Ein Austausch mit Folgen von SuperCraig ================================================================================ Kapitel 62: Der Morgen danach ----------------------------- Ich wurde durch ein behutsames Streicheln meiner Stirn geweckt. Die Augen langsam öffnend, konnte ich Joey erkennen, wie er neben mir lag, und dabei einige Haarsträhnen aus meinem Gesicht strich. Er wirkte dabei so verträumt und geistesabwesend, dass ich mir nicht ganz sicher war, ob mein Freund nicht doch noch schlief. Die rehbraunen Augen hatten sich an mir festgefressen. So hatte ich Joey noch nie gesehen. War das gestern so schön für ihn gewesen? So wichtig? „Hast du gut geschlafen?“, fragte er mich, und strich mir weiter über die Stirn und durch die Haare. Ich nickte bejahend, und drehte mich dabei zu Joey herum, um ihm einen Kuss aufs Kinn zu geben. „Ich schlafe immer gut, wenn du in meiner Nähe bist.“ Sein Lächeln wurde noch ein wenig sanfter und weicher. „Obwohl ich dir gestern zweifelsohne solche Schmerzen bereitet habe?“ Flüchtig kam mir der gestrige Abend in Erinnerung. Dass es zu meinen schönsten Erlebnissen gezählt hätte, wäre gelogen gewesen. Es schien Joey aber sehr wichtig gewesen zu sein, und ein Teil von mir hatte es schließlich auch gewollt. „Du hast dich bemüht behutsam zu sein, oder?“, fragte ich, und legte eine Hand an seine Wange. Mein Freund drehte sein Gesicht und strich mir mit den Lippen zärtlich über die Fingerspitzen. „Natürlich. Ich könnte dir niemals bewusst weh tun.“ Es beschäftigte ihn dennoch etwas. Das konnte ich aus seinem Blick, seiner Mimik herauslesen. „Joey? Was ist?“ Der Blonde löste sich von meiner Hand und seufzte leise: „Wenn du jetzt hier wohnst, dann…“ Ich konnte mir denken, was ihn störte. „Ich werde Kaiba sicher auch nicht jeden Tag zu Gesicht bekommen. Außerdem bist du genauso Mokubas Freund, wie ich es bin.“ Ganz überzeugt schien Joey nicht zu sein. „Hör mal – hier ist es gemütlicher und ruhiger als bei mir zuhause. Du hast hier genauso einen Rückzugsort, wie bei den anderen. Das Bett ist schließlich groß genug, wie wir gestern bereits festgestellt haben.“ Mein süffisantes Grinsen wurde durch ein gespieltes Boxen gegen meine Schulter quittiert. „Nicht nur das mit Kaiba stört dich, oder?“, fragte ich vorsichtig nach. Joey wirkte dabei, als hätte man ihn bei etwas Unanständigem ertappt. Ich grabbelte nach seiner Hand und verwob sie mit der meinen. „Du weißt, dass du mir alles sagen kannst. War dein Weihnachtsfest bisher nicht schön?“ Mein Freund druckste herum und wich meinem Blick aus. „Schon, doch, sehr sogar, aber…“ Er hielt inne, und ließ sich seitlich aufs Kopfkissen sinken. „Wenn du es mir nicht erzählen möchtest, bohre ich nicht weiter nach. Wir können dir aber nur helfen, wenn du uns lässt.“ Automatisch hatte ich unseren Freundeskreis miteinbezogen, dem sicher genauso viel an Joey lag, wie mir. „Du bist so wunderschön, weißt du das? Dir scheint bisher nichts etwas ausgemacht zu haben. Du bist unter dem gleichen Terror aufgewachsen wie ich, und hast dich doch ganz anders entwickelt.“ Unser Gespräch fing schon einmal vielversprechend an. Er ging aus sich heraus. „Joey, auch in mir gibt es Wunden, die vernarbt sind. Auch ich habe manchmal Momente, wo mich die ganze Situation einfach nur belastet.“ Joey sah mir nun wieder direkt in die Augen: „Was machst du dann?“ Ich lächelte – die Antwort war einfach. „Ich denke an die schönen Dinge, die ich habe. Meine Großeltern, meine Freunde, mittlerweile auch Mokuba und dich.