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Blood and Whine

Ist doch alles Käse!
von

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Der Hexer

Planlos raste ich durch den dunklen Wald, blieb dabei immer wieder an Ästen und Zweigen hängen und verfluchte den Tag und den Greifen über mir im Besonderen, denn der war längst auf mich aufmerksam geworden. Wie hätte es auch anders sein können? Als wäre ich so ein widerlich stinkender Kreuzdorn! So hieß, meinte ich, die Pflanze, die in Flüssen wuchs, stank als gäbe es kein Morgen und als Greifenköder fungierte. Eine der Lektionen Vesemirs, die in meinem Kopf hängen geblieben waren. Nur, dass mir das überhaupt nicht weiterhalf, denn ich wollte ja keinen Greif anlocken, sondern vielmehr einem entkommen. Hinter mir ertönte erneut lautstark und für meinen Geschmack viel zu nahe das Kreischen des Greifen, als habe dieser meinen Gedanken gehört und plane, mir aufzuzeigen, dass der Gedanke, ich könnte vor ihm davonlaufen, ziemlich absurd war. Mit seinen mächtigen Schwingen war das Biest zweifellos wirklich viel schneller. Mein einziger Vorteil war, dass die Äste der Baumkronen den Greifen daran hinderten, zwischen den Stämmen durchzufliegen. Sonst hätte er mich wohl auch schon längst eingeholt. Aber auch so war das mystische Wesen mir näher, als mir lieb war. Nur der Gedanke an die Klauen der Kreatur genügte, um mich anzuspornen, das Brennen in meiner Brust ebenso zu ignorieren wie meinen rasselnden Atem.

Japsend taumelte ich halb vorwärts, halb rückwärts weiter und wie es der Zufall so wollte, fand ich dabei die eine lose Wurzel im ganzen Umkreis, um an eben dieser Wurzel hängen zu bleiben und ungebremst auf meinen linken Arm zu fallen. Glühend zog sich der Schmerz meinen Ellenbogen hinauf bis in meine Schulter. Autsch! Das würde auch morgen noch kräftig wehtun, vorausgesetzt natürlich ich überlebte bis dahin, denn direkt neben mir war der Greif gelandet. Schrill durchdrang sein Kreischen den Wald und ging mir durch Mark und Bein. Ich wollte schreien, doch jeder Laut blieb mir im Halse stecken, als das Biest mich mit seinem Blick fixierte. Wäre es vernunftbegabt, hätte ich vielleicht darauf hoffen können, mich irgendwie aus meiner misslichen Lage herauszureden, doch die nach mir schlagende Klaue verriet klar, dass ich mir die Mühe auf jeden Fall sparen konnte. Heiße Tränen schossen mir in die Augen. Es fühlte sich an, als wäre die Zeit plötzlich träge geworden, so viel ging mir durch den Sinn, während ich mir der Endgültigkeit meiner Lage bewusst wurde. Alles außer den Greifen hatte ich sowieso längst ausgeblendet. Womit hatte ich das nur verdient? Warum musste ich so jung sterben! Ich hatte noch so viele Pläne! Ich wollte noch so gerne die neue Witcher-Serie von Netflix schauen, die im nächsten Jahr erscheinen sollte, ich wollte so gerne noch Tanz der Vampire sehen, Thomas Borchert live hören! Doch jetzt würde das Letzte, das ich sah und hörte, das Mistvieh sein, das sich auf mit gespreizten Schwingen auf mich stürzte. Instinktiv hob ich die Arme schützend vor mein Gesicht. Dass ich am ganzen Leib schlotterte und die Hände zu Fäusten geballt hatte, bemerkte ich nicht einmal mehr. Mein Ende war nah. Der Greif würde mich töten und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte.

