Unter den Schwingen des Horusfalken 2 von Hotepneith (Die Gefahren des Delta) ================================================================================ Kapitel 1: Unerklärlich ----------------------- Es war relativ kühl im „Monat der Herdfeuer“ in kemet, aber der alte Mann, dessen Amulette um den Hals, wie das der Skorpiongöttin Selket oder auch der Herrin von Sau, Neith, auch ohne seine Tasche verrieten, dass er ein Arzt war, wickelte seinen wollenen Umhang nur fester um sich, damit seine Insignien auch verbergend. Die Dämmerung war hereingebrochen, aber er hoffte, dass der Mann, den er aufsuchen wollte, auch bereits zuhause war. Hekaptah, der Siegler des Königs, dessen Halbbruder, war ein vielbeschäftigter Mann. Erleichtert sah der Arzt, dass eine Sänfte auf der Hauptstraße zu eben dem Haus getragen wurde, das auch sein Ziel war. Voran gingen vier hem-per, Diener des Hauses, Wachen des Lebenden Horus, hier natürlich nur mit langen Stäben um die Menschen zu verscheuchen, hinter der Sänfte die engsten Schreiber, die auch hier im Haus oder dessen Nachbarschaft wohnten. Er trat näher und schob seine Kapuze weg.   Hekaptah war es gewohnt, dass auf seinen Wegen ihn immer wieder Leute um etwas baten, und behielt die Menschen, die vor den Wachen beiseite wichen, im Auge. Es war notwendig, die einfachen Leute anzuhören, die nicht schreiben konnten, sich jedoch an die Gerechtigkeit des Horus wenden wollten. Umso erstaunter war er, als er den Arzt stehen sah. Ramose war der Oberste der Ärzte des Königs, der Älteste des Lebenshauses – wenn der so deutlich auf ihn wartete, konnte es nichts Gutes bedeuten. War etwa etwas mit seinem Halbbruder? Natürlich durfte ein Arzt nicht über seine Patienten reden, aber wenn der Falke zum Himmel flog, würde das das gesamte Land betreffen, die Maat stillstehen, ja, die Sonne nicht mehr aufgehen, bis der Nachfolger den Thron bestieg. So richtete er sich auf, so gut das in der engen hölzernen Sänfte möglich war. „Ramose, alter Freund – komm, begleite mich. Du wirst Gewürzwein bei diesen Temperaturen angenehm finden.“   Eine offenkundig gewünschte, vertrauliche, Unterhaltung war in der gewöhnlichen Empfangshalle nicht möglich und so schickte Hekaptah nicht nur seine Schreiber weg, sondern lud den Obersten der Ärzte in sein Schlafzimmer. Er nahm auf dem abgeschrägten, hölzernen Bett mit vergoldeten Löwenfüßen Platz, rutschte gegen die Fußstütze um nicht abzugleiten und deutete auf den lederbespannnten Hocker. „Nimm Platz. Der Gewürzwein wird gleich gebracht, dann sind wir unter uns.“ „Danke. - Ich finde es immer erstaunlich wie viel Zeit du für jeden findet. Ebenso natürlich wie Sobeknacht, unser tjati.“ „Ich fürchte, mein Bruder sogar noch mehr. Er ist der zweite Mann nach dem Lebenden Horus, und sein Arbeitspensum ist unerschöpflich. Ich hüte dagegen nur die Ernten und deren Verteilung.“ Der Siegler zog sich die Perücke ab und strich über den kahlgeschorenen Kopf. Es war das Gefühl nach Hause zu kommen, nicht mehr unter Beobachtung zu stehen. Der kluge Blick Ramoses musterte den vor ihm Sitzenden. „Natürlich. Und wir dienen alle dem Lebenden Gott kemets, nicht wahr? - Oh, Gewürzwein. Aus Retenu, vermute ich?“ Selten und nur für die königliche Familie zu erlangen. „Ja. - Danke, du kannst schlafen gehen.