Insecurity von kleines-sama (Dofladile) ================================================================================ Kapitel 2: Verunsicherung ------------------------- Am 5. September, also Crocodiles Geburtstag, hatten sie einen Termin für ein Erstgespräch in der Kinderwunschklinik. Crocodile hatte es nichts ausgemacht, als die freundliche Sprechstundenhilfe ihm ausgerechnet dieses Datum vorgeschlagen hatte. Er war sowieso kein allzu großer Freund von Geburtstagsparties und eigentlich ganz froh, auf dieser Weise dem Rummel um seinen vierzigsten Geburtstag entgehen zu können. Doflamingo sah die Sache natürlich ganz anders. „Wir gehen heute Abend auf jeden Fall essen“, erklärte er seinem Ehemann während der Fahrt zur Klinik. „Immerhin ist es dein Geburtstag!“ Crocodile rollte mit den Augen. „Du weißt, dass mir das nicht sonderlich viel bedeutet“, gab er seufzend zurück. Doflamingo nutzte seinen eigenen Geburtstag jedes Jahr als Anlass für eine Party der Superlative, doch für Crocodile war es ein Tag wie jeder andere auch. „Ich habe deinetwegen dieses Jahr sogar auf eine Party für dich verzichtet“, beschwerte sich Doflamingo. „Wir sollten uns wenigstens einen schönen Abend im Restaurant gönnen. Heute ist dein Geburtstag, Wani. Ich möchte dich verwöhnen.“ „Es macht auch wenig Sinn eine Geburtstagsparty für jemanden zu schmeißen, der so etwas nicht mag“, meinte Crocodile, doch davon wollte sein Partner natürlich nichts hören. „Na von mir aus können nachher wir essen gehen. Ich habe nichts dagegen.“ Damit gab Doflamingo sich dann wenigstens zufrieden. Kurze Zeit später fanden sie sich in den Praxisräumen des leitenden Arztes der Klinik, Dr. Raffit, wieder. Crocodile fand den Mann gleich vom ersten Moment an unsympathisch. Er war extrem blass, dürr und schminkte seine dünnen Lippen mit dunkelrotem Lippenstift. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke, dass Raffit wie eine ausgehungerte Version von Gecko Moria aussah. Vielleicht wurde er auch deshalb mit ihm nicht warm. Bei diesem Gespräch ging es erst einmal darum sich zu informieren. Sie teilten Dr. Raffit ihren Wunsch mit, mithilfe einer Leihmutterschaft Crocodiles leibliches Kind austragen zu lassen. Daraufhin wurde ihnen dargelegt, wie genau eine solche in-vitro-Befruchtung ablief. Wenn Crocodile ganz ehrlich war, dann hörte es sich ziemlich gruselig an. Natürlich hatte er sich zuvor schon zu diesem Thema eingelesen; er wurde also nicht überrascht. Trotzdem jagte es ihm einen Schauer über den Rücken, als Dr. Raffit davon sprach wie die befruchtete Eizelle in einem speziellen Kühlschrank aufbewahrt wurde, wo sie sich weiterentwickelte, ehe ein Arzt den entstandenen Embryio per Katheter in die Vagina der Frau einsetzte. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben dankte Crocodile Gott dafür, dass er ihn zu einem Mann gemacht hatte. Sein Anteil bei der Zeugung des Kindes war -wie auch bei der natürlichen Variante- ziemlich gering. „An dem Tag, an dem der Frau die Eizelle entnommen wird, um sie zu befruchten, benötigen wir Ihr Sperma“, meinte Dr. Raffit an Crocodile gewandt. „Hierfür haben Sie die Möglichkeit in speziellen Räumlichkeiten unserer Klinik zu masturbieren. Bevor die Eizelle befruchtet wird, bereiten wir die Samenflüssigkeit im Labor auf, um die Fähigkeit der Samenzellen zu verbessern. Anschließend werden die Ei- und die Samenzelle in einer Nährflüssigkeit zusammengebracht.“ Crocodile nickte bloß. Die ganze Situation war ihm ziemlich unangenehm. Es handelte sich bei ihm um eine sehr prüde Person und ihm fielen spontan eintausend Dinge ein, die er lieber tat als mit einem gruseligen Arzt über Masturbation zu sprechen. Dafür war Doflamingo umso eifriger bei der Sache. „Wie viele Leihmütter stehen denn zur Auswahl?“, wollte er wissen. „Derzeit verfügt unsere Klinik über mehrere hundert gebährfähige Frauen“, erklärte Dr. Raffit. „Meine Assistentin kann Ihnen nachher gerne den aktuellen Katalog mitgeben.“ „Katalog?“ Es war das erste Mal seit einer halben Stunde, dass Crocodile das Wort ergriff. „Man sucht sich die Frau in einem Katalog aus?