Force of Nature von Cocos ================================================================================ Kapitel 38: Sex and the City ---------------------------- Jeremy hatte ein Problem. Das Problem war annähernd zwei Meter groß, hatte dunkelbraune Haare, graue Augen, trug diese verdammte hinternbetonende Hose und dieses noch viel verdammenswertere Shirt und seine gottverdammte Sonnenbrille. Als würde das nicht reichen, starrte eben jenes auf zwei Beinen wandelnde Problem in die untergehende Sonne und ließ Jeremys Augen immer wieder zu ihm zurückkehren, als wäre da irgendwo ein unsichtbarer Magnet. Sonnenbrillenfetischist, hatte Laila ihm spöttisch zugeraunt, als sie ihn dabei erwischt hatte, wie er zum wiederholten Male zu Jean sah und Jeremy hatte es tatsächlich geschafft, für ein paar Minuten mal nicht hinzuschauen. Auf lange Sicht gesehen aber ohne Erfolg. Er hatte tatsächlich einen Sonnenbrillenfetisch und Jean hatte keine Ahnung, wie gut ihm diese Brille stand. Überhaupt gar nicht. Im Gegensatz zu Jeremy, der sich wiederholt für seinen Fetisch verfluchte, auf große, gut gebaute Männer zu stehen, deren Sonnenbrillen ihnen etwas gefährlich Arrogantes verlieh. Was für ein kitschiger, klischeehafter Schmu, hörte er Alvarez in seinen Gedanken sagen und rollte über sich selbst die Augen. Aber wenigstens teilten die Foxes seinen Fetisch, wenn er sich daran zurückerinnerte, wie überschwänglich johlend sie Jeans Aussehen aufgenommen hatten. Seufzend nahm Jeremy einen Schluck Bier und war beinahe schon froh, als Jean seine Brille abnahm, um besser mit Neil über das vergangene Spiel diskutieren zu können. Exyjunkies, alle beide. Andererseits war Jeremy auch froh um die Ablenkung, die die Beiden sich verschafften. Jean kam zwar immer mit, wenn sie an den Strand gingen, aber er fühlte sich immer noch wohler mit dem Rücken zum Wasser. Für Neil war der Strand wohl ebenso wenig eine gute Erfahrung, wenn er Jeans Worten Glauben schenkte. Jeremy hatte das akzeptiert, aber nicht weiter nachgefragt, so war er froh darum, dass die Beiden so sehr in ihren Diskussionen versunken waren, dass sie sich entspannen konnten. Zumindest hoffte Jeremy das bei den Beleidigungen, die unweigerlich ausgetauscht wurden. Kevin war da ein anderes Thema. Fernab von Jean saß er neben den Zwillingen und Nicky und trank sein eigenes Bier, den Blick starr auf das Meer gerichtet. Jeremy zögerte, bevor er sich erhob und die Schultern straffte. Er wollte Kevin Gesellschaft leisten, selbst wenn er dafür die Anwesenheit und eventuell kommende Drohungen des blonden Jungen in Kauf nehmen musste. Er atmete tief durch und kam mit einem versichernden Lächeln zu den Vieren. „Darf ich?“, fragte er tapfer und fixierte sich auf Kevin, der mit einem Lächeln nickte und neben sich auf den Sand klopfte. „Setz dich, Cap.“ Jeremy lachte und ließ sich fallen. „Auf euren Sieg!“, prostete er und zumindest Kevin ging darauf ein. Andrew – wenn Jeremy sich nicht täuschte – rollte nur mit den Augen, während sein Zwilling und Nicky in ein Gespräch über etwas vertieft waren, was sich auf einem der Smartphones befand und ihn rigoros ignorierten. „Ihr wart großartig“, lobte Kevin und Jeremy schmiegte sich grinsend an seine Schulter. „Sagt derjenige, dessen Spiel wie immer ausgezeichnet und fehlerlos war“, gab er zurück und Andrew – ganz sicher war er es – machte angewiderte Würgegeräusche. „Nehmt euch ein Zimmer“, schnarrte er und Kevin grollte. „Hör weg, wenn’s dir nicht passt.“ Jeremy legte ihm eine Hand auf den Unterarm. „Kevin…es ist doch okay“, beschwichtigte er und erntete dafür gleich zwei wenig erfreute Blicke. „Ich stehe nicht auf Fanboygesülze“, schnarrte Andrew und erhob sich. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er weg und Jeremy schluckte. „Habe ich ihn jetzt vertrieben? Ist alles in Ordnung mit ihm? Habe ich etwas gesagt, das ihn verletzt hat?“, fragte Jeremy besorgt, doch Kevin winkte ab. „Er ist müde und grantig.“ Jeremy wollte den Mund öffnen um etwas zu sagen, doch Kevin ließ seinen Kopf auf seine Schulter fallen und grimmte unbestimmt. Jeremy seufzte und ließ ihn, bettete im Gegenzug auf seinen Kopf auf den des anderen Jungen. „Geht’s dir gut?“, fragte er schließlich und Kevin zuckte mit den Schultern. Etwas umständlich nahm er einen Schluck Bier und malte mit seiner freien Hand Kreise in den Sand. „Es ist okay.“ „Nur okay?“ Kevin nickte. „Weißt du…“ Er stockte und schluckte dann. „Er fehlt mir. Sein Humor fehlt mir, seine Anwesenheit. Seine Ironie. Ich würde ihn gerne lachen sehen wollen. Aber das wird er nicht mehr und ich weiß nicht, was ich mit dem Schmerz und der Schuld in mir machen soll. Ich hasse mich dafür, was ich ihm angetan habe.