Blood and Whine von Daelis (Ist doch alles Käse!) ================================================================================ Kapitel 19: Jede Sekunde zählt ------------------------------ “Scheiße.” Geralt traf den Nagel damit meiner Meinung nach auf den Kopf. Regis und Syanna könnten jeden Moment hier aufkreuzen, Krul direkt auf ihren Fersen und wir hatten keinen Plan B. “Nein”, ächzte ich und schüttelte den Kristall, der mir natürlich nicht antwortete und auch nicht anfing, zu strahlen, egal wie sehr ich vor der Nase des Einhorns damit herumwedelte. “Gib’s auf”, knurrte der Hexer kurz angebunden in meine Richtung. “Das Einhorn ist nicht echt.” Bevor ich etwas erwidern konnte, griff Geralt unvermittelt nach dem Kristall, doch als er merkte, dass ich keine Anstalten machte, die Silberkette loszulassen, an der das Kleinod baumelte, umfasst er einfach meine Hand und zog diese hoch, damit er den Kristall näher in Augenschein nehmen konnte. Den fast etwas höhnischen Blick, den ich für mein Geklammer erntete, ignorierte ich gekonnt. Dieser Kristall gehörte, soweit es mich betraf, mir und womöglich war er meine Lebensversicherung. Nicht nur, dass ich ihn hatte, seit ich hier angekommen war, er war neben meinem Wissen, über das ich blöderweise nicht sprechen konnte, mein einziger Beitrag zu dieser sonst recht kampfkräftigen Gruppe. Die Herzogin nahm ich davon aus, sie war der Köder. Schweigend musterte Geralt den Kristall, dann griff er mit der freien Hand nach seinem Hexermedaillon, das, wie ich erst jetzt bemerkte, leicht vibrierte. Der Kristall war eindeutig magisch, aber das war ja nicht unbedingt eine neue Erkenntnis. “So kommen wir nicht weiter!”, empörte sich Anna Henrietta zornig. “Diese abscheuliche Kreatur kann jeden Moment hier auftauchen. Also werden wir ihr erhobenen Hauptes entgegentreten und kämpfen!”, entschied die Herzogin mit fester Stimme. Eines musste ich ihr lassen: Sie hatte Eier. Selbst jetzt, wo ich einfach nur noch zwischen Angst und Hoffnungslosigkeit schwankte, blieb sie unerbittlich und entschlossen. “Und sterben”, fügte ich missmutig ihrer Ansprache hinzu und erntete damit ein verhaltenes Glucksen seitens Geralt, der dabei jedoch kaum eine Miene verzog. “Gib mir das Buch mal”, meinte er dann. Skeptisch sah ich zu ihm auf und legte die Silberkette mit dem Kristall eilig wieder um, als er meine Hand aus seinem Griff entließ. “Was hast du denn damit vor?”, wollte ich wissen, zögerte aber nicht, ihm das Zauberbuch hinzuhalten. Viel mehr konnte ich damit in der Eile eh nicht anfangen. Die beiden Zaubersprüche hatte ich hoffentlich im Kopf, auch wenn ich daran zweifelte, dass das irgendetwas ändern würde. Es war ja nicht so, als werfe man einfach mit einer Zauberformel um sich und - Tada! - alles erledigte sich einfach so. Kinderspiel! Schön wärs. “Ich bin absolut sicher”, mischte sich Theodor ungefragt ein, während Geralt noch immer das Buch durchblätterte, als suche er nach etwas, “dass unser der Anhänger den Weg zum Sieg weisen wird.” Anna Henrietta rollte mit den Augen. Sie war offensichtlich nicht überzeugt und wenn ich ehrlich war, konnte ich den Enthusiasmus Theodors auch nicht ganz teilen. Wir hatten keine Ahnung, was wir tun sollten und Krul könnte jede Sekunde hier aufschlagen. Regis und Syanna hatten zwar versprochen, uns etwas Zeit zu lassen, doch sie ahnten ja nicht, wie übel unser Plan ins Wasser gefallen war. Zumindest, brummte eine sarkastische Stimme in meinem Hinterkopf, brauchte ich mir keine