Desaster von Adrija ================================================================================ Kapitel 9: ----------- Tief in Gedanken versunken saß Steve in seinem Zimmer am Schreibtisch und fertigte eine Zeichnung an. Gekonnt malte er Schattierungen und verwischte die Bleistiftstriche mit dem Zeigefinger, sodass flüssige Übergänge der Schatten entstanden. Er zeichnete aus seinem Gedächtnis. Es hatte sich in seinen Verstand eingebrannt und war daher ziemlich leicht für ihn auf Papier zu bannen. Als er schließlich fertig war mit der Zeichnung, griff er nach einem grünen Buntstift. Kunstvoll arbeitete er die Iriden des gezeichneten Augenpaars heraus, bis er zufrieden war und es dem Bild in seinem Gedächtnis entsprach. Er lehnte sich zurück und betrachtete sein Werk. Es sah genau so aus, wie in seinem Kopf. Lokis Augen starrten ihm von dem Blatt entgegen, genau so wie sie ihn angestarrt hatten, als er mit Tony zusammen am ersten Tag zu ihm gegangen war, um ihn zu fragen, was er zu Essen haben wollen würde. Er hatte nur die Augenpartie gemalt. Dennoch reichte es aus, um den Kontrast zwischen diesem so tot wirkenden Körper und diesem klaren, wachen Geist auszudrücken, der sich hinter diesen lebendigen Augen verbarg. Er hoffte seine eigenen Gedanken von diesem Bild befreit zu haben, nachdem er es ja nun zu Papier gebracht hatte. Ebenso wie bei den anderen beiden Bildern, die er von ihm gezeichnet hatte. Genervt von sich selbst trennte er das Bild aus seinem Zeichenblock und zog seine aktuelle Zeichenmappe, die er immer in der schmalen Lücke zwischen dem Schreibtisch und dem danebenstehenden Schrank verstaute, hervor. Er drehte sich auf seinem Stuhl herum, stand auf und legte die Mappe auf den Boden, wo er genug Platz hatte sie aufzuklappen. Eins seiner gestrigen Bilder begrüßte ihn. Ein Bild von Clint und Natascha, als sie ihn von Tony weggezogen hatte, sein Gesicht zwischen ihren Händen fixierend und ein bittender Gesichtsausdruck, während Clints Körpersprache deutlich von Wut zeugte. Es war Steve gelungen ein Stück dieser tiefen Vertrautheit zwischen den beiden einzufangen. Aber leider nur ein Stück. Es war ihm bisher noch nie gelungen in seinen Bildern das einzufangen, was die beiden zwischen sich zu haben schienen. Nicht vollständig zumindest. Er schob das Bild beiseite. Das zweite von seinen Loki Bildern kam zu Vorschein. Auf diesem stand der Asgardier in seinem Zimmer am Fenster, mit dem Blick nach draußen gerichtet, in die Ferne blickend. Er wirkte verloren und zerbrechlich. Er hatte auch ein Bild von Loki gezeichnet, wie sie ihn in der Militärbasis aufgefunden hatte. Aber das wollte er sich nicht ansehen. Es sah zu echt aus. Auch das war eines der Bilder, die er hatte aus seinem Kopf loswerden wollen. Es hatte nicht geklappt. Seufzend legte Steve das Bild von den Augen darauf, schob die Zeichnung von Natascha und Clint darüber und klappte seine Mappe wieder zu, eher er sie wieder zurück an ihren Platz stellte. Schnell stellte er fest, dass seine Idee erneut nicht funktioniert hatte. Diese grünen Augen schienen ihn auch weiterhin nicht loszulassen und er spielte mit dem Gedanken noch einmal in den Trainingsraum zu gehen. Er hatte den Asgardier heute gar nicht zu Gesicht bekommen. Tony hatte ihm mittags irgendwann mitgeteilt, dass er bereits nach ihm gesehen hatte, woraufhin sie beide sich kurz wieder gestritten hatten. Es hatte damit geendet, dass Tony ihn einfach mittendrin hatte stehen lassen als Pepper nach ihm gerufen hatte. Tonys Leichtsinnigkeit würde sie alle noch irgendwann in Gefahr bringen, aber anscheinend musste es erst soweit kommen, bevor der es einsehen würde. Es war fast Mitternacht, als Jarvis schließlich seine Gedanken unterbrach. „Es tut mir leid sie zu so später Stunde noch stören zu müssen Captain Rogers, aber Agent Romanoff bittet alle Avengers sich noch einmal im Gemeinschaftsraum zu versammeln.“ Überrascht sah Steve nach oben zur Decke, zog die Augenbrauen etwas zusammen. Um diese Uhrzeit? Es war wohl kaum ein Notfall, sonst hätte Jarvis das deutlich gemacht. Dennoch war das ein äußerst seltsam gewählter Zeitpunkt. Also verwarf der Soldat den Gedanken an den Trainingsraum und legte stattdessen den Weg in den Gemeinschaftsbereich über die Treppe zurück. Er hörte bereits leises Stimmengemurmel und schlug den Weg, den Stimmen folgend, in den Lounge-Bereich ein. Sein Blick fiel auf drei Personen. Sie standen zusammen zwischen dem großen Sofa und dem Fernseher beieinander, offensichtlich in ein ernstes Gespräch vertieft. Steve erstarrte. Sein Blick bohrte sich geradezu in die Augen des Mannes, der zwischen Natascha und Clint stand und in genau der Sekunde, in der ihre Blicke sich trafen, verstummte. Agent Coulson straffte die Schultern, setzte sein professionelles Lächeln auf und nickte ihm zur Begrüßung zu. Steve spürte die Beschleunigung seines Herzschlages. Seine Muskeln spannten sich an. „Jarvis, wo ist Loki?“, fragte er leise. „Mr. Odinson befindet sich gegenwärtig im Workshop, Captain Rogers.“, antwortete die KI über einen Lautsprecher in der Nähe. Steve war weit genug entfernt, dass das Gespräch mit Jarvis nicht zu den anderen vordringen würde. Die erhaltene Information überraschte Steve zwar etwas, aber darüber würde er sich später Gedanken machen. „Ist er allein? Ist jemand außer dem Team in den oberen Etagen?