In Zeiten des Krieges von stone0902 (Draco x Ginny) ================================================================================ Kapitel 20: Teil 1 – Kapitel 20 ------------------------------- Mai 1987   Tage wie dieser waren etwas Besonderes. Er liebte es, wenn seine Eltern mit ihm in die Winkelgasse gingen, denn dann durfte er sich immer etwas aussuchen. Draco liebte Geschenke. Er fand, er sollte viel öfter welche bekommen.   Sein Vater hasste es einkaufen zu gehen, denn er sagte immer, es sei ihm zu voll und die vielen Menschen würden ihn nerven. Seine Mutter liebte es einkaufen zu gehen, denn es gefiel ihr, neue Sachen auszusuchen und in der Winkelgasse Bekannte zu treffen, mit denen sie sich nett unterhalten konnte. Wenn er sich entscheiden müsste, dann ging Draco viel lieber mit seiner Mutter einkaufen. Nicht nur, dass sie endlose Stunden mit shoppen verbringen konnte, sie war auch diejenige, die Draco gerne mal ein kleines Geschenk kaufte. Sein Vater war dafür viel zu streng. Oft sagte er Nein, und Draco würde sich niemals trauen seinem Vater zu wiedersprechen. Seine Mutter allerdings konnte zu seinem Schmollmund nicht lange Nein sagen.   Draco verstand eh nicht, wieso seine Eltern überhaupt ab und an Nein sagten, immerhin hatten sie mehr Gold als alle anderen Hexen und Zauberer. Das behaupteten sie schließlich oft genug. Wieso dann überhaupt etwas nicht kaufen, wenn man alles haben konnte, was man wollte?   Schon bald würde er sieben Jahre alt werden. Allmählich fühlte er sich wie ein großer Junge. In einem Monat schon war sein Geburtstag. Oh, wie Draco seine Geburtstage liebte! Denn dann drehte sich alles nur um ihn und er bekam haufenweise Geschenke! Alle seine Freunde kamen zu Besuch und sie konnten im Manor miteinander spielen. Draco bekam nicht oft Besuch von Freunden, deshalb war es immer etwas ganz Besonderes. Er sah seine Freunde zwar ab und an auf Festen und sonstigen langweiligen Veranstaltungen, aber er würde sie gerne viel öfter sehen. Er freute sich schon tierisch auf Hogwarts. Wie toll musste das dann erst sein, wenn er ständig mit anderen Jungen in seinem Alter (für Mädchen interessierte er sich noch nicht so wirklich) zusammen sein konnte? Denn im Manor fühlte er sich manchmal ziemlich einsam. Selbst das Ärgern der Hauselfen machte oft keinen richtigen Spaß, wenn niemand dabei zusah, wie er diese ekligen frechen Biester quälte.   Bereits zu seinem sechsten Geburtstag hatte Draco sich einen Rennbesen gewünscht. Und er hatte wirklich gedacht, er würde ihn auch bekommen, schließlich hatte er es oft genug (und natürlich auch laut genug) erwähnt. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie enttäuscht er gewesen war, als er auch das letzte von den vielen Geschenken ausgepackt hatte und kein Besen darunter gewesen war und wie er sich beherrschen musste nicht wie ein Baby loszuflennen. Er sei noch nicht alt genug für einen Besen, hatte sein Vater erklärt.   Draco fand, dass er nun alt genug dafür war.   Vor dem Schaufenster des Sportgeschäfts Qualität für Quidditch stand er nun, die Hände an die Scheibe gelegt und die Nasenspitze nur wenige Millimeter davon entfernt. Dieser war sein liebster Laden in der Winkelgasse. Jedes Mal wenn er mit seinen Eltern in das Einkaufsviertel ging, bestaunte er die neu ausgestellten Sachen, die ihn so sehr faszinierten. Auch dieses mal hatte er sich heimlich weggeschlichen, um in aller Ruhe das Schaufenster betrachten zu können. Immer wenn er sich die Rennbesen ansah, stellte er sich vor, wie es sich wohl anfühlen musste zu fliegen, hoch oben in der Luft, und wie es wohl war, den Wind in den Haaren zu fühlen und ein wenig Freiheit zu kosten.   