Sorgen mehr darum machen, was Dettlaff mit der Stadt anstellen würde. Krul käme ihm zuvor und erleben würde ich das sowieso nicht mehr. Einfach fucking fantastisch. Womit hatte ich das nur verdient? Gefrustet fuhr ich mir durch das klamme Haar und richtete meinen Ärger auf Theodor, auch wenn der eigentlich nichts dafür konnte. Zumindest nicht wirklich. “Und wie? Er reagiert nicht. Wir haben hier kein Wesen mit reinem Herzen, das obendrein noch magisch begabt ist. Ist ja nicht so, als fielen sowas einfach vom Himmel!” Irgendwie hatte ich fast ein wenig gehofft, das Schicksal wolle mich trollen und würde mir die Lösung jetzt eben doch einfach vom Himmel vor die Füße klatschen lassen, doch natürlich passierte das nicht. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Das Geräusch von reißendem Papier riss mich aus meinen Gedanken. Fassungslos starrte ich Geralt an, der einfach so ein paar Seiten aus dem Zauberbuch herausgerissen hatte. “Sag mal, hackts bei dir?!”, fuhr ich ihn gleichermaßen verdattert wie wütend an. Was zur Hölle war eigentlich mit diesem Kerl? Welcher vernunftbegabte Mensch behandelte - Pardon: misshandelte - ein Buch derart? Der Hexer jedoch ignorierte mich völlig und hielt eine Seite mit angestrengter Miene in Richtung Sonne. Wütend schnappte ich nach Luft. “Geralt!”, fauchte ich ihn an, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, doch wieder vergeblich. Zumindest dachte ich das zuerst, dann ergriff der Weiße Wolf das Wort. “Dieser ganze Kram von einem reinen Herzen. Alles Unfug, wenn du mich fragst. So etwas habe ich schon dutzende Male gehört, doch es war nie etwas dran. Nur romantischer Unfug.” Entnervt ächzte ich. “Schön und gut, aber warum zur Hölle sollte es da helfen, MEIN Buch zu zerreißen?”, verlangte ich zu wissen. Einige Sekunden verstrichen, ehe Geralt genervt zurückgab: “Manchmal verstecken sich geheime Nachrichten in magischen Büchern. Sie werden nur durch bestimmtes Licht sichtbar.” Ohne ein weiteres Wort der Erklärung drückte er mir das Buch sowie die herausgerissenen Seiten in die Hand. “Hier allerdings nicht.” Ich brummte. “Und das hättest du nicht testen können, ohne mein Buch zu beschädigen?”, zischte ich verärgert und drückte das Buch an mich, als wäre es mein heimgekehrtes Kind, um dessen Sicherheit ich nun fürchtete. Ganz falsch war dieser Vergleich nicht. “Also hast du mein Buch ganz umsonst zerfe-” Ich unterbrach mich selbst mitten im Satz und starrte Theodor an. Der Vampir wirkte selbst jetzt noch so gelassen, dass ich ihn am liebsten gewürgt hätte. Dieser verdammte Scheißkerl. Dieser verfluchte, verfickte, verschissene Scheißdreckskerl. Wieso war ich nicht eher drauf gekommen? Er hatte doch längst zugegeben, aus der Zukunft zu kommen. Immer war ich davon ausgegangen, er wäre hergekommen, um etwas zu ändern, aber das stimmte gar nicht. Im Gegenteil. Das hier war eine selbsterfüllende Prophezeiung. Er war hier, damit alles so lief, wie er es kannte. Darum war der Spast auch so entspannt! Er kannte die Lösung dieses Rätsels längst! Wütend funkelte ich Theodor mit verschränkten Armen an. “Es ist der Kristall, nicht wahr? Der hat überhaupt nichts mit Vampire zu tun, sondern mit Zeitmagie und dir kam nicht in den Sinn, das zu erwähnen, weil…?” Ein wenig gefror Theodors Lächeln, doch ehe er antworten konnte, fuhr ich fort: “Weil du genau weißt, wie diese Geschichte weitergeht und nur hier bist, weil die Vergangenheit dir vorschrieb, dass du es sein solltest. Sag es, wenn ich mich