The Diary of Mrs Moriarty von Miceyla ================================================================================ Kapitel 2: Vom Nehmen und Geben ------------------------------- In London herrschte raues Wetter. Eine Woche war mittlerweile vergangen, seitdem Scotland Yard den Mörder gefasst hatte. `Junge Lady hilft der Polizei den Täter zu fassen` Mit einem Schmunzeln las Miceyla den Titel in der Zeitung. Kurz warf sie einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass sie keine Zeit zum Träumen hatte. Es standen noch Besorgungen an. Nachdem sie mit der Wäsche von der alten Dame fertig geworden war, eilte sie los. Am frühen Morgen hatte sich Mrs Green über eine leichte Erkältung beschwert, daher schlug sie vor ein paar Medikamente zu besorgen. „Guten Tag.“ Miceyla betrat das Geschäft für Arzneimittel. Da der Verkäufer in ein Gespräch mit einem Kunden vertieft war, stöberte sie um selbst etwas Passendes zu finden. `Mal sehen…` Sie ging eine Vielzahl von Angeboten durch. „Entschuldigung, kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“, bot ihr höflich der junge Mann, welcher bis vor kurzem noch mit dem Verkäufer gesprochen hatte, dessen Hilfsbereitschaft an. Blonde kurze Haare zierten sein jugendlich wirkendes Gesicht und ordentlich gekleidet war er. „Vielen Dank, das ist sehr freundlich. Nun, ich soll eine Erkältungsmedizin für eine ältere Dame besorgen. Es ist aber lediglich ein leichter Husten und Schnupfen“, erklärte sie ihm dankbar. „Also wenn das so ist, kann ich diese Salbeitabletten hier empfehlen. Und selbstverständlich ausreichend Tee zu trinken“, meinte er und holte ohne langes Suchen, eine kleine Dose gefüllt mit Tabletten aus einem der Regale hervor. „Ah, wunderbar! Die wirken ziemlich gut, haben mir selbst schon geholfen. Danke für Ihren Rat.“ Lächelnd nahm sie die Tablettendose entgegen. „Oh, ich vergaß mich vorzustellen. Ich bin John Watson und Arzt“, stellte er sich vor und erwiderte ihr Lächeln. „Freut mich, Doktor Watson. Ich heiße Miceyla Lucassen.“ Voller Überraschung weiteten sich seine Augen. „Oh! Sie sind die junge Dame, welche den Mordfall neulich in der Stadt gelöst hat! Sherlock hat mir von Ihnen erzählt“, berichtete John voller Begeisterung. `Ha, ha, bin ich jetzt eine Berühmtheit in London? Aber woher weiß Sherlock meinen Namen? Wir haben uns einander doch gar nicht vorgestellt…seltsam…`, grübelte Miceyla verwundert. „Ich habe es noch gar nicht erwähnt, Sherlock Holmes und ich teilen uns seit geraumer Zeit eine Wohnung und ich unterstütze ihn bei seinen Ermittlungen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Sie sehr gerne auf eine Tasse Tee bei uns Zuhause einladen. Heute Nachmittag liegt nichts mehr an, daher wäre es recht passend. Natürlich nur wenn es Ihnen keine Umstände macht“, lud er sie herzlich ein. `Was für ein liebenswürdiger Mensch. Abgesehen von der Medizin die ich noch kaufen muss, hätte ich den restlichen Tag ebenfalls frei… Aber Moment mal…Zu Sherlock nach Hause, bin ich überhaupt angemessen gekleidet?` Ein wenig unsicher blickte sie an sich hinab, jedoch kam sie zu dem Schluss, dass sie seine freundliche Einladung nicht ablehnen konnte. „Einverstanden, es ist mir eine große Ehre, mich mit Ihnen beiden unterhalten zu dürfen. Liebend gern statte ich Ihnen heute einen Besuch ab“, willigte Miceyla rasch ein und Aufregung spiegelte sich in ihren Augen wider. „Das ist großartig! Dann bringen Sie am besten noch vorher die Tabletten bei der Dame vorbei. Ich begleite Sie, wenn Sie möchten“, bot der junge Arzt ihr an und beide liefen nach dem Einkauf gemeinsam los. Nachdem sie die Medizin erfolgreich abgeliefert hatten, machten sie sich auf den Weg zu jenem Haus, in dem er zusammen mit Sherlock wohnte. „Da wären wir, die Baker Street 221B.