Sein Vater hatte ihn schon einmal zu einem Quidditchturnier mitgenommen. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wer gespielt oder wer gewonnen hatte. Aber er erinnerte sich noch an die vielen Menschen, die jubelten und feierten und an die Spieler in der Luft und wie begeistert er damals von allem gewesen war. Er wünschte, die Leute würden ihm auch so zujubeln. Und deshalb würde er auch gern Quidditch spielen.   „Später“, hatte sein Vater immer gesagt, und Draco rollte inzwischen nur noch mit den Augen, wenn er dieses Wort hörte. Später, später, später … Draco wollte es jetzt!   Draco starrte auf den Nimbus 1700. Diese grazile Form des auf Hochglanz polierten Besens war wirklich bewundernswert. Er wollte ihn unbedingt zu seinem Geburtstag.   „Er ist schön, nicht wahr?“   Beinahe wäre er zusammengezuckt. Er hatte gar nicht bemerkt, dass jemand neben ihm stand. Als Draco seinen Blick zur Seite wandte sah er ein junges Mädchen, das ebenfalls ins Schaufenster starrte.   Sie meinte doch wohl nicht etwa den Besen?   „Mädchen interessieren sich nicht für Quidditch“, erklärte Draco besserwisserisch. Das musste ja wohl mal klar gestellt werden. Ein Mädchen auf einem Rennbesen? Unvorstellbar!   Das Mädchen sah ihn fragend an. „Warum nicht?“   „Weil das ein Sport für Jungen ist.“   Er fand dieses Mädchen seltsam. Mädchen konnten auch nicht auf einem Besen fliegen, weil sie doch Kleider trugen, und das wäre nicht angemessen, wie seine Mutter sagen würde. Andererseits. Draco musterte das Mädchen. Sie trug ja gar kein Kleid! Das verwirrte ihn doch sehr. Die anderen Mädchen, die er kannte, trugen immer schicke Kleider. Aber dieses Mädchen trug eine Hose, so wie er auch.   Das Mädchen lächelte und sah wieder zum Besen. „Ich fliege aber gar nicht schlecht“, sagte sie stolz und Draco traute seinen Ohren kaum. Mit offenem Mund starrte er sie an. Wie bitte? Dieses Mädchen hatte schon einmal auf einem Besen gesessen, obwohl er selbst es noch nie getan hatte? Wo blieb denn da die Gerechtigkeit?   „Du lügst!“, sprach er seine Gedanken aus. Was anderes kam gar nicht in Frage.   Das Mädchen schob die Unterlippe vor. Ihre braunen Augen sahen ihn verletzt an. „Doch! Meine Brüder haben es mir beigebracht. Sie spielen oft Quidditch und Charlie ist sogar in der Hausmannschaft in Hokwaks.“   Sie meinte wohl Hogwarts. Draco starrte das Mädchen fassungslos an. Sie bemerkte davon nichts und betrachtete sehnsüchtig den Rennbesen. Das würde er seinem Vater erzählen. Wie ungerecht, dass dieses Mädchen das durfte und er nicht!   „Du lügst“, murmelte er, mehr zu sich selbst, als zu ihr. Das fürchterliche Gefühl, das sich in seiner Brust ausbreitete, konnte er nicht benennen. Viel später erst würde er erkennen, dass es Eifersucht war.   „Ich lüge nie“, gestand das Mädchen.   Beide betrachteten wieder den Besen.   „Und … wie ist es so? Das Fliegen?“, versuchte Draco möglichst unauffällig zu fragen. Sie sollte ihn bloß nicht für einen Verlierer halten. „Also ich meine, ich weiß wie es für mich ist, aber wie … wie ist es für dich?“   Als sie ihn ansah strahlte sie übers ganze Gesicht. Dieser Ausdruck überraschte ihn irgendwie. „Unbeschreiblich!“, hauchte sie. „Es fühlt sich an wie frei sein. Frei, wie ein Vogel.“   Seine Laune verdüsterte sich und er riss den Blickkontakt ab. Er starrte wieder auf den Besen. Er würde auch gerne fliegen und frei sein, tun und lassen können, was er wollte …   Frei, wie ein Vogel …   „Draco!