Großstadtgeflüster von lady_j ================================================================================ Kapitel 7: Worte sind so nebensächlich -------------------------------------- Er traf Takao in der japanischen Bäckerei, von der er ihm erzählt hatte. Ihre letzte Verabredung war schon ein paar Wochen her, und so war er tatsächlich ein wenig nervös. Das Gefühl verflog aber schnell, als er seinen Exfreund sah. Takao hatte die Gabe, ihn auszugleichen. Wenn Kai sich mit bloßem Sarkasmus und Sturheit durchs Leben schlug, war es Takao, der ihm zeigte, dass nicht alles um ihn herum schlimm war. Wenn hingegen Takao in ein emotionales Tief zu versinken drohte, behielt Kai einen kühlen Kopf und erinnerte ihn gern etwas schroff an seine Prioritäten. Dieses System funktionierte gut und rettete sie auch jetzt noch davor, allzu dumme Entscheidungen zu treffen. So fand sich Kai an einem der kleinen Tische sitzend wieder, vor sich einen grünen Tee, Takao ihm gegenüber und ein warmes Melonpan in der Mitte. „Schön, dass wir uns mal wieder sehen können”, sagte Takao und brach schon das erste Stück ab. Kai nickte. „Finde ich auch. Wie geht es dir?” „Alles wie immer, ehrlich. Dieselben langen Tage, derselbe Mist, den die Kinder verzapfen; derselbe latente Rassismus, wenn ich zum ersten Mal bei einer Familie auftauche, die nie damit gerechnet hätte, mal von einem Asiaten beraten werden zu müssen…” Er rollte kräftig mit den Augen, winkte dann aber ab, als er Kais besorgten Blick bemerkte. „Es ist aushaltbar, wirklich. Mit den meisten freunde ich mich an, das weißt du doch.” Während er weiter erzählte, beobachtete Kai, wie seine Finger sich bewegten, das Gebäck zerbröselten und wie die Bissen dann in seinem Mund verschwanden. Takao machte sich ganz klein beim Lachen, als müsste er es heimlich tun, das sah er hier sonst von niemandem. Irgendwann schob er ihm auffordernd den Teller hin, damit er das Melonpan nicht allein aufaß, und Kai nahm sich aus reiner Höflichkeit ein paar Krümel. „Mein Vater ist gerade im Forschungssemester”, sagte Takao, „Hitoshi und er graben irgendwo in der Türkei einen Tempel aus. Und ich passe auf seine Wohnung auf.” Sein Vater und sein älterer Bruder waren Archäologen. Ersterer hatte eine Stelle an der Humboldt-Universität, und aus diesem Grund war auch Takao zum Studium nach Berlin gekommen. Er hatte allerdings schnell gemerkt, dass Archäologie nichts für ihn war; er wühlte nicht gern in der Erde, dafür viel lieber in den Schichten menschlicher Schicksale. Und so war er hier hängen geblieben und Streetworker geworden. Kai wusste nicht, wie er das schaffte. Manchmal erzählte Takao ihm von den Dingen, die er tagtäglich erlebte, von dem ständigen Scheitern, mit dem er angesichts von Bürokratie und unbesetzten Stellen konfrontiert wurde. Er selbst hätte unter diesen widrigen Umständen wahrscheinlich schon längst aufgegeben. Takao war da ganz anders. „Und du?”, fragte sein Gegenüber in diesem Moment und leckte sich ungeniert die letzten Reste von den Fingern (was Kai mehr in den Bann schlug als er je zugeben würde). „Wie war's im Zentrum? Hast du Olivia Emerald getroffen?” „Oh.” Kai war ein wenig überrumpelt, er hatte völlig vergessen, dass der andere ja von seinen Plänen wusste. „Es war… gut. Olivia ist so, wie du sie dir vorstellst. Ein bisschen übertrieben, aber sehr nett. Ich bin sicher, wenn das mit ihr und Giancarlo so weitergeht, dann kann ich euch auch mal bekannt machen.” Angesichts der Art und Weise, wie sich Takaos Gesicht aufhellte, musste Kai schmunzeln. „Giancarlo und Olivia sind schlimm, sie turteln die ganze Zeit”, fuhr er fort, „Wahrscheinlich sind sie wirklich heftig