Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [30.03.2011 – D02 – Reperaturservice] ------------------------------------- Wie hatte sie sich dazu überreden lassen? Sie war sich nicht sicher. Es hatte mit ihrem Drang zu tun, sich zu beweisen, und ebenso damit, dass sie nicht riskieren wollte, dass ihr ein weiteres Fahrzeug explodierte. Also fuhr sie an diesem Mittag vor Roberts Werkstatt vor, um sich den Wagen, den die Chaostruppe von einem Gebrauchtwagenhändler gekauft hatte, genauer anzusehen. Sie war mit ihrem Motorrad hergekommen, einem roten Enduro von Yamaha, dass sie bei normalen Einsätzen viel zu selten nutzen konnte. Dabei war es wahrscheinlich unauffälliger als ihr normaler Wagen. Die Chaostruppe, so würde sie fortan die Gruppe der Neulinge nennen, die nun ihre Verantwortung waren. Wenn man sie fragte waren Spider und sein vermeintlicher Bruder Mik – beide kaum Älter als zwanzig – ein Beispiel von Dumm und Dümmer. Von allem, was sie gehört hatte, war Spider an der Idee mit dem Sprengstoff beteiligt gewesen, auch wenn es Mr Punches gewesen war, der das Zeug hatte hochgehen lassen. Agent, der selbsternannte Superhacker, war ein alter Sesselfurzer – sie schätzte ihn auf Mitte Vierzig – mit einem Ego, dass an das von Michael heranreichte. Wenn man ihn fragte, war er wohl der Gruppenanführer. Vielleicht sollte sie ihn wegen der ganzen Explosion zur Rechenschaft ziehen. Und dann war da Orion, der Meistermagier. Er hatte angeben wollen. Sie hatte ihn gelassen. Er war gescheitert. Sein Unsichtbarkeitszauber war nicht sonderlich unsichtbar, sein Charme bei weitem nicht so überzeugend, wie er es glaubte. Zuletzt war da Heidenstein, aka „der Doc“. Er hatte geschwiegen, hatte beobachtet und hatte dann aus dem Nichts angeboten, sich um den Wagen zu kümmern, als sich Spider und sein Bruder gegenseitig darin übertrumpft hatten, wie dringend sie einen Wagen brauchten – am beste einen Transporter. Irgendwie hatte Michael es ihnen erlaubt. Tja, und hier war sie. Roberts kleiner Familienbetrieb, den er von seinem Vater übernommen hatte, war eine Mittelgroße Autowerkstatt. Sie hatten mehrere Plätze, mehrere Hebebühnen, um sich die Wagen anzuschauen und so war es ein leichtes, einen davon für einen kleinen Betrag zu mieten. Der Geruch von Motoröl, Lack und Staub lag in der Luft. Auf dem Parkplatz vor der Werkstatt stand bereits ein weißer Transporter, an dem ein Mann lehnte. Heidenstein. Also war er da geblieben. Was hatte sie erwartet? Sie stieg von dem Motorrad ab, nahm den Helm ab und ging raschen Schrittes zu ihm hinüber. „Hast du lange gewartet?“, fragte sie und musterte Heidenstein, der eine Nachricht auf seinem Handy las. Er sah auf; musterte sie. „Ah.“ Er zögerte. „Pakhet.“ Einmal blickte er sich um, schüttelte dann den Kopf. „Nein. Nicht besonders lang.“ „Gut.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist der Wagen?“ „Ja“, erwiderte er. „VW T6. Standard Transporter. Drei Jahre alt. Gehörte vorher offenbar einem Malereibetrieb.“ Ein weiteres Schulterzucken. So etwas musste sie nicht wissen. „Hast du eine Möglichkeit zur Firma oder“ – sie hielt kurz inne – „nach Hause zu kommen?“ Wenn er den Wagen hergefahren hatte, bräuchte er wohl jemanden, der ihn abholte. „Nein“, erwiderte er. Auch er zögerte. „Ich dachte, ich könnte helfen.“ „Helfen?“ „Ich habe dich richtig verstanden, oder? Du willst den Wagen selbst reparieren, oder?“ Sie seufzte. Eigentlich hatte sie den Wagen mit Roberts Hilfe reparieren wollen. Immerhin wusste Robert was er tat – anders, als sie es von einem Arzt erwartete, wenn es um Wagen ging. Doch Robert wollte nicht in diese Sachen mit hineingezogen werden. Sie konnte es verstehen. „Hast du Ahnung von Automechnanik?“ „Ich kenne die Grundlagen“, erwiderte er. „Und das heißt?“ „Ich weiß, wie man Zündkerzen austauscht. Ich habe Ahnung von üblichen Fehlern. Ich habe das ein oder andere Mal einen Jeep repariert.“ „Ah.“ Sie verkniff sich ein genervtes Stöhnen. „Und was ist mit Grundüberprüfung?“ Er schenkte ihr ein geübtes Lächeln. „Was soll damit sein?“ „Schon mal gemacht?