“, hackte er nach. Er sah wie Natascha und Clint sich ebenfalls in seine Richtung drehten. Das Lächeln auf Nataschas Lippen beruhigte ihn nicht im Geringsten. Clint winkte ihn heran. Beide schienen völlig ungestört von dem dritten SHIELD Agenten direkt neben ihnen. „Er befindet sich gegenwärtig allein im Workshop. Meine Sensoren zeigen außer den Mitgliedern der Avengers nur Miss Potts, Mr. Odinson und Agent Coulson an.“, antwortete Jarvis. Okay, also konnte die KI Coulson als solchen erkennen. Tony hatte Jarvis doch angewiesen die Anwesenheit auch nur in der Nähe des Towers jeglicher Personen mit SHIELD Zugehörigkeit sofort zu melden. Wusste Tony, dass Furys rechte Hand hier war? Und warum waren Natascha und Clint so ruhig dabei? „Sicherheitsabriegelung des Workshops, Stufe 1. Kein Zutritt, für niemanden, ohne meine ausdrückliche Erlaubnis. Loki bleibt da drin, bis ich etwas anderes sage. Sollte sich irgendetwas ändern und sei es nur eine kleine Störung, will ich sofort davon wissen.“, wies er die KI an, die seinen Befehl bestätigte. Erst dann löste der Soldat sich aus seiner Starre. Langsam und mit deutlicher Vorsicht ging er auf die drei SHIELD Agenten zu. Er blieb in gebührendem Abstand mit der ausladenden Couch zwischen ihnen stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Zusammen mit seiner angespannten Körperhaltung und dem abweisenden Blick war das ein deutlicher Hinweis darauf, dass er eine wirklich gute Erklärung haben wollte. Als Coulson in dieser angespannten Atmosphäre schließlich den Mund öffnete, hörte Steve hinter sich die Fahrstuhltüren aufgehen. „Was zu Hölle!“, wetterte es hinter ihm los. Okay. Damit wäre das auch geklärt. Tony wusste nichts von Coulsons Anwesenheit. „Jarvis? Warum weiß ich nichts davon?“ Die Wut in der Stimme seines Freundes war deutlich zu hören. Ebenso wie seine trampelnden Schritte als er näherkam. „Agent Romanoff hat Agent Coulson als ihren persönlichen Gast in den Tower gelassen.“, erklärte die KI. „Nach den von Ihnen festgelegten Richtlinien für Privatsphäre, war ich nicht befugt Sie darüber zu informieren.“ „Workshop abriegeln.“, befahl der Milliardär und stellte sich neben Steve, die Arme ebenfalls vor der Brust verschränkt. Mit einem Seitenblick konnte Steve die pure Mordlust in Tonys Gesicht erkennen. Pepper war ebenfalls dabei. Sie strich ihrem Freund in einer beruhigenden Geste den Arm entlang, bevor sie sich von seiner Seite löste und die Couch umrundete. „Das ist bereits auf den Befehl von Captain Rogers hin geschehen.“, informierte die KI ihren Erschaffer, während Pepper mit einem Lächeln auf Coulson zuging und ihn in einer freundschaftlichen Geste zur Begrüßung kurz umarmte. Es war nicht neu für Steve, dass die Frau mit dem SHIELD Agenten befreundet war. Es war offensichtlich, dass sie versuchte die Situation zu entschärfen. Er wusste nicht, was Tony ihr alles erzählt hatte, doch sie würde genug wissen, um zu erkennen, dass jedes falsche Wort zur kompletten Entgleisung des wackeligen Gerüsts führen würde. „Mr. Stark, Captain Rogers.“, wandte sich Coulson nun doch direkt an die beiden Männer. „Wie Agent Romanoff und Agent Barton mir bereits erklärt haben, bedarf die momentane Situation einer Klärung.“ „Haben sie das?“, hackte Tony nach und warf den beiden genannten Avengers ebenfalls einen wütenden Blick zu. „Ich bin wirklich gespannt, wie Fury das alles erklären will.“ Hinter ihnen konnte Steve erneut die Fahrstuhltür hören. Er musste sich nicht umdrehen. Der Einzige, der hier noch fehlte, war Bruce. „Oh.“, hörten sie ihn. „Ich dachte der Tower sei sicherer als ein Bunker.“, kommentierte der Wissenschaftler weiter und trat neben Tony. „Dr. Banner.“, begrüßte Coulson auch ihn. „Nun, Verräter habe ich tatsächlich nicht mit eingerechnet.“, sagte Tony und fixierte Natascha. Bruce sah etwas verwirrt zwischen den beiden hin und her. Steve konnte sehen, dass Bruce die ganze Situation deutlich entspannter nahm als er und Tony. Er nickte Coulson einmal zu. „Nun, ich bin mir sicher für das hier-“, er gestikulierte zwischen den Anwesenden leicht hin und her. „- gibt es irgendwo eine Erklärung.“ Danach hielt er sich eine Hand vor den Mund als er gähnen musste. Offenbar hatte die Versammlung hier zumindest ihn aus dem Bett geholt. Wie Steve jetzt genauer hinsah, konnte er sehen, dass die Haare des Mannes an einer Seite abstanden und sein Hemd links nicht ordentlich in seine Hose gestopft war. „Ursprünglich habe ich Agent Romanoff aufgrund einer neuen Mission für sie kontaktiert. Ich muss zugeben die Feindseligkeit mit der ich konfrontiert worden bin, hat mich überrascht.“, ergriff Coulson nun erneut das Wort. Das professionelle Lächeln war nicht verschwunden und es schien als würde er die geradezu überschäumende Wut aus Tonys Richtung nicht einmal bemerken. „Aber vielleicht wollen Sie sich setzen. Es scheint mir doch ein längeres Gespräch zu werden.“, schlug er vor. „Ich denke, ich bleibe lieber stehen.