Ein Chef zum Verlieben von Mitternachtsblick (Mann mit Kind sucht Mann mit Saldenlisten) ================================================================================ Kapitel 14: Buchhaltung braucht keine Ferien -------------------------------------------- Yuriy wurde von Boris geweckt, der sich auf seiner Bettseite niederließ, ein Tablett auf dem Schoß. „Schwarztee, Saft und Toast“, sagte er und wartete, bis Yuriy sich in eine sitzende Position aufgerappelt hatte, ehe er ihm den Schwarztee reichte. „Fühlst du dich so, wie du aussiehst?“ „Wie sehe ich denn aus?“, ächzte Yuriy und trank einen tiefen Schluck Schwarztee, um sich dann durch die Haare zu fahren und den Toast zu beäugen. „Wie jemand, den ich gestern um drei Uhr morgens von einer Landstraße zwischen Was-Weiß-Ich-Wo und London aufgegabelt habe, nachdem er in ein Erdloch gefallen ist und von einer Kuh angekaut wurde“, sagte Boris trocken. „Wäre ja an sich schon beschissen, aber noch dazu war es eindeutig nicht das Loch, in das du ursprünglich fallen wolltest, wenn du verstehst, was ich meine.“ „Ich liebe dich wie einen Bruder, aber wenn du noch ein Wort sagst, muss ich dir eine reinhauen.“ Yuriy trank noch einen Schluck und schloss die Augen. „Ich will nicht darüber reden.“ Wenn er nämlich darüber redete, dann würde die Enge wieder in seine Brust zurückkehren und das war etwas, das er tunlichst vermeiden wollte. Besser nicht darüber reden oder nachdenken. Besser einfach nur den Tee austrinken, den Toast aufessen und dann noch eine Runde schlafen, bis es spät genug war, dass ein Besäufnis gesellschaftlich akzeptabel wurde. „Okay“, sagte Boris erstaunlich friedfertig, was bedeutete, dass Yuriy wirklich beschissen aussehen musste. „Keine Männer mehr“, sagte Yuriy, nachdem er einmal von dem Toast abgebissen hatte. „Jetzt habe ich die Schnauze voll. Das sind alles Arschlöcher, Anwesende ausgenommen.“ Boris zeigte, dass er ein guter Mann war, indem er Yuriy nicht darauf hinwies, dass er ja eigentlich nicht darüber reden wollte. Dann verspielte er augenblicklich seine guten Karten, indem er trocken anmerkte: „Das hältst du nicht durch. Vielleicht in einem Universum, wo du sehr asexuell bist, aber selbst da habe ich meine Zweifel.“ Yuriy stöhnte, stellte die Tasse neben sich auf dem Nachttisch ab und ließ sich wieder in die Kissen fallen. „Wiesooooooooooooo-“ Boris tätschelte seine Schulter. „Weil dein Griff für Männer echt unterirdisch ist?“ Yuriy legte sich den Arm über die Augen und atmete tief ein. Ihm tat alles weh, und das lag nicht nur an dem Sturz im Dunkeln und der Kuh, die sehr unangenehm an seinen Haaren gerupft und sich dann erschreckt hatte. „Ich dachte echt, er ist der Richtige. Also, alles in allem. Ich dachte, er ist ein guter Kerl trotz Geld, verstehst du? Ich mochte sogar das Kind!“ Erneut wurde seine Schulter getätschelt. Es war eine Weile still, dann fragte Boris mit einem tiefen Seufzer: „Willst du mir jetzt erzählen, was passiert ist, oder muss ich mir das in ganz vielen kleinen Einzelteilen aus über den ganzen Tag verteilten Schimpftiraden zusammenklauben?“ Yuriy seufzte. „Der Abend gestern hat mir einfach die Augen geöffnet. Er nimmt mich nicht ernst und wir kommen aus zu unterschiedlichen Welten, das kann einfach nicht funktionieren. Er versteht meine Weltanschauung nicht und will sie auch nicht verstehen, und letzteres ist eigentlich das schlimmere Verbrechen.“ Er seufzte und rieb sich über das Gesicht. „Bisher hatte ich immer das Gefühl, dass er mich ernst nimmt und mir zuhört, verstehst du? Aber gestern war davon keine Spur. Er meinte immer nur, dass ich mal nen Abend lang weniger sein soll, wie ich bin und dass er keine Lust auf Debatten hat.