“ „Nein. Aber ich dachte mir, du kannst mir die Grundlagen zeigen. Man lernt immer dazu.“ Na großartig. Also sollte sie selbst für ihn noch Lehrerin spielen? „Solche Services kosten normalerweise.“ „Und was könnte ich tun, um dafür zu bezahlen?“ „Das ist es ja“, erwiderte sie grimmig. „Nichts.“ „Zu schade.“ Er zuckte mit den Schultern. Pakhet wandte sich ab, als ihr doch etwas einfiel. „Vielleicht gibt es eine Sache“, erwiderte sie. „Warst du bei der Jungfernmission der Chaostruppe dabei?“ „Chaostruppe?“ Er hob eine Augenbraue hoch, schien aber sehr wohl zu verstehen. „Ja, das war ich tatsächlich. Mr Smith hatte mich als Backup mitgeschickt.“ „Gut.“ Sie wandte sich ab. „Dann erzähl mir, wie das ganze so schief gehen konnte und wir können darüber reden.“ „Deal“, erwiderte er, aber sie war bereits auf dem Weg zu Robert. Sie brauchte den Schlüssel für das Tor zu der seitlichen Garage, die ebenfalls eine Hebebühne hatte, halbwegs aber vom Rest der Werkhalle getrennt war. Dort würde sie in Ruhe arbeiten können. Soweit in Ruhe zumindest, wie es der Doktor mit dem zu langen Namen zulassen würde. Worauf hatte sie eigentlich eingelassen? Die Werkstatt unterschied sich nicht großartig von den meisten anderen. Sie bestand aus einer einzelnen großen Halle und zwei Garagen. Daneben fand sich ein kleiner Shop, hinter diesem ein Büro, von dem aus Robert arbeitete. Zielstrebig schritt sie zum Shop und in diesem zur Tür neben der Kasse. Sie klopfte und wartete auf Roberts Antwort. Schritte erklangen. Dann wurde die Tür geöffnet. „Hey, Jo.“ Robert lächelte sie an und deutete kurz eine Umarmung an. „Also, wo ist der Patient?“ Sie konnte sich den Witz nicht verkneifen. „Beim Doktor.“ Verwirrt schaute Robert sie an. Mit einem leisen Seufzen erklärte sie: „Einer meiner Kollegen hat den Wagen hergebracht. Ein Medic. Doctor Heidenstein. Und er will eine Einweisung in die Grundlagen der Fahrzeugkontrolle, scheint mir.“ „Dann schick ihn weg“, erwiderte Robert nüchtern. Sie zuckte mit den Schultern. „Er weiß etwas, was ich wissen will. Also habe ich ihm einen Deal angeboten.“ „Das wird nur zu Schwierigkeiten führen“, murmelte Robert und Joanne seufzte. „Wird es. Wahrscheinlich.“ Für einen Moment seufzte Robert. Dann griff er in sein Büro rein und holte einen Schlüssel hervor. „Hier.“ „Danke. Du bist ein Schatz.“ „Und du schuldest mir eine Pizza.“ „Darüber können wir reden.“ Sie zwinkerte ihm zu und brachte sogar ein mattes Lächeln zustande, ehe sie zur Tür lief und die Hand zum Abschied hob, ehe sie den kleinen Shop verließ. Sie eilte zur Garage hinüber, wo sie den Tür in das Schloss neben dem schweren, automatischen Tor steckte und umdrehte. Der Motor erwachte dröhnend zum Leben und hob das Tor an. Als es schließlich mit einem Knacken einrastete, winkte sie Heidenstein hinüber, der nickte, in den Wagen einstieg und ihn hineinfuhr. Zumindest hatte er genug Kontrolle über den Wagen, als dass der kleine Transporter schon nach dem ersten Versuch auf den Schienen der hydraulischen Bühne stand. „Mietest du die Garage?“, fragte er, als er ausstieg. „Ja“, erwiderte sie. „Mr Forrester zahlt am Ende aber.“ Das war natürlich gelogen, doch Doctor Heidenstein musste das nicht wissen. [[BILD=8372700.png]] „Ah.“ Er seufzte, während sie den Wagen umrundete. Sie machte das Licht an und begann den Wagen von außen zu inspizieren. Zuallererst wollte sie sicher gehen, dass kein Blechschaden vorlag – nicht das dieser die Leistungsfähigkeit des Wagens beeinflusste. Sie entdeckte auf Anhieb einige Kratzer im Lack. Das hieß, sie würden auf Dauer neu lackieren müssen. Vielleicht besser, denn wenn man genau hinsah konnte man sehen, wo einst das Logo der Malerei gewesen war. „Mir ist eine Beule in der Kühlerhaube aufgefallen“, merkte Heidenstein an. „Dazu komme ich gleich“, erwiderte sie. „Ich will erst einmal wissen, was auf dieser Mission schief gegangen ist.“ „In Ordnung.“ Er wirkte amüsiert und lehnte sich lächelnd an den Wagen. „Was weißt du?“ „Ich weiß so viel: Ihr solltet einen Ordner aus dem Büro in der Chemiefabrik stehlen. Ihr wurdet von Security überrascht. Jemand hielt es für eine tolle Idee, irgendetwas hochgehen zu lassen.