“ Jeremy legte schweigend einen Arm um Kevin und zog den anderen Jungen an sich. Er konnte beide Seiten verstehen. Er verstand, warum Jean Kevin so sehr hasste, er verstand aber auch Kevins Verzweiflung. Ob es eine Lösung dafür gab? Jeremy hoffte auf Gespräche, aber er glaubt schon jetzt nicht, dass Jean jemals dazu bereit sein würde. „Wenn wir gegeneinander spielen, ist es so wie früher. Wir harmonieren so gut zusammen und auch gegeneinander. Ich vermisse es so sehr!“ Harmonieren würde Jeremy das nicht nennen, was zwischen den Beiden während ihrees Spiels vorgefallen war, doch er brachte es nicht übers Herz, Kevin in diesem Punkt zu widersprechen. „Gib ihm Zeit, Kev. Gib euch Zeit. Es gibt Dinge, die lange brauchen um zu heilen…das geht nicht innerhalb von Monaten.“ „Manche Dinge heilen nie, Jer. Wirklich nicht.“ „Wenn er etwas wirklich will, dann ist er stur. Du solltest mal seinen gruseligen Blick sehen, wenn er weiß, dass man ihm etwas vorenthält und er dann wartet, dass man ihm die Wahrheit sagt. Schweigend und stur, ich sag es dir… wenn er es will, dann wird es heilen.“ Kevin schwieg und gemeinsam starrten sie in den Sonnenuntergang. „Es wird sich alles finden, Kev“, murmelte Jeremy. „Er wird mit jedem Tag mehr zu einem südkalifornischen Sonnenschein und irgendwann haben wir alle Dunkelheit in ihm vertrieben.“ Er formulierte es bewusst naiv, denn manche Dinge, manche Erinnerungen würden sich niemals auslöschen lassen. Jeremy wusste das nur zu gut, schließlich tauschte er immer noch regelmäßig seine Bettdecke mit Jean. Schließlich passte er auf, wenn er ein Messer aus dem Messerblock zog, dass der andere Junge nicht in der Nähe war. Schließlich gab es auch jetzt noch Tage, an denen Jean es nicht schaffte, sich seine Haare zu waschen oder nicht vor ihm zurück zu weichen, wenn er in Gedanken war oder ihn erst zu spät bemerkte. Die anfängliche Angst war beinahe ganz verschwunden, allerdings würden diese Dinge immer da sein. Egal, wie sehr sie sich anstrengten, es Jean leichter und erträglich zu machen. „Deine Freundin ist im Übrigen gruselig“, wechselte er das Thema und Kevin schnaubte. „Wieso?“ „Sie war hier und wollte Jean sprechen. Dass sie mich nicht einfach aus dem Weg geschoben hat, war auch alles.“ Kevin lachte. „Theodora kann sehr bestimmend sein, wenn sie etwas will, das ist richtig.“ „Ich fürchte mich vor der Vorstellung, dass du, sie und Jean mir auf dem Spielfeld gegenüber stehen und ich durch eure Verteidigung durchmuss um vielleicht mal das Tor zu erspähen.“ Kevin hob zweifelnd eine Augenbraue. „Das wirst du mühelos schaffen.“ Jeremy lachte. Würde er nicht. Es wäre ein Stück harte Arbeit, aus dem er nicht herauskäme ohne Federn zu lassen. Der andere Junge straffte sich und sah ihn an. Jeremy blinzelte und wich automatisch zurück, damit sich seine Augen nicht verdrehten. „Allerdings habe ich heute durchaus noch Verbesserungspotenzial in deinem Spiel gesehen, Jer. Also du hast…“ Mit einem sanften Serienkiller-Schhh hielt Jeremy seinem Gegenüber den Mund zu. „Hier wird nicht analysiert, Kevin Day. Wir alle haben Feierabend und genießen die Nacht am Strand.“ Die grünen Augen maßen ihn empört, doch auch Jeremy hatte seine ganz eigene Sturheit, die er vorweisen konnte. ~~**~~ Unzufrieden starrte Jean auf seinen Kapitän und Day, wie sie am Strand saßen… wie eines dieser Pärchen, die er so oft sah, wenn sein Team hierhin ging. „Ficken die Beiden miteinander?“, fragte er und der Junge neben ihm hielt in seiner momentanen Bewegung inne, mit der er seine Flasche Bier zum Mund führte. Der kaum bemühte Seitenblick zeigte ihm, wie sehr er Andrew doch kalt erwischt hatte mit seiner Frage. „Solch dreckigen Worte aus deinem Mund“, spottete eben jener schließlich und Jean runzelte die Stirn. „Dreckig?“, echote er fragend und hatte nun die volle Aufmerksamkeit des blonden Torhüters. „Willst du sagen, dass ficken zu deinem normalen Wortschatz gehört?“ Jean konnte immer noch nichts mit Andrews Worten anfangen. „Aber so heißt es doch, wenn zwei Menschen miteinander…“, er machte eine allumfassende Handbewegung. „…ficken.“ Andrew musterte ihn über die Dunkelheit hinweg durchdringend, sein Gesicht von den mitgebrachten Laternen und dem Lagerfeuer in warmes Rot getaucht. Dann schien er zu begreifen und hob die Augenbraue. „Dafür gibt es auch andere Begriffe, die weniger vulgär sind“, erwiderte er bedeutungsschwanger und Jean senkte den Blick auf seinen eigenen Becher mit Wasser hinunter. Natürlich kannte er die nicht. Er hatte sie nie nachgeschlagen, weil es auch nicht wichtig war und er sie bisher nicht gebraucht hatte, das Thema immer wieder beiseite schiebend. „Die kenne ich nicht“, gab er das Offensichtliche zu und Andrew wandte sich wieder zurück zum dunklen Meer, das ihnen nur durch das omnipräsente Rauschen zu verstehen gab, wo sie sich befanden. Er ließ seine Bierflasche kreisen, die sicherlich nicht die Erste am heutigen Abend war. Jean kam nicht umhin, sich zu fragen, warum jemand wie Andrew, der soviel Wert auf Kontrolle legte, sich einem Stoff hingeben konnte, der für Kontrollverlust sorgte. „Das Bett miteinander teilen“, sagte eben jener in seine Gedanken hinein und Jean brummte in Anerkennung dessen. „Kopulieren“, fuhr Andrew fort und Jean lauschte dem unbekannten Wort. Das klang seltsam und steif. „Miteinander schlafen.