Der erwartete Schmerz kam nicht. Stattdessen erfüllte ein strahlend grelles, bläuliches Licht den Wald, blendete mich und den Greifen gleichermaßen, sodass ich die Augen zukneifen musste, ohne überhaupt zu ahnen, woher dieses Licht überhaupt kam, wenn ich auch insgeheim zuerst mein Handy im Verdacht hatte. Ansonsten trug ich ja nichts bei mir, das hätte leuchten können, auch wenn mich dieses Licht eher an das Fernlicht eines Autos erinnerte. Selbst durch die geschlossenen Lider drang noch Helligkeit, sodass weiße Blitze über mein Sichtfeld zuckten. Erst, als ich eine Weile lang keine Krallen in meinen Armen spürte und Stille mich einhüllte, öffnete ich blinzelnd die Augen. Das Lich verebbte gerade und zu meiner Überraschung trug ich seine Quelle um den Hals. Ein blauer Stein mit silberner Fassung, welcher an einem dunklen Lederband hing. Doch noch ehe mich darüber wundern konnte, woher dieser Anhänger denn kam, den ich nie zuvor gesehen hatte, fiel mir etwas viel Bedeutenderes auf. Ich lebte. Der Greif hatte mich nicht angefallen und zerrissen. Mein Blick glitt suchend umher. Fassungslos rieb ich mir über die Augen. Der Greif, er war verschwunden! Einfach so! Allerdings war nicht nur der Greif fort, sondern auch der Wald. Statt kahlen Baumstämmen offenbarten sich mir weite Felder und Wiesen. Der Boden unter mir war nicht länger weich und mit buntem Laub bedeckt. Stattdessen spürte ich zahlreiche feste Grashalme unter meinen Fingern.

"Was zur Hölle...?", murmelte ich in mich hinein und ließ meinen Blick fassungslos über die Umgebung schweifen. Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wo ich hier war. Zugegeben, das war nicht so ungewöhnlich bei meinem miesen Orientierungssinn, aber ich könnte schwören, dass ich hier ganz bestimmt noch nie gewesen war. Allerdings hatte ich auch keine Ahnung, in welche Richtung der Greif mich verschleppt hatte. Allzu weit von zuhause konnte es eigentlich nicht sein. Unischer rappelte ich mich auf und versuchte, trotz der Dunkelheit, mehr zu erkennen. Vergeblich, auch wenn ich ein paar Gebäude ausmachen konnte, die sich als kleine Häuser entpuppten, als ich auf sie zuging. Eine Straße oder auch nur Straßenlaternen konnte ich jedoch nirgends entdecken. Selbst für ein Dorfkind wie mich war das hier quasi der Arsch der Welt. Das musste eine der Gegenden sein, in denen das Internet etwas war, das man nur vom Hörensagen kannte. W-LAN, was ist das? Ich selbst hatte ja einen guten Teil meiner Kindheit und Jugend in so einer Gegend zugebracht. Entsprechend war mir der Anblick von weiten Wiesen und Feldern auch bekannt, aber die Häuser hier muteten mehr als altbacken an. Himmel, die waren nicht nur im vorletzten Jahrhundert hängen geblieben, sondern im vorletzten Jahrtausend! Entschlossen, besser schnell herauszufinden, wo ich war und wie ich hier schnell wieder wegkam, stapfte ich einfach auf die Häusergruppe zu. Vielleicht hatte ich, überlegte ich, das Bewusstsein verloren oder träumte das alles nur. Inzwischen schien mir Letzteres schon am wahrscheinlichsten. Zumindest erschien mir das realistischer, als dass mich ein Greif in sein Nest verschleppt hatte, aus dem ich dann geflüchtet war, um schließlich von einem mysteriösen Kettenanhänger davor bewahrt zu werden, als Greifenbabymahlzeit zu enden. Prüfend griff ich nach der Kette und betrachtete den blauen Kristall, der daran hing. Eindeutig nicht meiner, so viel konnte ich sicher sagen. Dass ich ihn dennoch um den Hals trug, sprach für meine Traumtheorie. Mit einem Seufzen schob ich das Kleinod unter mein T-Shirt und kramte stattdessen nach meinem Handy, dessen Display mir die entmutigende Realität zeigte, mit der ich schon gerechnet hatte. Kein Netz. Aber bestimmt ließe man mich im Dorf irgendwo telefonieren. Wenn mir niemand half, ein Taxi zu bezahlen, könnte ich immer noch die Polizei anrufen und ihnen erklären, dass ich nicht wusste, was mir widerfahren war. Den Teil mit dem Greif würde ich dann auf jeden Fall auslassen, sonst landete ich höchstens in der Ausnüchterungszelle. Auch wenn das vermutlich immer noch besser wäre, als hier draußen, irgendwo im Nirgendwo, festzuhängen.
 

