Persona: Shadows of Mirror von ShioChan (Kagami no Kage) ================================================================================ Kapitel 17: XVII - Eine kleine Pause ------------------------------------ Sonntag, 07.Juni 2015 Lachend lief die kleine Junko vor ihrer Schwester her. Mirâ hatte versprochen an diesem Sonntag mit ihr einen Stadtbummel zu machen, doch so wirklich in der Verfassung dazu war sie nicht. Der Kampf des vorhergehenden Abends hatte sie sehr entkräftet und sie hätte am liebsten den ganzen Tag im Bett gelegen und geschlafen. Doch versprochen war versprochen und so stand Junko pünktlich 9 Uhr in ihrem Zimmer und drängelte sie regelrecht aus dem Bett. Sie seufzte. Eigentlich machte sie so etwas gern für ihre kleine Schwester, aber warum musste es gerade dieser Tag sein? Junko wiederum war voller Energie und lief von einem Laden zum nächsten, sodass Mirâ aufpassen musste, die Kleine nicht zu verlieren. „Onee-Chan als nächstes nach dort.“, begeistert zeigte Junko auf den nächsten Laden und lief los. „Junko nicht so schnell. Du sollst doch in meiner Nähe bleiben.“, rief Mirâ, doch Junko war bereits in dem Laden verschwunden. Wieder seufzte die junge Frau und folgte ihrer kleinen Schwester. Als sie den Laden betrat war das Erste was ihr auffiel das riesige Regal zu ihrer Rechten, in welchem übereinander gestapelt verschiedene Wollknäule in allen möglichen Farben lagen. In gebührendem Abstand davor standen Auslagen, auf denen verschiedene Utensilien lagen, die man zum Stricken, Häkeln oder Sticken brauchte. In einem Regal ihr gegenüber standen verschiedene Bücher für Anfänger und Fortgeschrittene über diese Hobbys. Anscheinend hatte sich dieser Laden auf genau diese Art von Hobby spezialisiert. Das war auch der Grund weshalb Mirâ etwas stutzig wurde und nicht wusste, weshalb Junko überhaupt in dieses Geschäft wollte. Sie konnte weder Stricken, noch Häkeln oder Sticken und bisher hatte sie auch nicht geäußert, dass sie es lernen wollte. Doch als Mirâ sich umdrehte, um nach ihrer Schwester zu sehen, wusste sie weshalb sie unbedingt her wollte. In den Regalen, welche sie nun sah, saßen verschiedene Plüschtiere. Sie alle waren genäht oder gestrickt. Eines dieser Plüschtiere jedoch fiel ihr Besonders ins Auge. Es sah aus wie Jack Frost, jedoch war er nicht weiß sondern schwarz und die sonst blauen Schuhe und Mütze waren bei diesem violett. Das sonst so süße Lächeln von Jack Frost war hier ein hämisches Grinsen. Doch trotzdem sah er niedlich aus, wie Mirâ fand. Auch Junko schien Gefallen an dem Jack Frost ähnlichen Plüschtier zu finden. Plötzlich jedoch zog etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich, als sie im Augenwinkel etwas Blaues leuchten sah. Sie drehte den Blick leicht in die Richtung, aus welcher sie meinte das Leuchten auszumachen, als sie einen kleinen blauen Schmetterling sah. Jedoch kein normaler. Sie war sich sicher es war derselbe, welcher sie in Masarus Dungeon wieder zurück zum Tor gebracht hatte. Aber wie kam er hier her? Und was machte er hier? Oder war er nur ein Hirngespinst ihrer Fantasie? Gingen vielleicht gerade ihre Nerven mir ihr durch? Oder war sie einfach nur zu müde und träume bereits am Tag? „Kann ich euch helfen?