Force of Nature von Cocos ================================================================================ Kapitel 37: Trojans vs. Foxes ----------------------------- Jean drehte seinen Kopf in das Kopfkissen, unwillig, den Tag schon willkommen zu heißen. Murrend zog er sich die Bettdecke über seinen Kopf und schmiegte sich in die weichen Daunen, als könnte er so das unweigerliche Aufwachen verhindern. Er seufzte leise ob des Wohlgefühls, das ihn im festen Griff hatte und ihn in der Welt der nicht ganz Wachen aber auch nicht ganz Schlafenden hielt, eben jener Zwischenwelt also, in der er so wunderbar schweben konnte. Wenn er an einen Himmel glauben würde, dann wäre es dieser Zustand aus vollkommener Entspannung und friedvollem Glück, in dem er sich gerade befand. Hier gab es keine Sorgen, noch nicht. Hier gab es nicht die Eindrücke einer Welt, die ihn immer wieder überforderte. Hier gab es nur ihn. Alleine das Gefühl der absoluten Zufriedenheit holte ihn aus der Zwischenwelt und ließ ihn wach werden. Jean blinzelte und zog sich die Decke gerade soweit von seinem Gesicht, dass er erkennen konnte, wie früh es noch war. Der helle Sonnenschein auf dem Linoleumboden ihres Apartments sagte ihm, dass es definitiv nicht mehr früh am Morgen sein konnte. Jean wandte sich zum Bett des anderen Jungen, das leer war und jetzt, wo er genauer hinhörte, hörte er Knox in der Küche rumoren. Mit plötzlicher Klarheit wurde Jean bewusst, dass er verschlafen hatte. Verschlafen. Er hatte nicht mitbekommen, dass Knox aufgestanden war, und dass, obwohl er immer vor seinem Kapitän aufwachte. Seine innere Uhr war darauf programmiert, dass er niemals in Gegenwart eines Anderen weiterschlief. Niemals, dafür war die potenzielle Gefahr zu groß… Jean würgte den Gedanken ab, sobald er gekommen war. Er hatte die Nacht anscheinend ohne Alpträume durchgeschlafen, lange genug um nicht vor dem Sonnenaufgang wach zu sein. Es war eine der seltenen Nächte, nach denen er sich an nichts erinnerte und das wollte er durch die Erinnerung an Vergangenes nicht zerstören. Jean kämpfte sich in die Sitzende hoch, die angenehme Schlafschwere noch in den Knochen, und angelte nach seinem Handy um auf die Uhr zu schauen. Drei Stunden länger als sonst hatte er in seiner traumlosen Welt verbracht und Jean staunte. Er rieb sich über das Gesicht und als er aufsah, schob sich der blonde Schopf seines Kapitäns durch die angelehnte Tür. Knox grinste und Jean erwiderte diese morgendliche Fröhlichkeit mit einer minimal erhobenen Augenbraue. Jean war kein Morgenmensch, nie gewesen. Insbesondere nicht direkt nach dem Aufwachen, egal, wann es war, wie er nun feststellte. Schweigend musterte er den blonden Jungen, der eine seiner dutzenden Shorts und ein ausgeblichenes Trojan T-Shirt trug. Wie immer war sein Kapitän gut gelaunt und gerade jetzt kratzte das an Jeans eigener Morgenmuffeligkeit. Das Winken machte es nicht besser, ganz und gar nicht. „Guten Morgen, Dornröschen. Kaffee?“ Jetzt, wo er es sagte, roch Jean den verführerischen Duft des schwarzen Goldes, der es bis in das Schlafzimmer geschafft hatte. Das Angebot des anderen Jungen irritierte ihn jedoch, schließlich war er doch nun wach genug um eben das selbst festzustellen. Die Information bestätigend nickte Jean und schneller, als er begreifen konnte, was Knox tat, war dieser wieder verschwunden. „Warte!“, erscholl es anscheinend aus der Küche und Jean hielt in seiner Bewegung, sich aus dem Bett zu schälen, inne. Er verharrte, die weiche Bettdecke fest im Griff seiner morgens immer etwas steifen Finger. Er lauschte dem Klappern in der Küche und schneller, als er es vermutet hatte, kam Knox in das Schlafzimmer zurück, in seinen Händen eine Tasse, mit der er sich Jean nun langsam näherte. Jean musterte ihn schweigend und erst, als Knox ihm mit dem größtmöglichen Abstand die Tasse reichte, erkannte Jean, dass sich dort Kaffee befand. Mit Verspätung nahm er seinem Kapitän eben jene ab und sah Knox fragend in das ruhige Gesicht. Mit Bedacht zog sich Knox zurück zur Tür und gab Jean so Raum, sich in Gegenwart des anderen Jungen entspannen zu können. Das war nicht einfach, ganz und gar nicht, wie er nun feststellte und die Tasse Kaffee als willkommene Ablenkung dafür nahm, Knox nicht in die Augen sehen zu müssen, aus Angst, dass dieser erkannte, was hinter seinem Schweigen lauerte. Jean räusperte sich. „Danke für den Kaffee. Gibt es einen Grund dafür?“ „Ja klar! Es muss doch zelebriert werden, dass du endlich mal länger schläfst als ich.“ Knox grinste, das hörte Jean auch ohne hinzusehen. Wieso musste das gefeiert werden? Es war eine reine Überlebensnotwendigkeit, nur eine geringe, gemeinsame Schlafzeit mit seinem Gegenüber zu haben. Dass er seinen Überlebensantrieb selbst ausschaltete, war kein Grund für Anerkennung. Ganz und gar nicht. Aber Jean hatte gelernt zu fragen, wenn er etwas nicht verstand, also nahm er allen Mut, den er hatte, auf und sah hoch, hinein in die gleiche Unsicherheit, die er in sich fühlte. „Warum?