“ Ihm hatte die Vorstellung, dass es sich beim Austragen seines Kindes um eine bezahlte Dienstleistung handelte, gefallen; trotzdem kam es ihm makaber vor, dass er sich die leibliche Mutter seines Kindes wie eine Ware im Katalog aussuchen konnte. Dr. Raffit nickte. „Darin finden Sie nicht nur Fotos der Frauen, sondern auch Angaben zum Lebensstil, Krankheiten in der Familie und so weiter. Wir beraten Sie gerne bei der Auswahl der richtigen Kandidatin. Dafür wäre es auch sinnvoll, wenn wir ein genetisches Profil von Ihnen erstellen, Mr. Donquixote.“ „Warum denn ein genetisches Profil von mir?“, wollte Crocodile erstaunt wissen. „Nun, um die Chancen für eine erfolgreiche Befruchtung und ein gesundes Kind zu erhöhen, ist es ratsam die genetische Kompatibiltät der beiden an der Zeugung beteiligten Personen zu prüfen“, erklärte ihm Dr. Raffit in demselben Tonfall, in dem ein Mechaniker von Ersatzteilen sprach. Bevor Crocodile weiter darauf eingehen konnte, fragte Doflamingo: „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingsschwangerschaft? Man hört überall, dass bei künstlicher Befruchtung oft Zwillinge oder Drillinge enstehen. Wie kommt das?“ „Das liegt daran, dass der Erfolg einer in-vitro-Fertilisation grundsätzlich bei nur etwa fünfzehn bis zwanzig Prozent liegt“, antwortete Dr. Raffit mit gelassener Stimme. „Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sich ein Embryo in der Gebärmutter der Frau weiterentwickelt und somit später zur erfolgreichen Geburt führt, werden daher in der Regel direkt zwei oder drei Embryonen eingesetzt. Es kommt daher in etwa fünf bis fünfzehn Prozent der Fälle zu Zwillings-, und in maximal drei Prozent der Fälle zu Drillingsschwangerschaften. Gerade bei Mehrlingsschwangerschaften, die über zwei Embryonen hinausgehen, besteht allerdings auch die Möglichkeit einzelne Embryonen abzutreiben, um die Entwicklung der übrigen Embryonen nicht zu beeinträchtigen.“ Crocodile spürte, dass ihm schlecht wurde. Plötzlich fragte er sich, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, per Leihmutterschaft Vater werden zu wollen. Auf einmal kam ihm die Vorstellung, stattdessen ein fremdes Kind zu adoptieren, gar nicht mehr so abwegig vor. Ein Kind, das ganz natürlich gezeugt und geboren wurde. Ohne Brutkühlschränke, Katheter und Abtreibungen von störenden Geschwisterchen. „Aber das hängt natürlich immer von der individuellen Situation ab“, fuhr Dr. Raffit fort. „Sie sollten übrigens berücksichtigen, dass die Frauen für Mehrlingsschwangerschaften oft eine höhere Summe verlangen, weil die Belastung für den Körper natürlich deutlich höher ist. Aber das würden Sie dann mit der jeweiligen Frau ausmachen.“ „Also wird der Preis individuell ausgehandelt?“, fragte Doflamingo mit neugieriger Stimme. Dr. Raffit nickte. „Die meisten Frauen sehen ihre Tätigkeit als Leihmutter als eine Dienstleistung“, erklärte er ihnen. „Sie vermieten sozusagen ihren Bauch. In der Regel bewegen sich die Summen zwischen zehn- und dreißigtausend Berry. Bei Mehrlingsschwangerschaften wird, wie bereits gesagt, ein Zuschlag fällig. Dieses Geld geht ausschließlich an die Frau, die das Kind austrägt. Wir als Klinik berechnen lediglich die Vorgänge, die zur erfolgreichen Befruchtung führen. Also die Entnahme der Eizelle, das Zusammenbringen von Ei- und Spermazelle, das Heranwachsen der befruchteten Eizelle im Brutkasten sowie letztendlich das Einsetzen des Embryos in den Mutterleib. Dafür werden noch einmal etwa fünfzig- bis hunderttausend Berry fällig. Abhängig von der Qualität der Spermien, des erfolgreichen Einnistens des Embryos und so weiter.“ Doflamingo nickte. Er warf seinem Ehemann, der inzwischen leichenblass geworden war und kaum ein Wort hervorbrachte, einen besorgten Blick zu. Seine grünen Augen blieben zwar hinter den getönten Gläsern seiner Sonnenbrille verborgen, doch Crocodile konnte seinen Blick ganz genau auf sich spüren. „Ich denke, wir haben für heute genug gehört“, meinte er lächelnd und erhob sich. „Danke, dass Sie sich so viel Zeit für uns genommen haben, Dr. Raffit. Wir bleiben in Kontakt mit Ihnen wegen der weiteren Vorgehensweise.