“, fragte eine tiefe männliche und etwas ruppig wirkende Stimme, worauf die junge Frau aus ihren Gedanken gerissen wurde und aufschrak. Kurz schaute sie noch einmal in die Richtung, wo sie den Schmetterling gesehen hatte, doch er war verschwunden. Schnell drehte sie sich in die Richtung, aus welcher die männliche Stimme kam und schrak etwas zurück. Der junge Mann ihr gegenüber hatte ein kantigen Gesicht und einen ziemlich finsteren Blick. Auch die schwarz umrahmte Brille, welche er trug, änderte daran nicht viel. Seine schwarzen Haare waren etwas nach hinten gegelt, wodurch seine kantige Stirn sehr zum Vorschein kam. Dabei erkannte sie eine Narbe über seinem linken Auge. Sein linkes Ohr zierten mehrere silberne Ohrringe. Er trug ein dunkelviolettes T-Shirt, auf welchem ein Totenkopf abgebildet war und dazu eine lässige schwarze Jeans. Um seine Hüfte hatte er so etwas wie eine weiße Schürze gebunden. Irgendwie passte er gar nicht in dieses Geschäft, welches so niedliche Plüschtiere verkaufte. „Ähm... Ich...“, Mirâ wusste gar nicht was sie sagen sollte, „Die- Dieses Plüschtier. Es erinnert mich... Irgendwie an Jack Frost.“ „Ach das.“, der junge Mann nahm das Plüschtier in die Hand und sein Blick wurde etwas sanfter, „Das ist Black Frost. Er ist so etwas wie der Bruder von Jack Frost.“ „Ach so?“, kam so nur von Mirâ. Plötzlich war ihr der junge Mann nicht mehr unheimlich. Er schien seinen weichen Kern anscheinend nur unter einer harten Schale zu verstecken. „Er ist total süß.“, kam es plötzlich von Junko. Erstaunt sah der Schwarzhaarige sie an: „Findest du? Das... Freut mich.“ „Heißt das, du hast das hier gemacht, Onkel?“, fragte die Kleine aufgeregt. Nun schien der junge Mann total überrumpelt. Er lief rot an und wand den Blick ab: „Ähm Naja. Wäre das so schlimm?“ Erstaunt sah Mirâ den jungen Mann an. Also hatte er dieses Plüschtier wirklich selber gemacht. Ob die anderen auch von ihm waren? Wenn man ihn das erste Mal sah so konnte man sich gar nicht vorstellen, dass er so etwas überhaupt konnte. Er sah nicht gerade wie der geborene Hausmann aus. Eher wie ein Rowdy. Aber eigentlich schien er ganz nett zu sein. Junko war nun vollkommen Feuer und Flamme: „Das ist ja genial. Dann sind die andern Plüschtiere auch von dir? Das ist toll. Die sehen richtig klasse aus.“ „Ähm findest du? Das ist nett.“, kam es nur kleinlaut von dem Schwarzhaarigen. Junko lächelte ihm fröhlich ins Gesicht und sah dann freudig zu ihrer großen Schwester. Mirâ kannte diesen Blick. Junko wollte das Plüschtier. Sie seufzte und kramte in ihrer Tasche nach ihrem Portmonee. Warum konnte sie ihrer Schwester auch nichts ausschlagen? „Wie viel kostet denn der Black Frost?“, fragte sie dann ruhig. Erstaunt sah der junge Mann sie an, doch lächelte dann etwas: „3.500 Yen.“ Fröhlich und mit einer Tüte in der Hand stolzierte Junko aus dem Laden, während ihre große Schwester ihr seufzend folgte. Noch ehe sie die Tür des Ladens geschlossen hatte hörte sie noch den jungen Mann, welcher sich mit einem „Beehren Sie uns bald wieder“ verabschiedete. Nun war sie wieder um einiges an Geld ärmer, ihre Schwester dafür aber glücklich. „Vielen Dank, Onee-Chan!“, lächelte das kleine Mädchen ihre große Schwester an. Auch Mirâ musste lächeln: „Naja. Es war ja für Junko.“ „Wo möchtest du als nächstes hin, Junko?“, fragte sie anschließend. Kurz überlegte Junko und sah sich um, ehe sie auf ein Gebäude zeigte, welches erhöht und etwas weiter von ihnen entfernt stand: Der Shinzaro-Tempel. Gähnend stützte sich Masaru auf den Besen, mit welchem er eigentlich den Hof fegen sollte. So wirklich Lust hatte er darauf keine. Lieber wäre er im Bett liegen geblieben. Die Spiegelwelt hatte ihn doch ganz schön geschafft. Zwar hatten ihn Mirâ, Akane und Hiroshi gewarnt, doch er hatte gedacht, seine Kondition wäre gut genug, um kaum etwas von den Auswirkungen zu spüren. Da hatte er sich aber mächtig verschätzt. Ihm tat wirklich alles weh. Dagegen war das Kendo-Training mit seinem Vater wirklich ein Spaziergang. Er seufzte und massierte sich seine rechte Schulter. „Ich sollte wohl lieber weiter machen, anstatt in Selbstmitleid zu versinken.