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Blood and Whine

Ist doch alles Käse!
von

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... in die Traufe

Zu meiner eigenen Überraschung war ich letzten Endes doch recht schnell eingeschlafen, trotz klammer Kleidung und schmerzenden Muskeln. Letztere fühlten sich bei meinem Erwachen auch nicht unbedingt besser an. Generell fühlte ich mich wie durch den Reißwolf gedreht. Mir war kalt, mein Hals tat weh und ich hatte nicht übel Lust, mich einfach unter der Bettdecke einzurollen und so zu tun, als könnte mich der Rest der Welt am Allerwertesten. Leider machte mir Geralt da direkt einen Strich durch die Rechnung. "Steh auf", hörte ich ihn neben mir. Der Hexer war bereits dabei, seine getrockneten Sachen anzuziehen und sah nur kurz über die Schulter in meine Richtung, als ich missmutig etwas Unverständliches zurückbrummelte. 

Widerwillig verließ ich meinen warmen Hort und bereute es sofort. Ungemütlicher hätte meine zerrupfte, klamme Hose kaum sein können, vom Pulli ganz zu schweigen. Mit einem Brummen machte gab ich meinem Unmut Luft und erntete nur einen genervten Blick seitens Geralt. "Hab' dir gesagt, du sollst die nassen Sachen ausziehen." Ich sah den Hexer nur finster an. Ja, Mama Geralt. Als ich ihm jedoch einen entsprechend bissigen Kommentar drücken wollte, unterbrach mich mein eigenes Niesen. Scheiße, das hatte mir noch gefehlt. Den gleichen Gedanken hatte mein nicht ganz freiwilliger Begleitschutz auch. "Dass du krank wirst, hat mir echt noch gefehlt", ächzte der Weiße Wolf, während er seine Rüstung anlegte und ich mich daran machte, Socken und Schuhe an meine Füße zu bringen. Wieder nieste ich, dieses Mal gleich mehrfach hintereinander. Noch ehe ich allerdings nach meiner Winterjacke greifen konnte, aus der an einigen Stellen schon die Daunen herausguckten, dank der unverkennbaren Greifenkrallenspuren, legte sich Geralts Hand schwer auf meine Schulter. "Du wartest hier, während ich die Belohnung für den Greifen einfordere." An jedem anderen Tag hätte ich protestiert, schon aus Angst, Geralt könnte mich einfach zurücklassen, weil ich ihm zu anstrengend geworden war, doch zum Diskutieren fühlte ich mich einfach nicht gut genug. Mein Kopf hämmerte beinahe noch übler als gestern Morgen nach dem Schnaps und so nickte ich nur brav. "Danach suchen wir das Nest und reisen direkt weiter." Wieder nickte ich nur. Damit war der Hexer wohl zufrieden, denn ohne ein weiteres Wort ließ er mich in dem kleinen Zimmer allein.

 

Um nichts in der Welt hätte ich irgendwem erklären können, wann ich eingeschlafen war und wie ich es doch noch aus meiner klammen Kleidung geschafft hatte, jetzt, wo ich allein war, aber geweckt wurde ich durch ein wiederholtes Klopfen an der Zimmertür. Einen stummen Fluch auf den Lippen quälte ich mich hoch. Erneut klopfte es und nun hörte ich auch eine Stimme. "Lady Daelis? Seid Ihr anwesend?" Derand. Oh Mist! Sofort war ich hellwach. War es schon so spät? Wie lange hatte ich geschlafen? Nicht, dass es eine Rolle spielte, denn ausgeschlafen und entspannt fühlte ich mich nicht im mindesten. Am liebsten hätte ich mich direkt wieder eingerollt und den Tag als Ganzes einfach ignoriert, doch ich ahnte, dass das keine Option war - und nicht nur wegen Derand, den ich ungern warten ließe.