verliebt. Ralf… Naja. Er war wie immer.” Er machte eine wegwerfende Handbewegung und Takao lachte. Kai regte sich bei ihm immer gerne über Ralf und Giancarlo auf, und so wusste sein Exfreund das wichtigste über die beiden. Er zögerte einen Moment, bevor er weitersprach. „Ich habe übrigens einen Kollegen von dir im Zentrum kennengelernt.” Takao zog die Augenbrauen hoch und griff nach seinem bisher unangetasteten Bubble Tea. „Wirklich? Wen denn?” „Hn… Yuriy. Yuriy Ivanov?” „Ach!” Takao nahm noch einen großen Schluck. „Lang und rothaarig, oder? Ja, den kenne ich, der ist an einer Schule unten bei mir in Neukölln. Wie bist du denn an den geraten?” „Hmm.” Das war rückblickend eigentlich eine sehr gute Frage. „Durch Olivia. Er war der DJ an dem Abend.” „Ich erinnere mich.” Takao zog gedankenverloren an seinem Strohhalm und es gluckerte ein wenig. „Er hat damals im Studium schon Musik gemacht. Aber Techno ist so gar nicht meins.” Dann sah er Kai wieder an, in seinen Augen lag etwas Wissendes. Er grinste. „Habt ihr gevögelt?” Kai blinzelte. „So was fragst du mich doch sonst nicht.” „Komm schon, Kai, ich erzähle dir auch immer alles!” „Ja, aber ungefragt!” Seine Entrüstung war halb gespielt und Takao verstand es auch gar nicht anders. Er winkte lässig ab. „Behalt deine Geheimnisse eben für dich. Vielleicht fühle ich mich auch nur ein bisschen schlecht, weil ich die ganze Zeit meinen Spaß habe und du… du hast deine Arbeit.” „Spaß nennst du das?”, konterte Kai, „Für mich klingt das immer alles sehr nach Drama.” „Dass du auch immer so übertreiben musst…” Takao trank noch ein paar Schlucke Tee. „Aber zurück zum Thema”, fuhr er fort, nachdem er abgesetzt hatte, „Yuriy ist okay, soweit ich das beurteilen kann. Er hat’s nicht so leicht da an der Schule. Sie bezahlen ihn nur für eine halbe Stelle, aber ganz ehrlich, er könnte locker Vollzeit dort arbeiten. Ist blöd für die Kinder, aber ganz ehrlich, wenn ich nur noch die Hälfte meines Gehalts bekäme, würde ich mir auch zweimal überlegen, was ich schaffe und was nicht. Wahrscheinlich verdient er sich mit der Musik noch was dazu, mit der halben Stelle kommt er jedenfalls nicht weit.” Kai hörte interessiert zu, so hatte er die Sache noch gar nicht betrachtet. Er selbst bekam auch kein überbordendes Gehalt, aber es reichte für ein bequemes Leben und vor allem für seine Wohnung im Stadtzentrum. Takao, wusste er, kam auch gut über die Runden, aber auch er hatte einen Vollzeitjob. „Tja, ansonsten kann ich dir nicht viel über ihn erzählen”, fuhr Takao fort. „Ich meine, er ist cool, aber ich bin nie so wirklich an ihn rangekommen.” Er hob die Schultern. „Schon gut”, entgegnete Kai, „Ich wollte dir wirklich nur davon erzählen, weil es einfach ein… krasser Zufall ist.” „Oh!”, rief Takao und seine Augen wurden plötzlich groß, „Apropos Zufall! Rate, wenn ich im April zur Hanami gesehen habe?” Er begann eine elaborierte Erzählung, die damit endete, dass er Hiromi, einer gemeinsamen Bekannten von ihnen, über den Weg lief. Anscheinend hatten sie sich so wohl beieinander gefühlt, dass sie spontan den ganzen Nachmittag zusammen verbracht hatten. Kai hegte schon lange den Verdacht, dass die beiden sich irgendwann ernsthaft verabreden würden, daher überraschte es ihn nicht, als Takao endlich mit der Sprache herausrückte: „Ich gehe nächste Woche mit ihr ins Kino.” „Das freut mich, wirklich”, sagte Kai, obwohl ihm der Satz in diesem Moment recht inhaltslos vorkam. Als Takao Hanami erwähnt hatte, konnte er nicht verhindern, dass Erinnerungen an sein erstes Date mit seinem Exfreund in ihm aufkamen. Er war damals noch neu in der Stadt gewesen und froh, mit Takao einen anderen Japaner kennengelernt