“ Boris war so lange verdächtig still, dass Yuriy schließlich den Arm hob und ihn anstarrte. „Was?“ Boris räusperte sich. „Ich meine, du kannst sehr intensiv sein, Yura. Vielleicht wollte er sich auch einmal nur in Ruhe einen Abend lang gönnen.“ „Zu wem hältst du eigentlich?“, verlangte Yuriy prompt empört zu wissen und rappelte sich etwas mehr in eine sitzende Haltung auf. „Es war nicht nur das, Boris - der verdammte gekaufte Anzug, der sicher nen halben Tausender mindestens gekostet hat, die Limousine, die verdammten Canapés, der hundsteure Champagner, sein Haus, in das man locker zwei Kleinfamilien reinkriegen könnte, das spielt alles zusammen! Ich war doch die ganze Zeit nur ein Spielzeug für ihn, eine neue Attraktion, mit der man sich ein bisschen die Langeweile vertreiben kann, bis was Passenderes auftaucht.“ „Also erstmal halte ich immer zu dir und das weißt du auch ganz genau, du Penner“, knurrte Boris und gab ihm einen Schlag auf den Hinterkopf, der Yuriy fluchen ließ. „Wenn du sagst, dass er ein Wichser ist, dann ist er ein Wichser. Soll ich ihm am Heimweg auflauern und ihn zusammenschlagen?“ „Nein.“ „Auge ausstechen? Dreidimensional sehen wird sowieso überbewertet.“ „Nein! Gott, ich weiß ja auch nicht.“ Yuriy fuhr sich über das Gesicht. „Ich knalle ihm am Dienstag die Bilanzen aufn Tisch und dann mache ich erstmal eine Woche Urlaub. Und dann überlege ich mir das weiter, aber ich glaube nicht, dass ich für den Betrieb weiter arbeiten kann.“ Boris seufzte tief. „Da geht mein neuer Geschirrspüler dahin.“ „Du hast sowieso schon die Waschmaschine bekommen, beschwer dich nicht.“ „Ich beschwere mich nie. Ich bin immer total brav.“ Boris beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Jetzt gehe ich aber erstmal pumpen. Du bleib erstmal im Bett und tu‘ dir eine Runde selbst Leid, das wird dir guttun.“ „Danke, Mama.“ „Wenn ich zurückkomme, mache ich uns eine Reihe Screwdriver, bis wir beide nicht mehr wissen, wie wir heißen“ verkündete Boris salbungsvoll, dann erhob er sich und griff nach seiner Sporttasche. „Ich sehe wahrscheinlich Julia beim Crossfit-Training, soll ich die gleich mit einpacken?“ „Die ist schuld an der ganzen Misere“, grummelte Yuriy, „ja, nimm sie mit, damit ich sie anpflaumen kann.“ Leider war Julia ein Mensch mit hoher Anpflaumungsresistenz und zeigte sich dementsprechend unbeeindruckt, als sie mit Yuriy und Boris auf deren Sofa saß und einen geradezu infernalischen Screwdriver aus einem Marmeladeglas trank, während ‚Pretty Woman‘ über den Bildschirm von Boris‘ altersschwachem Laptop flimmerte. „Schau mal“, sagte sie, „habe ich mir gedacht, dass du was mit deinem Chef anfangen und das große Glück machen könntest? Sicher. Bin mir dennoch keiner Schuld bewusst, immerhin hat dich niemand dazu gezwungen, es wirklich zu machen.“ Yuriy, der schon einen Screwdriver Vorsprung hatte und damit angesichts von Boris‘ Mischverhalten frei nach dem Motto „Bisschen Orangensaft und dann vom Wodka ordentlich - oh - ups - naja“ schon nicht mehr ganz nüchtern war, starrte sie bitterböse an. „Du hast mir diesen Job besorgt! Weil ich die Julia Roberts der Buchhaltung bin!“ „Was zum Fick?“, fragte Boris verdattert. Julia zuckte weiterhin unbeeindruckt mit den Achseln. „Kai ist kein schlechter Mensch, Yura. Hast du mit ihm darüber geredet, wie du empfindest?“ Yuriy schnaubte und saugte dabei den Screwdriver durch einen Metallstrohhalm. „Gestern? Er hätte sowieso nicht zugehört.“ „Oh mein Gott, du hast natürlich nicht mit ihm gesprochen“, stellte Julia fest und seufzte tief. „Wieso sind Männer solche Idioten?“ „Entschuldige bitte?