“, rief plötzlich jemand und dieses mal zuckte er wirklich zusammen.   Beide Kinder drehten sich erschrocken um und blickten zu einem Mann in einem schwarzen Mantel mit einem fellbesetzten Kragen auf. Sein langes weißblondes Haar hing ihm über die Schultern. Es war genauso hell wie das seines Sohnes.   „Komm Junge, wir gehen.“   Draco folgte ihm, ohne ein Wort des Abschieds an das Mädchen. Er öffnete seinen Mund, um seinem Vater von dem Nimbus 1700 zu erzählen, doch als er dessen bösen Blick sah klappte er den Mund schnell wieder zu. Er traute sich nicht mehr zu fragen. Dann sah er seine Mutter neben seinem Vater stehen und ihm wurde ein wenig wohler ums Herz. Instinktiv stellte er sich neben sie und nahm ihre Hand.   Gemeinsam entfernten sie sich von Qualität für Quidditch und Draco warf einen letzten sehnsüchtigen Blick über die Schulter zum Schaufenster. Das Mädchen war nicht mehr zu sehen und es sollten fünf Jahre vergehen, bis sie sich wiedersehen würden.   „Weißt du, was man über das Weasley-Mädchen sagt?“, fragte Narzissa leise ihren Gemahl. „Sie soll die erste weibliche Nachfahrin seit mehreren Generationen sein.“   „Und wieso sollte mich das interessieren?“, fragte Lucius unbeeindruckt. „Wie du weißt sind die Weasleys Blutsverräter.“   „Natürlich“, stimmte seine Frau ihm kühl zu. „Wie konnte ich das vergessen.“   „Sowas ist kein Umgang, für unseren Sohn.“   „Mami, krieg ich ein Eis?“, fragte Draco mit seiner Bettelstimme.   Narzissa schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Ja, mein Schatz. Alles, was du willst.“   Ich will einen Flugbesen, dachte Draco sehnsüchtig. Ich will fliegen und frei sein, wie ein Vogel …   ***   Dezember 1997   Als Ginny erwachte fühlte sie sich, als hätte man sie wie einen Gnom geschleudert und über den Gartenzaun geworfen. Es dauerte eine Weile, bis sie zuordnen konnte, wo sie sich befand und was genau geschehen war.   „Na endlich!“, hörte sie eine vertraute Stimme neben sich.   Rechts neben ihr standen ihre sechs Quidditchkameraden: Ron, Harry, Demelza, Dean, Ritchie und Jimmy. Sie alle sahen sie besorgt an. Ginny wollte etwas sagen, doch alles, was sie hervorbrachte, war ein schmerzhaftes Stöhnen. Jede kleinste Bewegung tat weh.   „Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt“, sagte Demelza.   Und Ron meinte erleichtert, aber mit bleichem Gesicht: „Ich dachte schon, du wachst gar nicht mehr auf!“   Madam Pomfrey kam sofort dazu, als sie bemerkte, dass Ginny erwacht war. „Aber, aber, Mister Weasley. Ihre Schwester ist nicht die erste, die beim Quidditch von einem Besen fällt“, sagte sie trocken. „Und sie wird auch nicht die letzte sein.“   Bei der Erwähnung von Quidditch erinnerte sie sich an das Spiel. „Wer hat gewonnen?“, fragte Ginny neugierig. Ihre Stimme war ein heiseres Krächzen.   Harry lächelte leicht. „Wir haben gewonnen.“   „Das war auch nicht sehr schwer“, meinte Dean, „nachdem Slytherin seinen Sucher verloren hat.“   Alle sechs sahen zur Seite und Ginny wollte ihren Blicken folgen, als sie erneut einen Schmerz verspürte, der sie keuchen ließ.   „So, das reicht jetzt!“, entschied Madam Pomfrey. „Wie Sie alle sehen können geht es Miss Weasley gut. Sie braucht nun Ruhe. Sie können morgen wieder nach ihr sehen.“   Nach und nach verließen die Gryffindors das Krankenbett. Nur Ron ging erst, als Harry ihn an der Schulter fasste und sanft Richtung Ausgang bugsierte. „Wir kommen morgen wieder“, versprach Ron und Ginny hob langsam eine Hand zum Gruß, ließ sie aber schnell wieder sinken, als ein stechender Schmerz durch ihre Glieder fuhr.   „Das würde ich lassen“, riet Madam Pomfrey. „Ihr Arm ist gebrochen, so wie jeder andere Knochen in ihrem Körper. Schließlich sind Sie mehrere Meter in die Tiefe gestürzt.“ Sie seufzte. „Merlin sei Dank ist nichts Schlimmeres passiert.“ Dann lächelte sie Ginny sanft an. „Knochenbrüche heilen ist für mich eine Kleinigkeit. Sie werden sehen, morgen geht es Ihnen wieder gut.“ Die Heilerin reichte ihr eine Phiole. „Hier, trinken Sie das. Das ist gegen die Schmerzen. Ich habe zwar bereits einige Zaubersprüche angewendet, aber da Sie anscheinend noch Schmerzen verspüren gebe ich Ihnen zusätzlich noch einen Trank. Und dieser hier“, sie reichte ihr eine zweite, etwas größere Phiole, „ist für die Heilung der Knochen.“   Ginny trank und spürte sofort, wie der Schmerz nachließ. Kaum vorzustellen, wie sich die Knochenbrüche ohne Schmerzmittel und Zaubersprüche aushalten ließen. Als sie an sich hinunterblickte stellte sie fest, dass sie ein weißes Nachthemd aus dem Krankenflügel trug. Allmählich wurde ihr Verstand immer klarer. Der Nebel, der sich über ihre Gedanken gelegt hatte, verblasste langsam. Die Erinnerungen setzten sich wie Puzzleteile zusammen. Quidditch, Draco, der Klatscher … Genau. Der Klatscher hatte ihn k.o. geschlagen, woraufhin er in sie hineingeflogen war und sie vom Besen gerissen hatte. Offensichtlich lagen sie beide nun im Krankenflügel, schwer verletzt.   „Wann werde ich entlassen?“, fragte Ginny besorgt. Schließlich wollte sie am Montag zusammen mit den anderen Schülern in die Weihnachtsferien aufbrechen. Ihr Koffer stand schon fertig gepackt im Schlafsaal der Mädchen für die Reise bereit.   Poppy lächelte sie beruhigend an. Sanft legte sie eine Hand auf die der Gryffindor. „Wenn alles gut läuft werden die Knochen über Nacht heilen und Sie können morgen den Krankenflügel verlassen. Ihrem Weihnachtsfest dürfte also nichts im Wege stehen.“   Ginny seufzte erleichtert. Der Gedanke über Weihnachten im Krankenflügel liegen zu müssen, getrennt von der geliebten Familie, war schrecklich. Schließlich hatte sie sich schon so lange darauf gefreut und sie hatte Weihnachten noch nie ohne ihre Familie verbracht. Das war unvorstellbar.   Eine weitere Frage brannte auf ihrer Zunge. „Ist Malfoy auch hier?“   Die Heilerin sah sie nachdenklich an, dann antwortete sie: „Ja, er liegt gleich dort drüben.“ Als Ginny in die Richtung schaute, in die Poppy deutete, erkannte sie, dass der Slytherin nur vier Betten von ihr entfernt lag. „Er hat einen Schädelbruch“, sagte Poppy. Und nach einem kurzen Moment fügte sie hinzu: „Keine Sorge, nichts, was ich nicht wieder hinkriege.“ Dann drückte sie kurz Ginnys Hand.   Die Tür zum Krankenflügel ging auf und Pansy Parkinson kam herein stolziert. Madam Pomfrey straffte ihre Roben und ging auf die Slytherin zu. „Aber nicht lange, Miss Parkinson. Mister Malfoy braucht dringend Ruhe! Ihre Mitschüler habe ich bereits weggeschickt, damit er sich ausruhen kann.“   Die Slytherin rollte mit den Augen und marschierte unbeeindruckt auf Dracos Bett zu.   Ginny sah ihr neugierig hinterher, während Poppy nur den Kopf schüttelte über dieses unhöfliche Benehmen. Dann sah sie nach einem anderen Patienten. Von Draco konnte Ginny nicht viel sehen. Sein Kopf war verbunden und der Rest seines Körpers lag unter der Bettdecke. Ginny hatte noch das furchtbare Knacken im Kopf, als der Klatscher ihn getroffen hatte, und ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken.   