“ John ging voraus um Miceyla höflich die Tür zu öffnen. „Ich bin wieder da und habe einen Gast mitgebracht“, kündigte er sie beide an. Langsam trat sie hinter ihm ins Haus und sah sich neugierig um. Von weiter oben hörte sie aufgebrachte Stimmen, anscheinend fand dort gerade ein Streit statt. Miceyla folgte ihm die Treppe hinauf. „Langsam bin ich Ihre etlichen Ausreden leid! Verspätete Miete, das Zimmer ist ein Saustall! Denken Sie doch auch mal ein wenig daran, wie ich mich dabei fühle! Wo soll das nur enden?“, schimpfte eine jung aussehende Frau verärgert und fuchtelte dabei wild mit den Armen umher. „Das erinnert mich an unser reizendes Gespräch von vorgestern, wo ich bereits erwähnte, welche Maßnahmen ich ergreifen werde“, versuchte Sherlock sich genervt rauszureden, es war ihm anzusehen, dass er der Situation unbedingt entfliehen wollte. `Auweia…` „Ha, ha…ähm, vielleicht kommt mein Besuch doch etwas ungelegen…“, meinte Miceyla, ihr war unwohl zumute, mitten in ihren Streit reingeplatzt zu sein. John kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Nun ja…das ist bei uns der normale Alltag. Ich hoffe dies erschreckt Sie nicht all zu sehr“, sprach er entschuldigend. Da wurde Sherlock hellhörig und entdeckte Miceyla. Sofort entspannte sich sein Gesichtsausdruck und er war sichtlich froh, über eine ihm gelegen kommende Ablenkung. „Oh, sieh an wen wir hier haben! Wenn das nicht unsere Marktplatzmordheldin ist!“, begrüßte dieser sie breit grinsend. Sie konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen. „Also Sherlock! Wie redest du denn mit der jungen Lady!“, griff John empört ein. „Bitte wer ist dieses Fräulein, was hier einfach mir nichts, dir nichts reinplatzt?“ Jetzt beäugte die junge Frau sie misstrauisch, die wahrscheinlich etwas älter war als sie selbst und baute sich bedrohlich vor ihr auf. „Verzeihen Sie mein Eindringen. Ich bin Miceyla Lucassen. Mr Watson hat mich zum Tee eingeladen“, stellte sie sich rasch vor, ehe es noch zu weiteren Missverständnissen kam. Dies schien die Frau allerdings kaum zufrieden zu stellen. „Sie hat mir die Arbeit bei einem Mordfall abgenommen. Die Polizisten haben ganz schön blöd dreingeschaut, ha, ha“, fügte Sherlock hinzu und lachte bei der Erinnerung an jenen Tag. „Ist dem so? Dann entschuldige ich mich für mein unhöfliches Benehmen, Miss Lucassen. Ich bin hier die Vermieterin, Mrs. Hudson. Freut mich Sie kennen zu lernen.“ Nun nahm ihr hübsches Gesicht eine freundliche Miene an. „Geht doch schon mal hinein, ich bringe gleich den Tee und Gebäck.“ Mit diesen Worten lief Mrs. Hudson die Treppe hinunter. „Kommen Sie, nicht schüchtern sein. Machen Sie es sich bequem und fühlen Sie sich ganz wie zu Hause“, sprach Sherlock während er sein Wohnzimmer betrat und forderte sie mit einer Handbewegung auf reinzukommen. John schloss sich ihr lächelnd an. Sofort umhüllte sie ein penetranter Zigarettengestank und schluckte geschockt. Dazu kam das überall verstreut, suspekt aussehende Gerätschaften verstreut lagen, welche nach eigens entwickelten Experimenten aussahen. `Oh Mann und ich habe mir allen Ernstes Gedanken über mein äußeres Erscheinungsbild gemacht… Gegen die Bude hier, wirke ich wie eine vornehme Lady aus gutem Hause. Ha, ha, ist ein Witz. Und die Luft hier ist nicht gerade Gesundheitsfördernd…`, dachte Miceyla belustigt. Alle drei setzten sich an einen kleinen Tisch. Schmunzelnd betrachtete sie den überfüllten Aschenbecher. „Ich hätte eventuell einmal vorher lüften