“, antwortete Tony daraufhin giftig. Seine Stimme verriet jedem, dass der Mann sich kaum zu beherrschen vermochte. Steve besah sich die anderen. Natascha und Clint setzten sich hin. Beide schienen ziemlich entspannt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass einer der beiden sie verraten hatte. Er bezweifelte, dass sie es bemerken würden, wenn einer der beiden das vorhätte. Zumindest, wenn die beiden sich untereinander einig wären. Was auch immer hier vor sich ging, vielleicht würde es sie wirklich alle überraschen. Dennoch blieb er neben dem Milliardär stehen. Er brauchte erst die Erklärung, denn vor seinem inneren Auge konnte er gestochen scharf Loki auf der Liege in der Militärbasis sehen. Der beißende Geruch von Infektion stieg ihm plötzlich wieder in die Nase, obwohl er wusste, dass das Blödsinn war. Er brauchte hier wirklich unbedingt eine verdammt gute Erklärung! Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie auch Bruce und Pepper sich hinsetzten. Coulson sah Steve noch zwei Sekunden an, bevor er akzeptierte, dass er sich nicht vom Fleck rühren würde. „Dann werde ich mich kurzfassen. Agent Romanoff war so freundlich mich über das Problem aufzuklären.“, erklärte Coulson. „Director Fury war tatsächlich nicht über Lokis Gefangennahme in New York informiert worden.“ „So ein Schwachsinn!“, wiedersprach Tony sofort und unterstrich seinen Gemütszustand noch mit einer wütend wirkenden Geste seiner Arme in Richtung des Agenten. „Jarvis hat den Hinweis auf Loki in seinen Dateien gefunden. Natürlich wusste er davon!“ Kurz sah es für Steve aus, als wollte sein Freund über die Couch hinwegspringen und sich auf den Shield Agenten stürzen. Doch zum Glück blieb es nur bei der kurzen Anspannung, bevor Tony seine Arme wieder verschränkte und Flüche vor sich hinmurmelte. „Die Überwachung durch Sie Mr. Stark, ist uns durchaus bekannt.“, sprach Coulson weiter ohne auch nur die Spur auf den emotionalen Ausbruch zu reagieren. „Director Fury hat die Information dort platziert, damit Sie diese finden.“ Irritiert zog Steve die Augenbrauen zusammen. Er war etwas erstaunt darüber, das Tony den Mund hielt, obwohl Coulson an der Stelle sogar eine kurze Atempause machte. Gerade so als wolle er Zeit für einen Einspruch bieten. „Tatsächlich ist uns der Aufenthalt von Thors Bruder erst seit einem halben Jahr bekannt. Offenbar war Director Fury als nicht vertrauenswürdig eingestuft worden. Seit wir davon erfahren haben, versuchte er diese Behandlung Lokis beenden zu lassen. Letztendlich hat er sich jedoch dazu entschlossen drastischere Maßnahmen zu ergreifen und Sie zu informieren.“, erklärte Coulson sachlich. „Er hätte auch einfach anrufen können.“, kam es von Bruce, der sich durch die Haare fuhr und zurücklehnte. Die Geste wirkte müde, aber Steve konnte an den Augen genau sehen, dass der Wissenschaftler hellwach war. Der Zustand in dem sie Loki gefunden hatten, war jedem von ihnen bitter aufgestoßen. Es war kein Geheimnis wie sehr Bruce die Behandlung verachtet hatte. Tony war sehr still geworden. Die Anspannung war nicht verflogen, aber nun schien er nicht nur wütend, sondern auch nachdenklich zu sein. „Das war ihm zu dem Zeitpunkt nicht möglich. Er befand sich auf dem Militärstützpunkt und nachdem in der vorangegangenen Besprechung die anstehende Operation besprochen worden war, sah er sich gezwungen umgehend zu handeln, befürchtete jedoch ein Gespräch mit Ihnen könnte bemerkt werden. Deshalb erstellte er die Datei auf einem seiner Geräte von dem er wusste, dass Jarvis darauf Zugriff hatte.“ Steve konnte sich an die Dringlichkeit erinnern. Tony hatte sie so gedrängt, weil für den nächsten Tag offenbar geplant war Loki ein Auge komplett zu entfernen. Etwas, dass wahrscheinlich selbst der Gott nicht einfach so heilen und nachwachsen lassen können würde. Oder zumindest hatte keiner von ihnen es darauf ankommen lassen wollen. „Und er hat es nicht für nötig gehalten sich über den Verlauf zu informieren?“, hackte Steve nun nach. Sie hatten geradezu auf eine Nachricht von Fury gewartet, oder einen Einbruch in den Tower, auf irgendeine Information! Aber es war nichts gekommen. Das einzige, war passiert war, war der Besuch von James und der war direkt von Colonel Hawthorne geschickt worden. „Director Fury war noch auf dem Stützpunkt, als sie das komplette Gebäude abgeriegelt haben. Er wusste, dass Sie Erfolg gehabt hatten.“, antwortete Coulson und richtete seinen Blick nun wieder auf Tony, der den Agenten mit seinen Blicken aufzuspießen schien. „Aber das war Ihnen natürlich klar.“ Wieder ließ der Agent einen kurzen Moment verstreichen, bevor er weitersprach, den Milliardär nicht aus den Augen lassend. „Wir gingen davon aus, dass die Sachlage klar war. Ich werde ausrichten, dass es ein Missverständnis gegeben hat und zukünftige Aktionen offenbar deutlich mehr Kommunikation erfordern.“ Clint grinste. Es dauerte einen Moment, bis Steve die Kritik in der letzten Aussage verstand. Und ohne das Grinsen, hätte der Soldat wahrscheinlich die Kritik auch nicht bemerkt. Tony presste die Lippen aufeinander. Er schien deutlich einiges zurückzuhalten, was er dem SHIELD Agenten an den Kopf werfen wollte. „Ein halbes Jahr, hm?“, fragte Tony dann mit einem gefährlichen Unterton. „Thor war in der Zeit mehrmals hier. Wir waren sogar die ganze Zeit hier. Und erst jetzt, bevor Loki nachhaltig verstümmelt werden sollte, kam er auf die Idee diese kranke Situation beenden zu wollen?