem Anhänger können wir ihr die Stirn bieten”, beharrte Theodor mit gesenkter Stimme. “Klar, wenn du jemanden hast, der ihn benutzen kann”, zischte ich zurück. Ausnahmsweise stimmte mir sogar Syanna zu. “Wir werden wohl kaum an eine Tür klopfen und darum bitten können, uns ein unschuldiges Kind mitzugeben, damit ihr gegen einen Vampir kämpfen könnt.” Ah, daher lief der Hase. Ihr, nicht wir. Dass sie daran nicht teilhaben wollte, konnte ich verstehen und eine Hilfe wäre sie sicher ebensowenig wie ich, dennoch ärgerte mich diese Formulierung. Missmutig brummte ich leise. “Wenigstens scheinen die niederen Vampire sie ebenfalls zu meiden”, meldete sich Regis ebenfalls flüsternd zu Wort. Vermutlich traute sich auch von denen keiner in ihre Nähe, doch ich zweifelte nicht daran, dass sie in der Lage sein könnte, uns jeden einzelnen Vampir im Umkreis von Meilen auf den Hals zu hetzen. Regis spähte in die Ferne. “Ich fürchte jedoch, wir haben ein ganz anderes Problem.” Jetzt spähten wir alle über die halbhohe Mauer, hinter der wir Deckung gesucht hatten. Was Regis meinte, erkannte ich erst nach einigen Augenblicken. Durch den nachlassenden Nieselregen waren mir die dunklen Schatten, die über Krul schwebten, erst entgangen, aber jetzt schienen sie mir unübersehbar. Das sah aus wie… Nein, das machte überhaupt keinen Sinn! Dennoch konnte ich den Gedanken nicht abschütteln, den Geralt in diesem Moment aussprach. “Greifen.” Sam und Dean, schoss es mir sofort in den Kopf. Hatte sie meine Babys auf ihre Seite gezogen? Fragend sah ich zu dem Hexer. Dessen Katzenaugen sahen sicher mehr als meine. Verdammte Mutationen. Jetzt war ich wirklich mal neidisch darauf. Es war jedoch Theodor, der mir eine Erklärung lieferte. “Ich schätze, Krul hat sie gebissen und damit ihrem Willen unterworfen. Davon haben die Legenden erzählt. Ein Biss der Königin verwandelt eine harmlose Kreatur in ein blutrünstiges Monster.” Entsetzt starrte ich Theodor an. “Hatte sie auch kleiner in Erinnerung”, hörte ich Geralt leise murmeln, während mein Blick schon wieder nach oben zu den beiden Greifen wanderte, die ich mit jedem Moment besser erkennen konnte. Das sollten meine süßen Winchesters sein? Wenn das stimmte, sollte sich diese Krul besser warm anziehen. Kapitel 17: Der goldenen Sonne Blut ----------------------------------- Das waren wirklich meine süßen kleinen Winchesters. Es fiel mir schwer, das wirklich zu glauben. Die verzerrten Bestien mit den rot glühenden Augen waren nicht nur viel größer als meine Schätze, sondern auch seltsam umgestaltet, dass ich sie kaum noch richtig als Greif einordnen konnte. Was immer auch mit ihnen passiert war, ich betete stumm, dass es umkehrbar war, auch wenn mein Kopf bereits flüsterte, dass das eine sehr naive Hoffnung war. Wenn es eine Verwandlung war, hatten wir immer noch keinen Zauberer hier, der sie aufheben konnte. Wer könnte das überhaupt? Ein Spezialist für Chimaerologie vielleicht? Ich hatte nicht den blassessten Schimmer. Sehr wahrscheinlich hatte diese Welt solche Kreaturen schlicht noch nie gesehen. Sie waren etwas ganz neues und das wiederum bedeutete womöglich, dass meine kleinen süßen Babys nie wieder meine kleinen süßen Babys sein würden. Ich schluckte, doch gegen den dicken Kloß in meinem Hals half das überhaupt nicht. “Es tut mir wirklich außerordentlich Leid”, hörte ich Regis’ Stimme und brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass der Vampir mit mir sprach und noch einen weiteren, bis mir klar war, dass ich weinte. Eilig wischte ich mir über die Augen, auch wenn das wenig half. Die Tränen flossen direkt weiter. Mitfühlend drückte Regis meinen Arm. Ich sagte nichts, sondern sah ihn nur an, doch ich hoffte, er verstand auch so, dass ich ihm dankbar war. Die Wenigsten hätten Verständnis dafür, dass jemand um Greifen heulte, die immerhin schlicht als Monster angesehen wurden, für die man ärgerlicherweise einen Hexer anheuern musste, damit sie nicht das Vieh oder die Nachbarn fraßen. Mein Sichtfeld war zwar etwas verschwommen, aber wie Geralt nach seiner Silberklinge griff, entging mir trotzdem nicht. Entgeistert sah ich ihn an. “Das ist nicht dein Ernst”, zischte ich ihn leise an und erntete einen ernster Blick. “Find dich mit dem Gedanken ab. So wie ich das sehe, könnten wir hier auch alle draufgehen.” Dagegen konnte ich schlecht etwas sagen. Abgesehen von Sam und Dean in ihrer neuen monströsen Form war da halt auch noch Krul. Unser aller Blicke wanderten gen Theodor, als hätten wir den gleichen Gedanken gehabt. Außer ihm wusste niemand etwas über diese Vampirkönigin und ihre angebliche Schwäche. Offenbar fühlte sich Theodor unter unseren Blicken auch reichlich unwohl, denn er zog unruhig an seiner Kleidung, als wolle er Falten wegstreichen. “Mithilfe des Kristalls kann es uns gelingen, Krul auszuschalten. Einen anderen Weg sehe ich da nicht. Sie ist zu mächtig, als dass wir sie mit einer Klinge”, bemerkte Theodor mit einem Nicken in Geralts Richtung, “noch mit Klauen oder freundlichen Worten stoppen könnten.” Das bezog sich dann wohl auf Regis und mich. Einen normalen höheren Vampir - was man eben so normal nannte - könnten schon nur Regis und Theodor töten, doch die Vampirkönigin, die noch älter und mächtiger war? Ein bisschen schlecht wurde mir da schon. Im Spiel war sie definitiv nicht aufgetaucht. Was also hatte ich verändert, dass sie hier erschienen war? Oder war es gar nicht ich gewesen? Hatte jemand anderes die Geschehnisse in Gang gesetzt und ich war nur zufällig in Besitz des Anhänger gekommen? Nah. Zufällig wohl eher nicht, immerhin hatte ich ihn um den Hals getragen. Also lag nahe, dass wer immer für Kruls Erscheinen verantwortlich war, vielleicht auch mich in diese Welt verfrachtet und mir den Anhänger gegeben hatte. Sinn machte das alles für mich jedoch überhaupt nicht. “Verschwinden wir von hier, bevor sie uns bemerkt”, flüsterte Theodor in unsere Richtung. Ich konnte noch die Zweifel in Geralts Augen blitzen sehen, ehe er kaum merklich nickte. Mir war klar, er wollte die Leute beschützen, die noch Kruls Opfer würden, aber indem er sich in einen Kampf stürzte, den er nur verlieren konnte, half er keinem. Wir brauchten einen Plan. Allen voran natürlich jemanden, der den Kristall zu benutzen wusste, den ich um meinen Hals trug. Gut, dass ich den nicht irgendwo für kleines Geld versetzt hatte, um meine Unterkunft zu bezahlen oder Ähnliches. Bisher hatte all diese Kosten Geralt übernommen und zu meiner Schande musste ich gestehen, ihm dafür nie wirklich gedankt zu haben. Im Stillen nahm ich mir vor, das dringend nachzuholen, wenn wir diese Sache hier überlebten. Wenn nicht, kam es da eben auch nicht mehr drauf an. Im Moment sollte unser Hauptaugenmerk darauf liegen, eine Lösung für das Problem Krul zu finden, bevor wir uns um Dettlaff Sorgen machten, auch wenn ich gestehen musste, dass der in gerade dieser Situation eine verdammt große Hilfe hätte sein können, wenn er nicht gerade brütend in Tesham Mutna säße. Ob er schon von Krul erfahren hatte? Vermutlich. Die niederen Vampire waren seinetwegen hergekommen und bestimmt war einer von ihnen vor Krul geflohen, um ihn zu informieren. “Ah, da bist du ja endlich”, ertönte Kruls Stimme. Ich zuckte zusammen und konnte spüren, wie Geralt sich neben mir anspannte. Es war beängstigend, wie warm, ja fast liebevoll sie klang, wenn man bedachte, wie gnadenlos sie die Leute hier getötet hatte und wie viele folgen würden, wenn Theodor Recht behielt. Prinzipiell traute ich Theodor zwar nicht, aber für Krul galt das gleiche. Sie hatte eben nicht gerade den besten ersten Eindruck hinterlassen. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in meiner Magengrube aus, als ich an die vielen toten Menschen und Vampire dachte, die wir bereits gesehen hatten. Krul unterschied da nicht. Darauf, dass sie mit Theodor oder Regis vielleicht Nachsicht hätte, wollte ich da auch lieber nicht bauen. Glücklicherweise hatten Kruls Worte wohl keinem von uns gegolten, denn ein leises Schnauben antwortete ihr, gefolgt von einem schrillen Laut, der so laut war, dass er mir die Ohren klingeln ließ. “Ekim-”, begann Geralt gereizt, jedoch schnitt Regis dem Hexer mit einer Geste das Wort ab. Stattdessen gestikulierte der ergraute Vampir uns, dass wir uns zurückziehen sollten. Die Chance war günstig, die Vampirkönigin war abgelenkt. Eine bessere Chance würden wir wohl so bald nicht bekommen. “Tch, schweig still. Auch wenn ich noch geschwächt bin, steht es dir nicht zu, mir zu drohen. Selbst wenn ich schliefe, könntest du keine Bedrohung für mich sein.” Offenbar hatte der niedere Vampir mit ihr gesprochen und sie antwortete ihm nun. Geralt, der gerade hatte von Krul wegschleichen wollen, hielt in der Bewegung inne und drückte sich direkt wieder neben mich an die Mauer. Auch ich horchte auf. Der Ekimma zischte und auch wenn ich kein Wort verstand und Geralt sicher ebenfalls nicht, guckten doch wenigstens Theodor und Regis nachdenklich. Fragend sah der Hexer zu Regis, welcher erst stutzte und dann entschuldigend flüsterte: “Sie hat ihre Kräfte nicht unter Kontrolle, weil ihre Beute ihr entkommen ist.” Ihre Beute? Auch jetzt dachten wir offenbar alle das gleiche und sahen zu Syanna. Die verzog nur das Gesicht. “Ich werde sie finden. Sie sind nur Menschen und können sich nicht vor mir verbergen”, kommentierte Krul spöttisch die Kritik des Ekimma. Wow. An Ego mangelte es ihr jedenfalls nicht. Aber genau diese Arroganz kam uns vielleicht zugute. Wenn Krul uns unterschätzte, hatten wir den Überraschungsmoment auf unserer Seite, wenn wir sie angriffen. Leider saß auch genau da der Hase im Pfeffer. Noch hatten wir überhaupt keine Möglichkeit sie anzugreifen. Meine Hand umfasste wie von selbst den blauen Kristall, der in dieser ganzen Misere unsere einzige Hoffnung zu sein schien. Was immer der Ekimma auch sagte, für mich klang es nach dem Keckern, das ich von meinem Kater Jui kannte. Der klang nämlich immer so, wenn er eine Fliege jagte, die aber zu hoch für ihn flog, als dass er sie aus der Luft hätte haschen können. Also lief er meckernd hinter ihr her, bis sie sich irgendwo hinsetzte, wo er sie erreichte. Regis rieb sich nachdenklich das Kinn. “Sie braucht das Blut der goldenen Sonne und die Seele der schwarzen Sonne”, übersetzte der Vampir. Geralt hob eine Braue und ich tat es ihm gleich. Regis sah uns entschuldigend an, doch ehe er etwas sagen konnte, meinte Geralt: “Scheint so, als glaubten Kruls Anhänger nicht unbedingt daran, dass sie beides bekäme.” Neben ihm schnaubte Syanna abfällig. “Ich habe bestimmt nicht vor, meine Seele an diese Vampirkönigin zu verfüttern”, flüsterte sie gereizt. Ausnahmsweise war ich ihrer Meinung. Nicht nur, dass wir Krul weder Syanna noch Annarietta - und wir alle waren uns wohl einig, dass genau die mit der goldenen Sonne gemeint war - in die Finger bekommen durfte. Abgesehen davon wartete auf die blöde Kuh neben mir ein anderer Vampir. “Unverschämt!”, hörte ich Krul am Rande meiner Aufmerksamkeit schimpfen. Worte, die sicher dem Ekimma galten, der sie so dreist provoziert hatte. Schon ziemlich riskant, wenn ich so darüber nachdachte. Ob er das vielleicht extra tat, wohl wissend, dass wir mithörten? Nah… das war wohl sehr interpretiert. “Wag es nicht, in diesem Tonfall mit mir zu sprechen, du niedere Krea-” Kruls Worte wurden durch ein Kreischen, das unangenehm bekannt klang, unterbrochen. Dennoch lachte die Vampirkönigin, anstatt sich darüber zu ärgern. “Bring sie mir.” Ihre Stimme klang dunkel und in meinen Ohren eindeutig bedrohlich. Lange Zeit, darüber nachzudenken, hatte ich jedoch nicht. Im gleichen Moment, in dem Krul zu lachen begann, hatte Geralt mich am Oberarm gepackt und auf die Beine gezerrt. Ohne darauf zu achten, sich noch irgendwo zu ducken oder in Deckung zu gehen, zog er mich und, wie ich vage wahrnahm, auch Syanna durch die Straßen. Ein lautes Krächzen verriet auch, wieso. Sam und Dean hatten uns entdeckt und anders als sonst, waren sie jetzt sicher nicht zu Spielen aufgelegt. Obwohl ich so schnell lief, wie ich konnte, kam ich mit Geralt kaum mit, der mich unerbittlich mit sich zog. Ich hatte eben weder Training noch die Schnelligkeit eines Hexers. Nur einen Blick riskierte ich über die Schulter und der machte mir Beine. Dean stieß gerade mit gespreizten Flügeln und nach uns ausgestreckten Krallen herab. Hätte Geralt uns nicht abrupt um eine Ecke gezerrt, hätte Dean wahlweise ihn, Syanna oder mich garantiert erwischt. Ich hatte uns drei schon blutend auf dem nassen Pflaster liegen sehen. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, auch wenn es wohl nur Sekunden gewesen waren, vielleicht Minuten, die der Hexer Syanna und mich durch die Straßen lotste. Einmal war es Syanna, die auf eine Gasse hinwies, doch sie war merklich ebenso sehr außer Atem wie ich. Mit Geralt mithalten könnten wir nicht lange, soviel war klar. Und wo war Regis? Stellte er sich Sam? Den hatte ich nämlich nicht mehr gesehen, auch wenn das nichts heißen musste, denn ich hatte mich nicht getraut, noch einmal nachzusehen, wer und was hinter uns her war. Das drohende Rauschen von großen Schwingen hatte mir vollauf genügt. Bildete ich mir das ein oder hörte ich Dean direkt hinter mir? Vor meinem inneren Auge sah ich die Klauen schon nach mir ausgestreckt, doch dann erscholl ein schrilles, schmerzerfülltes Kreischen direkt hinter mir. Ich wollte mich gerade herumdrehen, als Geralt mich weiterzerrte, direkt um eine Ecke in eine schmale Gasse hinein. Syanna konnte ich vor ihm laufen sehen und nebeneinander hätten wir hier auch kaum reingepasst. Vermutlich hatte Geralt die Gasse darum ausgesucht. Für einen Greifen war sie viel zu schmal. Dean und Sam kämen hier nicht herein. Der Hexer hielt tatsächlich an und atmete tief durch. Erschöpft wirkte er nur bedingt. Eher angespannt. Syanna und ich hingegen waren völlig außer Atem. Die Schwarzhaarige stützte die Hände auf ihre Knie und rang nach Luft. Mir ging es keinen Deut besser. “Wusste doch, dass es keine gute Idee ist, die Mistviecher zu behalten”, brummte der Weiße Wolf missmutig. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. “Es ist nicht ihre Schuld, was hier passiert!”, verteidigte ich meine Kleinen sofort. Geralt schnaubte nur leise, als wolle er sagen, dass das auch keine Rolle spielte. Dazu, etwas entsprechendes anzumerken, kam er jedoch nicht, weil ein weiteres, schmerzerfülltes Schreien zu hören war, das ich eindeutig Dean zuordnete. Oder Dean. Auf jeden Fall ein Greif. Die schmatzenden, feuchten Laute die folgten, jagten mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Umso mehr, als ein letztes, halb ersticktes Kreischen begleitet von einem sehr unangenehmen, reißenden Geräusch ertönte, ehe Stille einkehrte. “Nein”, hörte ich mich selbst flüstern, die Stimme kratzig vor Entsetzen. Um die beiden Vampire, die nicht bei uns waren, machte ich mir nicht so große Sorgen. Sie waren ziemlich nahe an unsterblich. Aber für meine Babys galt das nicht. Wie von selbst hatten meine Füße den Rückzug angetreten. Ich musste zu meinem kleinen, süßen Greifenbaby. Sie mochten unter Kruls Kontrolle stehen und irgendwie seltsam mutiert sein, doch ein Teil von mir sah sie dennoch als unschuldige kleine Geschöpfe, die ich nach dem Tod ihrer Eltern adoptiert hatte. Auch wenn ich im Grunde wusste, dass meine Anwesenheit nichts ändern würde, denn weder könnte ich einem Kampf mit den Winchesters standhalten noch rückgängig machen, was sie verändert hatte. Geralts Arm hielt mich kurzerhand davon ab. Ohne Vorwarnung hatte er diesen um meinen Bauch gelegt, sodass ich keinen Schritt weit auf die Geräuschquelle zukam. “Nein! Ich muss zu ihm! Ich muss…” Ich wusste selbst nicht, was ich musste oder glaubte, zu müssen. Ich konnte nichts ändern. Oder zumindest nicht zum Guten. Meine Anwesenheit hatte noch absolut niemanden gerettet, hatte keine Unschuldigen beschützt und womöglich sogar erst zu Kruls Auferstehung geführt, denn die war im Spiel schließlich nicht passiert. Ohne es zu wollen hatte ich alles noch viel, viel schlimmer gemacht. Heiße Tränen brannten in meinen Augen. Das hatte ich nicht gewollt, wirklich nicht. Ich hatte doch nur versucht, das Richtige zu tun. Wieso hatte das so ausarten müssen? Ein leises Schluchzen drang aus meiner Kehle, doch der Hexer nahm darauf keine Rücksicht, sondern umfasste einfach nur grob meinen Arm. “Du musst gar nichts. Mitkommen”, zischte er mich nur an, merklich verärgert. “Nun kommt schon”, konnte ich nun auch Syanna hören, die merklich nervös klang, richtig gehetzt. “Sonst erwischen uns diese Biester noch.” Geralt schnaubte, sagte jedoch nichts dazu. Das war auch gar nicht nötig. Ich verstand auch so, was er sagen wollte. Nämlich, dass uns Dean und Sam vermutlich nicht mehr verfolgten, weil sich Regis und Theodor darum gekümmert hatten. Bei Theodor war ich mir nicht sicher, ob er einem Greifen gewachsen war, Regis hingegen war es auf jeden Fall. Ich schniefte. Weitere Tränen bahnten sich ihren Weg während ich hinter Syanna und Geralt, dessen Hand mein Handgelenk umfasste wie ein Schraubstock, herstolperte. Die Erkenntnis sickerte nur langsam in meinen Verstand. Eines meiner Babys war da hinten gestorben. Ich hatte es nicht gesehen und niemand hatte es mir bestätigt, doch ich war mir absolut sicher. Regis war imstande, die Greifen zu töten und hätte er es nicht getan, hätten sie Syanna erwischt. Selbst mit zwei Vampiren und einem Hexer wäre es nicht einfach gewesen, zwei so große Gegner, die sogar noch fliegen konnten, abzuwehren. Sie hätten einander eher noch im Weg gestanden. Mein Verstand wusste das. Aber mein Herz wollte nicht wahrhaben, dass es wirklich real sein könnte. Meine Sicht war völlig verschwommen vor lauter Tränen. Ich wusste weder, wo genau wir überhaupt waren, noch wohin es gerade ging. Meine Orientierung war ohnehin unter aller Sau, doch in diesem Moment hätte mir das alles nicht gleichgültiger sein können. Hätte Geralt mich nicht mitgezerrt, ich wäre vielleicht doch noch umgedrehte, um nach dem Greifenjungen zu sehen, egal, in welchem Zustand Dean oder Sam nun war. Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf flüsterte, dass ich hätte da sein müssen. Vielleicht hätte er mich erkannt und den Angriff eingestellt. Vielleicht hätte ich verhindern können, dass mein Baby sterben musste? Vielleicht hätte ich… einfach da sein müssen, an der Seite meines Kükens, wenn es diese Welt verließ, wenn ich das schon nicht verhinderte. Ich fühlte mich hundeelend. Am liebsten hätte ich mich einfach in eine Ecke gesetzt und geheult, doch das ließ Geralts Tempo nicht zu. Unbarmherzig führte er mich durch die Stadt. Den schrillen Schrei einer Frau nahm ich nur am Rande wahr. “Hier entlang.” Ich hatte keine Ahnung, woher Regis auf einmal kam, noch hörte ich Geralt zu, der irgendetwas antwortete. Meine Gedanken waren voll und ganz bei den Winchesters. Mindestens einer von ihnen war tot. Eines meiner Babys, meiner süßen kleinen, entzückenden Schätzchen. Mir war kalt und am Wetter lag es nicht, obgleich der nasse Boden und die frische Nachtluft nicht gerade einladend warm waren. Ich wollte nach Hause, zurück zu meinen Freunden und meiner Familie, zu Jui und eigentlich allem, was ich so unfreiwillig verlassen hatte. Doch solange diese Krul hier war, würde daraus wohl nichts werden, das war sogar mir klar. Meine Hoffnungen, dass Theodor wusste, woher ich kam und mich idealerweise auch zurückbringen könnte, hatten sich inzwischen auch zusammen mit der Idee, die Winchesters gemeinsam auszuwildern, die Regenrinne am Straßenrand heruntergespült, die irgendwo in unterirdische Kanäle führte. “In der Gruft sollten wir sicher sein.” Ich blinzelte in Regis’ Richtung. Wir waren bis zum Friedhof gekommen? Das hatte ich nicht bemerkt. “Ich hoffe es. Wir müssen uns überlegen, wie wir Krul aufhalten können”, bemerkte Theodor, von dem ich überhaupt nicht sagen konnte, wann er zu uns gestoßen war. War er je weg gewesen? Ich wusste es wirklich nicht. Mein Blick fiel auf den Eingang der Gruft, die Regis und Dettlaff gemeinsam bewohnten. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass hier jemand lebte. Der ganze Friedhof war verfallen und ungepflegt, die Toten hier längst vergessen. Mühsam kämpfte ich weitere Tränen herunter. Meinen Babys würde niemand beerdigen und vielleicht war es besser, wenn ich den toten Greifen verbrannte, damit nicht irgendwer seine Körperteile stahl, um wusste der Himmel was damit anzustellen. Das wollte ich einfach nicht. Sie sollten nicht irgendwann enden wie die Toten in diesen Gräbern. Sinnlos verrottet ohne jemanden, der überhaupt noch wusste, wer sie mal gewesen waren. “Ihr überlegt euch, wie wir diesen Kristall benutzen, ich kümmere mich um die Herzogin”, riss Geralts Stimme mich aus meinen Gedanken. Der Hexer hatte mich erst jetzt losgelassen und den Blick auf Regis geheftet, auch wenn seine Worte wohl ebenfalls Syanna, Theodor und mir galten. Es war Theodor, der nickte. “Krul darf Anna Henrietta und Sylvia Anna auf gar keinen Fall in die Hände bekommen, sonst steht dieser Welt ein sehr düsteres Schicksal bevor”, meinte er mit belegter Stimme, ehe er mich ansah. “Wir finden einen Weg.” Ich hoffte wirklich, dass er Recht hatte. Ich hoffte es so sehr. Allerdings fühlte ich mich im Moment eher mutlos und erschöpft. Woher wir jemanden nehmen sollten, der ein reines Herz hatte, war mir sowieso schleierhaft. Es war ja nicht so, als könnten wir uns ein Kind aus dem Ärmel schütteln. Wer würde uns eines überlassen, das dann noch willens war, den Kristall zu verwenden, um die dunkle Vampirkönigin aufzuhalten? Jedes Kind geriete, verständlicherweise, sofort in Panik. Ich war die erste, die Regis in die undurchdringliche Dunkelheit des Eingangs der Gruft folgte. Regis konnte hier vermutlich sehen, aber für Syanna und mich galt das nicht. Unischer tastete ich nach dem ergrauten Vampir, noch immer verhalten schniefend und das Gesicht tränennass. “Regis?” “Ah, Verzeihung”, konnte ich ihn hören, dann griff eine Hand nach meiner und zog vorsichtig in eine Richtung. Blind folgte ich. Hinter mir konnte ich Syanna einen unterdrückten Fluch ausstoßen hören. Als wir endlich den ersten mit Kerzen erhellten Gang erreichten, war ich heilfroh. Hier kannte ich mich wieder aus. Hinter Regis, dessen Hand ich umklammert hielt wie einen Rettungsanker, entdeckte ich bereits die mir vertraute, wohnliche Gruft. “Und hier lebt Ihr?”, ertönte Syannas Stimme in eindeutig herablassendem Tonfall. Am liebsten hätte ich ihr direkt eine gelangt. Finster sah ich über die Schulter zu ihr, doch das beeindruckte sie überhaupt nicht. “Ein Vampir in einer Gruft.” Jetzt mischte sich Spott in ihre Stimme. Sogar Regis schaute pikiert drein und er war wirklich die Ruhe in Person. “Hört zu, wenn das hier funktionieren soll…” Als Syanna nun auch noch den Blick schweifen ließ und mit der Zunge schnalzte, riss mein Geduldsfaden. Nahm man es genau, lag es vermutlich nicht nur an Syanna, sondern auch meiner Wut auf Krul und mich selbst, weil ich nichts hatte ändern können, doch die Taten der Intrigantin, an deren Seele nun das Schicksal der Welt hing, hatte den Bogen einfach überspannt. Unvermittelt ließ ich Regis los, nur um herumzuwirbeln und Syanna eine Ohrfeige zu verpassen. Noch bevor sie mich angiften konnte - und dass sie das wollte, stand ihr ins Gesicht geschrieben - keifte ich sie auch schon an. “Nein, du hörst jetzt mal zu. Wenn du nicht deinen verschissenen Ego-Trip durchgezogen hättest, säßen wir überhaupt nicht erst in dieser Scheiße. Und anstatt dich zu bedanken, dass wir dich nicht einfach schon filetiert haben - und Gott sei mein Zeuge, dass ich dazu verschissen große Lust hätte - hast du nicht nur absolut kein Einsehen, nein, du stänkerst hier auch noch herum. Wenn du also nicht zukünftig deine Fresse nur noch dann aufreißt, wenn du etwas Konstruktives beizutragen hast, könnte es sein, dass ich empfehle, dich zu töten, denn tot kann dich Krul ja schlecht für ihren Gedöhnsdingsda benutzen. Bitch.” Schnaufend stand ich nun vor ihr, die Hand noch erhoben und wieder am Heulen. Ich hasste es, aber die ganze Frustration und aller Ärger ob der Situation hatten sich nun ihren Weg gebahnt und in Syanna ein passendes Ziel gefunden. Dass es mir Leid tat, konnte ich nicht unbedingt behaupten. Mir ihr hatte es eindeutig die Richtige getroffen und so verdattert, wie sie mich aus geweiteten Augen ansah, dämmerte ihr auch, dass ich gerade keinen Scherz gemacht hatte. Drückende Stille lag eine gefühlte Ewigkeit über uns. Syanna starrte mich nur wütend an und in ihren Augenwinkeln konnte ich sogar eine Träne glitzern sehen. Das hinderte mich jedoch nicht daran, nicht weniger finster zu ihr zurückzustarren. Es war Theodor, der das Schweigen schließlich durchbrach. “Wir sollten uns beruhigen”, meinte er und nickte in Richtung des improvisierten Tischs, “und und setzen. Gemeinsam finden wir gewiss eine Möglichkeit, den Kristall einzusetzen. Es muss jemanden geben, der dafür geeignet ist.” Syanna öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch schloss ihn unter meinem herausfordernden Blick direkt wieder. Dass ich ihr dabei den Mittelfinger zeigte, schien ihr jedoch nichts zu sagen, wenn ich ihre Miene richtig deutete. Egal. “Es muss jemand mit einem reinen Herzen sein”, fuhr Theodor fort, wohl in der Hoffnung, unsere Aufmerksamkeit auf das eindeutig dringendere Problem zu richten. “Also kommen im Grunde nur Kinder in Frage”, ergriff Syanna nun doch das Wort, während wir alle Platz nahmen. Sie saß, wie um möglichst großen Abstand zu halten, mir schräg gegenüber. “Nun, auch andere Personen könnten in Betracht kommen”, sinnierte Regis und musterte mich aus den Augenwinkeln. Ich bemerkte es nur zufällig, denn eigentlich stierte ich noch immer Syanna hasserfüllt an. Seufzend sah ich zu dem Vampir auf. “Also, wenn wir Kinder ausschließen - und keine Eltern, die auch nur annähernd bei klarem Verstand sind, werden uns ihres aushändigen - wer bleibt uns dann? Vielleicht ein Tier?”, schlug ich vor. Regis sah nachdenklich drein. “Vielleicht deine kleinen Lieblinge?”, wollte Syanna betont sarkastisch wissen. Dass sie damit die Winchesters meinte, von denen wir beide wussten, dass mindestens einer tot war, war klar. Sofort fuhr ich auf, um ihr direkt noch eine zu langen. Diese Frau trieb mich an die Grenzen meiner Selbstbeherrschung. Ich mochte sie mit jeder Sekunde weniger. Bevor ich jedoch handgreiflich werden konnte, zwang mich Regis mit sanfter Gewalt zurück auf meinen Platz. Doch auch sein Blick war von Zorn geprägt. Etwas, das ich gar nicht von ihm kannte. Vielleicht, weil er es gewesen war, der Dean oder Sam getötet hatte, ging es mir durch den Kopf. Nein, daran wollte ich nicht denken. Regis trug keine Schuld. “Ein normales Tier handelt rein nach Instinkt. Es besitzt nicht die Gabe zur Selbstreflektion. Ich fürchte, das wird nicht funktionieren”, mischte sich Theodor eilig ein. Er ahnte wohl, dass Syanna und ich uns sonst gleich über die Platte des Steinsargs balgen würden, der als Tisch diente. “Also kommen auch die Raben nicht in Frage. Bedauerlich”, seufzte Regis hörbar. Die klugen Tiere, mit denen er regelmäßig kommunizierte, waren wohl seine große Hoffnung gewesen. “Klingt für mich, als sollten wir doch versuchen, irgendwo ein Kind aufzutreiben”, meinte Syanna trocken und beinahe war ich willens ihr Recht zu geben, tat es dann aber aus Prinzip nicht. Sie hatte eben doch absichtlich den Finger auf die Wunde gelegt. “Ich wage zu bezweifeln, dass wir innerhalb der Stadt so ohne weiteres eine Familie mit Kind finden und noch weniger, dass dieses Kind uns begleiten wird”, sinnierte Regis. Syanna machte eine fortwischende Geste. “Dann fragen wir halt nicht. Es ist zum Wohle der ganzen Welt. Wenn wir dafür ein Kind brauchen, dann nehmen wir uns eben eines.” Wieder gab ich ihr insgeheim Recht. Und wer sollte uns mit zwei Vampiren im Schlepptau schon daran hindern, ein Kind zu entführen? Mir drängte sich da jedoch ein ganz anderes Problem auf. “Wenn wir also so ein Blag haben, was dann? Wie benutzt man den Kristall und vor allem: Wie kriegen wir ein schreiendes, verängstigtes Kind dazu, ihn zu benutzen? Spätestens wenn Krul aufkreuzt, bepisst sich unser kindlicher Retter garantiert”, gab ich zu bedenken und rieb mir die Augen. Sie brannten vom ganzen Geweine. Zumindest waren inzwischen die Tränen getrocknet. “Was schlägst du sonst vor? Sollen wir uns ein Monster mit reinem Herzen suchen?” Syannas Stimme klang spöttisch, aber dennoch hatte sie einen Punkt. Ich starrte sie an, dann grinste ich. “Ja.” Syanna blieb ihr Lachen halb im Halse stecken, ehe sie meinte: “Jetzt spinnt sie völlig.” Theodor und Regis jedoch sahen mich fragend an. Lange warten mussten sie nicht, dann sprudelte auch schon alles aus mir heraus. “Monster ist ein ziemlich allgemeiner Begriff. Es umschließt alle Wesen, die durch die Konjunktion hier gelandet sind. Alle, die tierischen Gemüts sind, können wir ausschließen. Alle absolut menschenfeindlichen auch.” “Das sind bereits die meisten”, ließ Theodor vernehmen und klang jetzt ähnlich skeptisch wie Syanna. “Stimmt”, gab ich ihm ohne Umschweife recht. “Aber nicht alle.” Erwartungsvoll sah ich zu Theodor, dann zu Regis. Bei letzterem schien der Groschen nach einigen Momenten zu fallen. “Du denkst, wir könnten einen Vampir finden, der ein reines Herz hat und den Kristall benutzen kann?”, mutmaßte der ergraute Vampir genau richtig. Ich nickte. “Genau das.” Theodor hatte den Kristall nicht längst gefordert, also war er nicht geeignet. Regis mit seiner blutigen Vergangenheit auch nicht. Er hatte das Töten einst genossen. Aber vielleicht… nur vielleicht. “Dettlaff?”, schlug ich leise vor. Syanna lachte ungehemmt los. “Dettlaff?! Bist du nun völlig übergeschnappt? Er ist ein Mörder!”, höhnte die Schwarzhaarige. Finster sah ich sie an und zischte zurück: “Deinetwegen. Er hat das getan, um seine Liebste zu beschützen. Dich!” Wie konnte sie es nur wagen? Selbst jetzt noch?! “Ich fürchte”, ergriff Theodor das Worte, bevor Syanna etwas erwidern konnte, “dass ein Mord bereits ausschließt, dass dieser Dettlaff geeignet ist, den Kristall zu verwenden.” Entschuldigend sah er in meine Richtung, ehe er sich Regis zuwandte. “Vielleicht eine Bruxa? Bist du mit einer passenden Kandidatin bekannt?” Regis schüttelte nur den Kopf, dann ließ er ebenso entmutigt die Schultern hängen wie ich. “Also brauchen wir ein vernunftbegabtes Wesen, das keine Bosheit in sich trägt? Widerspricht sich das nicht irgendwie selbst?”, ächzte ich leise und sah in die Runde. Offenbar waren wir alle überfragt. “Okay, also wenn ein Vampir nicht klappt, vielleicht ein anderes Wesen? Geister waren mal Menschen, die entfallen. Ebenso alles tierische wie Greifen oder Draconiden. Vielleicht Trolle?” Theodor hob fragend eine Braue. “Trolle?”, wollte er wissen, als könne er nicht glauben, was ich da vorgeschlagen hatte. “Naja, sie sind nicht boshaft. Nicht die intelligentesten, zugegeben, aber sie handeln nicht aus Boshaftigkeit und Arglist kann man ihnen auch nicht gerade vorwerfen”, argumentierte ich. “Aber woher sollen wir einen Troll nehmen, der nicht auf uns losgeht oder bereits getötet hat?”, wandte Syanna herablassend ein und leider hatte sie damit nicht Unrecht, sodass ich nur geschlagen seufzte. Mir fielen da nur die Trolle in der