“ Jean runzelte die Stirn. „Aber Knox und ich schlafen miteinander“, erwiderte er zweifelnd ob der Wortwahl des Foxes und Andrew wandte ihm langsam, aber interessiert den Kopf zu. „Ihr schlaft miteinander“, wiederholte er und Jean konnte sich den latent drohenden Unterton nicht erklären, der seine Nackenhaare stehen ließ. „Ja, in einem Raum. Wie es die anderen Trojans mit ihren Zimmernachbarn auch tun. So nennt man das doch?“, hakte Jean verständnislos nach und erst nach ein paar Augenblicken löste sich Andrew aus seiner intensiven, kritischen Musterung. Kurz zogen sich die Lippen zu einem Lächeln nach oben. „Der Begriff ist doppelt belegt“, sagte er dann schlicht und Jean verzog die Lippen. „Wie soll ich dann wissen, wann was gemeint ist?“ „Kontext.“ Jean verfiel in brütendes Schweigen, die Gedanken auf die Vergangenheit gerichtet. Neil und Andrew kamen ihm in den Sinn und die Verbundenheit, die ganz klar zwischen den Beiden erkennbar war. Die sexuelle Anziehung. Jean hatte gelernt, diese Blicke zu erkennen und zu fürchten, bedeuten sie doch nichts Gutes für ihn. Jedes Mal, wenn sich Menschen auf diese Art ansahen, war er erleichtert, nicht Teil des Ganzen zu sein. „Schläfst du mit Josten?“, fragte er schneller, als er seine Gedanken davon abhalten konnte und Andrew schnaubte. „Neugier ist des Franzosen Tod“, wich der blonde Junge aus. „Kannst du das noch, nachdem, was passiert ist?“, fragte Jean dennoch, seine Wortwahl jedoch vorsichtig und beschönigend. Er hatte Andrew dessen Vergangenheit schon direkter ins Gesicht geschleudert, aber die Stimmung wie auch die Anwesenheit ihrer beider Teams hielt ihn davon ab, auch wenn sie nicht in Hörweite waren. Andrew blieb stumm und Jean gewann mit jeder verstreichenden Sekunde den Eindruck, als würde er einfach durch Warten keine Antwort mehr erhalten. Dann nahm der blonde Junge ein Schluck aus seinem Bier, leerte es schließlich ganz und grub die leere Flasche in den Sand. „Ja, ich kann, mit Grenzen. Beiderseitig“, erhielt Jean seine knappe Antwort, die ihn erst einmal darüber nachdenken ließ, was es bedeuten mochte. „Bist du wegen ihnen schwul geworden?“, fragte er schließlich aus Ermangelung einer besseren Formulierung und nun hatte er Andrews ungeteilte Aufmerksamkeit. Dass das nicht gut war, sah Jean an dem Hass, der hinter dem vermeintlich warmen Braun seiner Augen schimmerte. Er sah es ebenso an den Händen, die sich krümmten, als wollten sie Jean würgen. „Wie bitte?“ Eine schlichte Frage, deren Antwort jedoch alles andere als schlicht war. Jean schluckte. Durch das Messer, das Andrew ihm damals an den Hals gehalten hatte, hatte er sich nicht so bedroht gefühlt wie durch diese zwei Worte. „Ich meine…haben sie dich dazu gebracht, das zu mögen, was sie mit dir gemacht haben? Also nur das zu mögen und nichts Anderes…also Frauen?“ „Ich habe nichts von dem gemocht, was sie getan haben“, sagte Andrew so leise, dass Jean es beinahe überhört hätte. Dass seine Frage falsch gewesen war, erkannte er, aber er wusste nicht warum. „Warst du also vorher schon so?“, versuchte er sich zu erklären. „So?“ Jean deutete schweigend auf Neil und Andrew folgte seinem Blick. Beinahe schon war er erleichtert, dass die brennenden Augen des Anderen nicht mehr auf ihm ruhten. „Schwul, meinst du?“, hakte Andrew schließlich gepresst nach und Jean nickte abgehackt. „Warum willst du das wissen?“ Aus Interesse. Das war die einfache Antwort. Weil er sich niemals darüber Gedanken gemacht hatte, wie es mit ihm aussah. Weil er sich nie sichere Gedanken hatte machen können und nun vor der Frage stand, ob es für einen normalen Menschen auch dazu gehörte, sich bewusst zu sein, was er war und warum er es war. „Ich weiß nicht, was ich bin“, gestand Jean schließlich ein und malte mit seinem Zeigefinger schattenhafte Kreise in den Sand. „Ich weiß nicht, wie man dazu wird.“ Andrews Augen kehrten zu ihm zurück und Jean wünschte, dass sie es nicht getan hätten. Mitleidslos und beinahe schon apathisch wurde er seziert und Jean hätte gut und gerne die Zeit zurückgedreht, wenn er gekonnt hätte. Das Thema war kein Gutes und was ihn geritten hatte, es anzuschneiden, konnte er im Nachhinein nicht sagen. „Es ist einfach da. Schon in der Kindheit. Du entscheidest dich nicht willentlich dafür oder dagegen, sondern bist einfach so, wie du bist. Niemand kann es in dich hineinficken oder dir anerziehen. Niemand.