sollen. Sie müssen wissen, wir bekommen nur selten weiblichen Besuch. Ganz abgesehen von…“, Sherlock brach ab und tauschte einen geheimnisvollen Blick mit John aus. „Ha, ha, nun das ist richtig. Ich finde es übrigens ganz reizend, wie Sie sich um die ältere Dame kümmern. Sie sind noch ziemlich jung, bestimmt noch unter zwanzig“, änderte John rasch das Thema. „Nein, sie ist schon was älter. Das merke ich an ihrer Ausdrucksweise“, berichtigte Sherlock ihn und zündete sich dabei eine Zigarette an. „Es stimmt, ich bin bereits zweiundzwanzig. Ich helfe ja wirklich sehr gerne anderen Menschen, jedoch kann Mrs Green eine schreckliche Kratzbürste sein. Hach…nicht mal in Ruhe schreiben ist mir vergönnt“, machte sie ihren Frust Luft. Die Augen von John begannen erwartungsvoll zu funkeln. „Oh! Sie schreiben auch? Ich bin der Autor von den Sherlock Holmes Erzählungen. Sicherlich wissen Sie darüber Bescheid. Ich würde mich freuen, wenn wir uns ein wenig austauschen könnten“, bat der junge Arzt, welcher sich nun auch noch als Schriftsteller entpuppte und war sogleich Feuer und Flamme. „Aber gewiss kenne ich Ihre Werke, sie sind unglaublich spannend und unterhaltsam! Ich selbst habe bereits eine längere Abenteuergeschichte fertiggestellt und schreibe viele Gedichte. Mein Wunsch ist, dass die eigenen Gefühle andere erreichen und etwas bewegen. Beim Schreiben sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, alles ist möglich“, begann sie und freute sich wie ein kleines Kind jemanden gefunden zu haben, der ihre Leidenschaft fürs Schreiben teilte. „Na da haben sich aber zwei gefunden“, kommentierte Sherlock scherzhaft. Im selben Moment kam Mrs Hudson und brachte den Tee, gleich darauf verließ sie wieder den Raum. „Haben Sie vielen Dank, Mrs Hudson“, dankte Miceyla lächelnd und setzte anschließend ihre Unterhaltung mit John fort. Nach einer Weile räusperte Sherlock sich, um Aufmerksamkeit zu erregen. „Ha, ha, tut mir leid Sherlock, Sie sind ja auch noch hier. Ich hätte meinen Enthusiasmus etwas zügeln sollen“, entschuldigte sie sich sofort nach dessen Unterbrechung. „Ach, das ist schon in Ordnung. Eine kleine Abwechslung tut John mal gut. Er kann ja nicht ständig von mir gequält werden. Doch interessiert es Sie denn gar nicht, wie der Fall in der Innenstadt wirklich ausgegangen ist? Die meiste Aufmerksamkeit gilt den Morden von dem Meisterverbrecher, da wird so ein belangloser Fall schnell verdrängt“, meinte Sherlock und sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich. `Der Meisterverbrecher…` Seit einiger Zeit wurde London von mysteriösen Morden an Adeligen heimgesucht. „Wie wahr… Ich glaube nichts hat Sherlock jemals so sehr beschäftigt, wie der Meisterverbrecher. Es sind dem Anschein nach, mehrere Personen die verborgen im Hintergrund agieren“, fügte John bitterlich hinzu. „Was er wohl mit seinen Taten bezwecken will? Die alleinige Aufmerksamkeit der Bevölkerung? Existiert das perfekte Verbrechen? Wie lange geht das noch so weiter? Jedenfalls ist er ziemlich raffiniert… Haben Sie eine Vermutung wer der Täter sein könnte, Sherlock?“, forschte Miceyla neugierig nach, aber ihr war es klar, dass selbst er darauf bislang keine Antwort wusste. „Die Frage sollte eher sein, wie ich diese Information einsetzen würde, um ihn bloß zu stellen. Und meine Liebe, seien Sie vorsichtig mit Ihrer Bewunderung für seine Taten, auch wenn diese selbst mich nicht unbewegt lassen“, warnte Sherlock und zeigte grinsend mit dem Finger auf sie. `Er ließt meine Gefühle anscheinend von meinem Gesicht ab, huh?`, dachte sie belustigt. „Dann lebe ich besser in Ehrfurcht vor diesem angsteinflößenden Bösewicht!