“, fragte Jean schlicht und stieß im ersten Moment auf Unverständnis. Bevor er es erläutern konnte, begriff Knox jedoch. Sein Kapitän seufzte und kam langsam zurück. Mit einem dumpfen Geräusch ließ er sich auf sein Bett fallen und zog die Beine zu sich in den Schneidersitz. Er wurde ernst. „Weil du dir eine ganze, unbehelligte Nacht verdient hast. Nein, eigentlich hast du nur gute Nächte verdient, Jean und deswegen ist es toll, dass du durchgeschlafen hast und das sogar länger als ich. Ich hatte schon Angst, dass ich verschlafen habe, weil ich nichts gehört habe, aber nein! Du hast nur selig geschlafen, mit einer Hand auf Eva.“ Knox‘ Worte waren ein guter Moment, um einen ersten Schluck Kaffee zu nehmen, beschloss Jean und die Hitze auf seinen Wangen kam sicherlich nicht nur durch die Wärme des Getränks. „Zufall“, murmelte er in seiner Muttersprache und Knox lachte, obwohl er es sicherlich nicht verstanden hatte. „Irgendwann einmal musst du mir die schönsten Wörter auf Französisch beibringen“, grinste Knox und Jean schnaubte. „Wörter oder Beleidigungen?“, hielt er dagegen, rein um sich auf andere Gedanken zu bringen als auf den, dass er ein Kuscheltier angefasst hatte, während er schlief. „Heiße ich Alvarez?“, fragte Knox empört und Jean zuckte mit den Schultern. Seine steifen Finger an der Tasse wärmend, nahm er einen weiteren Schluck. „Weiß ich, welche Abgründe sich hinter Captain Sunshine noch verbergen?“ Jetzt war die Frage spielerisch, doch Jean erinnerte sich gut an den Anfang seines Hierseins. Was er Knox nicht alles unterstellt hatte. Nun wusste er, dass Knox das, wovor er sich gefürchtet hatte, niemals tun würde und das alleine war ein befreiender Gedanke, der einen solchen Scherz leicht machte. „Ich habe keine.“ Jean suchte Knox‘ Blick, ohne wirklich den Kopf zu heben. Er hob die rechte Augenbraue gerade hoch genug, um seinem Kapitän anzudeuten, was er von dessen allzu offensichtlicher Lüge hielt. Wie immer wand sich Knox unter dieser Musterung, plötzlich nervös und unsicher, auch wenn Jean nicht nachvollziehen konnte, woher das kam. „Wirklich nicht!“ Jean starrte weiter und hob die Tasse an seine Lippen. Ohne wegzusehen, trank er, zugegebenermaßen etwas unbeholfen, aber es wirkte. „Echt nicht!“ Knox wurde mit jeder Sekunde nervöser und Jean konnte nicht sagen, warum es ihm soviel Spaß machte, seinen Kapitän aus der Fassung zu bringen. Oder woher er überhaupt den Ansporn nahm, sich dem anderen Jungen derart spielerisch zu nähern. Entspannt lehnte er sich seitlich an das Kopfteil seines Bettes und hob die zweite Augenbraue. Knox gab sein Bestes, unschuldig auszusehen, doch schlussendlich gab er mit einem Laut purer Verzweiflung nach. „Na gut, vielleicht ein oder zwei!“, entwich es Jeans Kapitän leidend und er schnaubte amüsiert. Er fragte nicht, welche, denn er wusste, dass Knox keine Abgründe haben würde. Zumindest nicht die Art von Abgründen, die Jean Angst machten. „Hast du denn welche?“ Fast schien es Jean wie eine trotzige Verteidigung, so wie Knox nun die Arme verschränkte und die Unterlippe schmollend vorschob. Sonst war es immer Alvarez oder manchmal auch Valentine, die diese Reaktion hervorriefen, doch anscheinend war auch er in der Lage dazu. „Ein oder zwei“, echote Jean und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als Knox in befreites Lachen ausbrach. „Irgendwann verraten wir sie uns gegenseitig!“ Ja, vielleicht irgendwann, auch wenn Jean nicht glaubte, dass Knox danach immer noch zum Lachen war. Bevor seine Gedanken zu den Abgründen streifen konnten, die seine Gedanken für ihn ausspuckten, widmete sich Jean lieber einem Thema, das um Längen ungefährlicher, wenngleich auch nicht weniger emotionsgeladen war. „Das Geschenk für die Krankenschwester“, begann er und wusste doch nicht, wie er weitermachen sollte. Er war Knox dankbar, dass er sich dazu bereiterklärt hatte, mit ihm einkaufen zu gehen und dass er sogar vorher Vorschläge im Internet gemacht hatte, die sie sich gemeinsam angesehen hatten. Jean war ratlos und hilflos gewesen, nur mit Renees Aussage bewaffnet, was Abby gerne mochte und womit er ihr eine Freude machen konnte. Keramikfrösche. Jean seufzte innerlich. Jetzt, wo er darüber nachdachte, war das ganze Haus tatsächlich voller Frösche gewesen. Blumen und Frösche. Und aus dem Teich im hinteren Garten hatte es abends desöfteren gequakt. „Trink in Ruhe auf…wir fahren am Besten nach dem Frühstück, dann können wir uns ganz in Ruhe umsehen und den passenden Frosch für die Prinzessin finden.“ Jean kannte das Märchen sehr gut. Die Prinzessin, wie sie den Frosch küsste, der zum Prinzen wurde, in den sie sich dann verliebte. Unwirsch runzelte er die Stirn. „Aber sie hat ihn doch schon gefunden.“ In gespieltem Entsetzen riss Knox die Augen auf. „Ihren Frosch?!“ Jean grollte. „Einen Mann.“ „Hast du grad David Wymack einen Frosch genannt?“ „Knox…“ „Du hast!“ „Knox…“ „Der arme Mann! Da ist er mit seinem Team schon so geplagt und dann sagst du auch noch solche Sachen!“ „Knox…“ „Das muss ich Kevin erzählen!“ Es rutschte Knox einfach heraus, das sah Jean. Das bemerkte auch sein Kapitän, kurz nachdem seine Worte die vorlauten Lippen verlassen hatten. Abrupte, peinliche Stille trat zwischen sie und Knox schlug sich verspätet, die Hand vor den Mund, so als könne er dadurch wieder gut machen, was gerade gesagt worden war. Wenn es denn etwas zum Wiedergutmachen gäbe. Jean seufzte. „Schon gut“, winkte er ab. „Es ist in Ordnung, wenn du über ihn sprichst.“ Nur langsam senkte Knox seine Hand und die Fröhlichkeit war aus seinen Augen verschwunden. „Ich möchte dich nicht verletzen, Jean. Es tut mir leid.