Der eine zählt des anderen Tassen von Encheduanna ================================================================================ Kapitel 18: Schade eigentlich ----------------------------- Dass aus diesem Vorhaben wiederum nichts werden konnte, war Lene spätestens am nächsten Morgen klar, als Jakob sie abgeholte hatte und mit ihr zum Sommerdeich hinunterging. Er kam ihr dabei zwar wie ein kleiner Spring-ins-Feld vor, denn er ging mit weit ausladenden Schritten und hüpfte auch ein ums andere Mal über ein kleines Grasbüschel. Doch sie meinte hinter all der zur Schau getragenen Leichtigkeit einen Anflug gespreizter Gezwungenheit zu spüren. Dennoch musste sie grinsen, wenn er leicht hüpfte, da er obendrein den Geigenkasten geschultert trug und dadurch etwas ungelenk wirkt. Nicht zu schweigen von den schwarzen Schuhen mit den Klettverschlüssen, die sich bei dem noch immer andauernden Sandalen-Wetter seltsam ausnahmen. Da er jedoch, ganz dazu passend, eine leichte Jacke und keineswegs kurze Hosen anhatte, meinte sie darin einfach Jakobs Note zu erkennen. Er war so. Eben er, der es vorzog, bei strahlendem Sonnenschein schwarz zu tragen. Wenn da nur nicht das Zähnefletschen wäre, das sie immer dann traf, wenn er meinte, dass ihm ein Sprung außerordentlich gut gelungen sei. Oder, wenn er sie dazu animieren wollte, mitzutun. Aber obwohl sie inzwischen wusste, dass er nicht anders konnte, selbst wenn er gewollt hätte, fiel es ihr schwer, hinter dieser beißenden Grimasse ein Lächeln zu erblicken und so zog sie es vor, den Blick immer dann abzuwenden, wenn er den ihren suchte. Im Übrigen hatten sie sich heute Morgen alles andere als innig begrüßt, was wohl auch daran lag, dass sie sich in der vorangegangenen Nacht immer wieder darüber Gedanken gemacht hatte, wie sich all das entwickeln sollte. Ja, was das hier mit ihm überhaupt darstellte. Und, ganz wichtig, was sie von ihm wollte. Sie hatte ihrer Ansage von letztem Abend also Taten folgen lassen und sich etwas in sich zurückgezogen – war’s aus Vorsicht, nicht wieder in irgendetwas hineinzugeraten, denn davon hatte sie mit Franz genug erlebt, war’s, dass sie einer inneren Stimme folgte, die ihr in der letzten Nacht nicht nur dies Zähnefletschen überdeutlich vor Augen geführt und dazu geflüstert hatte: Ein Mann, der nicht richtig lächeln kann … Ein Mann, der vorgibt, keinerlei Erfahrung zu haben … Ein Mann, der das beim zweiten Date … Treffen … so offen zugibt … Ein Mann, der … Sie hätte kotzen können angesichts all dieser Gedanken, die da auf sie eingestürmt waren. Jetzt, am Morgen, wirkten sie nur noch halb so schlimm und sie brachte eben auch das eine oder andere kleine Lächeln zustande, als sie ihn neben sich hüpfen und springen sah. Dennoch blieb die miese Grundstimmung, die sich eben auch nicht auflöste, als er mit dem Geigenspiel begann und sie sich dazu gezwungen sah, zu tanzen. Aber sie brachte es einfach nicht fertig, auch nur einen Fuß vor den anderen zu setzen. Und so ließ sie sich alsbald im Gras nieder, sah eine Weile auf die flutende Nordsee hinaus und wünschte sich plötzlich, allein zu sein, denn dann könnte sie … Was galten ihr all die wunderschönen Töne in ihrem Rücken, die sie nur gefangen und von dem abhielten, was sie tatsächlich tun wollte. Und dann ertappte sie sich dabei, wie sie überlegte, Jakob einfach zu sagen, dass sie Zeit für sich allein bräuchte. Sie empfand es ohnehin schon als äußert seltsam, dass er sein Spiel nicht unterbrochen hatte. Er musste doch bemerkt haben, dass sie nicht tanzte. Sie senkte den Blick, schloss auch die Augen, lauschte zuerst noch auf die Töne, die sich seiner Geige unermüdlich entwanden, meinte in ihnen alsbald schon keine