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Ein Austausch mit Folgen

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, das Wichteln ist vorbei, und ich habe wieder mehr Zeit, mich mit dem Schreiben zu beschäftigen.

Dieses Kapitel handelt von einem interessanten Gespräch, das vielleicht sehr große Wellen schlagen könnte. Komplett anzeigen

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Eine interessante Begegnung

Ich wurde durch ein Klopfen an der Tür geweckt. Verschlafen rieb ich mir die Augen und schmiegte mich ein wenig an Joey, der lautstark gähnte. Ein Blick auf die Uhr zeigte 8:30 an, eine äußerst unchristliche Zeit, wenn man die Erlebnisse des gestrigen Tags bedachte. Als es erneut klopfte, murrte der Blondschopf und zog die Decke über uns. Obwohl wir beide in Unterwäsche schliefen, war es doch unangenehm, zumal wir nicht wussten, wer denn da störte.
 

„Wer ist da?“, wollte Joey leicht säuerlich wissen.

„Ich bins“, hörten wir Serenitys Stimme gedämpft durch die Tür. „Darf ich reinkommen?“

„Meinetwegen.“
 

Joeys kleine Schwester war schon angezogen, fix fertig gestylt und lächelte schief, als sie uns beide im Bett antraf.

„Ihr seid aber Schlafmützen.“

Mir lag etwas auf der Zunge, was ich mir aber schlussendlich verkniff.

„Was los, Schwesterherz?“

Serenity setzte sich, ungefragt, an unsere Bettkante. Es wunderte mich, dass Mokuba nicht um sie herumtänzelte. Normalerweise waren beide unzertrennlich.

„Joey, Mum hat mich angerufen. Sie würde dich gerne sehen.“
 

Ich konnte spüren, wie sich Joey unter der Bettdecke verkrampfte. Seine Mutter, die ihn in Japan bei seinem Vater zurückgelassen hatte. Die Frau, die ihm den Kontakt zu Serenity erschwert, wenn nicht sogar verboten hat. Ich konnte seine Reaktion nur zu gut verstehen.

„Ich aber nicht“, antwortete mein Freund leise.

„Joey, hab dich nicht so. Für Mum war es auch nicht leicht…“

„War es nicht? Sehr interessant. Nach Amerika abzuhauen, und sich hier ein neues Leben aufzubauen, war also schwer? Mein Mitleid hält sich in Grenzen – den Sohn beim Säufer zu lassen ist schon eine Glanzleistung.“
 

Natürlich hatte Joey Recht. Ich kannte aber seine Mutter nicht, und bisher wurde das Thema Mrs. Wheeler einfach totgeschwiegen. Mir wäre auch nicht eingefallen, ihn einmal dazu zu befragen. Wenn mein Freund erst einmal abblockte, war es absolut sinnlos, nachzubohren. Serenitys Blick nach zu urteilen hatte sie jedenfalls mit dieser Reaktion gerechnet.
 

„Mokuba und ich treffen uns mit ihr um elf im Hotelrestaurant. Wenn ihr Lust habt, könnt ihr nachkommen.“ Damit verpasste sie ihrem Bruder einen Kuss auf die Stirn, bevor sie uns wieder alleine ließ. Ihre Augenwinkel glitzerten ein wenig.
 

„Schatz?“, fragte ich nach einer Weile der Stille, in der Joey einfach nur auf die geschlossene Tür starrte.

„Hm?“, war seine einzige Reaktion.

„Ich weiß, mich geht das alles nichts an. Du wirst mir schon selbst erzählen, was du für wichtig erachtest, aber ich würde gerne mit dir, oder alleine, hingehen.“

„Wozu?“, fragte Joey und sah mich fragend an.

„Weil ich deine Mutter gerne kennenlernen würde.“

„Damit sich dich dann auch um den Finger wickeln kann wie Serenity?“
 

Ich seufzte innerlich. Entweder war seine Mutter echt so ein Monster, oder er überreagierte einfach.

„Ich denke nicht, dass das passieren wird.“

„Ach ja?“, brauste der Japaner auf.

„Ich glaube, ich habe in den letzten Wochen und Monaten sowohl meine Liebe zu dir, als auch meine Loyalität, mehrfach bewiesen“, entgegnete ich leise, was den Blondschopf zum Verstummen brachte.