“, sprach sie übertrieben dramatisch und brach zusammen mit Sherlock in einem schallenden Gelächter aus. „Nun denn, wo waren wir stehen geblieben? Der Mörder wurde bei Scotland Yard verhört. Viel hat er nicht preisgegeben und hat es geschafft, in der Zelle Selbstmord zu begehen. In seiner Ledertasche fand man ein großes Küchenmesser, das speziell zum Zerlegen von Fleisch gedacht ist. Nur wie kommt ein einfacher Tagelöhner, an ein solch spezifisches Messer. Er wird wohl kaum die Fähigkeit besessen haben, um es stehlen zu können. Na?“, fragte Sherlock Miceyla und legte den Kopf etwas schräg. „Er hatte einen Komplizen!“, kam sogleich ihre blitzschnelle Antwort. „Korrekt! Der Kerl wurde als lausiger Auftragskiller angeheuert. Und es gibt nur einen Fleischer in ganz London, der Messer mit dieser ausgeprägten Gravur verwendet. Also, haben die Herrschaften Lust auf ein saftiges Steak zum Abendessen?“, erkundigte Sherlock sich mit einem schelmischen Lächeln. „Ich bin dabei!“ Sofort reckte sie ihren rechten Arm in die Höhe und wusste genau worauf er hinauswollte. „Sherlock, du willst doch nicht etwa…? Und Miceyla soll mitkommen? Das ist viel zu gefährlich für eine junge Frau…“, warf John empört ein, jedoch als er denselben entschlossenen Gesichtsausdruck bei Miceyla entdeckte, den auch Sherlock machte, konnte er sich bloß als Reaktion darauf, seufzend mit der Handfläche gegen die Stirn schlagen. Noch am frühen Abend, fanden die drei sich vor besagter Fleischerei wieder, die gleichzeitig auch ein Wirtshaus war. `Da fällt mir ein, ich bekam noch überhaupt nicht die Gelegenheit zu fragen, in welcher Beziehung Sherlock zu William Moriarty steht…`, fiel Miceyla spontan ein und hob sich die Frage für einen späteren Zeitpunkt auf. „Bitte ziehen Sie sich zurück sobald es brenzlig wird. Sherlock und ich tragen eine Waffe bei uns. Dennoch wäre es sinnvoller gewesen, mit etwas mehr Sorgfalt und Planung vorzugehen…“, bat John sie zur Vorsicht und warf einen strengen Seitenblick zu seinem Kamerad. „Nur keine Bange, Wichtiges sollte stets sofort erledigt werden. Und die Gefahr zu vermeiden, kann nicht ständig die beste Lösung für Erfolg sein!“, beruhigte sie selbstbewusst den besorgten Arzt. „Aller Achtung! Dies nenn ich eine löbliche Lebenseinstellung. Miceyla, Sie gefallen mir immer besser“, meinte der junge Detektiv mit Bewunderung für ihre Aufrichtigkeit. „Das ist nur ein kleiner Teil meiner goldenen Überlebensregeln. Bei Gelegenheit erzähle ich Ihnen gerne mehr.“ Fröhlich plaudernd betrat das Trio die Fleischhandlung. „Oh, Kundschaft! Einen guten Abend wünsche ich. Falls Sie hier essen mögen, suchen Sie sich einen Tisch aus. Doch denken Sie daran, dass wir bald schließen“, begrüßte der Eigentümer des Ladens sie mit tiefer Stimme. Sie nahmen Platz und tauschten schweigend untereinander Blicke aus, um sich gegenseitig zu bestätigen, dass dieser Mann derjenige war nachdem sie suchten. „Ihre Bestellung bitte.“ Der kräftig gebaute Mann kam, um nach ihren Wünschen zu fragen. Sherlock meldete sich als erster zu Wort. „Ich nehme ein Steak mit Ofenkartoffeln und ein Bier.“ „Für mich bitte ein Roastbeef und einen Weißwein“, setzte John die Bestellung fort. „Ich hätte gerne ebenfalls ein Steak und ein Wasser“, orderte sie zum Abschluss. Der Wirtsherr notierte sich alles auf einen kleinen Block und verschwand daraufhin hinter der Theke in der Küche. „Ist es ein Zufall, dass wir gerade hier die einzigen sind und gibt es keine anderen Mitarbeiter?