“ „Sein Name verletzt mich nicht. Ebenso wenig wie der Gedanke daran, dass du dich gut mit Kevin verstehst. Er mochte dich schon, seit ihr euch das erste Mal begegnet seid. War ein Fan von dir und deiner reinen Spielweise, die nicht mit Brutalität, sondern mit Können glänzte.“ Immer noch vorsichtig und als würde er auf rohen Eiern laufen, ließ sich Knox seine Worte durch den Kopf gehen, das sah Jean. „Ich mochte ihn von Anfang an. Sein Können ist exorbitant gut und er war…nett.“ „Ein Fanboy, wohl eher.“ „Wirklich?“ Jean nickte und trank den letzten Schluck Kaffee aus der Tasse. Nachdenklich stellte er sie auf den kleinen Nachttisch neben seinem Bett. „Er hat damals von nichts Anderem gesprochen als davon, was für ein guter Striker du bist. Er hat deine Fähigkeiten in den Himmel gelobt. Dass Riko das nicht tolerieren würde, hat er in seinem Exywahn erst zu spät erkannt.“ Die leichte und humorvolle Stimmung, die bisher geherrscht hatte, schwand sekündlich und Jean verfluchte sich innerlich dafür. Er wollte nicht daran denken, was passiert war. Er wollte sich seinen Erinnerungen nicht stellen und doch lenkte er Knox und sich selbst zielsicher daraufhin. „Hat er Kevin deswegen die Hand gebrochen?“, fragte eben jener vorsichtig und überrascht sah Jean auf. Natürlich wusste Knox nichts davon und in diesem Moment brannte es Jean auf der Zunge, ihm die bittere Wahrheit direkt ins Gesicht zu sagen. Die entwürdigende, dreckige, bittere Wahrheit, die nichts mit der Hand von Kevin Day zu tun hatte. Er öffnete den Mund, doch nichts entkam seinen Lippen. Jean schnaubte innerlich. Vielleicht war es auch besser so. Was sollte Knox mit dem Wissen um das Handeln des toten Arschlochs auch anfangen? „Die Hand hat er ihm gebrochen, als Day besser wurde als er.“ Selbst diese einfache Aussage tat Knox weh und machte ihn traurig. Vielleicht war es also eine gute Entscheidung, dass er nichts sagte, befand Jean und zuckte mit den Schultern. „Wie dem auch sei. Es ist Vergangenheit. Day kann wieder spielen und ist selbst mit seiner vermeintlich schwächeren Hand ein ernstzunehmender Gegner, der eine Gefahr für unser Tor ist. Riko ist tot und das ist auch gut so.“ Es war Genugtuung, die diese Worte begleitete und Jean genoss sie mehr, als er zuzugeben bereit war. Er schwieg, weil er nicht mehr dazu zu sagen hatten und in diese Stille hinein klingelte sein Handy. Jean sah überrascht zum Telefon, bevor er rein aus Reflex zu Knox sah, der seine nonverbale Frage ruhig, aber ausdruckslos ignorierte. Er tat das mit Absicht und Jean war bewusst warum, schließlich lag die Entscheidung, ob er einen Anruf entgegennahm nicht bei seinem Kapitän. Jean wusste das, aber jahrelange Konditionierung ließ sich nicht innerhalb von ein paar Monaten wieder rückgängig machen. Er seufzte und starrte auf die ihm unbekannte Nummer, bevor er den Anruf annahm und sich mit seinem üblichen „Ja?“ meldete. Die Sekunde Stille, die am anderen Ende der Leitung herrschte, irritierte ihn, sie erschreckte ihn aber nicht so sehr, wie es die Stimme tat, die sich vorsichtig an sein Ohr schlängelte. „Jean, bist du das? Ich bin es… François.“ Jeans Gedanken kamen zu einem abrupten Halt, als er begriff, dass es sein Vater am anderen Ende der Leitung war. François, wie er sich selbst nannte, weil Jean klar gemacht hatte, was er von ihm hielt. Weniger klar waren seine Gefühle, als er den Namen hörte. Er hatte nicht erwartet, dass er nach so kurzer Zeit wieder Kontakt zu seinem Vater haben würde. Ebenso wenig hatte er erwartet, dass der Mann, den er Vater genannt hatte, sich mit seinem Vornamen meldete. Es schien falsch, aber gleichzeitig auch richtig und Jean wusste nicht, welchem von beiden er mehr Stimme geben sollte. „Was willst du?“, fragte er schließlich und der Mann am anderen Ende der Leitung schluckte hörbar. „Louis möchte gerne nächste Woche zu eurem Spiel gegen die Foxes kommen und ich wollte fragen, ob das für dich in Ordnung ist.“ Jean erinnerte sich nur zu gut an die Leidenschaft und die Freude, mit der Louis von den Palmetto State Foxes gesprochen hatte und er brachte es nicht über das Herz, nein zu sagen, auch wenn es bedeutete, dass sein Vater ebenso mit anwesend sein würde. Auch das hinterließ ein Gefühl in ihm, das Jean schwerlich beziffern konnte. „Es ist okay“, erwiderte er mit Verspätung. „Ich nehme an, er möchte von den Foxes auch Autogramme?“ „Das nur, wenn es keine Umstände macht und für dich in Ordnung ist, Jean. Ich denke, er wird sich schon sehr freuen, wenn er dich spielen sieht.“ Jean dachte darüber nach und seufzte schließlich innerlich. „Ich werde sie fragen. Versprechen kann ich nichts.“ Auch wenn er noch nicht wirklich wusste, wie er es dieser Mannschaft an Junkies erklären sollte, dass der Junge, der ihm so ähnlich sah, sein Bruder war. Vielleicht sollte er mit Renee sprechen, sie würde am Ehesten sagen können, wie sicher Louis in Anwesenheit ihres Teams war und wie sie ihn behandeln würden. „Ich danke dir, Jean.“ Schweigend nahm er zur Kenntnis, was sein Vater sagte und ebenso schweigend spielte er mit dem Saum seines Hemdes, nicht wissend, was er darauf antworten sollte. „Es ist okay“, einigte er sich mit sich selbst erneut auf etwas absolut Nichtssagendes und sah, wie Knox ihn mit ruhiger Zustimmung beobachtete. „Wie geht es dir?