“ Coulson sah den Milliardär einige Sekunden an, bevor er antwortete. „Mir ist klar, dass Sie Director Furys Beweggründe nicht als Rechtfertigung akzeptieren würden. Es ist uns jedoch nicht allen möglich ohne jegliche Bedenken über die Auswirkungen unseres Handelns zu agieren.“ Abfällig lachte Tony auf und schüttelte den Kopf missbilligend, doch bevor er erneut etwas sagen konnte, fiel Natascha ihm ins Wort. „Wir sollten das hier beenden.“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Ohnehin solltest du dieses Gespräch eher mit Fury führen.“, gab sie zu bedenken. Steve musste ihr zustimmen. Jegliche Diskussion, die hier nun entstehen würde, wäre sinnlos und würde nur zu weiteren Streitigkeiten führen die kein Ergebnis bringen würden. Zumal Coulson über Furys Beweggründe eh nur mutmaßen konnte. „Oh, das werde ich.“, kündigte der Milliardär an, bevor er zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs seinen Blick von Coulson abwandte und stattdessen nun Natascha fixierte. „Also, Doppelagentin, was ist das für eine Mission, auf die SHIELD dich schicken will?“ Skeptisch zog Natascha eine Augenbraue hoch und erwiderte den missgelaunten Blick des Milliardärs, bevor sie sich dazu herabließ auf seine Frage zu antworten. „Yelena Belova.“ Der Name ließ Steve ebenso aufhorchen wie die restlichen Anwesenden. Bis auf Coulson, der die Informationen ja an Natascha weitergegeben hatte und Clint, der offenbar bereits eingeweiht war. „Hier?“, hackte Tony alarmiert nach. Sie alle hatten bereits Bekanntschaft mit der nachfolgenden Black Widow gemacht. Und sie alle hätten auch gut und gerne darauf verzichten können. „Mexiko.“, antwortete Clint. „Ich und Natascha werden dem nachgehen.“, fügte er hinzu. „Ich will ein Update zu festgelegten Zeiten.“, forderte Steve. Er wusste, dass Belova eine persönliche Angelegenheit von Natascha war, dennoch hatten sie durchaus bereits bemerkt, dass sie nicht zu unterschätzen war. Wenn Loki nicht da wäre, würde er darauf bestehen mitzugehen. Ein amüsierter Blick traf ihn. „Müssen wir auch bis 22 Uhr zu Hause sein oder dürfen wir bis Mitternacht raus, Mum?“, scherzte Clint und grinste ihn an. Seufzend schloss Steve kurz die Augen. Das hier war sein Team. Er wusste, dass gerade die beiden SHIELD Agenten für so etwas ausgebildet waren, aber er würde definitiv nicht nachlässig werden und das Wohlbefinden seiner Leute mehr riskieren als nötig. Er mochte es nicht, wenn die Avengers sich trennten. Er mochte es nicht, wenn er nicht die Möglichkeit hatte einzugreifen, wenn er völlig machtlos war. „Updates. Das bekommen wir hin.“, sagte Natascha. Ein warmes Lächeln hatte sich auf ihre Lippen gelegt. Sie stand mit Clint zusammen auf. „Wir melden uns, wenn wir in Mexiko angekommen sind. Ich schicke dir die GPS Daten unseres Aufenthaltsortes.“, fügte sie hinzu. „Ich habe die Akte von Jarvis in Ihr Archiv hochladen lassen.“, informierte Coulson ihn. „Ich gehe davon aus, dass Sie sich über die Mission informieren wollen.“ Dankend nickte Steve dem Agenten zu. Klar wollte er wissen, wo seine Leute hingingen und warum. Steve bekam bei den meisten Missionen die nur an Natascha und Clint gerichtet waren die Akte. Bei allen Missionen, wo er sie nicht bekam, konnte Tony ihm diese besorgen. Bestimmt wusste Fury das auch. Wahrscheinlich verweigerte er ihm einige Akten schon allein aus Prinzip. Coulson verabschiedete sich von Pepper mit einem freundlichen Lächeln und einer erneuten Umarmung, schüttelte Bruce und Steve die Hand und nickte Tony zum Abschied zu, bevor er in Richtung des Fahrstuhls verschwand. Pepper verabschiede sich mit jeweils einer festen Umarmung von Natascha und Clint und wünschte ihnen viel Erfolg, während Bruce Clint zum Abschied kurz die Hand auf die Schulter legte. Steve war etwas irritiert als Natascha sich von dem Wissenschaftler verabschiedete. Es sah irgendwie abgehackt aus, wie sie ihn kurz umarmte, er dann ihren Blick mied und sich von ihr abwandte. War etwas zwischen den beiden passiert? Hatten sie Probleme miteinander? Clint nickte Tony zu, der die Geste erwiderte und ebenfalls kurz auf seinen Oberarm klopfte. Steve sah, dass sie kurz miteinander sprachen, konnte aber nicht verstehen, worum es ging. Als Clint bei ihm ankam, hatte er ein Grinsen im Gesicht. „Sieh zu, dass du den Idioten in Zaum hältst.“, sagte er und nickte mit dem Kopf in Tonys Richtung, der sich nun von Natascha verabschiedete. „Mach dir darum keine Sorgen.“, versicherte er ihrem Scharfschützen, obwohl er sich nicht sicher war, ob er dieses Versprechen erfüllen können würde. Gleich darauf stand auch Natascha bei ihm und zog ihn in eine Umarmung. „Mach du dir lieber keine Sorgen um uns.“, sagte sie nachdem sie sich wieder von ihm gelöst hatte. „Wir kommen klar.“ „Ich weiß.“ Er lächelte sie beide an. Er wusste, dass sie klarkamen. Erst recht, wenn sie zusammen waren. „Aber wenn ihr Hilfe braucht…“, weiter kam er nicht, denn die Frau direkt vor ihm legte ihm den Zeigefinger an die Lippen und sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue skeptisch an. Innerlich seufzte er. Ohne ein weiteres Wort drehten die beiden Agenten sich um und liefen zu Coulson, der am Fahrstuhl auf die beiden gewartet hatte. Zu dritt verschwanden sie in der Kabine. Pepper gesellte sich wieder zu Tony, nahm seine Hand in ihre und strich mit ihrer freien über seinen Arm. Sie lehnte sich an ihn und der Milliardär löste seine Hand von ihrer um den entsprechenden Arm um sie schlingen und sie an sich ziehen zu können. Steve konnte sehen wie die Anspannung den Körper seines Freundes verließ. Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen als er diese Vertrautheit zwischen den beiden sah. „Gute Nacht.“, unterbrach Bruce seine Gedanken, als er an ihnen vorbeiging und ebenfalls den Fahrstuhl in Anspruch nahm. „Captain Rogers, dürfte ich vorschlagen den Workshop wieder zu entriegeln? Mr. Odinson scheint die Veränderung als recht bedrohlich zu empfinden.“, meldete die KI sich zu Wort. Erstaunt schaute Steve in Richtung der Decke. „Sofort entriegeln.“, befahl Tony direkt, griff Pepper an der Hand und zog sie mit sich zum Fahrstuhl. „Es tut mir leid, Sir. Captain Rogers ist der Einzige, der die Befugnis dazu hat.“, entgegnete die KI. Tony warf Steve einen Blick voller Erwartung zu. Er folgte seinen Freunden zum Fahrstuhl. „Entriegeln.“, bestätigte er. Auch wenn er offiziell in Sicherheitsfragen eine höhere Freigabe eingeräumt bekommen hatte als Tony selbst, zweifelte der Soldat nicht daran, dass sein Freund sich eine Hintertür im Programm eingebaut hatte und diese Struktur leicht überschreiben könnte. Zusammen sprangen die drei in den Fahrstuhl und fuhren runter zum Workshop. Die Türen glitten sofort auf, als sie in die Nähe kamen. „Loki?“, rief Tony in den riesigen Raum als er seinen Gast nicht direkt erblickte. Es kam keine Antwort. Doch dann schien er sich Dum-E und U, die im hinteren Teil ihre Kreise drehen, zuzuwenden und stürmte in entsprechende Richtung los. Der Soldat folgte ihm ohne zu zögern, ebenso wie Pepper. Als er näherkam, erkannte er den Asgardier zwischen zwei der Glaskästen, die mit Iron Man Anzügen gefüllt waren, zurückgezogen auf dem Boden hockend, Beine angezogen, der Blick starr nach unten gerichtet. Der Rücken gegen die Wand hinter ihm gelehnt. Der Geruch von Infektion drängte sich Steve geradezu auf. Die Panik war zurückgekehrt und war in diesen grünen Augen mehr als deutlich sichtbar. In einer Hand hielt der Mann einen Schraubenzieher fest umklammert, die andere war an seiner Schläfe in die langen schwarzen Haare gekrallt. Ein Zittern hatte den dürren Körper erfasst. Die beiden Roboter machten den Menschen Platz und zogen sich etwas nach Außen zurück. Automatisch hielt Steve Tony zurück, als dieser ohne Umschweife auf Loki zuging. Schwach oder nicht, der Schraubenzieher war eine Waffe und Loki hielt ihn auch so. Zwei Meter waren nahe genug. Ein genervter Blick traf ihn und Tony hob abwehrend die Arme. „Ist ja gut.“, murmelte er genervt. „Ich gehe ja nicht näher heran.“ Er rollte mit den Augen. Zögerlich ließ Steve seinen Freund wieder los und beobachtete dafür, wie dieser in die Hocke ging und sich hinsetzte. „Hey Lokes.“, sprach er den Asgardier in einem Plauderton an. Lokes? Seit wann war er Lokes? Pepper stellte sich neben Steve. Er konnte sehen wie besorgt sie war. Doch die Sorge galt nicht ihrem Freund. Ihre Augen waren auf Loki gerichtet, der bislang auf ihr Erscheinen nicht reagiert hatte. Seine Lippen bewegten sich, als würde er etwas vor sich hinzumurmeln. Schnell und ohne Pause, aber es war nicht das Geringste zu hören. „Wir haben den Raum abgeriegelt, weil Coulson plötzlich im Gemeinschaftsraum stand.“, erklärte Tony ruhig und setzte sich im Schneidersitz hin. Pepper folgte seinem Beispiel, ergriff dabei Steves Arm und zog ihn mit sich zu Boden. Ohne Widerworte ließ der Soldat sich nach unten dirigieren. Sie saßen etwas hinter Tony, konnten den Asgardier aber gut sehen. „Uneingeladen und-“, der Milliardär sah nach oben zur Decke „- ab jetzt will ich sofort über SHIELD Angehörige bescheid wissen, privater Besuch hin oder her, Jarvis!“, befahl er der KI. „Die Privatsphäre-Settings sind nicht per Spracheingabe änderbar, Sir.“, wies Jarvis ihn höfflich auf die von ihm selbst festgelegten Einstellungen hin. Tony gab daraufhin nur ein Grummeln von sich, wandte seine Aufmerksamkeit dann aber wieder dem verängstigten Gast zu. „Er ist jetzt wieder weg. Natascha und Clint auch. Er war hier, weil er einen Auftrag für sie hatte. Und er behauptet SHIELD, oder zumindest Fury, war gar nicht dafür dich als Versuchskaninchen zu missbrauchen. Wer hätte das gedacht, oder?“ Kurz verstummte der Milliardär und betrachtete seinen Gast nur, doch es dauerte nicht lange, bis er wieder das Wort ergriff. „Lange Rede, kurze Sinn. SHIELD ist weg und du bleibst hier. Und nun würde ich eigentlich gerne weiter an meiner Rüstung arbeiten.“ Er deutete mit dem Daumen hinter sich in die ungefähre Richtung, in der ein Iron Man Anzug an der Arbeitsstation abgestellt war. „Dazu brauche ich aber den Schraubenschlüssel und außerdem glaubt Cap, du würdest versuchen mich damit zu erstechen, wenn ich näherkomme.“, er machte eine kurze Pause. „Willst du mich damit erstechen?