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Blood and Whine

Ist doch alles Käse!
von

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Von Zeit zu Zeit

"Nicht ein reines Herz, nicht die Macht der Magie, ein Wunsch eben nicht. Glaube nicht dem ersten Wort, vielmehr dem hellen blauen Kristalllicht. Sei gewarnt! Entweder trifft sich das Glück oder das Unglück am Ort. Kein Traum wird wahr, keine Sehnsucht wird erfüllt, führe sie hinfort. Der Wille ist dafür bereit, dann schlage die Seiten umgekehrt in Reihe auf. Sag den Zauberspruch auf, du musst opfern, dann nimmt es seinen Lauf”, warf ich Krul die Worte fast wie einen Fluch entgegen. Ihre dunklen Augen hatten mich fixiert, mich gewarnt, dass ich keinen Ton mehr von mir geben sollte, dass mein Vorhaben närrisch war, ganz egal, was ich versuchte. Doch die Worte hatten wie von selbst ihren Weg über meine Lippen gefunden. Sie waren alles, was mir geblieben war, um die Vampirkönigin aufzuhalten. Wenn sie wirklich so mächtig war wie der Unsichtbare oder sogar noch mächtiger, blieb mir ohnehin keine Wahl, als alles zu versuchen, wenn ich darauf hoffen wollte, sie zu stoppen. Was aus Toussaint würde, wenn Krul zu alter Kraft käme und die Herrschaft an sich rissen, wollte ich mir nicht ausmalen. Wenn selbst der Unsichtbare, der höhere Vampire wie Regis mit nur einem Wort dazu bringen konnten, wie erstarrt stehen zu bleiben, machtlos gegen die Vampirkönigin war, gäbe es wohl niemanden in dieser Welt, der imstande wäre, sie aufzuhalten. Selbst jetzt war sie schon wahnsinnig gefährlich.

All diese Gedanken schossen mir durch den Kopf und endeten abrupt im gleichen Moment, in dem auch jede Bewegung um mich herum anhielt. Geralt stand wie festgefroren neben mir, die Silberklinge erhoben. Vor mir stand Regis, halb transformiert und die Klauen ausgestreckt, um Kruls Angriff abzuwehren. Die Welt hielt den Atem an und nur ich allein konnte mich noch regen. Jede Bewegung fühlte sich etwas zäh an, als ich prüfend einen Schritt zurücktrat und schließlich das zerknüllte Papier in meiner Hand anstarrte. “Keinen Augenblick zu früh”, bemerkte eine Stimme. Erschrocken zuckte ich zusammen und schnellte herum. “Theodor?”, fragte ich ungläubig. Müsste er nicht auch in der Zeit erstarrt sein, wie alle anderen? Wie von selbst wanderte mein Blick suchend herum, als müsste sich Theodor eben doch dort befinden, wo ich ihn erwartete und nicht direkt neben mir. Mein Blick blieb an dem erstarrten Vampir hängen, an dessen Schulter eine tiefe Wunde klaffte. Theodor. Er regte sich nicht einen Millimeter. Und dann war da Theodor, der vor mir stand und so freundlich lächelte, als sei er nur auf einen Kaffee vorbeigekommen.

“Wieso…?”, begann ich meine Frage, doch fand dann einfach keine Worte. Wieso gab es zwei Theodors? Das war ein Zeitparadoxon! Das durfte doch eigentlich nicht sein oder lag ich damit völlig falsch? Meine Gedanken rasten. Wenn noch ein Theodor hier war und dieser Kerl nicht ein geheimer Zwilling war, sondern einfach Theodor aus einer anderen Zeit, dann war nur noch die Frage aus welcher. Weiter aus der Zukunft als der mir bekannte Theodor? Oder war der neue Theodor der aus dieser Zeit? Welcher war nun überhaupt welcher und wieso konnte sich einer von ihnen bewegen, obwohl ich die Zeit angehalten hatte? Konnte ich ihm überhaupt noch vertrauen? War das vielleicht alles Teil von Kruls Plan und ich die ganze Zeit benutzt worden? “Was hat das zu bedeuten?”, fand ich schließlich recht vage Worte für all die Fragen, die mir wirklich durch den Kopf gingen.
 