“ Die Anweisung galt dem Diener. Hekaptah wartete, bis dieser das Türrollo hinter sich geschlossen hatte, ehe er aufstand und hinausblickte. Dann nahm er wieder Platz. „Ramose, der Wein ist aus syrischen Granatäpfeln, da hast du recht. Aber ich vermute doch, dass der Älteste des Lebenshauses mich nicht privat aufsucht, um meine Vorräte zu überprüfen.“ Sie kannten sich seit Jahrzehnten, der Königssohn und der Arztsohn, waren gemeinsam in der Palastschule gewesen, hatten ihre ersten Anfänge in Schwimmen und kriegerischen Übungen zusammen erlebt – und ihre ersten Lieben. „Ich wollte, es ginge nicht um deine Vorräte. Sozusagen. - Was weißt du von den Wirkungen von verdorbenem Fleisch?“ „Es verursacht Krankheit, manchmal sogar Tod.“ Hekaptah zog alarmiert die Brauen zusammen. „Und, es sollte nicht vorkommen. Es gibt die Kühlhäuser im Palast, die Scheunen und Lagerhäuser werden auf Mäuse und anderes Ungeziefer überwacht ...“ Und die wilden Katzen, die sich freiwillig in die Lagerhäuser geschlichen hatten, leisteten vorzügliche Arbeit. „Das stimmt. - Ich habe einige Schüler, aber auch andere Ärzte in kemet wenden sich an mich, wenn sie vor Rätseln stehen. So erlangte ich Kenntnis von einigen sehr eigentümlichen Zwischenfällen, die anscheinend auf verdorbenes Fleisch zurückgehen.“ Der Siegler des Königs atmete durch. „Sage mir jetzt bitte nicht, dass diese Zwischenfälle von Fleisch kommen, das der Lebende Horus Leuten schickte.“ „So ist es, leider. Und das in sechs verschiedenen Orten, alle im Delta.“ Das fiel bedauerlicherweise in seinen Verantwortungsbereich. Und Hekaptah kannte Horus Quahedjet gut genug, um zu wissen, dass der, Halbbruder hin oder her, ihn für Fehler seiner Untergebenen bestrafen würde. „Gab es auch Tote?“ „Sieben bislang. In jedem Ort einer, einmal zwei Kinder.“ „Sicher eine Vergiftung?“ „Die Symptome sprechen dafür. Allerdings, und das ist eben das Seltsame: das Fleisch wurde von verschiedenen Personen gegessen. Aber nur einer jeweils erkrankte und starb daran.“ Hekaptah richtete sich auf. „Das ist unmöglich. Ich sehe, wo das Problem ist. Danke. Ich werde mich mit Anchnefer zusammensetzen. Du weißt, Sobeknacht …“ Der Wesir litt noch immer unter den Toden in seiner Familie, auch, wenn er sich selbstverständlich zusammen nahm und auch keine Medizin mehr benötigte. „Es geht ihm immer besser, ja, er ist noch ein wenig ...“ Der Arzt schwieg. „Nun, ich kann dir die Berichte zukommen lassen. Hier oder im Palast?“ „Rahotep ist doch dein Schüler? Er wurde gerade zum Leibarzt der Königssöhne ernannt. Wenn du ihn entbehren kannst, schicke mir die Briefe doch mit ihm. Ich werde ihn auf diese Spur setzen, und einige andere Leute auch.“ „Natürlich. Ich bin froh, wenn das überprüft wird, ehe noch mehr Leute sterben. Und Rahotep ist intelligent und diskret. Ich vermute, du wirst auch Meruka, deinen Stiefsohn, einsetzen wollen, wenn der Herr der beiden Länder auf einen der beiden Vorsteher seiner privaten Schreiber verzichtet.“ „In der Tat.“ Ramose war sehr schlau, das gab Hekaptah zu. „Und, um ehrlich zu sein, alter Freund, wenn das stimmt, was du erfahren hast, ist das ein großer Verstoß gegen die maat. Wir sollten alle zusehen, dass wir das klären, ehe es noch mehr Leute gibt, die in den Westen gehen.