Ein Chef zum Verlieben von Mitternachtsblick (Mann mit Kind sucht Mann mit Saldenlisten) ================================================================================ Kapitel 9: Der Teufel trägt Aktenkoffer --------------------------------------- Kai versuchte immer, Verständnis für Ayaka und ihren Lebensweg aufzubringen. Als er auf Gous Schulpicknick saß, hielt sich dieses Verständnis aber in Grenzen. „Ich habe unlängst eine Statistik darüber angefertigt, wie hoch der Prozentansatz von Ayakas Teilnahme an Schulevents ist“, teilte er seiner Mutter mit, die er als moralische Unterstützung mitgebracht hatte. Einen wilden Augenblick hatte er gestern, als Yuriy in seiner Küche gestanden war und seinen Nudelsalat zusammengepanscht hatte, mit dem Gedanken gespielt, ihn ums Mitkommen zu bitten und sich dann doch dagegen entschieden. Das wollte er ihm dann doch nicht antun. Seine Mutter hingegen war Kummer gewöhnt. So lächelte sie auch nur milde und reichte Gou eine Packung Apfelsaft, als er dahergerannt kam. Kai musste Gous Schnürsenkel neu binden, während Gou atemlos davon berichtete, dass er gerade ein Tor geschossen hatte, dann war sein Sohn auch schon wieder fort. „Eine Statistik darüber, wie oft Ayaka bei Schulevents teilnimmt?“ Misaki schüttelte amüsiert den Kopf. „Nun? Was war denn das Ergebnis?“ „19.3 Prozent“, sagte Kai düster. „Ich habe ein Pie Chart daraus gemacht und es ihr ohne Worte geschickt, aber sie hat den subtilen Hinweis eindeutig nicht verstanden, weil nur ein Daumen nach oben zurückgekommen ist.“ Misaki lachte herzlich. „Gut, dass ihr nie geheiratet habt, sonst könnte Gou wahrscheinlich besser in Zeichen sprechen als in Worten.“ Kai legte die Stirn in Falten und studierte erst seine Mutter, dann die Schüssel mit Nudelsalat zwischen ihnen und schließlich seinen Sohn, der sorglos mit zwei Klassenkameradinnen auf der Wiese spielte. Dann sagte er: „Ich will einfach nicht, dass er glaubt, dass seine Mutter und ich ihn nicht lieben. Und ich verstehe nicht, wie sie diese Angst nicht auch haben kann.“ Misaki seufzte ein wenig. „Bei dir war auch ich meistens an der Front, Kai. Dein Vater liebt dich trotzdem.“ Kai schwieg taktvoll und dachte sich seinen Teil. Misaki sah es ihm dennoch an und tätschelte seine Schulter. Manche Dinge mussten zwischen ihnen nicht ausgesprochen werden, weil sie beide sowieso Bescheid wussten und es nichts mehr an den Tatsachen änderte. Über andere Dinge wiederum sollte er vielleicht ein paar mehr Worte verlieren. Er stellte sicher, dass weder Mrs. Roberts noch eine der besonders unangenehmen Mütter in Hörweite waren, dann räusperte er sich und entschloss sich, nicht zu sehr auf den heißen Brei herumzureden. „Ich habe da übrigens jemanden kennengelernt.“ „Ich weiß“, sagte Misaki milde. Kai starrte sie an. „Wie bitte? Beobachtest du mich? Du warst in den letzten Wochen großteils nicht mal in der Stadt!“ „Kai“, sagte Misaki schmunzelnd, „du bist mein Sohn und ich liebe dich. Aber mittlerweile kenne ich Mathildas Handschrift und der heutige Beitrag zu diesem Picknick trägt sie nicht. Und deine schon gar nicht, dafür ist es weder verbrannt noch aufgeweicht genug.“ „Na schönen Dank auch“, sagte Kai beleidigt. Misaki tätschelte seine Hand, ohne sich zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Stattdessen fragte sie mit zurückhaltender Neugier: „Nun? Wie heißt sie denn?