“Nun, wie du sicher ahnst, gibt es derzeit zwei von mir zu diesem Zeitpunkt infolge meines Zeitsprungs”, erklärte der unverletzte Theodor gelassen. “Glücklicherweise gelang es mir, mein hiesiges Ich davon zu überzeugen, meine Pläne zu unterstützen und in Kontakt zu dir zu treten.” Er lächelte. Meine Miene blieb ausdruckslos. Also hatte ich bisher vor allem den gegenwärtigen Theodor gekannt? Oder hatten sie sich abgewechselt? Unterscheiden könnte ich die beiden ganz bestimmt nicht. Sie sahen absolut gleich aus, trugen sogar die gleiche Kleidung. Wenn das mal keine Absicht war. “Aber wieso kannst du dich bewegen?”, verlangte ich zu wissen und blinzelte zu Krul, die nicht einmal mit der Wimper zuckte. Ich sollte meine Zeit nicht mit Theodor verplempern, sondern mich lieber um die Vampirkönigin kümmern, solange die Zeit still stand. Eine zweite Chance würde ich wohl nicht bekommen. Wenn ich jetzt nicht etwas unternahm, dann wären auch Geralt, Regis und all die anderen Leute da draußen geliefert. Kein Gedanke, der mir irgendwie behagte. Zwar hatte ich die Zeit angehalten, in der Hoffnung, mir fiele dann schon etwas ein. Aber konnte ich Krul überhaupt töten? Einen höheren Vampir konnte nur ein anderer töten, das wusste ich.Regis hatte sich aus einer verdammten Glibberpfütze an einer Säule regeneriert!

Als hätte Theodor meine Gedanken gelesen, beantwortete er nicht nur die Frage, die ich gestellt hatte, sondern auch die, die viel drängender im Raum stand und uns letztlich wohl beide erst hierher geführt hatte. Wäre er Kruls Verbündeter, hätte er längst etwas gegen Geralt, Regis oder mich unternehmen können. “Durch meine Zeitreise haften Partikel chronomagischer Magie an mir, die mich vorläufig vor diesem Zauber schützen und zugleich den Kristall zur Reaktion zwingen, was uns angesichts der Situation zugute kommt, meinst du nicht auch? Wir sollten uns um Krul kümmern, solange der Zauber währt. Wir haben nur wenige Minuten”, gemahnte er zur Eile. Wie viele kostbare Sekunden hatten wir bereits verplempert? Erschrocken sah ich ihn an, dann steuerte ich Geralt an. In Gedanken sortierte ich meine Begegnungen mit Theodor. Die ersten Male hatte ich also den Zukunfts-Theodor getroffen, in jüngster Vergangenheit dann den dieser Zeit. Das erklärte, wieso der Kristall da nicht mehr reagiert hatte. Aber wieso hatte er dann geleuchtet, als Derand mich angegriffen hatte? War der Incubus etwa auch ein Zeitreisender gewesen? Das machte nun wirklich überhaupt keinen Sinn mehr. Zumindest nicht für mich.

Entschieden hatte ich Geralt das Messer aus dem Stiefel gezogen. Dass er den für Notfälle dort versteckt hatte, wusste ich schon lange. Man lernte eben einiges über die Leute, mit denen man reiste und die eine oder andere Nacht unter freiem Himmel verbrachte. In unserem Fall hatte Geralt wohl unfreiwillig weit mehr über mich gelernt als ich über ihn, wobei ich ja sowieso längst einiges über ihn gewusst hatte, auch wenn ihm das zu dem Zeitpunkt nicht klar gewesen war. Der arme Hexer hatte ja nicht geahnt, was ihn in Toussaint wirklich erwartete oder wieso ich so scharf darauf gewesen war, ihn dorthin zu begleiten. Bereut hatte er das bis heute sicher so manches Mal, wenn ich so darüber nachdachte. Vielleicht schon vorher, als ich die Winchesters aufgenommen hatte. Und doch hatte Geralt mich stets gewähren lassen. Warum, war mir ein Rätsel. Besser, ich hinterfragte das nicht.
 