Unsicher beäugte ich meine Umgebung, so gut das eben möglich war, wenn es nirgends eine ordentliche Lichtquelle gab und man nur mit seinem Handy zugange war. Nicht einmal eine richtige Straße gab es hier, nur einen breiten Trampelpfad, der die einzelnen Gebäude miteinander verband, welche alle durch halbhohe Zäune voneinander getrennt waren. Die Zäune waren allerdings so krumm und schief aus Stöcken und Brettern zusammengenagelt, dass sie diese Bezeichnung eigentlich nicht verdienten. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Wo zur Hölle war ich hier nur gelandet? Hinterwäldlerhausen? Blöderweise half es alles nichts. Wenn ich hier wegwollte, musste ich irgendwo nach einem Telefon fragen. Außerdem hatte ich ohnehin wenig Lust, weiter draußen im Kalten zu stehen. Nach kurzem Zögern entschied ich mich für das größte der Gebäude, aus dem Lachen und Gejohle schallte. Kurz wog ich ab, einfach anzuklopfen, doch dann entschied ich mich, die Tür einfach aufzuschieben. Vielleicht war das ja eine Art Bar? Mit dieser Vermutung war ich nah dran gewesen, wie ich beim Eintreten feststellen sollte. Rustikal eingerichtet erinnerte das Innere des Hauses ebenso wie sein Äußeres stark an eine Gaststube, wie sie vor einigen Jahrhunderten üblich gewesen wäre. Damit gesellte sich zu meiner Theorie, dass ich träumte, die Möglichkeit, dass ich auf ein Mittelalterfest gestolpert war. Würde irgendwie auch den Greif erklären, der dann natürlich nicht echt gewesen sein konnte, auch wenn er sich wirklich echt angefühlt hatte. Für all das musste es einfach eine rationale Erklärung geben und noch hoffte ich, dass die weder „Ich bin durchgedreht“ noch „Ich liege im Koma“ lautete.

Kaum, dass ich den Schankraum betrat, kehrte Stille ein und nur in einer entfernten Ecke johlte ein Gast lallend weiter, der mich wohl nicht einmal mehr bemerkt hätte, wäre ich ein riesengroßes Pikachu. Alle Anderen jedoch starrten mich ausnahmslos an. Unsicher hob ich eine Hand zum Gruß. "Hallo?" Wie unangenehm. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen und mehr als jetzt gerade ging nun wirklich nicht mehr. Einen Moment lang blieb es still, dann ergriff ein Mann, der am Tisch neben der Tür saß, das Wort. "Kommt rein, sucht Euch einen Platz und belästigt keinen, Fremde." Dabei sah er mich finster an, als hätte ich ihm persönlich den Abend gehörig versaut. Kein Grund, gleich unfreundlich zu werden. Ich war auch nicht gerne hier, danke, Anwohner. Die bissige Bemerkung, die mir auf der Zunge lag, schluckte ich herunter. Arschloch. Ich hatte ihm doch gar nichts getan. Als würde ich hier herumlaufen mit dem einzigen Ziel, Leuten auf den Sack zu gehen! Meinen giftigen Blick bemerkte er wohl nicht, dafür aber sein Trinkkumpan, der seine Karten auf den Tisch legte und mich unfreundlich ansah. "Wir haben hier genug von Fremden. Geht wieder." Na, das nannte ich mal Gastfreundlichkeit. "Keine Sorge, hab' nicht vor, lang' zu bleiben", gab ich patzig zurück und erntete nun erst recht misstrauische und wenig wohlwollende Blicke der anderen Gäste. Ganz toll.
 