Eilig schlug ich die Decke beiseite, bereute das sofort, weil es schlicht und ergreifend arschkalt war und griff nach meinen immerhin weitestgehend trockenen Klamotten. "Ich bin gleich soweit, einen Augenblick bitte!", rief ich in Richtung Tür. Angezogen hatte ich mich schnell, aber es brauchte keinen Spiegel, um mir zu sagen, dass ich scheiße aussah. Und zwar nicht nur von der Sorte 'schlecht geschlafen'-scheiße sondern klar von der Sorte 'schlecht geschlafen, abgeranzte Klotten und keine Bürste gefunden'-scheiße. Zumindest für den Schein fuhr ich mit den Fingern durch meine heillos verhedderten Haare. Ohne Bürste keine Chance, wellte die Mistmähne sich doch bei Regen gleich nochmal extra. Missmutig zupfte ich an meiner zerschlissenen, muffigen Kleidung herum, zog ein paar Haarsträhnen zurecht und befand schließlich, dass es ja doch nicht besser würde, aber das auch keine große Rolle spielte, weil hier gefühlt sowieso niemand viel Wert auf Hygiene legte.

 

Das Glück war auf meiner Seite oder aber Derand nur unglaublich höflich, denn sein Lächeln gab nicht im mindesten preis, dass ich aussah, als hätte ich keine besonders erholsame Nacht hinter mir, wenngleich das durchaus stimmte. Im Gegenteil strahlte Derand mich förmlich an und war direkt so galant, mir seinen Arm anzubieten, während er berichtete, wir könnten draußen frühstücken, er habe ein paar Decken auftreiben können und vom Wirt ein paar Kleinigkeiten erworben. Im ersten Moment klang die Vorstellung, bei dieser Arschkälte draußen zu sitzen, nicht besonders verlockend in meinen Ohren, doch als wir im Schankraum ankamen, wurde mir schnell klar, dass es die einzige Option war. Ein gutes Dutzend schmuddeliger Kerle saß an den Tischen, es stank nach verbranntem Fett und die Geräuschkulisse erinnerte mich vage an ein Schützenfest und zwar nicht im positiven Sinne.

Wären die Umstände ein wenig anders, hätte ich mich garantiert tierisch für meine unordentliche Erscheinung geschämt und zwar in Grund und Boden, doch angesichts der Blicke, die mir die Anwesenden zuwarfen, wollte ich einfach nur dringend hier weg und das nicht einmal, weil ich mich schmutzig fühlte. Selbst mit einigen Schritt Entfernung fiel es mir schwer, die Nase nicht zu rümpfen oder sie mir direkt zuzuhalten. Ekelig! Wenn ich schon eine Dusche brauchte, könnte man die bitte direkt in Desinfektionsmittel baden.

Zum Glück bugsierte mich Derand erfolgreich an der Gruppe vorbei und es blieb bei abschätzenden Blicken, während die Kellnerin weniger Glück hatte und eine ungewaschene Hand mit hörbarem Klatschen auf ihrem Hintern landete. Ich glaube nicht, dass ich jemals so froh war, auszusehen, als wäre ich durch einen Reißwolf gedreht worden und obendrein als niesende Bazillenschleuder die Leute auf Abstand halten zu können. Ugh, die arme Bedienung tat mir ziemlich Leid. So gerne ich mich jedoch direkt eingemischt hätte, wäre es wohl doch besser, wenn ich meinen Sabbel hielt und nicht versuchte, hier die Dicke zu markieren, solange mit kein Hexer den Rücken freihielt. Obwohl es vernünftig war, schämte ich mich, als Derand und ich die Gaststube verließen und damit die arme Frau mit einem geifernden Haufen widerlicher Grabscher allein ließen.