„Was versprichst du dir davon?“, wollte er nun deutlich ruhiger wissen.

„Ich habe schon deinen Vater nicht kennengelernt, da möchte ich das zumindest bei deiner Mutter nachholen. Für Serenity scheint sie gut zu sorgen. Vielleicht verstehe ich dann auch ein wenig, was zu dieser Situation geführt hat.“
 

Joey krallte seine Finger in die Bettdecke und wandte seinen Blick von mir ab. Ich konnte erkennen, wie er mit sich selbst rang. Hätte er sich noch auf die Lippen gebissen, wäre das Bild komplett gewesen.

„Damit sie dann ebenfalls über mich herziehen kann, wie der Alte? Mir vorwerfen, dass meine Existenz ein Fehler ist? Dass man sich mit mir in der Öffentlichkeit schämen muss, weil ich schwul bin?“

„Wenn sie das macht, hat sie bei mir natürlich keinen guten Stand.“
 

Um meine Worte zu unterstreichen, drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange.

„Du solltest allmählich wissen, dass sich nichts zwischen uns stellen wird. Niemand wird meine Meinung über dich ändern, außer du selbst. Für mich bist du das Beste, was mir im Leben passiert ist. Ich werde immer zu dir halten.“
 

Ein schwaches Lächeln umspielte Joeys Züge.

„Du machst es einem verdammt schwer, weißt du das?“

„Natürlich“, antwortete ich breit grinsend.

„Von mir aus. Ich weiß aber nicht, ob ich nachkomme.“
 

Ich nickte leicht, bevor ich mich noch ein wenig an Joey kuschelte. Die Zeit, bis ich mich fertig machte, unterhielten wir uns über die anstehenden Duelle. Duel Monsters war ein Thema, mit dem man Joey immer wieder aus der Reserve locken konnte. Dabei stellte er sowohl seine Intelligenz, als auch seinen Einfallsreichtum, unter Beweis.

Als ich mich ins Bad zurückzog, schlug ich ihm vor, er könne sich ja inzwischen mit Yugi treffen.
 

Im Spiegel sah ich Mahad, der mir lächelnd zunickte.

„Es ist richtig, sich mit seiner Mutter zu unterhalten.“

Ich sprang unter die Dusche, rasierte mich, machte mir die Haare und schlüpfte in bequeme Sachen, bestehend aus einem schwarzen Hoodie, schwarzen Jeans und meinen Sneaker. Gestriegelt im Anzug zu erscheinen kam mir falsch vor.
 

Joey hatte inzwischen im Fernsehen einen Zeichentrick gefunden, der ihm zu gefallen schien. Das, oder er lenkte sich sehr gut damit ab. Ich stahl mir noch einen Kuss, bevor ich nach unten in die Lobby ging und von da aus zum Restaurant.
 

Kaiba hatte natürlich ein Hotel gewählt, in dem die gehobenere Gesellschaft zu speisen pflegte. Wenn man noch den roten Teppich ausgerollt hätte, wäre das versnobte Bild perfekt gewesen. Ich bereute es schon fast, nicht in den Anzug geschlüpft zu sein, als ich lautstark meinen Namen hörte. Manchmal fragte ich mich, wie es Mokuba schaffte, seriös aufzutreten, wenn er einmal seinen Bruder vertrat.
 

Beim Tisch angekommen, wurde ich fast umgeworfen, als mir der kleine Kaiba an die Brust sprang. Die anderen Gäste bedachten uns schon mit äußerst fragwürdigen Blicken, was mein kleines Anhängsel nicht zu stören schien. Serenity lachte leise.

„Ich habe gerade erzählt, wie du dich das erste Mal mit Seto duelliert hast. Das war der Wahnsinn!“

„Du bist nicht mal dabei gewesen“, schmunzelte ich kopfschüttelnd.

„Ich kenne aber die Erzählungen!“
 

Mein Blick fiel dann endlich auf die Fremde, die wohl Joeys Mutter sein musste. Sie war eine etwas ältere Frau, mit den ersten Falten im Gesicht. Die Ähnlichkeit mit ihren Kindern war unverkennbar. Joey hatte die rehbraunen Augen und die Nase von ihr geerbt, während Serenity wohl ein deutlich jüngeres Spiegelbild sein durfte. Entgegen meiner Erwartungen lächelte Mrs. Wheeler ob Mokubas Euphorie.
 