Das schlechte Gewissen begann sie zu plagen …   Nein, er war selbst schuld, denn hätte er nicht versucht Harry mit dem Klatscher zu erwischen wäre es gar nicht erst so weit gekommen. Andererseits hätte er das womöglich gar nicht erst versucht, wenn sie ihn nicht provoziert hätte … Ginny ärgerte sich über sich selbst. Jetzt wusste sie was geschehen konnte, wenn man Draco Malfoy eifersüchtig machen wollte. Wer hätte gedacht, dass diese blöde Idee so einen langen Rattenschwanz nach sich ziehen würde?   „Bei Salazar“, keuchte Pansy. „Was hat sie nur mit dir gemacht?“ Sie schlug sich die Hände vor den Mund und Ginny konnte nicht überhören, wie geschockt die Slytherin war. Sie klang, als wäre sie den Tränen nahe. Ginny hätte nie gedacht, dass Parkinson tatsächlich zu einer Emotion wie Mitgefühl in der Lage war. Sie beugte sich zu dem Slytherin hinab und schien ihn im Gesicht zu berühren. Ginny konnte es nicht genau sehen, aber sie malte sich aus, wie die Schwarzhaarige sanft über seine Wange strich und sie spürte ein beklemmendes Gefühl in der Brust.   Die Slytherin schien ihren Blick zu spüren, denn sie stand auf und sah sie voller Hass an. „Das wirst du büßen, Weasley!“ Sie zückte ihren Zauberstab und Ginny dachte für eine Sekunde, sie würde sie verfluchen, doch stattdessen zogen sich nur die Vorhänge um sein Bett herum zu. Anschließend zischte sie „Muffliato!“ und von da an hörte Ginny nur noch ein leises Rauschen in ihren Ohren.   Ginny starrte wütend an die Decke und sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen, die sie auf ihre Verletzungen zurückführte.   Wie ein kleines störrisches Kind hatte sie versuchen wollen ihm weh zu tun. Was war nur in sie gefahren? Seit wann benahm sie sich wie eine eifersüchtige Furie? Ginny war doch sonst kein Mensch, der anderen Schaden wollte. Aber vorhin, da hatte sie einfach diese Gedanken gehabt, als wären sie die Gedanken einer Fremden. Vielleicht, dachte sie, war das Leiden einfacher, wenn man wusste, dass der andere ebenso litt. Denn wie sagte man so schön? Geteiltes Leid war halbes Leid.   Aber das hatte sie nun wirklich nicht gewollt.   „Der Unterschied zwischen Schmerz und Leid“, hatte Remus einmal gesagt, „ist folgender: Schmerz gehört zum Leben dazu und ist unausweichlich. Leid jedoch entsteht, wenn wir den Schmerz nicht akzeptieren können und ist viel schwieriger zu ertragen. Man darf nicht an dem festhalten, was man will, sondern muss das akzeptieren, was man hat.“   Im Moment litt Ginny Höllenqualen.   Wie gern säße sie jetzt an seinem Bett?   Sie konnte ihre jetzige Situation einfach nicht akzeptieren. Doch egal, wie oft sie darüber nachdachte, sie fand einfach keine Lösung. Wieso nur hatte sie sich in den Slytherin verlieben müssen? Warum nicht in irgendjemand anderen? Dann wäre alles so viel leichter.   Und in ihr Ohr flüsterte leise die Stimme von Tom Riddle: Liebe ist Schmerz, Ginevra …   Nach einigen Minuten kam Madam Pomfrey noch einmal, um nach ihr zu sehen. „Wie geht es Ihnen?“, fragte sie mitfühlend. „Soll ich Ihnen noch etwas gegen die Schmerzen geben, damit Sie besser schlafen können?“   Ginny schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht war tränennass.   Keine Medizin der Welt konnte die Schmerzen in ihrer Brust lindern.   ***   Als sie erwachte war es noch mitten in der Nacht. Sie lag auf der Seite, das Gesicht halb im weichen Kissen versunken. Es war dunkel im Krankenflügel. Nur das sanfte Licht des Mondes erhellte ein wenig den Raum, sodass sie einige Silhouetten wahrnehmen konnte. Ginny blinzelte und erinnerte sich daran, dass sie im Krankenflügel lag. Beinahe wäre sie wieder eingeschlafen, doch dann bemerkte sie, wie etwas ihre Hand hielt.   