Struktur mehr zu erkennen und begann auf ihren Atem zu lauschen. Vielleicht, so dachte sie, ist das jetzt der richtige Zeitpunkt, um es mit dem Meditieren zu versuchen … Doch wiederum drang Jakob in ihre Gedanken ein. Seine Präsenz störte sie, ließ sie innerlich beinahe zittern. Was es genau war, wusste sie nicht zu sagen. War es tatsächlich ein Anflug von Abscheu – ausgelöst durch … durch was eigentlich? War es wirklich sein zähnefletschendes Lächeln? Aber er konnte doch nichts dafür. Auch nicht, dass er kaum Erfahrungen besaß. Vielleicht war es aber die Tatsache, dass er so offen damit umgegangen war? Fühlte sie sich überfordert? Aber sie mochte ihn doch. Irgendwie. Ja. Schon. Sie wusste nicht, wie lang sie dort gesessen und aufs Meer gesehen hatte, wusste auch nicht, dass die Musik irgendwann verklungen war und einzig das Rauschen der Wellen an ihr Ohr klang. Sie spürte Jakobs Gegenwart erst wieder, als er sie leise fragte, ob sie mit ihm baden gehen wolle. Sie zuckte leicht, als sie aus ihrer Erstarrung erwachte, sah ihn verdutzt an. Keine Frage, warum sie nicht getanzt hatte. Stattdessen lächelte er und zeigte dabei wieder die Zähne. Doch sie nickte, denn irgendetwas trieb sie dazu. Was? Sie wusste es wiederum nicht zu sagen. Und das verwirrte sie. „Aber ich habe mein Badezeug nicht dabei“, hörte sie sich sagen. „Ich meine Badehose auch nicht“, entgegnete er leichthin. „Es geht ja auch im Schlüpfer. Oder was meinst du?“ „Schlüpfer …“, wiederholte sie und musste unwillkürlich grinsen. Dabei sah sie ihn an – und ihm auch in die Augen. Er stand da vor ihr, leicht nach unten geneigt, so als wolle er sich jeden Moment auf seinen Oberschenkeln abstützen und betrachtete sie. „Ja“, sagte er dann, nach einer kleinen Weile, „Schlüpfer.“ „Na ja“, erwiderte sie daraufhin, „und ich dann eben in Slip und BH.“ Er erwiderte nichts, verzog nur den Mund und zuckte mit den Schultern. „Was?“ Er schwieg, maß sie jedoch weiterhin mit Blicken. „Oder willst du nackt?“, hörte sie sich da plötzlich fragen. Nun war er es, der leicht zuckte und schließlich ein „Na ja“ hervorbrachte. Sie versuchte zu lächeln, entfloh dann seinem Blick und deutete auf die Geige, die er, kaum sichtbar, im Gras hatte liegen lassen. „Was wird mit ihr?“ „Was?“ Er schüttelte den Kopf, schien verwirrt, jedenfalls tanzte sein Blick zwischen ihr und der Geige hin und her. „Die Geige“, fuhr sie fort, „wenn wir beide ins Wasser gehen, dann solltest du sie nicht so offen liegen lassen. Selbst wenn es beinahe ausgeschlossen ist, dass sie jemand wegnimmt.“ „Ach“, machte er. „Und ich dachte …“ „Was dachtest du?“ Sie erhielt keine Antwort, wurde jedoch Zeuge davon, wie er seine Geige einpackte – und dies recht umständlich, wie sie fand. Zumindest benötigte er sehr lang dafür. Als er jedoch wieder zu ihr hinübersah, wich sie seinem Blick neuerlich aus. Warum das nun wieder? Auch das wusste sie nicht zu sagen. Stattdessen begann sie ihre Bluse zu öffnen und dann auch ihren Rock. BH und Slip ließ sie an und stakste so durchs weiche Wollgras der Treppe zu. Und kaum war sie mit halber Wade in der See, wandte sie sich um, auch weil das Wasser sehr kalt war, und sah ihn, wie er im Grase hockte, den Blick auf sie gerichtet und an seinen Schuhen nestelte. Ein kleiner Junge, schoss er ihr durch den Kopf und unwillkürlich musste sie lächeln. „Nun los!