“ Dr. Raffit verabschiedete sie und kurze Zeit später fand Crocodile sich auf dem Ledersitz seines Mercedes C 220 BlueTEC Exclusive wieder. Sein Kopf schwirrte und ihm war schlecht. Automatisch tastete er nach der Packung Zigarren, die er in der Innentasche seines Mantels aufbewahrte. „Das waren ziemlich viele Informationen“, sprach Doflamingo, der auf dem Beifahrersitz saß, mit sanfter Stimme. „Ich finde, das sollten wir erst einmal sacken lassen. Komm, jetzt feiern wir erst einmal deinen Geburtstag.“ „Ich würde lieber einfach nach Hause fahren“, erwiderte Crocodile matt. „Nimm es mir nicht übel, Doffy, aber ich habe absolut keinen Hunger.“ Anstatt in einem schicken Restaurant fanden sie sich an diesem Abend in den bequemen Korbsesseln auf ihrer Terrasse wieder. Obwohl sich der Sommer allmählich dem Ende zuneigte, war es immer noch angenehm warm. Nicht einmal Crocodile, der sehr schnell fror, trug eine Überjacke. „Du bist ziemlich blass im Gesicht“, meinte Doflamingo mit halb besorgt, halb neckisch klingender Stimme. „Woher willst du das wissen?“, gab Crocodile gereizt zurück. „Mit der Sonnenbrille kannst du das doch überhaupt nicht erkennen.“ Sein Ehemann schob seine Brille nach oben und offenbarte seine stechend grünen Augen. Crocodile fand, dass Doflamingo die aufmerksamen und eindringlichen Augen einer Schlange besaß. Sofort begann er sich unwohl zu fühlen. Doflamingo nahm ihm seinen Verdruss nicht übel. „Mir ist klar, dass vieles, was Dr. Raffit heute gesagt hat, ziemlich heftig klang“, meinte er beschwichtigend. „Wir sollten das erst einmal verarbeiten, bevor wir uns an den nächsten Schritt wagen.“ „Den nächsten Schritt? Du meinst einen Katalog durchzublättern und eine Gebährmaschine auszusuchen?“, schnaubte Crocodile und scharrte mit den Füßen. „Mal ehrlich, was hast du dir denn vorgestellt, wie das ablaufen würde?“, entgegnete sein Ehemann und verschränkte die Arme vor der Brust. “Ich finde das überhaupt nicht schlimm. Es ist wie Dr. Rafitt gesagt hat: Diese Frauen vermieten ihren Bauch. Wenn ich mir ein Auto kaufe, vergleiche ich doch auch verschiedene Modelle und suche das für mich passende aus.“ „Es geht hier aber nicht um ein Auto“, herrschte Crocodile ihn mit aufgebrachter Stimme an. „Es geht um ein Kind, verdammt noch mal! Du bist doch sonst auch eher konservativ, was diese Dinge angeht, Doffy. Hat dich denn nicht einmal geschockt, wie Dr. Rafitt über Abtreibungen gesprochen hat?“ Es war schwer zu glauben, doch bei Donquixote Doflamingo handelte es sich um einen eingeschworenen Abtreibungs-Gegner. Für ihn war ungeborenes Leben heilig. Doch nicht einmal mit diesem Argument bekam Crocodile ihn zu packen. „Es geht um Abtreibung mit einer medizinischen Indikation“, meinte er. „Wenn das Leben der Mutter oder ungeborenen Geschwister in Gefahr ist. Das ist etwas völlig anderes als wenn man einfach aus Lust und Laune ein Kind abtreibt.“ „Stell dir mal vor die Frau, die wir uns aussuchen, wird mit Drillingen oder sogar Vierlingen schwanger. Könntest du dich ernsthaft dafür entscheiden eines der Kinder abzutreiben? Welchen Embryo würdest du auswählen? Den, der auf dem Ultraschallbild am kleinsten aussieht?“ Doflamingo senkte den Blick. „Wir könnten einfach immer nur eine einzige befruchtete Eizelle einsetzen lassen“, meinte er schließlich. „Dann gäbe es keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Mehrlingsschwangerschaft.“ „Aber die Chance, dass eine erfolgreiche Schwangerschaft zustande kommt, liegt dann nur noch bei höchstens ein Fünftel“, erinnerte Crocodile ihn. Es war zum Haare raufen. Als ihre Blicke sich kreuzten, konnte Crocodile in den Augen seines Partners die gleiche Unsicherheit erkennen, die er selbst spürte. „Mir wäre es lieber, wenn wir fünf Versuche brauchen, als dass wir ein Geschwisterchen abtreiben müssten“, meinte Doflamingo schließlich mit leiser Stimme. „Und für uns ist es ja auch finanziell kein Problem so viele Versuche zu bezahlen.“ „Was hat er gesagt, wie viel die Leihmutterschaft insgesamt kosten könnte? Dreißigtausend Berry für die Frau und noch einmal hunderttausend Berry für die Klinik?“ „Na und?“ Sein Ehemann zuckte mit den Schultern. „Für uns sind das doch bloß Peanuts.“ „Trotzdem...“ Crocodile senkte den Blick. „Ich meine... Das ist mehr als Mihawk für sein Haus bezahlt hat. Wie können sich denn andere Paare so eine Leihmutterschaft leisten?