Nein, jemand.   Ganz langsam und schlaftrunken drehte sie sich und sah, dass jemand auf ihrem Bett saß. Vielleicht hätte sie sich erschreckt, wenn sie nicht sofort instinktiv gewusst hätte, dass er es war. Die Vorhänge um ihr Bett herum waren zugezogen, und Ginny konnte sich nicht daran erinnern, dass sie das auch schon waren, als sie eingeschlafen war. Er musste sie zugezogen haben. Draco saß auf ihrer Bettkante, hielt ihre linke Hand und sah sie einfach nur an. Er trug noch einen Teil seiner Quidditchuniform, wie den Pullover und die Hose. Den grünen Umhang und die Arm- und Beinschoner hatte man ihm abgenommen. Ginny wagte kaum sich zu bewegen oder überhaupt zu atmen, für den Fall, dass er nur ein Traum war und sie bei der kleinsten Bewegung aufwachen könnte.   „Ich habe einen Schutzzauber gesprochen“, erklärte er ruhig. „Niemand kann uns hören.“   Ginny antwortete nicht. Sie wusste auch nicht, was sie hätte sagen sollen. Allmählich gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und sie konnte ein wenig mehr erkennen. Im Krankenflügel war es ruhig. Von den anderen Patienten war kein Laut zu vernehmen.   Nach einer Weile fragte er: „Wie geht es dir?“   In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken und ihr brannten so viele Worte auf der Zunge, bis sie bemerkte, dass er ihre Verletzung meinte, nicht ihr emotionales Chaos. „Es geht so“, murmelte sie leise. Dann erinnerte sie sich daran, dass Madam Pomfrey erzählt hatte, dass er einen Schädelbruch erlitten hatte. Der Verband um seinen Kopf war jedoch verschwunden. „Und dir?“   „Ich bin so zugedröhnt mit Schmerzmitteln“, antwortete er mit einem milden Lächeln, das seine Augen jedoch nicht erreichte, „ich spüre gerade gar nichts mehr.“   Sie nickte. Das klang verlockend.   Lange sagte keiner von beiden etwas. Ginny genoss das Gefühl von ihrer Hand in seiner und sie wünschte sich, er würde näher kommen, sich neben sie und seine Arme um sie legen, sie einfach nur festhalten. Sie wollte seine Nähe spüren. Aber er blieb wo er war.   „Es tut mir leid.“   Ginnys Augen weiteten sich leicht vor Überraschung. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Er sah sie nicht an, als er sprach, sondern starrte in die Dunkelheit. Seine Stimme war fast emotionslos.   Fast.   „Meinetwegen liegst du hier. Nur weil …“ Er zog scharf die Luft ein und der Griff um ihre Hand verstärkte sich leicht. „Argh, dich mit Potter zu sehen hat mich einfach nur so … wütend gemacht!“, presste er hervor „Er sollte hier liegen, nicht du!“   Beschämt schloss Ginny die Augen. Harry traf keine Schuld. Er hatte gar nichts getan. Sie musste dieses Missverständnis aus der Welt räumen, bevor es noch mehr Schaden anrichtete.   „Ich kann einfach nicht fassen“, gestand Draco und sie konnte die tiefe Enttäuschung in seiner Stimme nicht überhören, „dass du jetzt mit ihm zusammen bist.“   „Wir sind nicht zusammen“, erklärte Ginny langsam. „Du … solltest das nur denken und …“ Ihre Stimme war immer leiser geworden. Mit der rechten Hand fummelte sie nervös am Deckenbezug herum. Er sah sie an, doch sie mied seinen Blick. „Du solltest einfach nur eifersüchtig werden“, gestand sie schuldbewusst.   Es folgte eine lange Stille und Ginny kam es wie eine drückende Ewigkeit vor, bis er sprach. „Glückwunsch“, sagte er leise. „Es hat funktioniert.“   „Ich bin nicht stolz drauf“, murmelte sie.   Draco seufzte tief und schüttelte resignierend den Kopf. Er ließ ihre Hand los. „Du weißt, wieso ich so entschieden habe, oder?