“ Jean ließ sich die ruhigen Worte durch den Kopf gehen und dachte auf ihnen herum, zog Vergleiche zu anderen Vorlieben, die er schon seit seiner Kindheit hatte. Viele von ihnen waren verschwunden, während er im Nest gefangen war. Ein paar waren bis heute geblieben. „Und woher wusstest du dann, dass du Männer und keine Frauen bevorzugst?“, fragte Jean schließlich. „Jugendstrafvollzug.“ Jean blinzelte fragend. „Dort gab es einen Jungen. Er war heiß, er machte mich an, ich blies ihm einen und fand es geil.“ Jean starrte Andrew an und war froh um die Dunkelheit, die seine beginnende Röte auf den Wangen überdeckte. Das waren mehr Informationen, als er wirklich hatte haben wollen. Peinlich berührt wandte er den Blick ab und grub seine Zehen in den nun kühlen Sand. „Männer oder Frauen?“, kam die unausweichliche Frage und Jean zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“ „Willst du es ausprobieren?“ Wiederum zuckte er mit den Schultern. „Ich denke nicht, dass ich das kann.“ „Wieso nicht?“ „Wegen ihnen und den Erinnerungen.“ „Du kannst lernen um sie herum zu arbeiten.“ „Ist das das, was du mit Josten machst?“ Andrew schwieg und für einen Augenblick lang sahen sie beide zu dem Jungen mit der viel zu großen Klappe, der mit Alvarez zusammen Exydrills im Sand machte und zusammen mit ihr lachte. Jean rollten sich bei der Nachlässigkeit der Bewegungsabläufe die Zehennägel hoch, doch er kam nicht umhin, amüsiert den Kopf zu schütteln. „Was ist mit Knox?“, fragte Andrew schließlich und Jean sah fragend auf ihn hinunter. „Er ist schwul“, erwiderte er und erhielt ein Augenrollen für seinen anscheinend nicht produktiven Kommentar. „Echt? Überraschung Überraschung. Weiß ja auch nicht schon jeder. Findest du ihn attraktiv?“ Jean zuckte zusammen. Die Vorstellung, seinen Kapitän auf irgendeine Art und Weise zu begehren, machte ihm Angst. Irrationale Angst, dass dieser diese Schwäche dazu nutzte, um ihm andere aufzuzwingen. Jean wusste, dass es nicht dazu kommen würde und dennoch konnte er das Gefühl nicht abschütteln. „Warum fragst du das?“, lenkte er sich von seinen Gefühlen ab und Andrew schnaubte. „Weil du eifersüchtig bist.“ Jean glaubte, sich verhört zu haben. „Nein?“ Andrew lächelte freudlos. „Klar.“ Jean grunzte unzufrieden. „Auf Knox?“ „Eher auf den anderen Idioten.“ „Mir scheint, dass Jostens Dummheit auf dich abgefärbt hat.“ Bevor Andrew antworten konnte, kam Laila zu ihnen und ließ sich mit einem Lächeln neben ihnen nieder. Jean brachte es nicht übers Herz, sie wegzuscheuchen und überraschenderweise war Andrew ebenso wenig geneigt, ihr seine schlechteste Seite zu zeigen. Das mochte daran liegen, dass sie ihm, kaum, dass sie saß, ein Eis hinter ihrem Rücken hervorzauberte und es Andrew reichte. Jean sah dem Bestechungsversuch überrascht zu. Woher auch immer sie das hatte. Aber es wirkte. „Junkie“, murmelte Jean zynisch und Andrew zeigte ihm seinen Mittelfinger. ~~**~~ „Was bist du für ein sexy Biest, Moreau?!“ Zweifelnd sah Jean an Renee vorbei in das altertümliche Motelzimmer, das sich das Regenbogenmädchen mit Reynolds und Wilds teilte. Der Defensive Dealer stand hinter Renee und stemmte nun eine Hand in die Hüfte, als sie ihn von oben bis unten maß und anerkennend pfiff. „Wer hätte gedacht, dass aus dem garstigen Raben mal ein California Surferboy mit Aristokratencharme wird?“ Zu sagen, dass Jean mit ihren Worten nichts anfangen konnte, wäre untertrieben gewesen. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt seine Sprache gesprochen hatte. Entsprechend kritisch musterte er erst sie und dann Renee, die amüsiert lachte und ihn hineinwinkte. „Komm rein und stör dich nicht an ihr.“ Er tat wie ihm geheißen und stand schließlich unschlüssig in dem plüschigen Dreibettraum, in dem es anscheinend eine Klamotten- und Parfumexplosion gegeben hatte und beinahe so aussah wie am ersten Tag in seinem gemeinsamen Apartment mit Knox. Eben jener hatte ihn vor ein paar Minuten hier abgesetzt und gewartet, bis Jean das Zimmer gefunden hatte, bevor er mit einem Winken wieder losgefahren war. Gerade jetzt hatte er das Gefühl, dass er ihn alleine in die Höhle des Löwen hatte gehen lassen. Er schluckte schwer und steckte die Hände in seine Taschen. Allison stemmte ihre in die Hüften und musterte sie beide mit ihrer latenten Arroganz. „Was heißt hier „stör dich nicht an ihr“? Ich kann so einen attraktiven und gut gekleideten Mann doch nicht einfach unkomplimentiert lassen!“, grimmte sie, ihn mit ihrem Zeigefinger vermessend, und Jean rollte mit den Augen. „Allerdings könntest du etwas mit deinen Haaren machen, Moreau. Dieser Mopp auf deinem Kopf ist alles andere als ordentlich und so, wie du ihn dir gestern Abend immer wieder aus den Augen gestrichen hast, nervt er dich auch langsam, oder?