Force of Nature von Cocos ================================================================================ Kapitel 1: Die Ankunft ---------------------- Während des Fluges zu essen war wahrlich keine seiner klügsten Entscheidungen gewesen. Ganz und gar nicht, hielt sich Jean vor Augen, als er mit vor Angst klopfendem Herzen auf einer der Herrentoiletten des Flughafens Los Angeles kniete und seinen Mageninhalt der Schüssel anvertraute, damit diese das Zeugnis seiner brachialen Unfähigkeit der Kanalisation übergeben konnte. Wie unfähig er war, auf sich selbst aufzupassen, davon zeugten die Narben auf seinem Körper. Nicht gut genug für die Ansprüche des Patriarchen. Nicht gut genug für Rikos Ansprüche. Nicht gut genug um ein eigenes Leben zu haben. Nicht gut genug um in Palmetto zu bleiben. Und jetzt nicht gut genug, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten um seinen neuen Besitzer nicht warten zu lassen. Kein Wunder, dass Riko ihn derart oft bestraft hatte für sein Versagen, einfachste Befehle zu befolgen. Oder für seinen Widerstand und seine Versuche, ein Mensch zu sein. Jean schloss die Augen und krallte seine Fingerkuppen in die Fliesen, bis es schmerzte. Es war noch nicht einmal zwei Monate her war, dass Renee ihn aus den Klauen der Ravens geholt hatte um ihn zu retten, weil er in einem schwachen Moment der verzweifelten Menschlichkeit vergessen hatte, dass er als Besitz der Moriyamas nicht das Recht dazu hatte darum zu bitten, wie ein normaler Mensch gerettet zu werden. Sie hatte ihn erhört und ihn somit in seine ganz persönliche Hölle gestürzt. Als er sich endlich bewusst geworden war, was passiert war, hatte er versucht zurück zu kehren. Dreimal hatte er sich unter Schmerzen, Übelkeit und Schwindel aus dem Bett der Krankenschwester geschält um sich anzuziehen und nach Evermore zurückzukehren um einer noch schlimmeren Strafe zu entgehen, die Riko sicherlich für ihn in petto haben würde. Dreimal war er aufgehalten worden. Von der Schwester selbst, von Renee und schlussendlich von Minyard. Dreimal, bevor er es aufgegeben und nur darauf gewartet hatte, dass die Gefolgsleute der Moriyamas zu dem Haus der Schwester kamen, sie umbrachten und ihn mitnahmen. Doch sie waren nicht gekommen und bevor Jean den Gedanken daran, dem Ganzen selbst ein Ende zu bereiten, ausführen konnte, hatten Josten und Day ihn über Dinge in Kenntnis gesetzt, die er kaum für möglich gehalten hatte. Riko war tot und er würde nicht mehr zurückkehren nach Evermore. Sein Wert war ins Bodenlose gesunken, nachdem Riko anscheinend alles daran gesetzt hatte, ihn unbrauchbar zu machen mit seinem Messer, seinen Tritten und Schlägen. Dabei verheilte sein Körper und er würde sicherlich schon jetzt spielen können. Er hatte schon mit gravierenden Verletzungen trainiert und gespielt. Aber sie wollten ihn nicht mehr. Ganz im Gegenteil. Sie hatten ihn verkauft, selbst wenn sie das nicht so nannten. Auch das hatte Day ihm gesagt. An die Trojans, ausgerechnet. Die Heiligen ihrer Liga, überschüttet mit entsprechenden Preisen für ihren Gemeinschaftssinn und Sportsgeist. Die Foxes hatten ihn nicht gewollt, nicht, dass Jean auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte, mit diesem chaotischen Team jemals zusammenarbeiten zu wollen. Zumal Jostens Anblick ihn immer und immer wieder daran erinnerte, was für ein Monster er gewesen war auf Befehl von Riko. Jede Narbe im Gesicht und auf dem Körper des Jungen, die er ihm zugefügt hatte um nicht bestraft zu werden, erinnerte ihn daran, dass