“   Nein. Sie hatte nur Vermutungen. Schließlich war seine Rede im Bad der Vertrauensschüler weder lang noch erklärend gewesen. „Ich weiß nicht genau“, antwortete sie nur.   „Es gibt im Moment wichtigere Dinge, über die wir uns Gedanken machen sollten.“   Seine Worte versetzten ihr einen Stich. Langsam setzte sie sich in ihrem Bett auf, sodass sie sich nun mit ihm auf Augenhöhe befand. „Wichtiger, als uns?“   „Ginevra, mach die Augen auf. Siehst du es denn nicht?“ Seine Stimme wurde drängender, verzweifelter. „Der Krieg steht kurz bevor.“ Ihr Herz verkrampfte sich. Denn sie wusste, in seinen Worten lag mehr als nur eine bloße Vermutung. Er sprach davon, als wüsste er mehr, als er zugab. „Und wir beide kämpfen für unterschiedliche Ziele.“   Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals und das Sprechen fiel ihr schwer. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. „Ich kann es einfach nicht glauben“, flüsterte sie verzweifelt. „Ich will einfach nicht glauben, dass du dich auf seine Seite stellst.“   Er sah sie unverwandt an. „So ist es aber.“   Tränen liefen ihr über das Gesicht und sie hoffte, dass er sie in der Dunkelheit nicht sah.   „Wieso“, begann sie, und es kostete sie viel Mühe nicht zu schluchzen, „wieso hast du dann den Mondstein?“, fragte sie. Draco sah sie überrascht an. Seitdem Hermine ihr von ihrem Fund berichtet hatte war er ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Mehrere schlaflose Nächte hatte sie sich die Frage gestellt, was er damit vorhaben könnte. „Wieso, wenn nicht, um dich vor ihm zu schützen? Ich glaube, dass du das alles gar nicht willst. Denk doch darüber nach. Du könntest mit Dumbledore–“   Sofort unterbrach er sie, als hätte er erwartet, was sie sagen würde. „Vergiss es!“ Er schnaubte. „Wann siehst du endlich ein, dass ich nicht der tolle Kerl bin, den du in mir siehst? Versteh doch, ich bin in dieser Geschichte nicht der Held“, wisperte er, „sondern der Bösewicht.“   „Draco, bitte“, flehte sie ihn an. Sie griff nach seiner Hand und hielt sie mit ihren beiden fest umklammert. „Denk doch wenigstens darüber nach. Noch ist es nicht zu spät. Du kannst dich noch für eine Seite entscheiden.“ Sie war ihm jetzt ganz nah. Das Licht des Mondes schien schwach durch die Vorhänge, sodass sie seine Augen sehen konnte. Sie suchte in ihnen nach einem Zeichen, nach einem Gefühl oder einer Regung.   Vergebens.   Er löste seine Hand aus ihrem Griff und erhob sich vom Bett. „Ich habe mich bereits für eine Seite entschieden“, antwortete er leise, mit dem Rücken zu ihr, bevor er in die Richtung seines eigenen Bettes aufbrach. „Und zwar für die Seite der Gewinner.“   ***   Voldemort stand vor dem Kamin im großen Saal im Anwesen der Lestranges, als es an der Tür klopfte. Er war allein. Nur Nagini befand sich stets in seiner Nähe. Sie schlief auf einem Sessel in der Nähe des wärmenden Kamins.   „Herein.“   Langsam öffnete sich die Tür und wenig später ertönte die leise Stimme von Wurmschwanz. Seine Stimme war ehrerbietend und wie so oft lag – auch noch nach all den Jahren seiner Dienste – Angst darin, die er vor seinem Meister nicht verstecken konnte. Voldemort drehte sich nicht zu ihm um, sondern starrte weiter in das Feuer, den Zauberstab zwischen den dünnen langen Fingern haltend.   „Mylord, verzeiht die späte Störung. Malfoy wünscht euch zu sprechen. Er sagt, es sei dringend.“   „Schick ihn herein.“   „Sehr wohl, Mylord.“   Einige Sekunden vergingen, in denen nur die dumpfen Schritte von Wurmschwanz und das Knistern des Feuers zu hören waren.   