“ Damit hatte sie durchaus Recht. Jeans Haare wurden zu lang und fielen ihm ständig ins Gesicht, wenn er so wie heute seine Beanie nicht trug. Er fand jedoch nicht den Mut, zu einem Friseur zu gehen und so wuchsen und wuchsen sie. „Was interessiert es dich, Reynolds?“, schnaubte er verächtlich und sie hob die rechte Hand, um sich ihre perfekt manikürten Nägel zu betrachten. „Da ich dich ja nun nicht mehr einkleiden muss wie unsere rothaarige Rotzgöre im Zimmer nebenan, würde ich dir ja anbieten, dass ich dir die Haare schneide. Wenn du lieb bist, was dir sicherlich nicht leichtfallen wird.“ Die Vorstellung, sie an seine Haare zu lassen, war…nicht so schlimm, wie Jean es zunächst angenommen hatte. Es überraschte ihn selbst und einen Moment lang dachte er wirklich darüber nach, bevor Unsicherheit die Oberhand gewann, die ihm einflüsterte, dass er diesbezüglich niemandem vertrauen konnte. Was nicht stimmte, er vertraute Knox. Erst in der letzten Woche hatte Jean sich dabei ertappt, wie er die Augen geschlossen hatte, als sein Kapitän mit seinen Fingern über seine Kopfhaut gefahren war. „Renee kann dir auch Händchen halten, während ich versuche, aus deinem wunderschönen Busch auf dem Kopf eine noch viel schönere Frisur zu machen. Ich verspreche dir auch hoch und heilig, dass nichts ziepen wird!“ Jean ließ das unkommentiert. Allison wusste, ebenso wie der Rest des Teams auch, wie er ausgesehen hatte, als Renee ihn aus Evermore geholt hatte. Was Riko ihm angetan hatte. Keiner der Foxes hatte ihn für seine Angst jemals verdammt, im Gegenteil. Sie respektierten sie und das half Jean mehr als alles andere. Auch jetzt noch. Gerade jetzt in diesem Moment. „Woher weiß ich, dass du mir keine Glatze schneidest?“, fragte er und Allison deutete auf die Wand, hinter der sich anscheinend die Jungs befanden. „Hast du dir Neil in letzter Zeit eigentlich genauer angesehen?“ Jean zuckte mit den Schultern. Ja, hatte er, gestern Abend. Etwas war anders gewesen, aber er hatte es nicht genau beziffern können. „Was willst du mir sagen?“ „Ich habe ihm die Haare geschnitten. Sieht das etwa schlecht aus? Willst du mich beleidigen, Franzose?“ „Wenn du dich beleidigen lässt“, gab er nonchalant zurück und sie zeigte ihm den Mittelfinger. „So dankst du mir also für mein generöses Angebot.“ Jean warf einen Blick auf ihre Finger, die, wie er aus eigener Erfahrung wusste, so sanft sein konnten wie sie hart zupacken konnten. Allison spielte mit dem Eindruck, den sie hinterließ und führte Unbedarfte mit der Rolle des naiven Püppchens in die Irre und ins Verderben. Er selbst war dem erlegen und war sehr schnell eines Besseren belehrt worden, als sie einen Abend lang auf ihn aufgepasst hatte und er sich fragte, ob er nun mehr Angst vor Renee oder vor ihr haben sollte. Nie wieder würde er sie unterschätzen. Nie. Wieder. „Wirst du aufhören, wenn es zuviel wird?“, fragte er aus einem Mut heraus, den er sich nicht gänzlich erklären konnte. Vielsagend hob sie die Augenbraue. „Muss ich dir das wirklich noch sagen, du französischer Surferboy?“ Sie seufzte. „Natürlich höre ich auf. Du bestimmst, wo es langgeht und wenn du sagst, dass ich aufhören soll, dann mache ich das.“ Jeans Augen verirrten sich zu Renee, die dem Ganzen schweigend, aber mit einem sanften Ausdruck auf ihrem Gesicht beiwohnte und nun aufmunternd nickte. „Ich surfe nicht“, erwiderte er, während er sich auf den Stuhl niederließ, den Allison ihm hinstellte und ihm ein Handtuch gab, was er sich um die Schultern legen sollte. Es roch nach ihr und war noch leicht feucht. „Schnickschnack, es geht ums Aussehen! Außerdem kann ich Renee nicht mit einem Wischmopp auf Sightseeingtour schicken.“ Sie summte und unweigerlich musste Jean an Knox und dessen musikalische Untermalung denken. Allison war zugegebenermaßen melodiöser als sein Kapitän, andererseits hatte sie eine Schere in der Hand, was Jean ungleich nervöser machte. Eine Schere war dazu gedacht, zu verletzen. Riko hatte… Blind fing Jean Allisons Hand ab, eher instinktiv als alles andere. Er hörte, wie Riko ihm ins Ohr flüsterte, dass er niemals von ihm loskommen würde. Selbst bei so etwas Alltäglichem wie einem Haarschnitt nicht. Er sah in seinen Erinnerungen Rikos Messer, wie es im fahlen Licht des Evermoreuntergrundes vor seinem Blut glänzte. Er spürte, wie sein toter Ex-Kapitän ihm die Haare ausriss. Büschelweise. Eine Bewegung an seiner Seite ließ Jean zurückzucken und er sah sich Auge in Auge mit Allison, die vor ihm in die Hocke gegangen war. Sanft lächelnd sah sie ihm in die Augen. „Hey Schöner. Dir wird hier nichts passieren, okay? Du bist unter Menschen, die dich in keinem Fall verletzen wollen. Renee würde mich auch umbringen, wenn ich dir wehtun würde. Daher…wird nicht mal ziepen und danach hast du eine fesche Surferboyfrisur, mit der du hier ein Herz nach dem anderen brichst. Also mehr als jetzt schon.