Ein Chef zum Verlieben von Mitternachtsblick (Mann mit Kind sucht Mann mit Saldenlisten) ================================================================================ Kapitel 6: Wie binde ich ihn an mich ... in 10 Tagen? ----------------------------------------------------- „Ich sollte den Termin absagen und mich besaufen gehen“, sagte Yuriy zu Boris, als sie dicht aneinander gedrängt in der District Line auf dem Weg nach Whitechapel standen. Er trug immer noch seine Arbeitskleidung. Boris hatte ihn von der Hiwatari Enterprise abgeholt und direkt in die Tube verfrachtet, damit sie nicht zu spät kamen. Er hatte einen Blick in Yuriys Gesicht geworfen und ihn augenblicklich darüber ausgequetscht, was passiert war und ob etwa die Zahllisten nicht gestimmt hatten. Alleine die Annahme war eigentlich eine persönliche Beleidigung, aber angesichts der Umstände ließ es Yuriy ihm durchgehen und packte aus. Boris lachte seit fünf Minuten. Jedes Mal, wenn es abflaute und Yuriy dachte, dass er fertig war, sah er Yuriy an und lachte wieder los. Es klang wie eine größenwahnsinnige Hyäne mit Schluckauf. Yuriy stieß ihm wiederholt den Ellbogen in den Magen und die Seite, prallte aber in schöner Regelmäßigkeit an Boris‘ stählernen Muskeln ab, was die Frustration ins Unendliche steigerte. „Ich hasse dich“, zischte er schließlich empört auf Englisch, „du schläfst heute auf der Couch!“ „Gib‘ ihm, Junge!“, krähte ein altes Muttchen von der Bank. Leider hielt auch das Boris nicht auf, aber als die Tube einen überraschenden Schlenker machte, legte er instinktiv einen Arm um Yuriy und zog ihn an sich, um dessen Kollision mit einer Haltestange zu verhindern. Grummelnd legte Yuriy die Wange an seiner festen Schulter ab. „Ich bin im Arsch“, sagte er düster und wechselte dabei wieder auf Russisch, „nicht auf die lustige Weise.“ „Wenn man sich ansieht, dass dein Chef genauso notgeil sein dürfte wie du, ist die lustige Weise nicht ausgeschlossen“, sagte Boris prompt und schien wieder kurz vor einem Lachanfall. „Ehrlich, Junge, steh zu deinen Stahleiern!“ Yuriy gab ein frustriertes Geräusch gegen Boris‘ Schulter von sich. „Es waren aber keine Stahleier, es war einfach die Flucht nach vorn in Kombination mit einem Hirnaussetzer über seine Augen! Außerdem hätte ich nie gedacht, dass er zusagt!“ „Notgeil, sage ich ja.“ Boris tätschelte seinen Rücken, dann schob er ihn durch die Türe hinaus. Whitechapel empfing sie in all seiner schäbigen Glorie und einem Stimmengewirr, in das sie sogleich untertauchten.  „Die Frage ist, was mache ich jetzt“, nahm Yuriy das Gespräch wieder auf, nachdem sie ein paar Meter gegangen waren, „wo gehe ich mit ihm hin?“ „Das ist egal, solange du es ihm danach richtig gut besorgst“, sagte Boris pragmatisch und wich elegant aus, als Yuriy ihm auf den Hinterkopf schlagen wollte.  „Kannst du bitte einmal vernünftige Vorschläge machen?“, zischte er.  „Tue ich doch“, erwiderte Boris empört, „du willst den Fick. Er will den Fick. Logische Konsequenz? Gib ihm den Fick.