“, sprach Miceyla leise ihre Gedanken laut aus und ließ ihren Blick durch den menschenleeren Laden schweifen. „Nur Geduld, darauf gibt es bald Antworten,“ erwiderte Sherlock knapp und lehnte sich mit der Ruhe weg in seinem Stuhl zurück, während er in seiner Jackentasche nach Zigarette und Feuerzeug kramte. John hingegen nahm eine Kerzengerade Haltung ein und blieb angespannt. „Und was genau gedenken wir zu tun? Dieser Mann wird wohl kaum seine Mitbeteiligung, an dem Mordfall zugeben und uns auf die Wache begleiten“, flüsterte John und hoffte eine vernünftige Vorgehensweise von Sherlock zu hören. „John, schön locker bleiben. Wir machen es auf meine Art. Das sollte für uns beide doch mittlerweile Routine sein“, neckte er seinen Kameraden. `Die zwei sind wirklich ein ungleiches Duo. Der eine ordentlich gekleidet im Anzug und mit höflicher Wortwahl, der andere mit zerknittertem Hemd und schreckt nicht vor direkten Aussprachen zurück`, dachte Miceyla und kicherte. Kurz darauf wurden ihre Mahlzeiten und Getränke geliefert. „Lassen Sie es sich schmecken“, grummelte der Fleischer und kümmerte sich anschließend um den Abwasch hinter der Theke. „Essen Sie lieber nicht zu viel davon, üble Bauchschmerzen könnten die Folge sein“, warnte Sherlock sie für den Wirtsherr unhörbar. „Vielen Dank! Und ich werde nicht gewarnt!“, beschwerte sich John und nahm in seinem Frust, einen kräftigen Schluck von dem Glas Wein. Prüfend roch sie an einem Stück von dem Steak. Selbst wenn es schlecht sein sollte, war es so gut durchgekocht worden, dass man es nicht bemerken würde. „Darf ich erwähnen, dass Sie hier hübsche Messer führen? Verleihen Sie diese des Öfteren an Auftragsmörder? Ich muss zugeben, solch eine Klinge durchschneidet bestimmt nicht nur das Fleisch von Tieren, sondern auch menschliches Fleisch einwandfrei“, sprach Sherlock plötzlich lauthals ohne Vorwarnung. John verschluckte sich bei dessen offensiver Äußerung und nahm einen weiteren ausgiebigen Schluck. `Oha, es geht wohl los!` Mit diesem Gedanken lugte sie vorsichtig zu dem grimmigen Mann und wartete seine Reaktion ab. „Ich weiß nicht worauf Sie hinauswollen! Ah…ich kenne Sie, dieser beratende Detektiv, der seine Nase immer in fremde Angelegenheiten stecken muss! Verschwinden Sie lieber, bevor ich Sie rausschmeißen muss! Ihre falschen Anschuldigungen höre ich mir nicht länger an, außerdem haben Sie keinerlei Beweise!“, zischte der Mann argwöhnisch und funkelte Sherlock mit zusammengekniffenen Augen an. Sein aggressiver Tonfall machte ihn mehr als verdächtig. Er hatte definitiv etwas zu verbergen, so viel stand fest! „Keine Beweise…hmm…ich glaube das hier sollte genügen…“ Mit diesen ruhigen Worten, fuhr Sherlock mit dem rechten Daumen, über die Gravur von besagtem Messer, mit welchem er zuvor sein Steak in gleichgroße Stücke geschnitten hatte. „Der Mann der vor einer Woche ermordet wurde, war ihr größter Konkurrent. Er besaß eine der beliebtesten Fleischereien in ganz London und genoss einen beträchtlichen Erfolg. Hinzu kommt, dass er Ihre meisten Kunden stahl und Sie langsam aber sicher pleitegingen. Dadurch fehlte es Ihnen an Geld, um sich teures Fleisch liefern zu lassen. Schlussendlich blieb Ihnen nichts anderes übrig, als sich mit verdorbenem Fleisch zufrieden zu geben. Was taten Sie? Sie waren so verzweifelt, dass Sie einen Auftragsmörder, mit Ihrem letzten zusammengekratzten Kleingeld anheuerten, um sich Ihres Konkurrenten zu entledigen. Durch diese Tat erhofften Sie, dass Ihre alten Kunden wieder den Weg zu Ihrem Geschäft fanden. Habe ich noch irgendetwas vergessen aufzulisten?“, fasste Sherlock geordnet die Fakten zusammen und tat als wäre er schwer am Grübeln. `Das alles hat er anhand der Tatwaffe analysiert? Unglaublich!