er kein Stück besser war als sein verstorbener Besitzer. Er konnte die Anwesenheit von Day nicht wirklich ertragen, seine selbstgerechte Fixierung auf Exy und nichts Anderem. Die Angst, welche Day um seine Fähigkeit zu spielen hatte, überwog selbst ein Menschenleben. Wobei, nein, sein Menschenleben, berichtigte Jean sich. Er war zwar ein Mensch, aber Besitz und es war egal, was mit Besitz geschah. Vor allen Dingen aber war es egal, wie Jean sich damit gefühlt hatte. Denn dass er nach all den Jahren in Rikos sadistischen Händen noch Gefühle hatte, war unbestritten und für Jean immer noch ein Mysterium. Man hätte doch meinen sollen, dass mittlerweile alle Emotionen aus dem herausgefoltert worden waren und dass nur noch Schmerzen übrig geblieben waren. Doch nein, seine Gefühle standen ihm genauso im Weg wie vor einem Jahrzehnt. Er war verzweifelt, er hegte Hoffnung um sie immer und immer wieder zu verlieren. Er hasste und war wütend. Er war taub und doch brannte er vor Unruhe und Unsicherheit. Vor allen Dingen aber hatte er Angst, insbesondere jetzt. Es war nicht genug, dass er verkauft worden war. Nein, im Gegensatz zu damals, als seine Eltern ihn zur Begleichung einer Schuld an die Moriyamas überstellt hatten, hatte er den Vertrag, der ihm vorgelegt worden war, selbst unterschrieben. Weil das in Amerika so sein musste. Offiziell gab es keinen Besitz. Inoffiziell sah jeder weg. Jeder. Niemand scherte sich darum, ob die Gesetze gebrochen wurden und so hatte Jean in seinen Juravorlesungen innerlich nur lachen können. Menschenhandel… es geschah tagtäglich und unter der Nase des Colleges, selbst hier in Amerika. Es brauchte noch nicht einmal Käfige oder Fesseln dazu, nein. Angst reichte vollkommen aus. Aus Angst hatte er den Vertrag unterschrieben, der den Trainer und den Kapitän der Trojans zu seinen neuen Besitzern machen würde und sich schlussendlich auf den Weg in eine neue Gefangenschaft begeben, die ihm noch mehr Hölle sein würde als es Evermore jemals gewesen war. Riko war ein bekanntes Übel gewesen, er wusste, was er von ihm zu erwarten hatte. Evermore war eine Dunkelheit gewesen, die ihn immer und immer wieder verschluckt hatte mit ihren roten und schwarzen Wänden, der Tageslichtlosigkeit und dem angepassten, zeitlichen Rhythmus an die perfekten Trainingsabläufe. Er hatte gelernt, sich darin zurecht zu finden, notfalls auch mit gebrochenen Knochen und aufgeschlitztem Körper. Er hatte gelernt, dass es keine Grenzen gab, wenn es um die Benutzung von Eigentum ging. Nun aber wusste er nicht, ob er sein Gelerntes noch anwenden konnte. South California war all das, was West Virginia nicht war. Die Sonne schien schon seit sie sich im Landeanflug befunden hatten. Selbst die Gänge waren lichtdurchflutet und warm. Jeans Körper hatte darauf mit einer Gänsehaut reagiert, die immer noch nicht abgeflacht war. Soviel Wärme hatte es selbst im Haus der Krankenschwester nicht gegeben. Los Angeles war laut und fröhlich, die Menschen lachten und drängten sich aneinander, sie formten sich zu einer homogenen Masse, die Jean zu erdrücken drohte, kaum, dass er das Flugzeug verlassen hatte. Mit ein Grund, warum er hier kniete und warum das Zittern, das Besitz von seinem Körper ergriffen hatte, nicht abebben wollte, auch wenn er sich bewusst war, dass er seine neuen Besitzer nicht länger warten lassen durfte. Er hatte bereits jetzt schon Strafe auf sich geladen, da musste er nicht noch weitere, gebrochene Knochen herausfordern. Schwankend erhob Jean sich und spülte die Überreste