Blood and Whine von Daelis (Ist doch alles Käse!) ================================================================================ Prolog: Greifen greifen ----------------------- Kalter Abendwind wehte mir ins Gesicht, zerzauste meine Haare und ließ die bunten Baumkronen so laut rauschen, dass es sich fast anhörte, als wäre man am Meer. Laub raschelte und knisterte bei jedem Schritt unter meinen Füßen. Ich mochte dieses kleine Waldstück. Wenn man es denn so nennen wollte, immerhin konnte man im Winter problemlos von einem Rand zum anderen sehen. Jetzt im Spätherbst waren die Bäume zwar schon kahl, der Boden jedoch voller Blätter, die in schönsten Gelb- und Rottönen leuchteten. Hinter den dichten Wolken konnte man die Sterne mehr erahnen als sehen. Es war viel später geworden, als ich es geplant hatte. Eigentlich hätte ich längst daheim sein wollen, gemütlich eingekuschelt auf meinem Sofa oder vorm Rechner. Stattdessen stand ich hier und konnte förmlich spüren, wie der erste Frost sich durch die Sohlen meiner Turnschuhe zog bis hoch in meine Beine. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, dennoch innezuhalten und für einen Moment einfach nur die Stille zu genießen. Die Ruhe währte jedoch nicht lange, sondern wurde von einem mir wohlbekannten Klang gestört, den ich unter anderen Umständen besser hätte genießen können. Mein Handy hatte unversehens begonnen, „Tesham Mutna“ vom Witcher III-Soundtrack abzuspielen. Missmutig kramte ich das Telefon aus meiner Umhängetasche und blickte auf das Display, welches mir musikalisch unterlegt kundgab, dass mich eine SMS erreicht hatte. Sansi. Einen Moment lang war ich versucht, die Nachricht einfach zu ignorieren. Allein die Erinnerungen an unseren dummen Streit genügte, um jeden Anflug von Entspannung direkt wieder zunichtezumachen. Verbissen rief ich die SMS auf, mit dem festen Vorsatz, nicht vorschnell zu antworten, um nichts zu schreiben, das mir später leidtäte. Die ganze Planung war einfach scheiße gelaufen, daran hatten wir beide gleichermaßen Schuld oder eben auch nicht und im Grunde wussten wir das beide. Es war albern, dass wir uns deswegen überhaupt in die Haare bekommen hatte. Wieso hatten wir darüber überhaupt gestritten? Wir waren wohl letzten Endes wohl einfach beide zu frustriert gewesen, weil der geplante Kurztrip ins Wasser fiel, obwohl wir beide uns so darauf gefreut hatten. Seufzend schob ich das Handy zurück in meine Jackentasche und hob den Blick zum Himmel. Die Wolkendecke hatte sich an einer Stelle geöffnet und gab den Blick auf ein funkelndes Sternenmeer preis. Dass genau in diesem Moment eine Sternschnuppe durch mein Blickfeld fiel, war reiner Zufall, aber einer, der mich schmunzeln ließ. „Wäre es doch nur immer so ruhig“, wünschte ich mir stumm, schloss die Augen und atmete bewusst einige Male ein und aus. Mein Wunsch wurde mir nicht erfüllt. Ein schrilles Kreischen durchbrach die abendliche Stille und kaum, dass ich mich zur Quelle des Lärms umgewandt hatte, erblickte ich auch schon ihren Ursprung in Form einer Kreatur, von der ich niemals erwartet hatte, sie jemals zu erblicken. Eine Kreatur, die es schlicht und ergreifend nicht gab! Meine Augen weiteten sich vor Schreck und Unglauben gleichermaßen, denn direkt vor mir erhob sich ein Greif. Ich schluckte schwer, doch der Kloß in meinem Hals wollte nicht verschwinden. Dann traf mein Blick den des Greifen. Genau genommen, flüsterte meine innere Stimme mir altklug zu, handelte es sich um einen Königsgreif. Ganz toll. Wirklich ganz toll. Ich wusste also, was mich töten würde. Jackpot. Erneut schrie das Ungeheuer auf, dann spreizte es die Flügel und erhob sich in die Lüfte. Mir erschien der Greif in diesem Moment einfach nur gigantisch und groß war er allemal. Sein Körper war mindestens so groß wie ein Löwe, ein wirklich großer Löwe mit Flügeln und einem Schnabel, der durchaus den Eindruck erweckte, man könnte damit auch Menschen wunderbar zerlegen. Mit wenigen Flügelschlägen hatte der Greif ein paar Meter an Höhe gewonnen und den Blick dabei eindeutig auf mich geheftet. Nicht gut. Gar nicht gut. Es brauchte keinen weiteren Aufschrei des Greifen, um mir das Signal zu geben, mich möglichst schnell vom Acker zu machen. Ich drehte auf dem Absatz herum und rannte so schnell ich konnte. Das war zugegeben