` Ihre Augen leichteten begeistert über dessen Können. Der übergewichtige Mann bebte am gesamten Körper und sein Gesicht lief vor Zorn rot an. Ohne viele Worte wechseln zu müssen, erhoben sich die drei Gäste von ihren Stühlen. Sherlock positionierte sich vor der Eingangstür, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden. John blieb an der Seite von Miceyla. „Trotzdem sind es nicht meine Hände gewesen, die ihn ermordet haben! Der Mörder hat seine gerechte Strafe erhalten und sitzt hinter Gitter! Damit sollten Sie sich zufriedengeben!“, versuchte der tobsüchtige Mann sich vergeblich zu rechtfertigen. „Reden Sie keinen Unsinn! Sie haben den Mord selbst geplant und im Hintergrund die Fäden gezogen! Das macht Sie zu dem wahren Täter. Sie sind das Böse, das mit unfairen Mitteln spielt und nichts weiter!“, wies Miceyla den Kerl mit den Worten der Gerechtigkeit zurecht. Der hasserfüllte Blick des beinahe explodierenden Mannes, fiel auf sie und er zückte das größte Küchenmesser, mit silbern glänzend scharfer Klinge, welches sich auf seiner Arbeitsfläche befand. Vorsichtig griff John nach seinem Revolver. Mit der anderen Hand nahm der Mann eine Schüssel, gefüllt mit einer nicht identifizierbaren Flüssigkeit und schüttete diese John direkt in sein Gesicht. „Ah! Meine Augen!“, wimmerte er und fiel mit vor Schmerz geschlossenen Augen auf die Knie. „John!“, schrie Miceyla panisch und funkelte ihren Widersacher angriffslustig an. Die Flüssigkeit roch nach Zwiebeln. `Wir dürfen den Typ nicht unterschätzen, er ist zu allem fähig…` Noch ehe sie ihren klaren Gedanken zu einer Handlung ausführen konnte, packte der Fleischer sie mit grobem Griff und drückte sie an dessen Körper. Zu allem Übel, spürte sie auch noch seine scharfe Messerklinge direkt an der Kehle. Ihr Puls raste, sie war nicht mehr dazu in der Lage, sich auch nur einen Millimeter wegzubewegen. „Egal was Sie versuchen werden, Sherlock Holmes. Es wird damit enden, dass Blut von der Kleinen fließen wird!“, drohte er, ein gammliger Fleischgeruch umhüllte ihn. Verzweifelt suchte sie den Augenkontakt mit Sherlock und fragte sich, wie er es fertigbrachte so seelenruhig zu bleiben. `Ein Schlag seitlich in die Rippen. Ein Tritt zwischen die Beine. Mit einem Schuss das Seil durchtrennen…`, durchlief Sherlock seinen Plan in Gedanken und nach einem innigen Blickwechsel mit Miceyla, wanderte seine Aufmerksamkeit zu etwas, dass sich oberhalb von ihr befand. `Wenn ich nur wüsste was du denkst…` Trotz der brenzligen Umstände, probierte sie den Atem gleichmäßig zu halten und hob in Zeitlupe etwas den Kopf um sehen zu können, was Sherlock so gewissenhaft mit den Augen fixierte. Über Miceyla und dem Kerl, der sie mit dem Leben bedrohe, war ein langes Seil gespannt. An diesem hingen allerlei große Mengen an getrocknetem Fleisch. Es war von einem breiten hölzernen Regal, bis zu der gegenüberliegenden Wand gespannt. In dem Regal standen schwer aussehende Töpfe und Krüge. Wenn man das Seil an einer günstigen Stelle durchtrennte, würde das Regal durch die Last des Fleisches heruntergerissen werden und den Verbrecher unter sich begraben. `Ist das dein Plan?` Aber sobald er auch nur versuchen würde, seine Pistole hervor zunehmen, war es aus und vorbei mit ihr. Es bräuchte eine geeignete Ablenkung. Wie stand es eigentlich um John? Der Mann glaubte sicherlich, dass er noch immer außer Gefecht stand. `Das ist es!