“ Beim letzten Wort huschte ein Lächeln über sein vormals nachdenkliches, ernstes Gesicht. „Es gab eine Zeit, da wäre ich froh gewesen, wenn sie aus meinem Leben verschwunden wäre. Einfach gegangen, und nicht mehr gekommen. Heute ist das anders. Ich versuche, auch an meiner Mutter die positiven Eigenschaften zu sehen. Sie kocht zum Beispiel in nüchternem Zustand hervorragend, und manchmal, da habe ich das Gefühl, dass sie bereut, was sie am Vortag angerichtet hat.“ Zögernd schlug Joey die Augen nieder: „Kann es sein, dass manche Menschen nicht bereuen, was sie im Suff anstellen?“ Ich schüttelte den Kopf: „Das mit Bestimmtheit zu behaupten, kann ich nicht. Zeigt denn dein Vater gar keine Anzeichen von Schuld und Reue?“ Mein Freund überlegte, bewegte dann aber seinen Kopf langsam hin und her. „Wir streiten oft. Dann wirft er mir meist wüste Dinge an den Kopf. Ich sei eine Missgeburt, und meine Mutter hätte uns wegen mir verlassen.“ Ja, das kannte ich auch, zwar in einer anderen Form, aber es war ein sehr ähnliches Muster. Ich strich Joey mit dem Daumen sanft über den Handrücken, während ich sprach: „Wenn er es nicht an dir auslassen könnte, keinen Sündenbock für sein verkorkstes Leben hätte, dann müsste er etwas ändern. Es ist bequemer, die Schuld abzuwälzen, als sich einzugestehen, dass man einen Fehler gemacht hat.“ Wo war der starke Joey aus der VR hin? Der sich reihenweise durch die Monster schnitt? Wie er mich dazu motivierte, meine Angst zu überwinden? „Glaubst du denn, du seist eine Missgeburt?“, fuhr ich nach einer Weile des Schweigens fort, in der wir uns stumm angesehen hatten. „Ich, ich weiß es nicht. Wenn du es jeden Tag hörst, dass du nichts wert bist, dann glaubst du es irgendwann. Ich habe ehrlich gesagt Angst davor, dass er herausfindet, dass wir zusammen sind.“ Tief in mir keimte dieser Verdacht schon länger. Er wollte diesen Saftarsch, der sich sein Vater schimpfte, nicht enttäuschen, nicht noch mehr, als ohnehin schon. „Denkst du, man kann etwas für Gefühle? Für das Geboren sein? Joey, du bist ein wundervoller Mensch, und das sage ich nicht nur, weil ich dich liebe. Yugi, Tristan, Tea, wir alle werden dich doch wohl nicht belügen, oder?“ Ich konnte gerade zu sehen, wie es in Joey zu arbeiten begann. Waren meine Worte aus reinem Mitleid geboren, oder sagte ich doch die Wahrheit? Musste ich zu ihm halten, weil ich sein Freund war? Hielt ich ihn nicht auch für eine Missgeburt? „Schämst du dich denn dafür, mit mir zusammen zu sein?“ Ein Ruck ging durch Joey, und er schüttelte schlagartig den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Ich liebe dich.“ Lächelnd strich ich ihm mit der freien Hand wieder über die Wange. „Warum machst du dir dann Gedanken über jemanden, der dir solche Dinge in einem Zustand an den Kopf wirft, in dem er geistig nicht ganz bei sich ist?“ Ich wusste die Antwort zwar, hoffte aber, dass sie doch anders ausfallen würde. „Weil er noch immer mein Vater ist.“ Mit Mühe konnte ich ein Seufzen unterdrücken. Ich verstand Joey, sehr gut sogar, doch man lebte nicht für seine Eltern, oder Freunde, um diese Stolz zu machen. Jeder hatte sein eigenes Leben, das er so verbringen sollte, wie es ihm am besten erschien. „Hast du ihn denn lieb? Wie einen Vater?“ Zögernd nickte Joey: „Ja, es, weißt du, manchmal, wenn er nur so halb betrunken ist, dann kann man durchaus mit ihm auskommen. Er ist zwar noch immer ein Ekelpaket, aber sanfter als sonst.“ „Wenn ich raten muss, dann schlägt er dich auch?“ Dieses Mal senkte Joey seinen Kopf gänzlich, was mir bereits Antwort genug war. „Warum hast du dich denn nie deinen Freunden anvertraut? Yugi und Tristan hätten es sicher verstanden.