“, sagte Boris empört. Julia tätschelte seine Hand und strich ihm dann etwas zu lange über die Oberarmmuskeln. „Auch du hast deine Qualitäten, aber … naja.“ „Naja?!“ „Können wir jetzt bitte wieder über mich reden?“, verlangte Yuriy. „Ihr seid hier, um mich zu bemitleiden!“ „Wir sind in erster Linie hier, um zu trinken“, sagte Julia, aber sie lehnte sich zu ihm und strich ihm über das Haar. „Du hattest immerhin ein paar schöne Monate? Und ich denke nicht, dass Kai dich nur wegen einer Auseinandersetzung hinauswerfen wird, die Art von Mensch ist er nicht.“ „Ja, weil ich zu gute Arbeit mache und Menschen für ihn auch nur Kapital sind“, sagte Yuriy erbittert, aber er lehnte sich etwas mehr in ihre Berührung. Julia schnalzte mit der Zunge. „Du tust ihm Unrecht. Ganz ehrlich, es kommt ja nicht von ungefährt, dass die Fluktuationsquote in seiner Firma so niedrig ist - für ihn arbeiten ist angenehm und man schaut auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Klar ist es ein Riesenkonzern, aber das muss nicht immer automatisch gleich schlecht sein. Hast du ihn denn wirklich gern oder war es sowieso nur Sex?“ Diese einfache Frage reichte aus, um Yuriy den Klumpen in die Kehle zu treiben, so plötzlich, dass es für ihn selbst überraschend war. Er senkte den Blick in sein Glas und zog noch einmal kräftig am Strohhalm. „Ich will nicht darüber reden.“ „Oje“, seufzte Julia und strich ihm weiterhin über die Haare, aber er bekam ganz genau mit, dass sie über ihn hinweg einen Blick mit Boris wechselte. „Du solltest aber mit Kai darüber reden.“ „Kai kann mich mal“, murmelte Yuriy um den Strohhalm herum. „Ich gebe es auf“, verkündete Julia, „ihr seid beide sture Idioten und macht euch euer Unglück selbst. Boris, lass uns durchbrennen und eine Shishabar auf Mallorca aufmachen. Wir haben Besseres verdient, als uns das Elend hier zu geben.“ Boris sah einen Moment viel zu interessiert an dieser Idee drein, weshalb Yuriy ihm den Ellbogen in die Seite rammte. „Später vielleicht“, beschloss Boris daraufhin gönnerhaft und rieb sich über die Seite, ehe er sich erhob. „Erstmal noch mehr Alkohol.“ „Was hast du jetzt vor?“, erkundigte Julia sich bei Yuriy, während Boris pfeifend in der Küche Drinks mixte. „Willst du wirklich kündigen?“ „Ja und nein“, seufzte Yuriy. Julia und leider auch Kai letzte Nacht hatten schon Recht: Kais Firma war eine von den guten. Yuriy wusste es, weil er die Zahlen gesehen und vollen Überblick über Ein- und Ausgaben hatte. Die Gehälter lagen leicht über dem Durchschnitt, die Bemühungen um Nachhaltigkeit in jedem Aspekt der Firma waren vielleicht nicht perfekt, aber durchaus ernst gemeint. Die Arbeit in der Buchhaltung war anstrengend, aber lohnenswert und würde auch besser werden, wenn er endlich auch die letzten Reste des Vorgängerchaos beseitigt hatte. Und gleichzeitig blutete sein Herz bei dem Gedanken, täglich mit Kai in einem Gebäude zu sein und dabei eine seltsame Stimmung zwischen ihnen aushalten zu müssen, wann immer sie sich sahen. Noch dazu kam, dass Boris und Julia nicht Unrecht hatten: Er neigte dazu, bei bestimmten Dingen in die Luft zu gehen, und Kai schien da ein besonderer Auslöser zu sein. Aber dann wiederum war aufrichtige Kommunikation in der Hinsicht nicht wirklich gemacht worden. Seufzend rieb Yuriy sich über das Gesicht. „Erstmal die Bilanzen“, sagte er, „den Rest lasse ich auf mich zukommen.