Unter den skeptischen Blicken der Gäste suchte ich mir einen Platz an der Theke, ganz am Rand, in der Nähe der Tür. So richtig sicher fühlte ich mich hier nicht und irgendwie erschien es mir ratsam, einen Fluchtweg nahe zu wissen, auch wenn ich mir eigentlich nicht vorstellen konnte, dass jemand einfach so handgreiflich würde, solange ich mich benahm. Dass man hier Fremdenfeindlichkeit pflegte, hatte ich zwar sehr gut verstanden, doch das war ja noch lange kein Grund für Gewalt. Alles, was ich wollte, war, ein Taxi oder die Polizei anzurufen, damit jemand mich abholte und heimbrachte. Seufzend zog ich erneut mein Handy heraus. Nope, kein Netz. Wäre ja auch zu schön gewesen. Also würde ich wohl oder üblich nach dem Telefon fragen müssen. Nach der wenig erfreulichen Begrüßung hatte ich gehofft, ein Wunder in Form von Netzverbindung über mobile Daten wäre mir hold. Leider schien heute so überhaupt nicht mein Tag zu sein. Also schob ich mich entschlossen an die Theke und tatsächlich entschied die Frau dahinter, sich mir nach einer gefühlten Stunde endlich zuzuwenden, anstatt weiter einen dreckigen Lappen an einem Holzbecher zu reiben, der längst trockener als die Wüste Gobi sein musste. "Was wollt Ihr trinken?", fragte sie mich. "Wir? Äh... nein, nichts. Danke. Ich bin allein und möchte eigentlich nur kurz telefonieren. Ehrlich gesagt, weiß ich nämlich nicht so richtig, wo ich bin und mein Handy kriegt keinen Empfang", erklärte ich ihr eilig, doch sie verstand scheinbar kein einziges Wort. Oder sie wollte es nicht, da war ich mir nicht ganz sicher. War das hier ein LARP-Event? Oh man! Man konnte es auch übertreiben. Dass ich nicht dazugehörte, war doch offensichtlich. "Hören Sie", fuhr ich beschwörend fort, "Ich will hier wirklich nicht stören, aber wenn ich kurz telefonieren könnte, wäre ich auch ganz schnell wieder weg." Die Frau wirkte nicht überzeugt, schüttelte nur den Kopf und reichte mir schließlich einen Becher, aus dem irgendetwas nach Kräutern roch, während sie etwas vor sich hinmurmelte, das eindeutig nach "Völlig verwirrt, das junge Ding" klang. Der gab ich gleich verwirrt! Missgelaunt nahm ich den Becher entgegen, immerhin wollte ich nicht undankbar sein. Geholfen hatte sie mir damit allerdings nicht wirklich. "Mist", brummelte ich, mehr an mich selbst als jemand anderes gewandt, da ließ mich ein leises, grollendes Lachen aufhorchen. Noch während ich das Gefühl, diese Stimme zu kennen, einzuordnen versuchte, war meinen Augen sofort klar, was Sache war. Meinem Verstand allerdings überhaupt nicht mehr. Gelbe Katzenaugen trafen meinen Blick, welcher fassungslos über die mir gleichermaßen fremde wie bekannte Gestalt glitt.

Der Mann neben mir wäre wohl als "gealterter Krieger" gut beschrieben, doch ich wusste es besser. Geralt von Riva. Der Schlächter von Blaviken. Weißer Wolf. Hexer der Wolfsschule von Khaer Morhen. Ein Mutant, der Monster jagte. Stumm starrte ich ihn an. Alles passte. Wirklich alles. Die Statur, die Rüstung, die beiden Schwerter auf seinem Rücken, das grauweiße Haar und diese stechenden, gelben Katzenaugen. Jede einzelne Narbe, von denen es wirklich einige gab, war da. Der Weißhaarige mit dem Dreitagebart neben mir war eindeutig Geralt von Riva. Nur, dass das völlig unmöglich war. Genauso unmöglich wie ein Greif oder ein Kettenanhänger, der herumleuchtete und Leute teleportierte. Kein gutes Argument, das musste ich mir selbst eingestehen. Mein inneres Fangirl machte einen aufgeregten Satz. Geralt von Riva. Scheiße, Yeah! All diese hammerspannenden Quests, die ich in seiner Rolle durchgespielt hatte, all diese tollen, traurigen und schönen Geschichten, all diese Erlebnisse! Am liebsten hätte ich ihn direkt um ein Autogramm gebeten, doch dann hätte mich wohl jeder hier endgültig als wahnsinnig abgestempelt. Ein bisschen stimmte das sogar, wenn man ehrlich war. Der Fan in mir war hin und weg. Selbst wenn ich das Spiel Wild Hunt nicht so geliebt hätte, hätte ich niemals leugnen können, dass dieser Mann wahnsinnig attraktiv war und dann noch diese Stimme! Geralt von f*cking Riva! Das hieß, hier lief vielleicht auch noch Yennefer irgendwo herum. Die würde ich auch zu gern kennenlernen! Auch wenn ich vermutlich nicht darauf hoffen dürfte, dass die kluge und begabte Zauberin ihr Wissen mit mir teilte, wäre ich doch Feuer und Flamme, nur einen Blick auf ihre Kunst zu erhaschen, immerhin gab es nach meinem bisherigen Weltbild keine Magie. Wenn auch nur in einem seltsam realistischen Traum, sie könnte mich womöglich eines Besseren belehren.
 