“, dachte er sich und wollte weiter seiner Arbeit nachgehen, als er jedoch eine ihm bekannte Stimme hörte. „Junko nicht so schnell.“, rief die weibliche Stimme geschafft. Kurz darauf hüpfte ein kleines Mädchen über die Schwelle der Treppe und machte eine Figur, als hätte sie gerade eine Turnübung beendet. Zwei Strähnen ihres dunkelblauen Haares waren an den Seiten zu Zöpfen gebunden. Sie strich sich ihr weißes Kleid mit dem weißen Matrosenkragen und der dunkelblauen Schleife glatt und drehte sich dann wieder Richtung Treppe. Auf dieser folgte einen Moment später eine junge Frau, deren dunkelviolette Haare seitlich zu einem Zopf gebunden waren und welche so aussah, als sei sie mit der Welt fertig gewesen. Erschöpft holte sie erst einmal Luft, nachdem sie die letzte Stufe erklommen hatte, während sie von dem kleinen Mädchen mit schief gelegtem Kopf fragend angeschaut wurde. Irgendwie erinnerte die Kleine ihn in diesem Moment sehr an Mika, wenn sie jemanden fragend ansah. „Alles in Ordnung, Onee-Chan?“, fragte sie zuckersüß. Mirâ winkte ab und lächelte die Kleine lieb an: „Schon gut. Du bist nur so gerannt. Deine Ausdauer will ich noch mal haben.“ Masaru musste lachen, weshalb Mirâ erschrocken aufblickte. Langsam ging er auf die junge Frau und deren kleine Schwester zu: „Du tust ja fast so, als seist du eine alte Frau, Shingetsu.“ Mirâ lief sofort knallig rot an: „Se-Senpai. Guten Tag.“ „Hallo.“, zur Begrüßung hob er die Hand, „Stadtbummel mit deiner kleinen Schwester?“ „Ähm... Ja.“, antwortete Mirâ kurz. Lächelnd wandte sich Masaru an das kleine Mädchen: „Hallo. Ich bin Masaru Shin, ein Schulkamerad deiner Schwester. Und wie heißt du junge Dame?“ Fragend blickte Junko ihn an, ehe sie einen fragenden Blick zu ihrer Schwester warf, welche ihr aber nur ruhig zunickte. Höflich verbeugte sich Junko vor ihm: „Ich bin Junko Shingetsu. Es freut mich, dich kennen zu lernen.“ „Du bist aber höflich, Junko-Chan. Freut mich auch.“, meinte Masaru freundlich. Anscheinend freute sich Junko über dieses Lob, denn kurz darauf strahlte sie ihn mit ihrem kindlichen Gesicht freudig an. Einen Moment später sah sie freudig über das Gelände: „Was für ein großer Tempel.“ Erstaunt sah der junge Mann sie an: „Findest du?“ Junko nickte energisch: „Ja. Hier ist so viel Platz zum Spielen.“ „Junko. Der Tempel ist doch kein Spielplatz.“, mahnte Mirâ ihre Schwester an, doch Masaru fing nur an zu lachen. „Da hast du Recht.“, meinte er dann und hockte sich auf Junko Augenhöhe, „Meine Geschwister und ich haben hier auf dem Gelände sehr oft zusammen gespielt. Meistens verstecken.“ Erstaunt sah Mirâ zu ihrem Senpai herunter. „Du hast auch Geschwister?“, fragte Junko, als sei es die normalste Frage der Welt. „Ja.“, kam prompt die Antwort, „Zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester, aber sie sind alle schon ausgezogen.“ „Dann bist du ja jetzt alleine.“, meinte Junko erschrocken. „Ja schon, aber das ist schon in Ordnung. Ich habe ja gute Freunde.“, meinte Masaru, doch plötzlich spürte er eine kleine Hand auf seiner Stirn. Leicht erschrocken blickte er zu dem kleinen Mädchen, vor sich, welche vorsichtig mit ihrer Hand über seine Stirn strich. Mit ihren großen roten Augen lächelte sie ihn lieb an. Auch Masaru musste lächeln und strich der kleinen über die Haare bevor er wieder aufstand. „Du bist ja wirklich herzallerliebst.“, meinte er dann. Erstaunt blickte Mirâ auf. Sie war so erschrocken über Junkos Aktion gewesen, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte. Doch wo sie Masaru nun so glücklich lächeln sah, löste sich ihre Anspannung wieder. In den letzten Wochen war Junko richtig aufgeblüht. Vor ihrem Umzug hätte sie sich eine Solche Aktion nicht ansatzweise getraut. Sie war eigentlich ein sehr zurückhaltendes und schüchternes Mädchen. Diese Stadt schien sie zu verändern. Ob auch sie selbst sich verändert hatte? Masarus Stimme holte sie aus ihren Gedanken: „Wie wäre es? Soll ich euch den Tempel zeigen? Ganz exklusiv.