irre. Du willst gar nicht die Zukunft verändern, sondern sie nur erfüllen.” Eine gefühlte Ewigkeit war es einfach still. Theodor lächelte auch jetzt noch, wenngleich etwas angespannt, was wohl weniger an meinem gereizten Tonfall lag als vielmehr daran, dass Geralt seine Silberklinge zog, was ich zwar nicht sah, weil er in meinem Rücken stand, aber sehr wohl hören konnte. Es war jedoch nicht der Vampir, sondern die Herzogin, die die Stille schließlich durchbrach. “Welche Rolle spielt das schon? Unser Ziel hat sich dadurch nicht geändert. Verrate uns sofort, wie es gelingen kann, diese Krul aufzuhalten!”, verlangte sie in herrischen Tonfall von Theodor, der zur Antwort nur ein leises Seufzen hören ließ und dann zu mir blickte. Ich hob eine Augenbraue und zuckte dann mit den Schultern. “Er hätte uns schon viel eher sagen können, was wir tun müssen, hat er aber nicht. Also wird er das auch jetzt nicht tun”, bemerkte ich bissig. Doch selbst jetzt noch schwieg der Vampir beharrlich. Ich schnaubte abfällig. “Du bist die Absicherung, richtig? Damit wir alle hier da sind, wo wir sein sollten und damit wir den Kristall haben, den wir brauchen und ihn richtig einsetzen”, schlussfolgerte ich aus seinem Schweigen. Geralt brummte hörbar. “Einen tollen Verbündeten hast du dir da gesucht, Daelis.” “Kann mich nicht erinnern, ihn gesucht zu haben, eher hat er mich gesucht. Was also… soll ich mit dem Kristall tun?”, sinnierte ich, den Kristall auf Augenhöhe hebend, sodass ich Theodor durch den blauen Kristall ansehen konnte. Wieso ich? Vermutlich Zufall. Wer immer Theodor hergebracht hatte, hatte vermutlich auch mich hergebracht - einschließlich des Kristalls, wohl wissend, dass weder die Herzogin, Syanna oder Geralt den Kristall hätten benutzen können. Allerdings hieß es auch, dass kein Zauberer bereit war, meine Rolle einzunehmen. Oder vielleicht war einfach keiner vertrauenswürdig genug? Darauf würde ich vorerst wohl keine Antwort bekommen. Ich starrte auf den Kristall und erstarrte dann. Die Antwort auf die Frage, was ich oder wir oder wer auch immer mit dem Kristall tun sollte, war direkt vor meiner Nase. “Ich weiß, was wir machen müssen!”, meinte ich so übereilt, dass ich fast über meine eigenen Worte stolperte. Hastig schlug ich das Zauberbuch auf, genau dort, wo die Seiten herausgerissen und nur hineingelegt waren, dank Geralt. “Und was?”, verlangte Anna Henrietta hörbar gereizt zu wissen, doch ich antwortete ihr nicht, sondern hielt das blau funkelnde Kleinod nur wieder vor mein Gesicht, um durch die glatt geschliffenen Facetten des Kristalls hindurch auf die Buchseiten zu blicken, in der Hoffnung, dass sich mit so mehr auf den Seiten offenbaren würde als bisher. Ob es mir gelänge, einen Zauber zu wirken, wenn ich denn dort einen hilfreichen fand, stand zwar in den Sternen, aber im Moment klammerte ich mich an jeden Strohhalm. Erfolgreich, wie sich mir schnell offenbarte. Erst jetzt hörte ich auch das zufriedene, leise Lachen Theodors und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Geralt dem Vampir die Silberklinge an den Hals hielt. “Ich wusste, du würdest zur rechten Zeit den richtigen Blickwinkel finden”, meinte Theodor entspannt, obwohl die Silberklinge seine Haut bereits berührte. Ein kleiner Teil von mir wollte den Hexer gerne anfeuern, doch ein anderer verstand, wieso Theodor geschwiegen hatte. Ich tat es ja auch. Wie er kam ich mit dem Wissen der Zukunft hierher und hatte dieses immer und immer wieder verheimlicht, um den