“, hackte er dann mit einer gewissen Ernsthaftigkeit nach. Steve konnte sehen, wie die Panik langsam abebbte, wie Lokis Augen aufhörten den einen Punkt starr zu fixieren und stattdessen etwas umherwanderten. Seine Hand entkrampfte sich und lies die schwarzen Strähnen los. Während Tony einfach weiter plapperte, schien Loki immer mehr geistig den Weg zurückzufinden, aus was auch immer sich gerade in seinem Kopf abspielte. Es war ein langsamer aber stetiger Prozess, bis schließlich die Augen den Boden verließen und Tony kurz beobachteten. Steve sah wie der Milliardär anfing zu grinsen, aber dennoch einfach weiterredete. Der Soldat hatte schon längst den Zusammenhang von Tonys Geplapper verloren. Er war sich nicht einmal sicher, ob es einen Zusammenhang gab. Dann wanderte Lokis Blick weiter zu Pepper, die ihn freundlich anlächelte. Als Lokis Blick letztendlich auf Steve fiel, spürte dieser irgendetwas in sich zusammenziehen. Die grünen Augen fixierten ihn und er bemerkte, wie die feinen Augenbrauen sich etwas zusammenzogen. Wieso sah Loki ihn so lange an? Sah er ihn lange an, oder kam ihm das bloß so vor? „Ich bitte um Verzeihung.“, sagte der Asgardier schließlich und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Tony zu. Seine Stimme klang etwas zittrig. Die Ruhe war auch noch nicht in seine Hände zurückgekehrt, als er den Arm ausstreckte und Tony mit der offenen Handfläche den Schraubenschlüssel hinhielt. „Ja, das ist schon okay. Wir hätten dich auch warnen können.“, gab der zu bedenken. „Die Fenster werden mit Panzerung überzogen, wenn der Tower abgeriegelt wird. Nur so für die Zukunft.“ Ohne jegliche Zurückhaltung rutschte Tony nach vorne und nahm seinem Gegenüber das Werkzeug aus der Hand. Steve bemerkte fasziniert wie Loki eher noch ruhiger zu werden schien. Dass ihre Knie sich berührten, schien ihn nicht zu stören. „Passiert das häufig?“, fragte Loki und sah alles andere als glücklich drein. „Drei Mal seit deinem Angriff.“, antwortete Steve. Sofort waren diese grünen Augen wieder auf ihn gerichtet. Die Augenbrauen waren erneut zusammengezogen. Augenblicklich spürte Steve wieder dieses komische ziehen in seiner Brust. Was war das nur? War er so angespannt, dass ihr Gast plötzlich irgendetwas Unvorhergesehenes tun könnte? Tony schien so ruhig in seiner Gegenwart. Selbst Pepper ließ er problemlos in seine Nähe. Dann nickte der Asgardier. „Ich verstehe.“, holte ihn seine Stimme wieder aus seinen Gedanken. „Okay, wo das jetzt geklärt ist-“, ergriff Tony wieder das Wort und richtete sich auf. „- können wir ja weiterarbeiten.“ Der Milliardär hielt Loki eine Hand hin. Steve sah, wie der Asgardier zögerte, dann aber danach griff und sich hochziehen ließ. Der schmerzerfüllte Ausdruck, der über das bleiche Gesicht huschte, entging Steve nicht. Er und Pepper standen ebenfalls auf. „Whoa! Geht´s?“, fragte Tony und packte mit seiner zweiten Hand zu als der Asgardier auf seinen Beinen schwankte. Er griff nach seinem Oberarm und versuchte ihn zu stabilisieren. „Loki?“ Doch Steve sah, wie Lokis Knie unter der Last nachgaben und sprang hinzu. Er schlang einen Arm um die schmale Taille und lehnte den Körper des Asgardiers gegen seinen. Nicht nur der Infektionsgeruch sprang ihn geradezu an, ebenso konnte er die Nässe am Rücken spüren, wo er ihn umfasste. Innerlich fluchte er. „Das geht so nicht weiter.“, sagte er schließlich und hob Loki auf seine Arme, als dieser komplett das Bewusstsein verloren hatte. „Jarvis, sag Bruce er soll mit dem Verbandszeug hier nach unten kommen. Erklär ihm, was passiert ist.“, wies Steve die KI an und ging zu der Couch. Vorsichtig ließ er den Bewusstlosen darauf nieder. Er achtete darauf ihn nicht aus Versehen auf den Rücken zu rollen. „Das wird ihm nicht gefallen.“, kommentierte Tony und setzte sich an Lokis Füßen auf die Couch. „Nein, wird es nicht.“, stimmte Steve zu und setzte sich an seinem Kopfende hin. Er hoffte, der Asgardier würde einfach bewusstlos bleiben, bis er einen neuen Verband auf dem Rücken hatte. Wenn nicht, dann würde er ihn festhalten müssen. Aber es stand außer Frage, dass sie etwas tun mussten. „Hat er inzwischen etwas gegessen oder getrunken?“, fragte er nach. „Einen Twinkie, einen Marshmallow und etwa einen Liter Wasser.“, fasste Tony zusammen. „Und halt mir jetzt keinen Vortrag über gesunde Ernährung.“ „Wir haben vorhin versucht ihn dazu zu bringen mit uns zu essen, aber daraus ist nichts geworden.“, fügte Pepper noch hinzu. Unschlüssig stand sie vor der Couch und schien nicht so richtig zu wissen, was sie tun sollte. Ebenso wie Tony schien sie einen Narren an Loki gefressen zu haben. Das war wirklich schnell gegangen. Andererseits hat sie ihn während der Alieninvasion ja auch nicht bekämpfen müssen und kannte nur diese jämmerlich aussehende Version von ihm. Das machte es wahrscheinlich sehr leicht für sie Mitleid mit ihm zu empfinden. Die herzerwärmenden Geschichten, die sie von Thor kannten, taten wahrscheinlich das Restliche. Als Bruce schließlich durch die Tür trat, sah er deutlich gerädert aus. Seine Haare standen in alle Richtungen ab und er hatte sich diesmal nicht die Mühe gemacht sich erneut anzukleiden. Barfuß, in Pyjamahosen und einem T-Shirt ging er auf sie zu. Um seine Müdigkeit noch etwas zu unterstreichen, gähnte er. „Wisst ihr eigentlich wie sich Schlafentzug auf Menschen auswirkt?“, fragte er. „Konzentrationsschwäche, Hypertonie, Epilepsie, Psychosen, Depersonalisationsstörungen, Wahrnehmungsstörungen, Reizbarkeit, Wahnsinn. Glaubt mir, keiner von euch will, dass ich etwas davon entwickle.“ Pepper machte ihm bereitwillig Platz und er legte die mitgebrachten Sachen auf der Couch um Loki herum ab. „Tony, ich brauche Wasser. Pepper, wärest du so gut und holst neue Kleidung?