Als ich mich endlich von meinem kleinen Anhängsel befreien konnte, hielt ich Serenitys Mutter die Hand hin und stellte mich vor.

„Guten Tag, Mrs. Wheeler. Ich weiß nicht, ob Serenity schon von mir erzählt hat, aber mein Name ist David Pirchner. Ich bin der Freund Ihres Sohnes.“ Bewusst hatte ich Serenity vorgeschoben, Mokuba hatte sicher irgendwelche übertriebenen Storys breitgetreten.
 

Mrs. Wheeler schüttelte mir die Hand und nickte lächelnd: „Ja, das hat sie. Mein Name ist Tomomi. Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

Ich setzte mich neben Mokuba, der unbeirrt fortfuhr, mein erstes Duell gegen Kaiba haarspalterisch aufzuwerten und darzustellen. Die Hälfte davon war maßlos übertrieben, und die andere Hälfte nüchtern betrachtet ebenso. Joeys Mutter lächelte bei Mokubas hanebüchener Geschichte weiterhin und ich hatte sogar das Gefühl, dass sie sich für das Thema interessierte. Das, oder sie war einfach sehr höflich.
 

„Sie müssen sehr mutig sein, wenn Sie sich mit Seto Kaiba anlegen“, schloss sie die Erzählung ab. Mokuba war kurz vor dem Heißlaufen gewesen, als er berichtete, wie sich der Drache seines Bruders mit meinem maß.

„Ich würde es eher unglücklich in die Situation geraten nennen. Mokubas Bruder ist niemand, mit dem man gut Kirschen essen kann.“

„Das haben Sie aber sehr diplomatisch ausgedrückt.“

„Ohne Diplomatie, kann man an Seto Kaibas Seite nicht bestehen“, schmunzelte ich.
 

„Mokuba? Was hältst du davon, wenn wir mal eben nach deinem Bruder suchen? Hat er dir nicht versprochen, mit uns ins Kino zu gehen?“, fragte Serenity.

„Stimmt. Da war was!“

Ein fadenscheiniger Grund, aber immerhin besser als keiner.

„Bis später dann!“, winkten uns beide zum Abschied, bevor sie sich verdrückten.
 

Ein unangenehmes Schweigen trat ein, das schlussendlich durch den Kellner unterbrochen wurde, der unsere Bestellung aufnahm. Ich entschied mich für ein Rumpsteak mit Kartoffeln und Reis, während Misses Wheeler nur einen leichten Salat nahm. Als der Ober dann wieder verschwand, entschloss ich mich, die Stille zu durchbrechen.
 

„Haben Sie die Beiden auf den Trichter mit dem Kino gebracht, damit Sie sich mit mir ungestört unterhalten können?“

Mrs. Wheeler schüttelte lächelnd den Kopf: „Nein, das war wohl Serenitys Idee.“

„Sie haben bisher noch nicht gefragt, wo Joey ist.“
 

Kurz konnte ich einen Hauch Bedauern in den Zügen meiner Gesprächspartnerin erkennen.

„Ich kenne meinen Sohn lange genug, um zu wissen, dass er wahrscheinlich schmollend in seinem Zimmer hockt.“

Da war etwas dran.

„Darf ich fragen, was Serenity Ihnen erzählt hat?“

„Viel. Sie meinte, Joey sei sehr glücklich mit Ihnen und wäre aus sich herausgegangen. Soweit ich richtig informiert bin, ist es Ihnen zu verdanken, dass Joey und Serenity wieder regelmäßigen Kontakt haben?“

Ich hob ein wenig die Schultern an: „Nun, ich denke nicht. Sagen wir, ich habe ihm einen kleinen Stoß gegeben, das ist alles. Ohne Kaibas Hilfe wäre mir das aber auch nicht geglückt. Ich bin nicht sonderlich flüssig, wenn Sie verstehen.“
 

Bisher war mir Joeys Mutter nicht unsympathisch. Sie wirkte ein wenig reserviert, aber nicht unangenehm. Ich hatte sie mir deutlich schlimmer vorgestellt, wie eine Art Hausdrachen mit drei Köpfen.