“, fragte der Mann am anderen der Leitung zögerlich und Jean blinzelte. Er glaubte nicht, dass er schon bereit war, mit seinem Vater über sich zu sprechen. Ob das jemals der Fall sein würde, wusste er ebenso wenig. „Ich möchte darüber mit dir nicht reden. Jetzt nicht“, verbalisierte Jean seine Gedanken. „Natürlich. Entschuldige.“ Nein, Jean wollte gar nichts entschuldigen. Er wusste nicht, was er wollte. „Ich lege jetzt auf.“ Das Schweigen am anderen Ende der Leitung war bedeutungsschwanger, aber schließlich gab sein Vater einen zustimmenden Laut von sich. „In Ordnung. Bis nächste Woche.“ „Ja.“ Jean beendete den Anruf und starrte auf das dunkel werdende Display seines Handys. „Louis kommt zum Spiel“, erläuterte er unnötigerweise und sah hoch. „Ist das okay für dich?“ „Ich glaube schon.“ „Und er will die Foxes sehen?“ Jean nickte seufzend und Knox wackelte mit den Augenbrauen. „Das Regenbogenmädchen wird ihn lieben.“ „Ich befürchte.“ „Vielleicht sollten wir die Foxes gewinnen lassen?“, fragte sein Kapitän allen Ernstes und Jean gestattete es sich, den in ihm tobenden Unglauben auch auf sein Gesicht wandern zu lassen. „Nicht dein Ernst, Knox.“ „Ja, doch. Ich meine, der Kleine ist Foxes-Fan. Außerdem sind sie nur so wenige, da könnten wir wieder…“ „Nein.“ „Aber Jean, wir… „Nein.“ „Aber…“ „Nein.“ Knox schmollte und Jean starrte seinem Kapitän eindringlich in die blauen, großen Augen. Er hatte das ungute Gefühl, dass seine Mannschaft tatsächlich verlieren würde, weil sein kleiner Bruder Foxes-Fan war. So abstrus dieser Gedankengang auch im ersten Moment schien, so sehr passte er in das Verhalten dieses Teams, wenn er sich deren Historie mit den Foxes ansah. Und das machte Jean eine Heidenangst. ~~**~~ „Lieblingscaptain!“ Jeremy wusste nicht, ob er lachen oder beleidigt sein sollte, als sein eigener Vizekapitän Dan Wilds mit Begeisterung in die Arme sprang und sie mit ihrer Leidenschaft beinahe umwarf. Die Foxes waren gerade etwas früher als geplant angekommen und so konnten sie sich noch in aller Ruhe begrüßen, bevor es in die Aufwärmphase ging. Jeremy ließ den beiden Frauen ihre Begeisterungsrunde und wandte sich an Kevin, der ihn mit einer Zurückhaltung musterte, die er seit seinen Zeiten als Raven nicht mehr gehabt hatte. Jeremy ahnte, woher diese kam, doch er dachte nicht daran, das noch ausstehende Gespräch wie eine Mauer zwischen ihnen wirken zu lassen. „Kevin Day, Lieblingsstriker“, grinste er und zog den größeren Jungen in seine Arme. „Hi, Jer“, murmelte dieser nach einem Moment des Zögerns, bevor er beinahe schon fragend seine Arme um Jeremy legte. Jeremy gönnte ihm keine Sekunde seiner Schüchternheit und zog ihn in eine schier zerquetschende Umarmung. „Ich freue mich so, dich zu sehen und nach dem Spiel mit dir zu quatschen!“ Vor drei Tagen hatte Jeremy Kevin angerufen und dem anderen Jungen ein Date aufgezwungen, zumindest, wenn man Jean danach fragte, wie besagtes Telefonat abgelaufen war. Jeremy selbst würde das Telefonat eine liebevolle Erinnerung daran nennen, dass er einen Freund sehen, mit ihm Party machen und mit ihm sprechen wollte. „Ebenfalls“, lächelte Kevin und Jeremy ließ es sich nicht nehmen, ihm unter den aufmerksamen Augen von Minyard – ganz sicher war es Andrew - durch die Haare zu wuscheln, auch wenn er sich dafür strecken musste. Verdammte, große Jungs. Apropos… Jeremy warf einen Blick zur Seite und sah, dass Jean sich bereits zu Renee begeben hatte und nun Empfänger eines liebevollen Wangenkusses wurde, der Jeremy unweigerlich an Louis‘ Schmatzer von vor ein paar Wochen erinnerte, nur dass er eben nicht halb so feucht war. Louis, der heute hier sein und die Foxes treffen würde. Auch wenn sein Backliner das verneinte, so war Jean schon seit Renee es mit Dan und ihrem Team besprochen hatte, nervös. „Neil, Andrew“, grüßte er, als er sich von Kevin löste und der blonde Junge wandte sich mit einem abschätzigen Blick ab. Seitdem Jeremy wusste, dass er Kevin seinen Schutz geschworen hatte, ahnte er, wie wenig sich Andrew mit ihnen allen auseinandersetzen würde, wenn Kevin nicht wäre. Oder Neil. Oder Jean, der anscheinend ebenfalls zum Minyardschen Schutzkreis gehörte und der ihm anscheinend feierlich und unter Androhung eines sicheren Todes überreicht worden war. Jeremy hatte Laila über ihren Besuch mit Andrew in der Eisdiele ausgequetscht, doch sie hatte auch nur das berichten können was tatsächlich passiert war. Der schweigsame Junge hatte sich zu einem Eis einladen lassen, die Portion verdoppelt und sich dann meist schweigend in den Schatten unter den großen Bäumen fallen lassen. Wie es möglich war, dass er Jean schützen wollte, gleichzeitig aber bereit war, ihn umzubringen, das war Jeremy bis heute ein Rätsel und eine zuverlässige Quelle für Alpträume, in denen er nach Jean rief und in denen ihn Andrews ausdrucksloses Gesicht bis zum Wachwerden verfolgte. „Captain Sunshine!“, holte Renee ihn aus seinen Gedanken „Regenbogenmädchen!