` Miceylas Blick traf sich erneut mit dem von Sherlock und beide gaben sich stumm zu verstehen, dass sie bereit waren. Sogleich sprang John auf und verpasste dem völlig verdutzten Fleischer mit dem Ellenbogen, einen kräftigen Schlag seitlich in die Rippen. Er taumelte etwas und lockerte ein wenig den Griff von Miceyla. Dies reichte ihr aus, um sich zu befreien und versetzte ihm daraufhin einen ordentlichen Tritt zwischen die Beine. Vor Schreck und mit schmerzerfüllter Miene, ließ er sein Messer fallen und torkelte nach hinten gegen die Wand und sackte zu Boden. Im selben Moment schoss Sherlock auf die richtige Stelle und das Seil löste sich von der Wand. Mit einem lauten Krachen, riss die ganze Fleischansammlung das Regal hinunter und begrub ihren Gegner, der sofort ohnmächtig wurde. Die drei hatten es geschafft. Mit einem Seufzen der Erleichterung, holte John ein Taschentuch aus seiner Westentasche hervor und trocknete sich damit das Gesicht. „Geht es Ihnen gut? Ihre Augen sind ganz rot und geschwollen“, fragte sie besorgt und holte kühlendes Wasser von der Theke. „Danke, aber keine Sorge. Ich habe meine Augen noch im rechten Moment schließen können. Doch geht es Ihnen auch wirklich gut? Er scheint Sie zum Glück nicht verletzt zu haben“, erkundigte der junge Arzt sich nach ihrem Zustand und legte ihr zur Beruhigung eine Hand auf die Schulter. „Haben Sie Dank. Ich glaube es ist lediglich noch der Schock, der von mir Besitz ergriffen hat…“, meinte sie und zitterte nach wie vor wegen der Aufregung. Ohne die beiden hätte sie höllische Angst gehabt. „Sherlock, es hätte einiges schief gehen können!“, schimpfte John mit strengem Blick. „Da irrst du dich. Das habe ich alles bereits beim Eintreten des Ladens geplant“, versuchte Sherlock sich zufrieden aus der Affäre zu ziehen und war bereits dabei eine neue Zigarette zu rauchen. „Auch das ich eine Zwiebelwasserdusche bekomme?“, erwähnte John und wischte sich übertrieben hartnäckig mit dem Tuch über das Gesicht. „Und das ich mit einem Messer bedroht werde und nun so grässlich stinke wie der Fettwanst?“, fügte Miceyla hinzu und verzog angewidert bei dem Gestank der sie umgab das Gesicht Sherlock konnte sich nicht länger zurückhalten und lachte unaufhaltsam. „Ha, ha, ha! Neue Begebenheiten werden eben neu mit einkalkuliert. Gut Freunde, lassen wir Scotland Yard den Rest erledigen. Inspektor Lestrade freut sich!“, sagte er ironisch. „Ja, ja, so wie immer… Daheim werde ich erst mal ein Bad nehmen…“, murmelte John und nahm seinen Hut und den Stock vom Sitzplatz und verließ mit den beiden das Wirtshaus. „Danke für den erlebnisreichen Ausflug! Eine gute Tat und ein nett gemeinter Rat, bewahren dich, ehe dir ein böses Ende naht!“, bedankte sie sich ausgelassen und war glücklich über die Zeit, mit Londons unvergleichbaren Detektiv. „Und mit einem guten Bier, nachts um vier, gelingt der nächste Fall auch wieder dir und mir!“, ergänzte Sherlock und beide schlugen ihre Fäuste gegeneinander, als würden sie sich einen Eid schwören. Dann lachte er zusammen mit Miceyla, während sie den Gehweg entlang schlenderten. „Na da haben sich aber zwei gefunden…“, kommentierte John die beiden lächelnd, ein kleines Stück hinter ihnen. An einer Kreuzung, wo sich ihre Wege trennen würden, hielten sie an. „Sollen wir Sie nicht noch nach Hause begleiten? Es ist bereits sehr dunkel“, bot John ihr freundlich an. „Das ist nicht nötig, lieben Dank. Ich habe es nicht mehr weit und bin flott zu Fuß. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht“, verabschiedete Miceyla sich und war fast schon etwas wehmütig, dass der Tag so schnell vorüber ging. „Na dann wünsche ich dir einen guten Heimweg. Und ich freue mich über einen nächsten Besuch. Die Adresse kennst du ja jetzt. Ganz nebenbei begrüße ich auch stets Hinweise und Gerüchte zu neuen Fällen“, gab Sherlock ihr noch zum Abschied mit auf den Weg. „Gute Nacht Miceyla, bis bald.