So sehr mein inneres Ich auch durchdrehte und kreischend im Kreis lief, so still und stumm war ich nach außen hin geblieben. "Dein erster Hexer, hrm?", ergriff er nach einigen Augenblicken peinlicher Stille das Wort. Meine Antwort hing irgendwo zwischen Nicken und Kopfschütteln, was er mit erhobenen Augenbrauen quittierte. Als ich wieder keinen Ton herausbrachte, fuhr Geralt fort: "Ihr selbst seht aber auch ziemlich ungewöhnlich aus." Nun war es an mir, die Augenbrauen zu heben. "Aha?", entgegnete ich und blickte an mir hinab. Absolut nicht seltsam. Ein bisschen zerrupft definitiv, aber nicht seltsam. Nun ja, zumindest nicht für meine Verhältnisse. Man sollte meinen, ein Charakter aus einem Traum würde sich nicht daran aufhängen, dass ich Kleidung aus einer völlig anderen Epoche trug – oder einer anderen Welt. Wie auch immer man das nun bezeichnen wollte. Spielte vermutlich keine Rolle. Träume hinterfragten solche Details üblicherweise nicht und wer wäre ich, dieses ungeschriebene Gesetz ändern zu wollen? „Mich hat so ein Vieh angegriffen. Ich bin zwar irgendwie entkommen, aber...“ Seufzend zupfte ich an meiner zerrissenen Jeans, die so fleckig war, dass ich beinahe das Gefühl hatte, mich bei der Bundeswehr eingekleidet zu haben. „Ich hatte wohl mehr Glück als Verstand. Sonst wäre ich überhaupt nicht lebend hier angekommen, sondern als ein erster Snack für den Nachwuchs geendet“, versuchte ich möglichst vage bezüglich des Greifen zu bleiben. So skeptisch wie die Leute hier eh schon auf mich reagierten, wollte ich jetzt nicht noch nachlegen, sonst könnte nicht einmal ein Hexer mich mehr beschützen. Auf einen wütenden Mob konnte ich gut und gerne verzichten. Da zog ich es vor, dass mich die Gäste inzwischen einfach ignorierten.

Geralts Aufmerksamkeit hatte ich nun allerdings. Sollte mir recht sein. Wenn ich schon im Koma lag - und das schien mir inzwischen glaubwürdiger als die Schlaf-Theorie - dann konnte ich auch das Beste daraus machen und Geralt war doch ein ziemlich guter Anfang. Auf jeden Fall um Längen besser als der Greif. Also wandte ich mich dem Hexer mit einem zufriedenen Lächeln zu, den das offenbar mindestens so sehr irritierte wie meine Kleidung, wenn ich seinen Blick richtig deutete. So ganz verübeln konnte ich es ihm nicht. Erst starrte ich ihn an und hielt Maulaffen feil, dann freute ich mich plötzlich über seine Anwesenheit. Ersteres war er von den Leuten wohl sogar noch gewohnt, immerhin waren Hexer nicht so häufig, aber zweiteres gehörte üblicherweise nicht in das Repertoire der Leute, die zum ersten Mal einen Mutanten trafen. Die Hexer, gleich welcher Schule sie angehörten, erfreuten sich nicht unbedingt eines guten Rufs und üblicherweise waren die Leute froh, wenn sie entweder keinen brauchten oder ihn schnell wieder loswurden, nachdem er seine Arbeit getan hatte. Um die hiesigen Monster loszuwerden, waren ihnen die Hexer gut genug, aber im Hause wollte keiner einen haben. Ein wirklich undankbares Business, wenn man mich fragte.