„Natürlich. Woher soll man in Ihrem Alter auch das Geld für solche Projekte auftreiben?“

„Fragen Sie das mal Kaiba“, antwortete ich trocken.
 

Bis man uns das Essen brachte, unterhielten wir uns über Serenity und Mokuba. Misses Wheeler schien sich ehrlich für ihre Tochter zu freuen und Mokuba auch schon ein wenig ins Herz geschlossen zu haben. Das konnte ich mir bei seiner vereinnahmenden Art auch gut vorstellen.

Ich erfuhr außerdem, dass sie als Grafikdesignerin in einer Werbeagentur arbeitete, was Joeys zeichnerisches Talent erklärte.
 

„Wie geht es meinem Sohn denn?“, wollte Misses Wheeler zwischen zwei Happen wissen. Ich überlegte kauend, was ich antworten sollte. Das Essen schmeckte übrigens vorzüglich.

„Gut. Ich möchte nicht zu viel über sein Privatleben ausplaudern, aber er hat sich den letzten Monaten, wenn ich den Worten seiner Freunde Glauben schenken darf, sehr zum Positiven verändert.“

„Wie hat denn mein Exmann auf Sie reagiert?“
 

Ich kaute erneut nachdenklich. Sollte ich lügen? Joeys Mutter würde ihren Mann wohl besser kennen als ich, daher entschloss ich mich, die Wahrheit bis zu einem gewissen Grad preiszugeben.

„Er war nicht sonderlich begeistert. Wir sind uns persönlich nie begegnet.“

Entgegen meiner Erwartungen bohrte mein Gegenüber nicht weiter nach.

„Stört es Sie denn?“

„Warum sollte es?“, fragte sie und lächelte sanft. Sie schob die Finger ineinander und beobachtete mich beim Essen.
 

„Es ist noch immer in weiten Kreisen verpönt, homosexuell zu sein. Eine Art Stigmata, welches man mit sich herumträgt.“

„Dahingehend kann ich Sie beruhigen. Mir ist es wichtig, dass Joey glücklich ist, ob das nun mit Mann oder Frau an seiner Seite ist, interessiert mich weniger.“
 

Ich war zugegebenermaßen ein wenig ratlos. Nicht, dass ich mit einer Schimpftirade gerechnet hätte, wie beim alten Wheeler, aber ein wenig Abneigung hatte ich schon erwartet. Ich war schließlich kein Japaner, noch dazu aus eher einfachen Verhältnissen (wenn man einmal meine Nähe zu Kaiba außen vor ließ), und entsprach sicher nicht den Wunschvorstellungen eines Schwiegersohns.
 

„Sie haben mit etwas anderem gerechnet, oder?“, fragte sie und hob die Mundwinkel ein wenig an.

„Wenn ich ehrlich sein soll, ja. Nachdem Ihr Exmann so heftig reagiert hat, ging ich von einer gewissen Abneigung mir gegenüber aus.“

„Das kann man Ihnen auch nicht verdenken. Joey wird wahrscheinlich auch nicht sonderlich gut über mich sprechen.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung gewesen.
 

„Das würde ich so nicht sagen. Er hält sich nur sehr bedeckt.“

„Es war jedenfalls ein sehr schöner Zug von Ihnen, sich ein persönliches Bild machen zu wollen.“

Ich rieb mir verlegen den Nacken.

„Wissen Sie, ich hatte bei seinem Vater schon nicht die Gelegenheit. Sie wirkten auf mich vernünftiger, zumal Serenity sehr glücklich scheint.“

„Auch das kann ich verstehen. Was ich aber nicht verstehe ist, dass Sie mir keine Vorwürfe machen.“
 

Ich blinzelte verblüfft. Misses Wheeler hatte den ganzen Satz relativ neutral betont.

„Sollte ich?“

„Wie mir Serenity erzählt hat, leben Sie in einer ähnlichen Konstellation, wie Joey damals und auch heute. Als sein Freund, mit den gleichen Erfahrungen, wäre es nur natürlich, mich zu hassen.“
 

Die nüchterne Art von Joeys Mutter machte mir ein wenig zu schaffen. Ich trug diesen Gedanken nämlich schon eine Weile mit mir herum, hatte ihn aber irgendwo in den Untiefen meines Kopfes vergraben, um ihr eine einigermaßen objektive Chance zu geben.
 