“, grinste Jeremy wild und sie umarmten sich. „Wie ich sehe, ist Mr. Gewitterwolke gut gefüttert“, murmelte sie in sein Ohr, da Jean sich in relativer Hörweite befand. Jeremy lachte in der gleichen Lautstärke. „Ich gebe mir große Mühe, alles in ihn hinein zu stopfen, das seine Mangelernährung von Evermore wieder wettmacht“, schmunzelte er und Renee zwinkerte, als Jean misstrauisch von seiner Frotzelei mit Neil zu ihnen herübersah. Jeremy winkte und Renee knuffte ihm spielerisch gegen die Schulter. „Weiter so, Cap. Und ich freue mich darauf, dich von meinem Tor abzuhalten.“ „Als wenn du das könntest!“ „Wart’s ab, wir haben trainiert um euch wieder den Hintern zu versohlen.“ „Denkst du, wir nicht?“ Sie grinsten beide und Jeremy begrüßte den Rest des Teams, dessen Spielerinnen und Spieler ihm so sehr ans Herz gewachsen waren, bevor sie sich daran machten, sich aufzuwärmen und die letzten Spielzüge nochmals durchzugehen, während der Lärm um sie herum langsam immer und immer weiter anschwoll. Die USC-Trojan-Fans liebten die PSU Foxes beinahe so sehr, wie sie ihre eigene Mannschaft liebten und so wechselten sich jetzt schon Sprechchöre mit Motivationsrufen für beide Teams ab. Das machte Jeremy stolz auf Los Angeles und ihr College, mehr als er in Worte fassen konnte. Jeremy nahm sich die Zeit, um mit dem Publikum zu shakern und mit ihnen zu feiern, ihnen zuzuwinken und Fotos von ihnen zu machen, wie sie ihr Team anfeuerten. Deswegen sah er auch ohne Probleme Louis und seinen Vater, wie sie inmitten der Fans standen. Louis, aufgeregt und hibbelig an der Seite des Mannes, dessen Emotionen ihm klar und deutlich im Gesicht geschrieben standen. Jetzt, in diesem Moment erkannte Jeremy, dass es das erste Mal sein musste, dass Mr. Moreau seinen älteren Sohn live auf dem Spielfeld sah. Bislang hatte er ihm, so wie Jean es ihm erzählt hatte, immer nur über das Fernsehen zusehen können. Bei allem, was er Jean mit seiner Feigheit angetan hatte, litt auch er. Was deutlich zu sehen war, auch wenn er versuchte, für den jüngeren der beiden Brüder stark zu sein. Jeremy winkte und ekstatisch winkte Louis zurück und schwenkte seinen Foxes-Fanschal, während Mr. Moreau ihm ernst zunickte. Der Kleine trug ein Trikot der Trojans und Jeremy musste nicht die Rückseite des T-Shirts sehen um zu wissen, dass es Jeans Nummer war, die darauf zu finden war. ~~**~~ Jean sah auf den Frosch auf seinen Händen und wurde mit jedem Schritt, den er in Richtung Foxes tat, unsicherer. Natürlich hatte er seinen Coach und seinen Kapitän um Erlaubnis gefragt und natürlich hatten sie ja gesagt. Keiner von ihnen hatte sich aber bemüßigt gefühlt, ihn zu begleiten und so hatte er sich die Keramikkreatur gegriffen und ging über das Spielfeld sich des Blickes seines Vaters wie ein schweres Gewicht in seinem Nacken bewusst. Er war tatsächlich hier, zusammen mit Louis und es Jean konnte das Gefühl, das in ihm schwelte, wenn er darüber nachdachte, nicht wirklich beschreiben. Es war keine Freude, ganz sicherlich nicht. Aber er war aufgeregt. Jean seufzte und ließ seine Gedanken zu Abby zurückkehren, die ihn ebenso nervös machte. Es war nicht so, als würde er ihr kein Geschenk machen wollen, ganz im Gegenteil. Er hatte dieser Frau viel zu verdanken. Sie hatte ihn gesund gepflegt und sich um seine Wunden gekümmert, in ihren Augen eine ruhige Professionalität, die Jean zunächst mit der pragmatischen Sorglosigkeit der Evermoreärzte verwechselt hatte. Doch da war mehr gewesen, wie er langsam erkannt hatte. Sie hatte ihn nicht sich selbst überlassen, sondern sich um ihn gekümmert, selbst als er sie angefahren und angeschrien hatte, selbst, als er vor ihr zurückgewichen war oder nach seinen Alpträumen um sich geschlagen hatte. Sie hatte ihn in ihr Haus aufgenommen, obwohl sie sich der Gefahr aus Evermore bewusst gewesen war. Sie hatte ihn mit ihrer Sturheit dabehalten und den Grundstein dafür gelegt, dass er überhaupt überlebensfähig war. Jean schluckte. Vielleicht war der Frosch zu wenig für das, was sie getan hatte. Unter den aufmerksamen Blicken der Foxes trat er an sie heran und wartete, bis sie ihre Utensilien sortiert hatte, mit denen sie ihr Team versorgen würde. Er erinnerte sich noch gut an ihre fachkundigen Hände, die seine Wunden versorgt hatten. Und an ihre Lippen, die sich in einer Tour für die Schmerzen, die sie ihm damit teilweise zugefügt hatte, entschuldigten, als wäre sie an den Verletzungen schuld und nicht Riko. Jean hatte es zunächst nicht verstanden und dann war es ihm wie Hohn vorgekommen, bevor er schlussendlich akzeptiert hatte, dass es ihre Art war, mit schlimmen Dingen umzugehen. Abby drehte sich um und erstarrte, als sie ihn neben sich stehen sah. Überrascht weiteten sich ihre Augen und das erfreute Lächeln wärmte ihn von innen heraus. Sie musterte ihn von oben bis unten und wenn er sich nicht täuschte, dann erkannte er Stolz in ihren Augen. „Jean! Schön dich zu sehen! Gut siehst du aus! Wie geht es dir?“, gab sie ihren Gedanken eine Stimme und er nickte. „Hallo Abby“, erwiderte er zögerlich. Er war nur ein paar Monate bei ihr gewesen, doch ihre Worte hatten den Anschein, als wären sie vertraut miteinander, so als wäre er tatsächlich einer der Ihren. „Es ist okay.“ Sobald die ungelenken Worte Jeans Lippen verlassen hatten, wurde er sich bewusst, dass dem tatsächlich so war. Es war okay, noch lange nicht in Ordnung, aber okay. Er lernte, was es hieß zu leben. Er befand sich noch am Anfang dieses Lernprozesses, aber die tiefgreifende Verzweiflung und erstickende Angst, die er zu Beginn gefühlt hatte, waren nur noch selten da. Jean streckte ihr den Frosch entgegen. „Das ist ein Geschenk, als Dankeschön für alles, was du für mich getan hast. Und dafür, dass du mein Leben gerettet hast.