“Zu meinem Bedauern reagiert der Kristall auf die Zeitpartikel, die an mir haften. Obendrein war ich nach meinem Zeitsprung geschwächt und konnte nicht riskieren, dir beizustehen, als dich der Greif angriff. Oder später dieser Incubus. Zumindest solange der Hexer in deiner Nähe war. Er hat seinen Job, auf dich achtzugeben, gut gemacht”, meinte Theodor währenddessen so gelassen, als gäbe es überhaupt keinen Grund mehr zur Beunruhigung, dabei stand Krul noch immer da, zwar in der Zeit festgefroren, doch immer noch quicklebendig. Unschlüssig drehte ich das Messer in der Hand. Selbst wenn ich Krul den durchs Herz stieße, würde die Vampirin das nicht lange aufhalten. Ich zögerte noch einen Augenblick dann hob ich die Klinge und ließ sie in Kruls Schulter hinabsausen. Sie drang nicht halb so tief ein, wie ich erwartet hatte. Vielleicht, weil ich letztlich doch nicht mit voller Kraft zugestochen hatte. Meine innere Hemmschwelle lag eindeutig höher als die Geralts oder Regis’, die an meiner Stelle sicher nicht gezaudert hätten. Zähneknirschend zog ich das Messer aus Kruls Fleisch, das sich heilen würde, sobald die Zeit weiterlief.

“Glücklicherweise habe ich mein hiesiges Ich finden können. Es war wichtig, dass das Buch dich erreicht.” Theodor plauderte einfach weiter, ungerührt ob meiner eher erbärmlichen Versuche. Wie viel von meiner kostbaren Zeit wohl schon verstrichen war? Ich hatte Angst vor der Antwort. Jeden Augenblick konnte Krul zum Leben erwachen und ihre Klauen in mein Fleisch schlagen - oder das meiner Freunde. Denk, Daelis, denk! Wie kannst du sie beschützen? Wie kannst du Krul ausschalten? Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben. Unvermittelt griff ich wieder nach dem Zauberbuch. Geralts Messer ließ ich achtlos fallen. Mit roher Gewalt konnte ich der Vampirkönigin nicht beikommen, also musste ich mir etwas anderes ausdenken. Vielleicht gab es einen Zauber, der mir helfen könnte, Krul soweit zu schwächen, dass Geralt, Regis und Theodor eine Chance hatten, sie zu erledigen? Wie von selbst schloss sich meine linke Hand um den blauen Kristall, der noch immer um meinen Hals hing. Wie hatte Theodor doch gerade gesagt? Es war wichtig, dass das Zauberbuch zu mir kam? Ich riet einfach mal, dass es daran lag, dass ich den Kristall besaß. Ich erinnerte mich an den Hinweis, der vorhin im Schein des Kristalls auf den Seiten des Buchs sichtbar geworden waren. Eilig blätterte ich rückwärts durch die Seiten, den Blick durch den blauen Edelstein auf das Papier gerichtet.

Der Gedanke war vielleicht absurd, aber vielleicht brauchte es ja den Zauberspruch in umgekehrter Reihenfolge? Kurzentschlossen las ich die Worte ab, die nun zwar keinen Sinn mehr machten, aber immerhin der Anweisung folgten, die indirekt enthalten gewesen war. Angesichts der Situation hatte ich schließlich nichts zu verlieren und jede Idee, egal wie blöd, war besser als gar keine. Nach dem letzten Wort des Zaubers sah ich jedoch nicht nach, ob sich irgendetwas verändert hatte, sondern blätterte direkt weiter. Eine andere Idee war mir in den Sinn gekommen. Ob die Zeit dafür noch reichte, wusste ich zwar nicht, aber ich wollte es wenigstens probiert haben. Auf Theodor, der entspannt um die erstarrten Gestalten der Kämpfenden herumwanderte, achtete ich dabei nicht weiter, obwohl er fester Bestandteil meines Plans war. Vermutlich, ging es mir durch den Sinn, wusste Theodor das ohnehin längst, immerhin kam er aus der Zukunft. Er wusste längst, wie das hier ausginge oder glaubte wenigstens, es zu wissen und offenbar vertraute er darauf, dass ich genau das tat, was er erwartete. Ich betete, dass er damit richtig lag.
 