seines Unvermögens die Kanalisation hinunter. Mit gesenktem Blick trat er aus der Kabine heraus und wusch sich die Hände und spülte seinen Mund aus. Der Kapitän der Trojans war dafür bekannt, dass er sich nichts aus Mädchen machte, also würde seine Strafe vermutlich entsprechend ausfallen. Da wollte er nicht noch mehr Unmut auf sich ziehen und nach eigenem, bitteren Erbrochenen riechen, wenn ihm Knox seinen Schwanz in den Mund schob. Jean zog die Kapuze seines Pullovers tiefer in sein Gesicht und schulterte seine Tasche. Handgepäck, das war alles, was sein Leben darstellte. Besitz hatte kein Eigentum, das hatte ihm Riko immer und immer wieder eingetrichtert. Also beschränkte sich sein Hab und Gut auf das, was die Schwester, Abby war ihr Name, und Josten ihm gegeben hatten. Warum Josten so etwas tat, obwohl er ihn ebenso gefoltert hatte wie Riko auch, war Jean ein Rätsel. Gefragt hatte er nicht, sondern das Smartphone schweigend in seine Tasche gesteckt, in dem die Nummern einiger Foxes und ihrer Krankenschwester eingespeichert waren. Da, wo Jean vermutet hatte, dass es sich dabei um ein Versehen handeln musste, hatte Renee ihm versichert, dass es alles seine Richtigkeit hatte. Langsam ging er in Richtung Ausgang, dort, wo Knox auf ihn wartete. Er wusste, dass er spätestens dann, wenn sich die Türen des Abflugbereiches vor ihm öffneten, den Blick heben musste um den Jungen zu erkennen, doch noch hatte er ein paar Meter. Vier waren es vielleicht, die schneller, als es ihm lieb war zu dreien wurden, bei zwei öffneten sich die automatischen Schiebetüren und mit rasendem Puls trat Jean schließlich durch sie hindurch. Kurz hob er den Blick und wurde sich mit Schrecken bewusst, dass es gar nicht so schwierig war, Knox zu finden. Der blonde Junge stand als Einziger am Wartegitter. Er hatte ihn solange warten lassen, bis alle Passagiere abgeholt worden waren. Jean schluckte und trat um die Absperrung herum, den Blick auf die Füße des Trojan gerichtet, in der Hoffnung, dass dieser sein stummes Zeichen der Unterwerfung anerkennen würde. „Hi! Mensch, da bist du ja! Ich hatte schon Angst, dass du auf diesem Chaos von einem Flughafen verloren gehst!“, drang die Stimme seines neuen Kapitäns zu ihm und Jean zuckte in Erwartung eines Schlages zurück, der nicht kam. Auch nachdem bitteres, schweres Schweigen zwischen sie getreten war und Knox anscheinend eine Entschuldigung von ihm verlangte. Schweigend neigte Jean seinen Kopf, weil er seinem Magen nicht traute. „Ist alles okay bei dir?“, löste Besorgnis die Freude in der Stimme ab und Jean schluckte erneut. Vorsichtig sah er hoch, bis zum Halsansatz kam er, bevor er sich nicht weiter traute. Er musste sprechen, sonst wäre das ein Zeichen des Ungehorsams und das nach seiner jetzigen Unverschämtheit wäre ein Frevel sondergleichen. Jean räusperte sich trocken. „Es ist mir eine Ehre, hier zu sein“, erwiderte er die gelernte Floskel der Dankbarkeit und erntete erneut verwirrtes Schweigen. War es nicht richtig? Hatte er den Bogen bereits zu sehr überspannt? Jean sah hoch, er wagte den Blick in Knox‘ Gesicht, das ihm nicht die erwartete Wut zeigte, sondern offene Verwirrung und eine eingefroren zwischen ihnen ausgestreckte Hand. „Öhm. Ja… Ich freue mich auch, dich zu treffen“, erwiderte Knox und zog langsam eben jene wieder zu sich, die breiten Lippen zu einem peinlich berührten Lächeln verzogen. Jetzt, wo er es gewagt hatte, warf Jean einen Blick auf den Jungen, dem er schon oft bei Spielen begegnet war und der so anders aussah als