“ Montags ins Büro zurückzukehren fühlte sich dennoch seltsam an. Kai hatte einmal versucht, ihn anzurufen, was er allerdings ignoriert hatte. Danach war sein Handy still geblieben. Er dachte nicht zu viel darüber nach, sondern gab sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen so normal wie möglich, während er seine ganze Kraft dem Fertigstellen der Bilanzen widmete, bis sie am Dienstag - wolkig, verregnet, genau seiner Stimmung entsprechend - schließlich fertig in aller Schönheit vor ihm lagen: Alphabetisch nach Haupt- und Unterfirmen geordnet, durch Inhaltsangaben und Trennblätter ergänzt, saubere Listen mit farblich herausgehobenen, besonders wichtigen Zahlen. Eine Kopie von allem ging an Mariam, eine Kopie als PDF schickte er an die ganze Buchhaltungs- und Managementabteilung, und die zweite Kopie … „Ich kann das zu Mr. Hiwatari raufbringen, wenn du jetzt zu durch dafür bist“, bot Mariam an, nachdem sie sich eine Weile besehen hatte, wie Yuriy schweigend die Ordner vor sich anstarrte. Yuriy erwachte aus seiner Starre, schüttelte den Kopf und begann, die Ordner in zwei große Kisten zu schlichten, die er auf einer Lastenkarre hinaufbringen würde. „Ich mache das schon.“ „In Ordnung.“ Mariam wartete einen Moment, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Ich rede ja ungern über Privates und vor allem Gefühle, weil das einfach widerlich ist. Aber du bist der fähigste Buchhalter, mit dem ich bisher gearbeitet habe, also will ich nicht, dass du wegen Burnout oder so einem Scheiß abdankst. Also: Ist am Wochenende irgendwas passiert?“ Ihre Körperhaltung und der Gesichtsausdruck, der deutlich signalisierte, wie unangenehm ihr diese Unterhaltung war, ließen Yuriy lächeln. „Bitte tu‘ dir nicht weh, Mariam. Es ist kein Ding, ich bin nur müde.“ Das schien Mariam so unermesslich zu erleichtern, dass sie sogar flüchtig ebenfalls lächelte. „Na gut. Morgen beginnt sowieso dein Urlaub, dann schlaf‘ dich mal richtig aus.“ „Danke, werd‘ ich machen.“ Mariam trat fluchtartig den Rückzug an. Yuriy schüttelte den Kopf, zurrte die Kisten fertig und begann die Lastenkarre zum Aufzug zu bringen. Als er den Knopf nach oben drückte, dachte er daran, wie Gou ihm hier über den Weg gelaufen war und wie er Kai zum ersten Mal gesehen hatte. Die Brust wurde ihm eng. Er holte tief Luft und rollte die Karre in den Aufzug, drückte den Knopf zur Chefetage und lehnte dann die Stirn einen Moment lang gegen den Spiegel, während seichtes Aufzugsgedudel wie im Hohn über ihn hinwegwusch. Wann war das alles so dermaßen vertrackt geworden? Wann hatte er sich tatsächlich in den Mann verliebt? Er richtete sich auf und setzte eine unbeteiligte Miene auf, als der Aufzug zwischendurch hielt und zwei Leute einstiegen. Bei seinem Stockwerk stieg er aus und atmete noch einmal tief durch, ehe er in das Vorzimmer schritt, in dem Wyatt Smith saß, die Augen intensiv auf den Computerbildschirm vor sich gerichtet. Als Yuriy hineinkam, hob er aus seiner Tätigkeit gerissen den Kopf, dann fiel sein Blick auf die Ordner, die er mit sich brachte und seine Miene hellte sich auf. „Wundervoll!“, rief er enthusiastisch und erhob sich, „die Bilanzen! Sie Tausendsassa, auf den Tag genau abgeliefert! Warten Sie einen Moment, bitte, ich sehe nach, ob Herr Hiwatari frei ist.“ Ehe Yuriy auch nur Anstalten zu einer Antwort machen konnte, hatte Smith an der Tür zu Kais Büro geklopft, ein „Ja bitte!“ abgewartet und war dann dahinter verschwunden. Allein mit sich selbst gelassen wartete Yuriy im Vorzimmer und fühlte, wie lächerliche Nervosität ihm die Kehle zuschnürte. Das war es, dachte er: Nicht nur der endgültige Beweis seiner Fähigkeiten, Zertifikate hin oder her, sondern auch seine vielleicht letzte Konfrontation mit Kai. Smith steckte den Kopf aus der Tür und lächelte ihn an. „Mr. Iwanov? Mr. Hiwatari empfängt Sie nun.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)