Strom der Ereignisse nicht zu verändern. Im Grunde tat der Vampir genau das gleiche. Wie könnte ich ihm das vorwerfen? Anzunehmen, er wolle etwas verändern, war mein Fehler. Behauptet hatte er das immerhin nie. Ich seufzte und fixierte die schimmernden Zeilen, die sich mir dank des Kristalls offenbarten. “Nicht ein reines Herz, nicht die Macht der Magie, ein Wunsch eben nicht. Glaube nicht dem ersten Wort, vielmehr dem hellen, blauen Kristalllicht. Sei gewarnt! Entweder trifft sich das Glück oder das Unglück am Ort. Kein Traum wird wahr, keine Sehnsucht wird erfüllt, führe sie hinfort. Der Wille ist dafür bereit, dann schlage die Seiten umgekehrt in Reihe auf. Sag den Zauberspruch auf, du musst opfern, dann nimmt es seinen Lauf”, flüsterte ich die Worte und ahnte schon, dass sie nichts Gutes verhießen. Ein Opfer muss gebracht werden. Davon hatte Theodor auch gesprochen, doch worum es sich bei diesem Opfer genau handelte, verriet mir auch der für das bloße Auge unsichtbare Text nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen, einmal klare Antworten zu kriegen, aber vielleicht war das eben so ein Haken an allem, was mit Zeitreisen zu tun hatte. Es war eben nichts in Stein gemeißelt, die Zukunft wandelbar. Alles andere wäre auch furchtbar, ging es mir durch den Sinn. Wäre alles vorherbestimmt, welchen Sinn hätte es dann noch, sich aufzuraffen, sich zu bemühen, alles zu geben, um ein Ziel zu erreichen? Eilig schob ich den Gedanken beiseite, um mich nicht darin zu verlieren. Dafür hatte ich jetzt wirklich keine Zeit. “Dann müssen wir nur noch den Kristall zum Leuchten bringen”, lenkte ich die Aufmerksamkeit aller, mich eingeschlossen, wieder auf unser nächstes Problem. Geralt hob fragend eine Augenbraue. “Gibt es dafür auch irgendeinen Zauberspruch?” Ich zuckte mit den Schultern. “Glaube nicht. Bisher hat der Kristall sich immer selbst aktiviert.” “Ich sehe nicht, wie uns das weiterhelfen soll”, fuhr mit die Herzogin gereizt ins Wort. Zicke. Ungeachtet ihres Tonfalls fuhr ich fort: “Der Kristall hat jedes Mal angefangen zu leuchten, wenn ich in Gefahr war.” Geralts Augen verengten sich. “Der Incubus”, schlussfolgerte er richtig und ich nickte. “Aber auch bei Theodor, als er mich im Stall aufsuchen wollte. Du weißt schon, als du mit den Rittern die Räuber bekämpft hast!”, erinnerte ich den Hexer, die missmutige Miene Anna Henriettas ignorierend, die wohl beleidigt war, weil diese Unterhaltung sie völlig ausschloss. Auf Geralts Miene hingegen machte sich grimmige Entschlossenheit breit. “Krul sollte wohl gefährlich genug sein, um den Kristall zur Reaktion zu zwingen, oder?” Ich nickte, aber insgeheim war ich mir nicht so sicher. Doch was blieb uns übrig, als darauf zu hoffen? Auf Geralt hatte er nie reagiert, die Herzogin war keine echte Gefahr - zumindest nicht ohne Diener, die ihren Willen ausführten - und Theodor wohl auch nicht mehr, denn der Kristall reagierte schon eine Weile nicht mehr auf ihn. Ein wenig unwohl wurde mir jedoch bei dem Gedanken, dass der Kristall vorher auf Theodor reagiert hatte. War der Vampir möglicherweise als potentieller Feind hergekommen, um mich loszuwerden? Hatte der Kristall damals im Stall deshalb reagiert? Theodors Vertrauenswürdigkeit stellte dieser Umstand für mich auf jeden Fall in Frage. “Steht in dem Buch noch etwas? Es erscheint mir nicht weise, dass wir uns auf dieses magische Juwel verlassen”, moserte Anna Henrietta. Insgeheim gab ich ihr Recht. Wir sollte uns auf jeden Fall einen Plan B