“  „Du solltest Bankberater werden mit dieser Eloquenz“, sagte Yuriy. „Du kannst mich eloquent am Arsch lecken“, sagte Boris freundlich und zog ihn am Pferdeschwanz, woraufhin Yuriy die Schulter gegen seine stieß und ein „Das hättest du wohl gerne“ zurückfeuerte. Sie näherten sich dem Seaborg, das das Ziel ihrer Reise darstellte. Der Ladenbesitzer und Mann der Stunde stand vor dem Tattoostudio und rauchte - ein Berg von einem Mann mit kurz geschorenem Haupthaar und majestätischem, blondem Bart, in den ein paar Zöpfe geflochten waren, was ihm zusammen mit den Tattoo Sleeves und den Baggy Pants das Aussehen eines in der Neuzeit gestrandeten Wikingers gab. Bei Yuriys und Boris‘ Anblick hob er grüßend eine Hand, rauchte aus und drückte die Zigarette in einem am Eingang stehenden Aschenbecher aus. „Na?“, sagte er begleitend zu den Begrüßungshandschlägen, Schulterklopfern und Wangenküssen, „bereit, gestochen zu werden?“ Im Gegensatz zu Boris und Yuriy war Sergei seit seiner Kindheit in Großbritannien, weshalb sich der Cockney-Akzent sogar in sein ansonsten tadelloses Russisch geschlichen hatte. Boris begann wieder loszulachen. „Du hast keine Ahnung, wie bereit Yura zum Stechen ist.“ „Ich hasse dich“, erklärte Yuriy zum zweiten Mal an diesem Tag, „ich lasse mir jetzt ein Arschgeweih stechen, aus Protest. Serjoscha, vergiss die bisherige Skizze, mach mir einen Wolf.“  „Über deinem Arsch?“, fragte Sergei mit der Ruhe eines Mannes, der schon viel gesehen und erlebt hatte. „Ich meine, wenn du willst, aber ich würde für das Geld eher davon abraten.“ „Don’t shoot the messenger just because you can’t handle the truth“, sagte Boris und kraulte dann Yuriys Undercut. „Du bist eben ein verwegener Idiot, deswegen funktioniert das hier.“ „Schließ nicht immer von dir auf andere“, grummelte Yuriy, war aber bereits besänftigt, als Boris ihm einen Kuss auf die Wange drückte.  Sergei schüttelte den Kopf und hielt ihnen die Türe auf. „Will ich wissen, was jetzt schon wieder passiert ist?“ „Nein“, sagte Yuriy.  „Fix“, sagte Boris im gleichen Atemzug und fügte sofort hinzu: „Yuriy hat seinen Chef nach einem Date gefragt, um ihn davon abzuhalten, ihn vor die Tür zu setzen.“ „Du verdrehst hier die Tatsachen!“, beschwerte Yuriy sich augenblicklich und folgte Sergei mit Boris auf den Fersen ins Studio hinein.   „Was zum Teufel?“, fragte Sergei entgeistert und starrte sie beide abwechselnd an, dann schüttelte er den Kopf. „Okay, Yura, du parkst deinen Hintern jetzt hier auf diesem Stuhl und ziehst dich aus-“ „Ich wette, das hätte Mr. Chefschnuckel auch gern gesagt“, feixte Boris. Sergei hielt Yuriy recht problemlos davon ab, seinen Kopf in Boris‘ Magen zu rammen und bugsierte ihn auf besagten Stuhl. „-und dann will ich hören, was da läuft, während ich die Skizze vom Transferpapier auf deinen Arm übertrage.“ Daraufhin verbrachte Yuriy geschlagene zehn Minuten damit, zu schildern, wie heiß sein Chef eigentlich war und dass er knapp daran gewesen war, gefeuert zu werden.  „Diese scheiß Zertifikate“, sagte er erbittert, „seit Jahren schufte ich wie ein Tier und dann wollen sie trotzdem, dass ich mit einem überteuerten Stück Papier beweise, dass ich gut bin.“ Er hielt inne und fügte zufrieden hinzu: „Tja, alle außer meinem Chef. Ich will nicht sagen, dass ich seit achtundvierzig Stunden nicht mehr geschlafen habe, um diesen Zahllisten-Ordner perfekt zu machen, aber ich würde auch nicht das Gegenteil behaupten.