“ Jean lauschte den Worten und begriff erst verspätet, was sie bedeuteten. Er schnaufte leise. „Ich surfe immer noch nicht“, erwiderte er noch etwas zittrig und Allison grinste. „Musst du auch nicht. Reicht, wenn du am Strand spazieren gehst.“ „Keine Zeit.“ „Blöde Ausrede.“ „Der Strand ist zum Laufen da.“ „Meinetwegen auch das. Dann können deine kurzen Haare an der frischen Luft wehen.“ Jean schwieg und nickte mit einem Blick auf die Schere. Sein Herz schlug schneller als normal, doch seine Angst war noch erträglich. Seit er hier in Los Angeles war überschritt und sprengte er seine eigenen Grenzen und lernte, dass es auch Menschen gab, die ihn nicht verletzen wollten. Daran und an seiner kommenden Wirtschaftsrechtsprüfung hielt er sich fest, während Allison nach seinem Einverständnis schnitt und schnitt und schnitt. Vielleicht würde er doch keine Haare mehr auf dem Kopf haben, mutmaßte Jean und war durchaus erleichtert, als sie nach einer schier endlosen Zeit und einigen kritischen Blicken seitens Renee fertig war und ihm ein paar wenige Haare von den Schultern pustete. Es kitzelte und Jean schauderte unwillkürlich. Er kräuselte die Nase und Allison lachte. Sie richtete sich auf und nickte mit einem letzten, prüfenden Blick anerkennend. „Jetzt siehst du aus wie ein Herzensbrecher, Jean Moreau“, sagte sie und deutete auf den Spiegel neben ihn. Jean warf einen Blick hinein und blinzelte ungläubig. Seine Haare waren kürzer als vorher, aber nicht zu kurz, irgendwie immer noch lang. Sie sahen aber nicht mehr so wild aus und fielen anders als vorher. Sie fühlten sich leichter an und Jean berührte die Spitzen vorsichtig mit seinen Fingern. „Und?“, fragte Allison. Jean begegnete ihren Augen durch die Reflektion des Spiegels und nickte schweigend, weil er seiner Stimme nicht traute. Es war…etwas Neues, das aus etwas Schrecklichem hervorgegangen war. Etwas Neues, das das Alte überdeckte, als wäre es nie dagewesen. „Es ist annehmbar“, sagte Jean ehrlich und aus der erwartungsvollen Freude wurde Empörung. „Du undankbares Stück französischer Weichkäse. Raus aus diesem Zimmer“, knurrte Allison in spielerischer Empörung und deutete auf die klapprige Tür, durch die er hineingekommen war. Ein minimales Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich umdrehte und Renees Lachen begegnete, die sanft ihre rechte Hand zu ihm ausgestreckte hatte. „Komm, zeig mir L.A., du hübscher Mann“, sagte sie und Jean ließ sich von ihr an die frische Luft ziehen. ~~**~~ „Findest du das hübsch?“ „Nein. Du?“ „Nicht so. Ich weiß auch gar nicht, was es darstellen soll.“ Jean brummte zustimmend. Er hatte auch keine Ahnung, was die leuchtenden und blinkenden Gedärme aus dem Mund der übergroßen, schreienden Skulptur sein sollten, die sich um sie herum auf den blanken Beton der verlassenen Lagerhalle ergossen. Es roch nach altem Stein und frischer Farbe und Jean rümpfte nicht zum ersten Mal die Nase. Er hatte Renee mithilfe seines Handys und der Navigationsapp zum Kunstdistrict geführt und hatte ihr die Ecken gezeigt, die Knox mit ihm vor Monaten besucht hatte. Dass sie nun in einer ihm gänzlich unbekannten Halle standen, war Renees Neugier zu verdanken, mit der sie sie beide in eine der Nebengassen gezogen hatte. Wie hätte Jean sich auch wehren können, wenn sie die Finger ihrer rechten Hand fest mit denen seiner linken verschränkt hatte und ihn nicht losließ. Es machte Jean glücklich, sehr sogar. Er fühlte sich wohl an ihrer Seite. Ebenso wohl fühlte er sich mit ihrer Berührung, die ihm Andrews Worte wieder in den Sinn kommen ließen. Fand er Renee hübsch? Ja, definitiv. Begehrte er sie so, wie sich Andrew und Neil begehrten? Nein. Obwohl er ihr alles schenken würde, was sie von ihm verlangte, verspürte er sonst gar nichts. Was nicht bedeutete, dass er von ihrem Anblick jemals genug bekommen würde. Von dem engelsgleichen, aber tödlichen entschlossenen Blick, ihre sanften Augen, die ihm alles vergaben. Jean sah auf sie hinunter und durch sein Starren aus ihrer Beobachtung gerissen erwiderte sie schließlich seinen Blick. „Danke, dass du mein Schutzengel bist, Renee“, sagte Jean ehrlich und lächelte. „Ohne dich…“, begann er, vollendete aber den Satz nicht. Musste er auch nicht, denn an dem Schmerz in ihrem Gesicht erkannte er, dass sie sehr wohl verstanden hatte, was er sagen wollte. Ohne sie wäre er jetzt tot. Er schluckte. „Ich habe dir soviel zu verdanken, was ich dir niemals zurückgeben kann. Und ich war so oft nicht gut zu dir. Ich habe dich traurig gemacht und dich angelogen. Das tut mir leid, Renee, wirklich. Ich verspreche dir, dass ich das nie wieder tun werde.