Nähe von Khaer Morhen ein und selbst bei denen war ich nicht ganz sicher, mal ganz abgesehen davon, dass sie halt gefühlt am anderen Ende der Welt, in jedem Fall aber viel zu weit weg, waren. Nachdenkliche Stille legte sich über uns bis Syanna unvermittelt mit der flachen Hand kräftig auf die Sargplatte schlug. “Ein Einhorn!” Alle Blicke richteten sich auf sie. Mein Hirn überschlug sich förmlich. Ein Einhorn. Das war so naheliegend und so einfach. Wieso war ich nicht darauf gekommen? Aber war ein Einhorn intelligent genug? Ich hatte keine Ahnung. Im Spiel hatte ich nur eines getroffen und dabei handelt es sich um Yennefers ausgestopftes Exemplar, das uns hier wohl keine Hilfe wäre. Das “Einhorn” während der Feierlichkeiten war ja nur ein Pferd mit Papierhorn gewesen, entfiel also auch. “Das… das könnte funktionieren. Einhörner sind recht intelligent”, murmelte Theodor hörbar überrascht. “Sie gelten jedoch als nahezu ausgestorben. Woher sollen wir in der kurzen Zeit eines nehmen?”, seufzte Regis und runzelte grüblerisch die Stirn. Mein Blick suchte Syannas. Die grinste nur. Ausnahmsweise dachten wir wohl genau das gleiche. “Wir haben sogar mehrere und zwar gar nicht weit von hier”, murmelte ich. Das war so irre, es war schon wieder genial. “Wir müssen nur Krul zu ihnen bringen.” Verständnislos sahen die Vampire von mir zu Syanna, die nur noch breiter grinste. “Im Märchenland, wo Geralt und ich Syanna gefunden haben, waren Einhörner”, erklärte ich und zumindest bei Regis konnte ich Verständnis erkennen. Theodor sagte das natürlich noch gar nichts, doch er fragte auch nicht weiter nach, sondern wollte nur wissen: “Doch wie sollen wir Krul in dieses Märchenland locken?” “So wie ich das sehe, haben wir doch einen Köder”, meinte Syanna schmunzelnd und deutete auf sich selbst. Ich nickte. “Zeigen wir der Schlampe, dass sie sich ihre Weltherrschaftspläne von der Backe putzen kann”, stimmte ich grimmig zu. Diese verdammte Krul hatte meine süßen Winchesters auf dem Gewissen, das würde ich ihr nicht vergeben. Heulen und trauern konnte ich später. Jetzt war es Zeit für ein bisschen gute, altmodische Rache. Und nebenbei retteten wir die Welt. Kapitel 18: (Un)echte Einhörner ------------------------------- Unser Plan war absolut wahnsinnig. Allein die Tatsache, dass Syanna dafür Feuer und Flamme war, während sowohl Regis als auch Theodor die Zweifel in ihren Mienen nicht verbergen konnte, verriet mir das ziemlich klar. Doch welche Wahl blieb uns? Diese Krul würde sicher nicht mit ihrem Feldzug gegen alles und jeden warten, bis wir eine bessere Idee hatten, wie wir sie um die Ecke bringen konnten. Also musste es so gehen. Ich hoffte nur, dass Geralt mit Annarietta klar kam und die sich überzeugen ließ, den Kopf einzuziehen. Zu gut konnte ich mir vorstellen, wie sie in ihrer Rolle als Herzogin gänzlich aufging und versuchen wollte, ihrem Volk in dieser düsteren Stunde Mut zuzusprechen. Blöderweise war sie eines der beiden Ziele Kruls und wenn sie sich der Vampirkönigin auf dem Silbertablett servierte, könnte auch Geralt ihr nicht mehr helfen. Nur darüber nachzudenken, bereitete mir Kopfschmerzen. “Brechen wir am besten direkt auf”, meine Syanna, die sich im gleichen Atemzug auch schon aufrichtete. Ich nickte automatisch. Sie hatte Recht. Wir sollten keine Zeit verplempern. Krul würde sicher nach beiden Schwestern suchen und solange sie das tat, hatten wir die besten Chancen, die wiederauferstandene Vampirkönigin in die Falle zu locken. Dann blieb uns nur zu hoffen, dass die auch funktionierte, immerhin verließen wir uns auf Einhörner, die faktisch betrachtet, nur eine Illusion waren, ein Zauber, nicht real. Ich schauderte und schob diesen Gedanken beiseite. Es war unsere beste Chance. Außerdem wollte ich dieser Krul heimzahlen, was sie getan hatte. Nicht nur, dass sie die Zeitlinie kräftig zerlegt hatte, die ich so krampfhaft beisammen hatte halten wollen, sie hatte sich obendrein an meinen Babys vergriffen. An Kruls Händen klebte das Blut der Winchesters und ich war willens, dafür zu sorgen, dass ihres an meinen klebte. Räuspernd erhob sich nun auch Regis. “Nun, ich versprach, auf dich achtzugeben”, meinte er, den Blick auf mich gerichtet. Dabei zierte ein Lächeln seine Züge. “Danke”, gab ich leise zurück. Dass Regis lieber Dettlaff aufsuchen wollte, konnte ich mir gut vorstellen, doch wir wussten ja, wo er wartete, in Tesham Mutna. Vermutlich wäre ich dann genauso ein Ziel seiner Wut wie Syanna, immerhin hatte auch ich den armen Kerl belogen. Stumm schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel, dass Dettlaff meine Erklärung anhören würde und dann verstand, wieso ich nicht ehrlich hatte sein können. Anders als ein gewisser anderer Jemand. Mein Blick glitt über Syanna, die auffordernd zu Theodor sah. “Na los, wir haben nicht ewig Zeit. Oder wirst du etwa kneifen, Vampir?”, konnte ich sie schon wieder provozieren hören. Ich seufzte leise und hängte mir meine etwas Stofftasche um, in der ich meine wenigen Habseligkeiten herumschleppte. “Das kann ja heiter werden…” Jetzt war es Regis, der seufzte, als wolle er mir zustimmen. Wie Wärme der Gruft wieder zu verlassen, um in die nasse Kälte der Nacht herauszutreten, kostete mich Überwindung. Einladend war wirklich etwas anderes. Bibbernd schlichen wir vom Friedhof in Richtung Palast. Dort war auf jeden Fall das Zauberbuch und hoffentlich eine auch noch quicklebendige Herzogin. Darüber, wie wir Kruls Aufmerksamkeit erregen konnten, machte ich mir keine Gedanken. Eher darüber, wie wir dieser Aufmerksamkeit noch ein Weilchen entgehen konnten. Wenn die Vampirkönigin uns zu früh entdeckte, fiele unser Plan wahrscheinlich ins Wasser. Welche Folgen das für Beauclair, wenn nicht ganz Toussaint oder ein noch größeres Gebiet hätte, wollte ich mir lieber gar nicht ausmalen. Wenn es mehrere höhere Vampire gebraucht hatte, um sie unschädlich zu machen, wie in aller Welt sollte es nun uns gelingen? Alle Hoffnungen ruhten auf dem ominösen Kristall, den ich seit meiner Ankunft in dieser Welt besaß. Wieso ausgerechnet Vampire so ein Relikt kannten, wo sie doch keine Magie wirken konnten, sollte ich später vielleicht mal genauer erkunden, doch an Theodor hatte ich ohnehin noch so einige Fragen, die Antworten verlangten. Gespenstisch, wie still die Stadt war, wenn man bedachte, dass sie das Zentrum des Herzogtums bildete. Tagsüber und auch zu späten Abendstunden war auf den Straßen immer etwas los, doch jetzt herrschte förmlich Grabesstille und alle Laute, die ich hätte hören können, wurden vom gleichmäßig plätschernden Regen verschluckt, der einen dichten Schleier um uns herum bildete, durch den man kaum mehr als graue Schatten und Schemen erkennen konnte. Doch zumindest Regis schien sich des Weges gewiss, denn ihm folgten wir im Gänsemarsch. Dass ich mich heillos verlaufen würde, wenn ich den Anschluss verlöre, war mir absolut klar. Schon bei guten Sichtverhältnissen ließ meine Orientierung zu wünschen übrig, aber bei diesem Wetter könnte ich ebenso gut in den herzoglichen Gärten wie im Stadtzentrum landen. Als wir den Palast der Herzogin erreichten, waren wir alle bis auf die Knochen durchweicht vom Regen. Ich fröstelte und ließ den Blick noch einmal gen Stadt schweifen. Niemand war zu sehen oder zu hören. Die Bewohner hatten sich alle verbarrikadiert, doch was mir Sorgen machte, waren die Ritter. Wir waren keinem begegnet, weder lebendig noch tot, dabei hätten sie die Stellung während Dettlaffs Angriff eigentlich halten sollen. Hoffentlich hatten sie sich ebenfalls zurückgezogen, denn Krul wären sie noch weniger gewachsen, als Bruxae und Ekimmen. Zeit, mich lange darum zu sorgen, blieb mir allerdings nicht. Syanna schob mich energisch vorwärts. “Sag nicht, dass du jetzt kneifen willst”, zischte sie mir herausfordernd zu. Grimmig brummte ich zurück. “Auf gar keinen Fall.” So uneins wir uns auch waren, zumindest in einem stimmten wir überein: Wir durften Krul nicht gewinnen lassen. Einmal glaubte ich, aus den Augenwinkeln jemanden gesehen zu haben, doch als ich innehielt, um einen Blick durch die weit offenstehende Tür zu werfen, war niemand zu sehen. Der Raum war dunkel und alles, was ich sah, waren die Umrisse edler Möbelstücke. Eines musste man der Herzogin lassen: Sie lebte hier in ziemlichen Luxus. “Hmpf, ich war sicher, sie wäre hier”, schnaubte Syanna leise, nachdem sie die gegenüberliegende Tür aufgestoßen und den dahinterliegenden Raum inspiziert hatte. Auf einer Anrichte stand ein Leuchter, dessen Kerzen beinahe zur Gänze heruntergebrannt waren, deren Licht aber genügte, um die Räumlichkeiten in Augenschein zu nehmen. Waren die andere Räume schon vornehm gewesen, war dieser hier schlicht herrschaftlich. Müsste ich raten, waren das hier dann wohl die herzoglichen Gemächer, die Annarietta als verwitwete Herrscherin allein bewohnte. Doch von der Herzogin war hier keine Spur zu sehen. “Keine Kampfspuren”, kommentierte Theodor leise. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? “Suchen wir besser draußen. Geralt braucht etwas Platz, um richtig kämpfen zu können. Er wird sicher versucht haben, sich nicht in engen Gängen oder Räumen einem gefährlichen Gegner zu stellen”, mutmaßte ich, wobei ich vor allem daran dachte, wie wild der Hexer bei meinem Spielverhalten herumspringen musste. Ausweichen erschien mir nunmal zuverlässiger als einen Angriff zu blockieren. Außerdem wäre es bei so manchem Monster wohl sowieso tödlich, das auch nur zu versuchen. Krul zählte ich ziemlich eindeutig dazu. Ich wusste, wozu Regis und Dettlaff in der Lage waren auch ohne all ihre Fähigkeiten einzusetzen. Sie würde sicher nicht lang fackeln und Geralt einfach mit ihren Krallen aufschlitzen, wenn er ihr blöd kam. Oder mich. Oder Syanna. Hinter der war Krul ja sowieso her. Zurück auf dem Flur griff ich nach Regis’ Ärmel. “Erst das Buch. Wenn wir das Buch haben, können wir direkt loslegen, sobald wir die Herzogin gefunden haben”, hielt ich den Vampir auf. Einen Moment lang blickte er verwirrt, dann nickte Regis. “Erst das Buch”, stimmte er zu. “Es wäre fatal, sollten wir die Herzogin und Geralt finden, dann jedoch nicht in der Lage sein, zu dem magischen Buch zurückzukehren, um die Märchenwelt zu betreten”, statierte mit Blick in Richtung Theodor und Syanna. Letztere war vorausgeeilt, hielt nun aber inne. Sie verzog kurz das Gesicht, dann seufzte sie. “Holen wir es”, lenkte sie ein und ging dann sogar selbst voran. Sie mochte seit ihrer Kindheit nicht mehr hier gewesen sein, doch es war klar, dass sie den Palast dennoch kannte wie ihre Westentasche. Manche Dinge vergaß man wohl nie. In diesem Fall kam uns das zugute, denn so hatten wir im Nu das magische Buch geborgen, das ich kurzerhand in meine Umhängetasche gestopft hatte. Hoffentlich ging das alles gut. Wo genau wir nun eigentlich nach Geralt und Anna Henrietta suchen sollte, war mir jedoch ein Rätsel. Es war ja nicht gerade so, als hinterließe der Hexer eine Spur aus Brotkrumen oder als könnte ich ihm einfach mal schnell eine WhatsApp-Nachricht schreiben, um herauszufinden, wo er steckte. Regis hingegen schien eine grobe Ahnung zu haben, denn er hatte wortlos die Führung unserer kleinen Gruppe übernommen und wollte gerade um eine Ecke biegen, als Syanna demonstrativ in die andere Richtung abbog. “Hier entlang”, entschied sie mit einem feixenden Grinsen auf den Zügen. Wie konnte sie in dieser Situation noch grinsen? Mir war so überhaupt nicht nach lachen zumute. Wer wusste, wie viele Menschen schon gestorben waren und noch sterben würden, besonders dann, wenn wir Krul nicht stoppen konnten? Regis hielt inne, doch Syanna stapfte bereits weiter, sodass uns anderen nicht viel anderes übrig blieb, als ihr zu folgen. Immerhin war sie unser Köder für die Vampirkönigin. “Es gibt hier in der Nähe einen Zugang zu einem geheimen Keller. Ich wette, dort hat meine Schwester sich mit dem Hexer versteckt”, erklärte Syanna, als sie über eine zerstörte Holztür stieg, die noch halb in den Angeln hing. Skeptisch folgte ich ihr über die Trümmer und durch einen Flur in eine Art Abstellkammer, flankiert von Theodor, während Regis uns Rückendeckung gab. Dass wir bisher keinem begegnet waren - auch keinem Schergen Kruls - beunruhigte mich auf seltsame Weise. Es war so ruhig, dass ich nicht umhin konnte, einen Hinterhalt zu erwarten. Wie sich jedoch zeigte, war das nur der paranoide Gedanke meines schwarzseherischen Hirns, denn die verborgene Tür, zur der Syanna uns führte, war wirklich geschickt hinter einem Regal platziert, das sich beiseite schob, als sie irgendwo an der Fußleiste einen Knopf drückte. Im Dunkeln konnte ich mehr nicht ausmachen, als das Regal beiseite ruckte und einen schmalen Durchgang preisgab. “Ich werde vorangehen”, entschied Theodor und schob sich mit einem raschen Schritt vor Syanna, die sich schon anschickte, als Erste in den Gang zu treten. Genervt klickte sie mit der Zunge. “Angst, ich laufe vor euch weg?” Theodor erwiderte nichts, doch sein Schweigen sprach Bände, fand ich. Meine Hand suchte das Buch in meiner Umhängetasche, um mich zu versichern, dass es noch da war. Erst dann folgte ich Syanna, Regis auf den Fersen. Ich konnte noch hören, wie er die Geheimtür hinter uns zuzog. Wir kamen nur sehr langsam voran. In dem Gang war es zappenduster und man konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Ich für meinen Teil tastete mich einfach an der Wand entlang und stieß mehrmals gegen Syanna, die vor mir lief. “Aua, pass doch auf, wohin du läufst”, brummte sie vor mir, als ich sie beinahe umrempelte. “Tschuldige, ich kann doch auch nichts sehen”, murmelte ich zurück. “Da vorne wird es heller”, unterbrach Theodor uns zischend und machte dann “Psst”. Angespannt blieben wir hinter Theodor im Schatten, der voranging und dabei keinen Laut verursachte, bis er unvermittelt ausrief: “Euer Gnaden!” Wir anderen ließen unsere Vorsicht fallen und folgten ihm eilig. Tatsächlich waren wir in einem kleinen Raum angekommen, der wohl wie eine Art Panikraum fungierte. An einer Wand standen Regale mit Kisten und ein Sack Kartoffeln, an der gegenüberliegenden Wand ein großes Bett, auf dem die Herzogin saß. Sie trug selbst jetzt noch ihre edlen Gewänder und stolzen Hauptes eine funkelnde Krone. Selbst die Tatsache, dass ihre Kleidung klamm aussah und ihre Haare etwas zerzaust, änderte nichts an ihrer herrschaftlichen Ausstrahlung, während der Hexer eher etwas zerrupft aussah und sich erhoben hatte, die Silberklinge fest in der Hand. Uns hatte er hier wohl nicht erwartet, wie seine überraschte Miene preisgab. Ich hingegen war einfach nur erleichtert, weil sowohl die Herzogin als auch Geralt unverletzt schienen. Begeistert wirkte er allerdings nicht, als er uns nach und nach musterte. “Was treibt ihr denn hier?” Regis, Syanna und ich erzählten ziemlich durcheinander, was für einen Plan wir uns überlegt hatten und welche Rolle jeder von uns darin spielen würde. Geralt fragte jedoch nur an einer oder zwei Stellen nach und kommentierte unsere Überlegungen nicht weiter. Ganz anders die Herzogin, die mehrmals wütend dazwischenfuhr, dass sie nicht dulden würde, dass irgendsoeine Vampirin Toussaint bedrohte. Dass nicht nur die Stadt selbst in Gefahr war, war ihr also bereits klar. Ob Geralt sie eingeweiht hatte, was hinter Krul steckte und wer Theodor war, wusste ich nicht, aber sie fragte zumindest nicht nach, sondern widmete sich eher Syanna, an die die Herzogin nach der Erklärung unseres Plans herantrat. “Syanna. Schwester… ich bin froh, dich zu sehen.” Annarietta lächelte und ihre Stimme war voller Wärme und Zuneigung. Ich verzog das Gesicht und verkniff mir leise Würgelaute. Wie konnte sie Syanna nur so begrüßen? Immerhin hatte die nicht nur einige Ritter töten lassen, sondern auch ihre Ermordung geplant. War die Herzogin so blind? Die traurige Antwort lautete wohl: Ja. “Also müssen wir Krul in dieses Märchenland kriegen”, schloss Geralt, dessen Miene zwar unbewegt geblieben war, doch inzwischen konnte ich allein an seiner Tonlage erkennen, dass ihn die Idee nervte. Wen nervte sie nicht? Sie war völlig durchgeknallt. Aber sie war auch leider die beste, die wir hatten, genau genommen sogar die einzige. “Genau”, bestätigte ich also knapp. “Krul will Anna He-” Ein Räuspern unterbrach mich. Die Herzogin. Ich seufzte innerlich, dann fuhr ich ungerührt fort. “Krul will Anna Henrietta und Syanna töten und ihr Blut trinken und zwar unbedingt. Wenn es stimmt, dass sie das Blut der beiden braucht, um zu alter Stärke zu kommen, wird sie darauf kaum verzichten wollen. Immerhin scheint sie ja auch einige Feinde unter ihresgleichen zu haben.” Ich warf einen bedeutungsvollen Blick in Regis’ Richtung. Der Unsichtbare wäre hier wirklich eine gute Hilfe, doch ich wusste auch, wie unberechenbar er war und wie wenig ihn die Schicksale von Menschen interessierten. Mit Pech könnte er sich als ein Befürworter Kruls entpuppen und dann hätten wir uns damit, ihn auf den Plan zu rufen, unser eigenes Grab geschaufelt. Es musste auch ohne ihn gehen. “Wir teilen uns am besten in zwei Gruppen. Eine lockt Krul ins Märchenland und die andere Gruppe kümmert sich um ein Einhorn”, legte Syanna fest, während ihre Schwester mich mit finsteren Blicken aufspießte. Meine Respektlosigkeit, mit der ich sie ohne Titel und Rang angesprochen hatte, könnte sie mir doch wohl vergeben, wenn ich half, ihr Reich und ihr Volk zu retten. Bei der Frage, wie wir uns aufteilen sollten, war jedoch, wie nicht anders zu erwarten, sofort eine hitzige Diskussion entbrannt, die zu aller Verwunderung ausgerechnet Theodor unterbrach. “Wir dürfen uns jetzt nicht streiten. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir gegen Krul bestehen wollen”, betonte er mit ernster Miene, wobei ich das Gefühl nicht abschütteln konnte, dass sein Blick an mir besonders lange hängen blieb. Meine Hand hatte wie von selbst ihren Weg um den blauen Kristall gefunden, der mir bisher immer gute Dienste geleistet hatte, wenn ich in Gefahr geraten war. “Es sollten so wenig Lockvögel wie möglich sein. Ihr müsst schnell fliehen können.” Das schloss ja halt irgendwie jeden außer Regis und ihn aus, doch ich verkniff mir die Bemerkung. “Dann werde ich gehen”, entschied Regis. “Wenn eine der Damen mich begleitet, sollten wir uns zügig genug zurückziehen können.” Theodor nickte zustimmend. Anna Henrietta setzte zwar schon an, zu widersprechen, doch Geralt fuhr ihr grob über den Mund. “Dann geht Syanna mit Regis. Ihr”, sah er zu der Herzogin, “kommt mit Daelis, diesem Theodor und mir. Wir suchen ein Einhorn, um dieses Zauberding zu aktivieren.” Begeistert klang der Hexer auch jetzt nicht, doch wenigstens widersprach ihm niemand. “Wirklich ein sehr faszinierender Zauber”, staunte der Vampir neben mir anerkennend. “Ich wusste nicht einmal, dass so etwas möglich ist. Wirklich unglaublich.” Geralt schnaubte abfällig. Dass er Theodor nicht traute, stand dem Hexer ins Gesicht geschrieben und insgeheim konnte ich das gut verstehen. Theodor mochte sich jetzt freundlich geben und uns scheinbar helfen, Krul in den Griff zu bekommen, doch wieso genau er in dieser Zeit geendet war und vor allem wie, wenn Vampire doch keine Magie nutzen konnten, ja nicht einmal durch magische Portale gehen konnten, soweit ich es wusste, hatte er bis jetzt verschwiegen. Sicher wusste ich nur, dass er wegen dem Kristall hier war, von dem ich wiederum keine Ahnung hatte, wie ich zu ihm gekommen war. Dass Theodor mir den Kristall gegeben und mich in diese Welt befördert hatte, hatte ich inzwischen von meiner Liste der Theorien gestrichen. Wäre es so, hätte er mich nicht erst so spät kontaktiert, sondern schon kurz nachdem ich dem Greifen entkommen war, also direkt nach meiner Ankunft. Letzten Endes blieb er ein Mann voller Geheimnisse und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass er das auch bleiben würde. Vielleicht war das sogar besser so. Wenn er aus der Zukunft kam, durfte er hier nicht zu viel verändern. Den gleichen Vorsatz hatte ich mir ja auch gemacht und mich nur nicht besonders erfolgreich daran gehalten, wobei ich alle Schuld daran gerne an die verdammte Vampirkönigin weiterschob. “Sightseeing können wir meinetwegen später noch machen, aber jetzt müssen wir ein Einhorn finden.” Ich stieß Theodor leicht in die Seite, damit er aufhörte, die Umgebung anzustarren wie ein Reh im Fernlicht. Dass ihn alles hier faszinierte, verstand ich ja, aber uns lief die Zeit davon. “Außerdem müssen wir aufpassen, dass diese Schemen nicht aufkreuzen, weil uns der Zauber als Eindringlinge erkennt”, seufzte ich leise und bemerkte noch, wie mich die Herzogin verwundert aus den Augenwinkeln ansah, ehe sie den Blick schweifen ließ. “Wahrlich nicht, wie ich es in Erinnerung hatte. Wie bedauerlich, dass das Buch so verkommen ist”, ließ sie vernehmen. Bedauerlich. So konnte man es natürlich auch sagen. Immerhin waren einige Märchengestalten inzwischen tot, der Große böse Wolf irgendwie depressiv und das Mädchen mit den Zündhölzern war zur Dealerin geworden. “Nun gut. Dies ist nicht die Zeit zum Zaudern”, beschied Anna Henrietta schließlich und stakste in ihrem wallenden Kleid und den zweifellos hochhackigen Schuhen den gelb gepflasterten Pfad entlang. Man mochte über die Herzogin sagen, was man wollte, aber sie war eine Frau der Tat, das musste ich ihr lassen. Schulterzuckend folgte ich ihr, flankiert von Theodor, während Geralt das Schlusslicht bildete. Wir folgten dem Weg über einen kleinen Bach und hatten im nächsten Moment auch schon den einen an sich wirklich herrlichen Ausblick über das ganze Märchenland. So besonders groß war es ja nicht. Zum Glück! Sonst wäre unsere Suche sicherlich nicht so rasch vorbei gewesen, wie es jetzt der Fall war, denn schon von hier konnten wir zwei Einhörner auf der Wiese vor dem See um Rapunzels Turm grasen sehen. Erleichterung durchflutete mich. Ich schob mich nach vorne und ging nun eilig voran. Diese magischen Einhörner könnten unsere Rettung sein. Nein, sie mussten! Denn die echten Einhörner waren, soweit ich es sagen konnte, entweder ausgestorben oder waren in ihre Heimatwelt zurückgekehrt. Hatten nicht auch die Elfen ihre Welt von den Einhörnern bekommen? Das mussten schon echt schräge Viecher sein und ich zweifelte doch sehr daran, dass wir die Mittel hätten, um eines zu finden. Für meinen Geschmack waren diese falschen jedoch echt genug. Sie sahen echt aus, fühlten sich echt an und würden uns allen ordentlich den Arsch retten. “Es gibt da etwas, das ich Euch noch erzählen wollte”, begann Theodor in einem für meinen Geschmack viel zu entspannten Plauderton, während ich eilig auf die Einhörner zustapfte. Der Vampir hielt mühelos Schritt. “Ach ja?”, gab ich trocken zurück. Ich hoffte, es war etwas Nützliches, denn nach nettem Kennenlernen war mir im Moment wirklich nicht zumute. “Als Mensch könntest du durchaus über magisches Talent verfügen”, fuhr er unbeirrt ob meines desinteressierten Tonfalls fort. Ich seufzte hörbar. “Theodor, ich bin so magisch wie Toastbrot, glaub mir.” Ein wenig musste ich mir die Bemerkung verkneifen, dass Geralt mich wohl sonst auch schon flachgelegt hätte, so wie gefühlt jede Zauberin, die seinen Weg kreuzte. Der Vampir neben mir lachte leise. “Oh, mitnichten. Ihr tragt eindeutig Magie in Euch, sonst hätte der Kristall Euch nicht vor meiner Anwesenheit gewarnt”, erklärte er gut gelaunt. Gewarnt? Ich hatte eher das Gefühl gehabt, der Anhänger hatte mich vor ihm beschützt, was Theodor nicht unbedingt vertrauenswürdiger machte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er irgendetwas verbarg. Etwas, das mir nicht gut tun würde, wenn ich nicht bald dahinter kam und mir überlegte, wie ich es aushebelte. “In dem Buch, das ich Euch überließ, gibt es einen angeblich sehr einfachen Zauber, der die Magie dazu befehligen kann, die Zeit für einige Minuten anzuhalten, sodass nur der Anwender sich frei bewegen kann.” Abrupt blieb ich stehen und starrte den Vampir ungläubig an, der mit einem ruhigen Lächeln fortfuhr: “Allerdings kann ich nicht bestätigen, ob der Zauber funktioniert. Meinesgleichen ist nicht in der Lage, Magie zu wirken.” Dass Vampire nicht zaubern konnte, hatte ich gewusst, aber wieso zur verfickten Hölle fiel ihm bitte erst jetzt ein, mich auf so einen wichtigen Zauber und den Umstand, dass ich ihn womöglich lernen könnte, aufmerksam zu machen? Glaubte er ernsthaft, dass es mir gerade jetzt noch gelänge, diesen Zauber zu meistern? Das war nicht nur naiv, das war fahrlässig dumm! Ich öffnete den Mund, um ihn zurechtzuweisen, da kam mir Geralt schon zuvor. “Das hätten wir eher gebrauchen können”, brummte der Hexer und die Herzogin neben ihm schnaubte leise und höchst unmajestätisch, was wohl ein Zeichen ihrer Zustimmung war. Meinem Ärger zum Trotz griff ich dennoch zum Buch, nach dem der Vampir sofort griff. “He!”, protestierte ich, doch Theodor schlug bereits eine Seite auf, blätterte kurz und reichte mir dann das aufgeschlagene Buch zurück. Hastig überflog ich die sorgsam handschriftlich verfassten Zeilen. Der oberste Zauber sollte die Zeit kurz anhalten, genau wie Theodor gesagt hatte. Leise flüsterte ich die Formel, um sie mir so hoffentlich besser einzuprägen. “Sinne dich nach den fünf Flügelschlägen, entscheide dich für Fluch oder Segen. Keine Zeit hält ewig an, schaue nicht zurück und schreite voran." Ob etwas passieren würde, wenn ich mich konzentrierte, wusste ich zwar nicht, aber im Fragefall hätte ich den Spruch besser im Kopf als auf dem Papier. “Klingt seltsam”, kommentierte Geralt trocken. Ich zuckte mit den Schultern. “Bedauerlicherweise ist solche Magie nie ohne einen Preis”, meinte der Vampir. “So wie jede Magie”, gab ich ächzend zurück. Wieder hörte ich ein Schnauben. Diesmal kam es von Geralt. “Also? Wie hoch ist der Preis dafür, die Zeit anzuhalten? Muss man einen Menschen opfern?”, zischte die Herzogin, die nun an mir vorbeiging. “Aber nein, nein. Nicht doch.” Theodor blieb selbst jetzt noch ruhig. “Nein, der Preis für Magie, die die Zeit beeinflusst, ist ungewiss und sehr hoch”, meinte er schließlich nach kurzem Zögern. “Ganz toll”, seufzte ich leise, hörte jedoch nur noch mit halbem Ohr zu, weil mein Blick auf dem zweiten Zauber klebte, den diese Seite erwähnte. Ein Zeitreisezauber! Damit musste Theodor hergebracht worden sein! Das wiederum hieß, dass ihn wahrscheinlich ein Mensch oder Elf hergebracht hatte. Vielleicht sogar jemand, den ich kannte. Yennefer der Zukunft zum Beispiel. Das würde erklären, wieso er mich so schnell gefunden hatte - weil er wusste, wo er suchen musste, denn Yennefer hätte von dieser Geschichte von Geralt gehört und darum einige Details gekannt. Mein Kopf schwirrte. War das möglich? Theoretisch ja. Und es hieß, dass unser Plan gelänge und wir Krul stoppten, oder? Oder eben nicht? Hatte jemand Theodor hierher geschickt, um dafür zu sorgen, dass Krul gestoppt wurde, weil es eben sonst nicht gelungen war? Mein Blick glitt über den Zauberspruch, der zum Zeitreisen benutzt werden sollte. “Wenn das Schicksal sich ändern kann, der Weg zurück und nicht voran, dann wage den Sprung zurück, denn Zeitmacht bedeutet kein Glück.” Krampfhaft wiederholte ich die Worte in Gedanken, um sie mir einzuprägen. “Also was nun?” Geralts Frage unterbrach meine Gedanken unvermittelt. Verwirrt sah ich auf, nur um direkt vor den Kopf einer der Einhörner zu starren. Der Hexer hatte das zutrauliche Zaubertier bereits hergelockt und stand mit abwartender Miene daneben. “Nun zaubert das Einhorn?” Hilflos sah ich zu Theodor, dann zu dem blauen Kristall, der auf meiner Brust lag. “Der Kristall reagiert auf magisch Kompatible”, nickte der Vampir mir aufmunternd zu. Ach, tat er das? Bei mir hatte er noch nichtmal gezuckt, wenn nicht gerade irgendeine Gefahr aufgelaufen war. “Genug gezaudert. Wir haben nicht viel Zeit. Diese widerwärtige Abscheulichkeit tobt in meiner Stadt”, gemahnte Anna Henrietta in befehlsgewohnter Stimme zur Eile. Ich nickte, nahm die silberne Kette ab und hielt den Kristall an das Einhorn, welches mich nur ruhig ansah. Keiner von uns sagte ein Wort, doch als nach einigen Momenten noch immer nichts passiert war, wussten wir wohl alle, was das bedeutete. Das Einhorn sah zwar echt aus, aber es war nicht echt. Und es würde keinen Zauber wirken, der Krul tötete oder versiegelte. Wir waren auf uns gestellt und Krul könnte jeden Moment hier sein. Wir waren so richtig am Arsch. Kapitel 19: Jede Sekunde zählt ------------------------------ “Scheiße.” Geralt traf den Nagel damit meiner Meinung nach auf den Kopf. Regis und Syanna könnten jeden Moment hier aufkreuzen, Krul direkt auf ihren Fersen und wir hatten keinen Plan B. “Nein”, ächzte ich und schüttelte den Kristall, der mir natürlich nicht antwortete und auch nicht anfing, zu strahlen, egal wie sehr ich vor der Nase des Einhorns damit herumwedelte. “Gib’s auf”, knurrte der Hexer kurz angebunden in meine Richtung. “Das Einhorn ist nicht echt.” Bevor ich etwas erwidern konnte, griff Geralt unvermittelt nach dem Kristall, doch als er merkte, dass ich keine Anstalten machte, die Silberkette loszulassen, an der das Kleinod baumelte, umfasst er einfach meine Hand und zog diese hoch, damit er den Kristall näher in Augenschein nehmen konnte. Den fast etwas höhnischen Blick, den ich für mein Geklammer erntete, ignorierte ich gekonnt. Dieser Kristall gehörte, soweit es mich betraf, mir und womöglich war er meine Lebensversicherung. Nicht nur, dass ich ihn hatte, seit ich hier angekommen war, er war neben meinem Wissen, über das ich blöderweise nicht sprechen konnte, mein einziger Beitrag zu dieser sonst recht kampfkräftigen Gruppe. Die Herzogin nahm ich davon aus, sie war der Köder. Schweigend musterte Geralt den Kristall, dann griff er mit der freien Hand nach seinem Hexermedaillon, das, wie ich erst jetzt bemerkte, leicht vibrierte. Der Kristall war eindeutig magisch, aber das war ja nicht unbedingt eine neue Erkenntnis. “So kommen wir nicht weiter!”, empörte sich Anna Henrietta zornig. “Diese abscheuliche Kreatur kann jeden Moment hier auftauchen. Also werden wir ihr erhobenen Hauptes entgegentreten und kämpfen!”, entschied die Herzogin mit fester Stimme. Eines musste ich ihr lassen: Sie hatte Eier. Selbst jetzt, wo ich einfach nur noch zwischen Angst und Hoffnungslosigkeit schwankte, blieb sie unerbittlich und entschlossen. “Und sterben”, fügte ich missmutig ihrer Ansprache hinzu und erntete damit ein verhaltenes Glucksen seitens Geralt, der dabei jedoch kaum eine Miene verzog. “Gib mir das Buch mal”, meinte er dann. Skeptisch sah ich zu ihm auf und legte die Silberkette mit dem Kristall eilig wieder um, als er meine Hand aus seinem Griff entließ. “Was hast du denn damit vor?”, wollte ich wissen, zögerte aber nicht, ihm das Zauberbuch hinzuhalten. Viel mehr konnte ich damit in der Eile eh nicht anfangen. Die beiden Zaubersprüche hatte ich hoffentlich im Kopf, auch wenn ich daran zweifelte, dass das irgendetwas ändern würde. Es war ja nicht so, als werfe man einfach mit einer Zauberformel um sich und - Tada! - alles erledigte sich einfach so. Kinderspiel! Schön wärs. “Ich bin absolut sicher”, mischte sich Theodor ungefragt ein, während Geralt noch immer das Buch durchblätterte, als suche er nach etwas, “dass unser der Anhänger den Weg zum Sieg weisen wird.” Anna Henrietta rollte mit den Augen. Sie war offensichtlich nicht überzeugt und wenn ich ehrlich war, konnte ich den Enthusiasmus Theodors auch nicht ganz teilen. Wir hatten keine Ahnung, was wir tun sollten und Krul könnte jede Sekunde hier aufschlagen. Regis und Syanna hatten zwar versprochen, uns etwas Zeit zu lassen, doch sie ahnten ja nicht, wie übel unser Plan ins Wasser gefallen war. Zumindest, brummte eine sarkastische Stimme in meinem Hinterkopf, brauchte ich mir keine Sorgen mehr darum machen, was Dettlaff mit der Stadt anstellen würde. Krul käme ihm zuvor und erleben würde ich das sowieso nicht mehr. Einfach fucking fantastisch. Womit hatte ich das nur verdient? Gefrustet fuhr ich mir durch das klamme Haar und richtete meinen Ärger auf Theodor, auch wenn der eigentlich nichts dafür konnte. Zumindest nicht wirklich. “Und wie? Er reagiert nicht. Wir haben hier kein Wesen mit reinem Herzen, das obendrein noch magisch begabt ist. Ist ja nicht so, als fielen sowas einfach vom Himmel!” Irgendwie hatte ich fast ein wenig gehofft, das Schicksal wolle mich trollen und würde mir die Lösung jetzt eben doch einfach vom Himmel vor die Füße klatschen lassen, doch natürlich passierte das nicht. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Das Geräusch von reißendem Papier riss mich aus meinen Gedanken. Fassungslos starrte ich Geralt an, der einfach so ein paar Seiten aus dem Zauberbuch herausgerissen hatte. “Sag mal, hackts bei dir?!”, fuhr ich ihn gleichermaßen verdattert wie wütend an. Was zur Hölle war eigentlich mit diesem Kerl? Welcher vernunftbegabte Mensch behandelte - Pardon: misshandelte - ein Buch derart? Der Hexer jedoch ignorierte mich völlig und hielt eine Seite mit angestrengter Miene in Richtung Sonne. Wütend schnappte ich nach Luft. “Geralt!”, fauchte ich ihn an, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, doch wieder vergeblich. Zumindest dachte ich das zuerst, dann ergriff der Weiße Wolf das Wort. “Dieser ganze Kram von einem reinen Herzen. Alles Unfug, wenn du mich fragst. So etwas habe ich schon dutzende Male gehört, doch es war nie etwas dran. Nur romantischer Unfug.” Entnervt ächzte ich. “Schön und gut, aber warum zur Hölle sollte es da helfen, MEIN Buch zu zerreißen?”, verlangte ich zu wissen. Einige Sekunden verstrichen, ehe Geralt genervt zurückgab: “Manchmal verstecken sich geheime Nachrichten in magischen Büchern. Sie werden nur durch bestimmtes Licht sichtbar.” Ohne ein weiteres Wort der Erklärung drückte er mir das Buch sowie die herausgerissenen Seiten in die Hand. “Hier allerdings nicht.” Ich brummte. “Und das hättest du nicht testen können, ohne mein Buch zu beschädigen?”, zischte ich verärgert und drückte das Buch an mich, als wäre es mein heimgekehrtes Kind, um dessen Sicherheit ich nun fürchtete. Ganz falsch war dieser Vergleich nicht. “Also hast du mein Buch ganz umsonst zerfe-” Ich unterbrach mich selbst mitten im Satz und starrte Theodor an. Der Vampir wirkte selbst jetzt noch so gelassen, dass ich ihn am liebsten gewürgt hätte. Dieser verdammte Scheißkerl. Dieser verfluchte, verfickte, verschissene Scheißdreckskerl. Wieso war ich nicht eher drauf gekommen? Er hatte doch längst zugegeben, aus der Zukunft zu kommen. Immer war ich davon ausgegangen, er wäre hergekommen, um etwas zu ändern, aber das stimmte gar nicht. Im Gegenteil. Das hier war eine selbsterfüllende Prophezeiung. Er war hier, damit alles so lief, wie er es kannte. Darum war der Spast auch so entspannt! Er kannte die Lösung dieses Rätsels längst! Wütend funkelte ich Theodor mit verschränkten Armen an. “Es ist der Kristall, nicht wahr? Der hat überhaupt nichts mit Vampire zu tun, sondern mit Zeitmagie und dir kam nicht in den Sinn, das zu erwähnen, weil…?” Ein wenig gefror Theodors Lächeln, doch ehe er antworten konnte, fuhr ich fort: “Weil du genau weißt, wie diese Geschichte weitergeht und nur hier bist, weil die Vergangenheit dir vorschrieb, dass du es sein solltest. Sag es, wenn ich mich irre. Du willst gar nicht die Zukunft verändern, sondern sie nur erfüllen.” Eine gefühlte Ewigkeit war es einfach still. Theodor lächelte auch jetzt noch, wenngleich etwas angespannt, was wohl weniger an meinem gereizten Tonfall lag als vielmehr daran, dass Geralt seine Silberklinge zog, was ich zwar nicht sah, weil er in meinem Rücken stand, aber sehr wohl hören konnte. Es war jedoch nicht der Vampir, sondern die Herzogin, die die Stille schließlich durchbrach. “Welche Rolle spielt das schon? Unser Ziel hat sich dadurch nicht geändert. Verrate uns sofort, wie es gelingen kann, diese Krul aufzuhalten!”, verlangte sie in herrischen Tonfall von Theodor, der zur Antwort nur ein leises Seufzen hören ließ und dann zu mir blickte. Ich hob eine Augenbraue und zuckte dann mit den Schultern. “Er hätte uns schon viel eher sagen können, was wir tun müssen, hat er aber nicht. Also wird er das auch jetzt nicht tun”, bemerkte ich bissig. Doch selbst jetzt noch schwieg der Vampir beharrlich. Ich schnaubte abfällig. “Du bist die Absicherung, richtig? Damit wir alle hier da sind, wo wir sein sollten und damit wir den Kristall haben, den wir brauchen und ihn richtig einsetzen”, schlussfolgerte ich aus seinem Schweigen. Geralt brummte hörbar. “Einen tollen Verbündeten hast du dir da gesucht, Daelis.” “Kann mich nicht erinnern, ihn gesucht zu haben, eher hat er mich gesucht. Was also… soll ich mit dem Kristall tun?”, sinnierte ich, den Kristall auf Augenhöhe hebend, sodass ich Theodor durch den blauen Kristall ansehen konnte. Wieso ich? Vermutlich Zufall. Wer immer Theodor hergebracht hatte, hatte vermutlich auch mich hergebracht - einschließlich des Kristalls, wohl wissend, dass weder die Herzogin, Syanna oder Geralt den Kristall hätten benutzen können. Allerdings hieß es auch, dass kein Zauberer bereit war, meine Rolle einzunehmen. Oder vielleicht war einfach keiner vertrauenswürdig genug? Darauf würde ich vorerst wohl keine Antwort bekommen. Ich starrte auf den Kristall und erstarrte dann. Die Antwort auf die Frage, was ich oder wir oder wer auch immer mit dem Kristall tun sollte, war direkt vor meiner Nase. “Ich weiß, was wir machen müssen!”, meinte ich so übereilt, dass ich fast über meine eigenen Worte stolperte. Hastig schlug ich das Zauberbuch auf, genau dort, wo die Seiten herausgerissen und nur hineingelegt waren, dank Geralt. “Und was?”, verlangte Anna Henrietta hörbar gereizt zu wissen, doch ich antwortete ihr nicht, sondern hielt das blau funkelnde Kleinod nur wieder vor mein Gesicht, um durch die glatt geschliffenen Facetten des Kristalls hindurch auf die Buchseiten zu blicken, in der Hoffnung, dass sich mit so mehr auf den Seiten offenbaren würde als bisher. Ob es mir gelänge, einen Zauber zu wirken, wenn ich denn dort einen hilfreichen fand, stand zwar in den Sternen, aber im Moment klammerte ich mich an jeden Strohhalm. Erfolgreich, wie sich mir schnell offenbarte. Erst jetzt hörte ich auch das zufriedene, leise Lachen Theodors und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Geralt dem Vampir die Silberklinge an den Hals hielt. “Ich wusste, du würdest zur rechten Zeit den richtigen Blickwinkel finden”, meinte Theodor entspannt, obwohl die Silberklinge seine Haut bereits berührte. Ein kleiner Teil von mir wollte den Hexer gerne anfeuern, doch ein anderer verstand, wieso Theodor geschwiegen hatte. Ich tat es ja auch. Wie er kam ich mit dem Wissen der Zukunft hierher und hatte dieses immer und immer wieder verheimlicht, um den Strom der Ereignisse nicht zu verändern. Im Grunde tat der Vampir genau das gleiche. Wie könnte ich ihm das vorwerfen? Anzunehmen, er wolle etwas verändern, war mein Fehler. Behauptet hatte er das immerhin nie. Ich seufzte und fixierte die schimmernden Zeilen, die sich mir dank des Kristalls offenbarten. “Nicht ein reines Herz, nicht die Macht der Magie, ein Wunsch eben nicht. Glaube nicht dem ersten Wort, vielmehr dem hellen, blauen Kristalllicht. Sei gewarnt! Entweder trifft sich das Glück oder das Unglück am Ort. Kein Traum wird wahr, keine Sehnsucht wird erfüllt, führe sie hinfort. Der Wille ist dafür bereit, dann schlage die Seiten umgekehrt in Reihe auf. Sag den Zauberspruch auf, du musst opfern, dann nimmt es seinen Lauf”, flüsterte ich die Worte und ahnte schon, dass sie nichts Gutes verhießen. Ein Opfer muss gebracht werden. Davon hatte Theodor auch gesprochen, doch worum es sich bei diesem Opfer genau handelte, verriet mir auch der für das bloße Auge unsichtbare Text nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen, einmal klare Antworten zu kriegen, aber vielleicht war das eben so ein Haken an allem, was mit Zeitreisen zu tun hatte. Es war eben nichts in Stein gemeißelt, die Zukunft wandelbar. Alles andere wäre auch furchtbar, ging es mir durch den Sinn. Wäre alles vorherbestimmt, welchen Sinn hätte es dann noch, sich aufzuraffen, sich zu bemühen, alles zu geben, um ein Ziel zu erreichen? Eilig schob ich den Gedanken beiseite, um mich nicht darin zu verlieren. Dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit. “Dann müssen wir nur noch den Kristall zum Leuchten bringen”, lenkte ich die Aufmerksamkeit aller, mich eingeschlossen, wieder auf unser nächstes Problem. Geralt hob fragend eine Augenbraue. “Gibt es dafür auch irgendeinen Zauberspruch?” Ich zuckte mit den Schultern. “Glaube nicht. Bisher hat der Kristall sich immer selbst aktiviert.” “Ich sehe nicht, wie uns das weiterhelfen soll”, fuhr mit die Herzogin gereizt ins Wort. Zicke. Ungeachtet ihres Tonfalls fuhr ich fort: “Der Kristall hat jedes Mal angefangen zu leuchten, wenn ich in Gefahr war.” Geralts Augen verengten sich. “Der Incubus”, schlussfolgerte er richtig und ich nickte. “Aber auch bei Theodor, als er mich im Stall aufsuchen wollte. Du weißt schon, als du mit den Rittern die Räuber bekämpft hast!”, erinnerte ich den Hexer, die missmutige Miene Anna Henriettas ignorierend, die wohl beleidigt war, weil diese Unterhaltung sie völlig ausschloss. Auf Geralts Miene hingegen machte sich grimmige Entschlossenheit breit. “Krul sollte wohl gefährlich genug sein, um den Kristall zur Reaktion zu zwingen, oder?” Ich nickte, aber insgeheim war ich mir nicht so sicher. Doch was blieb uns übrig, als darauf zu hoffen? Auf Geralt hatte er nie reagiert, die Herzogin war keine echte Gefahr - zumindest nicht ohne Diener, die ihren Willen ausführten - und Theodor wohl auch nicht mehr, denn der Kristall reagierte schon eine Weile nicht mehr auf ihn. Ein wenig unwohl wurde mir jedoch bei dem Gedanken, dass der Kristall vorher auf Theodor reagiert hatte. War der Vampir möglicherweise als potentieller Feind hergekommen, um mich loszuwerden? Hatte der Kristall damals im Stall deshalb reagiert? Theodors Vertrauenswürdigkeit stellte dieser Umstand für mich auf jeden Fall in Frage. “Steht in dem Buch noch etwas? Es erscheint mir nicht weise, dass wir uns auf dieses magische Juwel verlassen”, moserte Anna Henrietta. Insgeheim gab ich ihr Recht. Wir sollte uns auf jeden Fall einen Plan B zurechtlegen. “Mir ist kein anderer Weg bekannt, wie wir gegen ein so mächtiges Wesen wie Krul bestehen könnten”, mischte sich nun auch Theodor wieder ins Gespräch ein. Nun war er das Ziel der finsteren Blicke Anna Henriettas. Als Theodor nicht antwortete, fuhr sie direkt damit fort, ihren Frust an dem Vampir auszulassen, obwohl er nun wirklich nichts für die doppelte Gefahr konnte, in der ihre Untertanen schwebten. Theodor wirkte zwar friedlich, aber von der Herzogin konnte ich das nicht behaupten. Meine Gedanken jedoch galten dem Zauberbuch. Es hing eindeutig mit dem Kristall zusammen. Nur weil ich den Kristall besaß, hatte Theodor mir das Buch geben wollen, davon war ich inzwischen überzeugt. “Mach keine Dummheiten”, drang Geralts Stimme unvermittelt an mein Ohr. Er sprach nicht laut, wohl weil er Anna Henrietta auch nicht unterbrechen wollte, die Theodor förmlich mit einem Wortschwall in Grund und Boden redete. “Mach ich nicht. Es ist nur…”, begann ich zögerlich. Der Hexer ächzte. “Ich weiß genau, was du vorhast”, brummte er, wobei sein Blick in die Ferne glitt. “Und vielleicht ist das keine dumme Idee, denn sie kommen.” Sofort sah ich ebenfalls in die Richtung, aus der auch wir gekommen waren. Ich sah noch nichts, doch Geralts Sinne waren besser als meine und auch Theodors Aufmerksamkeit hatte sich von der Herzogin gelöst, die darüber offenbar nur noch zorniger geworden war. Zumindest bis Geralt seine Worte wiederholte. “Sie kommen. Euer Gnaden, Ihr solltet in Deckung gehen. Daelis, du auch!”, fügte er mahnend hinzu, als ich die herausgerissene Buchseite erneut durch den Kristall betrachtete. Anders als die Herzogin, dachte ich nicht einmal daran, mich jetzt in irgendeinem Busch zu verkriechen. Wenn der Kristall die einzige Möglichkeit war, Krul zu bezwingen, dann durfte ich jetzt nicht kuschen. Vielmehr müsste ich an die Front, immerhin galt es, dieses magische Dingdong zu aktivieren, sonst könnten wir uns alle gepflegt von dieser Welt verabschieden. “Deckung!”, hörte ich Geralt in meine Richtung rufen und tatsächlich stieß er mich sogar davon, sodass ich einige Meter rückwärts taumelte und dabei beinahe stürzte. Zum Protestieren kam ich nicht mehr. Von Regis war noch nichts zu sehen, aber dafür von Syanna. Sie preschte auf einem Einhorn heran und hielt erst an, als sie Geralt und Theodor passiert hatte. “Euer Freund kommt gleich, wenn ihn Königin Blutrausch nicht vorher erledigt”, teilte sie uns mit. Ihr Atem ging hastig und ihre Worte klangen abgehackt. Offenbar war das Ganze ziemlich knapp gelaufen. “Schnapp dir deine Schwester und Daelis und versteckt euch!”, wies Geralt die Schwarzhaarige kurzerhand an. Seine Silberklinge hatte er schon in der Hand. Zu meinem Erstaunen zögerte Syanna tatsächlich nicht, der Anweisung zu folgen. Sie half Anna Henrietta aufs Einhorn und warf dann einen prüfenden Blick in meine Richtung. Ich schüttelte den Kopf. Wenigstens sie stellte meine Entscheidung nicht in Frage, sondern beließ es bei einem spöttischen Lächeln, das wohl bedeuten sollte, dass sie mich bereits als todgeweiht abgestempelt hatte. Blöde Kuh, die würde sich noch wundern! So einfach war ich nicht bereit, mich mit dem Tod abzufinden. Dass Syanna meine Chancen jedoch als ziemlich mies einstufte, verstand ich umso besser, als ein grauroter Wirbel näher kam. Immer wieder nahmen Regis und die Vampirkönigin Gestalt an und gaben sie wieder auf. Regis fiel das war merklich leichter und er war schneller, doch gleichzeitig war seine Kleidung rot von Blut, während Krul einen recht unbeschadeten Eindruck bot. Alles ging so schnell, ich hatte kaum eine Möglichkeit irgendetwas zu tun oder auch nur zu denken, da schmetterte Krul Regis auch schon von sich, der mehrere Meter weit flog und hart auf dem Boden aufkam. Am liebsten wäre ich direkt zu ihm gelaufen, obwohl ich wusste, dass der Vampir sich von diesen Verletzungen vermutlich zügig erholen würde. Krul ließ ich dabei unklugerweise aus dem Blick, auch wenn ich ihren wütenden Aufschrei hören konnte. Zweifellos hatte sie die beiden Schwestern bemerkt, die sich verkrümelten, während unser chaotischer Haufen sich ihr in den Weg stellte. Für sie musste das wie eine Verzweiflungstat aussehen, die nur scheitern konnte. Von dem Kristall, der um meinen Hals hing und tatsächlich unsere einzige Hoffnung auf den Sieg gegen sie war, ahnte Krul ja nichts. Plötzlich wurde ich umgestoßen und landete selbst im Gras, allerdings so überraschend, dass ich einfach nur aufjapste und gar nicht wusste, wie mir geschah. Leuchtende blaue Funken stoben auf, dann sah ich Theodor, der neben mir kniete. Sein linker Arm war völlig zerfetzt und dickes Blut färbte das Gras unter dem Vampir rot. Hinter ihm konnte ich sehen, wie Geralt und Regis gemeinsam die Klauen der Vampirkönigin abfingen. Doch genau da musste ich hin. Warum ich so überzeugt davon war, dass mein Plan funktionierte, wusste ich selbst nicht, aber mir erschien das einfach logisch. Krul war eine Gefahr für mich. Ohne jeden Zweifel. Sie würde den Kristall aktivieren, ob es ihr schmeckte oder nicht. Und wenn das geschah, dann… dann würde sich hoffentlich etwas zeigen, das uns erlaubte, die Vampirkönigin unschädlich zu machen. Normalerweise hielt ich mich eher für einen vorsichtigen Menschen, aber was ich jetzt vorhatte, hätte nicht unvorsichtiger sein können. “Vertrau mir”, zischte ich Theodor zu und glaubte noch, ein zufriedenes Lächeln auf seinen Zügen zu erkennen, als ich mich aufrappelte und auf Krul zulief. “Widerliches Gewürm!”, zischte Krul, die linke Hand erhoben, bereit zuzuschlagen. Dass ihre Krallen messerscharf waren und nicht nur Stoff spielend leicht durchdrangen, sah man zumindest Geralt an, dessen Schulter blutete. “Hau ab!”, zischte Geralt in meine Richtung, während er sich aufrappelte. Derweil war es an Regis allein, die Klauen der wütenden Vampirkönigin davon abzuhalten, mich aufzuspießen. War man realistisch, stand ich den beiden hier im Kampfgetümmel wirklich nur im Weg. Was Theodor trieb, hatte ich nicht im Auge behalten. Sollte er uns verraten und hinterrücks angreifen, hätte er wohl leichtes Spiel. “Zieh dich zu-”, hörte ich Regis rufen, ehe er sich selbst ächzend unterbrach. Blut spritzte und versah nicht nur den Boden mit roten Sprenkeln, sondern auch mich. Mir schlotterten die Knie. Eben noch war ich sicher gewesen, dass schon alles klappen würde. Ich müsste nur nah genug an Krul heran, dann würde der Kristall schon reagieren. Jetzt jedoch wollte ich am liebsten weglaufen. Alle meine Sinne schrien, dass ich so schnell abhauen sollte, wie ich nur konnte, denn sonst würde Krul aus mir Snacks to go machen - und zwar to go, weil sie mich vermutlich als Gegner war nicht wahrnahm. Ich war nur ein Mensch und nicht einmal bewaffnet. Leute wie mich erledigte sie wie Flöhe oder Mücken. Was ich hier versuchte, war absolut wahnsinnig. Eigentlich sollte mich der letzte Funken klaren Verstandes davon abhalten, das hier auch nur in Betracht zu ziehen. Blöderweise war mein Überlebensinstinkt wohl nicht so toll ausgeprägt, denn als Krul in meine Richtung hieb, vermochte ich keinen Schritt zu gehen. Vage hörte ich eine Stimme, die meinen Namen rief. Sie klang wütend. Die Worte jedoch registrierte ich nicht. Die blutbesudelten Krallen kamen direkt auf mich zu. Mein Herz raste, mein Mund war trocken. Ich fühlte mich wie erstarrt. Mir kam es vor, als vergingen Minuten, dabei konnten es nur Sekundenbruchteile sein. Plötzlich erstrahlte der Kristall um meinen Hals in blendendem Licht. Geblendet wollte ich den Arm vor die Augen heben, hätte jedoch nicht sagen können, ob ich das dieses Vorhaben auch wirklich umsetzte. Meine Gedanken waren allein bei der Zauberformel, von der ich hoffte, sie würde mir die nötige Zeit gewähren, die ich brauchte, um hoffentlich herauszufinden, wie Krul bezwungen werden konnte. "Sinne dich nach den fünf Flügelschlägen, entscheide dich für Fluch oder Segen. Keine Zeit hält ewig an, schaue nicht zurück und schreite voran!” An das Opfer, das Zeitmagie verlangte, verschwendete ich in diesem Moment keinen Gedanken. Was hatte ich zu verlieren? Wenn Krul nicht gestoppt wurde, ginge eh alles den Bach runter. Meine Freunde würden sterben, ich würde sterben. Ich hoffte einfach nur, dass der Zauber wirkte und die Zeit anhielte, denn ansonsten würden die scharfen Klauen der Vampirin mich in Streifen schneiden. Wer könnte dann noch den Kristall benutzen? Vampire konnten nicht zaubern, Geralt auch nicht, sah man von den Zeichen ab. Und hätte Theodor mich nicht aufgehalten, wenn mein Plan zum Scheitern verurteilt war? Es sei denn natürlich, er wollte genau das und war insgeheim auf Kruls Seite. All diese Gedanken rasten während eines einzigens Wimpernschlages durch meinen Kopf, dann hielt die Welt den Atem an. Die Zeit stand still. Fassungslos starrte ich Krul an. Ihre Hand war nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Es fehlte nicht viel und sie hätte mich erwischt. Wie sich das angefühlt hätte, wollte ich mir lieber nicht ausmalen. Kostbare Sekunden verschwendete ich damit, mich einfach nur ungläubig umzusehen. Geralt hatte die Silberklinge erhoben, bereit der Vampirkönigin damit den Arm abzuschlagen. Regis stand neben mir, das Gesicht von der vampirischen Verwandlung verändert, die Hand, ebenfalls klauenbewehrt, schützend erhoben. Er wäre zu langsam gewesen, ging es mir durch den Kopf. Dabei war alles um mich so schnell gegangen, dass ich überhaupt keine Zeit gehabt hatte, richtig zu begreifen, was genau überhaupt passierte. Ich schluckte schwer. Wenn ich mich irrte, saßen wir ziemlich in der Patsche. Der Kristall selbst war offenbar nicht das einzige, was man brauchte, um Krul in ihre Schranken zu weisen, doch davon war ich ausgegangen. Nur darum hatte ich all meine Hoffnungen auf das Buch mit der Chronomagie gesetzt. Bestimmt hatte ich es nicht umsonst erhalten! Eilig faltete ich die herausgerissenen Seiten auseinander und hielt sie ins Licht des Kristalls, das weitere Worte auf dem Papier enthüllte. "Nicht ein reines Herz, nicht die Macht der Magie, ein Wunsch eben nicht. Glaube nicht dem ersten Wort, vielmehr dem hellen blauen Kristalllicht. Sei gewarnt! Entweder trifft sich das Glück oder das Unglück am Ort. Kein Traum wird wahr, keine Sehnsucht wird erfüllt, führe sie hinfort. Der Wille ist dafür bereit, dann schlage die Seiten umgekehrt in Reihe auf. Sag den Zauberspruch auf, du musst opfern, dann nimmt es seinen Lauf.” Kapitel 20: Von Zeit zu Zeit ---------------------------- "Nicht ein reines Herz, nicht die Macht der Magie, ein Wunsch eben nicht. Glaube nicht dem ersten Wort, vielmehr dem hellen blauen Kristalllicht. Sei gewarnt! Entweder trifft sich das Glück oder das Unglück am Ort. Kein Traum wird wahr, keine Sehnsucht wird erfüllt, führe sie hinfort. Der Wille ist dafür bereit, dann schlage die Seiten umgekehrt in Reihe auf. Sag den Zauberspruch auf, du musst opfern, dann nimmt es seinen Lauf”, warf ich Krul die Worte fast wie einen Fluch entgegen. Ihre dunklen Augen hatten mich fixiert, mich gewarnt, dass ich keinen Ton mehr von mir geben sollte, dass mein Vorhaben närrisch war, ganz egal, was ich versuchte. Doch die Worte hatten wie von selbst ihren Weg über meine Lippen gefunden. Sie waren alles, was mir geblieben war, um die Vampirkönigin aufzuhalten. Wenn sie wirklich so mächtig war wie der Unsichtbare oder sogar noch mächtiger, blieb mir ohnehin keine Wahl, als alles zu versuchen, wenn ich darauf hoffen wollte, sie zu stoppen. Was aus Toussaint würde, wenn Krul zu alter Kraft käme und die Herrschaft an sich rissen, wollte ich mir nicht ausmalen. Wenn selbst der Unsichtbare, der höhere Vampire wie Regis mit nur einem Wort dazu bringen konnten, wie erstarrt stehen zu bleiben, machtlos gegen die Vampirkönigin war, gäbe es wohl niemanden in dieser Welt, der imstande wäre, sie aufzuhalten. Selbst jetzt war sie schon wahnsinnig gefährlich. All diese Gedanken schossen mir durch den Kopf und endeten abrupt im gleichen Moment, in dem auch jede Bewegung um mich herum anhielt. Geralt stand wie festgefroren neben mir, die Silberklinge erhoben. Vor mir stand Regis, halb transformiert und die Klauen ausgestreckt, um Kruls Angriff abzuwehren. Die Welt hielt den Atem an und nur ich allein konnte mich noch regen. Jede Bewegung fühlte sich etwas zäh an, als ich prüfend einen Schritt zurücktrat und schließlich das zerknüllte Papier in meiner Hand anstarrte. “Keinen Augenblick zu früh”, bemerkte eine Stimme. Erschrocken zuckte ich zusammen und schnellte herum. “Theodor?”, fragte ich ungläubig. Müsste er nicht auch in der Zeit erstarrt sein, wie alle anderen? Wie von selbst wanderte mein Blick suchend herum, als müsste sich Theodor eben doch dort befinden, wo ich ihn erwartete und nicht direkt neben mir. Mein Blick blieb an dem erstarrten Vampir hängen, an dessen Schulter eine tiefe Wunde klaffte. Theodor. Er regte sich nicht einen Millimeter. Und dann war da Theodor, der vor mir stand und so freundlich lächelte, als sei er nur auf einen Kaffee vorbeigekommen. “Wieso…?”, begann ich meine Frage, doch fand dann einfach keine Worte. Wieso gab es zwei Theodors? Das war ein Zeitparadoxon! Das durfte doch eigentlich nicht sein oder lag ich damit völlig falsch? Meine Gedanken rasten. Wenn noch ein Theodor hier war und dieser Kerl nicht ein geheimer Zwilling war, sondern einfach Theodor aus einer anderen Zeit, dann war nur noch die Frage aus welcher. Weiter aus der Zukunft als der mir bekannte Theodor? Oder war der neue Theodor der aus dieser Zeit? Welcher war nun überhaupt welcher und wieso konnte sich einer von ihnen bewegen, obwohl ich die Zeit angehalten hatte? Konnte ich ihm überhaupt noch vertrauen? War das vielleicht alles Teil von Kruls Plan und ich die ganze Zeit benutzt worden? “Was hat das zu bedeuten?”, fand ich schließlich recht vage Worte für all die Fragen, die mir wirklich durch den Kopf gingen. “Nun, wie du sicher ahnst, gibt es derzeit zwei von mir zu diesem Zeitpunkt infolge meines Zeitsprungs”, erklärte der unverletzte Theodor gelassen. “Glücklicherweise gelang es mir, mein hiesiges Ich davon zu überzeugen, meine Pläne zu unterstützen und in Kontakt zu dir zu treten.” Er lächelte. Meine Miene blieb ausdruckslos. Also hatte ich bisher vor allem den gegenwärtigen Theodor gekannt? Oder hatten sie sich abgewechselt? Unterscheiden könnte ich die beiden ganz bestimmt nicht. Sie sahen absolut gleich aus, trugen sogar die gleiche Kleidung. Wenn das mal keine Absicht war. “Aber wieso kannst du dich bewegen?”, verlangte ich zu wissen und blinzelte zu Krul, die nicht einmal mit der Wimper zuckte. Ich sollte meine Zeit nicht mit Theodor verplempern, sondern mich lieber um die Vampirkönigin kümmern, solange die Zeit still stand. Eine zweite Chance würde ich wohl nicht bekommen. Wenn ich jetzt nicht etwas unternahm, dann wären auch Geralt, Regis und all die anderen Leute da draußen geliefert. Kein Gedanke, der mir irgendwie behagte. Zwar hatte ich die Zeit angehalten, in der Hoffnung, mir fiele dann schon etwas ein. Aber konnte ich Krul überhaupt töten? Einen höheren Vampir konnte nur ein anderer töten, das wusste ich.Regis hatte sich aus einer verdammten Glibberpfütze an einer Säule regeneriert! Als hätte Theodor meine Gedanken gelesen, beantwortete er nicht nur die Frage, die ich gestellt hatte, sondern auch die, die viel drängender im Raum stand und uns letztlich wohl beide erst hierher geführt hatte. Wäre er Kruls Verbündeter, hätte er längst etwas gegen Geralt, Regis oder mich unternehmen können. “Durch meine Zeitreise haften Partikel chronomagischer Magie an mir, die mich vorläufig vor diesem Zauber schützen und zugleich den Kristall zur Reaktion zwingen, was uns angesichts der Situation zugute kommt, meinst du nicht auch? Wir sollten uns um Krul kümmern, solange der Zauber währt. Wir haben nur wenige Minuten”, gemahnte er zur Eile. Wie viele kostbare Sekunden hatten wir bereits verplempert? Erschrocken sah ich ihn an, dann steuerte ich Geralt an. In Gedanken sortierte ich meine Begegnungen mit Theodor. Die ersten Male hatte ich also den Zukunfts-Theodor getroffen, in jüngster Vergangenheit dann den dieser Zeit. Das erklärte, wieso der Kristall da nicht mehr reagiert hatte. Aber wieso hatte er dann geleuchtet, als Derand mich angegriffen hatte? War der Incubus etwa auch ein Zeitreisender gewesen? Das machte nun wirklich überhaupt keinen Sinn mehr. Zumindest nicht für mich. Entschieden hatte ich Geralt das Messer aus dem Stiefel gezogen. Dass er den für Notfälle dort versteckt hatte, wusste ich schon lange. Man lernte eben einiges über die Leute, mit denen man reiste und die eine oder andere Nacht unter freiem Himmel verbrachte. In unserem Fall hatte Geralt wohl unfreiwillig weit mehr über mich gelernt als ich über ihn, wobei ich ja sowieso längst einiges über ihn gewusst hatte, auch wenn ihm das zu dem Zeitpunkt nicht klar gewesen war. Der arme Hexer hatte ja nicht geahnt, was ihn in Toussaint wirklich erwartete oder wieso ich so scharf darauf gewesen war, ihn dorthin zu begleiten. Bereut hatte er das bis heute sicher so manches Mal, wenn ich so darüber nachdachte. Vielleicht schon vorher, als ich die Winchesters aufgenommen hatte. Und doch hatte Geralt mich stets gewähren lassen. Warum, war mir ein Rätsel. Besser, ich hinterfragte das nicht. “Zu meinem Bedauern reagiert der Kristall auf die Zeitpartikel, die an mir haften. Obendrein war ich nach meinem Zeitsprung geschwächt und konnte nicht riskieren, dir beizustehen, als dich der Greif angriff. Oder später dieser Incubus. Zumindest solange der Hexer in deiner Nähe war. Er hat seinen Job, auf dich achtzugeben, gut gemacht”, meinte Theodor währenddessen so gelassen, als gäbe es überhaupt keinen Grund mehr zur Beunruhigung, dabei stand Krul noch immer da, zwar in der Zeit festgefroren, doch immer noch quicklebendig. Unschlüssig drehte ich das Messer in der Hand. Selbst wenn ich Krul den durchs Herz stieße, würde die Vampirin das nicht lange aufhalten. Ich zögerte noch einen Augenblick dann hob ich die Klinge und ließ sie in Kruls Schulter hinabsausen. Sie drang nicht halb so tief ein, wie ich erwartet hatte. Vielleicht, weil ich letztlich doch nicht mit voller Kraft zugestochen hatte. Meine innere Hemmschwelle lag eindeutig höher als die Geralts oder Regis’, die an meiner Stelle sicher nicht gezaudert hätten. Zähneknirschend zog ich das Messer aus Kruls Fleisch, das sich heilen würde, sobald die Zeit weiterlief. “Glücklicherweise habe ich mein hiesiges Ich finden können. Es war wichtig, dass das Buch dich erreicht.” Theodor plauderte einfach weiter, ungerührt ob meiner eher erbärmlichen Versuche. Wie viel von meiner kostbaren Zeit wohl schon verstrichen war? Ich hatte Angst vor der Antwort. Jeden Augenblick konnte Krul zum Leben erwachen und ihre Klauen in mein Fleisch schlagen - oder das meiner Freunde. Denk, Daelis, denk! Wie kannst du sie beschützen? Wie kannst du Krul ausschalten? Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben. Unvermittelt griff ich wieder nach dem Zauberbuch. Geralts Messer ließ ich achtlos fallen. Mit roher Gewalt konnte ich der Vampirkönigin nicht beikommen, also musste ich mir etwas anderes ausdenken. Vielleicht gab es einen Zauber, der mir helfen könnte, Krul soweit zu schwächen, dass Geralt, Regis und Theodor eine Chance hatten, sie zu erledigen? Wie von selbst schloss sich meine linke Hand um den blauen Kristall, der noch immer um meinen Hals hing. Wie hatte Theodor doch gerade gesagt? Es war wichtig, dass das Zauberbuch zu mir kam? Ich riet einfach mal, dass es daran lag, dass ich den Kristall besaß. Ich erinnerte mich an den Hinweis, der vorhin im Schein des Kristalls auf den Seiten des Buchs sichtbar geworden waren. Eilig blätterte ich rückwärts durch die Seiten, den Blick durch den blauen Edelstein auf das Papier gerichtet. Der Gedanke war vielleicht absurd, aber vielleicht brauchte es ja den Zauberspruch in umgekehrter Reihenfolge? Kurzentschlossen las ich die Worte ab, die nun zwar keinen Sinn mehr machten, aber immerhin der Anweisung folgten, die indirekt enthalten gewesen war. Angesichts der Situation hatte ich schließlich nichts zu verlieren und jede Idee, egal wie blöd, war besser als gar keine. Nach dem letzten Wort des Zaubers sah ich jedoch nicht nach, ob sich irgendetwas verändert hatte, sondern blätterte direkt weiter. Eine andere Idee war mir in den Sinn gekommen. Ob die Zeit dafür noch reichte, wusste ich zwar nicht, aber ich wollte es wenigstens probiert haben. Auf Theodor, der entspannt um die erstarrten Gestalten der Kämpfenden herumwanderte, achtete ich dabei nicht weiter, obwohl er fester Bestandteil meines Plans war. Vermutlich, ging es mir durch den Sinn, wusste Theodor das ohnehin längst, immerhin kam er aus der Zukunft. Er wusste längst, wie das hier ausginge oder glaubte wenigstens, es zu wissen und offenbar vertraute er darauf, dass ich genau das tat, was er erwartete. Ich betete, dass er damit richtig lag. Panisch blätterte ich in dem Buch. Ich war sicher, dass ich einen passenden Zauber gesehen hatte. Der passte nämlich nach meinem Empfinden erst überhaupt nicht in ein Buch über Chronomagie, deshalb war er mir aufgefallen. Meine Finger waren schweißnass und so brauchte ich eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich die richtige Seite gefunden und aufgeschlagen hatte. “Theodor, ich brauche eine deiner Klauen. Nur die Spitze, das genügt schon”, sprach ich den höheren Vampir an, ohne aufzusehen. Meine Augen glitten unlängst über die in ordentlicher Handschrift verfassten Zeilen, während ich dem Autor stumm dafür dankte, mir diesen Zauber hinterlassen zu haben, auch wenn er damit zweifellos nicht das beabsichtigt hatte, was ich damit plante. Nun, Magie war letzten Endes auch nur das, was ein Zauberer daraus machte. Ich hoffte nur, meine etwas absurde Idee würde tatsächlich funktionieren. Ebensogut könnte auch überhaupt nichts passieren. Nervös fuhr ich mit dem Zeigefinger die Zeilen entlang. Still formte ich jedes Wort mit den Lippen. Wäre doch nur Yennefer hier. Oder Triss. Oder Keira. Oder Philippa. Irgendeine Zauberin, die wusste, was sie tat. “Natürlich”, hörte ich Theodors Stimme so nahe an meinem Ohr, dass ich aufschreckte. “Ich freue mich, eine Hilfe sein zu können.” Ich schluckte und nickte. Natürlich hätte ich auch versuchen können, mir ein Stück von Regis’ oder Gegenwart-Theodors Krallen abzuhacken, aber so ginge es schneller. “Beeil dich. Es wird Zeit”, fuhr er fort. Wieder nickte ich nur. Mein Zeitgefühl war längst völlig durcheinander. Nach meinem Empfinden könnten die kostbaren fünf Minuten, die ich mit dem Zauber gewonnen hatte, jeden Moment vorüber sein. Es knackte und im nächsten Moment hielt mir Theodor etwas vor die Nase, das aussah, wie der Zahn eines Säbelzahntigers. Eine seiner Klauen. Ohne zu zögern griff ich danach und umklammerte meine beinerne Waffe. “Nur ein höherer Vampir kann einen anderen töten, richtig?”, fragte ich leise. Auch jetzt sah ich nicht zu Theodor, sondern zu Krul. “In der Tat. Unter normalen Umständen würde dies selbstredend nicht ausreichen, um sie zu bezwingen”, erwiderte der Vampir ebenfalls flüsternd. Bildete ich mir das ein oder klang er nun fast amüsiert? Vielleicht lag es daran, dass er wusste, was dieser Zauber bewirken würde. Vielleicht war es ein völlig unnötiges Unterfangen. Vielleicht würde es einen Unterschied machen. Ich musste auf letzteres hoffen. Ohne noch einmal das Wort an den Vampir zu richten, der so nahe neben mir stand, dass ich seine Wärme an meiner Schulter spüren konnte. Irgendwie beruhigend zu wissen, dass ich selbst in diesem Moment nicht alleine war, in dem die Zeit still stand. Konzentriert flüsterte ich die Zauberformel. Erfahrene Magier benötigten für ihre Portale keine, wie ich wusste, doch ich wollte ja nicht wirklich zwei Orte verbinden, ich wollte einen Gegenstand bewegen. Meine Finger kribbelten, besonders die, die sich fest um die Vampirklaue schlossen. Dass ich den Atem anhielt, bemerkte ich nicht einmal. Dafür jedoch umso mehr, wie die Klaue in meiner Hand von einem Moment auf den anderen verschwand. Kein Gefunkel, kein Geglitzer, keine aufregenden Effekte. Nichts verriet mir, ob mein Zauber funktioniert hatte oder nicht, ob die Klaue dort gelandet war, wo ich sie hatte platzieren wollen. Mein Blick suchte Krul. Die Vampirkönigin sah noch genauso aus, wie schon die ganze Zeit seitdem ich die Zeit zum Stillstand gebracht hatte. “Ngh”, drang ein erschöpftes Keuchen an mein Ohr und ließ mich herumwirbeln. Theodor stand vornübergebeugt, eine Hand abstützend auf dem eigenen Oberschenkel. Wäre er ein Mensch, würde ich raten, dass ihm übel war. Er sah erschöpft aus, krank. Wurden Vampire überhaupt krank? Ich hatte keine Ahnung. Verletzungen heilten sehr schnell, so viel war mir klar, aber das hieß ja noch lange nicht, dass sie ein besseres Immunsystem hatten und nicht an etwas so lästigem wie einem Magendarm-Infekt leiden konnten. Besorgt beugte ich mich zu ihm, doch Theodor hob beschwichtigend eine Hand. “Es geht schon. Diese Schwächeanfälle sind eine Folge des Paradoxons meiner doppelten Existenz in dieser Zeit”, erklärte er schleppend und atmete einige Male tief durch, ehe er sich wieder aufrichtete. “Dann wird es wohl höchste Zeit, dass du heimkehrst, oder?”, mutmaßte ich, hoffend, dass er nicken und mir damit bestätigen würde, dass seine Aufgabe hier erfüllt war und Kruls Ende gesichert. Doch Theodor schüttelte den Kopf. “Noch nicht”, widersprach er. Sofort bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Mein Blick glitt zu Krul, die noch immer unbeweglich da stand, die Krallen drohend erhoben. “Es ist Zeit für uns beide, uns zu verabschieden”, fuhr Theodor fort und mein Kopf schnellte wieder zu ihm herum. “Uns?” Er nickte. Seine Worte machen einfach keinen Sinn. Ich war zwar in dieser Welt nicht richtig, aber eine Zeitreise würde das kaum korrigieren. Mal abgesehen davon, dass ich keine Ahnung hatte, wie wir einen Zeitsprung in die Zukunft machen sollten. Sollten wir überhaupt? Machte es nicht mehr Sinn, abzuwarten? Wie weit aus der Zukunft kam Theodor? “Verabschiede dich von deinen Freunden”, wiederholte Theodor seine Aufforderung. Steif nickte ich ihm zu und trat zuerst an Geralt heran. Er würde mich ja nicht einmal hören. Welche Rolle spielte es also, was ich sagte und ob ich mich verabschiedete? Wenn Theodor und ich verschwanden, ehe die Zeit weiterlief, hätte ich mich für die Leute hier einfach aufgelöst. War das der Preis, von dem der Zauber sprach? Durfte jemand, der sich erdreistete, die Zeit anzuhalten, nicht in der entsprechenden Zeitlinie verweilen? Dieser Gedanke weckte erneut die Frage in mir, wer Theodor hierher gebracht hatte und welchen Preis das gekostet haben mochte. Wollte ich das überhaupt wissen? Spielte es eine Rolle? Wer immer es getan hatte, hatte kaum aus einer Laune heraus gehandelt, sondern womöglich allein mit dem Ziel, Krul zu stoppen. Ein Ziel, das sicher so manches Opfer rechtfertigte. “Danke für alles”, flüsterte ich leise in Geralts Richtung. “War sicher nicht immer einfach mit mir, doch du hast mich bis hierhin mitgenommen, obwohl ich dir bestimmt mehr Last als Hilfe war. Hoffentlich klappt das hier, dann betrachte ich uns als quitt.” Still musterte ich den weißhaarigen Hexer noch einen Moment. Hoffentlich kommst du heim zu Yen, du Idiot. Wage es ja nicht, dich gegen sie zu entscheiden. Das würdest du ewig bereuen. Die Worte lagen mir auf der Zunge, doch ich sprach sie nicht aus, sondern wandte mich Regis. Ach Regis. Hätte jeder einen Freund wie dich, diese Welt wäre ein besserer Ort. “Pass auf Dettlaff auf. Und auf dich”, meinte ich jedoch nur leise und spürte schon, wie sich mir die Kehle zuschnürte. Natürlich hatte ich immer gewusst, dass ich nicht hierher gehörte und heimkehren würde, sobald sich die Chance bot, doch jetzt war mir gar nicht danach, diese Welt zu verlassen, so sehr waren ihre Bewohner mir ans Herz gewachsen. “Danke, Theodor. Für alles. Keine Ahnung, was dich das hier kostet, aber danke”, verabschiedete ich mich als letztes von dem Theodor der Gegenwart. Dann wandte ich mich dem Zukunfts-Theodor zu. “Schätze, mehr Zeit haben wir nicht mehr? Wie lange noch, bis der Zauber aufhört zu wirken und sich alle wieder bewegen? Ein paar Sekunden?”, versuchte ich schniefend einen aufsteigenden Heulkrampf zu unterdrücken. “Also, wohin gehen wir? Oder… wann?” Der Vampir lächelte nur traurig. “An verschiedene Orte, fürchte ich”, erwiderte Theodor. Eben noch hatte er entspannt gewirkt, jetzt war ich es. Ich hatte alles in meiner Macht stehende getan, um den Weg für Kruls Untergang zu ebnen und davor hatte ich alles daran gesetzt, Dettlaff zu beschützen und ihm beizustehen. Nichts davon weckte in mir Reue. Und wenn Theodor glaubte, meine Arbeit hier war getan, hatte ich wohl meinen Zweck erfüllt, gleich womit mir das letztlich gelungen war. Der Vampir seufzte tief. “Ich werde mich zurückziehen und warten. Meine Zeit ist nicht mehr fern, eine Rückreise unnötig. Du jedoch…” Verwirrt sah ich ihn an. Dass er nicht zurückkehrte, machte Sinn. Das hatte ich ja selbst auch schon erwogen. Doch was bedeutete das für mich? Als Vampir konnte er keine Magie wirken, also schied die Möglichkeit aus, dass er mich durch die Zeit schickte - oder sogar in eine andere Realität. Mir könnte er das auch kaum beibringen. Und das schien er auch nicht vorzuhaben. Theodors Worte kamen mir in den Sinn. Es ist Zeit für uns beide, uns zu verabschieden. Ein eiskalter Schauer jagte über meinen Rücken. Er hatte mit keinem Wort gesagt, dass wir das gleiche Ziel hätten. Meine Augen weiteten sich, als mir langsam dämmerte, was Theodor mir damit hatte sagen wollen. Jetzt kannten meine Tränen kein Halten mehr. Ich schniefte. Angst schnürte mir die Kehle zu. Theodors Miene wurde nur noch bitterer. Wie beschämt senkte er den Blick. “Ich bedauere das sehr”, meinte er leise. Ich nickte nur stockend. “Ein Opfer muss gebracht werden, um die Zeit anzuhalten”, brachte ich heiser hervor. Theodor erwiderte nichts, doch sein Schweigen war Antwort genug. “Was, wenn…”, begann ich, doch Theodor schüttelte den Kopf. “Es wäre grausam. Doch noch kannst du deinen Freunden etwas Zeit verschaffen.” Seine Stimme klang heiser, aber gefasst. Natürlich. Er hatte ja gewusst, was passieren würde, hatte nur auf diesen Moment gewartet, war nur deshalb hier. Ich schluckte den dicken Kloß herunter, der sich in meiner Kehle gebildet hatte. “Krul wird verwundbar sein, solange sie in der Zeit gefangen ist. Ihr Körper kann sich in dieser Zeit nicht regenerieren”, fuhr Theodor fort. Ob er damit mich oder sich selbst beruhigen wollte, war mir nicht ganz klar, aber ich fühlte mich dadurch ein wenig besser. Wenn Krul sich nicht heilen konnte, würden mein Zauber in Kombination mit den Angriffen meiner Verbündeten ihr Ende besiegeln. Die beiden Schritte zu Geralts Messer fielen mit unfassbar schwer. Meine Finger zitterten, als ich mich nach der Klinge bückte, um sie aufzuheben. Ich wusste, was jetzt folgen sollte, doch zugleich schrie alles in mir danach, wegzulaufen. Silbern funkelte die scharfe Messerklinge im Schein der Sonne, die hier im Märchenreich vermutlich immer schien. In diesem Moment fühlte sie sich überhaupt nicht mehr warm an, vielmehr war mir kalt. Allein die Vorstellung, die Waffe gegen mich selbst zu richten, erschien mir mit jedem Augenblick absurder. Hatte ich überhaupt genug Kraft, mich damit effektiv selbst zu töten? Wahrscheinlich würde ich mich eher nur verletzen und das nicht einmal tödlich. Dass ich überhaupt darüber nachdachte, klang für mich absolut seltsam und ein hysterisches Lachen bildete sich in meiner Kehle, kam mir jedoch nicht über die Lippen. Das konnte nur schief gehen. Wenn ich ganz ehrlich war, glaubte ich nicht einmal, dass ich den Mut hatte, das Nötige zu tun. Eigentlich ganz normal, oder? Selbsterhaltungstrieb. Mein Instinkt sagte mir, dass ich leben sollte und es völlig bescheuert war, auch nur in Betracht zu ziehen, mir einen Messer in den Körper zu rammen oder mir damit die Pulsadern aufzuschneiden. Musste man da nicht auch total tief ins Fleisch? Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Um das Messer, um mein Ende, um meinen Wunsch weiterzuleben. Ich konnte den Blick nicht von dem glänzenden Metall abwenden, das so scheinbar harmlos in meiner Hand lag. Auch ohne mit dem Finger über die Klinge zu fahren, wusste ich, dass sie scharf war. Geralt pflegte seine Waffen und dieses Messer benutzte er schließlich auch, Jagdbeute zu zerlegen oder Gemüse klein zu schneiden. Es war ein alltäglich gebrauchter Gegenstand und eigentlich nicht für etwas so Dummes gedacht, wie das, was ich damit vorhatte und nur nicht über mich brachte. Nicht einmal mit der Aussicht, dass ich damit einen Märtyrertod starb und viele Leben rettete. Dabei sollte man meinen, dass es keinen besseren Ansporn gab, um bereitwillig in den Tod zu gehen. Vor lauter Tränen konnte ich die Waffe nur noch schemenhaft erkennen, doch ihr Gewicht schien mir mit jeder Sekunde zuzunehmen. Die Uhr tickte. So wie Theodor den Kopf geschüttelt hatte, konnte ich meinen Tod eh nicht umgehen, aber mit den paar Sekunden, die ich eher bereit war, zu gehen, einen Unterschied machen. Wieso zögerte ich noch? Ganz einfach: Ich wollte leben. Ich wollte unbedingt leben. “Ich bedaure diese Situation wirklich zutiefst”, seufzte Theodor, der auf einmal wieder neben mir stand. Seine Hand legte sich schwer auf meine Schulter. Ich presste die Lippen zu einem schmalen Strich. Meine Gedanken rasten, doch ziellos. Weder fand ich einen Ausweg, noch könnte ich irgendwie etwas daran ändern, was der Zauber erzwang. Der Griff um meine Schulter wurde fester und mit ihr stieg auch der Druck in mir. Uns lief die Zeit davon. Ich verplemperte sie absolut selbstsüchtig. Wäre ich mutiger, hätte ich die ganze Sache vielleicht schon erledigt, doch alles in mir sträubte sich. So konnte ich nicht gehen, so wollte ich nicht gehen. Wie könnte ich das vor meiner kleinen Schwester rechtfertigen? Wir hatten Mama schon durch deren eigene Hand verloren. Wie könnte ich ihr zumuten, noch einmal davon hören zu müssen, dass jemand ihr nahestehendes sich das Leben genommen hatte? Obwohl… würde sie das überhaupt je erfahren? Vermutlich nicht. Für meine Lieben war ich wohl einfach verschwunden. Ich machte mir da nichts vor, inzwischen suchte man nicht mehr nach mir, sondern nach meiner Leiche. Das war eine Frage realistischer Einschätzung. Man hielt mich ganz bestimmt längst für tot. Mit einem tonlosen Seufzen wandte ich mich zu Theodor um, der die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt hatte. Vielleicht sollte ich Geralt etwas von seinen Hexertränken abnehmen. Die waren hochgiftig für Menschen. Nur von Schwalbe ließ ich besser die Finger. Wie schmerzhaft das sein konnte, hatte ich im Spiel ja schon erfahren. Gerade wollte ich Theodor vorschlagen, mir doch zu helfen, einen möglichst schmerzfreien Tod zu entkorken, als ein Ruck durch meinen Körper ging, gefolgt von glühendem Schmerz. Jedes Wort erstarb mir auf der Zunge. Meine Augen weiteten sich. Ich wollte schreien, so heftig waren die Schmerzen, die sich strahlenförmig von meinem Brustkorb auszubreiten schienen. Meine Finger schlossen sich um etwas warmes. Einen Arm? Wie von selbst suchte mein Blick die Quelle meiner Pein, die nicht schwer auszumachen war, obwohl die Ränder meines Sichtfeldes sich bereits verdächtig schwärzten. Das letzte, was ich sah, ehe mir die Sinne schwanden, waren die langen Klauen eines Vampirs, die sich in meinen Torso gebohrt hatten. Ob Theodor mein Herz getroffen hatte, darüber konnte ich schon nicht mehr nachdenken. Zusammen mit der Welt um mich herum, verschwamm auch der Schmerz. Dunkelheit hüllte mich ein. Kapitel 21: Zu welchem Preis ---------------------------- “Daelis?” Leise drang eine Stimme durch die Dunkelheit, die meine Sinne in Watte gepackt zu haben schien. “Kürzen wir das Ganze ab”, mischte sich eine zweite Stimme ein, die weniger ruhig klang. “Das ist nicht dein Ernst, Geralt”, empörte sich die erste Stimme nun, erhielt jedoch keine Antwort. Eine dritte Stimme war zu hören, dieses Mal die einer Frau. Sie sprach davon, dass sie mit mir ein ernstes Wörtchen zu reden habe, sofern ich noch lebte. Dunkel erklang eine weitere Stimme, doch deren Worte konnte ich nicht verstehen. Dafür sehr wohl, dass die Frauenstimme ihr erbost antwortete. Etwas berührte meine Schulter. “Daelis, hörst du mich?” Die erste Stimme wieder. Ich kannte sie, das wusste ich genau, doch in diesem Augenblick konnte ich sie partout nicht zuordnen. Nahm man es genau, war ich ja nicht einmal sicher, ob man überhaupt mit mir sprach. Daelis, das war doch ich, oder? Gerne hätte ich geantwortet. Ich bin hier. Ich höre zu. Allerdings konnte ich mich nicht einmal bewegen. Vielmehr fühlte ich mich wie schwerelos schwebend, wie ein Bewusstsein ohne Halt, das nur am Rande mitbekam, was rundherum geschah, blind und auf das wenige angewiesen, das an Worten und Lauten durchdrang. Ein unangenehmes Gefühl, das ich leider nur zu gut kannte. Mehr als einmal war mein Kreislauf abgeschmiert und hatte mich in diese Lage gebracht. Und wenn man dann wieder zu sich kam, folgten Übelkeit, Schwindel und ein allgemeines Gefühl von “wie mal kräftig an die Wand geklatscht”. Etwas schob drückte sich gegen meinen Arm, erst auf der einen, dann auf der anderen Seite und ein leises Krächzen war zu hören. Waren das meinen Babys? Jemand zerrte mich hoch, etwas streifte meinen Rücken, dann spürte ich etwas Nasses, das meinen Rachen hinabrann und dabei eine brennende Spur hinterließ. Ich hustete. Was immer mir da eingeflößt worden war, es schmeckte grauenhaft. Bitter und mit einer Note von etwas, dem mit “zum kotzen” noch geschmeichelt wäre. Hätte ich gekonnt, ich hätte mich sofort herumgerollt, um dieses widerliche Zeug direkt wieder auszuspucken, doch mein Körper gehorchte mir nicht. Würgend rang ich nach Atem, als mir jemand noch einmal etwas an die Lippen drückte und ein weiterer Schwall der ekligen Flüssigkeit sich auf meiner Zunge ausbreitete. “Das ist genug”, entschied die erste Stimme aufgebracht. Zwei dunkle Stimmen antwortete, doch nur eine konnte ich deutlich hören. “Offenbar funktioniert es.” Scheiße, wenn funktionieren beinhaltete, dass ich nicht übel Lust hatte, wem auch immer dieses Teufelszeug ins Gesicht zu spucken, dann ja, es funktionierte. Doch nicht nur in dieser Hinsicht. Langsam lichtete sich der dunkle Schleier vor meinen Augen. Zwar sah ich noch immer alles unscharf, doch zumindest erkannte ich nun, woher die Stimmen kamen, die ich gehört hatte. Nacheinander blickte ich die die Gesichter von Geralt, Regis, Theodor, Dettlaff, Herzogin Anna Henrietta und ihrer Schwester Syanna. Letztere grinste mich feixend an, während die anderen eher ernst zurückstarrten. “Hallo Dornröschen. Ausgeschlafen? Dein Prinz hat dich zwar nicht wachgeküsst, aber das kommt ja vielleicht noch.” Verständnislos sah ich Syanna an. Gerne hätte ich behauptet, das läge daran, dass ich nicht wüsste, worauf sie anspielte, doch vor allem lag es daran, dass mein Hirn noch so in Watte gebauscht war, dass ich gar nicht richtig raffte, was sie überhaupt sagte, geschweige denn, dass sie von mir sprach. “Häh?”, brachte ich nur heiser krächzend heraus. Ich brauchte einfach noch einen Moment. “Was hast du angestellt?” “Was ist geschehen?” Fragende Blicke ruhten auf mir, während ich mich langsam aufsetzte. Ich hustete und schluckte den ekelhaften Geschmack herunter, der mir immer noch auf der Zunge lag. “Das würd ich auch gern wissen”, gab ich zurück und ließ meinen Blick von einem Gesicht zum anderen wandern. Sie waren alle hier. Geralt und Regis, Synna und Annarietta, Theodor und sogar Dettlaff. Und meine Kleinen, meine Babys, meine Winchesters! An ihnen blieb ich hängen und vergaß meine Frage prompt. Was auch passiert war, meine süßen kleinen Engel waren wieder sie selbst! “Dean! Sam!”, begrüßte ich die beiden, die sich mir nichts dir nichts auf meinen Beinen einen Platz suchten. Während Sam sich einrollte und den Kopf an meiner ausgestreckten Hand rieb, drückte Dean sein Köpfchen energisch gegen meine Schulter. “Jaaa, meine Süßen. Ich habe euch auch vermisst”, flötete ich ihnen leise zu und hätte mich vielleicht weiter in Liebesbekundungen ergangen, hätte nicht ein Hüsteln meine Aufmerksamkeit auf Regis gelenkt, welcher neben mir auf dem harten, kalten Boden kniete. Wo wir waren, erkannte ich nicht. Zumindest war es nicht der Platz vor dem Brunnen, an dem man eigentlich herauskam, wenn man die Märchenwelt verließ. Waren wir noch in der Märchenwelt? Danach sah es irgendwie nicht aus. “Wo sind wir? Was ist passiert?”, richtete ich meine Fragen gleichermaßen an alle Anwesenden. Geralt schüttelte den Kopf. “Was das angeht, haben wir auch ein paar Fragen an dich”, brummte der Weiße Wolf, streckte dann aber die Hand unvermittelt aus und zerzauste mir das Haar. “Was immer du auch angestellt hast, es hat funktioniert. Gut gemacht.” Erleichterung durchflutete mich. Seine Worte und dass alle hier waren, bedeutete dann wohl, dass Krul besiegt war und Toussaint sicher. Richtig? Ansonsten hätte ich ihm vielleicht auch übel genommen, dass er mich, wieder mal, wie ein Kind behandelte. Dean krächzte aufgeregt und schob seinen Schnabel direkt in mein Gesichtsfeld. Kichernd legte ich einen Arm um den Greifen. “Natürlich. Du hast das auch toll gemacht, mein Schatz”, flüsterte ich ihm zu und kraulte gleichzeitig Sams Nacken. Angenehm waren diese Kuscheleinheiten allerdings nicht so richtig. Nicht nur, dass mein Hintern förmlich am Boden festfror, die beiden Greifen waren auch inzwischen so groß und schwer, dass man sich ein bisschen geplättet fühlte, wenn sie einen als Liegefläche auserkoren. Mit Regis’ Hilfe rappelte ich mich schließlich auf. “Was ist passiert und wo sind wir hier gelandet?”, wiederholte ich meine dringendsten Fragen. Geralt und Regis tauschten einen vielsagenden Blick, dann sah der ergraute Vampir in Dettlaffs Richtung, der mich mit ernster Miene und gerunzelter Stirn musterte. Die Euphorie darüber, dass Krul besiegt zu sein schien und ich lebte - zumindest an einem von beidem hatte ich immense Zweifel gehabt, ehe ich bewusstlos geworden war - löste sich direkt auf. Dass der höhere Vampir stinksauer auf mich war, ahnte ich. Grund genug hatte er allemal. Immerhin hatte ich ihn nicht weniger belogen als Syanna, wenn auch mit den Unterschied, dass ich ihn nie hatte ausnutzen oder gar zu Morden anstiften wollen. Im Gegenteil. Dettlaffs Rettung war schließlich mein erklärtes Ziel. Nur deshalb hatte ich mich so vehement an Geralts Fersen geklettet, als klar war, dass er ins Herzogtum Toussaint reisen würde, um das Biest von Beauclair, also Dettlaff, zu jagen. Apropos tot. Ich lebte. Dabei war ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass der Zukunfts-Theodor Schaschlik aus mir gemacht hatte, um den Zauber zu vollenden und das Opfer zu bringen, das nötig war. Wieso also lebte ich und war obendrein unverletzt, sah man von einigen blauen Flecken ab, die ich aber schon vor dem Stillstand der Zeit gehabt hatte? Prüfend klopfte ich mich ab. Ich fühlte mich gut. Zumindest gemessen an den Umständen. Allerdings war mein Kleid im Brustbereich blutgetränkt, ein stilles Memento des Geschehens. Ansonsten hätte ich wohl auch geglaubt, mir nur eingebildet zu haben, von Theodors Klauen durchbohrt worden zu sein. Ich schluckte, dann sah ich fragend in die Runde, traf dabei jedoch nur ratlose Blicke. Mit einer Ausnahme. Theodor. Natürlich. Theodor! Aber hier war nur ein Theodor. Sollte es nicht zwei geben? Wo war der andere? Und welcher war hier bei uns? War vielleicht der Zukunfts-Theodor schon abgehauen, um ein Paradoxon ob seiner doppelten Existenz zu vermeiden? Möglich war ja auch, dass er jeden Moment in die Vergangenheit geschickt wurde, um dann mich während des Zeitstillstands zu treffen. War es vielleicht meine Aufgabe, dafür zu sorgen? War das so eine Art selbsterfüllende Prophezeiung? Bevor ich jedoch irgendetwas dahingehend fragen konnte, ergriff Syanna das Wort. “Was passiert ist? Du hast doch diesen Zauber benutzt oder nicht?” Sie klang nicht halb so bissig wie sonst. Vielleicht war sie auch einfach nur erleichtert, dass alles gut ausgegangen war. Fragend sah ich zu Regis, der mild lächelte. “Krul hat ihr Ende gefunden”, erklärte er ruhig und sagte mir damit, was eigentlich am wichtigsten für mich zu wissen war, auch wenn ich das geahnt hatte. Sonst wären die Winchesters vermutlich nicht wieder sie selbst und wir alle stünden so entspannt hier in der Pampa herum. “Und wo sind wir hier?”, wollte ich wissen. “Im herzoglichen Garten”, antwortete dieses Mal Anna Henrietta. Die Herzogin sah etwas zerzaust aus, doch ihre Haltung war selbst jetzt noch würdevoll. “Und ich schlage vor, ihr besprecht alles weitere später. Es gibt Dringendes zu erledigen. Die Bewohner Beauclairs müssen erfahren, dass der Schrecken vorüber ist”, erklärte sie bestimmt, dann suchte ihr Blick Geralt und wurde finster. “Das Biest ist hier, Hexer. Doch ich will dies ausnahmsweise ob der gewährten Hilfe übersehen.” Dass sie dabei nicht einmal zu Dettlaff sah, fand ich himmelschreiend unhöflich und so verzog ich die Miene. Genau wie Dettlaff, wie ich aus den Augenwinkeln sehen konnte. “Ich schlage vor, Euer Gnaden, dass Ihr Euch mit Eurer Schwester bezüglich der Morde auseinandersetzt, anstatt ein Erpressungsopfer dafür als Monster abzustempeln”, bemerkte ich bissig und sah mich binnen eines Augenblicks mit den finsteren Mienen beider Schwestern konfrontiert. Klar, dass ihnen das nicht schmeckte. Anna Henriettas Augen sprühten förmlich Funken. “Es ist wahr, dass dieses Monster im Kampf von Nutzen war, doch das ändert nichts an den Fakten”, zischte die Herzogin erbost. Meine Zunge war schneller als mein Hirn, als ich antwortete: “Hast du gehört, Syanna? So einfach ist das nicht, auch wenn du jetzt mitgeholfen hast.” Die Herzogin sah aus, als würde sie jeden Moment platzen und zumindest Syanna hatte ich damit offenbar verstummen lassen, doch hinter mir konnte ich ein ersticktes Auflachen hören, das ich nicht ganz zuordnen konnte. Allerdings genügte es auch so völlig, um mir selbst ein selbstgefälliges Grinsen auf die Lippen zu zaubern. Dass ich hier ziemlich frech vorpreschte und mich mit der einflussreichsten Person im Land anlegte, war zwar nicht clever, aber das hier war es schon irgendwie wert gewesen. “Ich denke, wir sollten uns hier wirklich verabschieden”, schritt Regis ein, ehe weitere Worte fallen konnten, die das Fass zum Überlaufen bringen würden. Mit sanfter Gewalt schob er nicht nur mich, sondern auch Dettlaff weg von den beiden Schwestern und nickte dabei Geralt zu. Der schien auch ohne Worte zu verstehen und wandte sich in Richtung der Herzogin. “Ich werde Euch Bericht erstatten, sobald die genauen Umstände geklärt sind”, ließ der Hexer die Herrscherin wissen. Ihre Erwiderung hörte ich nicht mehr, weil meine Aufmerksamkeit stattdessen auf Theodor und schließlich auf Dettlaff ruhte. Dessen Blick ging an mir vorbei in Richtung Syanna. Man konnte seinen Zorn förmlich spüren. Beschwichtigend griff ich nach seiner Hand, was den Vampir jedoch in erster Linie zu irritieren schien, wenn ich seine Miene richtig deutete. Doch immerhin seine Aufmerksamkeit hatte ich damit erfolgreich von Syanna auch mich gelenkt. So sehr ich der verdammten Intrigantin auch alles Schlechte wünschte, es wäre nicht gut, wenn Dettlaff jetzt die Kontrolle verlor und womöglich die Herzogin direkt miterledigte, um dann von Geralt gejagt zu werden. Denn dann gäbe es sicher keine friedliche Lösung mehr und auf genau die musste ich bauen. Ich musste verhindern, dass Regis gezwungen war, sich zwischen Geralt und Dettlaff zu entscheiden. “Du hast mich belogen”, meinte Dettlaff unvermittelt. Kleinlaut ließ ich die Schultern hängen. Dagegen konnte ich schwerlich etwas sagen. Es stimmte immerhin. Ich hatte ihn belogen. “Hör dir ihre Geschichte an, mein Freund”, schaltete sich Regis beschwichtigend ein. “Dann wirst du verstehen, dass es nicht in ihrer Hand lag, dir alles zu offenbaren. Es hat auch bei uns einiges an Aufwand gebraucht, um zu verstehen, welches Geheimnis sich hinter Daelis verbirgt.” Dettlaff brummte leise, klang so gar nicht überzeugt, doch ich warf dennoch einen dankbaren Blick gen Regis. Ich wusste zu schätzen, dass er sich für mich einsetzte. Zum Glück machte Geralt keine Anstalten, sich jetzt gegen Dettlaff zu stellen. Allerdings machte mich das auch neugierig im Bezug darauf, was ich verpasst hatte. Eine andere Sache jedoch lag mir auch noch auf dem Herzen. “Wo ist Theodor?” Geralt, der hinter mir ging, schnaufte so laut, dass ich seinen Atem an meinem Hinterkopf spüren konnte. “Direkt vor deiner Nase. Mach die Augen auf”, meinte der weiße Wolf leise. Ich seufzte. “Ja, schon, aber…” “Sie meint mein anderes Ich”, mischte sich Theodor erklärend ein. “Ich nehme an, das ist dann auch etwas, das wir gleich in Ruhe klären sollten”, befand Regis mit einem Seufzen. “Du hast hier wirklich einiges auf den Kopf gestellt, Kleine”, meinte Geralt nur. Dass er damit mich meinte, bedurfte keiner weiteren Erklärung. “Gar nicht wahr”, verteidigte ich mich leise. “Ich habe nur versucht, dafür zu sorgen, dass möglichst niemand sterben muss.” “Möglichst niemand? Kann nicht behaupten, dass das gelungen ist”, brummte der Hexer zurück. Jetzt wurde ich patzig. “Entschuldige, dass ich nicht den gesamten Verlauf des Geschehens verändern und mehrere Dutzend Vampire, einschließlich unseres Überrschungsgastes Krul von Alles-muss-sterben, aufhalten konnte.” Plötzlich lachte Geralt auf. Überrascht wandte ich mich zu ihm um. “Wenn du noch zanken kannst, bist du wohl wirklich wohlauf.” Im Schutz der Dunkelheit führte Regis unsere kleine Gruppe in Richtung der Gruft, die auch ich derzeit mein Zuhause nannte. Zumindest war sie das, was einem Zuhause am nächsten kam. Dass ich jedoch als einzige Probleme damit hatte, mich in der Finsternis zurechtzufinden und nicht über jede Wurzel und jeden Stein auf dem Friedhof Mère-Lachaiselongue zu stolpern. Anders als meine vier Begleiter hatte ich nunmal weder die Sicht eines Hexers noch die eines Vampirs. “Scheiße”, schimpfte ich leise, als ich an irgendetwas hängen blieb und dabei beinahe gegen Theodor taumelte, der vor mir ging. Dass ich nicht nur heile bei der Gruft ankam, sondern auch heile das Innere erreichte, grenzte an ein Wunder. Einmal hatte nur Geralts Warnung mich davor bewahrt, mit der Stirn gegen eine niedrige Mauer zu ditschen. Normalerweise brannten im Innern der Gruft Kerzen, doch die waren jetzt allesamt verloschen. Es war Geralt, der sie mit einem Wink entfachte. Allerdings erst, als Dettlaff hinter mir als letzter den wohnlichen Teil der Gruft betrat. Binnen weniger Augenblicke saß unsere illustre Runde auf den Särgen, Geralt sich demonstrativ neben mich schob und seine Silberklinge zu seiner rechten ablegte. Während Regis als erster einen Schluck aus einer dunklen Flasche nahm, die er dann an Dettlaff weiterreichte und aus der ein beißender Geruch aufstieg, begann Geralt zu berichten. “Keine Ahnung, was du da für eine Magie benutzt hast, aber es fühlte sich an, als hätte man nach einem verkaterten Morgen ein paar Stunden vom Vorabend vergessen”, meinte der Hexer griesgrämig. “Krul stand wie versteinert vor uns, während ihre Verstärkung anrückte. Keine Ahnung, was das für Kreaturen waren. Vampire?” Er warf einen Blick in Regis’ Richtung, der den Kopf schüttelte. Dann sah Geralt wieder zu mir. “Du hingegen warst wie vom Erdboden verschwunden.” Ohne ein weiteres Wort nahm er die Flasche aus Dettlaffs Händen, als der Vampir keine Anstalten machte, einen Schluck daraus zu nehmen. Geralt zögerte nicht und nahm einen kräftigen Zug, sodass Regis einsprang. “Glücklicherweise kam uns Dettlaff zu Hilfe.” Anerkennend nickte er seinem Blutsbruder zu. “Eine Bruxa hatte mich über das Auftauchen dieser… Krul”, erklärte dieser ruhig, “informiert. Sie hat auch die Meinen angegriffen und getötet. Mit ihrer Erstarrung hatten wir allerdings nichts zu tun.” Ich nickte nur. “Das war ich”, bestätigte ich, was vermutlich sowieso jeder dachte, und fragte weiter: “Also habt ihr Krul dann erledigt?” Geralt rülpste leise. Regis nickte. “Geralts Silberklinge hat die Königin durchbohrt und zu unser aller Erstaunen vernichtet. Sie zerfiel zu Staub, ganz wie es unseresgleichen in den Mythen der Menschen angeblich tut, wenn wir ins Sonnenlicht gehen. Dergleichen habe ich noch nie gesehen”, gab der ergraute Vampir unumwunden zu. Auf die Fragen, die in seinem Blick standen, hatte ich allerdings auch keine Antwort. Aber Theodor. Zu ihm starrte ich aus einem Reflex heraus. Nachsichtig lächelte der Höhere Vampir. “Hier kann ich womöglich aushelfen”, meinte er ruhig. “Krul war in der Zeit selbst gefangen und damit auch alle regenerativen Kräfte, über die unsere Art verfügt. Das machte sie angreifbar und hat dem edlen Herrn Hexer erlaubt, sie endgültig auszulöschen.” “Und ihr Gefolge, was ist damit?”, hakte der Weiße Wolf nach. “Die von ihr geschaffenen Kreaturen waren Geschöpfe, die aus dem Fluch der Schwarzen Sonne heraus geboren waren. Womöglich habt ihr von diesem Fluch gehört?” Geralt nickte grimmig und auch ich deutete meine Zustimmung an. Wie ich wusste, hatte Geralt schon einmal mit einer Prinzessin zu tun gehabt, die unter diesem Fluch geboren worden war. Dieser Zwischenfall hatte ihm immerhin den verhassten Beinamen “Schlächter von Blaviken” eingebracht. Sicher nicht die angenehmste Weise, daran erinnert zu werden. Eigentlich hielt ich mich für jemanden, der die Welt sachlich betrachtete und nicht an so etwas wie Schicksal oder Flüche glaubte, doch in diesem Punkt kam mir langsam das vage Gefühl, dass ich eine Ausnahme machen müsste, wenn das auch nicht rechtfertigte, was Zauberer den armen Mädchen angetan hatten, die während der Sonnenfinsternis geboren worden waren, die man landläufig Schwarze Sonne nannte. Beim Gedanken daran, dass sie ohne je eine Chance zu haben, ermordet worden waren, stellten sich mir die Nackenhaare auf. Auf der anderen Seite wollte ich lieber nicht wissen, was all diese Prinzessinnen getan hätten, wären sie am Leben. Renfri hatte einige Leben gefordert, zurecht in meinen Augen jedoch nur das des Zauberers Stregobor. Syanna hatte das Leben von fünf Rittern gefordert, doch nicht nur zwei von ihnen, sondern auch andere hatten wegen ihres perfiden Racheplans den Tod gefunden. Ganz zu schweigen von all dem Leid, das sie damit verursacht hatte. “Ein anderer Name Kruls ist Lillith. Ihr sagte man nach, dass sechzig Frauen unter der Schwarzen Sonne geboren würden, die ihr den Weg ebnen sollten, ehe sie selbst Verderben und Zerstörung über die Welt brächte”, erläuterte Theodor dennoch für Dettlaff und Regis. Zumindest diese Zwei hörten heute vermutlich zum ersten Mal von dieser Geschichte. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass Regis vielleicht von Geralt wenigstens von Renfri und Blaviken wusste. “Mit Kruls Tod ist diese Heimsuchung der Welt glücklicherweise erspart geblieben.” Theodors Lächeln war genauso undurchschaubar wie stets, doch ich bildete mir ein, einen gewissen Stolz in seinen Augen funkeln zu sehen. Vielleicht sah ich das auch nur, weil ich es sehen wollte, denn zumindest ich fand, wir hatten das ziemlich gut hinbekommen. Die Magier, die sich mit den unter der Schwarzen Sonne geborenen Mädchen beschäftigt hatten, sollten sich davon mal eine Scheibe abschneiden. Anstatt unwissende Blagen zu foltern, hätten sich die Zauberer gleich etwas Klügeres ausdenken sollen. Schade, dass Yen kein Interesse an dieser Sache gezeigt hatte. Sie hätte bestimmt einen anderen Weg gewählt - oder hatte es vielleicht. Immerhin war es gut möglich, dass sie es gewesen war, die Theodor durch die Zeit hierher geschickt hatte, um uns im Kampf gegen Krul zu unterstützen. “Und das alles weißt du woher?”, wollte Geralt misstrauisch wissen. Noch immer hielt er die Flasche in der Hand, von der ich annahm, dass sie Regis’ berühmten Alraunenschnaps enthielt. “Durch mein Ich aus der Zukunft”, entgegnete Theodor fast enervierend ruhig. “Er warnte mich vor der drohenden Gefahr. Danach haben wir kooperiert, um Daelis das Zauberbuch zukommen zu lassen, da sie auch die Trägerin des Kristalls ist.” “Woher auch immer sie den hat”, bemerkte der Hexer hörbar skeptisch, aber beließ es dabei und nahm einen Schluck aus der Flasche. Insgeheim stimmte ich ihm aber zu. Diese Frage hatte Theodor nicht beantwortet, konnte es womöglich nicht einmal, was dann nur noch mehr Fragen aufwarf. Wer könnte dafür gesorgt haben, dass ich hier landete und obendrein ein so mächtiges, magisches Relikt besaß? Immerhin war der Kristall das Mittel der Wahl, um ein wahnsinnig mächtiges Wesen, namentlich Krul, aufzuhalten. Nicht unbedingt etwas, das man achtlos in irgendeiner schmuddligen Ecke rumschimmeln ließ. So manch Zauberer hätte sich danach garantiert alle Finger geleckt. Und doch war dieses Kleinod irgendwie in meine Hände gelangt. Damit hatte es mir auch offenbart, dass in mir das Potential zur Magie steckte. Ob ich diese Berufung verfolgen könnte? Mit Yennefers Hilfe vielleicht? Eine Zauberin zu werden, klang für mich ziemlich verlockend, aber ganz bestimmt würde ich mich nicht an irgendeinen Königshof binden. Nein, dafür gab es viel zu viele andere Dinge, die man mit Magie bewirken könnte. Auf die Fähigkeit, Kinder zu gebären, verzichtete ich dafür mit Kusshand. Blagen wollte ich sowieso nicht in die Welt setzen, ja nichtmal um mich haben. “Auf jeden Fall hat Kruls Tod nicht nur ihre Anhängerschaft zerfallen lassen, sondern auch die Viecher wieder zurückverwandelt. Du hast deine Schützlinge also wieder”, ächzte Geralt und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, ehe er das Gesicht merklich verzog. Der Schnaps brannte wohl ordentlich, wenn ich seiner Miene trauen durfte. “Sie haben uns auch zu dir geführt”, mischte sich nun Regis ein. “Nach Kruls Tod war von dir keine Spur zu sehen. Wir hatten schon angenommen, du wärst selbst durch die Zeit gereist”, fuhr der ergraute Vampir fort, während Geralt einen weiteren Schluck vom Schnaps nahm, ehe er sie zu meiner Überraschung an Dettlaff weiterreichte, der nicht zögerte und die Flasche ansetzte. “Als wir das Zauberbuchreich verließen, kamen uns die Sam und Dean bereits entgegen”, schmunzelte Regis und erntete ein zustimmendes Brummen seitens Geralts. “Hässlich und Hässlicher haben ziemlich energisch an mir herumgezogen. Erzieh die Biester ordentlich, sonst beauftrage ich mich selbst damit, ihnen den Garaus zu machen”, brummte der Hexer, klang dabei allerdings nicht wirklich verstimmt. Grinsend feixte ich zurück: “Als könntest du es dir leisten, einen Hexer anzuheuern.” Ein raues Lachen verriet mir, dass meine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten. “Also haben meine Süßen mich gefunden. Naw, ich wusste doch, ihr seid die Besten, meine kleinen Engel”, wandte ich mich an die beiden Greifen, die gleichsam in meine Richtung aufblickten, ehe sie es sich wieder bequem machten. “Habt ihr eure Mami erschnuppert?”, säuselte ich Dean zu und konnte aus den Augenwinkeln noch sehen, wie Geralt mit den Augen rollte. Dettlaff hingegen beobachtete die Greifen mit offener Neugier. Stünden nicht noch so viele Fragen im Raum, hätte ich ihm direkt angeboten, den nicht mehr ganz so kleinen Sam mal zu streicheln. Bestimmt verstünden die Winchesters sich prima mit Dettlaff. “Nicht unbedingt. Du warst nicht gerade versteckt”, mischte sich dieser nun ganz unerwartet in das Gespräch ein, das er bisher schweigend verfolgt hatte. Dann wanderte sein Blick zu Regis, der übernahm. Fragend sah auch ich zu dem ergrauten Vampir herüber. “Inwiefern das?” “Ein blaues Licht hat dich eingehüllt. Es schien von deinem Kristall auszugehen”, antwortete Regis. “Als wir näher kamen, verlosch es.” “Zweifellos, weil der Kristall auf den chronomagischen Zauber unserer lieben Daelis seine Wirkung entfaltet hat. Auf Krul sowie mein zukünftiges Ich als Kreaturen außerhalb des normalen Verlaufs der Zeit hat er ja bereits auch reagiert,”, fügte Theodor hinzu. Ich nickte. Seine Erklärungen waren zwar hilfreich, aber zugleich stellten sie mich immer mehr vor die Frage, wer sein zukünftiges Ich durch die Zeit zu uns zurückgebracht hatte, damit wir wussten, was zu tun wäre. War es womöglich einer von uns gewesen? Der Gedanke lag nahe. Vielleicht war es ja sogar ich? Dann wäre diese ganze Geschichte eine selbsterfüllende Prophezeiung. Da ich selbst alles erlebt hatte, wäre es einfach, Theodor einzuweisen. Blieb nur die Frage, wann ich ihn durch die Zeit schickte, denn im Moment glaubte ich nicht, einer solchen magischen Herausforderung gewachsen zu sein. Obendrein blieb auch da die Frage nach dem Preis. Was war geopfert worden, um den Vampir durch die Zeit zurückzuschicken? Und welches Opfer war überhaupt dieses Mal gebracht worden? Zwar war ich mir ziemlich sicher, mich daran zu erinnern, von Zukunfts-Theodor aufgespießt worden zu sein, doch auf der anderen Seite war ich hier, quicklebendig und unversehrt. Mein Leben war also eindeutig nicht geopfert worden. Oder vielleicht einfach nur noch nicht? Zeitverschiebungen waren immerhin der Kern dieses ganzen Dilemmas. Dennoch wurde ich das ungute Gefühl nicht los, dass jemand anderes den Preis für meine Magie bezahlt hatte. “Theodor, wo ist dein zukünftiges Ich?”, fragte ich den Vampir ganz direkt. Das Lächeln auf seinen Lippen blieb bestehen, doch auf eine Antwort musste ich einige, unendlich lange Sekunden warten. Kapitel 22: Lange Schatten -------------------------- „Jeder Zauber hat seinen Preis“, antwortete Theodor ausweichend, doch jeder von uns wusste wohl, was er damit letztlich sagen wollte. Der Preis für den Zauber, den ich ausgesprochen hatte, war ein Leben - aber nicht meines, sondern Theodors. Ich hatte das Gefühl, als habe sich ein dicker, klebriger Ball in meinem Hals eingenistet, den ich einfach nicht herunterschlucken konnte. Auch wenn ich es nicht gewollt hatte, hatte ich indirekt mit meiner Entscheidung, den Zauber zu benutzen, jemandem das Leben genommen. Es wäre fairer gewesen, wenn ich den Preis bezahlt hätte. Wie versteinert starrte ich Theodor an, der mich nachsichtig anlächelte. “Du hast es nicht gewusst”, meinte Dettlaff schließlich und durchbrach damit die Stille, die über unserer kleinen Gruppe gelegen hatte. Vermutlich fragte sich in diesem Moment noch jeder, wieso Theodor dann hatte sterben müssen und nicht ich, die den Zauber ausgesprochen hatte. Ich schüttelte den Kopf. “Nein, ich hatte keine Ahnung”, murmelte ich tonlos zurück. „Der Zauber sprach von einem Opfer, aber…“ Unvollendet ließ ich den Satz in der Luft hängen. “Kein Grund für Tränen, werteste Daelis”, entgegnete Theodor. „Es war meine Entscheidung - oder wird es sein. Nur durch deinen Tod innerhalb der Zeitschleife und meinen endgültigen, war es möglich, dem Zauber sein Opfer zu gewähren und dafür zu sorgen, dass du nicht in der Zeitschleife gefangen bleibst. Außerdem ist es ohnehin besser, wenn es nicht zwei von mir in der gleichen Zeit gibt. Ein solches Paradoxon könnte ungeahnte Folgen haben.“ Er verstummte für einen Augenblick und blickte dann erst zu Dettlaff, dann zu Regis. “Es ist nur rechtens, wenn unsere Art den Preis für die Vernichtung Kruls entrichtet, die schließlich auch eine von uns war. Vielmehr danke ich Euch für Eure Unterstützung in diesem Kampf, Daelis. Und natürlich auch Euch, Geralt von Riva.” Ein heiseres Lachen sammelte sich in meiner Kehle. Meine Unterstützung? Scheiße, ich würde ihn töten! Wie konnte er das nur sagen? Und wieso hatte der Zauberer, der ihn hergeschickt hatte, nicht selbst Krul in der Zeit eingefroren? Was geschah in der Zukunft, dass eine Zeitreise als einziger Ausweg erschienen war? Wir würden es vermutlich nie erfahren, keiner von uns - außer Theodor, doch der würde nichts von preisgeben. Schniefend wischte ich mir über die Augen. Gerne hätte ich so getan, als berühre mich all das nicht, besonders, da ich die Einzige hier zu sein schien, die die ganze Sache mitnahm. Geralt schaute genauso grimmig wie immer, Regis’ Miene war nachdenklich und Theodor lächelte, wobei ich den sowieso nicht durchschauen konnte. Allein Dettlaffs Miene zeigte Betroffenheit, doch dessen Blick ruhte auf mir, nicht auf Theodor. “Regis sprach davon, dass auch du durch die Zeit gereist bist”, ergriff Dettlaff das Wort, als sich unsere Blicke trafen. Ich nickte und schüttelte dann den Kopf. “So etwas ähnliches. Es ist schwierig zu erklären und ich… ich kann nicht. Also ich möchte gerne, aber ich kann wirklich nicht. Rein körperlich nicht”, versuchte ich mich zu erklären. Dettlaffs Stirn legte sich in Falten, doch er erwiderte nichts, sondern schwieg für einen Moment, ehe er fragte: “Warum hast du mich über Syanna belogen?” Ich seufzte. Auf diese Frage hatte ich gewartet, aber sie zugleich auch gefürchtet. Gefühlt war es völlig egal, was ich darauf antwortete, weil keine Antwort wirklich eine richtige Rechtfertigung sein konnte. Am Ende blieb es eben ein Fakt, dass ich Dettlaff darüber belogen hatte, wer ich war und vor allem, wie ich zu Syanna stand. Zumindest jetzt aber könnte ich versuchen, so ehrlich wie möglich zu sein. “Weil ich dir helfen wollte, aber du mir niemals geglaubt hättest, wenn ich versucht hätte, dir zu erklären, was Syanna im Schilde führt und dass sie dich benutzt.” Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe. “An deiner Stelle hätte ich das auch nicht. Immerhin… naja… du liebst sie. Wieso hättest du einer Fremden Glauben schenken sollen, die schlecht über sie spricht?” Aus den Augenwinkeln warf ich einen hilfesuchenden Blick in Regis’ Richtung. Zum Glück ließ mich der ergraute Vampir nicht im Stich, sondern sprang mir, wie auf ein Stichwort, bei. “Auch uns gegenüber war es Daelis nicht möglich, die volle Wahrheit über ihre Herkunft zu enthüllen - bis heute nicht. Es scheint, eine uns unbekannte Macht verhindert es”, warf Regis ein, dem ich eilig zunickte. “Stimmt. Wann immer ich versuche, alles zu erklären oder Dinge preiszugeben, die noch nicht passiert sind, bringe ich einfach keinen Ton heraus”, fügte ich seufzend hinzu. “Also wusstest du von Syannas Fluch und ihrer Verbindung zu Krul?”, wollte Dettlaff nun wissen, wirkte jedoch nicht so, als wäre das wirklich, was ihm durch den Kopf ging. Das wunderte mich überhaupt nicht. Immerhin hatte er erst erfahren müssen, dass seine Liebste ihn ausgenutzt hatte und als wäre das nicht genug, hatte sich Krul eingemischt, die ihn um eine Erklärung seitens Syanna gebracht hatte. “Nein, von Krul hatte ich keine Ahnung. Ich wusste zwar, dass Syanna unter der Schwarzen Sonne geboren wurde, aber… um ehrlich zu sein, hab ich das nicht sehr ernst genommen”, gab ich kleinlaut zu. “Ich meine, es wird doch jeder wütend und sucht eventuell Rache, wenn er unbegründet schlecht behandelt und fortgejagt wird.” Dass ich ob dieser Worte mehr an Renfri als Syanna dachte, behielt ich für mich. “Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass der Fluch der Schwarzen Sonne mit einem Vampir zusammenhängen könnte, wirklich nicht. Aber ich wusste, dass sie die Morde plante und dich erpresste”, fügte ich immer leiser werdend hinzu. Dettlaffs Miene war ernst, aber unbewegt. Eine unangenehme Stimmung lag in der Luft, doch ich sprach weiter. Es musste ja sowieso raus und besser, ich sagte nun die Wahrheit, als dass Dettlaff von jemand anderes erfuhr, worin ich ihn belogen hatte. “Da ich den ganzen Komplott kannte und auch Versionen der Zukunft, die daraus erwachsen könnten, habe ich versucht, eine bestimmte herbeizuführen ohne den Zeitverlauf zu verändern.” “Klingt nach Blödsinn”, brummte Geralt leise. Wütend funkelte ich den Hexer an. “Man darf nicht einfach in der Zeit herumpfuschen! Ganz besonders heute sollte das doch eigentlich sehr deutlich gezeigt haben!”, empörte ich mich. “Und da ich, genau wie der Zukunft-Theodor nicht wirklich hierher gehöre, habe ich gedacht, es wäre besser, wenn meine Anwesenheit eben keine Veränderung bedeutet”, murmelte ich schließlich. “Hat ja nicht so toll geklappt”, entgegnete Geralt knapp. Mich rechtfertigend gab ich zurück: “Immerhin habe ich es versucht!” “Warum?” Dettlaffs Stimme klang schneidend. In dieser einen, kleinen Frage lag eine Forderung, aber auch eine Drohung. Am liebsten hätte ich mich hinter Regis versteckt. “Weil ich es für das Beste hielt, für den besten Weg, den Ablauf nicht zu stören, aber dir dennoch beizustehen, wenn du erfährst, was Syanna getan hat”, versuchte ich noch einmal, mich zu erklären. Dettlaff genügte das offenbar nicht. Seine Miene verfinsterte sich. “Warum?”, fragte er erneut. Ich schluckte. Was sonst könnte ich zu meiner Verteidigung vorbringen? Alles, was ich hier gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Hätte ich nur die Möglichkeit gesehen, dass er mir, einer Fremden, glaubte, wenn ich Syannas boshaftes Treiben offenbarte, hätte ich vielleicht drauf geschissen, die Zeitlinie unbehelligt zu lassen, doch welche Rolle spielte das? Ich hatte es nicht getan. Ich hatte geschwiegen und gelogen, um… um was eigentlich? In dieser Beziehung hatte meine Anwesenheit letzten Endes wirklich nichts verändert, sah man davon ab, dass wir uns irgendwie angefreundet hatten. Allerdings war ich mir dieser Freundschaft im Moment nicht mehr so sicher. Gerne hätte ich noch etwas gesagt, irgendetwas, um Dettlaff zu beschwichtigen, doch mir fiel absolut nichts ein. Also ließ ich nur stumm den Kopf hängen, bis ich schließlich leise “Es tut mir wirklich Leid” hervorwürgte. Eine gefühlte Ewigkeit hing drückende Stille über unserer Gruppe, schwer wie ein von Regen nasser Mantel, der einem auf den Schultern drückte und gefühlt gen Boden zog. Es war Regis, der die Stille schließlich durchbrach, indem er leise hüstelte. Zumindest, wenn man die Geräusche von Geralt, eine Mischung aus dem Gluckern der Schnapsflasche und einem Brummeln, nicht zählte. “Nun, ich denke, das ist es nicht, was Dettlaff wissen wollte.” Regis’ Worte ließen mich aufblicken. Der Vampir lächelte, was mich nur noch mehr verwirrte. Nicht? Was dann? Mein Blick glitt zu Dettlaff, der immer noch grimmig dreinsah, als wäre er bereit, mir jederzeit an die Gurgel zu gehen. Doch dann schüttelte er den Kopf. “Warum hast du dich überhaupt eingemischt, wenn du nichts ändern wolltest?”, konkretisierte er seine Frage. “Naja”, zuckte ich hilflos mit den Schultern. “Auch wenn ich den Verlauf der Dinge nicht gänzlich ändern wollte, wollte ich dennoch… die kleinen Dinge ändern.” Das klang sogar in meinen Ohren lahm. Ich seufzte ergeben. “Okay, hört zu. Mir war klar, dass ich nichts ungeschehen machen konnte. Also habe ich versucht, unnötiges Leid zu verhindern.” Geralt nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. Unsicher sah ich von Theodor zu Regis, die beide lächelten, dann zu Dettlaff, dessen Stirn grüblerische Falten warf. Da keiner etwas sagte, hatte ich das Gefühl, weiterreden zu müssen. “Immerhin hat Milton überlebt. Ab dem Moment ging zugegeben alles ein wenig drunter und drüber, aber im Groben ging alles seinen Lauf. Mit ein paar winzigen Änderungen”, fügte ich kleinlaut hinzu. Wieder wanderte mein Blick umher. Regis schüttelte den Kopf. “Auch das habe ich nicht gemeint”, meinte der Vampir milde. “Ich denke, was Dettlaff wissen will, ist vielmehr, wieso du ihn beschützen wolltest”, betonte Regis. Jetzt fiel auch bei mir der Groschen. “Oh.” Mir war das so selbstverständlich erschienen, dass ich gar nicht darüber nachgedacht hatte. Nur Regis hatte ich offen anvertraut, wie ich über Syanna dachte und auch, dass ich Dettlaff beschützen wollte, doch nicht einmal Geralt hatte das je so richtig von mir erfahren, wenngleich er sich bestimmt seinen Teil dachte. Der arme Hexer musste eh denken, dass bei mir so einige Schrauben locker waren, bei all den Stunts, die ich abgeliefert hatte. Erst die Winchesters, dann ein Incubus, der Glumaar und schließlich Vampire. Nicht gerade die Sorte Kontakte, die die meisten Menschen pflegten. Auf der anderen Seite war ich eben auch kein Mensch aus dieser Welt und hatte in vielerlei Hinsicht ganz andere Ansichten als die Leute hier. Dazu gehörte eindeutig auch, dass Dettlaff - Vampir oder nicht - kein Monster war. “Weil ich finde”, erklärte ich bestimmt, “dass Syannas Taten unverzeihlich sind und dass Dettlaff absolut nicht verdient hat, was sie ihm angetan hat.” Ich biss mir auf die Unterlippe und faltete die Hände auf meinen Knien. Unangenehme Stille legte sich über uns, die nur durch gelegentliche Schluckgeräusche unterbrochen wurde. Geralt hatte seine Flasche inzwischen einmal im Kreis gereicht. An mir war sie dabei jedoch irgendwie vorbeigezogen, dabei hatte ich das Gefühl, davon jetzt auch einen Schluck gebrauchen zu können. Wieder war ich die erste, die das Wort ergriff. “Du bist ein wirklich, wirklich lieber Kerl”, wandte ich mich dieses Mal direkt an Dettlaff. “Und du hast es unbedingt verdient, dass man dich aufrichtig liebt und wertschätzt. Ich wollte dich wirklich nicht belügen! Ich wollte… einfach nur deine Freundin sein. Wirklich.” Mehr wusste ich nicht zu sagen. Am liebsten hätte ich mich einfach im Boden eingegraben, doch das stand wohl leider nicht zur Debatte. Vorsichtig blickte ich zu Dettlaff auf. Er war impulsiv und emotional, das wusste ich, aber auch sanftmütig und freundlich. Von einem Wutausbruch bis hin zu kaltem, verachtenden Schweigen konnte ich mir fast jede Reaktion von ihm vorstellen. Dass er mir einfach vergeben würde, erwartete ich nicht. Dafür hatte ich ihn zu rundherum angelogen, wenn auch nicht mit böser Intention. “Es tut mir Leid”, murmelte ich leise und senkte den Blick wieder. Bis jetzt hatte ich mich zusammenreißen können, aber jetzt rollte die erste Träne über mein Gesicht. Es war so frustrierend! Alles, was ich gewollt hatte, seit ich in Toussaint angekommen war, war Dettlaff zu beschützen. Bis zu dem Zeitpunkt, da Krul aufgetaucht war, war ich mir sogar ziemlich sicher gewesen, dass mir das gelänge. Syanna hatte das magische Haarband nicht, dass ihr bei der Konfrontation mit Dettlaff die Flucht ermöglichte, sodass sie eigentlich nur noch nach Tesham Mutna gebracht hätte werden müssen. Alles weitere hätte dann an Geralt gelegen. Soviel zur Theorie, zumindest, bis Krul alles durcheinandergebracht hatte, was ich über den Verlauf dieser Geschichte wusste. “Du bist wirklich die verrückteste Frau, die mir je begegnet ist”, ergriff Geralt als Erster wieder das Wort in der Stille, die sonst nur durch mein Schniefen durchbrochen wurde. “Riskierst Kopf und Kragen für einen Vampir, den du vorher noch nie getroffen hast”, fuhr er fort, kaum, dass sich alle Blicke auf ihn gerichtet hatten. Dann nahm der Hexer demonstrativ noch einen Schluck aus der Schnapsflasche. “Niemand hat dich gezwungen, mich mitzunehmen”, maulte ich leise und zog eine Schnute. “Hrm. Du wusstest, wo der Greif war. Dachte, du sparst mir Zeit”, brummte der Hexer und lieferte damit die absolut mieseste Ausrede, die ich jemals gehört hatte. Zwar hatte ich wirklich keine Ahnung, warum er mich mitgenommen hatte - Mitleid vielleicht? - aber er ohne ihn hätte ich in dieser Welt nicht überstehen können, geschweige denn den Weg bis nach Toussaint überlebt. Geralt mochte bisweilen ruppig erscheinen, aber auch unter seiner rauen Schale steckte ein weicher Kern. Ich schuldete ihm viel. Mehr, als ihm vielleicht klar war. Wenn ich die Chance bekam, würde ich es auf jeden Fall wiedergutmachen und ihm helfen, ein gutes Ende für sich auf Corvo Bianco zu finden, zusammen mit Yennefer. “Danke.” Dettlaffs dunkle Stimme kam unerwartet. Bisher hatte er die meiste Zeit geschwiegen und mit brütender Miene vor sich hingestarrt. War ich ehrlich, hatte mir das zumindest im Hinblick auf mein eigenes Überleben Sorgen bereitet. Genau wie Syanna, der ich das schamlos vorwarf, hatte ich ihn immerhin auch darüber belogen, wer ich war, egal, welche Gründe ich dafür gehabt hatte. Doch wenigstens, das war gewissermaßen meine Rechtfertigung gewesen, hatte ich nie darüber gelogen, wie ich war. Überrascht sah ich zu Dettlaff rüber, dann lächelte ich und griff nach seinen Händen, die flach auf der Grabplatte lagen, die wir als Tisch missbrauchten. Ich war einfach froh, dass er mir meine Taten nicht nachtrug. “Jederzeit. Ich meine, was ich sagte. Du bist ein guter Men- äh Vampir. Du weißt, was ich meine. Du hast ein gutes Herz und das allein zählt. Jeder, der jemals wahrlich geliebt hat, kann verstehen, wieso du gehandelt hast, wie du es hast”, meinte ich sanft, doch Dettlaffs Blick verdunkelte sich. “Du meinst, wieso ich gemordet habe”, entgegnete er bitter. Ich schluckte und nickte. “Ja.” Es schönzureden hatte wohl wenig Sinn. Er hatte getötet. Aber damit war er hier in guter Gesellschaft. Auch an Geralts und Regis’ Händen klebte Blut. Bei Theodor war ich mir nicht sicher. Zumindest ich hatte noch nie jemanden getötet, sofern man mir den Incubus Derand nicht anlasten wollte. Faktisch mochte Geralt ihn erschlagen haben, aber gefühlt trug ich genauso sehr Schuld an seinem Tod. Als ahne er meine Gedanken, ließ Geralt ein leises Lachen hören. “Du gibst dich mit gefährlichen Männern ab, Daelis”, bemerkte er und versuchte nicht einmal, dabei ernst zu klingen. Spöttisch gab ich ein leises “Pfft” von mir. Dettlaff hingegen nahm die Worte ernster. “Er hat Recht. Dich in die Angelegenheiten von Hexern und Vampiren einzumischen, ist gefährlich”, belehrte er mich und klang dabei fast wie Regis. Ein leises Kichern konnte ich mir darüber nicht verkneifen. “Ich finde, ich habe mir hier die bestmögliche Gesellschaft in ganz Toussaint zusammengesucht”, widersprach ich entschieden. “Außerdem bin ich nicht rassistisch. Ich finde, Vampire und Menschen sind sich so ähnlich, da kann man die kleinen Unterschiede wirklich problemlos übersehen.” Jetzt war es an Regis, leise zu lachen. “Kleine Unterschiede”, zitierte Geralt und schüttelte grinsend den Kopf. Fehlte nur noch, dass er mir einen Vogel zeigte. Blödmann. Als unterscheide sich seine Ansicht so sehr davon. Hatte er nicht selbst zugegeben, dass auch sein Stahlschwert für Monster war - nämlich Menschen - und war obendrein mit Regis befreundet? “Was zählt, ist die Persönlichkeit. Es sind unsere Entscheidungen, die uns zum Monster machen, nicht unsere Herkunft”, betonte ich noch einmal mit strengem Blick. Sogar Dean krächzte zustimmend. “Und du siehst keine Monster in den Mördern um dich herum? Klingt für mich nicht nach einer besonders klugen Einstellung. Leute, die so denken, leben meist nicht lange”, kommentierte Geralt trocken und nahm mit einem dankbaren Nicken eine neue Flasche Schnaps von Regis entgegen. Wusste der Himmel, wo der die wieder hergezaubert hatte. “Mord ist nicht Mord”, gab ich zurück. “Es ist ja nicht so, als würde einer von euch zum Spaß oder aus niederen Motiven töten.” Zugegeben: Nahm man es genau, tötete Geralt schon irgendwie aus niederen Motiven, nämlich um Geld zu verdienen, doch ich interpretierte zu seinen Gunsten einfach mal, dass er damit Leben retten wollte und das oft auch tat. “Was mich angeht”, betonte ich energisch, “gibt es in diesem Raum kein Monster.” “Geralt hat allerdings nicht Unrecht. Ein jeder hier wird von der Außenwelt als gefährliches Monster angesehen”, warf Regis ein, klang jedoch selbst nicht mehr wirklich ernst. Ob er auch schon einen im Tee hatte? Immerhin hatte er auch schon einiges vom Alraunenschnaps intus. “Du solltest uns meiden”, fügte Geralt scherzend hinzu. Ich rollte mit den Augen. “Unbedingt. Ihr seid schrecklich und total gruselig. Wie kann ich mich nur mit euch herumtreiben? Bei mir ist wirklich Hopfen und Malz verloren. Und dann noch meine Aufmachung! Dass ich mich so überhaupt aus dem Haus traue”, lästerte ich sarkastisch über einige Bemerkungen, die ich in den vergangenen Tagen hier über mich gehört hatte. Regis räusperte sich verlegen, doch der Hexer lachte nun laut auf. “Eindeutig die Hure des Weißen Wolfs. Frage mich, wieso mir das keiner vorher erzählt hat. Mir schienst doch ziemlich prüde”, kommentierte er amüsiert. “Prüde?”, echote ich überrascht zurück. Wo war ich denn bitte prüde? So wie ich das sah, war ich der aufgeschlossenste Mensch, der hier herumlief. “Prüde”, bestätigte Geralt feixend. Ich hob eine Braue, dann die andere. “Wow, halt mal die Luft an. Die Leute hier halten mich schon für eine Hure, weil ich meine Haare offen trage. Das ist prüde”, betonte ich, doch Geralt grinste nur noch breiter. “Ich erinnere mich an jemanden, der lieber gefroren hat, als nackt neben mir zu liegen”, erzählte er wie beiläufig. Es dauerte einen Moment, ehe mir klar war, worauf er hinauswollte. Genervt stöhnte ich auf. “Dein Ernst? Du bespringst halt alles, was eine Zauberin sein könnte. Da wollte ich kein Risiko eingehen”, gab ich spitzfindig zurück, die teils verwirrten, teils amüsierten Blicke der Vampire ignorierend, die unserem Schlagabtausch schweigend lauschten. Geralt hielt in der Bewegung inne, in der er die Flasche wieder ansetzen hatte wollen. Jetzt war ich diejenige, die triumphierend grinste. “Oder gilt das nur, wenn man ein Einhorn hat oder eine Spur aus Kleidung legt?” Geralts Augen weiteten sich, wenngleich nur ein wenig. Er war gut darin, zu verstecken, was in ihm vorging, aber ganz gelang es ihm nicht. Einen Moment lang war es still zwischen uns. “Du weißt mehr, als gut für dich ist.” Ich wertete das als Sieg für mich. Enthusiastisch schnappte ich ihm die Schnapsflasche aus der Hand, um selbst einen Schluck daraus zu nehmen. Nicht meine beste Entscheidung. Heilige Scheiße! Was hatte Regis da reingetan? Mir war absolut schleierhaft, wie sowohl er als auch Regis dieses Zeug trinken konnten, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hatte das Gefühl, mein ganzer Hals würde verätzt. Röchelnd reichte ich die Flasche zurück, das schadenfrohe Lachen des Hexers ignorierend. Mitleidig tätschelte Regis mir den Rücken. “Geht es?”, erkundigte er sich. Ich nickte tapfer. “Ja, geht schon.” Mein ganzer Hals brannte noch von dem Teufelszeug. “Nachdem das ja nun geklärt ist, wie geht es weiter? Hast du da auch schon Pläne?”, wandte sich Geralt an mich und nahm, wie um es mir unter die Nase zu reiben, einen Schluck vom Alraunenschnaps, der mich so hoffnungslos hatte japsen lassen. “Naja”, antwortete ich ausweichend, “durch Kruls Ego-Trip haben sich ein paar Dinge verändert. Eigentlich wären wir mit Syanna nach Tesham Mutna zu Dettlaff gereist. Oder wenigstens war das der Plan.” Ich zuckte mit den Schultern. “Ich finde auch immer noch, dass sie sich Dettlaff stellen sollte.” Regis nickte nachdenklich, doch es war ausgerechnet Dettlaff ,der den Kopf schüttelte. “Nichts, was sie sagt, wird ihre Taten entschuldigen, nicht wahr?”, meinte er fragend in meine Richtung. Wie gerne hätte ich jetzt Einspruch erhoben, schon um ihm die Sache zu erleichtern. Wie es Syanna erging, war mir letzten Endes nicht wirklich wichtig, doch ich wollte nicht, dass diese ganze Sache den armen Dettlaff auffraß. “Nein”, antwortete ich und schüttelte den Kopf. “Sie wird sich nicht einmal entschuldigen, sondern nur versuchen, eine Rechtfertigung zu finden”, verriet ich ehrlich und war für einen Moment verwundert, dass ich das überhaupt ausplaudern konnte. Vielleicht, weil es eben nicht so gekommen war, sondern sich die Zeitlinie verschoben hatte. Dettlaff nickte mit ernster Miene. “Verstehe.” Jetzt tat es mir Leid, etwas gesagt zu haben, doch ich hatte den armen Vampir nicht wieder anlügen wollen. Syanna zu treffen, würde nichts daran ändern, was sie ihm angetan hatte. Mitleidig musterte ich Dettlaff, als Geralt unvermittelt das Wort ergriff. “Nein, Daelis.” Verwundert sah ich zu dem Hexer. Der hob eine Braue und wiederholte: “Nein, Daelis. Nein.” “Was nein?”, wollte ich noch immer verwirrt wissen. “Du kannst ihn nicht adoptieren. Ich kenne diesen Blick. Den hattest du auch bei Hässlich und Hässlicher”, beschwerte Geralt sich halbherzig und deutete dabei auf Sam, der sich entspannt räkelte, als gehe ihn das alles überhaupt nichts an. Regis gluckste. “Ach”, flötete ich betont übertrieben, “hast du etwa Angst, ihm als Vater nicht gerecht zu werden, nachdem du bei den Winchesters doch aber so einen guten Job gemacht hast?” Geralt ächzte. “Kreide die Biester bloß nicht mir an. Du wolltest sie ja unbedingt aufnehmen. Als Brathähnchen hätten sie sich besser gemacht”, meinte er, klang dabei aber nicht so, als meine er das wirklich ernst. Ich wollte wetten, er hatte sich inzwischen auch an die beiden Greifen gewöhnt und würde sie vermissen! Hah! So viel zu “Hexer haben keine Gefühle, blablabla”. Als ob! “Ach tu nicht so. Du liebst sie!”, protestierte ich scherzend. “Und du Dettlaff?”, mischte sich ganz unerwartet Theodor ein. Von einem Moment auf den anderen war es still und alle Blicke richteten sich auf den Zeitreisenden in spe. “Unfug”, protestierte ich lahm. Syanna hatte mir das auch schon unterstellt und ja, ich hatte was für Dettlaff übrig, aber Liebe brauchte Zeit und wir kannten uns nun noch nicht wirklich lange. “Also zurück zum Thema: Syanna”, lenkte ich zurück. “Ihre Schwester wird ihr auf jeden Fall vergeben, auch wenn sie das nächste Anschlagsziel gewesen wäre. Die Bettler in Beauclair haben den Beweis. Ein Zettel, genau wie die anderen”, erklärte ich eilig, damit keiner nochmal nachhakte, wie ich denn nun zu Dettlaff stand. “Allerdings war die Herzogin das letzte Anschlagsziel und es kann sein, dass Syanna noch immer plant…” Ich vollendete den Satz nicht, doch sicher konnte jeder auch so ahnen, worauf ich hinauswollte. Geralt nickte und nahm einen großen Schluck aus seiner Schnapsflasche. “Ich hätte sie getötet”, ließ Dettlaff die Bombe ganz unerwartet fallen. Wieder breitete sich Schweigen über unserer Gruppe aus. Ich ahnte, dass Geralt darüber brütete, ob das stimmte, doch zumindest ich wusste, dass Dettlaff die Wahrheit sagte. Er hätte sie wirklich getötet. Doch nur wenn Syanna starb, konnte diese Geschichte zu dem Ende führen, in dem Dettlaff überlebte. Denn wenn sie floh oder nicht nach Tesham Mutna kam, griff Dettlaff Geralt an und würde infolgedessen sterben. Kam sie jedoch, tötete er sie und es lag an Geralt, ob er Dettlaff bekämpfen wollte oder nicht. Allerdings stand all das nun sowieso auf einem anderen Blatt. Denn keiner von uns war in Tesham Mutna. Stattdessen hockten wir gemeinsam in Regis’ Gruft, tranken widerwärtigen Alraunenschnaps und diskutierten aus, was eigentlich schief gelaufen war. “We-”, begann Geralt, doch ich fuhr ihm direkt über den Mund. “Ich finde, wir sollten uns darauf konzentrieren, wie es jetzt weitergeht. Kruls Einmischung hat alles ziemlich durcheinander gebracht.” Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie der Hexer mich misstrauisch ansah, doch ich tat, als bemerke ich nichts. Sollte er sich einfach seinen Reim darauf machen. Ich hoffte einfach, er hätte inzwischen ziemlich klar erkannt, wo ich Stellung bezog und würde sich dem nicht entgegenstellen, sonst wüsste ich wirklich nicht, wie diese Sache ausginge. Kämpfte Geralt wirklich gegen Dettlaff, hätte ich keine Möglichkeit, die beiden oder auch nur einen von ihnen zu stoppen. Blieben Theodor und Regis. Ersterer würde vermutlich nicht eingreifen, immerhin durfte er die Zukunft nicht riskieren, in der er in der Zeit zurückgeschickt würde, und wenn Regis eingriff… Wie das ausging, hatte ich traurigerweise schon gesehen. Nichts, was ich hier wiederholen wollte. Nicht nur, dass es Dettlaffs Tod bedeutete, es wäre auch für Regis schlicht grausam, seinen Freund töten und damit leben zu müssen. Nichts daran hatte sich für mich je nach einem Happy End angefühlt, auch wenn es das offiziell war. Nein, ich hatte das Gegenteil angestrebt und dafür musste Syanna sterben. Ein Opfer, das zu bringen ich bereit war. Sofern das jetzt überhaupt noch zur Debatte stand. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass uns die Herzogin ihre Schwester überließ. Im Spiel war sie immerhin bereit gewesen, Syanna alles zu vergeben, obwohl sie selbst das nächste Ziel gewesen war. Angesichts dessen war ich mir ziemlich sicher, dass sie hier ähnlich reagieren würde. Angestrengt rieb ich mir die Stirn. “Ich nehme an, Ihre Gnaden wird über Dettlaff und Syanna gleichermaßen urteilen”, meinte Regis schließlich mit einem Seufzen. Die Miene seines Blutsbruders verfinsterte sich und ich ahnte, was das bedeutete. Er würde sich ihrem Urteil sicherlich nicht unterwerfen, wenn sie weiterhin seinen Kopf fordern sollte. Übel nehmen konnte ich ihn das nicht. Dass Annarietta ihrer Schwester deren intriganten Komplott einfach vergab, hielt ich für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Wäre Syanna irgendjemand anderes, hätte die Herzogin vermutlich, ohne zu zögern, ihren Tod gefordert. Diese Sonderbehandlung war weit entfernt von Gerechtigkeit. Allerdings gab ich Regis insgeheim Recht: Fürs Erste würden wir das Urteil Anna Henriettas abwarten müssen oder uns dem entziehen und Toussaint verlassen. Ein Gedanke, der mir gar nicht so übel gefiel. Zwar war es hier friedlicher als im Norden und die Leute hier waren etwas entspannter drauf, aber zugleich hatte ich das unangenehme Gefühl, dass sie auch zu Geralts und meiner Rolle in diesem Hin und Her etwas zu sagen hätte - und, dass mir das nicht gefallen würde. Müde rieb ich mir über die Augen. Meine Lider wurden immer schwerer. Jetzt, da keine akute Gefahr mehr bestand und mein Adrenalinspiegel sich gen Null senkte, wollte ich mich am liebsten irgendwo einrollen, um ein paar Stunden zu schlafen, ehe ich mir weiter das Hirn über irgendwelche Hoheiten, Intrigen oder Vampirköniginnen zermarterte. “Vielleicht sollten wir alles weitere auf später vertagen. Die Sonne geht bereits auf und wir haben eine lange Nacht hinter uns”, erklang Theodors ruhige Stimme. Geralt brummte zustimmend. Ich hörte noch, dass auch Regis etwas sagte, doch der Wortlaut ging schon an mir vorbei. Am Rande bekam ich noch mit, wie mich jemand in Richtung des Sarges schob, in dem ich auch die vergangene Nacht verbracht hatte, dann schaltete sich mein Verstand völlig aus. Kapitel 23: Vergeltung und Vergebung ------------------------------------ Wie ich meine innere Uhr hasste. Sie hatte mich auch an diesem Morgen erbarmungslos geweckt. Nicht so früh wie sonst, was wirklich kein Wunder war, aber dennoch mehr als früh genug, wenn man mich fragte. Es war noch nicht einmal Mittag, als ich die Versuche, mich herumzudrehen und doch noch ein oder zwei Stündchen zu schlafen, aufgab. Meine Glieder fühlten sich unangenehm steif an, als ich mich ausgiebig streckte. Kein Wunder, denn Dean hatte die Nacht auf meinen Beinen verbracht. Dort hatte er auch noch gelegen, als ich aufgestanden war. Sam hingegen hatte mir die Füße gewärmt und regte sich auch nicht, als ich meine Bettstätte verließ und Dean neben ihn schob. Für meine Kleinen war es auch ein anstrengender Tag gewesen und sie hatten sich die Ruhe verdient. Wie eigentlich wir alle, fand ich. Müde rieb ich mir über die Augen und sah mich im Halbdunkel der Gruft um. Zwei Kerzen flackerten auf einem steinernen Vorsprung. In deren Licht konnte ich Geralt erkennen, der mit dem Gesicht auf dem Tisch lag und schlief. In einer Hand hielt er noch immer die Flasche Alraunenschnaps. Nach Regis brauchte ich auch nicht lange suchen. Er lag in einem aufgeschobenen Sarg, die Hände ganz klischeehaft auf dem Bauch gefaltet, wie man das aus alten Vampirfilmen kannte. Der Anblick ließ mich schmunzeln, aber hielt mich auch dazu an, besonders leise zu sein. Ich wollte Regis nicht wecken. Der gestrige Tag war für uns alle ziemlich heftig gewesen, körperlich wie mental. Wir alle konnten eine Auszeit ganz gut gebrauchen, obwohl es sehr wahrscheinlich schon heute weiterging. Ein paar wichtige Fragen würden bald geklärt werden müssen, allen voran, wie es mit Dettlaff weiterging und ob er Syanna ziehen ließe. Sie jetzt noch zu verfolgen, würde praktisch garantieren, dass es zu einem Kampf zwischen ihm und dem Hexer kam. Und dass diesen wiederum nur einer der beiden überleben würde, wusste ich zu gut. Es wäre Regis‘ Eingreifen, das entschied, wer dann sterben müsste und wer leben durfte. Keine Bürde, die ich dem armen Regis auferlegen wollte. Diesem Gedanken hing ich einen Moment lang nach, während ich mir den Schlaf aus den Augen rieb und dann nach den anderen beiden höheren Vampiren Ausschau hielt, die sich eigentlich hier herumtreiben müssten. Auf dem Treppenabsatz traf ich Dettlaff an, der mit grüblerischer Miene vor sich hinstarrte. Wortlos hockte ich mich neben ihn. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, was ihm durch den Kopf ging. Ob er überhaupt geschlafen hatte? Vermutlich nicht und verübeln konnte ich es ihm nicht. An seiner Stelle fände ich wohl auch keine Ruhe. Nicht nur, dass Syannas Intrige nun offenlag, es waren uns allen gestern viele Dinge offenbart worden. „Du hast gesagt, dass du mich retten willst“, richtete der dunkelhaarige Vampir unerwartet das Wort an mich. Überrascht sah ich auf, doch Dettlaff erwiderte meinen Blick nicht, sondern starrte weiter ins Nichts vor sich. So mit den grauen Strähnen an seiner Schläfe und dem müden Blick wirkte er gleich viel älter. „Mh“, machte ich ein leises, zustimmendes Geräusch. „Also sterbe ich in diesem Konflikt“, schloss Dettlaff ruhig. Ein wenig klang er fast, als habe er sich mit diesem Gedanken bereits abgefunden. Von der Wut, die ihn angetrieben hatte, Syanna zu jagen, schien jetzt nichts mehr übrig zu sein. Wer konnte es ihm verübeln? Wie ernüchternd und niederschmetternd die letzten Stunden für ihn gewesen sein mussten, konnte ich nur erahnen. Mitleidig griff ich nach seinen Händen. „Nein. Du wirst nicht sterben“, sicherte ich ihm und erst jetzt wandte sich Dettlaff mir zu. Er sagte nichts, aber die Frage in seinem Blick war unverkennbar und ich hatte nicht vor, sie unbeantwortet zu lassen. „Ich lasse nicht zu, dass du stirbst.“ Eine ganze Weile schwiegen wir uns einfach nur an. Dettlaff blickte dabei einfach auf seine Hände und meine, die darüber lag. „Du hast gesagt, dass du den Verlauf ohne Kruls Einmischung kanntest. Was wäre geschehen?“, fragte der Vampir schließlich leise, als fürchte er, sonst Regis oder Geralt zu wecken. Diese Frage hatte ich gestern schon befürchtet. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe, dann seufzte ich. Es half ja doch nichts. Dettlaff hatte die Wahrheit verdient. „Das hängt von mehreren Faktoren ab“, begann ich leise zu erklären. „Hätte Geralt entschieden, den Unsichtbaren aufzusuchen, um dich zu stellen, hätte es deinen sicheren Tod bedeutet. Hätte er Syanna nicht zu dir nach Tesham Mutna bringen wollen, hättet ihr gekämpft.“ Wie sagte ich ihm nur, dass Regis ihn getötet hätte? Unsicher sah ich zu Dettlaff auf, ehe ich diejenige war, die den Blick wieder senkte. „Ein Hexer kann mich nicht bezwingen“, grollte er leise. „Nein“, lenkte ich wispernd ein, „aber Regis.“ Die Stille, die folgte, war mehr als unangenehm. Dettlaffs Hand schloss sich um meine und ich war sicher, ich hätte sie ihm nicht entziehen können, hätte ich es versucht. Erst nach einer ganzen Weile sprach Dettlaff wieder. „Aber ihr wolltet mit Syanna nach Tesham Mutna, wie ich es verlangte“, statierte er. Ich seufzte. „Ja. Ich wollte diese Zeitverläufe auf jeden Fall verhindern, also habe ich Geralt gedrängt, im Märchenland nach Syanna zu suchen und dafür gesorgt, dass sie dort ihr magisches Haarband nicht bekam. Damit wäre sie sonst bei eurer Konfrontation geflohen, was wiederum auch zu einem Kampf zwischen Geralt und dir geführt hätte.“ Dettlaff klang nicht länger resigniert, sondern vielmehr zornig, als er aus meinen Worten die richtige Schlussfolgerung zog. „Und ich wäre getötet worden“, knurrte er. Ich nickte. „Es fällt mir schwer, zu glauben, der Hexer hätte mich nicht zum Kampf gestellt, wenn ich Syanna getötet hätte“, fuhr er schließlich fort. Wieder seufzte ich. „Es bestand eine Möglichkeit... darin lag letztlich mein Ziel. Geralt davon zu überzeugen, dich nicht als Täter, sondern vielmehr als Opfer zu sehen, damit er dich nicht angreift. Nur das hätte dich im normalen Verlauf der Zeitlinie gerettet“, gab ich zu. „Und wenn er sich nicht hätte überzeugen lassen?“ Dettlaffs Stimme klang schneidend. Unsicher runzelte ich die Stirn, wich dieses Mal seinem Blick jedoch nicht aus. „Ich hätte nicht zugelassen, dass er dich angreift und noch weniger, dass Regis dich tötet. Es wäre falsch! Es ist nicht deine Schuld, was geschehen ist und Regis weiß das!“, ereiferte ich mich, merkte jedoch, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Es war so frustrierend, aber mit seiner Frage hatte Dettlaff in eine Kerbe geschlagen, die schmerzte. Er hatte mir meine Schwäche, meine Machtlosigkeit, vor Augen geführt. Mir kam es vor wie Stunden, die wir einfach nebeneinandersaßen und gemeinsam schwiegen, beide in unsere eigenen Gedanken versunken. Es tat mir leid, dass ich Dettlaff keine andere Antwort hatte geben können, doch ich wollte ihn auch nicht wieder belügen. Das hatte er einfach nicht verdient. Fraglich blieb jetzt allerdings, was Dettlaff mit den neuen Informationen anstellte. Würden sie seine Entscheidung beeinflussen, ob er Syanna verfolgen und töten wollte, oder nicht? Um seinetwillen hoffte ich, er würde von seiner Vergeltung ablassen. Jetzt, da sich alles verschoben hatte und Syanna an der Seite ihrer Schwester weilte, würde es in jedem Fall zu einer Hetzjagd kommen, sollte Dettlaff entscheiden, Syanna dennoch zu töten. Nicht, dass ihn davon jemand hätte abhalten können, wenn er wirklich entschlossen war. „Danke“, meine Dettlaff plötzlich und erhob sich. Automatisch folgte ich seinem Beispiel, ging ihm jedoch nicht nach, als er die Gruft durch den oberen Ausgang verließ. Vermutlich brauchte er einfach etwas Zeit für sich, um alles zu überdenken. Zumindest hoffte ich das. Sollte er jetzt zu Syanna gehen, würde die ganze Sache eskalieren. Vielleicht war es ihm das wert und es war wirklich so, wie der Bestiariumseintrag zu Dettlaff andeutete: Vielleicht ertrug er nicht, was Syanna ihm angetan hatte und der Tod erschien ihm als Erlösung. Wie sehr ich hoffte, dass ich mich in diesem Punkt irrte. Missmutig stützte ich die Ellenbogen auf meine angezogenen Knie und legte den Kopf auf meinen Händen ab. Nach allem, was geschehen war, wusste ich nicht, wie es nun weitergehen sollte. Ich hasste den Gedanken, dass Syanna ohne Strafe davonkäme, doch sehr wahrscheinlich würde genau das geschehen. Annarietta war blind, was ihre Schwester anging und daran würden auch Beweise für den geplanten Anschlag auf sie nichts ändern. Sicher war das auch ein Punkt, der an Dettlaff nagte. Zu wissen, dass die Frau, die ihn so schamlos betrogen, belogen und ausgenutzt hatte, einfach davonkäme mit ihrer Grausamkeit. Obendrein konnte es immer noch sein, dass Syanna sich selbst jetzt noch dafür entschied, ihre Schwester zu ermorden, selbst wenn sie damit ihr eigenes Leben verwirkte. Ein Teil von mir wünschte sich fast, dass es dazu käme, doch mein Verstand wusste, dass es falsch wäre. An Annariettas Stelle würde ich vielleicht auch über die Taten meiner Schwester hinwegsehen, einfach weil ich sie liebte. Die Herzogin hatte den Tod auf keinen Fall verdient und auch wenn ich ihren Rassismus gegenüber Vampiren ebenso untragbar fand, wie den Umstand, dass sie Syanna bereit war, alles straflos zu vergeben, war sie für ihr Volk doch eine gute Herrscherin. Zumindest in puncto Rassismus war sowieso ich diejenige, die für diese Welt ungewöhnlich dachte. Es gab praktisch keine Menschen, die nicht mit Vorurteilen auf Vampire sahen, galten diese doch als Monster. Selbst die Völker, die sich von Menschen nur durch minimale optische Kennzeichen unterschieden wie Zwerge und Elfen waren fast überall Opfer heftiger Diskriminierung. Seufzend fuhr ich mir durchs Haar. In Momenten wie diesen vermisste ich mein Zuhause. Von einer vorurteilsfreien Welt waren wir da zwar auch noch weit entfernt, aber es gab Schritte in die richtige Richtung. Zumindest vielerorts. „Worüber denkst du so angestrengt nach?“, riss mich Regis‘ Stimme aus meinen Grübeleien. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie der Vampir aufgestanden war, der sich nun neben mir niederließ, genau an der Stelle, an der Dettlaff zuvor gesessen hatte. „Dettlaff“, gab ich ohne Umschweife zu und betrachtete dabei Regis nachdenklich. Wenn irgendjemand Dettlaff überzeugen konnte, sich nicht auf seine Rache zu versteifen, dann Regis. Der ergraute Vampir seufzte hörbar. „Ich verstehe. Auch ich sorge mich um meinen Blutsbruder. Es ist für ihn nicht einfach. Syanna hat ihn tief verletzt“, meinte er ruhig. „Umso mehr freut es mich, dass er in dir ein Beispiel dafür hat, dass nicht alle Menschen so rücksichtslos sind.“ Dankbar lächelte ich ihn an. Es tat gut, das zu hören, auch wenn es meine Sorgen nicht zu schmälern vermochte. Meine besten Wünsche würden Dettlaff nicht retten. Ich konnte Dettlaff nicht vor sich selbst beschützen. Aber vielleicht Regis. „Sprich mit ihm, ja?“, bat ich Regis. „Bitte. Wenn ihn irgendjemand davon überzeugen kann, dass Syanna zu töten, ihn nicht von seinem Schmerz befreien wird, dann du. Syanna jetzt noch zu jagen, wird ihn nicht erlösen.“ Flehend blickte ich zu dem Vampir, der die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt hatte. „Ich zweifele nicht an deinem guten Willen, doch die Herzogin...“, begann Regis, doch ich schüttelte sofort den Kopf. „Die Herzogin wird ihn ohnehin zum Tode verdammen wollen, doch ihr Zorn und ihre Ritter können ihm nichts anhaben. Was Anna Henrietta will, ist egal. Sofern sie denn überhaupt überlebt. Das ist nämlich noch nicht sicher“, gab ich leise zu, fuhr aber fort, ehe Regis nachhaken konnte. „Jetzt geht es um Dettlaff. Hilf ihm. Die Zeit wird diese Wunden heilen, da bin ich absolut sicher. Vielleicht nie ganz, aber die Pein wird erträglicher und er wird erkennen, dass es auch Menschen gibt, die sein Vertrauen verdient haben. Aber dafür muss er jetzt überleben und dafür braucht er dich“, wiederholte ich mit Nachdruck. Eine ganze Weile starrte Regis mich einfach nur an. Verschiedenste Emotionen huschten über seine Züge, von denen ich einige nicht zu deuten wusste, doch schließlich bedachte mich Regis mit einem nachsichtigen Lächeln. „Ich werde mit ihm reden. Vielleicht solltest du derweil Geralt wecken“, nickte er in Richtung des Hexers, der sich nicht einen Zentimeter geregt hatte. Ob ihn nun der Alkohol oder die Erschöpfung so ausgeknockt hatten, darüber wollte ich nicht spekulieren, aber Regis hatte nicht Unrecht. Bald würde ganz Beauclair wissen, dass die Gefahr vorüber war und die Stadt würde zum Alltag zurückkehren. Das bedeutete gleichzeitig auch, dass die Herzogin entscheiden würde, wie sie über Syanna und Dettlaff urteilte, wobei ich mir besonders im Bezug auf Dettlaff sicher war, wie sie die Sache sah. Ohne ein weiteres Wort erhob Regis sich und stieg die Stufen der Gruft weiter hinauf. Einen Moment lang sah ich ihm nach. Bitte, flehte ich ihm im Stillen hinterher, überzeug Dettlaff. „Geralt. Geralt, wach auf“, sprach ich den schlafenden Hexer vorsichtig an. Ich wollte ihn lieber nicht im Schlaf erschrecken, sonst reagierte er womöglich noch instinktiv und schlug mich versehentlich. In seinem sonst eher einsamen Hexeralltag brauchte er solche Reflexe, das verstand ich. Ziel von ihnen wollte ich dennoch nicht werden. „Geralt“, griff ich nach kurzem Zögern aber dann doch nach der Schulter des Weißen Wolfs, als dieser auf meine Ansprache nicht reagierte. Blitzschnell schloss sich Geralts Hand um mein Handgelenk, erst dann öffnete er langsam die gelben Katzenaugen. „Morgen“, brummte er mit rauer Stimme. „Hey. Ausgeschlafen? Regis meint, ich solle dich wecken“, erklärte ich ihm. Geralt verzog das Gesicht, löste dann aber den Griff um meinen Arm und richtete sich auf. „Wo steckt er?“, wollte der Hexer wissen. Ich nickte gen Treppe. „Oben. Er spricht mit Dettlaff, denke ich. Aber wo ist eigentlich Theodor?“, erkundigte ich mich. Den bald Zeitreisenden hatte ich heute als einzigen noch nicht gesehen. Geralt schnaubte. Seine Antwort fiel kurz aus. „Weg.“ „Weg?“, wollte ich entgeistert wissen. „Wie weg? Wo ist er hin?“ Der Hexer musterte mich genervt, als habe ich der Welt dümmste Frage gestellt. „Weg. Was Vampire halt so tun. Sei lieber froh, dass er nicht noch mehr von dir erwartet“, brummelte der Weiße Wolf und erhob sich nun, um sich kurz, aber begleitet von einem hörbaren Knacken, zu strecken. „Sehen wir zu, dass wir die Herzogin mit unserer Anwesenheit beglücken. Möchte wetten, sie kann es nicht abwarten, ihren Zorn an uns auszulassen“, befand Geralt und stiefelte dann an mir vorbei gen Treppe. Um nicht allein zurückgelassen zu werden, folgte ich ihm eilig. „Sie wird Syanna vergeben“, kam ich direkt zum Punkt, als wir das Erdgeschoss der Gruft erreichten. Hier war es so dunkel, dass ich nur im anhand des durch die offen stehende Tür einfallenden Lichts überhaupt etwas erkennen konnte. „Du bist dir da ziemlich sicher“, kam es skeptisch von Geralt, der aus den Augenwinkeln zu mir sah. „Bin ich“, gab ich zurück. „Dennoch sollten wir die Beweise von den Bettlern bezüglich des geplanten Mordes an Anna Henrietta holen.“ „Mh mh“, machte der Hexer, was ich als Zustimmung deutete. „Du solltest hierbleiben. Kann mir nicht vorstellen, dass Annarietta sich darüber freut, dich zu sehen, Daelis.“ Entgeistert sah ich Geralt an, doch der fuhr bereits fort. „Pass auf, dass Dettlaff nichts Dummes tut. Regis und ich reden mit der Herzogin. Wir haben das heute Nacht bereits besprochen.“ Ich konnte es nicht fassen. Sie hatten das schon besprochen? War das deren Ernst? Sie wollten mich jetzt, wo alles erledigt war, zurücklassen. Dass ich auf Dettlaff aufpassen sollte, war doch ein billiger Vorwand. Was sollte ich auch schon tun, um ihn aufzuhalten, wenn er sich entschied, loszuziehen, um Syanna doch noch zu töten? Das war lächerlich! Vor Ärger war ich einfach stehen geblieben und musste nun kurz laufen, um zu Geralt aufzuschließen. „Nein!“, protestierte ich entschieden. Der Hexer antwortete genauso knapp. „Doch.“ „Nein. Ich komme mit“, versuchte ich, meinen Standpunkt klarzumachen. „Ich war die ganze Zeit dabei und habe mit euch Seite an Seite gekämpft. So mehr oder weniger zumindest“, lenkte ich zögerlich ein. „Ich habe ein Recht darauf, mitzukommen.“ Geralt ächzte hörbar. „Du bleibst hier“, entschied er kurzerhand, ohne auf mein Argument einzugehen. Entrüstet folgte ich Geralt aus der Gruft und über den Friedhof. Etwas abseits stand Plötze und graste entspannt, als wäre die vergangene Nacht nie geschehen. Alles hier wirkte total friedlich. Die Stadt mochte nur einen Steinwurf entfernt liegen, doch ich zweifelte nicht daran, dass die Lage dort viel weniger harmonischer war als hier. Gerade, als ich Geralt erneut widersprechen und darauf bestehen wollte, Regis und ihn zur Herzogin zu begleiten, ergriff der Hexer das Wort: „Nein. Ist auch für dich besser. Wer weiß, welches Urteil die Herzogin sonst über dich fällt.“ Missmutig verzog ich das Gesicht. Ich wusste, er hatte nicht Unrecht mit der Mutmaßung, dass Annariettas Zorn auch mich treffen könnte, aber es ärgerte mich trotzdem, ausgeschlossen zu werden. „Aber die Beweise“, begann ich dann aber doch und wurde direkt wieder unterbrochen. „Werde ich holen“, sicherte Geralt mir zu. „Wenn du Recht behältst und Syanna noch eine Gefahr darstellt, muss sie aufgehalten werden, und wenn nicht, solltest du besser keinen Ärger mit der Herzogin suchen. Sie ist nicht so eine Vampirfreundin wie du.“ Nun war ich diejenige, die abfällig schnaubte. „Sollte sie vielleicht mal überdenken. Regis und Dettlaff sind netter als die meisten Menschen.“ Wie ich den Laut, den Geralt zur Antwort von sich gab, deuten sollte, wusste ich nicht. War es ein Lachen gewesen oder doch nur ein genervtes Ächzen? „Ah, da seid ihr beide ja“, lenkte eine bekannte Stimme meine Aufmerksamkeit vom Hexer auf die beiden Vampire, die auf einem am Boden liegenden Baumstamm saßen. Regis hatte sich zu uns umgedreht und eine Hand zum Gruß erhoben. Geralt stapfte direkt auf die beiden zu. Ich folgte ihm. „Ich nehme an, du hast Daelis schon über unser Vorhaben informiert“, schloss der Barbier-Chirurg mit einem Blick in meine Richtung. Geralt antwortete nicht, aber ich nickte mit grimmiger Miene. „Hat er.“ Regis‘ Lächeln konnte kein Wässerchen trüben. „Dann sollten wir uns auf den Weg machen. Ich bin sicher, Ihre Gnaden erwartet uns bereits“, wandte er sich an Geralt, der nun genauso miesepetrig guckte wie ich. „Gehen wir“, meinte der Weiße Wolf kurzangebunden. „Denkt an die Beweise! Es ist ein Namenszettel wie die aus Dettlaffs Werkstatt“, rief ich noch, als Geralt und Regis sich anschickten zu gehen. Regis sah noch kurz überrascht über die Schulter in meine Richtung, nickte dann aber und wisperte etwas in Geralts Richtung, das ich nicht verstand. Mistkerle. Grimmig ließ ich mich neben Dettlaff auf dem Baumstamm nieder. Fragend sah er in meine Richtung. „Soll hierbleiben und auf dich aufpassen“, konnte ich mir die sarkastische Bemerkung nicht verkneifen. Dettlaff erwiderte nichts und so blieb auch ich stumm. In gewisser Weise hatte man uns beide hier abgestellt, damit wir keinen Blödsinn machten. Nichts anderes war nämlich der Hintergrund für Regis‘ und Geralts Entscheidung. Dettlaff sollte Syanna fernbleiben – ein Gedanke, den ich vollstens unterstützte – und ich sollte der Herzogin nicht weiter auf den Keks gehen, damit sie sich nicht doch noch entschied, mich für meine Frechheit und Verteidigung des Biests ins Gefängnis zu werfen. Schweigend saßen wir nebeneinander auf dem Baumstamm, während eine laue Brise an uns vorüberzog. Das Gras raschelte leise, die Baumkronen rauschten. Nichts wies auch nur im geringsten darauf hin, was für ein Blutbad in der letzten Nacht in der nahen Hauptstadt stattgefunden hatte. Während ich so in die Ferne blickte, hinaus auf die Felder in Richtung der Weingüter, konnte ich nicht anders als darüber nachzudenken, wie sehr ich mich in der kurzen Zeit an das Leben hier gewöhnt hatte. Nicht nur an die Welt selbst, sondern vor allem an die Menschen... Vampire hier. Eher die Vampire. Pure Ironie, aber die Wahrheit. Diejenigen, die mir hier am nächsten standen, waren keine Menschen, sah man von Geralt ab, obgleich der sich ja selbst gerne distanzierte und sich als Hexer klassifizierte. Und wer war ich, ihn dafür zu verurteilen? Ich konnte ihn nur zu gut verstehen. Wie er hatte ich das Gefühl, nicht in diese Gesellschaft zu passen. Ob es nun um Politik ging, um grundlegende ethische Ideale oder um ganz alltägliche Fragen wie Hygiene oder Ernährung, unterschieden sich meine Ansichten sehr von den hier gängigen. Wäre es anders, hätte ich wohl Dettlaff auch nur als Biest von Beauclair gesehen. Vielleicht hätte ich Syanna nicht vergeben können, immerhin hatte sie indirekt noch immer zwei Ritter auf dem Gewissen, deren Ermordung sie beauftragt hatte, aber sicher hätte ich in Dettlaff nur ein Monster gesehen, das seine finsteren Kreaturen schickte, um Gewalt und Tod über die Stadt zu bringen. Keiner hätte hinter diese Fassade blicken wollen. Einfach nur, weil er zufällig kein Mensch war, sondern ein Vampir. Keiner würde in Betracht ziehen, dass Vampir nicht gleichbedeutend mit Monster war. Sähen Regis, Dettlaff und die anderen höheren Vampire nicht aus wie Menschen, sie wären Ausgestoßene. Nicht, weil sie bösartig waren oder grausam, weil sie jemandem schadeten oder gar gefühllos wären. Nichts davon traf zu. Obwohl ich von Regis‘ bewegter Vergangenheit wusste, gab es doch kaum jemand sanftmütigeres und diplomatischeres als den jetzigen Regis. Und Dettlaff war alles andere als aus Vergnügen grausam, im Gegenteil. Er war eine sensible, sanfte Seele. Es war traurig, dass das niemand sehen wollte, der wusste, was sie waren. Die gleichen Vorurteile bereiteten auch Geralt Probleme. Ich hatte gesehen, wie die Leute ihn anstarrten. Seine Katzenaugen verrieten ihn, egal wohin er ging. Er würde nie eine Chance auf ein normales Leben haben, egal wie sehr er sich danach sehnte. Umso mehr wünschte ich mir für den Hexer, dass er einen glücklichen Ruhestand mit Yennefer auf Corvo Bianco fand. Dass das überhaupt möglich war, wusste er nicht, aber ich. Geralt hatte verdient, dass sein Leben sich zum Guten wendete, dass er unterwegs nicht fürchten musste, genug zu verdienen, um ein Dach über dem Kopf und etwas zu Essen bezahlen zu können. Außerdem schien es mir ein schöner Gedanke, dass auch Eskel und Lambert zum Überwintern herkommen könnten. Khaer Morhen wäre für sie alle nach Vesemirs Tod nicht mehr das Zuhause, das es einmal gewesen war. „Ich sollte gehen.“ Dettlaffs Stimme war, neben dem Trällern eines besonders enthusiastischen Vogels das einzige, das die Stille durchbrach. Dass er etwas in der Art sagen würde, hätte ich eigentlich erwarten müssen. Im Spiel war es immerhin auch so, wenn er überlebte. Wie hatte er noch gesagt? Er gehe fort, weg von den Menschen. Verständlich. Nur einem einzigen Menschen hatte er sich offenbart und geöffnet, mit fatalen Folgen. Syanna hatte zwar nicht seine Spezies verurteilt, aber sie hatte seine Gefühle für ihre Rache ausgenutzt und nicht einen Gedanken daran verschwendet, was sie Dettlaff damit antat. Wie jemand so grausam sein konnte, ging mir einfach nicht in den Kopf. Wenn Dettlaff gehen wollte, stand es mir wirklich nicht zu, ihn davon abzubringen, aber ich fand dennoch, er sollte zumindest vorher noch mit Regis sprechen. Die beiden verband eine Blutsbrüderschaft, die unter ihresgleichen viel bedeutete. Regis hatte das Geralt gegenüber im Spiel betont. „Bitte warte doch wenigstens, bis Regis zurück ist. Vielleicht begleitet er dich“, meinte ich zögerlich, doch Dettlaff schüttelte den Kopf. „Regis sollte nicht mitkommen. Er genießt das Leben unter deinesgleichen.“ Deinesgleichen. Dieses kleine Wort saß. Ich wollte mich nicht in einem Boot mit den Leuten sehen, die in Dettlaff nur das Biest von Beauclair sahen, ein schreckliches, mordendes Monster, das ausgelöscht werden musste. So war ich nicht, so wollte ich nicht sein. Hatte ich nicht bewiesen, dass eben nicht alle Menschen so waren? Natürlich wusste ich eigentlich, dass es nicht fair war, so zu denken. Dettlaff hatte so viel durchgemacht, dass er kaum einen Gedanken an solche Wortklauberei verschwenden würde. Ich sollte also nicht herumheulen, sondern mich zusammenreißen und für ihn da sein. Wütend auf mich selbst wischte ich mir über die Augenwinkel, in denen bereits Tränen brannten. Was für eine Scheiße. „Bitte gib wenigstens Regis eine Chance, sich von dir zu verabschieden“, murmelte ich leise, damit meine Stimme mich nicht verriet. Offenbar ein Versuch, den ich mir auch hätte sparen können, denn jetzt sah Dettlaff zum ersten Mal, seit ich neben ihm saß, in meine Richtung. Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Regis hat es verdient, dass du ihm nicht einfach den Rücken kehrst“, unterstrich ich meine Bitte. Nach kurzem Zögern nickte der Vampir. „Das hat er.“ Einen Moment lang schwiegen wir uns wieder an, ehe Dettlaff eine Frage stellte, auf die ich keine Antwort hatte. „Was wirst du nun tun?“ Überrascht sah ich ihn an, dann wieder in Richtung der Weinberge. „Ich habe keine Ahnung. Schätze, ich sollte einen Weg suchen, nach Hause zu kommen“, überlegte ich laut. Mein Hals fühlte sich an wie zugeschnürt, wenn ich daran dachte, alles hier zurückzulassen. Ich würde sie vermissen. Geralt, Regis, Dettlaff und die Winchesters. Die konnte ich natürlich nicht mitnehmen. Sie gehörten in die Freiheit, in freie Wildbahn. In meiner Welt wäre das undenkbar. Sie würden in irgendeinem Forschungslabor oder Zoo landen, als letzte ihrer Art, unfähig ihre Spezies zu vermehren. „Durch die Zeit voran?“, drang Dettlaffs Stimme wie durch einen Schleier an mein Ohr. Ich schüttelte den Kopf. „Es ist kompliziert. Ehrlich gesagt... ich habe keine Ahnung, wie ich hergekommen bin oder wie ich wieder nach Hause könnte. Und vielleicht wartet ja noch eine Aufgabe auf mich. Irgendjemand hat ja Theodor in der Zeit zurückgeschickt. Wenn ich das sein werde, sterbe ich vielleicht auch einfach hier, um diesen Zauber zu aktivieren.“ Dieser Gedanke war mir schon gekommen, als Theodor preisgegeben hatte, dass er in der Zeit zurückgereist war. Vielleicht war es nicht das schlechteste Ende dieser seltsamen Geschichte. Ein Mensch und ein Vampir, die ihr Leben gaben, um eine Bedrohung für beide Spezies aufzuhalten, nämlich Krul. „Denkst du, dass dich dieses Schicksal erwartet?“ Dettlaffs Frage klang naiv in meinen Ohren. Was sollte ich auch darauf antworten? Irgendjemand musste Theodor durch die Zeit zurück in den Selbstmord schicken und außer mir kannte ich bisher niemanden, der den Willen dazu hätte. Und passte es nicht irgendwie sogar ein bisschen zu perfekt, wenn ausgerechnet ich ihn zurückschickte? Dann ergäbe es auch Sinn, dass ich noch nicht hatte sterben dürfen, weil mein Leben der Preis dafür wäre, dass Theodor zurückkehren und mir hatte helfen können. Warum Theodor überhaupt bereit gewesen war, da mitzumachen, war mir zwar immer noch schleierhaft, aber für mich machte es doch irgendwie Sinn. Mich würde diese Welt nicht vermissen. Ich hatte keine Familie, keine Angehörigen, kein Zuhause. Außerdem würde ich immer anecken, solange ich hier wäre. Meine Ideale und Moralvorstellungen entsprachen einfach nicht dieser Zeit und Welt. Ich seufzte. „Vielleicht. Ich weiß nicht. Wer sonst wäre bereit, Theodor durch die Zeit zurückzuschicken?“, fragte ich, erwartete aber natürlich keine Antwort darauf. „Noch ein Leben, das Syannas Intrige und Kruls Machtgier fordern“, knurrte Dettlaff missgelaunt. „Mhmh“, machte ich nur. „Du solltest es nicht tun“, meinte der Vampir nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens. Erst wusste ich gar nicht, was er meinte. Meine Gedanken waren längst weitergedriftet. Wenn nicht ich Theodor zurückschickte, würde es niemand tun, aber da ich wusste, dass es passierte, musste es jemand in Gang setzen. Was würde mit der Zeitlinie geschehen, wenn ich es nicht täte? Oder brauchte ich es nicht tun, weil Zukunfts-Theodor aus einer anderen Zeitlinie zurückgereist war und damit seine eigene ausgelöscht hatte, um diese zu ermöglichen? All das war reine Spekulation. Ich hatte keine Ahnung, wie Zeit wirklich funktionierte. Niemand hatte das. Darum war es auch so riskant, damit herumzuspielen und ich war überzeugt, auch nur deshalb war der Preis dafür so hoch. „Du solltest es nicht tun“, wiederholte Dettlaff. „Es ist nicht deine Pflicht, die Menschen hier zu retten. Du gehörst hier ebensowenig hin wie all die anderen Wesen, die während der Kovergenz in dieser Welt gestrandet sind.“ Ein schiefes Lächeln huschte über meine Züge. „Stimmt schon. Ich gehöre wirklich überhaupt nicht hierher. Ich weiß, dass die Welt der Vampire schon ganz anders ist, als diese, aber glaub mir: Wenn du mein Zuhause sähst, du würdest deinen Augen nicht trauen“, versprach ich und lachte schließlich sogar, als Dettlaff sich mir mit offensichtlicher Neugier zuwandte. Warum eigentlich nicht? Er würde meine Welt sehr wahrscheinlich nie sehen, was also schadete es, wenn ich davon erzählte, jetzt, da er begriffen hatte, dass ich weniger durch die Zeit als vielmehr durch einen Weltenriss gereist war, wie es die Wilde Jagd tat. Insgeheim glaubte ich zwar, dass die Wahrheit noch krasser war und ich sogar in einer anderen Version der Realität und nicht nur in einer anderen Welt gelandet war. „Weißt du... wir haben zwar keine Magie, aber wir haben Technologie!“, begann ich ohne Umschweife, ehe ich die nächsten Stunden damit verbrachte, Dettlaff einen kleinen Einblick in die Welt zu geben, die ich kannte. „Also gab es bei euch keine Konvergenz“, schloss er ziemlich schnell aus meinen Erzählungen. Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Alles, was hier unter Monster oder Magie läuft, ist bei uns reine Fiktion. Meine Welt basiert vielmehr auf Wissenschaft“, versuchte ich, zu erklären. „Allerdings wäre es da, wo ich herkomme, auch nicht möglich, lange zu verstecken, wenn man kein Mensch ist. Es würde auffallen. Generell ist die Welt sehr viel enger verbunden als hier. Mit einem entsprechenden Gerät ist es kinderleicht, mit einem Menschen auf der anderen Seite der Welt zu sprechen – und so ein Gerät besitzt fast jeder!“, erklärte ich und kramte kurz in meiner Kleidtasche. Ah, mist. Das Handy lag in meiner Umhängetasche, sonst hätte ich es Dettlaff zeigen können. Nicht einmal Geralt hatte ich das kleine Wunderding offenbart. „Die Welt, aus der ich komme, ist in unendlich vielen Punkten völlig anders als diese“, schloss ich schulterzuckend. Dettlaff zog die Stirn kraus. „Aber die Menschen sind es nicht“, meinte er schließlich. Jetzt schüttelte ich den Kopf. „Nein. Es gibt grausame Menschen, freundliche Menschen, rücksichtslose, selbstlose, egoistische, altruistische, sanftmütige und gnadenlose Menschen. Ich glaube, letzten Endes ist das die Essenz der Menschheit. Wir gehören der gleichen Art an, aber wir unterscheiden uns in unserer Persönlichkeit. Genau wie Vampire auch.“ Ein kleines Lächeln huschte über Dettlaffs Züge. Eines, das ich mich nicht erinnern konnte, je zuvor gesehen zu haben. „Am Ende sind wir uns womöglich gar nicht so unähnlich“, meinte er leise und ich lächelte. „Nein, womöglich nicht.“ Kapitel 24: Stolz und Urteil ---------------------------- „Auf dem Mond?“, echote Dettlaff gerade ungläubig, als Regis sich wortlos zu uns setzte. Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie die Zeit verflog, noch, wann der ergraute Vampir zurückgekehrt war. „Ja doch, wirklich! Aber atmen kann man dort nicht und es ist auch nicht einfach, dorthin zu kommen. Außerhalb der Atmosphäre – also einer Schicht, die die gesamte Erde umfasst und dafür sorgt, dass wir nicht wahllos herumschweben – können wir nicht atmen und das Fehlen der Schwerkraft kann zu einem schlimmen Muskelschwund führen“, ereiferte ich mich. Dettlaff schüttelte den Kopf, als erzähle ich ihm Unfug. „Wie ist das nur möglich?“ „Technologie“, antwortete ich ihm triumphierend grinsend, ehe ich mich in Regis‘ Richtung wandte. „Wie lief’s? Und wo hast du Geralt gelassen?“, erkundigte ich mich bei dem Vampir. Dessen Lächeln war der einzige Grund, wieso ich nicht vom Schlimmsten ausging. Wäre Geralt von der Herzogin ins Gefängnis gesteckt worden, hätte Regis unsere Unterhaltung sicherlich unterbrochen, um uns dies mitzuteilen, damit wir uns gemeinsam einen Plan überlegen konnten, um den Hexer zu befreien. „Geralt beantwortet weiter Fragen Ihrer Gnaden. Sie ist nicht gerade erfreut darüber, dass Dettlaff entkommen ist“, erklärte Regis gelassen. Entkommen also. Damit hatten sie sich herausgeredet. Dass Annarietta natürlich erwartet hatte, Geralt brächte ihr, wie von ihr gefordert, den Kopf des Biests von Beauclair, war wohl uns allen klar. Nichts würde die Herzogin davon abbringen, Dettlaff für schuldig zu befinden, und war ich ganz ehrlich, verstand ich das sogar. Unschuldig war er sicher nicht, auch wenn er erpresst worden war und dies seine Taten erklärte. Allerdings konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass Dettlaff hier die Chance auf eine faire Verhandlung mit einem Urteil unter Berücksichtigung mildernder Umstände hatte. Rechtsprechung oblag hier offenbar im Fragefall dem hiesigen Herrscher, was besonders in diesem Fall jede Form einer objektiven Verurteilung absolut unmöglich lachte. Ich erinnerte mich zu gut daran, wie Annarietta ihrer Schwester Syanna im Spiel all ihre Taten vergeben hatte. „Wie sie jedoch letztlich urteilen wird, bleibt abzuwarten. Ich habe darauf plädiert, dass es angemessen wäre, Dettlaff aus Toussaint zu verbannen, aber nicht seinen Tod zu verlangen, weil sein Eingreifen maßgeblich dazu beigetragen hat, die Bedrohung durch Krul abzuwenden und damit die Bewohner Beauclairs zu beschützen“, fuhr Regis ernst fort, während sein Blick von Dettlaff zu mir glitt. Nachdenklich nickte ich. „Ich hoffe nur, sie wird Geralt nicht ins Gefängnis werfen“, gab ich meine Bedenken offen preis. Regis‘ Miene verzog sich, doch nur einen Augenblick. „Hältst du es für möglich?“, fragte er einfach nur. „Definitiv“, antwortete ich, ohne zu zögern. „Aber wenn es dazu kommt, kann Rittersporn sich bei Anna Henrietta für ihn einsetzen und sie gewiss davon überzeugen, Geralt freizulassen.“ Einen Moment lang sah mich Regis eindringlich an, als prüfe er, ob ich hier von einer mir bekannten, möglichen Zukunft sprach oder nur Überlegungen in Worte fasste. Dann nickte der Vampir. „Was ist mit Syanna?“ Dettlaffs Frage hatte ich erwartet, doch der drohende Unterton, in dem er sie stellte, ließ mich dennoch aufmerken. Wenngleich er bisher den Eindruck machte, als wolle er von seiner Rache absehen, war ich mir dessen doch nicht sicher genug, um nicht doch ein bisschen genauer hinzuhören, wenn es um dieses Thema ging. Offenbar ein Gedanke, den Regis teilte, denn er sah ziemlich besorgt aus, als er sich mit gerunzelter Stirn Dettlaff zuwandte. „Ihre Gnaden hat entschieden, dass Syanna begnadigt wird. Ihr wird jedoch auferlegt, für ein Jahr den Palast nicht zu verlassen, um sich auf diese Weise in ihre Rolle als Schwester Ihrer Gnaden einzufinden“, erklärte Regis mit einem leisen Seufzen. Im stand ins Gesicht geschrieben, dass er mit dieser Entscheidung nicht zufrieden war. In diesem Punkt war ich ganz bei ihm. Entgeistert starrte ich Regis an, der die Hände in seinem Schoß faltete. Dettlaffs Miene blieb steinern. Die Erste, die das brütende Schweigen durchbrach, war ich. „Ist das ihr verfickter Ernst!“, platzte es aus mir heraus. Ich versuchte gar nicht erst, zu verbergen, wie wütend mich das machte. Regis öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich fuhr unbeirrt fort. „Erst erpresst diese verlogene Schlampe sich durch, plant die Ermordung von vier Männern und ihrer Schwester“, zeterte ich wild gestikulierend, „und zur Belohnung wird sie von genau dieser Schwester jetzt in einen hohen Adelsstand gesetzt, damit sie auch ja richtig viel Einfluss in Toussaint bekommt!“ Regis und Dettlaff starrten mich beide gleichermaßen überrascht an. Da nun niemand mehr versuchte, mich aufzuhalten, wetterte ich jetzt erst recht gnadenlos weiter. „Mal ehrlich? Wer hat der bitte ins Hirn geschissen? Sieht Anna Henrietta denn nicht, was sie da tut? Glaubt sie wirklich, dass das gut geht? Wäre ich einer ihrer Berater oder ein Bewohner Toussaints, würde mir das auf jeden Fall mächtig stinken“, keifte ich, nun mit Blick in Richtung der Stadt, stellvertretend für die herzoglichen Schwestern. „Jeder andere an Syannas Stelle wäre doch garantiert zum Tode verurteilt worden. Tolle Rechtsprechung, total fair“, wurde ich nun sarkastisch und schnaubte abfällig. Regis sah mich inzwischen tadelnd an, sodass ich von selbst leiser wurde, aber dennoch murrte: „Läuft das hier immer so? Dann ist es wirklich kein Wunder, dass die Herrscher hier sterben wie die Fliegen. Vielleicht haben sie’s nicht besser verdient, als dass man ihnen einen Dolch in den Rücken jagt.“ Pikiert hüstelte Regis. „Wenngleich ich mit dieser Entscheidung durchaus auch nicht konform gehe, hätte ich nicht von dir erwartet, dass du eine derart... blumige Ausdrucksweise dafür findest. Selbst Geralt wäre beeindruckt gewesen“, amüsierte sich Regis hörbar, während sein Blutsbruder noch immer etwas verwirrt wirkte. Offenbar brauchte Dettlaff einen Moment, um mein Schandmaul zu verarbeiten. Bisher hatte ich mich, fand ich zumindest, wirklich sehr vorbildlich benommen, doch bei der Scheiße, die hier jetzt schon wieder abging, war mir einfach der Kragen geplatzt, obwohl ich ja geahnt hatte, was passieren würde. Der Teil mit dem „in die hohe Gesellschaft integrieren“ war allerdings auch für mich neu gewesen. Scheiß-Syanna, Scheiß-Annarietta. Die hatten sich wirklich verdient und wenn Syanna ihre Schwester nun doch töten sollte, hätte ich ganz bestimmt keine Gewissensbisse! „Sie ist halt ne olle Schlampe“, brummte ich leise, mich wieder beruhigend. Es war ja nicht so, als hätte ich nicht schon gewusst, dass Anna Henrietta ihrer Schwester vergeben würde. Es ärgerte mich nur trotzdem. Mich darüber aufzuregen, half allerdings auch niemandem weiter. Meine Meinung interessierte die Herzogin einen Scheiß, ganz abgesehen davon, dass sie sich die vermutlich nicht einmal anhören würde. Vor meinem inneren Auge konnte ich Syanna sehen, wie sie mir schadenfroh ins Gesicht lachte, weil sie ihrer gerechten Strafe entging und obendrein noch mit einem Adelstitel belohnt wurde. All das hätte sie auch haben können, wenn sie, anstatt diese Intrige und die Morde zu planen, ihren Arsch einfach direkt zum Palast bewegt hätte, um sich mit ihrer Schwester wieder zu vereinen. Missmutig rümpfte seufzte ich und sah dann zu Dettlaff, dessen steinerne Miene mir fast noch mehr Sorgen machte, als wäre er aufbrausend und laut geworden. Nach einigen Sekunden jedoch seufzte auch er resigniert. „Es spielt keine Rolle“, meinte der Vampir leise und schloss die Augen. Wortlos griff ich nach seiner Hand und drückte diese. Eine Geste, die auch Regis ausführte, der Dettlaffs andere Hand in seine nahm. Der ergraute Vampir und ich tauschten einen vielsagenden Blick. „Hör mal“, meinte ich schließlich, „Ich weiß, das sagt sich viel einfacher, als es ist, aber ich finde, dass Syanna es nicht verdient hat, dass du ihr noch mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmest. Sie ist es nicht wert, auch nur einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden.“ Dettlaff erwiderte nichts und auch Regis blieb stumm, sodass wir drei einfach nur schweigend beisammen saßen, Dettlaff in unserer Mitte, der dreinsah, als wüsste er nicht, wohin mit sich. Ihm stand ins Gesicht geschrieben, wie sehr ihn das ganze Geschehen noch immer peinigte und sicher noch lange peinigen würde. Wer könnte es ihm auch verübeln? Was ihm angetan wurde, trüge jeder ein Leben lang mit sich herum. „Sie hat es nicht verdient“, murmelte ich irgendwann leise. „Sie hat dich nicht verdient und dass du all das für sie bereit warst zu tun.“ Regis nickte zustimmend. „Mein Freund, was dir widerfahren ist, steht wahrlich nicht stellvertretend für alle Menschen. Geralt berichtete mir vom Fluch der Schwarzen Sonne und einer Prinzessin, die er einst traf, und die ebenfalls unter diesem Bann stand, ebenso wie Syanna“, erklärte er ruhig. Dettlaff reagierte kaum darauf. Sein Blick war auf seine Knie fixiert, auf denen auch seine Hände lagen, die Regis und ich auch jetzt noch hielten. Eine kleine Geste, doch alles, was wir im Moment für Dettlaff tun konnten. „Offenbar sind jene, die unter diesem Fluch geboren werden, einem Mutanten nicht unähnlich. Ein Zauberer, der diese Verfluchten untersuchte, habe ihm davon erzählt“, sprach Regis beruhigend weiter. „Diese Frauen neigen dazu, grausam zu sein, rachsüchtig und kaltherzig“, endete Regis schließlich mit seiner Erzählung zu Renfri. Er nannte deren Namen zwar nicht, doch ich kannte die Geschichte ja auch, wie Geralt zum Schlächter von Blaviken geworden war und das alles wegen einer Prinzessin namens Renfri, die auch unter diesem verschissenen Fluch gestanden hatte. Erst hatte sie mir leidgetan, doch dann hatte sie, genau wie Syanna, Entscheidungen getroffen, für die in meinen Augen keine Rechtfertigung gab. Es war Regis, der sich zuerst erhob. „Die Herzogin wird morgen das Urteil verkünden, doch es kann kein Zweifel bestehen, dass sie das Biest von Beauclair zum Tode verurteilen wird“, meinte er leise, doch jedes Wort schnitt, als hätte er es geschrien. Natürlich war sicher auch Dettlaff klar gewesen, dass für ihn diese Sache damit noch nicht ganz durchgestanden war, doch es zu hören, musste schlimm sein. Mich ärgerte es eher. „Tch und was will sie tun? Dettlaff einfangen und dann was? Ihn in eine Zelle sperren?“, spottete ich sarkastisch. Anna Henrietta hatte doch keine Ahnung, worauf sie sich damit einließe und wie mächtig ein höhrer Vampir war. „Möchte sehen, wie sie das versucht“, fügte ich brummig hinzu und drückte Dettlaffs Hand bestätigend. Er sollte bloß nicht auf die Idee kommen, er habe eine Strafe verdient. Vielleicht mochte das irgendwo stimmen, doch er war in erster Linie ein Opfer von Syannas Intrige gewesen, nicht nur ein Täter. Wenn Syanna so davonkam, war es doppelt unverschämt, dass Dettlaff bestraft werden sollte. Es war so absurd und so falsch. Zweifellos hatte Dettlaff für seine Entscheidung, zu töten, auch wenn er erpresst worden war, Strafe verdient, doch nicht so. Und schon gar nicht, während Syanna, diese verfluchte Intrigantin, ihren selbstgefälligen Arsch auf Seidenkissen platzierte. Bedrückt senkte Regis den Blick. Ich seufzte. „Sie wird verlangen, dass Geralt Dettlaff tötet. Wir alle wissen das. Dafür hat sie ihn ja überhaupt erst hierher beordert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dieses Mal besser zuhört, wenn Geralt versucht, ihr zu erklären, dass er das gar nicht kann.“ Dettlaff zuckte nicht einmal, während ich sprach. „Es gibt doch einen Katakan nicht unweit von hier“, fuhr ich zögerlich fort. Jetzt horchte Dettlaff auf, die Miene misstrauisch, doch ich ließ mich davon nicht aufhalten. „Er hat schon mehrere Leute getötet und er wird weitermorden. Früher oder später würde er so oder so auf Geralts Auftragsliste arbeiten. Wenn er Annarietta seinen Kopf brächte...“ Ich beendete meinen Satz nicht, doch sicher war beiden Vampiren klar, was ich damit implizieren wollte. Wenn es uns gelang, der Herzogin vorzugaukeln, Geralt habe den Job erledigt, würde es keine weitere Hetzjagd gegen Dettlaff geben und der Hexer würde auch nicht Ziel des Zorns der Herrscherin. Alle wären glücklich und das Volk würde sich auch wieder sicher fühlen, wenn die Herzogin verkündete, das Biest von Beauclair wäre tot. In meinen Augen war das nicht einmal gelogen. Das Biest von Beauclair war ein Geschöpf gewesen, das aus Syannas Intrigen geboren worden war und nur durch sie am Leben gehalten und wenn es noch jemanden gab, den man als Biest von Beauclair bezeichnen konnte, dann wohl Syanna, nicht Dettlaff! „Niemand wird für mich sterben“, zischte Dettlaff plötzlich neben mir. Er funkelte mich wütend an, doch als ich von ihm zu Regis sah, war ich mir sicher, dass zumindest Regis meinen Vorschlag guthieß. „Hör mal“, versuchte ich es beschwichtigend. „Für diesen Katakan gibt es bereits einen Aushang. Geralt wird ihn früher oder später jagen, definitiv. Aber sein Tod kann etwas Gutes bewirken und dafür sorgen, dass niemand mehr nach dir sucht und die Bewohner der Stadt sich nicht länger vor einem Monster fürchten, das es gar nicht gibt“, argumentierte ich betont ruhig. „Wir müssen das nicht jetzt entscheiden, aber... wir sollten es nicht auf die lange Bank schieben. Anna Henrietta wird ziemlich sicher bereits wettern und fluchen, damit Geralt die Jagd beginnt, egal, was der sagt. Sie ist niemand, der einfach vergibt und es fällt ihr leichter, die Schuld in einem Fremden zu sehen als in ihrer Schwester“, seufzte ich leise und spürte, wie dieses Mal Dettlaff meine Hand drückte. Besonders, wenn dieser Fremde in ihren Augen allein durch seine Spezies ein Monster war, fügte ich in Gedanken hinzu, sprach die Worte aber nicht aus. Abrupt stand nun auch Dettlaff auf, sodass ich seinem Beispiel folgte. Regis warf einen Blick über die Schulter über den Friedhof, dann sah er zu Dettlaff, schließlich zu mir. „Vielleicht solltest du deinen Vorschlag Geralt unterbreiten. Ich könnte mir vorstellen, dass er den Autrag, das Biest von Beauclair zu jagen, abgelehnt hat“, sinnierte Regis mit dem Anflug eines Lächelns. Gerne hätte ich ihm zugestimmt, doch ich schüttelte den Kopf. „Die Wahl wird er wahrscheinlich nicht gehabt haben. Aber ich bin sicher, wir können ihn davon überzeugen, sich des Katakans anzunehmen. Die Belohnung, die die Herzogin ausgesetzt hat, ist bestimmt stattlich und als Hexer kann er die doch sicher gut gebrauchen“, versuchte ich, etwas Positives an alledem zu sehen, während Regis und Dettlaff beredte Blicke tauschten, die ich nicht zu deuten wusste. Was immer sie über ihre Blutsbande verband und ihnen ermöglichte, sich auch ohne Worte zu verstehen, es schloss mich aus. „Wir ziehen uns vorerst zurück. Es ist besser, wenn in Beauclair erst einmal Ruhe einkehrt“, ließ mich Regis schließlich teilhaben. Dettlaff schwieg und wich meinem Blick aus. Ich nickte und schluckte schwer. Dann hieß es nun wohl Abschied nehmen. Vielleicht käme Regis zurück, aber ich glaubte nicht, dass das auch für Dettlaff galt. Und selbst wenn sie beide wiederkämen, wann wäre das? In zehn Jahren? In zwanzig? Für ihresgleichen war das kein so unendlich langer Zeitraum, doch für mich sah das anders aus. Wer wusste schon, wo ich in zehn Jahre wäre und was ich dann täte? Vielleicht wäre ich dann auch gar nicht mehr hier, sondern hätte einen Weg zurück nach Hause gefunden. Wobei ich inzwischen gar nicht mehr wusste, ob das wirklich das Beste wäre. Wie lange war ich nun hier? Ein halbes Jahr? Mir schien es unendlich viel länger, weil so viel passiert war. Ich hatte mich an das Leben hier gewöhnt, wenn ich auch überall mächtig aneckte. Zurück in die Moderne zu gehen, wäre erstmal ein ziemlicher Kulturschock. Und ich würde sie vermissen, diejenigen, die mir hier ans Herz gewachsen waren. Nicht nur Regis und Dettlaff, sondern auch Geralt und natürlich die Winchesters. „Passt auf euch auf, ja?“, bat ich die zwei Vampire. „Natürlich. Bis bald, erwiderte Regis mit einem milden Lächeln, ehe sich erst Dettlaff, dann er in Nebel auflösten, während mir nur blieb, den beiden Rauchschwaden nachzusehen. Kaum waren die zwei Vampire davongerauscht, hörte ich auch schon Geralts Stimme. „Wusste nicht, dass ich so einschüchternd bin“, kommentierte er trocken, als er die letzten Schritte herantrat, um neben mir stehen zu bleiben. Eine Weile lang sah er einfach nur in die Richtung, in der der Rauch verschwunden war. Der Ausblick auf die Felder war wirklich schön, doch so richtig genießen konnte ich es heute nicht. Regis‘ Worte hatten mir zwar Hoffnung gemacht, dass er zurückkehren würde, doch ich wollte keine zu hohen Erwartungen haben, um nachher nicht enttäuscht zu sein. Mit einem schweren Seufzer wandte ich mich Geralt zu. „Wie lief’s bei den Bitches?“, fragte ich ihn direkt ohne Umschweife. Fragend hob der Hexer eine Braue. „Bitches? Das ist dann wohl eine Beleidigung aus deiner Zeit“, brummte er, grinste dann jedoch. Oh je, was brachte ich ihm hier nur bei. „Also?“, hakte ich nach, um davon abzulenken. Geralt musterte mich kurz, antwortete jedoch nicht. Ungeduldig stemmte ich die Hände in die Seiten. „Ach komm“, ergriff ich wieder das Wort. „Lass mich raten: Anna Henrietta will, dass du ihr Dettlaffs Kopf bringst, richtig?“ Eigentlich hätte Geralt gar nicht antworten brauchen, ich konnte die Antwort in seinem Blick sehen. Klar hatte sie das. „Ein Nein hat sie wohl nicht akzeptiert“, fuhr ich fort, als Geralt nichts erwiderte. Ein bisschen genervt sah er schon aus. „Du weißt also schon alles“, bemerkte er kurz angebunden. „So ähnlich“, meinte ich ausweichend, „aber vielleicht habe ich eine Lösung für das Problem Anna Henrietta. Wenn du keine Ergebnisse bringst, wird sie bestimmt nicht gnädig mit dir sein.“ Geralts Miene verzog sich kurz, er verschränkte die Arme, sagte jedoch nichts, sondern sah mich nur abwartend an. Triumphierend grinste ich und eröffnete ihm meinen Plan. Der war zugegeben nicht wirklich mein Verdienst, weil er auch im Spiel eine Rolle spielte, aber das war im Moment nicht weiter wichtig. Wichtiger war vielmehr, dass es funktionieren würde. Nicht einmal Syanna könnte den transformierten Dettlaff von einem Katakan unterscheiden. Wir könnten sie also beide täuschen. „Regis und Dettlaff?“, fragte Geralt schließlich. „Sind gegangen. Aber ich kann dir nicht sagen, wohin oder wie lange“, antwortete ich schulterzuckend. „Was hast du jetzt vor? Willst du erstmal nach Corvo Bianco?“, wollte ich von dem Hexer wissen. „Mal sehen“, erwiderte er vage. „Und du, Daelis?“ „Ich? Äh...“ Ich stutzte. Darüber hatte ich mir noch nicht weiter Gedanken gemacht. Zumindest nicht so richtig. „Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Vielleicht lässt du mich ja für dich auf deinem Weingut arbeiten?“, schlug ich halb ernst, halb im Scherz vor. „Ansonsten würde ich natürlich gerne Regis und Dettlaff helfen, aber ich glaube nicht, dass die beiden ausgerechnet einen Menschen dabei haben wollen, wenn sie ihre Vampirgespräche führen.“ Geralt gab ein leises Geräusch von sich, das an ein Lachen erinnerte. Gespielt beleidigt stieß ich ihm in die Seite. „Guck nicht so. Ich versuche ja, meinen Platz zu finden. Also, wie sieht’s aus? Du kannst doch bestimmt wen brauchen, der den armen Barnabas-Basilius unterstützt“, zwinkerte ich in Geralts Richtung. Der Hexer ächzte nur leise. „Dich werd ich wohl echt nicht mehr los.“ „Blödmann.“ Gemeinsam holten wir die Winchesters aus der Gruft, die inzwischen wach und putzmunter waren. Dean kam uns bereit an der Treppe entgegen, aufgeregt krächzend, bevor er und sein Bruder beide um Geralt und mich herumsprangen wie zwei Hundewelpen. Zwei sehr große Hundewelpen, denn sie konkurrierten mittlerweile locker mit einem Husky, wenn es um die Größe ging. „Solltest die beiden langsam loswerden“, hörte ich Geralt leise murren, doch er beschwerte sich nicht, als wir gemeinsam nach Corvo Bianco ritten. Während ich hinter Geralt auf Plötzes Rücken saß, flogen Sam und Dean hinter uns her. „Wenn du also weißt, was die Herzogin von mir verlangt“, begann Geralt nach einer Weile unvermittelt, „weißt du auch, wie diese Nummer weitergeht.“ Er warf einen Blick über die Schulter zu mir und nickte. „Ja. Du solltest ihr den Kopf des Katakans bringen, glaub mir. Was passiert, wenn du das Biest nicht töten kannst und ihr das erzählst, würde dir nicht gefallen“, erklärte ich ausweichend. Bisher hatte ich nie etwas ausplaudern können, das noch nicht passiert war, darum versuchte ich es auch jetzt gar nicht erst. Ich hoffte ja eh, dass Geralt meinen Vorschlag annahm und ihm damit erspart blieb, einige Wochen im Gefängnis von Toussaint zu schmoren, bevor ihn Rittersporn auf Regis‘ Bitten hin da rausholte. Geralt brummte nur leise, dann wechselte er das Thema. „Werd dich bei Marlene und Barnabas-Basilius absetzen. Die werden schon was für dich zu tun finden.“ „Danke, Geralt. Du wirst es nicht bereuen. Aber eine Sache ist da noch...“, begann ich und konnte förmlich sehen, wie der Hexer mit den Augen rollte, wenngleich ich nur auf seinen Hinterkopf starrte. „Bitte stell Kontakt zu Yennefer her, wegen dieser Zeitreisegeschichte. Wenn ich es sein werde, die Theodor in der Zeit zurückschickt, kann ich vorher jede Unterweisung in Magie gebrauchen, die ich bekommen kann“, bat ich, doch Geralt schnaubte nur und meinte: „Du wirst es nicht sein.“ „Wies kannst du dir da so sicher sein, Geralt? Irgendwer muss es tun und da wir nun wissen, was der Preis für einen solchen Zauber ist“, protestierte ich sofort, doch der Hexer schnitt mir das Wort ab. „Theodor hat das Buch mitgenommen, um die Zauberin aufzusuchen, die ihn zurückschicken wird. Du bist es nicht“, brummte er, als wäre das völlig selbsterklärend. Entgeistert starrte ich ihn an, auch wenn er es nicht sehen konnte. „Was...?“ Verdammt, ich hatte wirklich nicht darauf geachtet, ob das Buch noch da war. Wie konnte ich nur etwas so dermaßen Wichtiges vergessen? Ja, ich war zweifellos übermüdet und etwas neben der Spur, aber ausgerechnet das Zauberbuch nicht mehr auf dem Schirm zu haben, war wirklich peinlich. Außerdem erklärte das alles noch immer nicht, wie diese Sache sich nun auflösen sollte. Es war einfach total naheliegend und logisch, dass ich den Zauber wob, der Theodor zurückschickte. Das passte einfach perfekt zusammen. Es hätte erklärt, wieso er ausgerechnet zu mir kam, um mir das Buch zu geben, und, wieso ich überhaupt hier war. Zugegeben war der letzte Punkt allein meine Interpretation, doch etwas Besseres hatte ich nicht. „Aber wer tut es dann? Wieso sollte jemand bereit sein, sein Leben dafür zu opfern?!“ Der Hexer vor mir schwieg einfach. Aufgeregt griff ich ihm an die Schulter. „Geralt! Wer tut es!?“, verlangte ich zu wissen, doch eine Antwort erhielt ich nicht, gleich wie sehr ich darauf pochte, es wissen zu müssen. Als wir Corvo Bianco erreichten, erwartete Marlene uns schon. „Herr Geralt, wir haben Euch schon erwartet“, begrüßte sie zuerst Geralt, ehe sie mich einer Musterung unterzog. Da ich noch immer das gleiche Kleid trug wie während des Angriffs und obendrein darin geschlafen hatte, machte ich wohl nicht den allerbesten Eindruck. Der Stoff war schmutzig und knittrig, womit er in etwa so aussah, wie ich mich fühlte. „Lady Daelis, nehme ich an?“, begrüßte mich die alte Frau, deren Anblick mein schlechtes Gewissen sofort schürte. Während der ganzen Geschichte hatte ich keinen Gedanken an sie verschwendet. Dass Geralt das Rätsel um ihren Fluch dennoch gelöst hatte, freute mich natürlich, aber ich bereute trotzdem, ihm nicht vorher einen Tipp in diese Richtung gegeben zu haben, um sicherzustellen, dass Marlene überlebte und nicht den Tod durch Geralts Silberklinge fand. „Dann kommt doch erst einmal rein, ihr Lieben. Ihr seht hungrig aus“, scheuchte Marlene uns schon fast, als ein junger Mann herantrat, der unsicher neben Plötze innehielt. Geralt nickte ihm knapp zu, ehe er absaß und dann mir aus dem Sattel half. Derweil hatte uns auch Barnabas-Basilius bemerkt. Der Haushofmeister trat gerade aus der Tür, als mich Geralt auf dem Boden absetzte. Mit einem Kreischen landete nun auch Dean neben mir, während Sam weiter in der Luft seine Kreise zog und damit den jungen Mann, der jetzt nach Plötzes Zügeln griff, sichtlich verunsicherte. „Herr Geralt, Dame Daelis. Es erfreut mich, Euch unversehrt und wohlauf in Corvo Bianco zu begrüßen“, wandte er sich mehr an Geralt als an mich. „Wenn Ihr erlaubt, werde ich der Dame das Bad vorbereiten.