auf dem Feld in seiner Schutzkleidung oder vollkommen verschwitzt am Kopf klebenden Haaren. Zumindest meinte Jean sich daran zu erinnern, auch wenn seine Erinnerungen an viele Spiele bruchstückhaft und ineinander übergehend waren, durchsetzt mit deliranten Schmerzen. Woran er sich aber deutlich erinnerte, waren die Male, als Knox in seiner Funktion als Striker mehrfach seine Verteidigung durchbrochen hatte. Sein Herr hatte das mit Verachtung mitverfolgt und ihn entsprechend strafen lassen. Die Narben der verheilten Messerwunden schmerzten bei Kälte heute noch. Doch das war nicht der einzige Hass gewesen, den Riko auf den blonden Jungen mit den chaotischen Haaren auf ihn projiziert hatte. Eigentlich trug Day die Schuld daran. Day und seine verdammte Vorliebe für den begnadeten Striker. Day und seine Schwärmerei, die er nicht vor Riko hatte verbergen können und die dieser zum Anlass genommen hatte, Day zu zeigen, was es bedeutete, wenn Männer Männer richtig fickten. Knox‘ Existenz als Days Schwärmerei war schuld an Vergewaltigung Nummer drei, wie die Zahl, die ihn als Eigentum brandmarkte. Wie ironisch und bitter war es da doch, dass ausgerechnet Kevin seinen Besitzübertritt angeleiert hatte. „Hast du nur die Tasche?“, fragte Knox in seine Erinnerungen hinein und Jean konnte das Aufflammen des Funkens an Hass nicht verhindern, der ihn anhand der Unbeschwertheit der Frage überkam. Knox hatte keine Ahnung, was sein Dasein angerichtet hatte. Auch er verschloss seine Augen vor der Realität und machte gute Miene zum bösen Spiel. Als wenn er nicht wüsste, dass Besitz kein Eigentum haben durfte. Als wenn er den Vertrag nicht hätte und sobald sie in der Universität waren, seinen Pass einfordern würde. Jean wusste, dass eine Antwort von ihm erwartet wurde, also nickte er schweigend und Knox räusperte sich. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und sah von seiner Tasche zu ihm und wieder zurück. „Soll ich sie dir abnehmen?“, fragte er und Jeans Griff um den Riemen festigte sich unwillkürlich. Er konnte mit der Frage nichts anfangen. War sie ein Test, ein Befehl, eine Falle? Was interessierte es den Anderen außer um in seinen Sachen herum zu wühlen und ihm das abzunehmen, was ihn auch nur ansatzweise zu einem Menschen machte, nur um ihn dann nach Belieben zu reglementieren und neu auszustatten? Was es auch war, er hatte keine Wahl. Schweigend überreichte Jean Knox die Tasche mit seinen Habseligkeiten und der Junge strahlte ihn an, als hätte er gerade die Meisterschaft gewonnen. Was sich hinter diesem Grinsen verbergen mochte, konnte Jean nur raten, auch wenn er eine sehr konkrete Vorstellung von dem hatte, was ihn erwartete. Rikos Grinsen war schließlich auch von belustigt auf manisch auf sadistisch gewechselt und hatte ihm gnadenlose Folter aufgezwungen. „Wollen wir? Mein Wagen steht draußen und ich habe das Gefühl, dass die Parkgebühren langsam aber sicher meinen Monatsbeitrag auffressen.“ Jean schluckte ob der gequält in die Welt gestoßenen Worte. Er war daran schuld und sicherlich würde er dieses Versagen ebenso wiedergutmachen müssen wie alles Andere auch. „Ich bitte um Entschuldigung“, murmelte er mit gesenktem Blick und setzte sich nach Knox in Bewegung, der ihn überrascht musterte. „Ach Quatsch, das ist doch nicht dein Verdienst“, wiegelte er ab und strich sich durch die blonden Haare, die dadurch nicht wirklich ordentlicher wurden. Jean fiel erst jetzt auf, wie braungebrannt Knox war. Zumindest er verbrachte also viel Zeit in der Sonne von South