“ Dort, wo die Sonne unterging, lagen auch die Schilffelder des Westens, das Totenreich. „Ich werde Rahotep alle Briefe mitgeben, die ich bekommen habe, und ihm freie Zeit geben, solange er benötigt. Ich selbst werde ihn vertreten, um Fragen zu unterbinden. Soll er in dein Büro im Palast kommen?“ „Nein. Ich bin sicher nach einer kurzen Erklärung meinerseits wird der Lebende Gott kemets meiner Bitte zustimmen und Meruka freigeben. Rahotep soll sich an Meruka wenden. Keine Umwege nach Status und Sitte. Je schneller das geht, desto besser. Oder, bist du anderer Meinung?“ „Ganz und gar nicht, Hekaptah. Und ich bin sehr erfreut, dass du nicht auf deinem Vorrang als Siegler beharrst. Nun, ich kenne dich doch eine Weile. – Der Wein ist vorzüglich.“ „Danke. Ich hoffe, wenn das Problem erledigt ist, können wir uns auch einmal abends im Garten auf einen Wein aus Trauben zusammensetzen, der aus meinen eigenen Domänen im Ostdelta stammt.“ Der Oberste der Ärzte lächelte. „Ich bin fast überzeugt davon. Denn, mein werter, alter, Freund, ich bin ebenso davon überzeugt, dass du mir nicht die gesamte Wahrheit gesagt hast. Nun, im Auftrag des Lebenden Horus, unter dessen Schwingen wir alle leben, er lebe, sei heil und gesund.“ „Er lebe, sei heil und gesund. - Auf dein Ka, Ramose.“ Der alte Trinkspruch auf das, was einen Menschen unsterblich machte. Während der Königsbruder trank, dachte er, dass der alte Arzt recht hatte. Nicht nur Meruka und Rahotep würden an dieser Sache arbeiten, sondern auch die drei Anderen, die sich im letzten Auftrag wieder einmal als nützlich erwiesen hatten. Zum Glück lag eine Eheschließung zwischen Meresanch und dem Thronfolger noch in Monaten entfernt, da die junge Dame aus dem ipet doch noch einiges lernen musste. So konnte sie Meruka zur Verfügung stehen. Ptahnacht als Wache des Königs sowieso, und Nefertari als Wärterin des Apis-Stieres, wie ihr Priesterinnentitel lautete, auch.   In einem in diesen Abendstunden leeren Raum des sogenannten Hauses des Lebens, in dem Patienten geheilt, aber auch Ärzte ausgebildet wurden und lebten, traf sich die Gruppe. Die drei Neuankömmlinge warfen unwillkürlich einen Blick auf die verschiedenen Briefe und Buchrollen, die zwischen Rahotep und Meruka auf dem Boden lagen, nahmen jedoch Platz. Von ihnen konnte nur Meresanch, genannt Merit, lesen. „Guten Abend,“ grüßt der Leiter höflich. „Es handelt sich um ein medizinisches Problem, daher sollte Rahotep anfangen. Ihr werdet kaum euch im Ärztestand auskennen.“ Das entsprach den Tatsachen und so begann der Arzt: „Ramose ist der Älteste des Lebenshauses und Oberster aller königlichen Leibärzte. Und er ist mein Lehrer. In der Ausbildung ist es so, dass man, wenn man zum Schreiber geworden ist, aber Arzt werden will, sich einen Lehrer sucht oder auch zugeteilt bekommt. Ramose war so freundlich mich aufzunehmen. Als solcher Schüler lebt man Tag und Nacht mit seinem Lehrer. Zunächst trägt man nur die Arzttasche, aber man lernt, darf auch selbstständig Verbände anlegen … und wenn der Lehrer meint, man sei reif genug, beginnt die eigentliche Arztausbildung. Ich habe fast drei Jahre mit Ramose gelebt und denke doch, ich kenne ihn. Er ist niemand, der grundlos Alarm schlägt.