“ Betretenes Schweigen breitete sich zwischen ihnen beiden aus. „Lassen wir das alles erst mal sacken“, sagte Doflamingo irgendwann und setzte sich seine Sonnenbrille wieder auf die Nase. „Die ganzen Informationen sind alle neu und schockierend für uns. Morgen denken wir vielleicht schon ganz anders über alles. Komm, wir trinken jetzt erstmal ein Glas Sekt. Immerhin ist heute dein Geburstag!“ Zwei Wochen lang sprach keiner von ihnen beiden mehr über ihren Besuch in der Kinderwunschklinik. Als Crocodile von Robin, seiner langjährigen Sekretärin, gefragt wurde, warum er Toms Workers verlassen wollte, ließ er sich eine Ausrede einfallen. Anstatt „Ich möchte gerne Vater werden und mich in den nächsten Jahren auf mein Kind konzentrieren“ sagte er „Ach, weißt du, durch Doflamingo bin ich ja sowieso nicht auf mein Einkommen angewiesen und so habe ich mehr Zeit für mich.“ Selbstverständlich durchschaute sie seine Lüge sofort. Bei Robin handelte es sich zwar selbst um eine eher kühle und distanzierte Person, doch sie konnte in anderen Menschen lesen wie in einem Buch. Außerdem kannte sie ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich erstens unter keinen Umständen von seinem Partner aushalten lassen würde und zweitens niemand war, der sonderlich viel Zeit für sich brauchte. Crocodile war ein waschechter Workaholic. Es machte ihm nichts aus erst spätabends nach Hause zu kommen. Wenn gerade wenig zu tun war, suchte er sich selbst neue Aufgaben oder nahm Kollegen Arbeit ab. Mihawk scherzte manchmal, dass er seine Berufung verfehlt hatte und eigentlich als Arzt im Schichtdienst sein müsste. Vierundzwanzig Stunden am Stück arbeiten – für Crocodile wäre das kein Problem. Natürlich kaufte Robin ihm also nicht ab, dass er Toms Workers nach über sechs Jahren verließ, weil ihm plötzlich klar geworden war, dass er eigentlich lieber ausspannen wollte. Sie warf ihm einen teils skeptischen, teils besorgten Blick zu. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie schließlich mit leiser Stimme. „Mit Doflamingo? Und auch gesundheitlich?“ Hektisch nickte Crocodile. Das Letzte, was er wollte, war, dass Robin sich vollkommen unnötig um ihn sorgte. „Klar, es ist alles gut“, erwiderte er rasch. „Mach dir bitte keine Gedanken.“ Es wäre viel leichter, wenn er ihr einfach die Wahrheit mitteilen würde. Sicher würde sie sich freuen. Doch das brachte Crocodile nicht über sich. Wenn er schon mit Doflamingo nicht mehr über dieses Thema sprechen konnte, dann mit seiner Sekretärin erst recht nicht. „Das sagst du so leicht“, seufzte Robin. „Mich hat dein Rücktritt völlig unvorbereitet getroffen. Es ist sehr untypisch für dich einfach deine Arbeit aufzugeben und dich auf dem Vermögen deines Ehemannes auszuruhen.“ Diese Formulierung traf Crocodile härter als er zugeben wollte. Verdammt, er ließ sich doch nicht von Doflamingo aushalten. Das enstprach überhaupt nicht seiner Vorstellung. Crocodile plante bis zur Geburt seines Kindes berufstätig zu bleiben und seinen Nachfolger auszubilden. Und wenn sein Sohn oder seine Tochter auf der Welt war, würde er mit der Säuglingspflege mehr als genug um die Ohren haben. Crocodile hatte damals bei Hancock und Nozomi mitbekommen, was es bedeutete, sich um ein kleines Baby zu kümmern. Man hatte kaum eine freie Minute. Trotzdem beschäftigte ihn Robins Aussage den ganzen restlichen Tag lang. Abends, als er gemeinsam mit Doflamingo im Fitness-Studio trainierte, fragte er: „Sag mal, Doffy, wie hast du dir eigentlich später die Betreuung unseres Kindes vorgestellt?“ Er bemühte sich um einen bewusst locker und unverfänglich klingenden Tonfall. „Keine Sorge“, meinte Doflamingo ohne das Training mit seiner Kurzhantel zu unterbrechen, „ich habe dir doch schon gesagt, dass ich kein Problem damit habe, wenn unser Kind in einen Kindergarten geht. Mir ist klar, dass du kein schnöseliges, verzogenes Gör als Sohn oder Tochter haben möchtest.“ „Und wann soll unser Kind in den Kindergarten gehen?“ Doflamingo setzte eine verdutzte Miene auf. „Startet man nicht mit dem Kindergarten, wenn man drei ist?“ „Drei“, wiederholte Crocodile gedankenverloren. „Warum fragst du?“, wollte Doflamingo wissen und legte seine Hantel weg. „Nun ja...