Panisch blätterte ich in dem Buch. Ich war sicher, dass ich einen passenden Zauber gesehen hatte. Der passte nämlich nach meinem Empfinden erst überhaupt nicht in ein Buch über Chronomagie, deshalb war er mir aufgefallen. Meine Finger waren schweißnass und so brauchte ich eine gefühlte Ewigkeit, bis ich endlich die richtige Seite gefunden und aufgeschlagen hatte. “Theodor, ich brauche eine deiner Klauen. Nur die Spitze, das genügt schon”, sprach ich den höheren Vampir an, ohne aufzusehen. Meine Augen glitten unlängst über die in ordentlicher Handschrift verfassten Zeilen, während ich dem Autor stumm dafür dankte, mir diesen Zauber hinterlassen zu haben, auch wenn er damit zweifellos nicht das beabsichtigt hatte, was ich damit plante. Nun, Magie war letzten Endes auch nur das, was ein Zauberer daraus machte. Ich hoffte nur, meine etwas absurde Idee würde tatsächlich funktionieren. Ebensogut könnte auch überhaupt nichts passieren. Nervös fuhr ich mit dem Zeigefinger die Zeilen entlang. Still formte ich jedes Wort mit den Lippen. Wäre doch nur Yennefer hier. Oder Triss. Oder Keira. Oder Philippa. Irgendeine Zauberin, die wusste, was sie tat.

“Natürlich”, hörte ich Theodors Stimme so nahe an meinem Ohr, dass ich aufschreckte. “Ich freue mich, eine Hilfe sein zu können.” Ich schluckte und nickte. Natürlich hätte ich auch versuchen können, mir ein Stück von Regis’ oder Gegenwart-Theodors Krallen abzuhacken, aber so ginge es schneller. “Beeil dich. Es wird Zeit”, fuhr er fort. Wieder nickte ich nur. Mein Zeitgefühl war längst völlig durcheinander. Nach meinem Empfinden könnten die kostbaren fünf Minuten, die ich mit dem Zauber gewonnen hatte, jeden Moment vorüber sein. Es knackte und im nächsten Moment hielt mir Theodor etwas vor die Nase, das aussah, wie der Zahn eines Säbelzahntigers. Eine seiner Klauen. Ohne zu zögern griff ich danach und umklammerte meine beinerne Waffe. “Nur ein höherer Vampir kann einen anderen töten, richtig?”, fragte ich leise. Auch jetzt sah ich nicht zu Theodor, sondern zu Krul. “In der Tat. Unter normalen Umständen würde dies selbstredend nicht ausreichen, um sie zu bezwingen”, erwiderte der Vampir ebenfalls flüsternd. Bildete ich mir das ein oder klang er nun fast amüsiert? Vielleicht lag es daran, dass er wusste, was dieser Zauber bewirken würde. Vielleicht war es ein völlig unnötiges Unterfangen. Vielleicht würde es einen Unterschied machen. Ich musste auf letzteres hoffen.

Ohne noch einmal das Wort an den Vampir zu richten, der so nahe neben mir stand, dass ich seine Wärme an meiner Schulter spüren konnte. Irgendwie beruhigend zu wissen, dass ich selbst in diesem Moment nicht alleine war, in dem die Zeit still stand. Konzentriert flüsterte ich die Zauberformel. Erfahrene Magier benötigten für ihre Portale keine, wie ich wusste, doch ich wollte ja nicht wirklich zwei Orte verbinden, ich wollte einen Gegenstand bewegen. Meine Finger kribbelten, besonders die, die sich fest um die Vampirklaue schlossen. Dass ich den Atem anhielt, bemerkte ich nicht einmal. Dafür jedoch umso mehr, wie die Klaue in meiner Hand von einem Moment auf den anderen verschwand. Kein Gefunkel, kein Geglitzer, keine aufregenden Effekte. Nichts verriet mir, ob mein Zauber funktioniert hatte oder nicht, ob die Klaue dort gelandet war, wo ich sie hatte platzieren wollen. Mein Blick suchte Krul. Die Vampirkönigin sah noch genauso aus, wie schon die ganze Zeit seitdem ich die Zeit zum Stillstand gebracht hatte.
 