“ Rahotep atmete durch. „Er ist aber eben auch der Oberste Arzt in ganz kemet und ehemalige Schüler des Lebenshauses wenden sich mit Fragen oft an ihn. Wenn jemand Arzt auf einer Baustelle ist oder in einer Mine, oder auch in einer Stadt, so hat er seine eigenen Papyrusrollen mit Behandlungen und Medikamenten dabei, aber natürlich nicht alle, die hier in der Bibliothek sind. Das läuft so, wenn eine solche Anfrage kommt, überprüft der zuständige Bibliothekar, ob es zu der Frage eine Buchrolle gibt und lässt diese dann abschreiben und schickt sie zurück. Nur zu Dingen, zu denen es nichts gibt, wird Ramose selbst befragt. Soweit ich weiß, liest er, antwortet, wenn er jedoch keine Antwort weiß, legt er den Brief beiseite. Diesen Stapel arbeitet er immer wieder durch, auch, um mit Kollegen zu reden. So fiel ihm vor einigen Tagen auf, dass er aus verschiedenen Orten, von verschiedenen Ärzten, die gleiche Anfrage erhalten hatte. - Es gibt eine Krankheit, die ab und an vorkommt, aber stets tödlich ist. Vermutlich liegt es an unsauber eingelegtem Gemüse oder verdorbenem Fleisch. Die Menschen, die davon gegessen haben, bekommen Fieber, Übelkeit und sie ersticken schließlich. Eine Krankheit, wo jeder Arzt sagt, es ist eine, die man nicht behandeln kann. Oft stirbt die gesamte Familie. Solch eine Krankheit ist selten, aber sie kommt leider immer wieder vor. In diesem Fall jedoch handelt es sich um eine Krankheit mit diesen Zeichen – aber nur eine Person bei Tisch wird krank und stirbt, alle anderen sind unversehrt. Manche der anfragenden Ärzte vermuten einen Dämon der Sachmet dahinter. Das mag sein, aber es bleibt die Frage: warum nur einer.“ „Diese Todesfälle,“ übernahm Meruka: „Und die entsprechenden Anfragen dazu, gab es bislang in verschiedenen Orten im Delta. Sieben Todesfälle wurden Ramose bekannt. Was leider nicht bedeutet, dass es alle sind. Wenn es sich um Dörfler handelt, so wird kaum ein Arzt davon erfahren. Aber Tatsache ist, dass diese sieben Toten alle in Städten wohnten und alle Mitglied der Familie des Stadtoberhauptes waren, Männer, Frauen, Kinder.“ „Die Bürgermeister und Stadtvorsteher haben natürlich Zugriff auf einen Arzt,“ meinte Ptahnacht. „Und dass es doch eine andere Krankheit ist?“ Rahotep zuckte die Schultern. „Jeder Arzt lernt als erstes eine sorgfältige Analyse der Symptome, um sein Urteil fällen zu können. Es müsste eine Krankheit mit identischen Symptomen aber anderen Folgen sein, von der noch nie jemand gehört hat.“ „Ja, und wieso nur im Delta?“ Merit sah zu dem Arzt. „Wir haben den Monat der Herdfeuer, das Wasser des Iteru ist zurückgegangen, es ist trocken und die Mücken sind weniger als gleich nach der Überschwemmung.“ „Es ist die angenehmste Jahreszeit im Delta, das stimmt.“ Jetzt wurden auch die Herden aus Mittel- zum Teil sogar Oberägypten auf die reichen Weiden des Delta getrieben, teilweise waren sie Wochen unterwegs. Aber es zahlte sich aus. Die Fruchtbarkeit und das Fleisch stiegen deutlich an. „Rahotep,“ begann Nefertari ein wenig zögernd, da man einen Arzt eigentlich nicht kritisieren sollte. „Wenn es eine Krankheit ist, die ihr kennt – warum könnt ihr sie nicht behandeln?