“, hörte sie sich rufen, sah dann wieder der Nordsee entgegen, überwand sich und stieg die Treppe vollends hinab. Das Wasser umspielte ihre Hüften und ließ sie gleichzeitig einen ganz leisen Schrei ausstoßen. Verdammt, war das kalt, ja geradezu eisig. Und so verspürte sie erst einmal kein Verlangen, sich weiter ins Meer zu begeben, blieb stattdessen stehen und ließ ihren Blick in die Ferne gleiten, bis sie plötzlich Jakobs Gegenwart gewahr wurde. Er war neben sie getreten und stand ebenso still wie sie. Die Arme hielt er etwas abgewinkelt vom Körper, als wüsste er nicht recht. Und dabei war’s doch das Wasser, das auch ihn ganz leise aufschreien ließ. Und als er sah, dass Lene ihn beobachtete, fletschte er wieder die Zähne, tat einen Schritt auf sie zu. Dabei hielt er den Bauch eingezogen und wirkte leicht verkrampft. War’s der Kälte geschuldet oder dem Moment – sie wusste es nicht, ahnte es nur, denn auch sie fühlte sich seltsam. Und um der Situation zu entkommen, warf sie sich ins Wasser, tauchte unter und tat einige kräftige Schwimmzüge. Dabei aber hatte sie Jakobs Bild deutlich vor Augen – seinen weißen Körper, der wohl in diesem Sommer noch kein Sonnenlicht gesehen hatte. Dazu den leichten Bauchansatz. Als sie wieder auftauchte, hörte sie es hinter sich platschen, wandte sich um, sah Jakob in hektischen Brustschwimmzügen auf sie zukommen. Den Kopf hielt er steil aufrecht über dem Wasser, die Lippen hatte er zu einem O geformt – geradeso, wie der sterbende Fisch, dereinst in seiner Hand. Und doch musste die über diesen Anblick lachen. „Ach Jakob“, rief sie und tauchte erneut ab, um Augenblicke später wieder an der Oberfläche zu erscheinen. Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse, sah Jakob, nun auf dem Rücken liegend, während sein leichter Bauchansatz wie eine winzige Insel aus dem Wasser stach. Und wieder musste sie lachen, schalt sich jedoch sogleich, weil sie Jakob auszulachen begann. Nicht seiner [style type="italic"]Insel[/style], sondern seiner Schwimmkünste wegen. Denn diese beförderten mehr Wasser in sein Gesicht als ihm lieb war, sodass er, sich in einem für seine Verhältnisse lauten Ach ergehend, wieder auf den Bauch legte, den Mund neuerlich zu einem großen O formte und in allzu hektischen Schwimmbewegungen nur allzu langsam vorankam. Darüber hinaus war sein Haupthaar durchnässt und hing ihm in die Stirn. Was blieb Lene da, als neuerlich zu grinsen? Und als er dann auch noch rief: „Na warte, ich kriege dich schon“, konnte sie ihrem inneren Drängen nicht mehr Stand halten und erwiderte: „Lahme Ente!“ „Pah!“, kam’s von ihm. „Ich bin gleich bei dir und dann kannst du was erleben!“ „Was denn?“, fragte sie, tauchte ab und tat einige Schwimmzüge auf ihn zu, damit wenigstens die Illusion eines möglichen Gefangenwerdens gewahrt blieb. Er jedoch antwortete nicht, weil er ganz offensichtlich mit Mund- und Körperhaltung unter und über Wasser so sehr zu kämpfen hatte, dass er alles um sich herum zu vergessen schien. Auch hing ihm sein Schopf ins Gesicht, sodass er kaum etwas sehen konnte. Es war ein schauriger Anblick, den er da bot. Schaurig schön. Zumindest für Lene, die sich plötzlich gelöst, köstlich amüsierte und ihn, um ihn zu ärgern, mit Wasser vollzuspritzen begann. Er reagierte nicht sogleich, konnte ja auch nicht, gab nur ein unartikuliertes Gurgeln von sich, so als ertrinke er. Doch dann schien er sich einen Ruck zu geben, vervielfachte seine Bemühungen und nahm wieder Kurs auf sie. Da sie jedoch wusste, dass sie ihm schnell würde ausweichen können, blieb sie und sah dem Treiben weiterhin zu. Wie er schwamm … ja, es stand einer Lehrerin nicht gut zu Gesicht, sich über das Unvermögen anderer lustig zu machen, doch hier und jetzt war sie keine. Hier war sie Lene und diese Lene sah, wie Jakob, sich wieder und wieder in hektischen Bewegungen ergehend, ein wenig nach vorn glitt, um dann doch zurückzubleiben. Ganz klar, er machte Fehler. Diese jedoch jetzt zu analysieren, war sie nicht hier. Sie war hier um … um … Sie hielt kurz inne, breitete