“Ngh”, drang ein erschöpftes Keuchen an mein Ohr und ließ mich herumwirbeln. Theodor stand vornübergebeugt, eine Hand abstützend auf dem eigenen Oberschenkel. Wäre er ein Mensch, würde ich raten, dass ihm übel war. Er sah erschöpft aus, krank. Wurden Vampire überhaupt krank? Ich hatte keine Ahnung. Verletzungen heilten sehr schnell, so viel war mir klar, aber das hieß ja noch lange nicht, dass sie ein besseres Immunsystem hatten und nicht an etwas so lästigem wie einem Magendarm-Infekt leiden konnten. Besorgt beugte ich mich zu ihm, doch Theodor hob beschwichtigend eine Hand. “Es geht schon. Diese Schwächeanfälle sind eine Folge des Paradoxons meiner doppelten Existenz in dieser Zeit”, erklärte er schleppend und atmete einige Male tief durch, ehe er sich wieder aufrichtete. “Dann wird es wohl höchste Zeit, dass du heimkehrst, oder?”, mutmaßte ich, hoffend, dass er nicken und mir damit bestätigen würde, dass seine Aufgabe hier erfüllt war und Kruls Ende gesichert. Doch Theodor schüttelte den Kopf. “Noch nicht”, widersprach er. Sofort bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Mein Blick glitt zu Krul, die noch immer unbeweglich da stand, die Krallen drohend erhoben. “Es ist Zeit für uns beide, uns zu verabschieden”, fuhr Theodor fort und mein Kopf schnellte wieder zu ihm herum. “Uns?” Er nickte.

Seine Worte machen einfach keinen Sinn. Ich war zwar in dieser Welt nicht richtig, aber eine Zeitreise würde das kaum korrigieren. Mal abgesehen davon, dass ich keine Ahnung hatte, wie wir einen Zeitsprung in die Zukunft machen sollten. Sollten wir überhaupt? Machte es nicht mehr Sinn, abzuwarten? Wie weit aus der Zukunft kam Theodor? “Verabschiede dich von deinen Freunden”, wiederholte Theodor seine Aufforderung. Steif nickte ich ihm zu und trat zuerst an Geralt heran. Er würde mich ja nicht einmal hören. Welche Rolle spielte es also, was ich sagte und ob ich mich verabschiedete? Wenn Theodor und ich verschwanden, ehe die Zeit weiterlief, hätte ich mich für die Leute hier einfach aufgelöst. War das der Preis, von dem der Zauber sprach? Durfte jemand, der sich erdreistete, die Zeit anzuhalten, nicht in der entsprechenden Zeitlinie verweilen? Dieser Gedanke weckte erneut die Frage in mir, wer Theodor hierher gebracht hatte und welchen Preis das gekostet haben mochte. Wollte ich das überhaupt wissen? Spielte es eine Rolle? Wer immer es getan hatte, hatte kaum aus einer Laune heraus gehandelt, sondern womöglich allein mit dem Ziel, Krul zu stoppen. Ein Ziel, das sicher so manches Opfer rechtfertigte.