“ Er hätte nicht erwartet, dass die Übergabe eines Geschenkes seinerseits von einer peinlichen Pause begleitet werden würde, in der sie beide auf das Tier starrten. Doch glücklicherweise hielt sich diese in Grenzen und Abby nahm die Figur behutsam in ihre eigenen Hände. Sie strahlte über das ganze Gesicht und Jean wagte, daran zu glauben, dass er die richtige Wahl getroffen hatte. Knox und er. „Oh Jean, er ist wunderschön! Ich liebe ihn!“, sagte sie begeistert und drehte das Tier ehrfürchtig so, dass sie es von allen Seiten betrachten konnte. „Das freut mich sehr“, erwiderte er und sie seufzte glücklich. „Darf ich dich umarmen?“ Wie die anderen Foxes auch fragte sie und er wusste, warum sie das tat. Er wusste, dass sie ihren Sack Flöhe in und auswendig kannte, mit allen Traumata, die die Foxes in sich trugen. Mit allen Grenzen, die damit einhergingen. Jean nickte und kaum, dass er es getan hatte, schlang sie vorsichtig ihre Arme um ihn und drückte ihn an sich, so als wäre er zerbrechlich. Jean tat, wie er es gelernt hatte und erwiderte die Umarmung. Leicht legte er seine Arme um sie. „Ich sollte das zwar nicht sagen, aber zeig’s den Foxes“, murmelte sie und er schnaubte amüsiert. „Ich werde ihnen den Hintern versohlen“, erwiderte er in der gleichen Lautstärke. „Und sie dir zum Trösten zurückschicken.“ Abby lachte laut und löste sich von ihm. „Das ist mein Junge. Ich bin stolz auf dich!“, grinste sie und barg den Frosch an ihrem Bauch. „Bis dahin werde ich mich mit meinem neuen Mitbewohner beschäftigen.“ Jean nickte und warf einen letzten Blick auf die Mannschaft, gegen die er gleich antreten würde. Sein Blick fing sich an Day, der ihn schweigend musterte und er wandte sich ab. „Danke für alles, Abby.“ „Du bist jederzeit in meinem Haus willkommen, Jean. Merk dir das, wenn du in der Gegend bist!“ Gehorsam nickte Jean. „Versprochen.“ „Gut, und jetzt zurück zu deinem Sonnenscheinteam. Sonst glauben die Foxes noch, dass du mich bestechen möchtest.“ Jean folgte ihrem Fingerzeig und hielt inne, als er begriff, dass es das erste Mal war, dass er den Foxes seit seiner Zeit in Evermore wieder gegenüberstand. Dieses Mal nicht um sie zu zerstören auf Rikos Befehl hin, sondern um gegen sie zu spielen und zu gewinnen, ohne Hintergedanken. Er musste niemanden foulen, er musste keine dunklen Details ausgraben um die Spieler aus der Fassung zu bringen… nichts. Sein Trainer verlangte einfach, dass er sein Bestes gab. „Was ist los, Moreau? Angst?“, riss Neil ihn aus seinen Gedanken und Jean schnaubte verächtlich. „Wovor?“, rief er zurück und Neil klopfte grinsend mit dem Schläger auf den Boden. Jean lächelte und er legte alles, was er an Herausforderung zu bieten hatte, in diese Geste. Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich erwarte dich. Komm, wenn du dich traust, Josten.“ Dass Neil zu ihm kommen würde, dessen war er sich sicher. Dass es ein harter Kampf werden würde – ebenfalls. ~~**~~ Dass der Kampf hart werden würde, hatte Jeremy erwartet, aber dass er noch nicht einmal Zeit haben würde, nach Luft zu schnappen und zu atmen, war dann doch etwas über dem Ziel, das er sich für das heutige Spiel gesetzt hatte. Sie schenkten sich nichts, rein gar nichts. Kein Millimeter des Spielfeldes blieb unumkämpft und keine Ecke des Stadions wurde nicht als Möglichkeit genutzt, dem Gegner auszuweichen, den Ball abprallen zu lassen oder sein Gegenüber gegen eine der Plexiglaswände zu checken. Alles getragen von dem Lärm ihrer Zuschauer, die mit jeder fortschreitenden Minute ekstatischer wurden und sowohl den Trojans als auch den Foxes ihre Punkte gönnten. Aus dem Augenwinkel heraus sah Jeremy, wie ihre jeweiligen Cheerleadersquads ganze Arbeit leisteten, die er aber nicht eine Sekunde lang würdigen konnte. Eine Sekunde Unaufmerksamkeit bedeutete Ballverlust. Unaufmerksamkeit bedeutete Deckung von alle Seiten und einen Kampf um den Ballbesitz, wie Jeremy ihn selten erlebt hatte. Sie hatten alle Hände voll zu tun und das Spiel war auf dem Spielfeld und insbesondere auf ihrer Mannschaftsbank eine Zerreißprobe für die Nerven, wie er sie so noch nie erlebt hatte. Die Trojans waren perfekt aufeinander eingespielt und zeigten das auch – ebenso wie die Foxes. Andrew und Renee lieferten fantastische Leistungen im Tor ab und Jeremy schrie jedes Mal auf, als es ihm gelang, den Ball in das gottverdammte Viereck zu befördern. Nicht, dass es oft gewesen wäre. Die Verteidigungslinien ihrer beider Teams standen und bildeten schier unüberwindliche Mauern. Jean, Mayson und Ellie machten das Tor dicht und ließen weder Josten noch Kevin durch. Letzteren überhaupt nicht und so konnte Jeremy nur fassungslos zuschauen, wie Jean und Kevin automatisch in Raventaktik verfielen, wenn sie aufeinandertrafen. Dass sie sich nichts schenkten, hatte Jeremy erwartet, dass sie aber ruchlos, erbarmungslos und an der Grenze zu legalen und illegalen Checks gegeneinander Krieg führten, ließ ihn doch schwer schlucken. Mit Josten tat Jean das Gleiche und auch der schnelle Striker der Foxes kannte wenig Mitleid mit seinem französischen