“ „Er heißt Yuriy“, sagte Kai nach einer kleinen Pause. „Oh?“, erwiderte seine Mutter, ohne mit der Wimper zu zucken, „Ist er denn auch Japaner?“ Kai ließ den Atem entweichen und schüttelte den Kopf. „Russe. Er ist Buchhalter. Ähm. In meiner Firma.“ Misaki schmunzelte erneut. „Und ich habe mich gerade gewundert, wo du jemanden kennengelernt hast. Du gehst zu wenig fort, Kai, du musst ein wenig auf dich selbst achten.“ Ehe Kai noch im Protest den Mund öffnen konnte, fragte sie schon weiter: „Und was machen seine Eltern?“ Kai hielt inne. Hatte Yuriy überhaupt noch Eltern? Er sprach nie davon, aber Kai erinnerte sich an die Bemerkung zum Pflegeelternsystem. Mit einem Seufzer gab er zu: „Ich weiß es nicht.“ „Oh, naja, das ist ja heutzutage auch nicht mehr so wichtig. Wie hat sich das denn überhaupt ergeben?“ Kai schmunzelte. „Gou ist schuld, eigentlich.“ Er erzählte seiner Mutter in raschen Worten, wie Yuriy und er sich das erste Mal gesehen hatten, nur dass er ihr dabei unterschlug, wie unfassbar dumm vor Geilheit er geworden war, ohne den Mann auch nur ein bisschen näher zu kennen. Misaki lachte, als er ihr von dem perfekten Zahlungslistenordner vorschwärmte, den Yuriy ihm vorgelegt hatte, dann lachte sie noch einmal, als er seine Geschichte schließlich mit Yuriys wagemutigem Vorstoß zu einem Date abrundete. „Nun, du kannst ihm immerhin nicht aberkennen, dass er sein Interesse sehr deutlich macht“, stellte sie amüsiert fest, „und wieso auch nicht? Versteht er sich denn auch gut mit Gou?“ „Er war gestern bei uns und hat mit den Picknickvorbereitungen geholfen“, gab Kai zu, „Gou mag ihn. Er hat ihm seine ganzen Autos einzeln vorgestellt und ihn dann gezwungen, eine Lego-Garage für ihn zu bauen.“ „Und?“ „Es ist eine ziemlich gute Garage geworden, auch wenn er dabei sehr viel auf Russisch geflucht hat.“ Misaki musterte ihn aufmerksam. Dann stellte sie mit einem stillen Lächeln fest: „Du magst ihn.“ „Natürlich mag ich ihn. Sonst hätte ich ihn nicht zu mir eingeladen.“ Er rieb sich über das Gesicht. „Aber ich weiß noch nicht, ob es eine gute Idee ist.“ „Kai“, sagte seine Mutter sachte, „ich weiß, du bist zu alt, um auf deine Mutter zu hören, aber man weiß sowas nie, bevor man es versucht. Grundsätzlich spüren Kinder und Tiere aber, ob jemand vertrauenswürdig ist oder nicht.“ Kai seufzte erneut sehr tief. „Ich weiß nicht, ob ich mir Liebe leisten kann.“ Das war anders herausgekommen, als er beabsichtigt hatte. So war es ein bisschen zu ehrlich dafür, dass er weder betrunken war noch mit seinen besten Freunden sprach, sondern zu seiner Mutter auf einem Schulpicknick. Er rieb sich erneut über das Gesicht und beschloss dann, seinem Sohn eine Apfelsaftpackung zu klauen, weil er darauf jetzt mehr Lust hatte als auf die Flasche Wasser, die er pflicht- und gesundheitsbewusst für sich eingepackt hatte. „Ach, Kai“, sagte Misaki mit einem tiefen Seufzer. Er nahm einen kräftigen Schluck von seinem geklauten Apfelsaft, um dem kummervollen Blick ihrer dunklen Augen auszuweichen. „Du solltest sie dir leisten.