“Danke für alles”, flüsterte ich leise in Geralts Richtung. “War sicher nicht immer einfach mit mir, doch du hast mich bis hierhin mitgenommen, obwohl ich dir bestimmt mehr Last als Hilfe war. Hoffentlich klappt das hier, dann betrachte ich uns als quitt.” Still musterte ich den weißhaarigen Hexer noch einen Moment. Hoffentlich kommst du heim zu Yen, du Idiot. Wage es ja nicht, dich gegen sie zu entscheiden. Das würdest du ewig bereuen. Die Worte lagen mir auf der Zunge, doch ich sprach sie nicht aus, sondern wandte mich Regis. Ach Regis. Hätte jeder einen Freund wie dich, diese Welt wäre ein besserer Ort. “Pass auf Dettlaff auf. Und auf dich”, meinte ich jedoch nur leise und spürte schon, wie sich mir die Kehle zuschnürte. Natürlich hatte ich immer gewusst, dass ich nicht hierher gehörte und heimkehren würde, sobald sich die Chance bot, doch jetzt war mir gar nicht danach, diese Welt zu verlassen, so sehr waren ihre Bewohner mir ans Herz gewachsen. “Danke, Theodor. Für alles. Keine Ahnung, was dich das hier kostet, aber danke”, verabschiedete ich mich als letztes von dem Theodor der Gegenwart. Dann wandte ich mich dem Zukunfts-Theodor zu.
 

“Schätze, mehr Zeit haben wir nicht mehr? Wie lange noch, bis der Zauber aufhört zu wirken und sich alle wieder bewegen? Ein paar Sekunden?”, versuchte ich schniefend einen aufsteigenden Heulkrampf zu unterdrücken. “Also, wohin gehen wir? Oder… wann?” Der Vampir lächelte nur traurig. “An verschiedene Orte, fürchte ich”, erwiderte Theodor. Eben noch hatte er entspannt gewirkt, jetzt war ich es. Ich hatte alles in meiner Macht stehende getan, um den Weg für Kruls Untergang zu ebnen und davor hatte ich alles daran gesetzt, Dettlaff zu beschützen und ihm beizustehen. Nichts davon weckte in mir Reue. Und wenn Theodor glaubte, meine Arbeit hier war getan, hatte ich wohl meinen Zweck erfüllt, gleich womit mir das letztlich gelungen war. Der Vampir seufzte tief. “Ich werde mich zurückziehen und warten. Meine Zeit ist nicht mehr fern, eine Rückreise unnötig. Du jedoch…” Verwirrt sah ich ihn an. Dass er nicht zurückkehrte, machte Sinn. Das hatte ich ja selbst auch schon erwogen. Doch was bedeutete das für mich? Als Vampir konnte er keine Magie wirken, also schied die Möglichkeit aus, dass er mich durch die Zeit schickte - oder sogar in eine andere Realität. Mir könnte er das auch kaum beibringen. Und das schien er auch nicht vorzuhaben.

Theodors Worte kamen mir in den Sinn. Es ist Zeit für uns beide, uns zu verabschieden. Ein eiskalter Schauer jagte über meinen Rücken. Er hatte mit keinem Wort gesagt, dass wir das gleiche Ziel hätten. Meine Augen weiteten sich, als mir langsam dämmerte, was Theodor mir damit hatte sagen wollen. Jetzt kannten meine Tränen kein Halten mehr. Ich schniefte. Angst schnürte mir die Kehle zu. Theodors Miene wurde nur noch bitterer. Wie beschämt senkte er den Blick. “Ich bedauere das sehr”, meinte er leise. Ich nickte nur stockend. “Ein Opfer muss gebracht werden, um die Zeit anzuhalten”, brachte ich heiser hervor. Theodor erwiderte nichts, doch sein Schweigen war Antwort genug. “Was, wenn…”, begann ich, doch Theodor schüttelte den Kopf. “Es wäre grausam. Doch noch kannst du deinen Freunden etwas Zeit verschaffen.” Seine Stimme klang heiser, aber gefasst. Natürlich. Er hatte ja gewusst, was passieren würde, hatte nur auf diesen Moment gewartet, war nur deshalb hier. Ich schluckte den dicken Kloß herunter, der sich in meiner Kehle gebildet hatte. “Krul wird verwundbar sein, solange sie in der Zeit gefangen ist. Ihr Körper kann sich in dieser Zeit nicht regenerieren”, fuhr Theodor fort. Ob er damit mich oder sich selbst beruhigen wollte, war mir nicht ganz klar, aber ich fühlte mich dadurch ein wenig besser. Wenn Krul sich nicht heilen konnte, würden mein Zauber in Kombination mit den Angriffen meiner Verbündeten ihr Ende besiegeln.