“ Geralt brummte zustimmend, erhob dann aber doch das Wort. „Ziemlich was los hier heute“, bemerkte er, was Barnabas-Basilius dazu veranlasste, seine Haltung zu straffen. „Angesichts des Massakers der vergangenen Nacht und Eurer bedeutenden Rolle dabei, dem ein Ende zu setzen, habe ich mir erlaubt, eine kleine Feierlichkeit zu planen, um Euren Sieg gebührend zu ehren.“ Geralts Ächzen ignorierten wir tatsächlich alle geflissentlich. Marlene tat, als habe sie es nicht gehört und wandte sich mir zu, während Barnabas-Basilius berichtete, dass es auf das Anwesen keine Angriffe gegeben hatte und es darüber allerlei Gerüchte unter den Bediensteten gab. „Komm Liebes, wir sorgen erst einmal dafür, dass du dich waschen kannst und besorgen dir etwas Sauberes zum Anziehen“, meinte die alte Frau, als sie eine Hand auf meinen Rücken legte und mich auf diese Weise in Richtung des Hauptgebäudes schob. Als Sam nun auch landete, um wie sein Bruder neben mir herzulaufen, schmunzelte Marlene nur. „Von Euren Begleitern haben wir hier auch schon gehört. Was waren sie noch gleich?“ „Greifen“, antwortete ich perplex. „Sie äh... sie wachsen noch“, fügte ich dann etwas unsicher hinzu, doch auch jetzt blieb Marlene gelassen und lachte nur leise. „Dann sollten wir die kleinen Schätze wohl besser auch gleich füttern.“ Eines musste ich ihr lassen: Sie war wirklich nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. „Gleiches gilt allerdings auch für Euch. Ihr seht erschöpft aus. Ich werde Euch eine gehaltvolle Suppe machen. Dann fühlt Ihr Euch gleich besser“, plauderte die Erbin von Trastamara gut gelaunt weiter. „Duz mich doch einfach, ja?“, unterbrach ich sie, ehe Marlene weitersprechen konnte. Die alte Frau stutzte, lächelte dann aber. „Ich heiße Marlene. Willkommen auf Corvo Bianco.“ Marlene sollte absolut Recht behalten. Schon als ich aus der hölzernen Wanne stieg, fühlte ich mich wie neu geboren. Zwar konnte ich mich nicht gerade für das vermutlich als hübsch geltende Kleid begeistern, das mir Marlene rausgelegt hatte, doch ich schlüpfte ohne zu Murren in das dunkelgrüne Kleidungsstück, allein schon, weil es nicht vor Dreck starrte und nach Schweiß und Blut stank. Schon als ich das Bad verließ, konnte ich hören, dass draußen irgendetwas vor sich ging. „Ah, sehr hübsch. Es passt also“, lenkte Marlene meine Aufmerksamkeit vom Fenster auf sich. Verdattert nickte ich. „Ja, Dankeschön fürs Leihen.“ Marlene winkte ab. „Behalt es nur, Liebes. Jetzt komm erstmal mit nach draußen. Die Männer haben schon Bänke aufgestellt und das Essen ist auch gleich soweit.“ Ohne eine Erwiderung abzuwarten, schob sie mich auch schon in Richtung der Eingangstür. Auf dem Hof standen tatsächlich schon mehrere Tische und Bänke sowie eine Handvoll einfacher Schemel, auf denen einige Leute saßen, wohl die Bediensteten Corvo Biancos. Mehrere Flaschen standen auf einem Tisch und zwei Männer stießen gerade mit ihren Humpen an. Mittendrin entdeckte ich Geralt, der nicht so richtig aussah, als wäre er in Feierstimmung. Zu seinen Füßen lagen Dean und Sam, die sich am allgemeinen Tohuwabohu überhaupt nicht zu stören schienen. „Hey“, sprach ich den Hexer an, als ich mich neben ihm auf der Holzbank niederließ. „Sind ja alle mächtig gut gelaunt hier.“ Geralt brummte leise. War ja mal wieder typisch. Dann machte ich wohl den Alleinunterhalter. „Was ziehst du so eine Schippe? Es gibt doch wirklich guten Grund zu feiern. Wir haben alle überlebt, Krul ist bezwungen, Dettlaff und Regis in Sicherheit“, versuchte ich, Geralt aus der Reserve zu locken, der mich nun mit erhobener Braue ansah. Ich seufzte. Es war ja nicht so, als verstünde ich nicht zu gut, was sein Problem war. Nicht nur, dass Theodor sich opfern würde, wenngleich das Geralt vermutlich noch relativ egal war, es waren auch viele Menschen in der vergangenen Nacht gestorben und ein Zauberer würde es auch noch, um Theodor in der Zeit zurückzuschicken, damit er für mich sterben konnte. „Zerbrich dir nicht das Hirn. Krul war ein Vampirproblem“, brummte Geralt gerade laut genug, dass ich ihn verstehen konnte, aber leise genug, damit niemand versehentlich mithörte. „Ist nur gerecht, wenn ein Vampir dafür den Kopf hinhält. Du hast genug getan.“ Sah man mir so einfach an, was ich dachte? Scheinbar. Ich wusste, er meinte es gut, doch so richtig konnte er meine Zweifel damit nicht zerstreuen. „Vielleicht hast du Recht“, gab ich zu. „Aber dennoch...“ „Nein, Daelis. Kein dennoch. Hexer werden wenigstens dafür bezahlt, ihr Leben zu riskieren, um Monster zu töten. Du nicht. Dass du überhaupt noch lebst, grenzt an ein Wunder. Obendrein steht ein ziemlich mächtiges Wesen tief in deiner Schuld, so wie ich das sehe“, unterbrach Geralt mich harsch. Entgeistert starrte ich ihn an. „Ach? Theodor vielleicht? Wohl kaum“, gab ich sarkastisch zurück und ließ die Schultern hängen. Geralt schüttelte nur seufzend den Kopf. „Trink was und feier lieber. Es ist vorbei und du kannst es nicht ändern. Sei froh, dass so viele überlebt haben“, ächzte der Hexer und schob mir im gleichen Zuge seinen Humpen zu, an dem ich nur kurz schnupperte. Bier. Angewidert verzog ich das Gesicht und schob das Gefäß zurück. „Bleh, lass gut sein“, wehrte ich ab und erntete damit ein herzhaftes Lachen seitens Geralt, der demonstrativ einen Schluck aus seinem Humpen nahm. Epilog: Aus der Ferne --------------------- Letzte Sonnenstrahlen erhellten noch die Wolken am Horizont, während die Nacht über Corvo Bianco hereinbrach. Geralt und ich hatten die letzten Stunden damit zugebracht, uns anzuschweigen, nachdem ich ihm das Versprechen abgerungen hatte, der Herzogin einen falschen Kopf als Beweis für Dettlaffs Tod zu bringen. Trotz meiner Bohrerei hatte der Hexer mir allerdings nicht verraten, wer seiner Meinung nach den Zauber wirken würde, der Theodor in der Zeit zurückschickte, damit er uns die nötigen Informationen bringen konnte, die wir benötigten, um Krul aufzuhalten. Irgendwann hatte ich es dann einfach aufgegeben und hingenommen, dass Geralt sein Bier spannender fand als die Aussicht, meine Fragen zu beantworten. Stattdessen genossen wir beide den Sonnenuntergang und die kleinen Küchlein, die uns Marlene zusammen mit dem Hinweis, wir sollten nicht zu lange hier verweilen, sonst würden wir uns noch verkühlen. Was mich anging, stimmte ich ihr dazu, doch Geralt mit einer Erkältung konnte ich mir nur schwer vorstellen. Dennoch nickte auch der Hexer nur brav ob Marlenes mütterlicher Mahnung. Anfangs hatten sich Dean und Sam noch kreischend über den Vorplatz gebalgt und damit die Angestellten Corvo Biancos kräftig erschreckt, doch irgendwann war den Greifen das zu langweilig geworden und sie hatten ihre Runden über dem Anwesen gedreht. Als sie wiederkamen, trug Dean eine dicke Bisamratte im Schnabel, die er stolz vor meine Füße legte. Geralt entlockte das ein leises Glucksen. „Vielleicht sind die Viecher doch nützlich“, kommentierte der Hexer trocken. Ich warf Geralt einen finsteren Blick zu. „Sie sind entzückend. Auch dann, wenn sie kein Ungeziefer fangen“, bekräftigte ich, ehe ich mir die Ratte besah. Mit den Tieren an sich hatte ich kein Problem, doch halb zerkaut und mit heraushängenden Gedärmen war die riesige Ratte nicht unbedingt besonders appetitlich. Dass ich von dem kleinen Geschenk nicht so richtig angetan war, schienen die Winchesters nicht wirklich zu merken, denn besonders Dean stieß mich mehrmals an, um meine Aufmerksamkeit vollends auf das tote Tier zu lenken. Seufzend strich ich erst den beiden Greifen durchs Gefieder. „Das habt ihr gut gemacht“, lobte ich sie und schickte zugleich ein stummes Stoßgebet zum Himmel, dass sie nicht allzu bald von Bisamratten auf größere beute umsteigen würden. Wenn sie anfingen, Schafe oder Ziegen zu reißen, würde sich bestimmt niemand mehr über ihre Jagderfolge freuen. „Meinst du, wir sehen Regis und Dettlaff nochmal wieder?“, meinte ich nach einer Weile einfach in die Stille hinein. Die einzige Reaktion, die ich Geralt damit entlocken konnte, war ein gutturales Brummen, das alles oder auch nichts bedeuten konnte. Was hatte ich auch anderes von ihm erwartet? Gesprächig war der Hexer nun einmal wirklich nicht. Umso überraschter war ich, als ich doch noch eine Antwort auf meine Frage erhielt, wenngleich von anderer Stelle. „In der Tat.“ Überrascht wandte ich meinen Blick in Richtung des Sprechenden. Regis‘ Züge zierte ein Lächeln. Ich hatte ihn und Dettlaff, der einem Schatten gleich hinter Regis stand, nicht kommen sehen. „Regis! Dettlaff! Ich dachte...“, begann ich verdattert, beendete meinen Satz jedoch nicht. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es verfrüht wäre, überstürzt aufzubrechen“, erklärte Regis mit einem vielsagenden Schmunzeln, das ich nicht so richtig zu deuten wusste. Mein Blick wanderte zu Dettlaff, doch dessen steinerner, fast verbissen anmutender Miene, konnte ich noch weniger entnehmen, was Regis andeuten wollte. „Machts euch bequem. Hole uns noch was zu trinken“, brummte Geralt und erhob sich. „Lass mich dich begleiten, mein Freund. Es gibt da eine Sache, die ich ohnehin noch mit dir besprechen wollte.“ Ob er Geralt auch nochmal nach dem Katakan fragen wollte? Ich hoffte es, sagte aber nichts, als der Vampir dem Weißen Wolf ins Haus folgte. Wortlos nahm Dettlaff neben mir Platz. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er einfach schweigen würde, bis Regis und Geralt wiederkamen, doch der Vampir überrascht mich, indem er die Stille durchbrach. „Ich habe versäumt, dir für alles zu danken, was du getan hast“, meinte er und klang dabei, als habe er sich diese Worte schon eine ganze Weile zurechtgelegt, korrigierte sich dann aber und meinte: „Was du für mich getan hast, obgleich ich dir ein Fremder war.“ Ich runzelte die Stirn, nickte dann aber, bevor ich den Kopf schüttelte. „Nicht so fremd“, widersprach ich mit einem schiefen Grinsen. „Aber gern geschehen. Ich würde es jederzeit wieder tun. Es war das Richtige.“ „Das Richtige“, wiederholte Dettlaff leise, fast seufzend, also nickte ich bekräftigend. „Ja. Es ist nicht deine Schuld, was passiert ist. Jeder, der jemals geliebt hat, würde verstehen, wieso du getan hast, was du getan hast. Für unsere Lieben würden wir eben alles tun.“ Im Grunde wiederholte ich mich, aber ich schätzte, es würde noch lange dauern, bis meine Worte Dettlaff wirklich begreiflich würden. Wie sehr die Schuldgefühle an ihm fraßen, hatte man ihm Spiel kaum mitbekommen, sehr wohl aber seinen Zorn auf alle Menschen. Und all das nur wegen Syanna. Alles nur, weil sie ihre Rache über alles gestellt hatte, gleichgültig ob der Gefühle, die sie damit ausnutzte. Auch jetzt noch kochte in mir etwas hoch, wenn ich nur daran dachte, dass diese verdammte Intrigantin jetzt gemütlich in einem kuschelweichen Bett lag und sich den Tag über mit Leckereien hatte verwöhnen lassen, die man ihr im herzoglichen Palast kredenzte, während alle Schuld auf Dettlaff geschoben wurde, als sei der ein wahllos mordendes Ungeheuer. „Ihr Menschen seid wirklich so unterschiedlich, wie es nur geht“, sinnierte Dettlaff, nachdem er mich eine Weile einfach nur angestarrt hatte, als überlege er angestrengt, wie er seine Gedanken in Worte fassen sollte. Ich grinste, ohne zu zögern. „Angesichts des Vergleichs werte ich das als großes Kompliment.“ Dass sein Angelpunkt dabei noch immer Syanna war, war ja nicht schwer zu erraten und mit ihr nicht auf eine Ebene gestellt zu werden, konnte ich nur als etwas Gutes empfinden. Ob mein Einwirken letztlich dazu geführt hatte, dass Dettlaff sich nicht für lange Zeit von allen Menschen abkapselte, sondern ihnen vielleicht doch noch eine Chance gab, würde wohl erst die Zeit zeigen. Zumindest gab es Grund zu hoffen. „Mach dir nicht so viele Gedanken darum, Dettlaff. Genauso wenig wie alle Vampire gleich sind, sind alle Menschen gleich. Und dabei würde ich noch immer unterschreiben, dass die meisten Menschen einfach kacke sind“, bemerkte ich trocken, bevor ich dem Vampir freundschaftlich die Schulter tätschelte. „Es ist nicht immer einfach, aber wenn man dran bleibt, findet man die wenigen, die es wert sind, dass man ihnen vertraut und sich ihnen widmet.“ Dettlaffs Miene verfinsterte sich kurz, dann hellte sie sich auf und er nickte. Genau in diesem Moment kehrten auch Geralt und Regis zurück, bewaffnet mit mehreren Flaschen aus dunklem Glas und einem Tonkrug, über dessen Inhalt ich vielleicht lieber nichts Genaues wissen wollte. Zu meiner Erleichterung drückte Geralt mir wortlos einen Holzbecher in die Hand, aus dem zwar ein süßer Geruch aufstieg, der mich jedoch nicht an Wein erinnerte. „Und worauf trinken wir?“, wandte sich Geralt an unsere illustre Runde, die einen Moment lang beredt schwieg, ehe Regis meine. „Trinken wir auf den Abend eines ruhigen Tages. Auf dass weitere folgen mögen.“ Der Vampir ließ sich von Geralt aus einer der Flaschen einschenken und wartete geduldig, bis auch Dettlaff und der Hexer versorgt waren, ehe er seinen Becher hob. „Auf den Abend“, brummte Geralt einstimmend. Mit einem hölzernen Klicken stießen unsere Becher gegeneinander. Gerade, als ich vorsichtig probieren wollte, was mir der Hexer da gegeben hatte, entglitt mir dieser. Erschrocken schrie ich auf und Sam fiel sofort mit ein. Sein Kreischen übertönte mich sogar noch. Ich hatte mich jedoch nicht wegen des verschütteten Getränks, sondern wegen des Anblicks meiner eigenen Hand, die halbdurchsichtig geworden war. Wann oder wieso, wusste ich nicht einmal, aber ich hätte schwören können, noch eine Sekunde vorher war alles in bester Ordnung gewesen, wenngleich ich auch jetzt nichts Seltsames spürte. Panisch hob ich auch die andere Hand, um sie zu begutachten. Auch durch sie konnte man hindurchsehen, als wäre mein Körper plötzlich aus einer Art milchigem Glas. „Was hat das zu bedeuten?“, verlangte Dettlaff zu wissen, der mich genauso entsetzt ansah, wie ich mich fühlte. Eine Antwort auf seine Frage hatte ich allerdings nicht und so überrascht wie auch Regis und Geralt dreinsahen, ging es ihnen nicht anders. „Der Kristall“, brummte der Hexer schließlich und lenkte damit auch meine Aufmerksamkeit auf das funkelnde Kleinod, das schon seit Beginn meiner seltsamen Reise an meinem Hals baumelte, und jetzt in hellem Licht strahlte. Verwirrt versuchte ich, danach zu greifen, und fasste doch einfach hindurch. „Nicht!“, flehte ich das Schmuckstück an. „Diese Vampire sind meine Freunde. Es gibt keinen Grund, irgendeinen Zauberkrams zu starten!“ Bisher hatte es doch auch nie auf Regis und Dettlaff reagiert! Warum spann das Teil denn nun auf einmal herum? Deans aufgeregtes Kreischen zerriss die Luft und übertönte, was immer der Hexer noch sagte völlig, doch Regis nickte mit ernster Miene, bevor sein Blick mich fixierte. „Gib auf dich acht und hab Dank für alles, was du für uns getan hast“, meinte Regis, der nun fast bedrückt, aber nicht länger beunruhigt wirkte. Sein Blutsbruder hingegen teilte diese Ruhe nicht, sondern versuchte, nach meinem Arm zu greifen. Vergeblich. Mein Blick suchte den des ergrauten Vampirs, dann Geralts und schließlich Dettlaffs. Regis‘ Worte ließen keinen Zweifel daran, was er glaubte, das hier geschah. Ich kehrte heim. Meine Aufgabe hier war erledigt. Der Kristall brächte mich zurück in meine Welt. Meine Gedanken rasten. Aber wer würde dann den Zauber für Theodor wirken? Darauf würde ich wohl nie eine Antwort erhalten, denn ich konnte dabei zusehen, wie meine Arme und überhaupt mein gesamter Körper mit jeder Sekunde durchsichtiger wurden. „Passt auf euch auf! Macht keinen Unfug! Und bitte achtet auch auf die Winchesters!“, bat ich so hastig, dass ich dabei über meine eigenen Worte stolperte, doch meine Freunde schienen auch so verstanden zu haben. Geralt nickte mir zu, stutzte jedoch, als ich fortfuhr. „Heirate Yen! Heirate Yen, hörst du?! Tu es, solange sie dich noch will!“ Entgeistert starrte der Weiße Wolf mich an, doch als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, kam ihm Dettlaff zuvor. „Ich werde nicht vergessen, in welcher Schuld ich stehe und ich werde sie eines Tages begleichen.“ Energisch schüttelte ich den Kopf. Nach meinem Empfinden gab es keine Schuld zwischen uns und ich wollte auch nicht, dass Dettlaff glaubte, mir gegenüber etwas gutmachen zu müssen. Der Vampir ließ sich jedoch nicht beirren oder wenigstens glaubte ich das, denn was er als Nächstes sagte, verstand ich nicht. Er sprach in einer Sprache, die ich noch nie gehört hatte, mich aber entfernt an Russisch erinnerte. Die Silben klangen hart, doch ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass ihre Bedeutung voller Wärme war, wenngleich ich kein Wort verstand. Regis‘ Miene zeichnete ein Lächeln, während Geralt ähnlich irritiert dreinsah wie ich. Lange Zeit, uns zu wundern, blieb uns allen jedoch nicht. Meine Hände waren inzwischen unsichtbar geworden und ich hatte das Gefühl, zu schweben, denn den Boden unter meinen Füßen konnte ich nicht länger spüren. „Ich hab euch lieb. Lebt wohl“, wisperte ich erstickt, als mir nun die Tränen in die Augen stiegen. Regis sagte noch etwas, doch ich hörte die Worte schon nicht mehr, da hüllte mich das gleißende Licht des Kristalls ein, riss mich hinfort und tauchte abrupt alles in unendliche Schwärze. Blinzelnd öffnete ich die Augen. Wo ich war, erkannte ich sofort und doch fühlte es sich absolut surreal an. Ich war Zuhause, zurück in der Welt, in die gehörte. Genau genommen in meinem Bett. Ungläubig sah ich mich um und brauchte nur wenige Sekunden, um die Nässe auf meinen Wangen zu bemerken. War alles nur ein Traum gewesen? Hatte ich mir all das nur eingebildet? Prüfend sah ich meine Hände an, als könnten sie mir darauf Antwort geben, doch kein Staubkorn ließ ahnen, dass ich je irgendwo anders als in meinem Bett gewesen war. Keine Spur von irgendwelchen Kratzern oder Blessuren, die ich nach meinen Erinnerungen in den letzten Tagen davongetragen hatte. Wie von selbst glitt meine Hand zu meinem Hals, wo ich den Kristall ertasten wollte. Er war fort. War am Ende wirklich alles nichts weiter als ein Traum gewesen? Es hatte sich so real angefühlt! Auch jetzt, als ich mich aufrichtete, konnte ich das Gefühl nicht abschütteln, etwas unsagbar Wertvolles verloren zu haben. Den Bahnen der bereits getrockneten Tränen folgten neue. All die Zeit hatte ich zurück nach Hause gewollt, doch jetzt wäre ich viel lieber bei meinen Freunden, bei den süßen Winchesters, dem grumpeligen Hexer und den beiden Vampiren, die mir in den vergangenen Tagen so ans Herz gewachsen waren. Wie lange ich einfach mit angezogenen Beinen auf meinem Bett hockte und vor mich hin schluchzte, wusste ich nicht zu sagen, doch als ich schließlich nach meinem Handy griff, das wie stets auf dem Nachttisch lag, erschrak ich bis ins Mark. Ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken und hinterließ dort ein unangenehmes Gefühl der Beklemmung. Wenn man dem kleinen Gerät in meiner Hand trauen konnte, war seit meinem Aufeinandertreffen mit dem Greifen nur ein einziger Tag vergangen. Das war absolut unmöglich! Ich war tagelang, nein sogar wochenlang, in der Welt von The Witcher umhergereist, da war ich mir absolut sicher! Am liebsten wäre ich aufgesprungen, um nach irgendwelchen Hinweisen zu suchen, doch zugleich fühlte ich mich wie erstarrt und ahnte längst, dass ich nichts finden würde. Schniefend wischte ich mir mit dem Handrücken über das Gesicht, doch die Tränen wollten einfach nicht versiegen. Verdammt! Wenn alles nur ein Traum gewesen war, wieso ging es mir dann so nahe? Wieso hatte sich alles so absolut real angefühlt? Ich hatte noch den Geruch von Regen in der Nase, konnte noch die Krypta vor meinem inneren Auge sehen, in der Regis und Dettlaff lebten. Aber auch die Gräuel, die ich in den vergangenen Tagen gesehen hatte, standen mir auch jetzt noch lebhaft vor Augen, allen voran die Leichen, die in Beauclairs Rinnstein gelegen hatten, während die Vampirkönigin sich anschickte, die Stadt an sich zu reißen und ihre Macht wiederherzustellen. Das alles konnte doch nicht einfach nur ein Produkt meiner Fantasie gewesen sein! Natürlich träumte ich manchmal sehr realistisch, aber nicht so und vor allem nicht über einen so langen Zeitraum. Ich biss mir auf die Unterlippe und fuhr mir nun mit beiden Händen über die Augen. Wenn ich ehrlich war, wollte ich einfach nicht, dass all meine Erlebnisse nur geträumt waren, weil es auch bedeutet hätte, dass meine Freunde nicht real waren, dass die Gefühle, die mich mit ihnen verbanden, nicht echt waren, und dieser Gedanke erschien mir einfach unerträglich. Mein Alltag hatte mich schneller wieder eingenommen, als ich es für möglich gehalten hatte. Während ich den Sonntag damit verbracht hatte, einfach nur herumzusitzen und mir Videos auf Youtube anzusehen, in denen Spieler Szenen aus dem AddOn Blood and Wine zeigten, war ich am darauffolgenden Montag pflichtgetreu wieder zur Arbeit gegangen, wobei es mir zu meiner eigenen Überraschung nicht schwergefallen war, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sie war ein hervorragendes Mittel, um ich davon abzuhalten, meinen Gedanken und Erinnerungen nachzuhängen, die mich wiederum dazu gebracht hätten, darüber nachzugrübeln, ob mein Abenteuer nicht doch real gewesen sein könnte, auch wenn es absolut nichts gab, das für diese Theorie sprach, außer vielleicht, dass ich mich nicht erinnerte, wie ich überhaupt nach Hause gekommen war. Sansi hatte ich am Sonntag nicht mehr angesprochen, sondern die Auflösung unseres Streites auf heute verschoben, aber ich war mir absolut sicher, dass ich in dieser Nacht eigentlich nie daheim angekommen war. Uneigentlich sah es aber genau danach aus. Seufzend schnappte ich mir meine Tasche. Die Uhr zeigte schon fast halb sechs und verriet mir damit, dass ich längst Zuhause sein sollte. An einem anderen Tag hätte ich mich vielleicht darüber geärgert, weil meine Überstunden nicht bezahlt oder abgefeiert würden, aber heute war mir das absolut egal. Die Arbeit war eine willkommene Ablenkung gewesen und jetzt, da ich mich auf den Heimweg machte, wanderten meine Gedanken sofort wieder nach Toussaint, als wäre es ein reales Land. Wenn die Zeit dort so viel schneller verging als hier, wie war es dann wohl meinen Freunden in der Zwischenzeit vergangen? Fragten sie sich manchmal, ob ich wirklich wieder in meiner Welt war und wie es mir ging? Vermissten sie mich? Oder war alles, woran ich mich zu erinnern glaubte, doch nur ein Traumfragment, das ich mir auf Grundlage eines Computerspiels zusammengereimt hatte? Realistisch gesehen war vermutlich genau das der Fall. Am besten, ich kochte mir erst einmal eine Kleinigkeit und versumpfte mich dann vielleicht nochmal in Blood and Wine, um mir vor Augen zu führen, wie die Geschichte tatsächlich ablief. Vielleicht erkannte ich dann auch in meinem Herzen, dass meine Erinnerungen mir einen Streich spielten. Mit diesem tristen Gedanken im Sinn schob ich den Schlüssel ins Schloss meiner Wohnung. Achtlos hängte ich Jacke und Tasche an die Garderobe, bevor ich mich gen Küche wandte. Mit einem lauten Maunzen tapste Jui, der laut nach seinem Abendessen verlangte, bereits auf mich zu. Schmunzelnd ging ich in die Hocke, um ihm über den Kopf zu streicheln, den er mir entgegenreckte. „Maaau!“, beschwerte er sich, buckerte aber noch einmal, ehe er sich gen Napf wandte. „Schon klar, schon klar. Du kriegst zuerst“, beschwichtigte ich den Stubentiger. Dieses allabendliche Ritual gab mir Sicherheit, dass alles war, wie immer, so wie es sein sollte. Aber zugleich verhieß es mir auch, dass alles, was ich glaubte, erlebt zu haben, eben doch nur ein Gebilde meiner Fantasie war. Scheiße, schon fast Mitternacht! Wann war das bitte passiert? Die Suchtwirkung von The Witcher III war wirklich nicht zu unterschätzen. Jetzt war ich gute vier Stunden in dem Spiel versumpft und hatte es nicht einmal bemerkt. Höchste Zeit für mich, mich ins Bett zu krümeln, sonst würde ich morgen im Büro richtig durchhängen und dabei wartete dort einiges an Arbeit auf mich, die ich lieber nicht halbherzig erledigen wollte. Ich gähnte und rieb mir über die Augen, deren Blick nach Jui suchte, den ich schließlich auf seinem Kratzbaum fand, wo er sich eingerollt hatte und allem Anschein nach schlief. Müde blinzelte ich den Bildschirm an und entschied, dass die Quest wirklich bis morgen warten könnte. Kurz musste ich das Speichern abwarten, dann beendete ich das Spiel und fuhr meinen Rechner herunter, dann streckte ich mich auf meinem Stuhl, um mein linkes Bein zu wecken, das mir eingeschlafen war und unangenehm kribbelte. Als ich wenige Minuten später aus dem Bad ins Schlafzimmer schlurfte, hatte ich noch nicht geahnt, welche Überraschung mich dort erwarten sollte. Noch im Türrahmen blieb ich stehen. Mein Blick fokussierte einen großen Wandspiegel mit versilbertem Rahmen. Ich kannte diesen Spiegel nicht, hatte nie auch nur einen ähnlichen besessen. Skeptisch durchsuchte ich den Raum mit meinen Blicken, doch konnte sonst nichts Ungewöhnliches feststellen. Die Wohnungstür war abgeschlossen gewesen und außer mir besaß keiner einen Schlüssel. Auch die Fenster waren alle geschlossen, da war ich absolut sicher. Um sie offen zu halten, war es draußen viel zu kalt. Außerdem prüfte ich das jeden Morgen geflissentlich, ehe ich mich auf den Weg zur Arbeit machte. Wie also war dieser Spiegel hierher gekommen? Und wieso sollte mir jemand einen Spiegel hierher stellen? Verwirrt trat ich näher an die glatte Oberfläche heran, die mein eigenes irritiertes Gesicht zeigte. Ohne sagen zu können, wieso, streckte ich die Hand nach dem Rahmen aus, um die feinen ziselierten Ranken mit den Fingerspitzen nachzufahren. Ich hatte keine Ahnung, ob der Rahmen nur antik aussah oder wirklich antik war, aber hübsch fand ich ihn allemal. Meine Fragen, was es mit diesem Spiegel auf sich hatte, erklärten sich damit allerdings nicht. Plötzlich flirrte das Glas vor mir, die Farben verwirbelten und seltsame Wellen fuhren über die Oberfläche. Überrascht war ich einige Schritte zurückgetaumelt, die Augen vor Schreck geweitet. Aber noch bevor ich mich fragen konnte, was hier überhaupt passierte, zeigte mir der Spiegel etwas, das mir schmerzhaft bekannt war. Weite Felder, grüne Wiesen und in der Ferne die erhabene Stadt Beauclair mit ihren hellen Mauern und roten Dächern. Sogar den Fluss konnte ich sehen, den Geralt und ich bei unserer Ankunft in der Stadt überquert hatten und an dessen Ufern eine der Leichen gefunden worden war. Mit klopfendem Herzen trat ich näher, legte die Fingerkuppen an die kalte Oberfläche des Spiegels. Ich wusste nicht, wie er hergekommen war oder wieso, aber ich wusste, was er mir zeigte. Meine Erinnerungen waren wahr. Ich hatte nicht nur geträumt. Alles war real gewesen, alles war echt. Das Bild vor meinen Augen verschwamm, doch nicht weil das Spiegelbild sich verzerrte, sondern weil Tränen meinen Blick trübten. So fern mir meine Freunde nun auch waren, so unerreichbar ihre Welt, so tröstlich war doch der Blick, der mir dieser Spiegel gewährte. Jeden Morgen und jeden Abend warf ich einen Blick in den Spiegel, der stets genau zu wissen schien, wann es Zeit war, um mir Toussaint zu zeigen, und auch wenn ich dabei nie einen Blick auf irgendjemanden erhaschen konnte, wusste ich doch, dass es kein Standbild war, denn manchmal konnte ich Schemen in der Ferne erkennen. Aber auch das wechselnde Wetter gab preis, dass ich einen Blick in eine andere Welt warf, wann immer ich den Spiegel betrachtete. Woher der Spiegel kam, wusste ich zwar selbst jetzt, Wochen später, nicht mit Sicherheit, doch müsste ich raten, war er wohl ein Geschenk von Gaunter O’Dimm, dem Mann, der sich auch Spiegelmeister nannte und der zweifellos eines der mächtigsten Geschöpfe war, das man im Spiel treffen konnte. Seinem Verhalten nach entsprach er vielen Darstellungen des Teufels und ich meinte, mich zu erinnern, er wäre auch als eine Art Dämon eingestuft worden. Dass er als Bezahlung für seine Dienste eine Seele zu fordern neigte, untermalte diese Idee noch. Getroffen hatte ich dieses Wesen jedoch nie und so hatte Gaunter von mir auch nie dergleichen verlangt, was mich wiederum zu der Sorge führte, dass jemand anderes ihm etwas versprochen hatte, damit ich diesen Spiegel bekam. Wer, darüber konnte ich auch wieder nur spekulieren. Dettlaff vielleicht? Regis hielt ich für zu klug, um auf den Spiegelmeister hereinzufallen. Geralt hatte ihn einmal ausgetrickst, aber würde das Risiko kein zweites Mal eingehen. Theodors Leben war bereits an anderer Stelle der zu zahlende Preis. Zärtlich strich ich über die glatte Oberfläche des Spiegels. „Bitte gebt auf euch Acht“, wisperte ich gegen das kalte Glas, ein bitteres Lächeln auf den Lippen. Lieber hätte ich auf diesen Spiegel verzichtet und die Sicherheit, die er mir bedeutete, und dafür nicht die Seele eines Freundes in Gefahr gewusst. Allerdings konnte ich auch nicht leugnen, dass es mir unsagbar viel bedeutete, immer wieder einen Blick auf die Welt erhaschen zu können, die mir zwar auf so viele Weisen fremd gewesen, aber doch auch irgendwie mein Zuhause geworden war. Dass der Spiegel nur mir Toussaint zeigte, hatte ich bald herausgefunden, doch das wunderte mich nicht wirklich. Vielleicht war es sogar besser so. Wie hätte ich irgendwem erzählen können, was mir passiert war, um dann zu sagen, dass ich mir den Spiegel nicht erklären konnte? Obendrein war es mehr als wahrscheinlich, dass man ihn mir weggenommen hätte, um ihn zu untersuchen, während ich mich zahlreichen Befragungen hätte aussetzen müssen. Doch so würden mir wohl nicht einmal meine Freunde glauben, wenn ich ihnen von meinem Abenteuer erzählte, von dem Weißen Wolf, an dessen Seite ich gereist war, von dem klugen Barbierchirurgen-Vampir Regis und seinem Blutsbruder Dettlaff, der in mancher Hinsicht so viel menschlicher war, als es für die meisten Menschen galt. Nein, niemand würde mir auch nur ein Wort dieser wundersamen, unglaublichen Geschichte glauben. Dennoch hat mich das nicht davon abgehalten, sie aufzuschreiben, sie in Worten festzuhalten. Ich erinnere mich. Ich werde mich immer erinnern. An die großen und kleinen Dinge. An Regis‘ nachsichtiges Lächeln, an Dettlaffs immerzu angespannte Haltung, an Geralts Brummen, das oftmals mehr sagte, als tausend Worte. Sicher nicht perfekt, denn meine Erinnerung mag mich in einigen Punkten trügen und wer vermag schon zu sagen, was mir alles entgangen ist, weil ich die Welt eben nur durch die Augen eines ganz normalen Menschen sehe? Was hätte Regis wohl über unsere gemeinsamen Erlebnisse berichtet? Das hätte ich wirklich gern gelesen. So jedoch müssen wir, du und ich, damit vorliebnehmen, was ich zu Papier brachte und hiermit auch an dich, werter Leser, weitergab. Ich gehe nicht davon aus, dass du auch nur ein Wort von dem glaubst, was du hier gelesen hast, doch das macht nichts. Wenn es dich nur ein klein wenig berührt hat, wenn du nur einen kleinen Funken Menschlichkeit, einen Hauch Mitgefühl, gespürt hast, haben wir diese Reise irgendwie doch gemeinsam noch einmal gemacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)