Gegner. So jagten sie sich Punkt um Punkt ab, schafften es immer wieder auf einen Gleichstand und Jeremy glaubte, dass sein Herz stehen bleiben würde, als sie sich der letzten Minute des Spiels näherten und alles gaben. Er selbst spürte nichts mehr in seinem Körper, der ein einziger Schmerzball war. Er war nur noch, diente dazu, seinen Schläger zu halten und irgendwie zu versuchen, noch ein Tor zu machen, eins mit dem Spielfeld und der Mannschaft. Die Menge auf den Zuschauerbänken tobte und feuerte sie an, der Lärm beinahe unerträglich laut. Das Meer aus Rot und Gold war sein Zuhause und dem wollte er gerecht werden. Für sie, für seine Mannschaft, für sich selbst wollte er alles geben und das tat er auch. So wie die Foxes auch, die in den letzten Sekunden den Durchbruch schafften und ihr Tor rot aufleuchten ließen. Nur Sekunden später ertönte die Sirene und noch nie war sie Jeremy so final vorgekommen. So…unpassend. Das Spiel konnte noch nicht vorbei sein, sie mussten doch noch dagegenhalten, sie würden… Plötzlich und abrupt überkam ihn das Wissen, dass die Foxes gewonnen hatten. Ein einziger Punkt, kurz vor Schluss. Kevin war es, der Alvarez‘ Linie halb durchbrochen und von einer schier unmöglichen Weite aus auf ihr Tor gezielt hatte. Jeremy sah, wie Ajeet am Boden lag, fluchend, er sah Ellie und Mayson, die wie Steinstatuen daneben standen und wie er auch erst einmal begreifen mussten, dass sie verloren hatten. Auf der Bank raufte sich Rhemann seine kurzen, schwarzen Locken und warf den Kopf nach hinten. Neben Jeremy stand Jean, der stumm auf den Punktestand starrte, eine Augenbraue erhoben. Sie hatten verloren und das Stadium war für einen Augenblick mucksmäuschenstill. Dann jedoch klatschten ihre Zuschauer, langsam, rhythmisch, dann immer und immer schneller. Die Foxes-Fans jubelten dazu und Jeremy ließ sich unter der dröhnenden Geräuschkulisse dort, wo er stand, zu Boden fallen. Es war vorbei. Neunzig Minuten kameradschaftliche Hölle waren vorbei und sie hatten ein exzellentes Spiel verloren. Jeremy konnte das noch nicht einmal bedauern. Natürlich wünschte er den Trojans, dass sie gewannen. Er wollte gewinnen. Aber so verdient hatte gewonnen hatte selten eine Mannschaft und das gönnte er den Foxes. Von ganzem Herzen. Er gönnte ihnen ihre ursprüngliche, losgelöste Freude, mit der sie nun selbst ihren Sieg begriffen. Also dann, wenn es irgendwann wieder einmal genug Sauerstoff in seinen Blutkreislauf pumpen würde, damit er normal atmen konnte. ~~**~~ „Habt ihr extra verloren, damit meine Lieblingsmannschaft gewinnt?“ Jean sah blinzelnd auf Louis hinunter, der komplett in Orange, Weiß, Rot und Gold mit seinem Trikot und seiner Nummer vor ihm stand ihn stolz angrinste, sein Buch wie einen kostbaren Schatz vor seiner Brust geborgen. Er fand sich in der Frage seines kleinen Bruders durchaus wieder, das konnte er nicht verneinen, schließlich hatte er Knox vor ein paar Tagen Selbiges unterstellt. Allerdings konnte er diese Frage nach dem heutigen Spiel getrost mit einem Nein beantworten. Sein Team war nicht nur gut gewesen, sie hatten herausragend gespielt. Ebenso wie die Foxes und das Match war fair gewesen. Jean hätte selbst nicht sagen, wer es schlussendlich für sich entscheiden würde und so rümpfte er zwar die Nase über den Sieg der Foxes, allerdings tat er das nur aus dem Grund, da sein eigener Ehrgeiz ihn hatte gewinnen sehen wollen. Sie. Die Trojans. Seine Mannschaft. Jean seufzte innerlich und schüttelte den Kopf. „Nein, haben wir nicht“, betonte er und warf einen bedeutungsschwangeren Seitenblick zu seinem Kapitän, dessen Nicken er in seinem Augenwinkel durchaus gesehen hatte und der erst vor ein paar Minuten zusammen mit Josten aus der Pressekonferenz gekommen war – mit hochrotem Kopf. „Knox lügt.“ Louis riss die Augen auf, war aber von seiner Freude nicht abzubringen. „Man soll nicht lügen!“, lehrmeisterte er und eben jener protestierte lautstark. „Ey! Verbünden gilt nicht!“ Jean kam um eine Antwort drumherum, als nun die Foxes ihre Umkleidekabine verließen und ins Foyer kamen, ganz zu Louis‘ ehrfürchtigem Staunen. Die Autogramme der Trojans hatte er sich schon eingeheimst und Jean freute sich jetzt schon darauf, ihnen ihre offen in den Gesichtern stehenden Fragen zu beantworten. Ja, der Kleine war sein Bruder. Nein, er mochte die Trojans nicht so gerne wie die Foxes. Nein, sie beide zusammen waren ganz und gar nicht süß, wie es Ajeet quietschend entflohen war, als Louis mit weit geöffnetem Mund an ihm hochgesehen hatte. Die kleine Kinderhand, welche sich nun in seine schob, war Jean vertrauter, als er es wirklich wahrhaben wollte und er schluckte. Louis zog sacht daran. „Kommst du mit?“, fragte er und was blieb Jean anderes übrig, als diesem hoffnungsvollen Wunsch zu entsprechen? So ließ er sich mitziehen, auch wenn seine Beine nach dem Spiel nicht mehr so ganz wollten wie er. Das war ein gutes Zeichen, denn Jean fühlte sich so gefordert wie schon lange nicht mehr. Knox folgte ihnen wesentlich langsamer und in gebührendem Abstand. Danielle Wilds war die Erste, die auf sie beide aufmerksam wurde und ihr breites Grinsen ließ Louis sich im ersten Moment hinter Jeans Oberschenkeln verstecken. Wenn er es richtig in Erinnerung hatte, dann war Louis heillos in sie verschossen. Umso begeisterter war er nun, als sie ihm die Hand entgegenstreckte. „Hi! Du musst Louis sein, oder? Freut mich, dich kennen zu lernen!