Die beiden Schritte zu Geralts Messer fielen mit unfassbar schwer. Meine Finger zitterten, als ich mich nach der Klinge bückte, um sie aufzuheben. Ich wusste, was jetzt folgen sollte, doch zugleich schrie alles in mir danach, wegzulaufen. Silbern funkelte die scharfe Messerklinge im Schein der Sonne, die hier im Märchenreich vermutlich immer schien. In diesem Moment fühlte sie sich überhaupt nicht mehr warm an, vielmehr war mir kalt. Allein die Vorstellung, die Waffe gegen mich selbst zu richten, erschien mir mit jedem Augenblick absurder. Hatte ich überhaupt genug Kraft, mich damit effektiv selbst zu töten? Wahrscheinlich würde ich mich eher nur verletzen und das nicht einmal tödlich. Dass ich überhaupt darüber nachdachte, klang für mich absolut seltsam und ein hysterisches Lachen bildete sich in meiner Kehle, kam mir jedoch nicht über die Lippen. Das konnte nur schief gehen. Wenn ich ganz ehrlich war, glaubte ich nicht einmal, dass ich den Mut hatte, das Nötige zu tun. Eigentlich ganz normal, oder? Selbsterhaltungstrieb. Mein Instinkt sagte mir, dass ich leben sollte und es völlig bescheuert war, auch nur in Betracht zu ziehen, mir einen Messer in den Körper zu rammen oder mir damit die Pulsadern aufzuschneiden. Musste man da nicht auch total tief ins Fleisch?
 

Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Um das Messer, um mein Ende, um meinen Wunsch weiterzuleben. Ich konnte den Blick nicht von dem glänzenden Metall abwenden, das so scheinbar harmlos in meiner Hand lag. Auch ohne mit dem Finger über die Klinge zu fahren, wusste ich, dass sie scharf war. Geralt pflegte seine Waffen und dieses Messer benutzte er schließlich auch, Jagdbeute zu zerlegen oder Gemüse klein zu schneiden. Es war ein alltäglich gebrauchter Gegenstand und eigentlich nicht für etwas so Dummes gedacht, wie das, was ich damit vorhatte und nur nicht über mich brachte. Nicht einmal mit der Aussicht, dass ich damit einen Märtyrertod starb und viele Leben rettete. Dabei sollte man meinen, dass es keinen besseren Ansporn gab, um bereitwillig in den Tod zu gehen. Vor lauter Tränen konnte ich die Waffe nur noch schemenhaft erkennen, doch ihr Gewicht schien mir mit jeder Sekunde zuzunehmen. Die Uhr tickte. So wie Theodor den Kopf geschüttelt hatte, konnte ich meinen Tod eh nicht umgehen, aber mit den paar Sekunden, die ich eher bereit war, zu gehen, einen Unterschied machen. Wieso zögerte ich noch? Ganz einfach: Ich wollte leben. Ich wollte unbedingt leben.

“Ich bedaure diese Situation wirklich zutiefst”, seufzte Theodor, der auf einmal wieder neben mir stand. Seine Hand legte sich schwer auf meine Schulter. Ich presste die Lippen zu einem schmalen Strich. Meine Gedanken rasten, doch ziellos. Weder fand ich einen Ausweg, noch könnte ich irgendwie etwas daran ändern, was der Zauber erzwang. Der Griff um meine Schulter wurde fester und mit ihr stieg auch der Druck in mir. Uns lief die Zeit davon. Ich verplemperte sie absolut selbstsüchtig. Wäre ich mutiger, hätte ich die ganze Sache vielleicht schon erledigt, doch alles in mir sträubte sich. So konnte ich nicht gehen, so wollte ich nicht gehen. Wie könnte ich das vor meiner kleinen Schwester rechtfertigen? Wir hatten Mama schon durch deren eigene Hand verloren. Wie könnte ich ihr zumuten, noch einmal davon hören zu müssen, dass jemand ihr nahestehendes sich das Leben genommen hatte? Obwohl… würde sie das überhaupt je erfahren? Vermutlich nicht. Für meine Lieben war ich wohl einfach verschwunden. Ich machte mir da nichts vor, inzwischen suchte man nicht mehr nach mir, sondern nach meiner Leiche. Das war eine Frage realistischer Einschätzung. Man hielt mich ganz bestimmt längst für tot.

