Das Schlachthaus in der Minton Street von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 16: Chapter 4 - 4 ------------------------- Als Eddie knapp zweieinhalb Stunden später von der Main Street abbog und den Weg in Richtung Minton Street einschlug war er alleine. Dieser Gedanke missfiel ihm durchaus, denn obgleich ihm die gestrigen Schilderungen seiner Mutter keinesfalls Angst gemacht hatten war er von der Vorstellung, alleine das verfallene Gebäude zu betreten und sich dort weiter umzusehen, nicht sonderlich begeistert. Er glaubte nicht an die Geschichten von Geistern, oder daran, dass irgendetwas anderes an dem Haus bedrohlich oder gar gefährlich sein könnte - nicht, wenn dort wirklich niemand mehr lebte - aber dennoch. Bei dem Gedanken, dort drinnen ganz alleine zu sein, bereitete ihm beinahe eine Gänsehaut. Und so hatte er sich dazu entschieden, heute nicht wieder durch das Fenster zu klettern, sondern sich stattdessen nach einem Hinterhof oder einer Scheune oder irgend etwas umzusehen, das die Tatsache, dass es sich früher um ein Schlachthaus gehandelt hatte, untermauern würde. Während er den gleichen Weg, den er gestern auf der Flucht und gehetzt zurückgelegt hatte, in gemächlichem Tempo hinter sich brachte schweiften seine Gedanken ab. Nicht zu den Schlachthaus, und den Geschichten, die ihm dazu einfallen würden, nein- sondern zum heutigen Schultag. Er fühlte sich schuldig. Irgendwo was er verantwortlich dafür, dass er jetzt alleine hier war, und nicht mit Victor zusammen wie es eigentlich der Plan gewesen war. Victor saß jetzt in der Schule und langweilte sich unten den strengen Blicken von Direktor Hallow, der nach einen kurzen Gespräch entschlossen hatte, Neil und Victor für ihr „unangemessenes“ Benehmen im Chemieunterricht nachsitzen zu lassen. Sein eigener Sohn war mit einer Verwarnung davongekommen, wie üblich; Hallow hatte nicht einmal in Betracht gezogen, jemanden der anderen Schüler zu fragen wie die Sache in Wirklichkeit abgelaufen war. Hatte stattdessen Dans Schilderungen glauben geschenkt, Victor habe sich den Arm selber verbrannt und sei daraufhin so wütend geworden, dass er Dan das glühende Magnesiastäbchen in den Arm gestochen hatte. Im Grunde war es nicht einmal verwunderlich, dass der Direktor seinem Sohn einfach so geglaubt hatte. Dan und Victor waren schon des Öfteren aneinandergeraten - dass jede dieser Auseinandersetzungen von Dan ausgegangen war sollte wohl kaum einer Erwähnung bedürfen - und jedes Mal beteuerte Dan, dass er nichts getan hatte außer sich zu verteidigen. Und Mr. Hallow glaubte ihm. So auch heute. Dabei hatte Victor einfach bloß dafür sorgen wollen, dass Eddie sein Buch zurückbekam; und das alles war eigentlich nur deshalb passiert weil Eddie es wieder einmal nicht geschafft hatte, sich selbst zu wehren. Er war doch selber Schuld, diese Meinung hatte sich über die Jahre fest in seinen Gedanken verfestigt, hatten sich dort festgesetzt und waren gewachsen, und waren zu einer Gewissheit geworden die sich auch durch regelmäßige Aussagen anderer, dass das keinesfalls der Wahrheit entsprach, nicht beeinflussen ließ. Er hätte sich wehren sollen, hätte Dan und Neil selbstsicherer gegenübertreten sollen. Aber er war nervös gewesen wie jedes Mal, seine Stimme hatte gezittert und er hatte ängstlich gewirkt. Armselig. Natürlich hatten die beiden ihn so nicht ernst genommen! Und jetzt saß Victor beim Nachsitzen, und wie er Eddie berichtet hatte nachdem er aus dem Büro des Direktors zurückgekommen war hatte Mr. Hallow zudem vor, seinen Vater anzurufen um ihn darüber in Kenntnis zu setzen wie auffällig, ja, gradezu gemeingefährlich sich sein Sohn in der Schule verhielt. Das alles nur wegen diesem Buch. Das alles nur, weil Eddie es nie schaffte, sich zur Wehr zu setzen. Victor hatte ihm ein weiteres Mal versichert, dass alles in Ordnung sei, dass Eddie sich keine Vorwürfe zu machen brauchte, und er hatte dabei vollkommen aufrichtig geklungen, aber das änderte nichts. Eddie fühlte sich schuldig. Und er war wütend auf sich selbst. „Du bist einfach ein Feigling“, murmelte er in Gedanken versunken zu sich selbst, als er grade um die Ecke hinein in die Minton Street abbog, wo er nun den Kopf hob und sich aufmerksam umblickte. Er sah den schmalen Gang, der vorbei an der Fassade des Hauses weiter nach hinten führte, nicht