“ Die Sanftheit, mit der sie ihn musterte, war beinahe unerträglich, weil sie ihn aufbrach, ihn und seine Schutzhülle. Jean schauderte unwillkürlich. „Jean, Großer, du sturer Bock. Niemals könntest du mich so wütend machen, dass ich mich von dir abwende“, murmelte sie und strich ihm mit ihrer freien Hand zärtlich über die Wange. Instinktiv lehnte sich Jean in diese Berührung und schloss für eine Sekunde die Augen. „Du hast alles Glück der Welt verdient, Jean, auch wenn du das erst einmal erkennen musstest und sicherlich immer noch dabei bist, es zu lernen. Ich verstehe, dass du Angst hattest, als du hierhergekommen bist. Ich verstehe auch, welchen Handel du aus welchen Gründen mit Andrew abgeschlossen hast. Ebenso wie ich verstehe, dass du von eurem Handel zurückgetreten bist. Ich habe schon gehört, wie dich Knox, Alvarez und Dermott überzeugt haben.“ Renee lächelte schmerzlich und Jean umfasste ihre Hände enger. „Ich hätte vorher mit dir sprechen sollen“, sagte er und senkte den Blick auf den unregelmäßigen, brüchigen Beton. Ihr Nicken hörte er eher als dass er es sah. „Die Möglichkeit hat dir immer offen gestanden“, bestätigte sie. „Ich bin froh, dass er es nicht getan hat“, platzte Jean schließlich heraus und sah hoch. „Ich bin froh, noch hier zu sein, auch wenn es schwer ist.“ Renee lächelte und Jean die Dunkelheit dahinter lauern. „Sind sie gut zu dir?“ Jean nickte. „Sie haben gesungen. In der Kabine, gegen die Jackals. Und sie unternehmen viel. Auch mit mir. Zuviel manchmal.“ „Gut. Wären sie es nicht, würde ich sie umbringen.“ Jean ahnte, dass das keine Übertreibung war, denn Renee hatte Andrew den Messerkampf beigebracht, nicht umgekehrt. „Niemand von ihnen ist böse. Sie sind nur laut und viel zu sorglos, was ihr Training anbetrifft.“ Renee prustete. „Dir ist schon bewusst, dass ihr bisher jedes Spiel gewonnen habt.“ „Gegen euch haben wir gestern verloren.“ „Wir sind ja auch Spitzenklasse.“ „Diskutabel.“ „Im Leben nicht.“ „Also, die Beinarbeit von Minyards Bruder…“, begann Jean, verstummte jedoch, als Renee ihm einen Finger auf die Nase legte und sacht tadelnd mit der Zunge schnalzte. „Kein Exytalk, du Junkie.“ Jean grollte, führte seine nur allzu berechtigte Kritik aber nicht weiter fort. „Los, komm, lass uns weiter, ich möchte noch einen Kaffee mit dir trinken“, lachte sie und zog ihn mit sich, wieder hinaus in den belebteren Art District. „Erzähl mir von Knox, wie ist er?“, fragte Renee, während sie ein kleines Café ansteuerten. Jean zuckte mit den Schultern. „Er lacht viel, redet noch viel mehr, auch im Schlaf. Er ist ständig gut gelaunt und bekocht mich. Und er hat einen Löffel mit Nachtischcreme abgeleckt“, empörte er sich und schnaubte, als Renee lachte. „Ist er gut zu dir?“ „Außer, wenn er azuviel redet. Ansonsten schon.“ „Anspruchsvoll bist du also auch noch, Monsieur Jean.“ „Ich liebe lediglich meine Ohren.“ Wieder lachte sie und rempelte ihn spielerisch an. „Dein kleiner Bruder hat die gleichen Ohren wie du“, sagte sie schließlich. „Und die gleiche Nase. Den gleichen, kritischen Blick, wenn er sich bei etwas nicht sicher ist. Sowieso ist er ein Goldstück.“ Jean nickte zögerlich und sah auf eine Blume, die aus dem brüchigen Asphalt wuchs. „Das ist er. Ich…mag ihn“, gab er schließlich zu. „Willst du ihn öfter sehen?“ Das Café war mittlerweile in Sichtweite. „Ich weiß noch nicht“, murmelte er dann und seufzte. „Er ist so unbedarft. Er freut sich jedes Mal, wenn er mich sieht.“ „Das geht dir doch genauso.“ „Ja.“ Renee nahm ihre miteinander verwobenen Hände hoch und küsste seine krummen Finger. „Du machst, was du für richtig hältst, Jean. Wenn du Hilfe oder Rat brauchst, dann bin ich da. Jederzeit.“ Jean sah auf ihre Lippen und von dort aus in die warmen, liebevollen Augen. „Ich weiß. Ich danke dir, Renee.“ Sie wollte etwas erwidern, als ihr Handy klingelte und sie beide aus ihrer Zweisamkeit riss. Jean zuckte derart zusammen, dass er sich beinahe von ihr löste. Nicht, dass Renee das zugelassen hätte. Einhändig fischte sie das Smartphone aus ihrer Tasche und runzelte die Stirn. Sie nahm das Gespräch an und hielt das Telefon an ihr Ohr. „Andrew?“ Jean verstand nicht genau, was der blonde Junge sagte, doch es ließ Renee die Stirn runzeln. „Aber unsere Abfahrtszeit ist doch erst in vier Stunden.“ Wieder entgegnete Andrew etwas, das Jean nicht hörte und Renee seufzte. „Okay. Dann sammelt uns ein. Wir bringen Jean zur USC zurück und fahren dann.“ Sie klang nicht erfreut darüber und Jean legte fragend den Kopf schief, als Renee auflegte. „Wir haben einen Flug eher bekommen und müssen nun in anderthalb Stunden am Flughafen sein.“ „Oh.“ Jean wusste nicht, was es war, das sich in ihm regte bei ihren Worten und er scheute sich auch davor, es genauer zu beleuchten. Trauer? Vielleicht. Sehnsucht, dass sie ihr Treffen bald wiederholen könnten? Sicherlich. „Lass uns einen Kaffee to go nehmen, sie sind in zwanzig Minuten hier. Solange haben wir noch Ruhe vor ihnen.