„Vielleicht hatten Sie gute Gründe?“

„Glauben Sie das denn?“

Tat ich das? Ich hoffte es zumindest.

„Ich hoffe es“, antwortete ich wahrheitsgetreu.
 

„Sie sind ehrlich. Das ist ein sehr kostbarer Wesenszug.“

„Ich gebe mein Bestes“, sagte ich und hob die Schultern an.

„Wollen Sie denn gar nicht wissen, warum ich Joey bei seinem Vater ließ? Warum ich mit Serenity nach Amerika gegangen bin? Mir hier ein neues Leben aufgebaut habe?“
 

Natürlich wollte ich das. Ich wollte aber auch nicht unhöflich sein. Außerdem stand es mir nicht zu, dreist nachzubohren. Bisher hatte Misses Wheeler einen sehr netten Eindruck auf mich gemacht. Sie als herzloses Monster anzusehen lag mir mittlerweile sehr fern.
 

„Es interessiert mich natürlich, doch ich glaube, das sollten Sie mit Joey selbst abklären. Für mich zählt, dass es Serenity gut geht, damit auch Joey, und er glücklich ist.“

„Serenity hat nicht übertrieben, als sie meinte, Sie seien sehr reif für Ihr Alter.“
 

Gerade als ich etwas erwidern wollte, vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Joeys Name prangte auf dem Display. Er hatte mir eine SMS geschrieben, er und Yugi würden in das örtliche Einkaufszentrum gehen. Ich legte das Smartphone wieder beiseite. Mich interessierte gerade die Familiengeschichte der Wheelers mehr, oder zumindest mein Gegenüber.
 

„War das Joey?“

Ich nickte zögerlich.

„Ja, das war Joey. Er geht mit Yugi in die Mall.“
 

Mrs. Wheeler war der Schmerz anzusehen, den sie mit sich herumtrug. Tief in meinem Inneren war ich überzeugt, dass sie bedauerte, ihren Sohn in Japan zurückgelassen zu haben. Stand es mir denn zu, über sie zu urteilen? Wo ich doch die Umstände gar nicht kannte?
 

„Darf ich Sie fragen, warum es Sie nach Amerika verschlagen hat?“

Joeys Mutter nickte schwach lächelnd und versuchte die Betroffenheit über die Tatsache, dass ihr Sohn lieber mit seinem besten Freund abhing, als mit ihr, mehr schlecht als recht zu überspielen.

„Wissen Sie, eine gute Freundin von mir lebte damals schon hier. Sie wusste von meiner Situation. Mir wurde praktisch ein guter Job, eine Flucht und auch eine neue Existenz geboten. Ich habe diese Chance ergriffen, auf dem Rücken von Joey.“

Die Stimme von Mrs. Wheeler war fest. Ich hatte mit mehr Tränen gerechnet, oder mit einer Schuldzuweisung an ihren Ex.
 

„Bereuen Sie es?“

Ein kaum merkliches Nicken bestätigte mich in meiner Vermutung. Auch für sie war die ganze Situation damals nicht leicht gewesen. Natürlich wusste ich noch immer nicht ob der Umstände Bescheid, und das wollte ich auch gar nicht, mir reichte es, jemanden vor mir zu haben, der aufrichtig mit einer Entscheidung haderte, die schon weit in der Vergangenheit zurücklag.

„Ich…“, fing ich an, schloss dann aber wieder meinen Mund.
 

„Falls es Sie beruhigt, das Sorgerecht für Joey wurde Ihrem Exmann entzogen.“

Ich wurde mit einem überraschten Blick belohnt.

„Wir haben erwirkt, dass Herr Muto, also Yugis Großvater, bis zu seinem 18ten Geburtstag die Vormundschaft übernimmt.“

„Das freut mich, ehrlich. Solomon war immer sehr nett zu Joey.“

Sie lächelte erneut, tatsächlich.
 

„Das heißt, Sie sind nicht böse, weil wir hinter Ihrem Rücken…?“

„Natürlich nicht. Es war und ist für Joey das Beste“, antwortete mein Gegenüber kopfschüttelnd.

