Ein Austausch mit Folgen von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 101: Ein Stück Heimat ----------------------------- Ich saß auf meinem Bett, im Schneidersitz, und sortierte mein Deck. Endlich war ich zufrieden. Ich ging die Karten noch einmal durch. Die Exodia war nach wie vor fixer Bestandteil meiner Strategie, aber ich hatte mir Joeys und auch Yugis Ratschlag zu Herzen genommen, und mir alternative Möglichkeiten überlegt. Mein Deck war stark. Ich würde zweifelsohne eine Weile durchhalten, bevor jemand meine Monster zu Klump schlagen konnte. Kaiba hatte in mir einem Duell (das ich übrigens verloren habe), eine interessante Kombination gezeigt. Der Meteor-Drache hatte nun auch seinen Platz in meinen Monstern gefunden und ergänzte mein Rotauge hervorragend. „Du hast den gleichen Blick wie Seto, wenn er über seine Strategien nachgrübelt.“ Mokuba stand in meinem Zimmer, was mich eigentlich hätte verärgern müssen; ich hatte dem kleinen Quälgeist schon hundertmal gesagt, er möge doch gefälligst anklopfen. Anstatt ihn anzufahren, schenkte ich ihm ein breites Lächeln. „Na, vielleicht sind wir ja doch miteinander verwandt?“, zwinkerte ich dem kleineren Kaiba zu und klopfte neben mir aufs Bett. „Piesacken lässt du dich weitaus mehr als Seto.“ Mokuba streckte mir die Zunge heraus, bevor er sich an mich drückte und mir beim Karten sortieren zusah. „Ich kann dich ja auch weggeben, wenn du zu lästig wirst“, neckte ich meinen kleinen Bruder und zerstrubbelte ihm die Haare. „Alles klar bei dir?“ „Jap“, nickte er. „Wir bereiten natürlich nach wie vor alles für das große Turnier vor, aber ansonsten ist es zur Abwechslung mal ruhig. Seto ist auch deutlich entspannter als letztes Mal.“ „Wie meinst du das?“ „Naja, er hat mehr Ruhe. Natürlich ist da die gewohnte Euphorie und der Drang, sich zu beweisen, vor allem auch um Yugi zu schlagen, aber dieses Mal scheint es so, als wäre er gelassener. Kein Wunder, du bist schließlich auch im Turnier.“ „Und das ist positiv?“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Wenn du gewinnst, steht noch immer Kaiba auf dem Sieg drauf“, zuckte Mokuba mit den Schultern. „Ah ja. Interessante Sichtweise.“ Ich schob mein Deck zusammen und legte es in meinen Nachttisch, bevor ich mich Mokuba vollends zuwandte. „Mokuba, hör mal – wegen der Sache in der VR.“ Ich rieb mir verlegen den Nacken. Das Thema hatten wir eigentlich vermieden, bisher. „Schon gut“, murmelte mein Gegenüber und schlang die Arme um mich. „Sicher?“, fragte ich zweifelnd. „Klar. Du würdest mir nie was tun, das weiß ich. Ich hab dich lieb.“ Ich ertappte mich dabei, wie ich unweigerlich lächeln musste. Hinter der erwachsenen Fassade eines Geschäftsmannes und Organisationstalents verbarg sich noch immer ein kleiner Junge. Irgendwie beruhigte es mich, dass Mokuba, trotz aller Widrigkeiten, an mich glaubte. „Ich dich auch, Mokuba.“ Um meine Worte zu unterstreichen presste ich den kleinen Giftzwerg fest an mich und streichelte ihm behutsam über den Rücken. „Du bist ein fester Bestandteil unserer Familie, weißt du das?“ Wer einmal in Mokubas tiefblaue Augen geschaut hat, der weiß, dass man ihn in diesen Momenten am Liebsten auffressen würde. Der Kleine wusste genau, wie er an das kam, was er wollte. In solchen Augenblicken fehlte es aber an einem Hintergedanken, und das rührte mich zutiefst. Ein kleiner Teil von mir war furchtbar stolz. „Und ihr von meiner.“ Wie lange wir so dasaßen, konnte ich nicht sagen. Nach einer kleinen Ewigkeit lösten wir uns und überspielten den sentimentalen Moment damit, dass wir die Spielkonsole anwarfen und uns gegenseitig das virtuelle Hirn aus dem Schädel prügelten. Ich mochte Mokubas helles Lachen: Er war so unbeschwert und frei, und das, obwohl er Kaibas kleiner Bruder war, und große Verantwortung trug. „Ach leck mich doch“, murrte ich und musste mich davon abhalten, den Controller nicht geradewegs in den Fernseher zu pfeffern. „Übung“, grinste der kleine Frechdachs. „Eher zu viel Freizeit“, schnaubte ich amüsiert und wollte ihn gerade zu einer Revanche auffordern, als es an meiner Tür klopfte. „Herein.