“ „Eh? Wir möchten dich nicht von der Arbeit abhalten.“, meinte Mirâ sofort. „Kein Problem. Ich hab eh keine Lust zu fegen.“, meinte Masaru grinsend, „Außerdem scheint Junko-Chan Gefallen daran zu finden.“ Ein Blick zu Junko verriet ihr, dass Masaru Recht hatte. Diese strahlte freudig und wurde ganz hibbelig, weshalb Mirâ das Angebot doch dankend annahm. Daraufhin setzte sich die kleine Gruppe in Bewegung und Masaru führte sie durch den Tempel, welcher mehr zu bieten hatte, als man auf den ersten Blick erwartete. Neben dem Haus, welches zu dem Tempel gehörte, sowie dem Schrein und der Gebetshalle, gab es auch einen großen Dôjô. Wie Mirâ erfuhr leitete Masarus Vater neben dem Tempel auch eine kleine Kendo-Schule, in welchem er die alte japanische Schwertkunst lehrte. Nun konnte sie sich auch denken, weshalb Masaru diesen Sport ebenfalls in der Schule ausübte. „Du hast Besuch, Masaru?“, fragte plötzlich eine weibliche Stimme. Erschrocken blickten Masaru und Mirâ auf, während Junko fragend hinter ihrer Schwester hervor lugte. Auf die kleine Gruppe trat eine ältere Frau zu, deren lange schwarze Haare bereits von grauen Strähnen durchzogen waren. Diese hatte sie hinten zu einem lockeren Zopf gebunden, wie es für Mikos üblich war. Dazu trug sie die überall bekannte Miko-Tracht: Einen weißen Juban und dazu einen roten Hakama, dessen Schleife vorne gebunden war. „Hallo Mutter. Ja, kann man so sagen. Die junge Frau ist eine Mitschülerin aus dem zweiten Jahr und die Kleine ist ihre jüngere Schwester.“, erklärte Masaru ruhig. Sofort verbeugte sich Mirâ höflich, was ihre Schwester ihr nach tat: „Mein Name ist Mirâ Shingetsu. Freut mich Sie kennen zu lernen. Meine Schwester heißt Junko.“ Masarus Mutter lächelte: „Freut mich ebenso. So jungen Besuch hatten wir lange nicht mehr. Das erinnert mich an alte Zeiten, als du noch mit deinen Geschwistern durch die Gänge getobt bist.“ Masaru lief rot an: „Mutter!“ Die Frau musste kurz lachen: „Entschuldige. Wenn ich so junge Leute sehe, werde ich immer sentimental. Es ist wohl besser, wenn ich euch wieder allein lasse. Ich wünsche den Damen noch einen schönen Tag.“ Während Masarus Mutter langsam an den Dreien vorbei ging, verbeugte sich Mirâ noch einmal höflich und wünschte ihr ebenfalls einen schönen Tag. Nach der kurzen Unterbrechung führte Masaru die beiden Mädchen noch etwas durch den Tempel und beendete die Führung wieder vor dem Schrein. Die Sonne war bereits im Begriff unter zu gehen, sodass der Tempelkomplex in ein goldgelbes Licht getaucht war. Während Junko noch etwas den Katzen hinterher jagte, welche sich auf dem Gelände aufhielten, unterhielten sie Mirâ und Masaru noch etwas. „Noch mal Entschuldigung für meine Mutter. Sie ist manchmal wirklich peinlich.“, meinte Masaru. Mirâ schüttelte den Kopf: „Mach dir darüber keine Gedanken, Senpai. Sie erinnert sich nur gerne an früher.“ Der junge Mann seufzte: „Ja ich weiß. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund, weshalb sie möchte, dass ich den Tempel weiter führe. Damit ich ihn nicht verlasse. Meine Geschwister haben dem Tempel alle den Rücken gekehrt und sind in andere Städte oder ins Ausland zum Studieren gegangen. Und ich kann sie vollkommen verstehen...