 

Derand hatte nicht zu viel versprochen. Ein gutes Stück abseits des Dorfes hatte er ein hübsches Plätzchen ausgesucht, an dem wir es uns auf einer Decke bequem machten und aus dem mitgebrachten Korb zauberte er allerlei kleine Leckereien. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt sagen, er machte mir den Hof. So nannte man das doch noch in dieser Zeit, oder? Ein wenig tat es mir glatt Leid, dass daraus wohl nichts werden würde. Nicht nur, dass ich nicht vorhatte, in dieser wahnsinnig gefährlichen und zugleich technisch unfassbar rückständigen Welt hängen zu bleiben, ich hatte erst recht nicht vor, jemanden zu heiraten, dem ich kaum die Wahrheit über meine Herkunft erzählen könnte. Ohnehin würde Derand sicher auffallen, wie seltsam ich wirklich war, je näher wir uns kennenlernten. Genau genommen war ich ja schon jetzt überrascht, dass er sich weiter mit mir abgab, denn auch wenn ich mich um eine möglichst angepasste Sprachweise bemühte, waren meine Ansichten einige Dinge betreffend doch ziemlich offensichtlich untypisch für diese Welt. 

Sollte ich wirklich nicht von hier wegkommen, dann würde ich vielleicht einfach so eine Art Frauenrechtlerin. Oder ich könnte mich für Monster einsetzen. Unbeliebt machen würde ich mich damit zwar auf jeden Fall, doch mit der hiesigen Ideologie einer braven Hausfrau, die Kinder in die Welt setzte, konnte ich mich definitiv nicht anfreunden. Für eine Karriere als Monster-Schützerin sollte ich nur unbedingt nicht gerade Novigrad als Startpunkt aussuchen, sonst würde ich wohl ziemlich schnell zusammen mit Zauberinnen und Dopplern auf einem Scheiterhaufen brennen. Dafür für Radovid sorgen. Es sei denn natürlich, Geralt hatte bei seiner Ermordung geholfen, doch danach konnte ich den Hexer wohl schlecht fragen. Soweit ich es sagen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als herauszufinden, ob das DLC Blood and Wine schon passiert war oder nicht, wenn ich wissen wollte, was gerade Sache war. Aber vielleicht konnte mir ja sogar schon Derand dabei helfen. Nur... wie fragte man unverfänglich nach ermordeten Rittern in Toussaint? 

 

Zu meiner Überraschung und Erleichterung war das gar nicht so schwierig. Wie von selbst landeten Derand und ich schon nach einigen Minuten beim Thema Toussaint, immerhin hatte ich ja behauptet, von dort zu stammen. "Gewiss vermisst Ihr Eure Heimat, Milady. Ganz besonders jetzt, wo das Land hier vom Krieg gebeutelt ist." Wie selbstverständlich nickte ich. "Schon, das kann ich nicht leugnen. Allerdings ist es auch sehr lehrreich und angesichts der Morde, die Beauclair heimsuchen...", warf ich Derand einen Brocken hin, den dieser sofort auffing. "Morde?" Er hatte also nicht davon gehört. Nun, das konnte bedeuten, dass womöglich noch keine geschehen waren oder aber sie waren ob der Nacht der langen Zähne einfach untergegangen. Informationen verbreiteten sich hier ja ein wenig langsamer und obendrein per Brief oder mündlich. Wir wissen ja, wie gut stille Post funktioniert. Also nickte ich nur. "Ja. Ein ehemaliger Ritter, Count Crespi, ist auf grausamste Weise ermordet worden." War der überhaupt das erste Opfer gewesen? Ganz sicher war ich nicht, doch da Derand eh nicht auf dem aktuellen Stand war, kam es darauf wohl nicht an. "Ein Ritter? Wirklich eine Schande. Sie sind die Zier des Herzogtums und man hört nur Gutes über sie." Wieder nickte ich nur, verhalten niesend. Wirklich mehr wusste ich jetzt zwar nicht, aber es war einen Versuch wert gewesen.