California. Vielleicht war es ihm selbst gestattet, das eine oder andere Mal aus dem Fenster zu sehen oder sogar die Wärme zu genießen, wenn er es sich verdient hatte. Nun würde er ihn sicherlich für Wochen in dem Wohnheim einsperren. Riko hätte das getan. Stumm folgte er ihm durch den Flughafen bis zum Parkhaus, wo sie zu einem alten, klapprigen Auto gingen, von dessen Marke Jean noch nie etwas gehört hatte und in das er auch im ersten Moment nicht einsteigen wollte, sein Vorsatz hin oder her. Doch Knox ließ ihm da wenig Wahl, als er seine Tasche mit einem Dauerlächeln in den knarzenden Kofferraum legte und ihm die Beifahrertür aufschloss. Die Tür selbst musste er mit einem Ruck aufziehen und in Jean keimte der Verdacht auf, dass das metallische Kreischen nicht zur Normalausstattung des Fahrzeuges gehörte. „Ja, er ist alt, träge und er quietscht, aber er fährt“, erläuterte Knox, als hätte er die Zweifel in seinem Gesicht gesehen, was Jean stark bezweifelte. Riko hatte ihm jahrelang beigebracht, seine Emotionen und Befindlichkeiten Fremden gegenüber unter Kontrolle zu halten und niemanden daran teilhaben zu lassen. Schließlich ging es niemanden etwas an, wenn der Besitz litt. Es galt, die Form zu fahren. Er hob den Blick und begegnete erneut – immer noch? – dem peinlich berührten Grinsen, mit dem Knox nun in das Innere seines Wagens deutete. Gehorsam und sorgfältig um Abstand bemüht ließ sich Jean auf dem Beifahrersitz nieder und zuckte zusammen, als sich eine Feder in die Rückseite seines Oberschenkels bohrte. An sich verletzte ihn die herausstehende Feder nicht, nur war sein Oberschenkel wie sein kompletter Oberkörper auch noch wund von Rikos Schlägen. Das Hämatom, was nun auf die spitze Feder traf, ließ ihn zusammenzucken und überrascht aufstöhnen, ganz zum augenscheinlichen Entsetzen des Fahrers selbst. Der sich ruckartig zu ihm beugte, die Hände auf seiner Schulter und seinem Oberschenkel, das Gesicht so nah, dass Jean durch die in alle Richtungen stehenden Haare gekitzelt wurde. Nicht, dass ihn das in diesem Moment interessierte. Aus instinktivem Reflex war er zurückgewichen, zumindest so weit, wie es seine momentane Position zuließ. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Knox in das Gesicht, das ihm so nahe war und für ein paar Schläge hatte er das Gefühl, dass sein Herz einfach ausgesetzt hatte. Es war so weit, der andere Junge würde ihn schlagen. Er hatte ihn so lange eingelullt, bis Jean nicht aufgepasst hatte und nun würde er in der Abgeschiedenheit des Parkhauses für seine Unverschämtheiten büßen. Panisch schluckte Jean und ein Laut nicht minder ängstlich entkam seinen Lippen. „Es tut mir leid“, presste er hervor, kaum mehr als ein Flüstern. „Es tut mir wirklich leid und es wird nicht wieder vorkommen!“, flehte er inständig und konnte nicht anders, als sich auf die blauen Augen zu fixieren, die ihn anstarrten, als hätte er gerade vom Untergang der Welt gesprochen. Endlose Sekunden lang passierte rein gar nichts, dann richtete sich Knox so schnell auf, dass Jean erneut in der Erwartung eines Schlages zusammenzuckte. Schritt um Schritt trat er jedoch zurück, während sich sein Gesicht in Unglauben verzog. Wie ein Ertrinkender klammerte sich Jean an jede Regung, an jedes Anzeichen für eine bevorstehende Explosion, doch nichts kam. Schon wieder nicht. „Jean, alles in Ordnung? Ich wollte nicht…“, begann Knox und stockte dann eher verwirrt als wütend. „Ich meine, das ist eine Feder in meinem Wagen, die heraussteht, das ist doch nicht deine Schuld, du musst dich doch nicht entschuldigen. Warum...?