“ Kai wollte am Liebsten anmerken, dass er sie sich wohl nicht mit einem fähigen Buchhalter leisten sollte, dann hielt er sich doch noch davon ab. Seine Mutter hielt ihm immer den Rücken frei, aber er war sehr sicher, dass sie ihm sagen würde, dass das Herz wichtiger war als die Firma, obwohl sie für das Überleben der Firma genauso hart gekämpft hatte wie er. Aus dem gleichen Grund war es nicht möglich, Hiromi und Takao danach zu fragen. Takao war sowieso ein absoluter Herzmensch und verstand nicht, wieso man Arbeit und Liebe manchmal besser trennen sollte. Hiromi war zwar eine gute Geschäftsfrau, aber in Liebesdingen handelte auch sie alles andere als berechnend. Es war gut, dass er diese Leute um sich hatte, damit er nicht zu sehr verkopfte, aber manchmal brachte es ihn nicht unbedingt weiter. Er dachte immer noch darüber nach, als er abends Ayaka anrief, um ihr einen Guilttrip dafür zu verpassen, dass sie sich nicht genug um ihren Sohn kümmerte. Leider war Ayaka das relativ egal, denn sie stürzte sich lieber auf das leichte Anzeichen von innerer Schwäche, das sie in Kais Stimme vernahm. „Okay, was beschäftigt dich?“, fragte sie mitten in seine Ausführungen zur Wichtigkeit von stabiler Elternschaft zur Minimierung von Therapiekosten des Nachwuchses hinein. Kai seufzte und rieb sich die Nasenwurzel. Aber niemand dachte so sehr wie er, wie es Ayaka tat - meistens ein Fluch, aber manchmal auch ein Segen. „Okay. Pass auf. Es werden doch jetzt irgendwann die Saldenlisten aus dem letzten Jahr fällig, oder?“ „Ja, schon.“ „Und der vorige Buchhalter war eine wandelnde Katastrophe, auf die man viel zu spät aufmerksam wurde, nicht?“ „Definitiv. Ich wünschte, die Mafia hätte ihn früher ausgeschalten.“ „Hör auf zu erzählen, dass es die Mafia war.“ „Dann hat die Mafia gewonnen, Ayaka, und wenn ich nicht die Mafia sein kann, dann darf es niemand sein.“ „Du bist unmöglich“, stellte Ayaka fest, aber er war sich relativ sicher, dass sie lachte und es nur nicht zugeben wollte. „Du hast meinen Ratschlag gar nicht verdient. Ich gehe jetzt schlafen. Und hey, ich bin ab nächstem Dienstag wieder in der Stadt, dann nehme ich Gou eine Woche zu mir, okay? Wenn du mir jetzt wieder eine Power-Point-Präsentation über den Einfluss abwesender Mutterfiguren auf die Kindesentwicklung schickst, muss ich dir leider einen Ziegelstein durch dein sündteures Maßfenster werfen.“ „Na schön, ich lasse die Finger davon.“ „Gut. Power-Point-Präsentationen sind nämlich nicht sexy, Kai, hör auf, das erzwingen zu wollen.“ Sie hängte grußlos auf, aber damit hatte er gerechnet. Die Sache war, dass Ayaka einfach keine Ahnung hatte, was sexy war und was nicht. Zugegeben, Ayaka hatte an ihm immer am meisten seine Zunge geschätzt: Erst in den drei Sprachen, die er fließend sprach, dann auf ihrem Körper. Aber hatte sie schon einmal über die elektrisierende Wirkung einer fehlerlosen Präsentation nachgedacht? Über die Erotik einer perfekten Kartenkartei? Sicher nicht. Kein Wunder, dass sie irgendwann Verständnisschwierigkeiten gehabt hatten. Yuriy hingegen … Yuriy lag genau auf seiner Wellenlänge. Kai hatte eindeutig den Blick gesehen, mit dem er den dreiteiligen Schreibtisch-Organizer aus Gold mit seinen Initialen, der auf seinem Bürotisch stand, gemustert hatte. Gott, er musste aufhören, sich etwas vorzumachen. Der einzige Grund, warum er Yuriy vergangenen Sonntag nicht genagelt hatte wie einen tibetischen Schneeschuh war, dass Gou sie kaum eine Sekunde verlassen