nicht sehr schnell, denn Sportlichkeit konnte man mir wirklich nicht nachsagen, aber Angst und das Adrenalin, das durch meine Adern raste, trieben mich an. Darauf geachtet, wohin ich eigentlich lief, hatte ich in meiner Panik nicht. In meinem Kopf gab es nur noch den Gedanken, dass ich so schnell wie nur möglich von hier wegmusste, wenn ich nicht herausfinden wollte, wie sich die Klauen der Chimäre in meinem Fleisch anfühlten. Planlos rannte ich zwischen den Bäumen her, wobei ich es nicht wagte, mich umzusehen, wenngleich ich den Greif oder vielmehr seine Flügelschläge doch genau hören konnte. Gerade wollte ich einen Haken schlagen, da spürte ich, wie sich etwas in meine Jacke bohrte, meinen Rücken streifte und dort einen schmerzhaften Kratzer hinterließ. Was jedoch sehr viel schlimmer war, war der Umstand, dass mich dieses etwas vom Boden hob und hoch in die Lüfte zog. „Nein!“, wollte ich schreien, doch aus meiner Kehle kam nicht mehr als ein recht erbärmliches Japsen, während die Bestie mit mir im Schlepptau immer höher stieg. Das Geräusch der mächtigen Schwingen dröhnte in meinen Ohren, während der Greif mich über die die Baumkronen hinweg trug. Wohin, das wollte ich lieber nicht wissen. Schon allein deshalb nicht, weil sich meine Höhenangst bemerkbar machte und mir derart übel wurde, dass ich einfach die Augen schloss, um nicht nach unten sehen zu müssen. Es war auch so unangenehm genug, dass meine dicke Jacke mir unangenehm gegen den Hals drückte, was mich ein klein wenig würgen ließ. Wenigstens hielt die Jacke, tröstete ich mich, sonst hätte ich jetzt ganz andere Probleme, als nur von einem Greifen verschleppt zu werden. Als mich die Bestie plötzlich losließ, riss ich erschrocken die Augen auf und schrie schrill auf vor Schreck. Im ersten Moment glaubte ich, mein Leben würde damit enden, dass ich mit der Eleganz eines Schnabeltieres einen Abgang machte, indem ich einfach auf den Boden klatschte, doch zu meinem Glück fiel ich nicht tief, kaum mehr als einen Meter, dann plumpste ich auf trockenes Laub und Äste. Verwundert blinzelnd sah ich mich um, während über mir der Greif aufschrie, mir dann aber keine weitere Aufmerksamkeit schenkte, sondern davonflatterte. Noch während mein Blick über das Geflecht aus Ästen, Blättern und seltsamen Büscheln Wasauchimmer glitt, dämmerte mir, wo ich gelandet war. Das musste das Nest des Greifen sein. Neben mir lagen sogar drei Eier, die glatt eine Unterarmlänge maßen. Ernüchtert starrte ich die potentiellen Mega-Omeletts an, als deren erster Snack ich wohl geplant war. Mehr als einen Augenblick lang zog ich ernsthaft in Erwägung, die Eier einfach aus dem Nest zu schubsen. Dann könnten sie mich zumindest nicht mehr fressen! Allerdings machte mir die Mami sowieso sehr viel mehr Sorgen. Eines war in jedem Fall klar: Ich würde nicht hierbleiben. Nur blöd, dass das mit dem Abhauen auch so einen Haken hatte. Namentlich den Baumwipfel, in dem ich hier hockte. Wie hoch genau dieser massige Baum war, wollte ich lieber nicht genau wissen, aber ein vorsichtiger Blick über den Rand des Nests genügte, dass sich mir gehörig der Magen herumdrehte. Das waren mindestens 20 Meter! Oder zumindest bildete ich mir das ein. Schätzen war nicht so meine Stärke. „Scheiße“, murmelte ich in mich hinein und rutschte eilig wieder etwas zur Nestmitte, um nicht doch noch eine ungeplante Flugstunde zu nehmen, die nur nach unten führte. Ein kurzer Blick aufs Handy. Kein Netz. War ja klar. Also lag es an mir. Was blieb mir auch anderes übrig, als zu versuchen, irgendwie diesen verdammten Baum herunterzukraxeln? Abwarten, bis Mama Greif nach Hause kam, wollte ich sicher nicht. Also schwang ich mich über den Nestrand auf den nächstbesten abstehenden Ast. Das hier würde die absolute Hölle, soviel war mir klar. Selbst, wenn ich beim Herunterklettern nicht abstürzte oder mir die Beine brach, hatte ich noch immer absolut keine Ahnung, wo genau ich eigentlich steckte. Hätte ich doch bloß besser aufgepasst, anstatt die Augen zuzukneifen. Vorsichtig und ungeschickt rutschte ich von Ast zu Ast. Das sah in Filmen auch bedeutend leichter aus. Nach nicht einmal zwei Metern war ich nicht nur aus der Puste, sondern auch zerkratzt. Mehrmals war ich an irgendwelchen Zweigen hängengeblieben, was mir mindestens einen längeren Riss