zu haben. Sie telefonierten recht oft und manchmal traute Kai sich, den anderen ein wenig anzuflirten, was diesem auch zu gefallen schien. Und dann fragte Takao ihn eines Tages auf seine ganz eigene, direkte Art, ob er mit ihm ausgehen würde. Er meinte, er wüsste den perfekten Ort, es wäre eine Überraschung. Kai hatte sich darauf eingelassen, natürlich, Takao hatte ihn da schon komplett in den Bann geschlagen. Und so trafen sie sich an einem Samstag auf einem S-Bahnhof und Takao fuhr mit ihm weit (oder jedenfalls kam es ihm weit vor) aus der Stadt heraus. Allein der Weg war ein kleines Abenteuer, doch als sie an ihrem Ziel ankamen, wollte Kai seinen Augen nicht trauen: Dort, am Rande Berlins, gab es eine Kirschbaumallee, die damals, es war April, in voller Blüte gestanden hatte. Unter den Bäumen saßen Menschen und picknickten, fotografierten sich zwischen den Zweigen, machten Musik. Der Himmel war strahlend blau an diesem Tag, das wusste er noch, und auch alle anderen Farben erschienen ihm surreal gesättigt in seinen Erinnerungen. Takao und er hatten einen guten Platz erhaschen können und bis heute stand ihm das Bild vor Augen, wie weich das Gesicht des anderen gewirkt hatte im Schatten der rosa Blüten. Sie hatten ein wenig getrunken und noch viel mehr geredet, und es war beinahe wie in Tokio. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte Kai sich gefühlt, als wäre er irgendwo angekommen… Keine Frage also, dass Takao an diesem Abend nicht zu sich nach Hause gegangen war. Und so hatte ihre Geschichte ihren Lauf genommen, bis sie im vorletzten Herbst ihr Ende fand. Es war ein unspektakuläres Ende, und der Epilog, den sie gerade durchlebten, machte vieles leichter. Dennoch konnte Kai sich nicht gänzlich uneingeschränkt freuen, wenn Takao wieder mit jemandem etwas anfing. Dessen letzten Beziehungen, wenn man sie denn so nennen konnte, hatten immer noch wenige Wochen gedauert, aber er war kein Kind von Traurigkeit und schien sehr schnell über die jeweiligen Rückschläge hinwegzukommen. Kai wusste, es war ein fieser Wunsch, doch er hoffte heimlich, dass es seinem Exfreund zumindest ein wenig wehtat, wenn er an ihre gemeinsame Zeit zurückdachte. Denn ihm ging es ganz sicher so. Aber auch er wollte Takao nicht gänzlich hinter seine Maske blicken lassen, nicht in dieser Sache, denn er befürchtete, es würde mehr kaputt machen als alles andere. Der Bubble Tea war leer, nur noch ein paar Tapioka-Perlen klebten an den Innenwänden des Bechers. Takao machte ein enttäuschtes Geräusch und Kai konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Na los”, sagte er versöhnlich, „Sollen wir noch ein Stück spazieren gehen? Ich habe mich noch gar nicht über die Idiotie meiner Mitmenschen bei dir ausgelassen.” Yuriy musste seine Fahrt verlangsamen, um sich zwischen parkenden und wartenden Autos durchzuschlängeln. Er verfluchte den Mangel an Fahrradwegen, aber immerhin, er hatte es fast bis zur Schule geschafft. Die Kolonne setzte sich langsam in Bewegung, doch es reichte nicht, um den Stau, den die Ampel verursachte, komplett aufzulösen. Ganz vorn stand jetzt ein dunkler Kleinwagen, aus dem der dröhnende Bass irgendeines Deutschrap-Songs klang. Beim Näherkommen erkannte Yuriy durch die Heckscheibe die Umrisse zweier junger Frauen, wie sich ihre Hände im Rhythmus bewegten. Er grinste in sich hinein; die hatten sicher dasselbe Ziel wie er. Als er neben ihnen hielt, dauerte es nicht lange, bis die Scheibe heruntergefahren wurde. „Hallo Herr Ivanov!” Das waren Jasmin und Debbie, die sich so ähnlich sahen, dass er sie am Anfang immer verwechselt hatte. „Morgen”, grüßte er und die beiden brachen in Kichern