“ Mein Freund zuckte schwach mit den Schultern: „Ich schäme mich, dauernd Hilfe annehmen zu müssen. Von dir, von Yugi, Tristan, euch allen. Ich schlafe ja sogar jetzt in einem Zimmer, im Haus von jemandem, den ich abgrundtief verabscheue.“ Mein Lachen riss Joey aus seiner Lethargie heraus. Er war eindeutig überfordert. „Warum lachst du?“, fragte er, mit einer Spur von Ärger in der Stimme. „Joey? Denkst du, ich hätte das hier alles alleine auf die Reihe gebracht? Wer glaubst du, bezahlt die Miete für meine Wohnung? Wie bin ich wohl nach Japan gekommen? Geschwommen? Es ist doch nichts Verwerfliches daran, Hilfe anzunehmen. Es ist auch keine Schwäche, zuzugeben, alleine nicht mehr weiterzukommen, im Gegenteil: Wer einsieht, dass er Hilfe braucht, und sie auch annimmt, der kommt im Leben weiter.“ Ich hatte ihn eindeutig überfordert, beziehungsweise wollte er einfach nicht wahrhaben, dass ich Recht hatte. Mit 14, 15 hatte ich ähnlich gedacht. Ich meinte, mit dem Kopf durch die Wand zu müssen, und allen meinen Willen aufzuzwingen. Wenn das nicht funktionierte, hockte ich mich schmollend in mein Zimmer, und wartete, bis man auf mich zukam. Heute wusste ich, dass es gut war, diese Erfahrung gemacht zu haben, weil ich daraus schlussfolgern konnte, dass es eben doch nicht immer die beste Lösung war, meine Kämpfe alleine auszutragen. „Joey, ich weiß, das klingt jetzt altklug, aber, du wirst das eines Tages verstehen. Ich glaube sogar, dass du es jetzt schon begriffen hast, nur nicht wahrhaben möchtest.“ Joey wollte noch etwas sagen, als es an der Zimmertür klopfte. „Was ist denn?“, murrte Joey, und wurde innerhalb von Sekunden von seiner Schwester ins Bett gedrückt, während sich Mokuba auf mich warf. „Aufstehen, ihr Schlafmützen!“, riefen beide im Chor. Zumindest erging es Joey mit seinem „Geschwisterchen“ ähnlich wie mir. Wir sahen uns beide kurz an, ehe wir das Duo unter unseren Decken begruben. Kichernd versuchten sie sich zu befreien, aber Alter und Muskelkraft war auf unserer Seite. „Gebt ihr Ruhe, wenn wir euch rauslassen?“, fragte Joey, der wirkte, als wäre nichts gewesen. Beide bejahten folgsam die Frage, nur um uns aus der Deckenhöhle heraus wieder zu attackieren. Nach einer guten halben Stunde waren wir geschafft, und scheuchten die Beiden aus dem Zimmer. Mein knurrender Magen tat sein Übriges. „Bereust du es schon ein wenig, dass Mokuba so an dir hängt?“, grinste Joey, und schlüpfte in sein Shirt. Ich warf ihm lachend meinen Pyjama an den Kopf: „Er ist sicher pflegeleichter als Serenity.“ Nach einigen weiteren Sticheleien gingen wir dann endlich ins Esszimmer, wo man an die große Tafel bereits vier Stühle gestellt hatte. Von Kaiba war weit und breit nichts zu sehen. Ich setzte mich hin, und goss mir warmen Kakao in meine Tasse und griff nach dem Müsli am Tisch. Das Frühstück war sehr europäisch, was mir gelegen kam: Zumindest morgens brauchte ich etwas, das mich an Zuhause erinnerte. Serenity setzte sich neben Mokuba, und beide unterhielten sich angeregt darüber, wessen Bruder nun der Coolere sei. Ich biss kopfschüttelnd von meinem Toast ab. Ganz klar war es Kaiba. Er hatte Geld wie Heu, war sicherlich heiß begehrt, und obendrein ein exzellenter Duellant. Serenity meinte, dass es Joey sei, weil dieser so einen starken Willen besaß, und niemals aufgab. „Na und? Das hat David auch! Genauso wie Seto! Beide haben schließlich Pegasus besiegt!