Das Schlachthaus in der Minton Street von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 14: Chapter 4 - 2 ------------------------- Die Taschenlampe, die er versprochen hatte mitzubringen, hätte Victor am nächsten Morgen beinahe vergessen, so wie er auch vergessen hatte, was er und Eddie überhaupt nach der Schule geplant hatten zu tun. Er war viel zu spät aufgewacht, nachdem er wieder einmal den Großteil der Nacht wachgelegen und in die Dunkelheit gestarrt hatte, weil die Schlaftabletten die er nahm nur wenig Wirkung zeigten, und in der Hektik waren seine Gedanken lediglich darum gekreist dass er nun zu spät zu Mrs. Clines Englischunterricht kommen würde. Dass sie davon wenig begeistert sein und ihn zur Strafe direkt den Aufsatz vorlesen lassen würde den sie als Hausaufgabe hatten verfassen sollen, und dann würde sie jeden einzelnen Satz davon auseinandernehmen wie sie es jedes Mal tat und ihn spüren lassen, dass sie ihn in Bezug auf die englische Sprache für einen totalen Versager hielt. Erst als Victor bereits die Haustür hinter sich zugezogen hatte war ihm das Schlachthaus wieder eingefallen. Ein Blick auf die Uhr hatte ihm gezeigt, dass er ohnehin zu spät kommen würde, und so hatte er die Tür wieder aufgeschlossen und war noch einmal nach oben gerannt, wo die Taschenlampe in der Schublade der Flurkommode lag. Ob er nun fünfzehn oder zwanzig Minuten zu spät kam würde auch keinen großen Unterschied mehr machen. Es war genau siebzehn Minuten nach neun gewesen, als er die Tür des Klassenzimmers geöffnet und leise eingetreten war, und sofort waren alle Augen auf ihn gerichtet gewesen, und es war genau das eingetreten, was Victor erwartet hatte: Mrs. Cline hatte ihn aufgefordert, seine Tasche abzustellen und dann nach vorne an die Tafel zu kommen und seinen Aufsatz vorzulesen. Lieber wäre er im Erdboden versunken, doch da das nicht funktionierte war ihm nichts anderes übrig geblieben als der Aufforderung Folge zu leisten, und die halbe Stunde die es dauerte bis er mit Vorlesen und Mrs. Cline mit ihrer Kritik fertig gewesen war und er sich endlich auf seinen Platz neben Eddie hatte setzen dürfen war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Eigentlich hatte er nicht erwartet, dass der Tag danach noch schlimmer werden könnte. Die folgenden zwei Stunden Geschichte waren so trocken wie üblich, insbesondere aufgrund der Tatsache dass Mr. Ortega in einem Tonfall sprach, als würde er jeden Augenblick einschlafen, und danach folgten lediglich noch zwei Stunden Chemie, bevor der Schultag für heute beendet sein würde. Nein, Victor hatte wirklich nicht erwartet, dass diese beiden Stunden schlimmer als der Englischunterricht werden würden. Die Aufgabe, die Mrs. Skeffington sich an diesem Tag für ihre Schüler ausgedacht hatte, bestand darin, verschiedene Stoffe auf Magnesiastäbchen in die Flamme des Bunsenbrenners zu halten und die Beobachtungen zu notieren. Irgendwie ließ sie diesen Versuch in jedem Schuljahr mindestens ein Mal durchführen als wisse sie einfach nicht, was sie sonst tun sollte, aber das war okay; zumindest konnten Victor und Eddie sich so während der Durchführung in Kleingruppen in Ruhe unterhalten. Eddie hatte das Notizbuch dabei und studierte ein weiteres Mal die Zeichnungen darin, während er nebenbei auf einem Zettel notierte welche Farbe die Brennerflamme bei den Stoffen annahm, die Victor auf den Stäbchen hineinhielt. Sein Interesse galt allerdings bei weitem mehr dem Buch als dem Experiment. „Das sieht wirklich total gut aus!