"Ich bin zuversichtlich, der Mörder wird schnell gefangen, wenn es nicht schon geschehen ist." Nein, wie süß! Derand versuchte offenbar mich zu beruhigen. Wirkte ich so ängstlich? Was mir an dieser Sache Sorgen bereitete, war zwar nicht der Mörder, doch wie sollte er das ahnen? "Gewiss. Womöglich wird man ihn schon hingerichtet haben, ehe ich wieder Zuhause ankomme." Wow. Wenn ich mich bis jetzt für meine Lügen nicht geschämt hatte, dann spätestens jetzt, als Derand meinte: "Mir wäre dennoch wohler, würdet Ihr nicht alleine reisen. Die Wege sind gefährlich und eine Dame sollte nicht ohne Begleitschutz einen so weiten Weg auf sich nehmen." Oh, Derand. Wenn du wüsstest... Mit Geralt im Gepäck fühlte ich mich nämlich schon ziemlich sicher und da ich immerhin grob wusste, wo welche Wesen lebten, hatte ich immerhin eine gute Idee davon, welche Plätze ich besser meiden sollte. Nämlich so ziemlich alles abseits der Straße, besonders verlassene Häuser, Ruinen und Wälder. 

 

"Eure Sorge ehrt Euch, Derand", säuselte ich freundlich und überlegte, wie ich ihm am besten verklickerte, dass ich mich an einen Hexer geklettet hatte. "Ein Stück des Weges wird mich ein fahrender Ritter begleiten und in Toussaint werden meine Verwandten mir sicher eine Kutsche zur Verfügung stellen." Noch mehr Lügen. Sorry, Derand. Doch die Wahrheit, die ich ja auch Geralt nicht erzählt hatte, würde wohl höchstens dazu führen, dass man mich für schwachsinnig erklärte und in einem Tollhaus absetzte. Wie toll die Versorgung von psychisch Erkrankten in dieser Welt sein würde, konnte ich mir gut ausmalen und daran teilhaben wollte ich ganz bestimmt nicht.

In jedem Fall kam es natürlich nicht in Frage, Derand mitzunehmen und auch Geralt musste ich irgendwie wieder loswerden. Der einzige Charakter, dem ich zutraute, die Wahrheit wirklich händeln zu können, war Gaunter O'Dimm. So wenig mit die Vorstellung gefiel: Es war gut möglich, dass dieser Seelenhändler der einzige war, der mir helfen konnte, nach Hause zu kommen. Doch das musste warten. Zumindest, wenn ich den Zeitpunkt richtig einschätzte.

Was ich nicht einberechnet hatte, war Derands Hartnäckigkeit und der verführerische Klang, mit dem er versuchte, sie mir schmackhaft zu machen. "Vielleicht nehmt Ihr mich ja mit?" Vor Schreck ließ ich das Stück Käse, das ich mir gerade in den Mund hatte schieben wollen, beinahe fallen. So wie er die Worte sagte, hätte er ebenso gut fragen können, ob ich nicht Lust hätte, ihn in meinen persönlichen Reiseharem aufzunehmen. "Äh..." Wo war meine Schlagfertigkeit nur in solchen Momenten? Was sollte ich ihm sagen? Ihn mitzunehmen kam absolut nicht in Frage, selbst wenn er das noch wollte, wenn er erst hörte, dass ich an einem Hexer klebte. Wobei der mich bestimmt gerne an Derand abträte. Vielleicht war die Idee nicht einmal schlecht. Wäre da nicht diese eine Sache, wegen der ich Geralt an der kurzen Leine halten müsste bis ich sicher war, dass er sich nicht auf das Biest von Beauclair stürzen würde.

 

"Gewiss würdet Ihr es nicht bereuen, Milady." Ich zuckte zusammen. Wann war Derand so nahe gekommen? Nur wenige Zentimeter - wenn es denn Zentimeter waren - trennten unsere Nasenspitzen. Das ging mir nun doch eindeutig zu schnell. "Da-da-das ist wirklich überaus schmeichelhaft", begann ich, ohne selbst zu wissen, was ich sagen wollte, außer: 'Kommt nicht in die Tüte'. "A-Also äh... e-es gibt da eine Sache..." Instinktiv lehnte ich mich von Derand weg, dessen Miene sich nun verzog und mit einem Male gar nicht mehr so freundlich und charmant wirkte. Ehe ich mein Sprachvermögen wiederfand umfasste er mit festem Griff meine Schulter. Fest genug, dass es wehtat. "Überaus... bedauerlich." 