“ Mirâ war bereits bei ihrem ersten Besuch hier im Tempel aufgefallen, dass es Masaru nicht gefiel das Anwesen zu übernehmen. In der Spiegelwelt dann war es erst recht klar gewesen, dass er es nicht wollte und trotzdem hatte Mirâ das Gefühl, dass er sich nicht ganz sicher war, ob es richtig war, sich so zu entscheiden. Deshalb nahm sie ihren Mut zusammen und fragte direkt nach: „Du bist nicht sehr begeistert davon den Tempel irgendwann übernehmen zu müssen. Oder?“ Masaru schwieg kurz: „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich kann meine Eltern verstehen, dass sie den Tempel in sicheren Händen wissen wollen. Aber ich ein Shintopriester? Das kann ich mir nicht vorstellen. Jetzt jedenfalls noch nicht. Ich habe ja auch Vorstellungen von meiner Zukunft.“ „Das ist wirklich eine schwere Entscheidung. Hast du schon einmal mit deinen Eltern darüber gesprochen?“, fragte die junge Frau vorsichtig. Es folgte ein abwertend Geräusch: „Sinnlos. Sie hören mir nicht einmal zu.“ Kurz legte sich Schweigen über die Beiden, ehe Masaru weiter sprach: „An dem Abend, als ich von diesem Wesen in den Spiegel gezogen wurde, hatte ich auch wieder einen Streit mit meinen Eltern. Es ging natürlich wieder um das Erbe des Tempels. Sie haben die ganze Zeit auf mich eingeredet und nicht einmal meine Argumente abgewartet. Und wenn ich doch mal dazu gekommen bin, etwas zu sagen, haben sie es gekonnt überhört oder abgewürgt. Ich war so sauer... In dem Moment habe ich mir wirklich gewünscht der Tempel würde verschwinden. Kaum zu glauben, dass dieser Gedanke solche Auswirkungen haben konnte.“ „Aber du willst gar nicht das der Tempel verschwindet.“, meinte Mirâ. „Natürlich nicht. Er ist mein Zuhause. Nur diese Diskussionen nerven mich. Seit ich wieder da bin haben sie vorerst damit aufgehört. Zum Glück. Dafür beschäftigt mich die Frage, was ich nun machen soll. Dem Tempel, wie meine Geschwister den Rücken kehren, um mir meine eigene Zukunft aufzubauen, oder in diesem Tempel bleiben und meine Eltern glücklich machen. Ich war mir bis vor ein paar Wochen noch fest sicher, dass ich nach meinem Abschluss den Tempel verlassen werde, doch seit dem Vorfall in der Spiegelwelt bin ich mir nicht mehr so ganz sicher.“ Mirâ überlegte kurz, doch sprach dann ruhig auf Masaru ein: „Das ist wirklich eine schwere Entscheidung. Aber noch hast du ja etwas Zeit. Das Schuljahr hat erst begonnen. Bis zum Abschluss sind es noch ein paar Monate. In der Zeit solltest du vielleicht versuchen, dich noch einmal mit deinen Eltern darüber zu unterhalten. Du musst es nur oft genug versuchen. Dann werden sie dir bestimmt zuhören. Und du kannst dir in dieser Zeit darüber klar werden, was du eigentlich möchtest.“ Erstaunt sah der junge Mann ihr gegenüber sie an: „Ich denke du hast recht. Ich versuche später noch mal mit ihnen zu reden. Ich sollte vielleicht nicht so schnell aufgeben. Danke, dass du mir zugehört hast. Ich konnte nicht mal mit Dai darüber sprechen. Aber es tut gut darüber zu reden.“ „Das solltest du öfters tun. Probleme in sich hinein zu fressen bringt nichts.“, meinte Mirâ mit einem Zwinkern. Masaru lachte: „Das stimmt. Danke, Shingetsu.“ „Mirâ reicht. Wir sind immerhin Freunde.“, sagte Mirâ schnell, wobei sie sich fast überschlug. Sie hatte allen ihren Mut zusammen genommen und ihrem Senpai angeboten sie beim Vornamen zu nennen. Schnell senkte sie den Blick, damit Masaru nicht sah wie sie rot anlief. Dieser jedoch sah sie erstaunt an und lächelte dann: „Gut. Dann vielen Dank, Mirâ.“ Sie spürte, wie ihr noch mehr die Hitze ins Gesicht stieg, als sie ihren Vornamen hörte. So konnte sie ihm doch gerade nicht ins Gesicht blicken. Um das zu umgehen drehte sie sich schnell um und sah auf die Stadt hinunter, welche ebenfalls in das goldgelbe Licht getaucht war. Dann schwieg sie kurz, bis sie sich etwas beruhigt hatte, ehe sie sich lächelnd wieder an ihren Senpai wandte: „Immer wieder gern.