“ Eines der Dienstmädchen erinnerte uns daran, dass es in einer halben Stunde Abendessen geben würde. Auf meine Frage hin, was denn heute auf dem Speiseplan stünde, wurde mir nur ein schüchternes Lächeln geschenkt. „So eine tolle Auskunft“, rollte ich mit den Augen und machte mich daran, Mokuba endlich einmal virtuell fertig zu machen. Erfolglos, wie ich anmerken möchte. Das Abendessen stellte sich als eines meiner Leibgerichte heraus: Geschnittene Pfannkuchen in klarer Rinderbrühe, garniert mit frischem Schnittlauch. „Wer von euch ist auf die Idee gekommen?“, fragte ich mäßig interessiert, kurz bevor ich den ersten Löffel im Mund versenkte. „Herr Kaiba war der Meinung, Sie könnten, wie hat er es genannt, heimische Hausmannskost gut vertragen, nach den Erlebnissen der letzten Tage.“ Ich warf dem Butler in seinem Wrack einen fragenden Blick zu, dieser begnügte sich aber mit einem Lächeln. Irgendwie mochte ich den alten Mann. Er war sicher schon über 60, mit einem gepflegten, grauen Schnauzbart, der bereits von ersten weißen Strähnen durchzogen wurde und seiner schütteren Haarpracht. „Und Sie haben damit rein gar nichts zu tun?“, bohrte ich nach, musste aber aufpassen, mich nicht zu bekleckern. Essen und Reden zeitgleich sind miteinander unvereinbare Tätigkeiten. „Vielleicht ein bisschen“, schmunzelte der Alte und verbeugte sich tief. Ich sah mich um. Von Kaiba war keine Spur, und wir waren alleine, mal abgesehen von Mokuba, der sein Essen anstarrte, als wäre es aus Gold. „Warum holen Sie sich nicht einen Stuhl und setzen sich zu uns?“ „Aber, das wäre doch gegen die Etikette, junger Herr.“ „Die lassen wir mal außen vor. Kommen Sie. Und auch das restliche Küchenpersonal kann pausieren.“ Ich begutachtete die Kristallschüssel, in der sich ein Berg aus geschnittenen Pfannkuchen auftürmte. Das war mehr als genug für uns drei. „Wenn Sie darauf bestehen.“ „Tue ich.“ Als er sich endlich zu uns gesellt hatte, und einen Teller Suppe löffelte, begann ich ihn, und auch Mokuba, auszuquetschen. Es stellte sich heraus, dass sein Name Sōsuke Ito war, und er schon für Kaibas Stiefvater gearbeitet hatte. Ein wenig erinnerte er mich an meinen Großvater, wie er so dasaß und seine Suppe löffelte. Der alte Mann wirkte genügsam, freundlich und ehrlich. Davon bekam ich ein wenig Heimweh. „Herr Ito, wie kommt es, dass Sie so genau Bescheid wissen, über meine Leibspeise?“ „Nennen wir es einen siebten Sinn“, lächelte er geheimnisvoll. Nach dem Essen verkrümelte sich Mokuba alsbald (er musste noch einen Aufsatz schreiben), und ich war mit Herrn Ito alleine im Esszimmer. Wir lächelten uns eine Weile lang schweigend an, bevor ich mich räusperte. „Ich hoffe ich bin Ihnen nicht zu nahe getreten mit meiner Aufforderung. Ich weiß nicht, wie sie in der Hierarchie stehen, und ich bin mir sicher, dass Kaiba, ich meine Seto, es nicht gerne sieht, wenn das Personal am Esstisch mitisst.“ „Es war eine sehr nette Geste von Ihnen, Herr Pirchner. Damit fühle ich mich meinen Wurzeln auch ein Stück näher.“ „Wie meinen Sie das?“ Er lächelte verschmitzt und richtete sich sein Oberteil ein wenig: „Meine Großmutter stammt ursprünglich auch aus Österreich, wie Sie.“ „Was?“ Schlagartig hatte ich den alten Mann ins Herz geschlossen, mehr noch als vorhin. Herr Ito war mehrere Male im Heimatland seiner Großmutter zu Besuch gewesen. Wir tauschten uns eine ganze Weile aus, was wir mochten und was nicht (wobei unsere Meinungen teilweise auseinandergingen). „Herr Ito, ich…“, murmelte ich ganz verlegen und wollte mich für seine Aufmerksamkeit bedanken. Obwohl ich mich bei den Kaibas heimelig fühlte, war da doch immer eine gewisse Distanz, vor allem zum Personal. Ich kannte nicht einmal alle beim Namen. „Sch, keine Ursache. Falls es Sie beruhigt, Herr Pirchner, Ihre offene und herzliche Art schätzt das gesamte Personal. Sie sind ein Gegenpol zur reservierten Art von Herrn Kaiba.“ „Das freut mich zu hören“, lächelte ich. „Nun sollten Sie aber zu Bett gehen, es ist schon spät, und Sie haben sicher noch Hausaufgaben zu erledigen.“ „Ehm“, grinste ich und verabschiedete mich. Ein fast normaler Nachmittag war das gewesen, mit einem Stück Heimat und einem neuen Freund. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)