“ Mein Blick wanderte zu Joey hinüber, dem das Ganze irgendwie unangenehm zu sein schien. Er starrte lustlos auf seinen Teller, und stocherte im Frühstück herum. „Was habt ihr denn für heute geplant?“, fragte ich das Geschwisterteam, welches uns schlagartig seine ganze Aufmerksamkeit schenkte. „Shoppen!“, riefen beide gleichzeitig. Ich stöhnte. Das konnte wieder heiter werden. Vor meinem geistigen Auge sah ich Joey und mich, wie wir Taschen und Kartons hinter den schnatternden Zwergen herschleppten. Meine Befürchtungen sollten sich schlussendlich auch bewahrheiten. Wir wurden zwei Stunden später von einem von Kaibas Chauffeuren ins Zentrum gefahren, wo wir das große Einkaufszentrum besuchten. Serenity meinte, sie brauche unbedingt etwas für den Sommer, der ja bald vor der Haustür stehen würde. Ich warf Joey einen vernichtenden Blick zu, gepaart mit einem breiten Grinsen – sie war anstrengender als Mokuba. Die Retourkutsche folgte auf dem Fuße: Auch mein kleines Geschwisterchen meinte, er brauche neue Sachen. Gleichstand. Wir schlenderten also, mit Einkaufstüten beladen, durch das Einkaufszentrum. Es war bisher bei einigen Pullis, Hosen, neuen Schuhen und Stiefeln, sowie Schminkzeug geblieben, welches alles auf Mokubas Kappe ging. „Ich glaube, er hat Gefallen an deiner Schwester gefunden“, grinste ich zu Joey, der genervt aufstöhnte. „Bloß nicht. Ein Grund mehr, dass Kaiba über mich herfällt.“ Kichernd beobachtete ich Serenity und Mokuba, die sich angeregt darüber unterhielten, dass sowohl die Jungs, als auch die Mädchen in den jeweiligen Klassen einfach nicht ihr Fall seien. „In eurem Alter habe ich mir noch gar keine Gedanken über eine Freundin gemacht“, riss ich die beiden aus dem Gespräch. Zeitgleich streckten sie mir die Zunge heraus: „Kann eben nicht jeder so lange warten wie ihr.“ Joey sah zu mir herüber und grinste: „Frech sind sie beide, oder?“ Ich nickte: „Allerdings.“ Wir stichelten noch eine Weile jeweils gegen das andere Team, bis es Nachmittag wurde, und man uns wieder abholte. Zum Glück übernahm der Fahrer das Verstauen der Sachen im Kofferraum. Wie er das ganze Zeug eingeladen bekommen hatte, ist mir bis heute ein Rätsel. Wieder in der Kaibavilla angekommen, sprangen die beiden Quälgeister aus dem Wagen und meinten, wir könnten ja gemeinsam eine Runde spielen. Serenity habe mit Mokuba bereits die Beta-Version des Games testen dürfen, an dem Joey und ich synchronisieren durften. Ich seufzte, folgte der Einladung dann aber, mit einem amüsierten Joey, der meinte, er würde uns sowieso alle mühelos aus dem Ring werfen. Nach einigen haarsträubenden Duellen, in denen interessanterweise Serenity und ich, sowie Joey und Mokuba ein Team bildeten (Team Joey hatte gewonnen), war es Zeit fürs Abendessen. Wieder fehlte von Kaiba jegliche Spur. Auf meine Frage hin meinte Mokuba, er wisse auch nicht, wo Seto sich herumtreibe – das sei aber normal für den CEO. Ich war froh, als die beiden sich dazu entschlossen, noch gemeinsam in Mokubas Zimmer fernzusehen, da es für uns etwas Ruhe bedeutete. „Per Luftpost nach Amerika“, kommentierte ich Joeys Grinsen beim Zähneputzen. Unsere Ideen, wie wir die beiden ruhigstellen könnten, wurden immer wahnwitziger, was meist in einem Lachanfall unsererseits endete. Als wir endlich im Bett lagen, kuschelte ich mich geschafft an Joey, der mir noch einen Gute Nacht Kuss gab. „Lieber hüte ich einen Sack Flöhe, als das jeden Tag zu machen“, brummte ich. „Mh, viel Spaß, wenn du hier wohnst.“ Ich verpasste Joey noch einen Stoß mit meinem Ellenbogen, ehe ich geschafft einschlief. 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