“ Crocodile räusperte sich. „Ich überlege einfach nur, wie wir die ersten Jahre gestalten werden. Es gibt heutzutage ja doch ziemlich viele verschiedene Möglichkeiten.“ „Ehrlich gesagt, bin ich davon ausgegangen, dass du nach der Geburt Zuhause bleibst und dich um unser Kind kümmerst, während ich arbeite“, meinte sein Ehemann. „Deswegen hast du doch schon mit Franky abgemacht, dass du Toms Workers verlassen wirst.“ „Wenn wir unser Kind mit drei Jahren in den Kindergarten schicken, dann bedeutet das, dass ich drei Jahre lang kein Geld verdienen werde.“ „Ja und?“ Doflamingo zog eine Augenbraue hoch. „Ich weiß ja nicht, ob es dir irgendwann mal aufgefallen ist, aber: Ich bin stinkreich. Also was soll`s, wenn du drei Jahre lang ohne Arbeit bist.“ „Ich habe immer mein eigenes Geld verdient“, erklärte Crocodile ihm. Seufzend ließ er sich neben Doflamingo auf der Hantelbank nieder. „Es wäre ein komisches Gefühl jahrelang nur von deinem Vermögen zu leben.“ „Jetzt mach mir bloß keine Vorwürfe“, sagte Doflamingo plötzlich mit gereizter Stimme. „Du bist derjenige von uns beiden, der von heute auf morgen beschlossen hat, dass er ein Kind möchte und dafür seinen Job hingeschmissen hat. Das ist nicht meine Idee gewesen!“ Crocodile glaubte sich verhört zu haben. „Aber du möchtest doch auch Vater werden“, hielt er zornig dagegen. „Du liegst mir schon seit Jahren damit in den Ohren, dass du gerne ein Kind hättest!“ „Das meine ich doch gar nicht.“ Beschwichtigend hob Doflamingo die Hände. „Natürlich wünsche ich mir ein Kind. Aber tu nicht so als hätte ich verlangt, dass du dafür mit deiner Arbeit aufhörst. Das hast du ganz allein entschieden. Von mir aus können wir auch eine Nanny einstellen und du behältst deine Stelle bei Toms Workers. Franky würde sich bestimmt freuen.“ „Nein, nein.“ Crocodile schüttelte den Kopf. Die Vorstellung, dass eine Nanny sich die meiste Zeit um sein Kind kümmerte, während er sich mit der Planung für die nächste Messe herumschlug, behagte ihm gar nicht. „Ich möchte mich doch gerne um mein Kind kümmern!“ „Und was ist dann dein Problem?“ Doflamingo starrte ihn an als hätte er eine Schraube locker. „Du hast doch ganz unkompliziert die Möglichkeit Zuhause zu bleiben und unser Kind zu betreuen. Bis es dann mit drei in den Kindergarten geht. Also ist doch alles okay.“ „Mir ist klar, dass für uns diese Situation grundsätzlich kein Problem darstellen würde“, herrschte Crocodile seinen Partner genervt an. „Es... es wäre einfach nur irgendwie ein komisches Gefühl. Du weißt, dass ich es nicht mag auf andere Menschen angewiesen zu sein.“ Unwillkürlich huschte sein Blick zu seiner Hand-Prothese auf der linken Seite. Er trug sie nicht gerne; die Prothese fühlte sich für ihn wie ein Fremdkörper an. Doch beim Sport war er auf sie angewiesen, wenn er sich nicht mit zwei ungleich trainierten Seiten herumschlagen wollte. „So sehe ich das nicht“, meinte Doflamingo und drückte zärtlich seine Hand. „Wir beide sind ein Team. Als Eltern erst recht. Jeder von uns trägt seinen Teil bei. Wir sollten das nicht gegeneinander aufwiegen.“ „Klar“, erwiderte Crocodile augenrollend. „Du scheffelst eine Millionen nach der nächsten, während ich unserem Baby das Fläschchen gebe. Das sind zwei Tätigkeiten, die sich wirklich ganz einfach vergleichen lassen.“ „Du solltest endlich aufhören alles gegeneinander aufzurechnen“, ermahnte sein Ehemann ihn. „Ich rechne nicht alles gegeneinander auf“, verteidigte sich Crocodile sofort murrend, obwohl er wusste, dass Doflamingo nicht Unrecht hatte. „Du bist der schlimmste Erbsenzähler, den ich kenne“, neckte dieser ihn lachend. „Hast du dich nicht eben erst beschwert, weil du beim Bankdrücken zehn Kilo weniger als ich geschafft hast?“ „Das ist auch total unfair!“ Crocodile verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hattest doch letztens einen Muskelfaserriss in der Brust! Eigentlich dürftest du gar nicht so viel drücken können!“ „Mach dir nichts draus, Baby.“ Doflamingo hauchte ihm einen Kuss entgegen. „Dafür schlägst du mich bei die den Cablecurls. Ich glaube, du hast inzwischen sogar einen dickeren Bizeps als ich. Es zahlt sich wirklich aus, dass du angefangen hast mit einer Prothese zu trainieren. So kannst du viel effektiver deine Armmuskulatur formen.