“ John schloss sich seinem guten Freund an und beide liefen die Straße hinunter. Sie lief in die entgegengesetzte Richtung, im Hintergrund vernahm sie noch ihre Stimmen. „John, kann es sein, dass du heute eine dezente Zwiebelduftnote trägst?“ „Das muss ich mir von dir nicht sagen lassen!“ Schnellen Schrittes schlug sie den Weg zu ihrem Zuhause ein. Sie war müde und wollte sich von den heutigen Erlebnissen, erst mal ausgiebig erholen. Da wurde sie plötzlich von einer düsteren Gestalt gegen eine harte Hauswand geschubst. Erschrocken und erschöpft, sah sie im schwachen Licht einer etwas entfernten Straßenlaterne, wie ein breitschultriger Mann von vorne sich ihr näherte. Zwei weitere Männer schlossen sich ihm an. „Na Kleine, haste heute Nacht schon etwas vor?“, fragte einer von ihnen lüstern. `Ja…ein ausgiebiges Bad nehmen und schlafen… Wäre ich doch besser mit Sherlock und John heimgegangen…`, dachte sie spöttisch und keuchte. Voller Panik musste sie einsehen, dass sie den drei Männern alleine schutzlos ausgeliefert war und es keine Möglichkeit zur Flucht gab… Sie war ungeübt im Nahkampf und ohnehin bereits ziemlich geschwächt. Miceyla schloss betend die Augen, als die Männer kurz und dran waren, sich an ihr zu vergreifen. Da legte ihr auf einmal jemand von der Seite einen Arm um sie und zog sie schützend an sich. Überrascht riss sie die Augen wieder auf. „Guten Abend die Herrschaften. Ich bin die Begleitung von der jungen Dame.“ Liebes Tagebuch, 4.2.1880 Uff! Was für ein Tag! Mir ist noch immer ganz schwindelig… So ein Zufall, dass ich John Watson in der Arzneihandlung getroffen habe. Er wohnt zusammen mit Sherlock und ist Partner bei seinen Ermittlungen. Ich durfte direkt erfahren, wie ihr Zuhause aussieht. Und wie Sherlocks Bude aussieht, ha, ha! Sollte ich ihn als kreativ und experimentierfreudig bezeichnen? Die arme Mrs. Hudson… Ich habe wirklich schon viel erlebt, aber so ernsthaft in Lebensgefahr wie heute, war ich noch nie. Ich spüre noch immer die Klinge an meinem Hals… Und riechen tue ich sie ebenfalls… Pfui! Sherlocks und Johns Gesellschaft genoss ich wirklich sehr, ich hoffe sie mögen mich auch. Aber der eigentliche Höhepunkt des Tages, sollte erst im Anschluss folgen, als ich spät am Abend von drei Männern belästigt wurde. Und jemand zu meiner Rettung eilte, von dem ich nicht mal im Traum daran gedacht hätte, ihn zu jenem Zeitpunkt und an jenem Ort noch einmal wiederzusehen… Vom Nehmen und Geben Weine nicht, denn sie werden deine Tränen nicht sehen. Versteck dich nicht, denn sie werden dir nicht nachgehen. Senke nicht den Blick, sonst machst du dich selbst nur klein. Wähle deine Worte weise, auch wenn sie dir sind zu fein. Meide nicht ständig die Gefahr, sonst kommt sie von alleine zu dir. Verlange nicht immer nach etwas, denn aus wünschen wird schnell Gier. Schätze auch mal deine Gegner, selbst wenn sie dich zuvor bedroht haben. Erledige Wichtiges besser sofort, sonst erstreckt sich vor dir bald ein tiefer Graben. Willst du ein schweres Rätsel lösen, so habe mit dir selbst Geduld. Sieh deine Fehler als eine Art Prüfung, sonst gibst du dir dafür die Schuld. Du kannst keinen Mut erlernen, aber ihn durchaus beweisen. Stürze dich nicht in jede heikle Situation, sonst wird deine Glückssträhne reißen. Fürchte nicht die negativen Gefühle, denn sie verhelfen dir zu wahrer Stärke. Helfe stets den Schwachen, du wirst daraus erlernen neue Werte. Freue dich ehrlich über deinen Verdienst, es ist schließlich dein Sieg. Plane nie im Geheimen eine Rache, es wird nur entfachen einen Krieg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)