zurechtlegen. “Mir ist kein anderer Weg bekannt, wie wir gegen ein so mächtiges Wesen wie Krul bestehen könnten”, mischte sich nun auch Theodor wieder ins Gespräch ein. Nun war er das Ziel der finsteren Blicke Anna Henriettas. Als Theodor nicht antwortete, fuhr sie direkt damit fort, ihren Frust an dem Vampir auszulassen, obwohl er nun wirklich nichts für die doppelte Gefahr konnte, in der ihre Untertanen schwebten. Theodor wirkte zwar friedlich, aber von der Herzogin konnte ich das nicht behaupten. Meine Gedanken jedoch galten dem Zauberbuch. Es hing eindeutig mit dem Kristall zusammen. Nur weil ich den Kristall besaß, hatte Theodor mir das Buch geben wollen, davon war ich inzwischen überzeugt. “Mach keine Dummheiten”, drang Geralts Stimme unvermittelt an mein Ohr. Er sprach nicht laut, wohl weil er Anna Henrietta auch nicht unterbrechen wollte, die Theodor förmlich mit einem Wortschwall in Grund und Boden redete. “Mach ich nicht. Es ist nur…”, begann ich zögerlich. Der Hexer ächzte. “Ich weiß genau, was du vorhast”, brummte er, wobei sein Blick in die Ferne glitt. “Und vielleicht ist das keine dumme Idee, denn sie kommen.” Sofort sah ich ebenfalls in die Richtung, aus der auch wir gekommen waren. Ich sah noch nichts, doch Geralts Sinne waren besser als meine und auch Theodors Aufmerksamkeit hatte sich von der Herzogin gelöst, die darüber offenbar nur noch zorniger geworden war. Zumindest bis Geralt seine Worte wiederholte. “Sie kommen. Euer Gnaden, Ihr solltet in Deckung gehen. Daelis, du auch!”, fügte er mahnend hinzu, als ich die herausgerissene Buchseite erneut durch den Kristall betrachtete. Anders als die Herzogin, dachte ich nicht einmal daran, mich jetzt in irgendeinem Busch zu verkriechen. Wenn der Kristall die einzige Möglichkeit war, Krul zu bezwingen, dann durfte ich jetzt nicht kuschen. Vielmehr müsste ich an die Front, immerhin galt es, dieses magische Dingdong zu aktivieren, sonst könnten wir uns alle gepflegt von dieser Welt verabschieden. “Deckung!”, hörte ich Geralt in meine Richtung rufen und tatsächlich stieß er mich sogar davon, sodass ich einige Meter rückwärts taumelte und dabei beinahe stürzte. Zum Protestieren kam ich nicht mehr. Von Regis war noch nichts zu sehen, aber dafür von Syanna. Sie preschte auf einem Einhorn heran und hielt erst an, als sie Geralt und Theodor passiert hatte. “Euer Freund kommt gleich, wenn ihn Königin Blutrausch nicht vorher erledigt”, teilte sie uns mit. Ihr Atem ging hastig und ihre Worte klangen abgehackt. Offenbar war das Ganze ziemlich knapp gelaufen. “Schnapp dir deine Schwester und Daelis und versteckt euch!”, wies Geralt die Schwarzhaarige kurzerhand an. Seine Silberklinge hatte er schon in der Hand. Zu meinem Erstaunen zögerte Syanna tatsächlich nicht, der Anweisung zu folgen. Sie half Anna Henrietta aufs Einhorn und warf dann einen prüfenden Blick in meine Richtung. Ich schüttelte den Kopf. Wenigstens sie stellte meine Entscheidung nicht in Frage, sondern beließ es bei einem spöttischen Lächeln, das wohl bedeuten sollte, dass sie mich bereits als todgeweiht abgestempelt hatte. Blöde Kuh, die würde sich noch wundern! So einfach war ich nicht bereit, mich mit dem Tod abzufinden. Dass Syanna meine Chancen jedoch als ziemlich mies einstufte, verstand ich umso besser, als ein grauroter Wirbel näher kam. Immer wieder nahmen Regis und die Vampirkönigin Gestalt an und gaben sie wieder auf. Regis fiel das war merklich leichter und er war schneller, doch gleichzeitig war seine