Das Schlachthaus in der Minton Street von ReptarCrane ================================================================================ Kapitel 4: Chapter 2 - 1 ------------------------ Beinahe eine Minute lang hatte Eddie vor der Haustür gestanden, nachdem er die Klingel betätigt hatte, und grade war er dabei, sich zu überlegen ob er noch einmal klingeln oder lieber doch nach Hause gehen sollte, als er endlich aus dem inneren des Hauses Schritte näherkommen hörte. Ein Klacken war zu hören, als würde ein Schlüssel im Schloss herumgedreht werden, dann wurde die Tür ein Stück weit geöffnet. „Ja?“, fragte der Mann, der durch den sich soeben aufgetanen Spalt nach draußen blickte und Eddie einen Augenblick lang musterte als habe er ihn noch nie zuvor gesehen. Reflexartig hob Eddie die Hand zu einem Gruß, hastig erwidernd: „Hallo, Mr. Cormins, ich…“ „Doktor.“ „…Was?“ Mit einer Mischung aus Erstaunen und Schrecken blickte Eddie in das Gesicht des Mannes, der abgeschlagen und müde wirkte, was jedoch nicht bedeutete dass seine Anwesenheit und sein prüfender Blick ihn weniger nervös gemacht hätte. „Es heißt“, gab er Mann zurück, dabei die Augen verdrehend als könne er nicht fassen, wie schwer von Begriff sein Gegenüber war, „Doktor Cormins.“ „…oh. Ja. Sicher. Entschuldigung…“ In diesem Augenblick wünschte sich Eddie, er wäre doch nach Hause gegangen, hätte seinen Besuch hier auf später verschoben, am besten auf morgen, nach der Schule… doch jetzt war er nun einmal hier. Befand sich in einer weiteren unangenehmen Unterhaltung mit Mr. … Verzeihung, Dr. Cormins, wie es bereits so viele zuvor gegeben hatte, denn Dr. Cormins war, zumindest in Eddies Augen, eine Person die einen ausgesprochen nervös machte. Überraschenderweise öffnete Cormins die Tür noch ein Stück weiter, trat sogar zur Seite, um Eddie vorbeizulassen, während er sagte: „Ich nehme an, du willst zu meinem Sohn. Er ist in seinem Zimmer. Aber stört mich nicht, ich muss arbeiten!“ Das war bei weitem keine höfliche Einladung, dennoch war Eddie überrascht darüber, dass er ohne große Diskussion eingelassen wurde, das hatte er in der Vergangenheit oftmals anders erlebt. Dr. Cormins schien grundsätzlich nicht viel von Besuch zu halten, und so, wie er sich meistens benahm lag auch nicht grade die Vermutung nahe dass er selbst viele Freunde besaß die er zu sich hätte einladen können. Gemessen daran waren diese objektiv sehr schroffen Worte beinahe mit einer herzlichen Begrüßung zu vergleichen. „…Super, Dankeschön“, murmelte Eddie und schob sich an Cormins vorbei durch die Tür, wobei er seine Schultasche fest an sich drückte als befürchte er, dass man sie ihm entreißen würde. Dass er von Dr. Cormins keine weitere Antwort bekam, überraschte ihn nicht. Im Vergleich zu dem modrig riechenden, verstaubten Kellerraum, aus dem er vor etwa fünfzehn Minuten schließlich vorsichtig wieder herausgeklettert war, noch immer nicht vollkommen sicher, dass draußen wirklich niemand mehr auf ihn wartete, stellte die nahezu klinisch reine Umgebung, die einen gewissen Krankenhausgeruch an sich hatte, ungefähr den größten vorstellbaren Kontrast da. Während er die Treppe hinauf in den ersten Stock ging blickte Eddie an sich herunter, und wenn er ehrlich war, dann hätte er Dr. Cormins heute nicht einmal einen Vorwurf machen können, hätte er ihn nicht reingelassen. Seine Hose sah aus als habe er sie irgendwo aus der letzten Ecke eines uralten Schrankes geholt; verstaubt und mit Spinnweben bedeckt, obwohl er draußen versucht hatte seine Klamotten so gut wie möglich zu säubern. Für jemanden, der derart viel Wert auf Sauberkeit