"Ein Vieh?", hakte der Weiße Wolf interessiert nach und ich nickte. "Ja, ein Königsgreif. Hat nicht viel gefehlt und er hätte mich gefressen. Also... sie, nicht er. Sie brütet gerade. Hat mich einfach in ihr Nest geschleppt. Ich bin nur knapp entkommen", erklärte ich und ließ die Geschichte mit dem Anhänger erstmal aus. Nach allem, was ich wusste, hatte der mich vermutlich wegteleportiert, was dann auch erklären würde, wieso ich plötzlich nicht mehr in einem Wald, sondern am Rand dieses Dorfes im Dreck gelegen hatte. Das musste Geralt nicht wissen. Er mochte ja eh keine Portale. Außerdem wollte ich nicht, dass er mich für eine Zauberin hielt, denn das war ich schlichtweg nicht. Sonst hätte ich mich wohl besser gegen die Bestie verteidigen können. Meine Worte hatten jedoch genügt, damit sich der Katzenäugige nebst seinem Drink gänzlich zu mir drehte. "Königsgreif?", wiederholte Geralt fragend. Einen Moment lang glaubte ich, Misstrauen in seinen Augen blitzen zu sehen, doch schnell war dieser Eindruck verflogen, also schob ich es auf meine Einbildung und nickte. „Das trifft sich gut“, befand der Hexer nach kurzem Schweigen. „Ich habe nämlich den Auftrag, diesen Greifen zu erledigen. Ihr könnt mir doch sicher die grobe Richtung weisen.“ Konnte ich nicht. Aber das musste er ja nicht wissen. Ein süffisantes Grinsen breitete sich auf meinen Zügen aus. "Quid pro quo, Clarice." Geralt sah mich nur verständnislos an. Klar, Schweigen der Lämmer kannte er nicht, also klärte ich auf: "Was kriege ich dafür?" Geralt stutzte, dann lachte er. Der Hexer glaubte wohl, ich mache einen Scherz, aber als ich ruhig blieb, dämmerte ihm scheinbar, dass dem nicht so war. Ein grimmiger Zug trat in seine Miene. „Ich bezahlte Euch nicht“, meinte Geralt knapp. Ich schüttelte nur den Kopf. „Ich will auch gar kein Geld.“ "Was wollt Ihr dann für diese Information haben?" Geralt sah aus, als müsse er jeden Moment loslachen, als er einen Schluck aus seinem Becher nahm, über dessen Rand er mich im Auge behielt. Ich tat es ihm gleich und ächzte erschrocken, als die Flüssigkeit eine brennende Spur in meinem Hals hinterließ. Igitt, Alkohol! "Bleh", würgte ich verhalten und schüttelte mich. Himmel, das Zeug ätzte einem ja die Stimmbänder weg! "Ich will hier weg. Am besten in eine große Stadt", erklärte ich ihm, meinen Becher demonstrativ ein Stück von mir schiebend. "Und du", fuhr ich ungeniert fort, "wirst mich mitnehmen."
 

Stille legte sich über uns. Geralt sah mich ruhig an und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Becher, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken. Wie machte er das nur? Das Zeug war bestialisch! Ich wollte mich schon schütteln, wenn ich nur daran dachte, noch einmal daran zu nippen. Mein Hals fühlte sich an, als hätte ich Schmirgelpapier inhaliert. Der Hexer setzte seinen Becher schließlich ab und musterte mich. "Nein, werde ich nicht", erklärte der Weiße Wolf entschieden. Ich starrte zurück. "Doch, wirst du." Ungläubig schüttelte er den Kopf. "Nein. Es sei denn, Ihr zahlt dafür", brummte er halbherzig und griff nach einem Stück Käse, das vor ihm auf einem Holzteller lag. Während er sich seinem Abendessen widmete, kramte ich in meiner Jackentasche und entleerte schließlich deren Inhalt auf dem Tresen. Handy, Fussel, zwei 1 €-Münzen, Schlüsselbund und ein zerknülltes Theaterticket. Nicht gerade Reichtümer, die ich aufbieten konnte, und irgendwie zweifelte ich daran, dass der Hexer sich für irgendetwas davon erwärmen könnte. "Ich biete 2 € und einen Fussel?", bot ich scherzhaft an, hielt aber inne, als mir auffiel, wie misstrauisch Geralt mein Handy begutachtete, welches ich umso eiliger wieder einsteckte, ebenso wie meinen Schlüsselbund. Die standen eindeutig nicht zur Debatte. "Mehr hab' ich nicht dabei, wie du siehst." Mit diesen Worten schob ich Geralt die Münzen zu. Der Hexer begutachtete erst die Münzen, schnipste dann den Fussel vom Tresen und untersuchte anschließend das Theaterticket, welches er kurz, aber eindringlich studierte. "Ist schon vorbei", wollte ich erklären, aber da schob er mir den Zettel auch schon zu und ich steckte ihn wieder ein. „Seltsame Münzen. Behalt sie“, murmelte Geralt leise, wobei sein Blick nicht auf mir ruhte, sondern auf der Gastwirtin, die uns skeptisch beäugte. Den Wink verstand sogar ich. Eilig griff ich nach meinem Geld.