Kleidung rot von Blut, während Krul einen recht unbeschadeten Eindruck bot. Alles ging so schnell, ich hatte kaum eine Möglichkeit irgendetwas zu tun oder auch nur zu denken, da schmetterte Krul Regis auch schon von sich, der mehrere Meter weit flog und hart auf dem Boden aufkam. Am liebsten wäre ich direkt zu ihm gelaufen, obwohl ich wusste, dass der Vampir sich von diesen Verletzungen vermutlich zügig erholen würde. Krul ließ ich dabei unklugerweise aus dem Blick, auch wenn ich ihren wütenden Aufschrei hören konnte. Zweifellos hatte sie die beiden Schwestern bemerkt, die sich verkrümelten, während unser chaotischer Haufen sich ihr in den Weg stellte. Für sie musste das wie eine Verzweiflungstat aussehen, die nur scheitern konnte. Von dem Kristall, der um meinen Hals hing und tatsächlich unsere einzige Hoffnung auf den Sieg gegen sie war, ahnte Krul ja nichts. Plötzlich wurde ich umgestoßen und landete selbst im Gras, allerdings so überraschend, dass ich einfach nur aufjapste und gar nicht wusste, wie mir geschah. Leuchtende blaue Funken stoben auf, dann sah ich Theodor, der neben mir kniete. Sein linker Arm war völlig zerfetzt und dickes Blut färbte das Gras unter dem Vampir rot. Hinter ihm konnte ich sehen, wie Geralt und Regis gemeinsam die Klauen der Vampirkönigin abfingen. Doch genau da musste ich hin. Warum ich so überzeugt davon war, dass mein Plan funktionierte, wusste ich selbst nicht, aber mir erschien das einfach logisch. Krul war eine Gefahr für mich. Ohne jeden Zweifel. Sie würde den Kristall aktivieren, ob es ihr schmeckte oder nicht. Und wenn das geschah, dann… dann würde sich hoffentlich etwas zeigen, das uns erlaubte, die Vampirkönigin unschädlich zu machen. Normalerweise hielt ich mich eher für einen vorsichtigen Menschen, aber was ich jetzt vorhatte, hätte nicht unvorsichtiger sein können. “Vertrau mir”, zischte ich Theodor zu und glaubte noch, ein zufriedenes Lächeln auf seinen Zügen zu erkennen, als ich mich aufrappelte und auf Krul zulief. “Widerliches Gewürm!”, zischte Krul, die linke Hand erhoben, bereit zuzuschlagen. Dass ihre Krallen messerscharf waren und nicht nur Stoff spielend leicht durchdrangen, sah man zumindest Geralt an, dessen Schulter blutete. “Hau ab!”, zischte Geralt in meine Richtung, während er sich aufrappelte. Derweil war es an Regis allein, die Klauen der wütenden Vampirkönigin davon abzuhalten, mich aufzuspießen. War man realistisch, stand ich den beiden hier im Kampfgetümmel wirklich nur im Weg. Was Theodor trieb, hatte ich nicht im Auge behalten. Sollte er uns verraten und hinterrücks angreifen, hätte er wohl leichtes Spiel. “Zieh dich zu-”, hörte ich Regis rufen, ehe er sich selbst ächzend unterbrach. Blut spritzte und versah nicht nur den Boden mit roten Sprenkeln, sondern auch mich. Mir schlotterten die Knie. Eben noch war ich sicher gewesen, dass schon alles klappen würde. Ich müsste nur nah genug an Krul heran, dann würde der Kristall schon reagieren. Jetzt jedoch wollte ich am liebsten weglaufen. Alle meine Sinne schrien, dass ich so schnell abhauen sollte, wie ich nur konnte, denn sonst würde Krul aus mir Snacks to go machen - und zwar to go, weil sie mich vermutlich als Gegner war nicht wahrnahm. Ich war nur ein Mensch und nicht einmal bewaffnet. Leute wie mich erledigte sie wie Flöhe oder Mücken. Was ich hier versuchte, war absolut wahnsinnig. Eigentlich sollte mich der letzte Funken klaren Verstandes davon abhalten, das hier auch nur in Betracht zu ziehen. Blöderweise war mein