“ Jean konnte ihm so vieles sagen, in diesem Moment. Ihm lagen Dinge auf der Zunge, die er mit Gewalt herunterschlucken musste, weil er den Anderen nicht darauf stoßen wollte, was er getan hatte und dass es nicht der verspätete Flug war, der ihn aufgehalten habe. Ihm lag eine weitere Entschuldigung auf er Zunge, doch auch die schluckte er. Knox hatte ihm gerade schon mitgeteilt, dass eben jene unerwünscht sei. Unlogisch gar. „Okay“, erwiderte Jean schließlich, um das Schweigen zwischen ihnen irgendwie zu durchbrechen und Knox davon abzubringen ihn weiterhin anzustarren, als wäre er ein seltenes Insekt. „Okay? Wirklich?“ Zweifelnd runzelte dieser die Stirn und Jean nickte mit Gewalt. „Ich… spüre sie nicht“, log er und grundsätzlich tat sie ihm auch nicht so weh wie viele andere Dinge, die sich in seinen Körper gebohrt hatten. „Wirklich?“ Das Nicken ging ihm einfacher von der Hand, befand Jean und er wurde beinahe augenblicklich damit belohnt, dass Knox sich nach weiteren, langen Sekunden des Starrens von ihm löste und um das Auto herumging. Mit einem verschämten Lächeln ließ er sich auf den Fahrersitz fallen und rammte den Schlüssel in das Schloss. Nach zwei Versuchen sprang das Monstrum an und Jean beeilte sich, die Tür zu schließen, was schwieriger war als er zunächst angenommen. Doch das war nichts im Vergleich zu seinem Unvermögen, sich mit zittrigen Händen anzuschnallen. Vier Versuche benötigte er, um unter Knox‘ wachsamen Augen den Metallstift in die dafür vorgesehene Halterung zu bringen und den Gurt einrasten zu lassen. „Auf geht’s dann!“, grinste dieser wieder mit seinem omnipräsenten Lächeln, das Jean ihm von Minute zu Minute weniger glaubte und fuhr holprig los, hinein in den geschäftigen Feierabendverkehr. Nach dem unzähligsten Spurwechsel fragte sich Jean unwillkürlich, ob er wirklich lebend den Boden der Universität South California betreten würde. Die Frage, ob das wirklich eine Rolle spielte, dominierte seine Gedanken, als sie schließlich hinausfuhren. Im Nest hatte er sich vorgenommen, dem Ganzen nach seiner Graduierung ein Ende zu setzen. Er würde wenigstens eine Sache in seinem Leben erreicht haben, bevor er seinem Leben und der damit verbundenen Hölle ein Ende setzen würde. Doch diesen Plan hatte er aufgegeben, nachdem Renee ihn aus Rikos Fängen gerettet hatte. In dem luftleeren Raum von Abbys Haus hatte er es für einen geringen Zeitraum gewagt, sich nicht mit dem Gedanken zu befassen. Doch spätestens seit klar geworden war, dass sie ihn an USC verkaufen würden, hatte er einen anderen Plan gefasst, fernab von den unsinnigen Träumen, dass er vielleicht leben könnte. Was war ein Abschluss, den er danach sowieso nicht mehr gebrauchen konnte schon gegen eine weitere Hölle? Was waren weitere Jahre Leid gegen ein schnelles Ende, nach dem er nichts nichts mehr kommen würde? Die Abwägung fiel ihm leicht und so hatte Jean, noch während Day versuchte, sich ein weiteres Mal bei ihm für das Leid, das er verursacht hatte, zu entschuldigen, beschlossen, dass er sich zwei Monate Zeit nach Ankunft geben würde, bis er dem Ganzen ein Ende setzen würde. Zwei Monate, bis sie vermutlich so lasch wurden mit ihren Kontrollen, dass er Zugang zu Messern oder spitzen Gegenständen haben würde. Bis sie selbst nachlässig werden würden ihn engmaschig zu kontrollieren. Zwei Monate noch, dann würde das alles hier endlich ein Ende haben. ~~~~~~~~~~~~~~ Wird fortgesetzt Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)