auf Kniehöhe in der Hose eingebracht hatte. Wie meine Jacke aussah, konnte ich in der Dunkelheit nicht genau erkennen, aber sie hatte sicher auch einiges abbekommen. War das Karma wegen des Streits mit Sansi? Klar, ich hatte mich da nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert und mich kindisch benommen, aber das hier erschien mir dann doch etwas arg heftig. Mal ehrlich: Von einem Greifen verschleppt? Das war kreativer als alles, was ich mir selbst hätte ausdenken können, auch wenn es keine der Fragen beantwortete, die ich mir im Stillen stellte. Zum Beispiel, um’s mal ganz elementar zu halten: Seit wann zur Hölle gab es diese Viecher?! Davon müsste man doch wissen, oder? Jeder Zoologe würde vermutlich völlig ausflippen, wenn ihm so ein Greif vor die Nase kam. Unauffällig war das Vieh ja nicht gerade. Da hätte man meinen sollen, es wäre irgendwie irgendwem schon einmal aufgefallen. Aber nein. Nein, nirgendwo war auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verloren worden, dass so ein Mistvieh sich hier herumtrieb und wahlweise Großwild oder Menschen zum Abendessen mitnahm, und zwar als das Abendessen. Nichts in den Nachrichten im Radio, keine Warnschilder im Park ala “Achtung. Sie könnten von einem Greif gefressen werden”. Nichts. Ächzend hielt ich auf meinem Ast inne und wagte einen Blick nach unten. Der Anblick ließ mich direkt noch einmal seufzen. Nicht einmal die Hälfte geschafft und ich könnte schwören, beim nächsten Kletterakt würden entweder meine Arme nachgeben oder ich müsste kotzen. Womit hatte ich das bloß verdient? Mein Blick wanderte nach oben. Hätte die kleinen Scheißer doch aus dem Nest werfen sollen, dachte ich grimmig, atmete tief durch und machte mich wieder an den Abstieg. Zumindest musste ich dank meiner dicken Jacke nicht frieren und war bisher recht glimpflich davongekommen, was Kratzer anging, denn überall standen kleine Äste ab, in denen auch meine Haare immer wieder hängen blieben. Wenn ich das hier überlebte, sah ich vermutlich aus, als hätte ich eine Woche Zombieapokalypse hinter mir - als Zombie! Den letzten Meter sprang ich kurzerhand. Um nichts in der Welt hätte ich das noch länger durchgehalten. Mir tat buchstäblich alles weh. ALLES! Beine, Arme, Hände. Letztere waren ordentlich zerschunden, meine Hose hatte mehrere Risse, die Jacke sowieso und obendrein war ich derart durchgeschwitzt, dass ich für eine heiße Dusche so einiges gegeben hätte. Aber wenigstens hatte ich es irgendwie nach unten geschafft. Erschöpft ließ ich mich einfach ins Gras fallen. Was ein Scheiß! Schwer atmend schloss ich die Augen, da ließ mich ein Kreischen auch schon hochschrecken und alle Erleichterung darüber, den Kletterparcours überlebt zu haben, vergessen. Ich hätte nicht nach oben blicken müssen, um zu wissen, dass es der Greif war, den ich da hörte. Dieser Schrei würde mich für immer verfolgen. Eilig rappelte ich mich auf. Das Vieh würde sicher gleich bemerken, dass seine Beute getürmt war und wenn es soweit war, wollte ich auf gar keinen Fall in der Nähe sein. Ohne weiter zu fackeln, und meiner Erschöpfung zum Trotz, die mich ahnen ließ, dass ich nicht mehr weit käme, hastete ich drauf los. Wohin war mir dabei erst einmal völlig egal, ich lief einfach blindlings in irgendeine Richtung. Da ich sowieso nicht wusste, wo ich hier überhaupt gelandet war, waren alle Richtungen gleich gut und gleich schlecht. Wenn ich nur irgendwo Schutz oder Hilfe fände! Ein Haus, ein Panzer, vielleicht ein FLAK? Ich war flexibel! Erneut ertönte hinter mir der Aufschrei des Greifen und müsste ich raten, würde ich wohl darauf tippen, dass da jemand so gar nicht erfreut darüber war, dass sich das Abendessen verpisst hatte. Da wäre ich auch nicht unbedingt begeistert gewesen. Das Geräusch mächtiger Schwingen ließ mich diesen Gedanken aber sofort wieder vergessen. Hastig taumelte ich weiter, wobei ich einen Blick über die Schulter wagte. Sehen konnte ich das Untier zwar nicht, aber das erneute Kreischen genügte mir als Beweis, dass der Greif nahe war. Zu nahe für meinen Geschmack. Panik und die blanke Angst um mein Leben hatten längst jede andere Überlegung beiseitegefegt und ließen nur für einen einzigen Gedanken Raum: Ich musste ein sicheres Versteck finden! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)