aus. Dann sprang die Ampel um. Zur Rush Hour durch die Stadt zu fahren war immer so eine Sache. An jeder Kreuzung stand eine Ampel, und meistens endete es damit, dass man auch an jeder halten musste. Und so stand er einen Block weiter wieder neben seinen Schülerinnen. „Herr Ivanov”, sagte Debbie, „Jasmin hat da mal eine Frage!” „Alter was bist du irre halt doch mal Fresse jetzt!”, rief Jasmin vom Fahrersitz aus. „Na was denn?”, sagte Yuriy. „Jasmin will wissen, ob Sie eine Freundin haben.” Von der Genannten kam ein wütender Aufschrei, der in aufgekratztes Kichern unterging. Innerlich verdrehte Yuriy die Augen. „Hört auf mit dem Scheiß, ihr seid erst achtzehn”, sagte er, dann beugte er sich ein wenig herunter, um auch Jasmin ansehen zu können, die ihn prompt zuckersüß anlächelte. „Du solltest diese Frage lieber mal Cem stellen, ich weiß nämlich aus sicherer Quelle, dass der voll auf dich steht.” Die sichere Quelle war er selbst und stützte sich auf die Beobachtungen, die er während der Pausen machte. Jasmins Augen wurden größer. „Boah, das ist voll peinlich, Herr Ivanov!” „Wie, und mit mir flirten ist nicht peinlich?!” Manchmal verstand er nicht, nach welchen Kriterien seine Kids entschieden, was cool war und was nicht. Aber im Großen und Ganzen mochte er sie alle. Klar, die meisten hatte eine große Klappe, und manche brachten sich wirklich in dämliche Situationen, aber das war in vielen Fällen auch einfach das Ergebnis des ungerechten Systems, in dem sie lebten. Yuriy hatte selbst eine wilde Jugend hinter sich; also wer war er, dass er irgendwen verurteilen sollte? Vielen war schon mit einem offenen Ohr und einer neutralen Grundhaltung geholfen. „Ist grün”, sagte er schließlich und stieß sich ab. Jasmin und Debbie brauchten ein paar Sekunden, um in die Gänge zu kommen, dann rauschten sie aber an ihm vorbei. „Sie sehen voll sportlich aus, Herr Ivanov!”, brüllte Debbie. „Ab mit euch in die Schule!”, rief er ihnen hinterher. Ein paar Stunden später saß er in seinem Büro und ging Gesprächsnotizen durch, als sein Telefon klingelte. Es war Takao. Mit einem leicht mulmigen Gefühl nahm er ab. „Hey.” „Hi Yuriy, kurze Frage.” Takao war offensichtlich irgendwo draußen, denn man hörte sehr deutlich einige Hintergrundgeräusche. Aber das war Yuriy von ihm gewöhnt. „Ist Justus heute in der Schule? Anscheinend ist sein älterer Bruder überraschend nach Hause gekommen, und es gab prompt Ärger.” „Verstehe.” Yuriy überlegte kurz. „Ja, ich habe ihn heute Morgen gesehen. Kam erst zur zweiten Stunde, aber immerhin. Aber du hast Recht, er sah nicht gut aus. Soll ich ihn nachher mal ansprechen?” „Ja, vielleicht. Aber ganz diskret.” Takao seufzte. „Mann, dabei hatten wir ihn gerade davon überzeugt, dass ein Abschluss doch eine gute Sache wäre! Ich hab richtig Schiss, dass der uns jetzt wieder ständig durch die Lappen geht. Lass uns beide ein Auge auf ihn haben, okay?” „Ja, auf jeden Fall”, bestätigte Yuriy, „Und halte mich bitte auf dem Laufenden, wenn sich in der Familie was ändert.” Er selbst kam einfach nicht an Justus’ Eltern ran, es war wie verhext. Takao hatte anscheinend einen guten Draht zu ihnen, aber dieser ältere Bruder war wirklich ein Problem. Der brachte jedes Mal, wenn er wieder auftauchte, die ganze Familie durcheinander. „Super. Danke, Mann”, sagte Takao, „Das war’s eigentlich auch schon…” Yuriy brummte unbestimmt, seine Gedanken verkeilten sich kurz. Dann riss er sich zusammen. „Warte mal”, sagte er schnell, „Wo wir gerade miteinander sprechen. Da ist noch was.” „Wenn du mir jetzt gestehen willst, dass du meinen Ex abgeschleppt hast - das weiß ich schon längst.” Yuriy blinzelte. Das kam überraschend. Er stieß