Dann ertönte die Stimme seines treuesten Gefolgsmannes. „Mylord.“   „Lucius, was beschert mir die Überraschung deines spontanen Besuchs?“, fragte er mit ruhiger und beinahe sanfter Stimme. Er war alles andere als erfreut, über die späte Störung. Bis vor einer Minute war er noch in tiefen Gedanken versunken gewesen und er hoffte für Lucius, dass er ihn besser nicht reizte. Noch ein weiterer Misserfolg und er würde jemanden foltern. „Ich hoffe es sind gute Neuigkeiten, die du mir bringst.“   „Sehr gute, Mylord.“   Dann drehte Voldemort sich endlich um und sein Blick fiel auf den blonden Todesser, der auf dem Boden kniete. Sein Zauberstab lag locker in seiner Hand und er richtete ihn auf Lucius. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihm aufzustehen.   „Tatsächlich?“   Lucius Malfoy erhob sich und stand gerade und anmutig mit gerecktem Kinn, die grauen Augen auf seinen Meister gerichtet. Im Gegensatz zu Wurmschwanz lag keine Angst in seinem Blick. Das blonde Haar hing in langen Strähnen über seinem schwarzen Umhang. In seiner rechten behandschuhten Hand hielt er seinen Gehstock mit dem Schlangenkopf.   „Sprich“, forderte Voldemort. Seine Stimme klang wie ein ungeduldiges Zischen.   „Es ist Mulciber und Avery gelungen Leontes zu finden.“   Seine roten Augen weiteten sich.   Endlich!   „Wo ist er?“   „Er ist im Kerker, Mylord.“   Voldemorts schmale Lippen verzogen sich zu einem grotesken Grinsen.   „Ausgezeichnet.“   ***   Vor der Kerkertür stand ein maskierter Todesser. Mit einer Kopfbewegung deutete Voldemort ihm, die Türe zu öffnen. Dieser zog seinen Zauberstab, machte einige kunstvolle Bewegungen mit der Hand und löste somit die starken Zauber, die auf der Tür lagen. Man hörte mehrere Schlösser knacken und nach einem weiteren Zauberspruch öffnete sich knarzend die Tür. Voldemort trat in die Zelle, gefolgt von Wurmschwanz, Lucius und zwei weiteren Todessern.   In der Ecke der Zelle saß ein alter Mann. Seine Handgelenke waren magisch gefesselt und eine Platzwunde mit verkrustetem Blut zierte seine Stirn. Er wirkte senil und gebrechlich, doch anscheinend hatte er sich gegen seine Festnahme heftig gewehrt, wie seine zerrissene Kleidung und mehrere Wunden bezeugten. Voldemort wusste, dass der Anblick täuschte, und er nicht einem alten Greis, sondern einem talentierten und mächtigen Zauberer gegenüberstand.   Beim Anblick von Dunklen Lord weiteten sich Leontes Augen ein wenig, doch sonst zeigte er äußerlich keine Furcht, so wie sonst die meisten Hexen, Zauberer und Muggel reagierten, wenn sie ihm das erste Mal in die Augen blickten. Ihre Angst war so süß wie Zucker.   Endlich hatte er ihn gefunden. Seinem Ziel war er nun ganz nah.   „Lasst uns allein.“   Die Todesser sollten nichts von alledem erfahren. Es war zu gefährlich. Sie wussten eh schon viel zu viel. Mochten sie sich die Köpfe darüber zerbrechen, weswegen dieser Zauberer so wichtig für ihren Meister war. Sie würden es nie erfahren.   Wurmschwanz warf einen verwirrten Blick zu seinem Meister, verbeugte sich dann aber gehorsam und verließ mitsamt den anderen Todessern die Zelle. Die Tür schloss sich hinter ihnen.   „Was wollt Ihr von mir?“, fragte Leontes mit heiserer Stimme.   Voldemorts rote Augen leuchteten in der Dunkelheit und ein siegessicheres Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich denke, das weißt du ganz genau.“   „Ich habe nichts, was ich Euch bieten kann.“   „Das werden wir … gleich erfahren …“   Er richtete seinen Zauberstab auf ihn.   „Legilimens!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)