“ „Weil wir keine Götter sind, liebe Nefer. Es gibt, das wisst ihr alle, nach der Diagnose nur drei Dinge, die ein Arzt als Verdikt sagen kann: eine Krankheit, die ich heilen werde – und das wird auch so geschehen, denn die Erfolgsaussichten nach allem, was man gelernt hat, sind gut. Dann gibt es eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde, das ist eine Krankheit, bei der die Erfolgsaussichten nicht so gut stehen, aber es genügend Leute in der Vergangenheit gab, die es überlebt haben, und das Letzte: eine Krankheit, die man nicht behandeln kann, denn soweit bekannt ist, hat das niemand überlebt. Natürlich geschehen auch dann manchmal Wunder, aber ein Arzt lügt seinen Patienten nicht an, sondern versucht ihm sein Leiden zu mildern. Mehr kann man dann nicht tun. In dem Fall der Lebensmittelvergiftung – in diesem, sehr seltenen, Fall kann man nichts tun. Es gibt eine andere Form der Vergiftung, im Getreide, tescheref, genannt. Die Leute, die von diesem Getreide essen, bekommen Halluzinationen, wirre Träume, manchmal rasen sie – aber dann lässt dieser Rausch der Sachmet nach und sie sind zwar erschöpft, aber leben. Manchen müssen allerdings abgestorbene Finger oder Zehen amputiert werden. Nur sehr wenige sterben, und die meist an Geschwüren der Haut und Fieber. Auch hier wird nicht behandelt, denn niemand weiß, was dagegen zu tun ist, aber man weiß, dass die Menschen überleben. Natürlich versucht man es mit Sellerie und anderen Pflanzen, alles, was gegen eine Seuche der Sachmet hilft, aber … Nun ja. Man kann Menschen nicht verbieten Weizen oder Gerste zu essen. Übrigens, in diesem Fall, ist oft eine ganze Dorfernte betroffen und wenn es vorkommt leidet ein komplettes Dorf. Auch hier, keine Einzelfälle.“ „Einzelfälle sehen eigentlich nach etwas anderem aus.“ Ptahnacht blickte zu seinem Vorgesetzten. „Könnte es sein, dass die Fälle nichts miteinander zu tun haben – und rein zufällig Giftmorde sind?“ „Dazu müssten man die gleichen Symptome entwickeln.“ Aber Meruka sah zu dem Arzt. „Rahotep?“ Dieser schüttelte den Kopf. „Dazu müsste jemand nicht nur wissen, wie man die Symptome dieser Vergiftung künstlich hervorruft, und das kann kein Arzt, sondern auch noch dieses Wissen quer über das Delta verbreitet haben. Es gibt einen Vorfall in Chem, leider auch meinen Onkel in Sau, zwei Kinder in Per-Bast, eine Tote in Pe und Dep, einen Mann in Djedu und ein Kind in ...“ „Lass nur, ich habe verstanden.“ Ptahnacht dachte kurz nach. „Aber das würde doch auch bedeuten, wenn da jemand so etwas herausgefunden hat, hat er die perfekte Mordmethode entwickelt, denn kein Arzt kann sie heilen, oder?“ „Um ehrlich zu sein, wir denken eher ...“ Mit diesem Satz verriet Meruka, dass er mit dem Siegler des Herrn der beiden Länder die Lage bereits besprochen hatte. „Dass es vermutlich zu irgendeiner Nachlässigkeit in der Lieferung gekommen ist. Diese Nachlässigkeit sollen wir herausfinden. Dazu ist es notwendig, zunächst einmal zu sehen, woher die jeweiligen Lieferungen der tödlichen Speisen kamen, wer sie in die Hand bekam und anderes. Wir werden morgen früh Richtung Norden aufbrechen und abends in Chem sein. Der dortige Stadtvorsteher heißt Anchsachmet, seine Ehefrau Merithor starb. Wir haben für morgen und alle anderen – denn wir reisen nach Sau und dann Pe und Dep weiter - den Vorwand, dass Merit vor ihrer Eheschließung noch alle möglichen Tempel des Landes besuchen soll. Dazu begleite ich als Vorsteher der privaten königlichen Schreiber sie, ein königlicher Leibarzt, ein Wächter, und du, meine liebe Nefer, wirst als ihre Dienerin durchgehen.