hatte, bis Yuriy heimgefahren war. Der Mann war ein sexy Teufel und Kai war einfach nur ein Opfer der sexy Umstände. Man konnte ihn wirklich nicht für das, was er tat, verantwortlich machen, wenn es Yuriy betraf. Damit begründete er auch, dass er erstarrte und Yuriy einfach nur anglotzte, als der am nächsten Tag in sein Büro platzte. Er kündigte sich nicht an. Er klopfte nicht. Er trat einfach nur fast die Tür ein, rauschte in Kais Büro und schlug die Tür hinter sich fast in Wyatts Gesicht, um mit einem Ruck den Schlüssel im Schloss zu drehen. Er sah aus, als ob er seit Sonntag nicht mehr geschlafen hatte. Die beiden obersten Hemdknöpfe waren geöffnet und enblößten den Ansatz eines unwahrscheinlich gutaussehenden Schlüsselbeins. Eigentlich hätte Kai ihn anfahren sollen, was er sich dachte, einfach hereinzustürmen, wenn er eigentlich mitten in der Vorbereitung für eine Konferenz am Nachmittag war. Stattdessen starrte er einfach nur auf dieses Schlüsselbein, bis Yuriy heran war und mit flackernden Augen die Handflächen auf den Tisch knallte. „Kai“, zischte er, „was zum Fick war los mit deinem alten Buchhalter? Wieso hat den niemand früh genug aufgehalten?“ Kai blinzelte und fand seine Sprache wieder, auch wenn sein Mund sehr trocken war. „Er war ein hochrangiges Mitglied bei Opus Dei.“ „….Was?!“ „Du hast keinen Termin“, sagte Kai. „Ich scheiße auf einen Termin“, sagte Yuriy. Eines seiner Augenlider flatterte, aber er hatte sich ein wenig vorgebeugt und Kai bekam eine Nase voll von seinem Aftershave - etwas mit Tannennadeln, etwas sehr Einnehmendes, und sein Blick war auf die Schattenkuhle fixiert, die sich zwischen Yuriys Schlüsselbeinen offenbarte. „Dieses Unternehmen hat zu viele Tochterfirmen. Ich habe euer ganzes Buchhaltungssystem eigenhändig auf Online-Funktion umgestellt. Dass bisher keine größeren Summen verlorengegangen sind, ist einfach nur schieres Glück oder, keine Ahnung, die Brillanz eines Wahnsinnigen. Ich bin hier, um zu verhandeln.“ Kai spürte ein Prickeln in seiner Leistengegend. „Oh? Faszinierend. Ich bin gespannt.“ Yuriy verengte die Augen und stieß sich vom Tisch ab, um ihn zu umrunden. Kai hielt den Atem an, als er die Hände stattdessen auf die Lehnen seines Stuhls lehnte und auf ihn herabstarrte. Einen Moment lang fühlte er sich ähnlich wie Michael Douglas vor Sharon Stone in Basic Instinct, zumindest bis Yuriy den Mund aufmachte. „Verarschst du mich? Nimmst du mich nicht ernst? Denn ich bin auf hundertachtzig. Ich habe zwei Wochen Zeit, um diese Saldenlisten aufzustellen, mit Mariam Shields zu prüfen und dann noch einmal zu überarbeiten, bevor du sie bekommst. Das ist einfach zu wenig Zeit, Kai.“ „Du bekommst eine Gehaltserhöhung“, sagte Kai, „geht‘s dann schneller?“ „Du bekommst gleich eine Maulschelle“, zischte Yuriy und sah dann drein wie jemand, der realisierte, dass er seinem Chef gerade mit physischer Gewalt gedroht hatte. Einen Moment lang starrten sie sich stumm und reglos an. „Ich sollte dich feuern“, stellte Kai dann fest. Yuriy musterte ihn. „Wirst du es denn tun?“ „Scheiße, nein“, sagte Kai, bevor er tat, was er schon seit Wochen tun wollte, indem er Yuriy am Jackett packte und die Lippen auf seine krachen ließ. Es eskalierte danach relativ schnell. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)