“, sagte er grade und deutete auf die Zeichnung des vollständigen Skelettes auf der letzten Seite des Buches, um dann in die Ecke des Chemieraumes zu blicken in der Eugene, das Anatomiemodell aus dem Biologieunterricht stand und mit seinen leeren Augenhöhlen grinsend in den Klassenraum blickte. Victor nickte bloß. Natürlich, er fand die Zeichnungen ebenfalls reichlich beeindruckend, insbesondere aus einem medizinischen Standpunkt heraus, doch momentan konzentrierte er sich darauf, Kupfersalz auf eines der Stäbchen zu streuen und es über die Brennerflamme zu halten, die daraufhin die Farbe von Weiß und Türkis annahm. So sehr war er auf diese Beobachtung konzentriert; so sehr, wie Eddie eben auf die Zeichnungen konzentriert war, dass keiner von ihnen bemerkte, wie Neil von seinem Tisch in der letzten Reihe aufgestanden und sich auf den Weg nach vorne gemacht hatte. Mrs. Skeffington hatte sich vor wenigen Minuten mit den Worten entschuldigt, dass sie vergessen hatte ein paar Arbeitsblätter zu kopieren - sie wollte eine rauchen, das war, wie jeder wusste, der wahre Grund für ihr häufiges Verschwinden wegen des Unterrichts - und sie hatte die Schüler ermahnt, keinen Blödsinn zu machen während sie weg war. Neil jedoch schien diese Anweisung nicht im Geringsten zu interessieren. Victor bemerkte ihn in dem Moment, in dem er neben Eddie zu stehen kam, und noch bevor er irgendwie reagieren konnte hatte Neil sich vorgebeugt und das noch immer aufgeschlagene Notizbuch an sich gerissen. „Was hast du denn da für’n Scheiß?“, knurrte er, wobei er grinste als habe er grade eine äußerst erfreuliche Entdeckung gemacht. Eddie, der erschrocken zusammengezuckt war, starrte ihn einen Augenblick lang perplex an, bevor er mit leicht zitternder Stimme sagte: „Hey, gibt das wieder her…“ „Ach, halt die Klappe!“ Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Neil die Zeichnungen, und als Victor einen Schritt auf ihn zumachte und versuchte, nach dem Buch zu greifen, drehte er sich um und lief wieder nach hinten an seinen eigenen Tisch. Dabei brüllte er durch den gesamten Raum: „Ist das schon wieder so ‚ne gestörte Psychoscheiße von dir? Man, man, bei dem was du dir so ausdenkst solltest du mal zum Psychologen gehen!“ Eddie sah aus, als wollte er etwas erwidern, doch brachte er keinen Laut hervor, verzweifelt starrte er Neil an, stand auf, schien jedoch nicht wirklich zu wissen, ob er seinem Mitschüler wirklich folgen sollte. Neils Grinsen wurde breiter. „Na komm schon, was ist los? Hast du Schiss oder was? Wenn du dienen Kram wiederhaben willst, dann hol ihn dir!“ Tatsächlich leistete Eddie dieser Aufforderung Folge, doch er wirkte alles andere als selbstsicher, als er auf Neil zuging, und seine Stimme zitterte noch ein wenig mehr als er wiederholte: „Jetzt gib mir mein Buch zurück!“ „…nah…ich denke nicht!“ Nun kicherte Neil, und Dan, der ebenfalls mit an dem Tisch saß und grade die Flamme des Bunsenbrenners regulierte, tat es ihm gleich. Fügte hinzu: „Du bist doch gestern schon davongekommen, das müssen wir doch jetzt nachholen!“ Victor spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Während er Neil dabei beobachtet hatte wie er das Buch an sich gerissen und davongelaufen war hatte er das Ventil seines eigenen Brenners zugedreht, und nun folgte er Eddie in den hinteren Teil des Klassenraums, wobei er Neil mit eisigen Blick anstarrte. Im Gegensatz zu der von Eddie zitterte seine Stimme nicht im Geringsten, als er sagte: „Hör mit diesem Mist auf und gib das Buch wieder her!“ Einen Augenblick lang war Neils Gesichtsausdruck von Unsicherheit gezeichnet. Er sah aus, als würde er wirklich überlegen, ob er dieser Aufforderung vielleicht lieber Folge leisten sollte, doch hielt dieser Zustand bloß einige Sekunden an, das kehrte das selbstsichere, arrogante Grinsen auf sein Gesicht zurück. „Dich hat niemand gefragt, Freak, also halt dich da raus!“ Victor machte sich nicht die Mühe, etwas darauf zu erwidern; erneut griff er nach dem Notizbuch, woraufhin Neil seinen Arm nach oben riss. Somit erwischte Victor zwar nicht das Buch, dafür aber das Handgelenk seines Mitschülers. „Ey, fang!“, rief Neil nun in Dans Richtung, und warf ihm das Büchlein zu, um danach seinen Arm aus Victors Griff zu entreißen und ihm einen Stoß gegen die Schulter zu versetzen, der Victor einige Schritte zurückstolpern ließ. Eddie versuchte, das Buch zu ergreifen bevor Dan es tat, doch ohne Erfolg; mit seinem typischen breiten Grinsen nahm Dan es an sich, betrachtete es einige Augenblicke lang, um es dann, mit einem Gesichtsausdruck puren Triumphes, langsam auf die Flamme des Brenners zuzuführen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)