Mit einem tonlosen Seufzen wandte ich mich zu Theodor um, der die Stirn in sorgenvolle Falten gelegt hatte. Vielleicht sollte ich Geralt etwas von seinen Hexertränken abnehmen. Die waren hochgiftig für Menschen. Nur von Schwalbe ließ ich besser die Finger. Wie schmerzhaft das sein konnte, hatte ich im Spiel ja schon erfahren. Gerade wollte ich Theodor vorschlagen, mir doch zu helfen, einen möglichst schmerzfreien Tod zu entkorken, als ein Ruck durch meinen Körper ging, gefolgt von glühendem Schmerz. Jedes Wort erstarb mir auf der Zunge. Meine Augen weiteten sich. Ich wollte schreien, so heftig waren die Schmerzen, die sich strahlenförmig von meinem Brustkorb auszubreiten schienen. Meine Finger schlossen sich um etwas warmes. Einen Arm? Wie von selbst suchte mein Blick die Quelle meiner Pein, die nicht schwer auszumachen war, obwohl die Ränder meines Sichtfeldes sich bereits verdächtig schwärzten. Das letzte, was ich sah, ehe mir die Sinne schwanden, waren die langen Klauen eines Vampirs, die sich in meinen Torso gebohrt hatten. Ob Theodor mein Herz getroffen hatte, darüber konnte ich schon nicht mehr nachdenken. Zusammen mit der Welt um mich herum, verschwamm auch der Schmerz. Dunkelheit hüllte mich ein.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Aufgabe:
Die Zeit steht still. Niemand außer dir kann sich bewegen, daher bist du fürs erste in Sicherheit. Nachdem du die letzte Hoffnung ausgesprochen hast, erscheint Theodor vor dir, kann sich bewegen und lächelt dich an. Selbstverständlich bist du verwirrt, denn ein weiterer Theodor, der dich vor Krul gerettet hat, stand blutend in deiner Nähe, bloß war er gefangen im Zeitstillstand. Der Vampir erzählt dir, dass es durch die Zeitreise in die Vergangenheit nunmal zwei von ihm gibt, aus der Gegenwart und Zukunft. Beide wussten von dem anderen, da beide dieselbe Person waren. Zukunft-Theodor besaß Zeitpartikel im Körper, worauf der Kristall reagiert. Damals war er in deiner Nähe, als der Greif dich angriff und der Kristall dadurch aktiv wurde und dich weg teleportierte. Leider konnte er dich nicht rechtzeitig erreichen. Bei dem Date mit dem Incubus und der Moment im Stall war er auch anwesend, aber konnte sich dir nicht nähern, da der Hexer in der Nähe lauerte. Durch die Zeitreise überkam ihm oft ein Schwächeanfall und ohne zu zögern hätte Geralt ihn vernichtet, dabei wollte er dir unbedingt das Buch überreichen. Langsam wird dir einiges klar. Dann sagt Theodor zu dir, es ist Zeit sich zu verabschieden. Bei dem Opfer handelt es sich um ein Leben. Dein Leben. Verabschiede dich von den anderen. Dafür bekommen deine Freunde und Verbündete eine halbe Minute mehr Zeit, die in Zeit starrende Krul zu töten. Da ist sie absolut verwundbar. Zum Schluss durchbohrt Theodor dein Herz mit einem Hieb und du fällst in Ohnmacht.
Bonus: Gerne kannst du den Kampf gegen Krul fortführen. Wer am Ende Krul den Todesstoß gibt, kannst du entscheiden. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Vegetasan
2020-04-02T11:58:51+00:00 02.04.2020 13:58
Oh nein, arme Daelis 😢
Aber Magie hat halt meist ihren Preis.
Hoffentlich nimmt das Ganze vielleicht doch noch einen guten Ausgang für dich.


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