die Luft aus. „Hat er dir das genauso erzählt?” Takao lachte. „Kai? Nein, der hat nur gemeint, ihr hättet euch kennengelernt.” Die Art und Weise, wie er das letzte Wort betonte, machte deutlich, was er davon hielt. „Aber jetzt mal ehrlich - Was ist wirklich passiert?” „Hmm…” Er wusste nicht, wo er anfangen sollte, oder wie viel er Takao überhaupt erzählen wollte. Schließlich stand Kai diesem viel näher als er selbst, und wenn er ein Geheimnis aus dem letzten Wochenende gemacht hatte, würde das schon seine Gründe haben. „Lass es mich so sagen”, meinte er schließlich, „Ich habe ihm den Hintern gerettet und so sind wir in ein sehr langes… Gespräch gekommen.” Takao stöhnte. „Ihr habt euch gerade noch gefehlt, Mann!”, seufzte er, „Du bist genauso maulfaul wie Kai. Na das passt ja. Also was immer ihr getrieben habt, mir soll’s gleich sein. Ich find das sowieso mehr lustig als alles andere.” Er machte eine Pause, doch Yuriy wusste nicht, was er erwidern wollte, also schwieg er. „Willst du sonst noch was wissen?”, fragte Takao. „Ja. Sag mal, weißt du Bescheid über Kais Familie?” Jetzt schien Takao doch überrascht zu sein. „Hat er dir etwa vom alten Soichiro erzählt? Wahnsinn, das wissen wirklich nicht viele. Du darfst dich geehrt fühlen.” Wenn Yuriy sich irgendwie fühlte, dann verwirrt. Er hatte immer noch nicht komplett entschieden, wie er sich zu Kais Geschichte verhalten sollte. Da gab es einfach so vieles, was seinen eigenen Erfahrungen und Überzeugungen widersprach. Dennoch bereute er rückblickend nicht, wie sein Wochenende verlaufen war. Nicht im Geringsten. „Hör mal”, fing Takao wieder an, der sein Schweigen wohl richtig gedeutet hatte. „Kai spielt in einer völlig anderen Liga als wir. Das sind komplett andere Lebenserfahrungen. Er hatte nie Geldsorgen, musste sich nie fragen, was aus ihm mal wird. Und ja, er kann ein ganz schönes Arschloch sein, weil er im Zweifel immer das tut, was für ihn selbst am besten ist. Aber!” Yuriy, der drauf und dran war, etwas zu sagen, weil er fürchtete, dass Takao sich hier in etwas verstieg, was nicht für seine Ohren bestimmt war, schloss bei diesem Wort wieder den Mund und hörte weiter zu. „Er ist ein guter Kerl in einer beschissenen Situation. Was da mit seinem Großvater passiert ist, kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber Kai ist jetzt hier und hat wahrscheinlich das Gefühl, festzusitzen. Ich hab mir echt den Kopf darüber zerbrochen, aber irgendwie konnte ich ihm nicht helfen.” „Ja, ich glaube auch, er ist ganz schön… unzufrieden.” Yuriy fiel kein besseres Wort ein. Takao seufzte nur laut. „Ganz ehrlich Yuriy, wenn dir irgendwas einfällt, um ihm das Leben hier schmackhaft zu machen - ich glaube, das würde echt was bringen. Ich bin schon lange mit meiner Weisheit am Ende.” Er runzelte die Stirn. „Also wenn du jetzt denkst, dass er und ich plötzlich allerbeste Freunde sind…” „Yuriy-” Takao unterbrach sich. Dann seufzte er noch mal. „Schon gut. Was auch immer. Ich mag Kai. Und ich finde, wenn ihr allerbeste Freunde werdet, würde ihm das vielleicht sogar ganz gut tun. Also solltest du noch mehr intime Fragen zu ihm haben - du hast meine Nummer.” „Alles klar”, sagte Yuriy in Ermangelung einer besseren Erwiderung. Was sollte er auch auf so einen Redeschwall antworten? Nachdem sie aufgelegt hatten, lehnte er sich zurück und legte den Kopf in den Nacken. Von der Decke, das fiel ihm erst jetzt auf, hing ein einzelner Faden aus Spinnenweben, der schon Staub eingefangen hatte. Yuriy beobachtete, wie er hin und her schwang, war aber mit den Gedanken ganz woanders. Himmel, wo war er hier hineingeraten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)