“ Die anfängliche Schüchternheit war wie verflogen, als Louis einschlug und sie begeistert anstarrte. „Du bist cool!“, presste er schließlich hervor. „Nein, supercool!“ „Sie ist ja auch ein Superkapitän“, mischte Renee sich ein und Jean konnte sich ein minimales Lächeln nicht verkneifen. „Und du hast tolle Haare.“ „Findest du?“ Louis nickte begeistert und Jean konnte dem nur beipflichten. Die bunten Haare waren auch schon zu Beginn das gewesen, was ihm an Renee am Ehesten aufgefallen war. „Du siehst aus wie ein Regenbogenengel!“ Jean hatte Renee noch nie erröten sehen. Bis jetzt. „Du wirst garantiert mal ein ganz toller Charmeur“, lachte Allison und Louis zog an Jeans Hand. „Was ist das?“, fragte er mit großen Augen und Jean wusste tatsächlich ebenfalls nicht so recht, was damit gemeint war. Hilfesuchend irrte sein Blick zu Renee. „Jemand, der sehr freundlich, lieb und nett zu anderen Menschen ist“, half sie ihm aus und das amüsierte Räuspern in seinem Rücken seitens Knox sagte ihm, dass vielleicht noch etwas anderes dahintersteckte. „Ich bin immer lieb und nett und freundlich! So wie ihr! Ich habe sogar ein Buch über euch, weil ihr so toll seid“, präsentierte Louis seinen Schatz mit einem stolzen Grinsen und Jean überließ ihn den jungen Frauen, froh, für einen Moment aus dem Fokus dieser unheiligen Begegnung zu sein. Dafür war er im vollen Fokus von Day, dessen brennender Blick sich bis in sein Innerstes bohrte. Oh, Jean wusste sehr deutlich, was in den Gedanken des Exyprinzen stand. Er konnte es nur zu gut auf dessen Gesicht ablesen. Die Erleichterung, dass Jean ein weiteren Anker hatte um glücklich zu werden. Die Erleichterung, dass Jean seine Familie wiederhatte. Als wenn es so einfach wäre. Jean erwiderte das Starren und spürte wie immer, wenn er an Day dachte, Wut in sich. Wie so oft fragte er sich, ob er Days Angebot, sein umfassendes Schuldeingeständnis zu veröffentlichen, nicht hätte annehmen sollen. Ob ihn das eher befriedigt hätte als das, was er jetzt hatte, nämlich nichts außer Days Bedauern, das an den Rändern seiner Selbstbeherrschung kratzte. So wie jetzt. „Ihr seid gar nicht groß und doch so gut und stark“, riss ihn Louis‘ Stimme aus seinen dunklen Gedanken und abrupt suchte Jean den Jungen, der sich in seiner geistigen Abwesenheit zu Andrew und Aaron vorgearbeitet hatte, die nun beide auf ihn hinunterstarrten. Noch, mochte Jean meinen. Er gab seinem Bruder noch drei Jahre, dann wäre das Größenverhältnis vermutlich umgekehrt. Er blinzelte und wurde sich erst jetzt bewusst, was Louis gesagt hatte. Ein Lächeln drohte seine Lippen nach oben zu ziehen. „Nicht anfassen, nur gucken“, sagte er, als Louis‘ Hand sich hob, um Andrews Unterarme, vielmehr die schwarzen Armbänder dort, zu berühren. Louis zuckte zurück und Andrew legte den Kopf schief. „Was möchtest du wissen?“, fragte der blonde Junge ruhiger, als Jean ihn je erlebt hatte und Louis lächelte verlegen. „Ist dir nicht warm? Es ist superwarm hier und du trägst sie immer.“ „Ich trage sie gerne.“ „Nimmst du sie denn auch mal ab?“ „Öfter.“ „Ist da ein Geheimnis drunter?“ Zu Jeans Überraschung nickte Andrew. „Das Geheimnis, wie ich so stark geworden bin“, erwiderte er und ungebeten überkamen Jean Erinnerungen an den Arzt, der eben diese Zeichen der Stärke entweiht hatte. Jean hatte sie von Nahem sehen müssen, weil Riko sie sich mit ihm anschauen wollte. Sein raubtierhaftes Lächeln hatte Jean damals versprochen, genauso mit ihm zu verfahren. Ihm erst die Arme aufzuschlitzen und dann die Wunden nochmal Stück für Stück aufzureißen. Abrupt löste sich Jean aus seinen dunklen Erinnerungen und Louis wandte sich währenddessen an Neil. „Und du bist der orangene Blitz! Ich habe einen Superhelden, der so ist wie du, und er beschützt mich jede Nacht! Mich und den Bärenjean.“ Neil hob die Augenbraue, vielsagend und viel zu amüsiert. „Der Bärenjean?“ Louis nickte. „Ich habe einen Teddybären und der hat Jeans Trikot an. Also ist es der Bärenjean und ich kuschele ihn jede Nacht, damit er nicht alleine ist.“ Bislang hatte Jean das Gefühl, peinlich berührt zu sein, noch nicht oft kennengelernt. Das holte er gerade mit einem Schlag komplett nach und er spürte, wie die Blicke dieser Hyänen eines verdammten Junkieteams auf ihm ruhten und sich ihre Gedanken machten. Und ihre Notizen. Vielleicht sollte er heute noch aus ihrem Chat austreten und sie alle blockieren, damit er sich nicht ihre dummen Sprüche anhören müsste. Und sich nicht mit ihnen heute Abend treffen. Und sie nicht morgen durch die Stadt führen. Jean seufzte. „Und ich, also meine Superheldenform, passt auf euch beide auf?“ „Ja!“ „Das ist ziemlich cool!“ „Ja, deswegen ist dem Bärenjean und mir auch noch nichts passiert. Wo Jean schon so weit weg von euch spielt, musst du wenigstens zuhause auf uns aufpassen!“ Stolz strahlte Louis und trat von einem Fuß auf den anderen. Verschämt sah er in die Runde und dann wieder zu Jean. „Würdet ihr alle unterschreiben und könnte ich ein Foto bekommen?“ Wer waren die Foxes und auch Jean und Knox, dass sie sich diesen charmanten Wünschen nicht beugten? ~~~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)