die Arme aus, sah den ankommenden Jakob, der sich, fast wollte sie sagen, wie ein Hund, mühte – und dann, dann war er plötzlich … Sie zuckte, als sie ihn so nah bei sich wusste, gar spürte, doch dann … „Ich bin nackt“, sagte er und zwinkerte. Ob vergnügt oder wegen des Wassers, das ihm in die Augen getreten war – sie wusste es nicht, meinte nur, dass sie der Schlag getroffen hätte. Und einem ersten Impuls folgend, wollte sie von Jakob weg, doch der hielt sie – hielt sie fester, als sie es sich hätte träumen lassen. Und dann begann er sie mit Wasser zu bespritzen, so sehr, dass sie zu husten, zu prusten begann, die Augen zukniff, sich auch die Hände schützend vors Gesicht presste, ehe sie ein: „Na, hast du Angst?“ von ihm vernahm. „Hast du jetzt Angst?“ Sie riss die Augen auf, ungeachtet der Tatsache, dass sie das Wasser noch immer traf, sah, wie sich Jakob erging. Er hatte inzwischen von ihr abgelassen, bespritzte sie jedoch noch immer mit Wasser. Sein Gesicht war rot, er fletschte die Zähne. „Hast du Angst?“ Was sollte sie tun? Den wildgewordenen Wirbel alleinlassen und abtauchen oder … „Ich hab keine Angst, vor dir schon gar nicht, du sinkendes U-Boot!“ Und mit diesen Worten rollte sie heran, grimmig blickend, die Zähne ebenso wie er fletschend. Sie wusste, dass er es mit ihr niemals würde aufnehmen können, wenn sie erst einmal richtig losgelegt hätte, zu gewandt war sie im Wasser. Und so holte sie aus, um ihm einen ordentlichen Schwabs Wasser ins Gesicht zu schleudern. Doch er, nicht minder rege, packte ihre Hand und drückte sie nieder – und nicht nur das: er hielt sie auch weiterhin fest. „Du wirst mich nicht besiegen“, sagte er, plötzlich leiser geworden, und zeigte wieder die Zähne. „Das wirst du nicht können.“ Leicht wütend und doch noch immer verspielt, entriss sie sich ihm und wollte das Weite suchen, um ihn von Ferne aus zu bombardieren, doch er, wiederum äußerst wendig, griff nach ihr. Sie spürte seine Hand auf der Haut, spürte auch, wie sie nach Halt suchend an ihrem Rücken entlangglitt, bis sie plötzlich gefunden hatte. „Hab dich“, rief er triumphierend auf. Und sie daraufhin geistesgegenwärtig: „Du hast meinen Slip – nicht mich.“ „Hab dich“, beharrte er und das stimmte auch, denn wie sollte sie diesem Griff entkommen? Schon war er bei ihr, ganz nah. Und auch wenn er wie ein ertrinkender Frosch neben ihr wirkte, den Slip hielt er fest – und damit auch sie. Sie wusste, dass sie sich nur durch einen Tritt würde befreien können, als er plötzlich sagte: „Ich bekomme alles, was ich möchte.“ „Macho!“, rief sie. „So fühlt sich das also an?“ Zur Antwort streckte sie ihm die Zunge heraus, wusste jedoch, dass dies ein Fehler war, denn er zog sie noch enger an sich heran. Und einen Moment lang zweifelt sie an all dem, was er ihr vorgestern und auch gestern erzählt und dargeboten hatte. Der weiß doch genau … der spielt doch nur …, schoss es ihr durch den Kopf, nur, um sich dann zu berichtigen, als er ihr noch näherkam, ihr einen Moment lang in die Augen sah und ein „Angeschmiert“, murmelte. „Was?“, erwiderte sie. „Ich habe alles an.“ „Na denn“, brachte sie nur matt hervor. „Hast du Angst gehabt?“ „Sollte ich?“ „Hmm“, machte er, „gehört das nicht zum Spiel?“ „Zu welchem Spiel?“ „Zu dem … zwischen uns …“ Und just in dem Moment ließ er von ihr ab und senkte seinen Blick. Schon war sie versucht, etwas zu erwidern – in Lehrerinnenmanier – doch gab sie sich einen Ruck, tauchte unter, tat einige Schwimmzüge, um sich von dieser seltsamen Szene zu entfernen. Jakob war komisch. Und ganz gewiss kein Mann, in den sie sich würde verlieben können. Schade eigentlich, dachte sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)