“, bat er seine Freunde. „Natürlich.“, antwortete Pepper und verließ direkt den Workshop, während Tony sich erhob und im Badezimmer verschwand. Bruce zog sich ein paar Handschuhe an, bevor er nach der mitgebrachten Verbandschere griff und Lokis Shirt damit zerschnitt. „Uh…“, kommentierte er und zog die verklebten Stellen des Stoffs aus der Wunde heraus. Die Fetzen schmiss er einfach auf den Boden vor die Couch. „Das hat vor vier Tagen aber deutlich besser ausgesehen.“ Ein Knoten bildete sich in Steves Hals als er auf die Wunde herabsah. Er hatte sich Lokis Rücken einige Male selbst angesehen. Das hier sah fast so schlimm aus wie zu Beginn. Nicht nur, dass der gesamte Rücken wieder vereitert zu sein schien, die Wundränder hatten sich innerhalb der vier Tage auch wieder ausgebreitet. Die nun ebenfalls sichtbaren über den gesamten Thorax verteilten Narben, deren Ursprung er nicht kannte, machte die Sache nicht angenehmer. „Clints Selbstheilungs-Theorie ist jetzt offiziell kompletter Blödsinn.“, machte Tony sich bemerkbar und stellte die Schüssel Wasser vor der Couch ab. „Ja, scheint so.“, stimmte Bruce zu und fing an mit sterilen Kompressen erst einmal grob und großflächig den Eiter abzuwischen. Immer wieder riss das gereizte Gewebe darunter auf, verursachte Blutungen. Das aggressive Rot unter dem gelblichen Belag stand in starkem Kontrast zu der schneeweißen Haut drumherum. „Was ehrlich gesagt seltsam ist. Ich meine, man sieht noch nicht einmal eine Narbe auf dem Sternum. Er sollte in der Lage sein das hier zu heilen.“ „Er sagte, seine Magie sei damit beschäftigt ihn am Leben zu erhalten. Sein Rücken würde heilen, wenn es so weit sei.“, informierte Tony seine beiden Freunde. Steve konnte sehen wie wenig begeistert er war. „Aber das war ein Tabuthema. Hat mich danach wieder angeschwiegen.“, fügte er noch hinzu. „Das bringt uns an der Stelle nicht wirklich weiter. Wir müssen das hier zunächst jeden Tag machen. Die Infektion scheint ziemlich aggressiv zu sein, wenn sie in dieser kurzen Zeit wieder so groß wird.“, sagte Bruce und begann mit einer gründlichen Säuberung. „Meinst du, du bekommst ihn dazu überredet?“, fragte Steve an den Milliardär gewandt. Außer Tony hatte noch keiner von ihnen einen Zugang zu dem Asgardier. Zugegeben, außer Tony hatte sich auch keiner darum bemüht. Andererseits schien der sich aber auch geradezu darum zu reißen. „Ha! Der war nicht schlecht, Cap. Er hat sich heute früh mit der Kleidung unter die Dusche gestellt. Ich glaube nicht, dass mein Charme ausreicht, um ihn aus seinem Shirt zu bekommen.“, antwortete der Milliardär. „Aber so, wie er sich benimmt, werden wir öfters solche Gelegenheiten bekommen.“ Damit deutete er auf den Bewusstlosen auf der Couch und erntete fragende Blick von seinen Freunden. „Er isst kaum was, er trinkt kaum was und Jarvis hat mir erzählt, dass er auch nicht schläft. Das ist überhaupt kein Wunder, dass sein Zustand wieder schlechter wird.“, erklärte er. „Was soll das heißen, er schläft nicht?“, hackte Steve nach und besah sich ihren Gast erneut. „Keine Ahnung. Ich denke es sind die Albträume. Beide Male, die er eingeschlafen ist, habe ich ihn etwa eine Stunde danach geweckt. Er war jetzt wieder seit gestern um drei Uhr morgens ununterbrochen wach.“, antwortete Tony und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. Sein Blick war fest auf Loki geheftet. Er schien ratlos. „Nun ja, er ist kein Mensch.“, erinnerte Steve ihn. Sie hatten keine Ahnung, was für Loki gut wäre. Das machte es auch äußerst schwierig ihm bei den gesundheitlichen Problemen zu helfen. „Thor und seine Freunde sind aber zumindest ein Anhaltspunkt. Wir wissen zwar nichts von Medikamenten, die wirken könnten, aber das Ess- und Schlafverhalten ist dem unseren doch recht ähnlich.“, gab Bruce zu bedenken ohne von seiner Arbeit aufzublicken. „Außer, dass Asgardier offenbar das Vierfache eines Menschen täglich an Nahrung zu sich nehmen.“, meldete Tony sich erneut. Wieder ein Punkt, der Steve schwer im Magen lag. Das stimmte alles. Ihre asgardischen Freunde hörten in der Regel kaum auf zu Essen und vor Mittag waren sie nicht aus dem Bett zu bekommen. Lokis Verhalten war also wahrscheinlich alles andere als normal. „Nun, wir haben alle gewusst, dass es zu psychischen Störungen kommen könnte.“, erinnerte Bruce sie und betrachtete seine Arbeit vor sich. Wischte noch einmal an den Wundrändern entlang und begann dann mit der Desinfektion. Pepper betrat den Workshop wieder. Sie setzte sich mit der Kleidung in ihren Armen vor die Couch, neben Tony und lehnte sich an ihn. „Wie sieht es aus?“, fragte sie und deutete kurz mit dem Kopf in Richtung des bewusstlosen Asgardiers. „Nicht so super.“, antwortete Tony ihr. „Und was können wir machen?“, hackte sie nach. Betretenes Schweigen machte sich breit. Was konnten sie denn tun? So wie Steve seine Freunde ansah, war nicht schwer aus den Gesichtern herauszulesen, dass sie das genauso wenig wussten, wie er. Keiner von ihnen war Psychologe. Zwar war es ziemlich offensichtlich, dass der Asgardier wohl am ehesten das Gefühl von Sicherheit brauchte, doch er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Das war wohl eine Sache die Zeit brauchen würde. Doch Zeit, schien Loki nicht wirklich im Übermaß zu haben. Pepper verstand die Antwort. Schweigend senkte sie den Blick auf Lokis Gesicht und Tony schlang einen Arm um sie, zog sie näher an sich. Stumm sahen sie Bruce bei seiner Arbeit zu. Steve hatte ein Auge auf Lokis Gesicht. Wenn der aufwachte, würde er ihn festhalten müssen, damit Bruce die Behandlung zu Ende führen könnte. Als schließlich der Verband auf dem Rücken des Mannes befestigt worden war, atmete Steve erleichtert aus. Zum Glück war Loki bewusstlos geblieben. „Okay. Dann lass ihn uns noch umziehen.