„Also wirst du mich nicht mitnehmen“, schloss entmutigt aus Geralts Geste. "Ich überlege es mir, wenn", betonte er eindringlich, "Ihr mir helft, den Greifen zu finden." Er war eindeutig nicht überzeugt, sondern wollte nur nicht weiter diskutieren, das merkte ich genau. Vielleicht traute er den Leuten um uns herum auch einfach nur zu, dass sie uns beide aufknüpften, weil wir ihnen suspekt waren. Oder er hatte schlicht Mitleid mit mir, weil ich offensichtlich alleine unterwegs und total verpeilt war. Diese Abwägungen weckten in mir jedoch auch die Sorge, der Hexer könnte sich einfach ohne mich vom Acker machen, um sich nicht mit mir herumschlagen zu müssen.

"Ich kann mehr einstecken, als es den Anschein hat!", argumentierte ich ungefragt und ignorierte Geralts Seufzen. Der Rest der Tavernengäste war eindeutig froh, dass sich der Hexer geopfert hatte, sich mit mir abzugeben, sodass sie selbst es nicht mussten. Sie hielten sich nämlich fein raus und vermieden jeden Blick in unsere Richtung. Dem Hexer stand ins Gesicht geschrieben, dass er bereits bereute, mich angesprochen zu haben, doch so schnell ließ ich mich nicht von meinem Plan abbringen, mich an seine Fersen zu heften. Das hier war mein Koma und hier entschied ich. Und ich wollte gefälligst mit meinem Lieblingshexer herumziehen! „Also? Ich zeige dir den Weg zum Greifen und du nimmst mich dafür mit“, bohrte ich weiter nach. Geralt seufzte erneut tief, sichtlich überlegend, wie er aus dieser Sache wieder herauskam. „Hör zu“, wechselte er zur informellen Anrede, „Ich habe keine Zeit für solchen Unfug. Sag mir einfach, in welcher Richtung das Nest liegt. Dann ersparst du mir eine Menge Zeit und den Dorfbewohnern weitere tote Ziegen und Schafe.“ Stur verschränkte ich die Arme, anstatt zu antworten. Das kam nicht in Frage. "Fein", ächzte der Hexer ergeben. „Trinken wir drauf.“ So wie er klang, wollte er wohl eher sagen „Nüchtern ertrage ich das nicht“, aber ich ließ es so stehen, fest entschlossen, dem Kerl zu zeigen, dass er mich nicht unterschätzen sollte. Immerhin war ich dem Greifen schon einmal entkommen, wenn ich auch keine Ahnung hatte, wie. Ich griff nach meinem Becher und stürzte den Inhalt herunter. Absolut scheußlich! Neben mir schüttelte der Hexer nur den Kopf, folgte meinem Beispiel aber.

"Und wie heißt meine neue Begleiterin?", wollte Geralt nach schließlich wissen, nachdem er schweigend auch noch ein Stück Speck von seinem Teller verspeist hatte. Einen Moment lang zögerte ich. Mir lag etwas Albernes wie „Die, deren Name nicht genannt werden darf“ auf der Zunge, doch das hatte Geralt einfach nicht verdient. Meinen richtigen Namen würde ich hier allerdings lieber auch nicht herumposaunen, also entschied ich mich einfach für meinen Nick. "Daelis." Geralt hob eine Braue und nickte. „Daelis also.“ Er glaubte mir nicht, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Man sollte meinen, er wäre besser darin, seine Gefühle und Gedanken zu verbergen. Vielleicht wollte er aber auch einfach nur, dass ich ihm ansah, dass er meine Lügen nicht kaufte. „Na meinetwegen. Ich hei-“ „Geralt“, unterbrach ich ihn. Misstrauisch nickte der Hexer, dann schob er mir meinen Becher zu, den die Wirtin wieder gefüllt hatte. Mir war noch vom ersten unangenehm warm, doch ich wollte mir keine Schwäche anmerken lassen. Vorsichtig nippte ich am Gesöff. Immer noch ekelhaft, doch Geralt nahm einen Zug und da ich leider entweder nicht mehr nüchtern oder willensstark genug war, um einfach darüberzustehen, genehmigte ich mir auch einen, als müsste ich mich beweisen. Man sollte meinen, das wüsste ich besser. "Guter Schnaps", lobte der Hexer die Wirtin, die nur knapp nickte. Gut am Arsch. Ächzend rieb ich mir die Schläfen, was Geralt ein Lachen entlockte. "Sag bloß, du kannst schon nicht mehr?" Demonstrativ nahm ich noch einen Schluck und bereute es sofort. Das Zeug war nicht nur widerlich, es verätzte einem glatt neben der Speiseröhre noch gleich den kompletten Magendarmtrakt mit.