“ Crocodile warf einen unwilligen Blick auf seine Prothese. Doflamingo hatte durchhaus Recht, doch trotzdem war ihm nicht wirklich wohl mit seiner Ersatzhand. Noch immer fühlte sie sich für ihn kalt und fremd an. Er trug sie bloß beim Sport und legte sie danach so schnell wie möglich wieder ab. Crocodile hatte sich fünfzehn Jahre lang ohne linke Hand arrangiert; er sah keinen Sinn darin sich nun plötzlich an eine Prothese zu gewöhnen. „Früher hast du mal gesagt, dass du gar nicht so sehr auf muskulöse Männer stehst“, merkte Crocodile amüsiert an. „Das war wohl, bevor ich dich mit diesen sexy Arm- und Brustmuskeln gesehen habe“, erwiderte Doflamingo achselzuckend. „Aber wenn du irgendwann mal keine Lust mehr auf Sport haben solltest, wäre das auch kein Weltuntergang.“ Er hielt kurz inne, bevor er neckisch grinsend hinzufügte: „Wusstest du eigentlich, dass viele Männer sich selbst auch einen Bauch stehen lassen, wenn ihre Frau ein Kind erwartet? Mal abwarten, Wani: Vielleicht wirst du ja auch umso moppeliger, je näher der Tag der Geburt rückt.“ „Pah!“ Am liebsten würde Crocodile seinem Ehemann eins mit seiner Hantel überbraten. Stattdessen begnügte er sich mit einem Stoß in die Rippen, über den Doflamingo nur lachte. Die halbe Nacht lang lag Crocodile wach. Immer wieder schwirrten ihm Robins und Doflamingos Worte durch den Kopf. Und mal schmerzte sein Herz bei dem Gedanken sich von seinen Ehemann aushalten zu lassen und mal bei der Vorstellung, dass sich eine Nanny den ganzen Tag um sein Kind kümmerte und er es nur spätabends zu Gesicht bekam. Bei Crocodile handelte es sich um einen Perfektionisten und es machte ihn wahnsinnig, dass es keine perfekte Lösung zu geben schien. Und wenn er nur ein paar Stunden in der Woche arbeiten würde? Vielleicht könnten sie jemanden einstellen, der sich ein oder zwei Tage in der Woche um sein Kind kümmerte? Oder sie suchten eine nette Krippe, die sein Sohn oder seine Tochter vormittags besuchen könnte? Crocodile wusste, dass seine Nichte Nozomi mit einem Jahr in die Krippe gegangen war. Hin und wieder hatten Doflamingo und er sie dort abgeholt. Nozomi war in eine kleine Gruppe mit neun oder zehn anderen Kleinkindern gegangen und auch die Erzieherinnen hatten einen sehr freundlichen Eindruck gemacht. Aber welcher Arbeit könnte er in dieser Zeit dann nachgehen? Crocodile legte die Stirn in Falten. Als Manager arbeitete man nicht Teilzeit. Das war einfach nicht möglich. Man trug eine unheimlich große Verantwortung. Ständig wollten Leute ihn sprechen, weil seine Meinung, sein Okay, sein Ratschlag gefragt war. Präsenz war Pflicht; nicht nur bei der Messe selbst, sondern auch bei zahlreichen Meetings. Als Manager konnte man nicht einfach um vierzehn Uhr nach Hause gehen. Das ging schlicht und ergreifend einfach nicht. Unruhig ließ Crocodile die Finger seiner rechten Hand über das Bettlaken kreisen. Außerdem hatte er mit Franky bereits ausgemacht, dass ihn ein Nachfolger ablösen würde. Sie hatten sogar schon die Stellenanzeige aufgegeben. Vielleicht könnte er ja dem neuen Manager von Toms Workers zur Hand gehen? Ein oder zwei Tage in der Woche in sein Büro fahren und... ...und dann sehen, dass ein anderer Mann hinter seinem Schreibtisch saß. Dass seine Sekretärin Robin mit jemand anderem wichtige Zahlen durchging. Und was tat er dann währenddessen? Arbeitete im Vorzimmer ein paar Unterlagen durch? Bei dieser Vorstellung drehte sich Crocodile der Magen um. Nein, das war nicht sein Stil. Er war jemand, der sich einer Sache zu 100% verschrieb. Nur halb zu arbeiten, sich nur um weniger wichtige Dokumente und Aufgaben zu kümmern, das war für ihn nicht machbar. Crocodile wischte sich mit der rechten Hand ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, während er mit den Fingern seiner linken Hand auf der Matratze herumklopfte. Vielleicht war es doch klüger sich in den ersten Jahren vollkommen auf seinen Sohn oder seine Tochter zu konzentrieren. Wer wusste denn schon, ob er überhaupt das Glück hatte ein pflegeleichtes Kind zu bekommen? Bei seiner Recherche im Internet hatte Crocodile herausgefunden, dass es auch sogenannte Schreibabies gab. Da wäre er sich dankbar für jede Minute, die sein Kind schlief, und wollte sich nicht gleichzeitig