gleich, er war unscheinbar und mit einem Tor aus Maschendraht von der Straße abgetrennt, das jedoch so sehr demoliert worden war dass es ein leichtes sein würde, mit einem großen Schritt darüber hinweg zu kommen. Es war kein Wunder, dass er diesen schmalen Weg gestern auf seiner Flucht übersehen hatte. Die Gedanken an die Chemiestunde waren noch immer da, doch sie wurden leiser als Eddie auf das Tor zuging, rückten in den Hintergrund und wurden von dieser Neugierde und Erwartung übertönt, die Eddie gestern bereits verspürt hatte, als er den staubigen Keller erkundet hatte. Bevor er seine Aufmerksamkeit vollends dem Tor und dem, was dahinter lag zuwendete, warf Eddie einen Blick aus das Haus selbst. Staubige, teilweise zerbrochene Fensterscheiben zierten die Fassade, von der der Putz abbröckelte und die weiter unten mit Graffiti und kreativen Sprüchen beschmiert worden war wie „Anton is Gay“ und „Sabrina und Carlson = Liebe“. Es sah wirklich nicht so aus als wäre das Gebäude in den letzten Jahren von irgendjemandem bewohnt worden. Dennoch blieb ein gewisser Hauch von Nervosität als Eddie über das Gartentor stieg, darauf bedacht nicht daran hängen zu bleiben und womöglich zu stürzen; er wusste wie tollpatschig er war, und dass Mom gestern nichts von dem Schnitt an seinem Arm bemerkt hatte grenzte an ein Wunder, er musste sein Glück wirklich nicht weiter ausreizen. Der Weg, der hinter das Gebäude führte, bestand aus Steinen, doch diese waren derart von Unkraut überwuchert dass es eher so wirkte als schlage man sich durch das Dickicht eines Waldes. Rostige Dosen lagen in den Sträuchern die größtenteils vertrocknet waren; Glasflaschen, Chipstüten, und einige Spritzen bei denen es sich höchstwahrscheinlich um die Überbleibsel einer hier abgehaltenen Drogenparty handelte. Der Gedanke, dass Eddie nicht der erste war der dieses Gelände betrat und sich damit möglicherweise unbefugt auf ein bewohntes Grundstück begab beruhigte ihn gewissermaßen. Andererseits löste die Vorstellung, einem Landstreicher oder womöglich einer Gruppe Drogenjunkies zu begegnen, eine neue Welle der Nervosität in ihm aus. Der Hof, der sich hinter dem Gebäude des Schlachthauses erstreckte, wirkte allerdings vollkommen verlassen. Bis auf einen kleinen Vogel, der durch struppiges Geäst hüpfte gab es keinerlei Spur irgendeinen Lebens, allerdings war auch hier einiges an Müll zurückgelassen worden. Vorsichtig, darauf bedacht, keine allzu lauten Geräusche zu verursachen, begab Eddie sich weiter über den Hof. Weiter hinten, vor einer hohen Mauer, stand ein eingefallenes Gebäude, das möglicherweise irgendwann einmal ein Stall gewesen sein mochte, doch mehr als vermoderte Bretter die wirr durcheinander lagen oder von schiefen Balken baumelten war davon nicht übriggeblieben. Das ganze Grundstück erstreckte sich weiter als es von vorne zu vermuten gewesen wäre, nun konnte Eddie es sich besser als ehemaliges Schlachthaus vorstellen, auch wenn ihm nun auffiel dass die zusammengefallene Ruine wohl kaum einmal ein Stall gewesen war, außer, die letzten Bewohner hätten für einen solchen ebenfalls Verwendung gehabt. Dennoch zog ihn der Haufen von Brettern beinahe magisch an. Die wenigen Balken, die noch mehr oder weniger an ihrem Platz Standesunterschiede noch Bretter an Ort und Stelle hielten boten zumindest ein wenig Schutz vor Regen oder Schnee, und allgemein gab das Ganze einfach ein fantastisches Fotomotiv ab. Die Kamera, die er heute morgen zusammen mit der Taschenlampe eingesteckt hatte, in der Hand blieb er etwas drei Meter vor der Ruine stehen, entfernte die Schutzklappe und nahm die ersten Bilder auf. Das Klicken des Auslösers ließ ihn zusammenzucken, es klang viel zu laut in dieser ansonsten so stillen Umgebung. Hektisch blickte er sich um. Noch immer war niemand zu sehen, und auch der Vogel schien verschwunden zu sein, in diesem Augenblick war er augenscheinlich das einzige Lebewesen auf dem gesamten Gelände. Ein wenig zögernd ging Eddie weiter auf den Bretterverschlag zu. Blieb in dem, was möglicherweise einmal der Rahmen einer Tür gewesen war stehen, und zog die Taschenlampe aus seiner Tasche, obwohl es keinesfalls stockdunkel im Inneren war, da an vielen Stellen Sonnenstrahlen durch kleine und Große Lücken zwischen den Brettern fielen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)