“ Heidenstein schmunzelte. „Das ist arg vereinfacht ausgedrückt.“ Mittlerweile war sie bei der Kühlerhaube angekommen und sah, wovon er zuvor gesprochen hatte. An der rechten Seite war das Heck eingedellt. Wahrscheinlich war einmal jemand an einer Mauer oder vergleichbaren langgeschrabt. Man hatte mit einem Lackstift den Lackschaden notdürftig verdeckt. Fuck. Dieses Fahrzeug war ein Wrack. Aber dafür war es wahrscheinlich billig gewesen. „Erzähl“, meinte sie. „Gut. Grundlegend hast du Recht. Wir sollten Informationen holen. Keinen Ordner. Daten von einem Rechner. Forschungsdaten. Mr Smith hatte extra etwas herausgesucht, für das man einen ITler brauchte.“ „ITler im Feld sind immer eine beschissene Idee“, murmelte Pakhet, während sie sich auf den Wagen stützte und dagegen drückte, um zu sehen, ob die Federn davon allein nachgaben. Heidenstein ignorierte sie. „Wir sind ohne große Probleme reingekommen. Mik hat jemanden bequatscht, der dort arbeitet. Er hatte einen Schlüssel. Soweit also alles kein Problem. Spider, er, Punches und Agent sind rein. Orion und ich sind draußen geblieben. Erst schien alles wunderbar zu laufen, aber dann wurden sie von einem Hund entdeckt.“ Er machte eine dramatische Pause und brachte sie damit dazu, die Augen zu verdrehen, während sie zur Kontrolle der Bühne ging. „Und dann?“ „Und dann haben sie den Hund erschossen“, erwiderte Heidenstein nüchtern. „Und haben damit noch mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Bevor wir draußen viel mitbekommen haben, hatten sie weitere Security gerufen. Wir wollten nachziehen, aber Mr Punches“ – sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er den Namen genau so albern fand, wie sie – „meinte, er hatte einen Plan.“ „Und dann Bumm?“, fragte sie. „So in etwa. Sie haben noch etwas gerufen, dass wir sie in Richtung Stadtmitte treffen sollen. Und dann   … Dann ist das ganze Gebäude in die Luft geflogen. Offenbar haben sie das Sprengstoff im Lacklager deponiert.“ „Und wie sind die Idioten rausgekommen?“, fragte Pakhet. „Kanalisation“, erwiderte Heidenstein. „Lecker.“ „Absolut.“ Sie seufzte. „Und wer war es, der das Zeug hat hochgehen lassen?“ „Punches. Soweit ich es verstanden habe. Aber es war ein gemeinschaftlicher Plan.“ Wundervoll. Sie duckte unter den Wagen. Womit hatte sie das alles nur verdient? „Und du machst das schon lange?“, fragte er, als er ihr unter den Wagen folgte und eine kleine Taschenlampe aus seiner Jacke hervorholte. Mit Absicht tat sie, als würde sie ihn nicht verstehen. „Was?“ „Söldnerei“, erwiderte er. Sie zuckte mit den Schultern. „Seit einer Weile.“ Es hatte ihn nicht zu interessieren. „Und du bist genau so neu, wie die Chaoten.“ „Kann man so nicht sagen“, erwiderte er. „Das heißt?“ Er lächelte. „Wer weiß.“ Sie würde ihn nicht bedrängen. Es ging sie genau so wenig an, wie es umgekehrt der Fall war. „Also, Doc, was kannst du mir zu dem Wagen sagen?“ „Doc?“, meinte er. „Doctor Heidenstein ist für einen Codenamen zu lang“, erwiderte sie. „Also, der Wagen.“ „Der Wagen ist deutlich mitgenommen“, meinte er. „Die Aufhängung ist ausgeleiert, das Blech an mehreren Stellen demoliert. Vor allem aber sind die Antriebswelle ziemlich mitgenommen. Und wenn du mich fragst, brauch der Motor allgemein ein wenig Zuwendung.“ Sie machte einen halb amüsierten Laut. „Das war besser als erwartet.“ „Ich habe doch gesagt, ich habe ein wenig Erfahrung.“ Damit warf er ihr ein kurzes Lächeln zu. „Ich merke es.“ Er betrachtete. „Und Heidenstein ist zu lang? Schade.“ „Schade?“ „Ich dachte, der Name wäre amüsant.“ „Nun, du weißt schon, dass der Doktor Jekyll war und Hyde das Monster, oder?“, erwiderte sie. Zumindest war sie zu dem Schluss gekommen, dass Heidenstein eine Zusammensetzung von Hyde und Frankenstein war. „Vielleicht wollte ich darauf hinaus“, meinte er. „Und was? Plötzlich wird der Doktor Grün?“ Er zuckte mit den Schultern, lachte aber leise. „Ich denke, das ist das falsche Universum.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)