Selbst mir brauchte niemand sagen, dass Schluss mit lustig war. Dazu hätte ich auch nicht sehen müssen, wie Derand mit der freien Hand nach einem Messer griff. Wusste der Himmel, wo er das her hatte. Der Anblick jedoch genügte, dass ich mich gegen den Griff an meiner Schulter stemmte und versuchte, mich diesem zu entwinden. "Da-darüber können w-wir doch sprechen", versuchte ich eilig und unterbrochen vom eigenen Niesen, die Lage zu entschärfen und machte damit wohl alles nur noch schlimmer, denn im nächsten Moment sauste die Messerklinge auch schon in meine Richtung. Dass sie mich verfehlte, verdankte ich reinem Glück, denn in meiner Panik war es mir gelungen, mich dem Griff Derands zu entwinden, sodass die Klinge lediglich meinen Ärmel zerschnitt und meinen Arm darunter verletzte. Heiße Tränen stiegen mir in die Augen und ein schmerzerfüllter Aufschrei entrang sich meiner Kehle. In Filmen hielten die Leute immer alle Verletzungen locker aus, doch verdammt nochmal, das tat höllisch weh, tief oder nicht! 

 

Derand ließ sich nicht beirren, doch sein Antlitz flimmerte, beinahe wie ein alter, defekter Fernseher. Als wäre ein Schleier gelüftet worden, hatte sich sein Gesicht verändert und war doch das gleiche geblieben. Seine Haut war dunkler und wies weiße Linien auf und aus seinem Haar ragte ein Paar Hörner. Noch während ich versuchte, von ihm wegzurutschen und Derand wiederum nach mir griff, das Messer fest in einer Hand, dämmerte mir, was ich hier sah. Derand war ein Incubus. 

Im Spiel hatte ich - oder vielmehr Geralt - ein paar Succubi getroffen, die weibliche Version, wenn auch nie ein männliches Exemplar. Dennoch war unverkennbar, was Derand sein musste. Aber hieß es nicht, Succubi seien eher zurückhaltend, friedliebend und Menschen gegenüber nicht gerade feindlich gesonnen? Davon, dass sie ihr Aussehen ändern konnten, hatte ich auch noch nie etwas gehört. Irgendwie passte Derand da doch nicht so ganz in dieses Bild. "Lass mich los!", fauchte ich mehr panisch als drohend. Verschwendeter Atem, wie ich im tiefsten Inneren wusste. Er würde mich nicht einfach ziehen lassen. Seinesgleichen wurden von Radovid und den Hexenjägern gejagt und lebendig verbrannt. Würde ich ihn verraten, würde ihm das gleiche Schicksal blühen.

Ungelenk trat ich nach meinem Angreifer, der mit einer solchen Rangelei wohl auch nicht gerechnet hatte. Ein klügerer Kopf hätte vielleicht bemerkt, dass Derand kein geübter Kämpfer war, doch mein Verstand war derart von Panik vernebelt, dass ich nur an eines denken konnte: Ich musste weg hier, sonst würde mich Derand töten. Nicht einmal der Gedanke, dass ich aus diesem Komatraum vielleicht erwachen würde, wenn ich in ihm starb, kam mir. Der Incubus bekam mein Fußgelenk zu fassen und zog mit einem Ruck daran, sodass ich anstatt aufzustehen auf dem Rücken landete und dabei erschrocken japste.

 