“ „Du musst wissen, er ist wahnsinnig“, sagte Boris an Sergei. Er hatte sich einen Hocker herangerollt und lümmelte jetzt am Rand von Yuriys Blickfeld neben ihm herum, um dann eine Hand zu heben und liebevoll Yuriys Pferdeschwanz zu zausen. „Aber es ist die charmante Art von Wahnsinn.“  Sergei verkniff sich ein Schmunzeln und zeichnete sorgfältig weiter. „Der Chefschnuckel hat also einen Blick auf den Ordner geworfen und sich in was, deine Trennkarten verliebt?“  „Ihm ist auf jeden Fall ziemlich einer dabei abgegangen.“ Yuriy seufzte tief. „Er ist der Richtige für mich.“ „Armer Irrer“, sagte Boris weiterhin liebevoll und tätschelte seinen Kopf. „Visionäre hat man schon oft in der Geschichte irre genannt“, sagte Yuriy salbungsvoll und fuhr dann fort: „Jedenfalls hat mein Hirn dann ein bisschen ausgesetzt, als er meinte, ich soll die Prüfung so bald wie möglich nachmachen und dann passt das, und dann habe ich ihm gesagt, dass er mit mir essen gehen soll. Und jetzt bin ich am Arsch, weil ich keine Ahnung habe, wo ich mit ihm hin soll.“  „Die üblichen Lokale fallen flach, weil…?“, erkundigte Sergei sich, ohne aufzublicken. Dann ließ er den Stift sinken. „Schau’s dir bitte nochmal an, bevor ich weitermache.“ Yuriy besah sich aufmerksam den Falkenkopf auf seinem rechten Unterarm, der in einen sich zur Spitze verjüngenden geometrischen Vogelkörper überging und nickte zufrieden. Es waren für die erste Sitzung erst einmal nur die Outlines des Ganzen und teilweises Shading des Kopfs, aber der geometrische Stil würde es trotz fehlender Details schon gut aussehen lassen. Und mehr war für den Moment nicht drin. Er war zwar nicht gefeuert worden und die heutige Sitzung war das Resultat langer, sorgfältiger Finanzplanung, aber man konnte nie wissen, was das Leben für einen bereithielt. Es musste nur morgen irgendein Rohr in ihrer Wohnung platzen und die ganze monetäre Einteilung war hinüber. Alleine diese Etappe war eigentlich schon sehr frivol, aber Yuriy hatte beschlossen, dass er sich manchmal etwas gönnen durfte. Außerdem hatte es seine preislichen Vorteile, mit dem Tätowierer befreundet zu sein. Und er wollte dieses Tattoo zu Boris‘ Ehren spätestens seit ihrer Abreise aus Russland. Boris war mit ihm durch dick und dünn gegangen, seit sie Kinder gewesen waren. Er war ein unauslöschlicher Abdruck auf seiner Seele, der es verdiente, nach außen hin gezeigt zu werden, wenn Yuriy ihm seine unbeirrbare Loyalität schon nicht anderweitig als mit seinem ganzen Herzen vergelten konnte. „Sieht grandios aus“, meinte er dementsprechend aufrichtig, was Sergei zum Strahlen brachte. „Kannst loslegen. Und was die üblichen Lokale angeht-“ Er gestikulierte vage mit der linken Hand. „Da kann ich nicht mit Kai hin. Der ist sicher andere Sachen gewöhnt, auch wenn er meinte, dass er nicht anspruchsvoll ist.“ Boris schnaubte, während Sergei verstehend seufzte und sich Latexhandschuhe überstreifte, ehe er zur Tätowiermaschine griff. Yuriy lächelte, als Boris ihm einen Schmatzer auf die Schläfe drückte und verkündete: „Wenn er ein Bonzenarschloch ist und darüber nen Aufstand macht, dass es nicht das Ritz ist, dann ist er dich und deinen Schwanz sowieso nicht wert. Andere Mütter haben auch schöne Söhne mit weniger elitären Löchern.“  „Notfalls bleiben wir bei unserem ursprünglichen Plan und heiraten einander, falls wir bis vierzig noch immer niemanden haben“, stimmte Yuriy zu.  „Geh einfach picknicken mit ihm“, sagte Sergei und begann zu tätowieren. „Ist die Firma nicht sowieso in Westminster? Da ist der Hyde Park doch ums Eck.“ Yuriy biss die Zähne zusammen, weil der Schmerz aushaltbar, aber gewöhnungsbedürftig war. „Das ist schon ein ziemliches Klischee. Was ist das hier, eine Romcom?“ „Vielleicht ist das aber keine schlechte Idee“, überlegte Boris, ohne auf seinen Einwand einzugehen. „Dann kannst du ihn mit deinen Sandwichkünsten für dich gewinnen. Ich weiß, wie sehr du aufs Sandwichmachen stehst.“ „Es ist einfach eine hohe mathematisch-physikalische Kunst, das perfekte Sandwich zu kreieren, aus dem nichts rausfällt und das sich auch nicht durch ein gewisses Ungleichgewicht in den Zutaten auszeichnet“, sagte Yuriy prompt im Brustton der Überzeugung, dann überlegte er. „Hm. Das könnte schon romantisch sein. Und ein bisschen Frischluftgefummel hat schon was.“ „Du gehst mir zu diesem Date nicht ohne Kondom in der Brusttasche“, verkündete Boris entschieden. „Der muss dir nur seinen überzüchteten Knöchel zeigen und und bist auf ihm drauf wie der Bulle auf der Kuh.“ „Ja, Mama“, sagte Yuriy mit einem kleinen Schmunzeln.  „Mir liegt dein Wohl eben am Herzen“, sagte Boris augenrollend, aber seine Fingerspitzen kraulten dabei wieder Yuriys Undercut auf eine Art, die sagte, dass er es ernst meinte. Yuriy legte die Hand auf seine - glücklicherweise war Boris schlau genug gewesen, sich nicht auf die Seite zu setzen, auf der Sergei herumfuhrwerkte - und sah zu ihm auf.  „Ich weiß“, sagte er leise auf eine Art, die sagte, dass er es ernst meinte - und dass er noch so viel mehr meinte als das, mehr, als es Worte dafür gab. Boris, der Yuriys Worte nie gebraucht hatte, lächelte nur und drückte seine Hand so fest, dass Yuriy den Herzschlag seines Lebensmenschen in den eigenen Fingern spürte. Sergei lächelte vor sich hin, während er konzentriert die Tinte mit tausenden Nadeln unter Yuriys Haut trieb. „Ich mein‘s ernst, Yura“, sagte Boris schließlich, „mach‘ dir nicht zu viele Gedanken drum. Im Notfall ziehst du dich aus.“ „Was ist los mit dir.“ „Ein You Can Eat Buffet quasi“, sagte Boris und grinste breit, „verstehst du? Du bist das Buffet, Yura.“ Yuriy entzog ihm die Hand und legte sie sich über die Augen. „Bitte hör auf zu reden.“ „Ihr geht Cocktails trinken, aber der Cocktail ist in deiner Hose.“ „Warum bist du so?!“ „Kindheitstrauma“, sagte Boris, dann: „He, notfalls schmier dir Erdnussbutter auf die Brust und sag, dass du das Sandwich bist.“ „Oh Gott“, sagte Sergei, „ich habe mir noch nie so sehr gewünscht, taub zu sein. Wenn du weiterredest, dann verlange ich zusätzliches Schmerzensgeld.“ „Wie bitte?“, sagte Yuriy empört, „ich kann nichts dafür, ich leide selber!“ „Mir fällt sicher noch ein Witz auf deine Kosten ein, der was mit Gurken zu tun hat“, überlegte Boris laut.  Yuriy gab im gleichen Moment wie Sergei einen tiefen, gepeinigten Seufzer von sich und starrte an die Decke. Es stimmte wohl, was sie sagten, reflektierte er mit einem gewissen Amüsement: Bei den Menschen, die man liebte, tolerierte man eine ganze Menge Bullshit. Er konnte nur hoffen, dass es anderen mit ihm selbst auch so ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)