“, forderte Bruce auf und Steve nahm die Kleidung von Pepper entgegen. Vorsichtig zogen er und Bruce ihn zu Ende aus und kleideten ihn in die mitgebrachten Sachen. Pepper hatte sich für schwarze Sweatpants und ein grünes T-Shirt entschieden. Lockere Sachen, die an keiner Stelle reiben oder drücken würden. „Ich werde ihn hochbringen.“, verkündete Steve schließlich. „Lasst uns hoffen, er schläft dieses Mal länger als eine Stunde.“, kommentierte Tony, stand auf und zog seine Freundin dabei mit in die Höhe. Pepper löste sich von ihm und ging zum Schreibtisch. Sie fing an ein paar der Zettel darauf zusammenzupacken. Offenbar hatte sie sich wieder hier unten mit ihrer Arbeit hingesetzt, während Tony an seinen Sachen herumgeschraubt hatte. Steve nickte Tony zu und hob den Asgardier dann auf seine Arme. Er wog nichts. Es war 4 Tage her, dass er aufgewacht war. Wenn sein Gewicht sich verändert hatte, dann war es höchstens weniger geworden. Keiner sagte etwas als sie zusammen zum Fahrstuhl gingen und sich nacheinander eine Gute Nacht wünschten, als der Fahrstuhl auf den verschiedenen Stockwerken anhielt und dessen Bewohner die kleine Kabine verließen. Im Schlafzimmer angekommen, legte Steve den Asgardier mit dem Rücken nach oben vorsichtig in sein Bett und zog die Bettdecke über ihn. Ein seltsames Gefühl in der Magengegend brachte ihn davon ab das Zimmer gleich wieder zu verlassen. Stattdessen machte er das Licht aus und setzte sich auf den Stuhl, der im Raum stand, richtete seinen Blick auf das blasse Gesicht. Er hatte darauf verzichtet die Vorhänge zuzuziehen. Wenn Loki in völliger Dunkelheit aufwachte, würde er vielleicht sofort wieder durchdrehen. So wurde das Zimmer von den Lichtern New Yorks erhellt und Steve konnte problemlos das schlafende Gesicht betrachten. In diesem Moment fiel es dem Soldaten unheimlich schwer Loki mit den vielen Toten, die er zu verantworten hatte, in Verbindung zu bringen. „Jarvis, in Zukunft sagst du mir Bescheid, wenn Loki Albträume hat und nicht Tony.“ Steve wusste nicht wirklich, ob sein Freund die KI darauf angesetzt hatte ihm zu berichten, wenn der Asgardier Albträume bekam. Doch es hatte vorhin im Workshop so geklungen. „Ich befürchte, ich kann an dieser Stelle Mr. Starks Anweisung nicht einfach ignorieren, Captain Rogers.“, bestätigte die künstliche Stimme, was Steve sich eigentlich schon gedacht hatte. Doch anstelle das Zimmer nun zu verlassen, blieb Steve einfach sitzen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte den anderen Mann weiterhin an. Er folgte mit seinen Augen den Gesichtszügen, von den eingefallenen Augen über die herausstehenden Wangenknochen zu den rissigen, aufgesprungenen Lippen, die sich farblich nicht vom Rest des Gesichts unterschieden. Loki hatte bereits vor 16 Monaten nicht gesund ausgesehen. Thor hatte ebenfalls in einem ihrer vielen Gespräche angesprochen, dass sein kleiner Bruder krank ausgesehen hatte. Dass er nicht immer so blass gewesen war und die dunklen Schatten unter den Augen in der Regel nicht in seinem Gesicht prangten. Besonders wenn Thor betrunken war, hatte es ihn immer wieder dazu gebracht darüber zu sprechen wie sehr er Loki vermisste, wie sehr er das Geschehene bedauerte und ebenso wie unverständlich die Handlungen seines Bruders für ihn gewesen waren. So gerne würde Steve dem Donnergott sagen, dass sein kleiner Bruder hier war. Dass er ihn sehen konnte, ihm helfen konnte. Doch leider würden sie warten müssen, bis Thor sich dazu entschied sie von sich aus erneut zu besuchen. Ein leises Geräusch riss den Soldaten schließlich aus seinen Gedanken. Er konnte sehen, wie Loki die Augenbrauen zusammenzog. Seine Lippen bewegten sich und seine Finger krallten sich in das Laken unter ihm. Erneut erklang das Geräusch. Steve konnte es nicht anders als als Wimmern beschreiben. Leise stand Steve auf und überwand die kurze Distanz. Vorsichtig setzte er sich auf die Bettkante und legte eine Hand auf den Arm des anderen Mannes. „Es ist okay.“, murmelte er. Sachte strich er den Arm entlang. „Du bist sicher.“, fügte er hinzu. „Keiner wird dir hier weh tun.“ Solche Situationen waren Steve nicht fremd. Albträume und Schlafmangel kannte er noch vom Krieg. Viele Soldaten haben schlecht geschlafen. Die schrecklichen Dinge, die sie gesehen hatten, hatten sie selbst in ihren Träumen nicht losgelassen. Er murmelte weiterhin beruhigende Worte und strich seinen Arm entlang. Er strich ihm die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht. Es schien zu helfen. Loki beruhigte sich wieder. Etwas entspannter lehnte Steve sich gegen das Bettgestell am Kopfende. Er würde noch etwas sitzen bleiben, bis er sich sicher war, dass der Asgardier nicht sofort wieder in seinen Albträumen versank. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)