Überlebensinstinkt wohl nicht so toll ausgeprägt, denn als Krul in meine Richtung hieb, vermochte ich keinen Schritt zu gehen. Vage hörte ich eine Stimme, die meinen Namen rief. Sie klang wütend. Die Worte jedoch registrierte ich nicht. Die blutbesudelten Krallen kamen direkt auf mich zu. Mein Herz raste, mein Mund war trocken. Ich fühlte mich wie erstarrt. Mir kam es vor, als vergingen Minuten, dabei konnten es nur Sekundenbruchteile sein. Plötzlich erstrahlte der Kristall um meinen Hals in blendendem Licht. Geblendet wollte ich den Arm vor die Augen heben, hätte jedoch nicht sagen können, ob ich das dieses Vorhaben auch wirklich umsetzte. Meine Gedanken waren allein bei der Zauberformel, von der ich hoffte, sie würde mir die nötige Zeit gewähren, die ich brauchte, um hoffentlich herauszufinden, wie Krul bezwungen werden konnte. "Sinne dich nach den fünf Flügelschlägen, entscheide dich für Fluch oder Segen. Keine Zeit hält ewig an, schaue nicht zurück und schreite voran!” An das Opfer, das Zeitmagie verlangte, verschwendete ich in diesem Moment keinen Gedanken. Was hatte ich zu verlieren? Wenn Krul nicht gestoppt wurde, ginge eh alles den Bach runter. Meine Freunde würden sterben, ich würde sterben. Ich hoffte einfach nur, dass der Zauber wirkte und die Zeit anhielte, denn ansonsten würden die scharfen Klauen der Vampirin mich in Streifen schneiden. Wer könnte dann noch den Kristall benutzen? Vampire konnten nicht zaubern, Geralt auch nicht, sah man von den Zeichen ab. Und hätte Theodor mich nicht aufgehalten, wenn mein Plan zum Scheitern verurteilt war? Es sei denn natürlich, er wollte genau das und war insgeheim auf Kruls Seite. All diese Gedanken rasten während eines einzigens Wimpernschlages durch meinen Kopf, dann hielt die Welt den Atem an. Die Zeit stand still. Fassungslos starrte ich Krul an. Ihre Hand war nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Es fehlte nicht viel und sie hätte mich erwischt. Wie sich das angefühlt hätte, wollte ich mir lieber nicht ausmalen. Kostbare Sekunden verschwendete ich damit, mich einfach nur ungläubig umzusehen. Geralt hatte die Silberklinge erhoben, bereit der Vampirkönigin damit den Arm abzuschlagen. Regis stand neben mir, das Gesicht von der vampirischen Verwandlung verändert, die Hand, ebenfalls klauenbewehrt, schützend erhoben. Er wäre zu langsam gewesen, ging es mir durch den Kopf. Dabei war alles um mich so schnell gegangen, dass ich überhaupt keine Zeit gehabt hatte, richtig zu begreifen, was genau überhaupt passierte. Ich schluckte schwer. Wenn ich mich irrte, saßen wir ziemlich in der Patsche. Der Kristall selbst war offenbar nicht das einzige, was man brauchte, um Krul in ihre Schranken zu weisen, doch davon war ich ausgegangen. Nur darum hatte ich all meine Hoffnungen auf das Buch mit der Chronomagie gesetzt. Bestimmt hatte ich es nicht umsonst erhalten! Eilig faltete ich die herausgerissenen Seiten auseinander und hielt sie ins Licht des Kristalls, das weitere Worte auf dem Papier enthüllte. "Nicht ein reines Herz, nicht die Macht der Magie, ein Wunsch eben nicht. Glaube nicht dem ersten Wort, vielmehr dem hellen blauen Kristalllicht. Sei gewarnt! Entweder trifft sich das Glück oder das Unglück am Ort. Kein Traum wird wahr, keine Sehnsucht wird erfüllt, führe sie hinfort. Der Wille ist dafür bereit, dann schlage die Seiten umgekehrt in Reihe auf. Sag den Zauberspruch auf, du musst opfern, dann nimmt es seinen Lauf.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)