Wie mich der Hexer aus den Augenwinkeln mit deutlich ernsterer Intention musterte, bekam ich nur noch am Rande mit. Weniger mein unübersehbar beschwipster Zustand als vielmehr die ungewöhnliche Kleidung, die ich trug, und der Umstand, dass ich verletzt war, machten mich interessant. Ein Teil von mir ahnte, dass Geralt überhaupt nur deshalb bereit war, mich mitzunehmen, weil er glaubte, ich sei eine Ausgestoßene ähnlich wie er. Viel weiter reichten meine Gedanken jedoch nicht mehr. Dafür war ich längst zu sehr im Suff versumpft. Das kam davon, wenn man nie trank: Man vertrug nichts. Dass meine Aussprache bereits begann, unter der Wirkung des Schnapses zu leiden, sorgte allerdings nicht dafür, dass ich die Klappe hielt, ganz im Gegenteil. Noch vor dem dritten Becher lehnte ich lallend gegen den Hexer und erzählte ihm etwas von den „Zeugen Jehovas, die immer wieder klingeln“, was ihm freilich absolut nichts sagte und mein gesamtes Umfeld wohl nur noch in der Überzeugung bestärkte, dass ich irgendwie nicht ganz richtig im Kopf war.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Aufgabe war: Bevor der Greif dich erwischt, stolperst du über eine Wurzel und fällst hin. Vor die landet der Königsgreif und nähert sich. Doch dann leuchtet auf einmal der Kristall, der um dein Hals ist, wie ein blaues magisches Licht. Als du deine Augen öffnest, befindest du dich plötzlich woanders. Du entdeckst eine Bar, die in einem Dorf steht. Als nächstes gehst du hiein und versuchst, Informationen zu sammeln. Dabei sprechen dich eigenartige Menschen an - bis du ihn triffst: Geralt von Riva. Du muss ihn übereden, dich mitzunehmen, indem du mit ihm einen Trinkwettbewerb machst. Dabei bemerkt Geralt die Verletzungen an dir.

Ich finde, ich hab' mich gut geschlagen. :'D Da ich nie trinke - und zwar wirklich nie - wird das ein sehr billiges und schnelles Besäufnis. Keine Ahnung, wie das Geralt überzeugen soll, mich mitzunehmen. Mitleid? Sonst muss ich's wohl mit Erpressung versuchen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Erenya
2018-03-20T16:52:17+00:00 20.03.2018 17:52
Also hier mal etwas Kritik. Einfach weil ich kann XD

Ich persönlich empfinde die Reaktion auf das "Ich muss mal telefonieren" etwas zu hinnehmend. Ein verwirrter Blick wäre gut gewesen oder mindestens die Frage was telefonieren sein soll und dann diese Bemerkung "Armes junges Ding"

Dann noch hier: Der Weißhaarige mit dem Dreitagebart neben wir war eindeutig Geralt von Riva.
Das "wir" sollte sicher "mir" heißen, oder?

Ich reize meist ja die Traum-Theorie aus, du aber die allseitsbeliebte Koma-Theorie. Tze Tze... Wir sind schon dezent einfallslos XDD Auf das naheliegendste kommen wir nie.

Eines muss man sagen, so ein klein wenig Größenwahnsinnig gegenüber Geralt bist du schon, ne?

Unglaublich, dass du in der Ich-Form noch erzählen kannst, was du besoffen gelallt hast. XD Aber sehr interessant. Die Geschichte von den niedlichen zeugen Jehovas würde mich nun sehr interessieren.
Antwort von:  Daelis
20.03.2018 18:25
Da sieht man schon, wie sehr mich Geralt durcheinander bringt! xD
He, es ist mein Koma - und da gebe ich den Ton an. Zumindest bis ich wahlweise betrunken unter der Theke oder nass und schmutzig in der Gegend herumliege. xD

Aber die Geschichte mit den Zeugen erzähl ich hier lieber nicht. Wir wollen ja keine Grundsatzdiskussion lostreten :'D (Aber lustig war's!)
Antwort von:  Erenya
20.03.2018 18:27
ach komm ich diskutiere auch nicht versprochen.
Antwort von:  Daelis
20.03.2018 18:28
xD DU nicht. Sagen wir einfach: Sie waren sehr bemüht und kamen spät abends. Ich auch. Aber von einer Con.


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