“ Er lächelte etwas. „Du weißt sehr gut, dass Diener untereinander oft mehr reden.“ Die junge Frau aus Abu nickte. „Ja, ich weiß.“ Aber sich unter die doch Neue unterzuordnen... Nun ja, Das war die künftige Gemahlin eines lebenden Gottes. Der Vorsteher der Schreiber blickte zu dem Mädchen aus dem ipet: „Hast du noch Fragen, Merit?“ „Ja. Ihr sagtet, die Toten gab es in Chem, in Sau, in Pe und Dep, aber auch in Per-Bast und Djedu. Diese Städte, also, die beiden Letzteren, liegen an einem der östlicheren Arme des Flusses. Der Palast der Harpunierenden Horus und seine Domänen versorgen zwar viele, aber doch eher mehr an den beiden westlichen Armen des Iteru.“ „Das ist eine der Sachen, die wir herausfinden müssen,“ gab Meruka zu. „Der Fehler kann auf einer Domäne passiert sein, in den Kühlhäusern des Palastes, aber auch auf dem Transport auf dem Iteru. Und in dem schlimmsten Fall, den ich mir vorstellen kann, ist ein Bootsführer oder ähnliches erkrankt ohne es zu wissen und steckt alle Lebensmittel an, mit denen er in Berührung kommt. Das würde die räumlichen Abstände zwischen den Toten erklären, ebenso wie die Tatsache, dass alle betroffenen Familien zwar auch alle Domänen haben, aber doch auch von denen des Herrn der beiden Länder beliefert werden.“ „Was aber auch bedeutet,“ nahm Rahotep den Faden auf: „Dass es weitere Opfer bereits gegeben hat und noch weiter geben wird. So gesehen sollten wir hoffen, dass es sich um eine einmalige Nachlässigkeit gehandelt hat, die nie wieder vorkommt. „Lausige Zeiten,“ murmelte Ptahnacht. „Schön, ich packe alles.“ „Ja. Wir treffen uns morgen bei Sonnenaufgang am Nordhafen. Ein Schnellruderer mit vierundzwanzig Mann wird uns nach Chem bringen. Befehl des Lebenden Horus.“ Das bedeutete, dass Meruka für diese Fahrt wahrlich von allerhöchster Stelle gedeckt war – und Papiere mit sich trug, auf denen, neben der Petschaft der königlichen Kanzlei, auch der Vermerk befestigt war: gesiegelt in der lebenden Gegenwart des Herrn der beiden Länder. Widerspruch war undenkbar, gleich, was er fordern würde. Nefer fragte auch nur: „Zur Sicherheit nehme ich die große Kiste mit, oder?“ „Ja.“ Darin befanden sich auch allerlei Schmuck- und Schminksachen, die ihrer Rolle nicht angemessen wären – aber für ihre männlichen Partner bestimmt waren. Allerdings auch ein sehr scharfes Obsidianmesser, dessen Gebrauch sie sich vor einigen Jahren angewöhnt hatte – und in Übungen mit Ptahnacht verfeinert hatte. Nie wieder wollte sie das Opfer eines Mannes werden. Und, das gab sie zu, eines Tages würde sie diesen Mistkerl für seine Untat an ihr vor die Götter fordern. Seit sie für den mächtigen Apis, der Verkörperung der Seele des Ptah, singen und tanzen durfte, flehte sie ihn um Gerechtigkeit an. Nachdem der Lebende Horus ihr jetzt jedoch ein Grab in seinem Heiligen Bezirk bewilligt hatte, würde sie ewig unter dem Schatten seiner Flügel leben – und sie würde dafür sorgen, dass dieser Minenaufseher, gleich, wie teuer er sein Grab erbaut hatte, das sicher nicht tun würde. Sollte das ewige Nichts ihn verschlingen!   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)