noch mit einem Job, auf den er nicht einmal wirklich angewiesen war, herumschlagen. Ob sein Sohn oder seine Tochter ein fröhlicher Säugling sein würde? Hm. Bestimmt hing es auch davon ab, wie oft das Kind krank würde und wann die ersten Zähne kämen. Crocodile wusste nicht, ob er selbst ein pflegeleichtes Baby gewesen war. Seine Eltern konnte er schlecht fragen, denn zu ihnen hatte er schon seit über zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr. Vielleicht könnte ihm aber Mihawk etwas über seine Säuglingszeit erzählen. Immerhin war sein Bruder fünf Jahre älter als er. Gedankenverloren trommelte Crocodile mit den Fingern seiner beiden Hände auf der Matratze herum. Er musste Mihawk unbedingt mal darauf ansprechen, wenn er ihn das nächste Mal.... Moment mal?! Beide Hände?! „Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh!“ Als hätte jemand mit einem Messer auf ihn eingestochen, schrie Crocodile plötzlich auf. Panisch richtete er sich im Bett auf und starrte auf seine Hände. Beziehungsweise auf eine Hand und einen Armstumpf. „Crocodile?“ Offenbar hatte er mit seinem Geschrei Doflamingo aufgeweckt. Besorgt setzte sich sein Ehemann ebenfalls auf und wischte sich mit dem Handrücken über die müden Augen. „Was ist los?“ Crocodile beachtete ihn überhaupt nicht. Wie gebannt starrte er auf seinen Armstumpf auf der linken Seite. Sein Arm endete knapp vor dem Handgelenk. Schon seit etwa fünfzehn Jahren verfügte er über keine linke Hand mehr. Und doch... konnte er seine Finger spüren. Crocodile beugte seiner Finger und fühlte die Bewegung ganz deutlich ebenso auf der linken wie auf der rechten Seite. Es war ein … außerirdisches Gefühl. Crocodile konnte seine linke Hand nicht sehen. Er wusste, dass sie nicht da war. Sie war vor fünfzehn Jahren zerschmettert worden zwischen einer Felswand und dem Heck eines Volvos. Und doch war er dazu in der Lage seinen Daumen nacheinander gegen die Spitzen der anderen Finger zu drücken. Er fühlte die Berührung ganz genau. Sie war absolut real. „Crocodile?“ In Doflamingos Stimme war keine Spur von Müdigkeit mehr zu vernehmen. „Was ist passiert? Ich habe dich schreien gehört... Hast du... einen Krampf oder sowas?“ „Ich kann meine Finger spüren“, erwiderte Crocodile mit ruhiger Stimme. Er deutete mit dem Kopf auf seinen Armstumpf auf der linken Seite. Doflamingo schaltete sofort. „Phantomschmerzen?“ Panisch schloss er Crocodile in seine Arme und redete beruhigend auf ihn ein. „Keine Sorge, alles wird gut! Das hört sicher gleich wieder auf! Es sind... es sind keine echten Schmerzen, okay? Versuch einfach... versuch einfach...“ „Es tut nicht weh“, unterbrach Crocodile seinen Partner rasch. Doflamingo warf ihm einen überraschten Blick zu und hörte auf ihn zu erdrücken. „Tut nicht weh?“, wiederholte er und musterte skeptisch Crocodiles Armstumpf. Crocodile nickte und noch während er seinen Kopf bewegte, verschwand das Gefühl aus seinen Fingerspitzen wieder. „Jetzt... jetzt ist es weg“, murmelte er. Er wusste nicht so recht, ob er froh oder enttäuscht sein sollte. Es war ein Gefühl wie aus einer anderen Welt. „Aber du hast doch geschrieen“, meinte Doflamingo plötzlich. „So hab ich dich noch nie schreien hören! Verdammt, Crocodile, du musst vor mir nicht einen auf starken Mann machen...“ „Ich habe mich erschrocken“, erklärte er seinem Ehemann. „Deswegen habe ich geschrieen. Ich habe gar nicht gemerkt gehabt, dass ich alle meine Finger bewegen kann.“ „Und... du konntest deine Hand so richtig fühlen?“ Doflamingo erweckte einen teils neugierigen, teils besorgten Eindruck. „Nun, meine Finger“, antwortete Crocodile. „Ich habe mit ihnen auf der Matratze herumgetrommelt.“ „Und es hat nicht wehgetan? Überhaupt nicht?“ Crocodile schüttelte den Kopf. „Es war mehr wie ein Kribbeln“, versuchte er ihm das Gefühl zu beschreiben. „Aber es heißt doch Phantomschmerzen, nicht Phantomkribbeln!“ Crocodile zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass Shanks früher große Probleme mit Phantomschmerzen gehabt hat. War wohl ziemlich übel. Deswegen hat er sich auch eine Prothese zugelegt. Aber manchmal hat er auch einfach nur ein Kribbeln oder Zucken gespürt, hat er mir mal gesagt.“ Doflamingo biss sich auf die Unterlippe. „Was machen wir jetzt?