Keiner von uns beiden bemerkte, dass jemand hinzugekommen war, ehe sich des Hexers Schatten bedrohlich über uns legte. Derand, der mit dem Rücken zu Geralt kniete, während er versuchte, mich so festzuhalten, dass er mir die Kehle durchschneiden konnte, hatte heute eindeutig keinen Glückstag. Der Hexer kannte keine Gnade, schwang die Silberklinge noch ehe Derand sie überhaupt sah, obwohl er nun auch herumwirbelte. Blut spritzte, benetzte meine Kleidung und mein Gesicht. Jedes Lächeln, das ich ob Geralts Ankunft und meiner Rettung zustande hätte bringen mögen, erstarb im Keim. Vielmehr wurde mir speiübel. Genau hier, genau jetzt tötete Geralt jemanden vor meinen Augen. Jemanden, der keine wilde Bestie war, kein verstandloses Monster. Instinktiv wollte ich etwas sagen, wollte protestieren, doch jeder Ton blieb mir vor lauter Schreck in der Kehle stecken, sodass ich nur da lag und zu Geralt und Derand hinaufstarrte. Letzterer hieb zischend mit seinem Messer in Richtung des Weißen Wolfs, der geschickt auswich. Welchen Ausgang dieser Kampf hätte, war uns allen dreien wohl klar. Derand, der Geralt merklich hoffnungslos unterlegen war, Geralt, der das fraglos direkt bemerkte und mir, die alles nur mit geweiteten Augen und einem stummen Schrei in der Kehle beobachten konnte. 

Das hatte ich nicht gewollt. Nichts davon! Niemand sollte meinetwegen sterben oder überhaupt sterben. Nicht so sinnlos! Zwar gab ich gern die Kühle, war die Letzte, die sich bei Toten in Filmen anstellte, doch hier in der Realität war das etwas ganz anderes. Vermutlich war es eben dieser Moment, in dem mir erst klar wurde, dass ich nicht träumte und alles um mich herum absolut real und echt war. Der Traum wurde ein gutes Stück weit zum Alptraum. Wie Derand zusammensackte, blutend, kraft- und leblos, bemerkte ich nicht einmal in meiner Schockstarre. Das hier war noch schlimmer als der Tod des Greifen. Der hatte mir im Nachhinein ein wenig leidgetan, aber was war Geralt übrig geblieben? Er hätte den Greifen ja schlecht zu einer Gruppentherapie einladen können. Doch mit Derand konnte man reden! Er war vernünftig, klug, gebildet und einem Menschen so ähnlich, dass ich jeden Unterschied für nichtssagend hielt. 

 

"Daelis!" Ich zuckte zusammen und starrte Geralt entgeistert an. Wann hatte ich mich aufgesetzt? Wann war Geralt neben mir in die Hocke gegangen? Starrte er mich schon lange so abwartend an? Wenn ich seinen Blick richtig deutete, ja. "J-ja?" Er seufzte leise und richtete sich auf, dabei nach meinem Handgelenk greifend und mich auf die Füße ziehend. Beinahe wie tröstend legte der Hexer im nächsten Moment auch schon eine Hand auf meinen Kopf, sodass es mich alle Beherrschung kostete, nicht sofort loszuheulen. Die ersten Tränen konnte ich in den Augenwinkeln allerdings schon brennen spüren. Derand war tot. Einfach so. Ich brachte es nicht über mich, in seine Richtung zu sehen und als hätte Geralt meine Gedanken erraten, schob er mich von der Leiche weg. Meine Gefühle standen mir vermutlich ins Gesicht geschrieben. Ich konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war.

"Ist schon spät", brummte  der Hexer. "Geh in der Wirtstube ein Bad nehmen, du siehst scheußlich aus." Jetzt schniefte ich und der Damm brach. Tränen rannen mir über die Wangen, tropften auf die blutbesudelte Kleidung und verschwanden darin. Ich wollte etwas sagen, wollte wenigstens wütend auf Geralt sein, doch beides gelang mir nicht. Der Hexer hatte mir das Leben gerettet. Ohne ihn wäre ich tot. Derand hätte mich ermordet, wieso auch immer. Das hatte ich nicht mehr herausgefunden und vielleicht spielte es auch keine Rolle. Hatte ich Derand vielleicht zu sehr verärgert? Vielleicht hätte ich ihn einfach mitkommen lassen sollen? Mein Verstand erkannte, wie albern diese Gedanken waren. Derand hatte nicht wirklich mitgewollt, sondern mich nur einfacher töten wollen, doch ein Teil von mir konnte nicht anders, als nach einer Ausrede zu suchen, mir selbst die Schuld in die Schuhe zu schieben, egal wie sinnlos es war. "Ich will nach Hause", brachte ich schließlich hervor und schluchzte unverhohlen, was den Hexer nur veranlasste, mich eilig selbst in Richtung der Taverne zu schieben.