wirkte wie Cormins, musste er grade wie ein personifizierter Alptraum aussehen. Oben angekommen ging er den Flur entlang, warf dabei einen flüchtigen Blick auf die Bilder an den Wänden, so wie er es jedes Mal tat, wenn er hier war. Er kannte sie mittlerweile in und auswendig, jedes Detail, und dennoch faszinierten sie ihn jedes Mal wieder. Dabei waren es bloß Landschaften, gemalt in blassen Aquarellfarben, und Mrs. Logan, die Kunstlehrerin, hätte wahrscheinlich angemerkt dass bei allen reichlich schlampig gearbeitet worden war. Eddie war das egal. Er mochte diese Bilder. Und er wusste, wie viel sie seinem besten Freund bedeuteten, der von Kunst ungefähr so viel verstand wie er selbst von Biologie. Am Ende des Ganges wandte Eddie sich nach links und klopfte an die Tür. Einige Sekunden lang passierte nichts, und grade streckte er seine Hand nach der Klinke aus, um einfach einzutreten - das wäre okay, das wusste er - als er schließlich doch noch eine Antwort bekam: „Komm rein!“ Der Aufforderung folgend öffnete Eddie die Tür und trat ein. „Hey, Victor! Ich hoffe, ich störe nicht?“ Wieder dauerte es einige Sekunden, bis Victor antwortete. „Nein, nein, alles gut. Setz dich doch, ich bin gleich fertig…“ Eddie machte ein paar Schritte auf das Bett zu, hielt dann jedoch inne. Sah hinüber zu Victor, der an seinem Schreibtisch saß über irgendwas gebeugt, neben sich ein großer Glaskasten der aussah wie ein Aquarium, allerdings mit Erde, Blättern und Ästen gefüllt war. Verwirrt zog er die Augenbrauen hoch. „Öhm… was machst du da?“ Erneut verstrichen Sekunden, bis er eine Antwort bekam, und diese half ihm nicht wirklich weiter: „Ich repariere Marie Curies Haus.“ „Äh… ach so. Ja. Alles klar…“ Nachdem er seine Schultasche neben das Bett gestellt hatte durchquerte Eddie das Zimmer, blieb neben seinem besten Freund stehen um zu sehen, was genau er da tat. Vor Victor, auf einem Blatt Papier das er auf den Schreibtisch gelegt hatte, saß eine etwa fünf Zentimeter große Schnecke. In ihrem gelb-braun gestreiften Gehäuse fehlten Stücke, und einige der dadurch entstandenen Löcher waren bereits mit Tesafilmstreifen abgedeckt worden. Bei diesem Anblick wirkte Victors vorige Antwort bei weitem nicht mehr so wirr, dennoch war Eddie überrascht. „Du… verarztest Schnecken?“ „Mhm… kannst du bitte ein Stück zur Seite gehen, du stehst im Licht.“ „Äh ja klar…“ Eddie tat wie ihm geheißen, blickte Victor nun über die Schulter. „Und du hast ihr einen Namen gegeben?“ „Ja.“ Mit äußerster Sorgfalt platzierte Victor einen weiteren Klebestreifen auf dem Haus der Schnecke, augenscheinlich penibel darauf bedacht, bloß nicht den weichen Körper unter dem Kalkgehäuse zu berühren. Eddie nickte. „Und… wo hast du die Schnecke her?“ „Hab sie vorgestern auf der Straße gefunden. Irgendwer ist wohl auf sie draufgetreten…“ Ohne seinen Blick abzuwenden griff Victor nach einer neben ihm liegenden Pinzette und drückte damit die Ecken des Klebefilms am Gehäuse fest. „Ihre Organe waren nicht verletzt, also hab ich ihr Haus zusammengeklebt und sie in das alte Aquarium gesetzt…“ Er legte die Pinzette beiseite und griff wieder nach der Kleberolle. „Sieht heute schon besser aus, aber ich wollte das Klebeband trotzdem mal wechseln.“ „Ah“, erwiderte Eddie, und da ihm ansonsten nicht wirklich etwas einfiel, hob er grüßend die Hand: „Hi, Marie Curie.“ Marie Curie hatte sich beinahe vollkommen in ihr Haus zurückgezogen, lediglich ein Stück des Kopfes schaute heraus, die Fühler waren ebenfalls eingezogen. „…und Klebeband hilft ihr dabei, ihr Gehäuse zu reparieren?