„Wenn er volljährig ist, kann er selbst entscheiden. Er kann dann bei mir leben, sich selbst eine Bleibe suchen…“

„Ich glaube, dass er bei Ihnen in guten Händen ist.“

„Selbst, wenn ich ihn zu mir nach Europa mitnehme?“

Ein schwaches Nicken folgte als Antwort.
 

Mit dieser Art von Entgegenkommen hatte ich auch nicht gerechnet. Insgesamt war das Gespräch mit Joeys Mutter bisher eine positive Überraschung gewesen. Ich glaubte aber auch nicht, dass Joey mich belogen oder gänzlich übertrieben hatte. Wahrscheinlich war in ihrem Leben ein Wendepunkt entstanden, der sie zum Umdenken bewegt hatte.
 

„Es tut mir sehr leid, aber meine Mittagspause ist bald vorbei.“ Damit griff sie nach einem roten Mantel und einer Handtasche, in der sie kramte. Sie zog eine Duel Monsters Karte hervor, die sie mir entgegenhielt.

„Freier Gegendruck“, murmelte ich und drehte sie ein wenig. Sah selten aus.

„Mein Chef ist ein begeistert Duel Monsters Fan, vor allem von Seto Kaiba und Ihnen.“

„Mir?“, lachte ich leise. „Sie müssen nicht lügen, ich empfand das Gespräch auch so als angenehm.“

„Ich lüge nicht. Würden Sie sie bitte Joey geben? Als ein kleines Andenken.“
 

Ich nickte bekräftigend. Wir standen auf und verabschiedeten uns. Mrs. Wheeler übernahm, trotz Protesten meinerseits, die Rechnung. Als ich zurück ins Hotelzimmer ging, dachte ich nach. Sie war weder aufdringlich gewesen, noch hatte sie Fehler nicht zugeben wollen. Auf mich machte Joeys Mutter einen eher vernünftigen, verständnisvollen Eindruck. Sollte das alles nur Show gewesen sein?

Ich strich noch einmal über die Karte und schob sie dann in mein Deck. Dort war sie gut aufgehoben, bis Joey zurückkam. Danach legte ich mich ins Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Ich war unschlüssig, ob ich mich nicht doch einmischen sollte. Am Ende war es aber sowieso Joey, der entschied, und das würde er auch ohne meine Hilfe tun, die Frage war nur, ob er dabei das Richtige tat. Außerdem war mir nicht in den Sinn gekommen, zu fragen, warum sie den Kontakt zwischen den Geschwistern unterbunden hatte, oder war das nur ein Hirngespinst meines Freundes gewesen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Satra0107
2020-02-07T19:09:11+00:00 07.02.2020 20:09
Es geht weiter, wie schön 😊
Ich wäre vor Neugierde geplatzt und hätte mir alles erzählen lassen von Joeys Mama 😅 da ist David wirklich reifer 😉
So ganz schlüssig bin ich mir auch nicht, ob sie eine sympathische Frau ist. Ein bisschen mehr Engagement zum Treffen ihres Sohnes hätte ich schon erwartet...
Bin gespannt ob Joey die Karte annimmt.
Lg Satra
Antwort von:  SuperCraig
07.02.2020 21:23
Ja, ich habe mich bemüht, rasch weiterzuschreiben. ;)

Ich persönlich wäre auch geplatzt. :D Aber ja, da scheint er ein wenig weiter zu sein.

Vielleicht hat sie Joeys Dickkopf einfach hingenommen? Oder hofft, dass noch etwas passiert? Lassen wir uns mal überraschen.

Ich auch, was ein wenig komisch klingen mag, weil ich die FF ja schreibe, aber ich bin unschlüssig. Jedenfalls, finde ich, dass Gerfried und Joey viel gemeinsam haben. Wenn sie erst einmal ihren Panzer loswerden können, der sie einengt, dann entfalten sie ihr volles Potential. Ergreifen beide auch noch das (Schwarze Rotaugendrachen-) Schwert, müssten sie nahezu unaufhaltbar sein.

Ich fand die Idee, Gerfried in Joeys Deck zu packen, und dann noch so auszuformen, mit der Story, die er zum Schwertmeister erzählt, sehr passend. Ohne Handicap würde Joey Kaiba wahrscheinlich mühelos übertreffen, und sogar Yugi/den Pharao in die Schranken weisen.

Danke für deinen Kommi! :)


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