 

Ich konnte nicht behaupten, dass ich mich nach dem Bad wirklich besser fühlte. Besser ja, vor allem körperlich, weil mir wieder warm war, auch wenn ich meine schmutzigen Kleider wieder anziehen musste. Damit konnten wir uns wirklich in keiner Stadt lange sehen lassen. Alles war blutig. Während ich mich anzog, bebten meine Finger und am liebsten hätte ich mich heulend in eine Ecke verkrümelt, doch Geralt klopfte an die Tür, noch ehe ich es über mich brachte, die nunmehr rotbraune Jeans anzuziehen, die erbärmlich stank, da halfen auch die Kräuter nichts, die ich darüber hatte ausstreuen sollen. Den Schnitt von Derand an meinem Arm hatte ich kurzerhand so belassen. Er wirkte nicht tief, auch wenn es tierisch brannte. Zum Glück war ich gegen Tetanus geimpft.

 "Beeil dich, Daelis." Stumm seufzte ich in mich hinein, aber überwand mich, mich zuende anzukleiden, damit der Hexer in seiner Ungeduld nicht entschied, mich hier zu lassen.  Als ich das kleine Bad, wenn man den Raum denn so nennen wollte, verließ, wartete Geralt bereits mit einem Reiseumhang. Ein abgewetztes Stück, aber immerhin sauber, welches er mir um die Schultern legte. "Besser als deine Jacke", entschied er und ich konnte ihm nur zustimmen. Die Jacke war nämlich dreckig, zerfetzt und obendrein voller Blutflecken, dass man meinen konnte, ich wäre durch ein Kriegsgebiet gerobbt. Geralt sagte nichts weiter, sondern schob mich einfach mit sich nach draußen. Inzwischen war es schon wieder dunkel geworden und ich ahnte, dass der Weiße Wolf sich um Derands Leiche gekümmert haben musste. Sterne funkelten am klaren Himmel und an jedem anderen Tag hätte ich den Anblick wohl besser genießen können. Heute aber fühlte ich mich nur... ich wusste es nicht einmal. Ich stand einfach neben mir.

 Erst, als wir ein großes Lagerfeuer erreichten, dämmerte mir, dass irgendetwas im Busch war. Neben mir ließ sich Geralt ein Bier in die Hand drücken, dann reichte man auch mir eines. Das ganze Dorf schien versammelt. "Dorfgründungsfeier", brummelte Geralt neben mir und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Bier. "Morgen geht es weiter." Er sagte es nicht, doch ich wusste, das tat er mir zuliebe. Damit ich zur Ruhe kam, damit ich durchhielt und abgelenkt wurde. Dankbar nickte ich dem Hexer zu, schon wieder den Tränen nahe. Er war doch sensibler, als man ihm zugestand.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Love is in the air~ Valentins-Special-Aufgabe (Teilaufgabe II):
Zu deinem Unglück stellt er sich nicht als charmanter Mensch heraus, sondern als ein Incubus. Du leistet dir mit ihm einen kurzen Kampf, bis...
Möglichkeit 1: Geralt kreuzt auf und rettet dich nach einem gefährlichen Gefecht gegen den Incubus. Du hast dir den Abend anders vorgestellt, aber dann feierst du mit deinem Lieblingshexer auf einem Fest in der Nähe.
Möglichkeit 2: Dein Kristallhänger leuchtet so stark, dass der Incubus darauf erblindet und du ihn mit einem listigen Trick überführst. Später zeigst du Geralt stolz deine Eroberung. Statt Lob kassierst du von dem Hexer eine Art Standpauke und kannst ihn irgendwie überreden, mit dir den restlichen Abend zu verbringen.

Eingetreten ist wohl klar Möglichkeit 1. Angesichts meiner nicht vorhandenen Kampffähigkeit und Erkrankung in der Geschichte fand ich das einfach realistischer. Safe me, Geralt! xD Komplett anzeigen

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