“, fragte Eddie nach einigen Sekunden der Stille, einfach, um irgend etwas zu sagen. Victor, grade mit der Pinzette dabei, das augenscheinlich letzte Loch des Schneckenhauses zu verschließen, nickte. „Das schützt die offenen Stellen. Marie Curie frisst Kalk, dadurch kann sie das Haus reparieren…“ „Ohne Kontext klingt das wirklich seltsam.“ „Tja, ich verwirre gerne Leute.“ Vorsichtig nahm Victor das Papier vom Schreibtisch und hob es über das umfunktionierte Aquarium, an einen der Äste. Marie Curie jedoch schien nicht sonderlich überzeugt von der Idee zu sein, sich wieder zu bewegen, verharrte einfach weiterhin, zurückgezogen in ihrem Haus. Victor schien das nicht weiter zu stören. Ohne seinen Blick von der Schnecke abzuwenden fragte er: „Aber du bist sicher nicht hier um dir die Schnecke anzugucken, von der du ja gar nichts wusstest. Also, was ist los?“ „…Wieso los? Ist es so ungewöhnlich, dass ich dich besuche?“ „Nein. Aber normalerweise rufst du vorher an. Wie kommt es, dass mein Vater dich einfach reingelassen hat?“ Nun machte Marie Curie doch Anstalten, sich in Bewegung zu setzen, zumindest kamen ihre Fühler wieder zum Vorschein und sie strecke ihren Kopf ein Stückchen vor. Das Tier weiterhin beobachtend zuckte Eddie mit den Schultern. „Ja, das hat mich auch gewundert…gut gelaunt schien er nicht grade zu sein.“ Was er nicht anders gewohnt war, und genau das sprach Victor auch aus: „Ist das was Neues?“ Marie Curie hatte sich mittlerweile in Bewegung gesetzt und bereits über die Hälfte des Weges zur Blattkante zurückgelegt, abgesehen von den Schäden ihres Hauses schien es ihr wirklich gut zu gehen. Vorsichtig ließ Victor das Papier noch ein wenig nach unten sinken, dann wiederholte er: „Also? Was ist los?“ „Darf ich dich nur besuchen, wenn irgendwas los ist? Du kannst mir auch sagen, wenn du keine Lust auf mich hast!“ Eddies Tonlage ließ eigentlich keinerlei Zweifel daran, dass diese Bemerkung nichts weiter gewesen war als ein Scherz. Dass solche Scherze in der Gegenwart von Victor, der irgendwie immer ein wenig Schwierigkeiten zu haben schien, Tonlagen und Emotionen jeglicher Art richtig zuzuordnen, keine sonderlich gute Idee waren, fiel ihm erst wieder ein, als er die Worte bereits ausgesprochen hatte, und sein Freund sich derart ruckartig zu ihm drehte dass Marie Curie beinahe von dem Papier gestürzt wäre. „Nein! So… so war das nicht gemeint!“, stotterte er. „I… ich dachte nur…“ „Nein, alles gut, das war ein Scherz!“ Automatisch hatte Eddie einen Schritt zurück gemacht und beschwichtigend die Hände gehoben. Nun schoss ein stechender Schmerz durch seinen rechten Arm, dessen Schnittverletzung er zwischenzeitlich vollkommen vergessen hatte. „…Oh.“ Victor warf noch einmal einen kurzen Blick in Richtung der Schnecke, die mittlerweile wohlbehalten auf ihrem Ast angekommen war und dort nun zufrieden an einem Blatt herumraspelte. Er legte das Papier wieder auf den Schreibtisch und griff nach der Abdeckung des Aquariums, wobei Eddie sehen konnte, dass seine Hände ein wenig zitterten. „Tschuldigung, ich bin doof…“ „Ach Quatsch!“ In diesem Augenblick hätte Eddie sich für diesen blöden Witz gerne selbst geschlagen, wusste er doch wie sehr es Victor verunsicherte wenn er derartige Dinge missverstand, was nicht grade selten vorkam. Stattdessen wandte er sich wieder in Richtung seiner Schultasche, zog den Reißverschluss auf und kramte nach dem Notizbuch, das schließlich der eigentliche Grund für seine Anwesenheit hier war. „Und du hast ehrlich gesagt auch recht“, rief er dabei über die Schulter. „Ich wollte dir wirklich was zeigen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)