“ Dienstag, 09.Juni 2015 Seufzend betrat Mirâ die Bibliothek ihrer Schule. Eigentlich wollte sie gleich nach dem Unterricht nach Hause, aber ihre Lehrerin hatte andere Pläne für sie. So wurde sie beauftragt einige Landkarten wieder zurück zu bringen, welche sie im Unterricht verwendet hatten. Warum gerade sie? Mit schnellen Schritten ging sie auf den Tresen zu, hinter dem eine Schülerin saß, welche gerade Bibliotheksdienst hatte. Dieser Dienst beinhaltete, darauf zu achten, dass es ruhig in dem Raum blieb und die Schüler in Ruhe lernen und lesen konnten. Zudem mussten die Diensthabenden aufpassen, dass keine Bücher beschädigt oder entwendet wurden. Ein langweiliger Job, wie Mirâ meinte und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass es Schüler gab, die sich so etwas freiwillig antaten. Seufzend trat sie vor den Tresen und bekam fast einen Schock, als sie aufblickte. „Iwato-Senpai!“, entkam es ihr, als sie die blonden Haare des Mädchens erblickte, welches ihr gerade den Rücken zudrehte. Die Blondhaarige vor ihr schrak auf und wandte sich von den Karteikarten ab, welche sie in diesem Moment durchsucht hatte. Mit grünen, bösen funkelnden Augen blickte sie Mirâ an. „Was soll das? Ich heiße nicht Iwato.“, sagte wie wütend, „Warum nennen mich die meisten so?“ Nun fiel auch Mirâ auf, dass es sich nicht um Amy handelte, sondern um das Mädchen, welches sie bereits vor einer Weile hier in der Bibliothek angetroffen hatte. Bereits zum zweiten Mal hatte sie sich von den blonden Haaren in die Irre führen lassen, dabei sah das Mädchen vor ihr bei genauerer Betrachtung Amy gar nicht so ähnlich. „Entschuldige. Das war nicht böse gemeint. Aber auf den ersten Blick sahst du aus, wie ein Mädchen aus dem Kyûdô-Club.“, entschuldigte sich Mirâ höflich. Mit leicht misstrauischem Blick sah das Mädchen sie an, doch seufzte dann: „Schon gut. Nicht schlimm. Ich war nur böse, weil mir das öfters passiert. Was kann ich für dich tun?“ Mirâ hielt die Karten hoch: „Ich soll die hier zurück bringen.“ Das blonde Mädchen erhob sich und kam um den Tresen herum, um Mirâ die Karten abzunehmen. Während sie diese kurz untersuchte, ob nicht irgendwo etwas kaputt gegangen war, wurde sie von Mirâ beobachtet. Die Blondhaarige sah zwar auf den ersten Blick wirklich wie Amy aus, doch ansonsten schienen sie grundverschieden zu sein. Zu mindestens wirkte die junge Frau sehr nett. „Entschuldige. Darf ich dich nach deinem Namen fragen? Damit ich dich nicht wieder verwechsle.“, fragte Mirâ vorsichtig. Fragend wurde sie mit grünen Augen angeschaut, eher der Blondine ein Seufzer entglitt: „Ich denke nicht, dass das helfen wird, aber meinetwegen. Mein Name ist Tomoko Koizumi.“ „Ich versuch es wenigstens.“, meinte Mirâ lächelnd, „Ich heiße Mirâ Shingetsu. Freut mich.“ „Mich auch.“, meinte Tomoko dann und stellte die Karten in einen Ständer hinter dem Tresen. „Machst du den Dienst hier freiwillig?“, kam eine weitere Frage. Fragend blickte die Blonde sie an: „Ja sicher. Warum sollte ich es sonst machen?“ „A-ach nur so.“, meinte Mirâ, „Dann bist du wohl öfters hier, was?“ „Jeden Tag eigentlich. Kann ich sonst noch etwas für sich tun?“, fragte Tomoko. Wie es schien wollte sie weiter ihrer Arbeit nachgehen, sodass Mirâ den Kopf schüttelte und sich kurz darauf verabschiedete. Wie es schien war Tomoko sehr verantwortungsbewusst. Auch diese Arbeit schien ihr Spaß zu machen, dabei kam sie eher langweilig rüber. Noch einmal kurz blickte Mirâ zu Tomoko, welche bereits wieder mit den Karteikarten hinter sich beschäftigt zu sein schien, bevor sie sich abwand und endlich nach Hause ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)