“ Jean nickte und folgte ihr in das gemütliche kleine Café, das sie mit warmen, vollen Gerüchen und Versprechungen auf Süßkram willkommen hieß. ~~**~~ Jean befühlte sacht seine kribbelnde Wange, die Opfer eines hauchzarten Abschiedskusses geworden war, und sah dem Bus hinterher, der die Foxes zum Flughafen brachte. Renees Versprechen und Jostens Drohung, ihm bald wieder auf die Nerven zu gehen, geisterten immer noch durch seine Gedanken und er seufzte innerlich bei der Erkenntnis, dass es ihm in keinem der beiden Fälle etwas ausmachte. Er wandte sich zum Gebäude der Trojans und fühlte wirkliche Ruhe in sich. Der Tag mit Renee hatte ihm gut getan und ihm Freude bereitet, und das, obwohl er weder etwas für sein Studium noch für ihren Sport getan hatte. Das Treffen mit Renee war rein egoistischer Natur und er hatte kein schlechtes Gewissen deswegen. Ganz und gar nicht. In letzter Zeit war das häufiger vorgekommen und erstreckte sich mittlerweile nicht mehr nur auf das Lesen eines Buches. Er holte sich Kaffee aus der Kaffeebar, auch wenn kein anderer Trojan einen wollte. Er entwickelte eine Präferenz bei den Gesellschaftsspielen, die sie spielten. Er wurde langsam zu einer Person, auch wenn Knox für diesen Gedanken mit ihm schimpfen würde. Für Knox war er schon immer jemand Eigenständiges gewesen, eine eigene Person, ohne Rücksicht auf Besitzverhältnisse. Jean hatte das bei seiner Ankunft nicht wahrhaben wollen und erst jetzt begriff er, was es überhaupt bedeutete. Es…gefiel ihm. Seufzend betrat Jean das Gebäude. Wenn er es seinem Kapitän erzählte, würde dieser ihn anstrahlen, da war er sich sicher. Er würde sich für ihn freuen und mit einer neuen Idee um die Ecke kommen. Er kam zu ihrem Apartment und sah eine Socke an der Tür. Knox hatte sie anscheinend aus welchen Gründen auch immer da hängen lassen und irgendetwas in Jeans Erinnerungen klingelte bei dem Gedanken daran, welche Bedeutung die Socke hatte. Er konnte sich aber beim besten Willen nicht mehr daran erinnern und so schloss er die Tür auf, ließ sie schließlich leise wieder hinter sich ins Schloss fallen, im Fall, dass Knox schlafen würde. Jean zog sich seine Schuhe aus, als er den ersten Laut hörte, der durch das sonst stille Apartment drang. Ein langgezogener Schmerzlaut, ein Stöhnen und er fuhr unwillkürlich hoch. Ging es dem blonden Jungen nicht gut? Waren es Nachwirkungen des gestrigen Spiels? Er deponierte seinen Schlüssel auf der Kommode des Eingangsflures und hörte ein weiteres Stöhnen, begleitet von einem Hin- und Herwälzen. Es musste definitiv etwas passiert sein. Jean ging zu ihrer Schlafzimmertür und zog sie soweit auf, dass er einen Blick auf seinen Kapitän werfen konnte, doch der Name des anderen Jungen erstarb auf seinen Lippen. Knox kniete auf dem Bett, vollkommen nackt, über ihm der Campusreporter, den Jean schon einmal gesehen hatte. Er hielt die Handgelenke seines Kapitäns in einer Hand auf das Bett gepresst, während die andere die Haare des blonden Jungen gepackt hatte. Allan – so hieß er - stieß währenddessen in ihn, brutal und hart, in einem Rhythmus, der Knox eben jenes Stöhnen entlockte, was Jean vorher gehört hatte. Einen Augenblick lang fror für Jean die Zeit ein. Dort lag nicht mehr Knox, sondern er, unter den Spielern von Evermore, die in sein Bett gelassen wurden. Mit brachialer Gewalt wurde er in seine Erinnerungen katapultiert, die ihm die Schmerzen und Demütigung aufzeigten, die ihm wieder und wieder aufgezwungen worden waren. Er war genauso hilflos wie Knox gewesen, der Gewalt von anderen Männern ausgeliefert. Doch das war vorbei. Sie waren nicht mehr da, sie hatte keine Macht über ihn. Er hatte nun ein Team, das nicht wegsah, Menschen, die ihm helfen würden. Wut schäumte in ihm hoch. Wut auf den Jungen, der es wagte, sich an seinem Kapitän zu vergreifen, ihn zu verletzen, ihn zu demütigen. Wut nicht nur auf den Reporter, sondern auch auf seine eigenen Vergewaltiger, die keine Gnade gekannt hatten, sondern nur darauf aus gewesen waren, ihn zu missbrauchen. Jean grollte und löste sich aus seiner Starre. Er riss die Tür auf und das widerliche Arschloch sah gerade rechtzeitig zu ihm hoch, um in Jeans hasserfülltes Gesicht sehen zu können, als dieser ihn mit Gewalt von Knox herunterzog und ihn unter lautem Aufschreien mit sich hinaus ins Wohnzimmer zog. Weg von seinem Opfer. Weg von dem Jungen, der Jean soviel Gutes getan hatte. „Du widerliches Stück Scheiße!“, knurrte Jean und hielt ihn an dessem Hals an die Wand gepresst, die Augen des Reporters weit ausgerissen und panisch. „W….was…?“, presste dieser hervor. „…soll….das…was…warum…lass los…“ „Halt den Mund!“, zischte Jean. „Halt deinen widerlichen Mund.“ Und wie er Lust hatte, dem anderen Jungen alles aus dem Gesicht zu prügeln. All seine Fassungslosigkeit, all seine Angst, all sein Entsetzen. Solange, bis er nichts mehr war als ein blutiger, wimmernder Brei. ~~~~~~~~~~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)