“, fragte er schließlich mit leiser Stimme. „Meinst du, wir sollten zum Arzt gehen und das untersuchen lassen?“ Crocodile zog eine Augenbraue hoch. „Was will man da untersuchen? Meine Hand ist weg. Da gibt es nicht viel zu untersuchen.“ „Es gibt Therapiemöglichkeiten“, erklärte ihm Doflamingo. „Ich habe mich mal mit Shanks darüber unterhalten. Das Tragen einer Prothese soll gegen Phantomschmerzen helfen. Und es gibt auch bestimmte Wahrnehmungstrainings...“ „Das klingt ein bisschen als würden wir mit Kanonen auf Spatzen schießen. Es ist doch überhaupt nichts Schlimmes passiert. Ich meine... es ist komisch... aber es war nicht schlimm.“ „Dieses Mal“, hielt sein Ehemann dagegen. „Und beim nächsten Mal? Wenn es wirklich schlimme Schmerzen sind?“ „Wir wissen doch überhaupt nicht, ob es ein nächstes Mal geben wird“, erwiderte Crocodile augenrollend. „Die Amputation meiner Hand ist fünfzehn Jahre her und ich hatte vorher noch nie irgendwelche Probleme mit Phantomschmerzen. Bestimmt ist das eine einmalige Sache gewesen.“ „Du solltest trotzdem zur Sicherheit öfter deine Prothese tragen“, meinte Doflamingo. „Es ist erwiesen, dass das gegen Phantomschmerzen hilft...“ Crocodile verzog das Gesicht. „Du weißt, dass ich meine Prothese nicht mag“, hielt er dagegen. Er trug sie wirklich nur dann, wenn es unbedingt notwendig war, zum Beispiel beim Sport. Ohne Prothese konnte er keine Hanteln greifen. Und es war natürlich Unfug nur eine Körperseite zu trainieren. „Schreckliche Schmerzen an deinem Armstumpf wirst du sicher noch weniger mögen“, erwiderte sein Ehemann zähneknirschend. Crocodile verzog den Mund. Unwillig erinnerte er sich daran wie Shanks ihm einmal von seinen Schmerzen erzählt hatte. Es war wohl wirklich ziemlich schlimm gewesen und das, obwohl er hart im nehmen war. Um ehrlich zu sein, war Crocodile nicht gerade erpicht daran auch so eine Erfahrung zu machen. Für seinen Geschmack hatte er in seinem Leben bereits genug unschöne Erfahrungen mit Schmerzen sammeln müssen. „Also gut“, seufzte er schließlich. „Ich werde versuchen daran zu denken meine Prothese zu tragen...“ Anderen Menschen kam es wahrscheinlich komisch vor im Alltag mit nur einer Hand auskommen zu müssen. Crocodile, der seit Jahren daran gewöhnt war, fand es komisch plötzlich zwei Hände zu haben. Heutzutage gab es Prothesen, die wie echte Gliedmaßen funktionierten. Elektroden erfassten die Kontraktionen der Muskeln im Armstumpf und übersetzten sie in Bewegungen. Im Grunde verfügte Crocodile also über eine Roboterhand. Für einige Leute war das sicher eine gute Lösung. Aber Crocodile hatte sich an sein Leben mit nur einer Hand gewöhnt und fühlte sich daher äußerst unwohl. Früher, kurz nach seinem Motorradunfall, hatte er es mal mit einer Prothese versucht gehabt. Aber das war viele Jahre her und damals war die Technik noch nicht so weit wie heute gewesen. Er hatte seine Ersatzhand immer als einen Fremdkörper wahrgenommen und schnell darauf verzichtet. Am Anfang war es natürlich sehr hart gewesen. Oft genug war er an simplen Dingen gescheitert. Crocodile konnte sich noch gut daran erinnern, wie schrecklich frustrierend die erste Zeit nach der Amputation gewesen war. Auf einmal hatte er viele Dinge ganz neu lernen müssen. Wie ein Kind musste er üben sein Hemd zuzuknöpfen, sein Bett zu beziehen, sein Halstuch umzubinden... Er war sich absolut unfähig und nutzlos vorgekommen. Doch inzwischen kam Crocodile gut zurecht. Er brauchte keine Hilfe, schaffte alles allein. Mit der Tastur war er sogar schneller als seine Sekretärin Robin, obwohl er logischerweise nur halb so viele Finger zum Tippen zur Verfügung hatte. Umso größer war daher die Verwunderung seiner Arbeitskollegen, als er die nächsten Tage immer mit Prothese im Büro erschien. „Du siehst aus wie ein Cyborg“, witzelte Kiwi, während sie ihm ein paar Dokumente überreichte. Crocodile rollte mit den Augen. Es bestand die Möglichkeit eine Prothese so anfertigen zu lassen, dass man sie für ein echtes Gliedmaß hielt. Hautfarbe, Körperbehaarung, Fingernägel... Alles ließ sich individuell anpassen. Crocodile jedoch fand das ziemlich makaber. Seine Handprothese war naturbelassen, sah also aus wie eine Roboterhand. Was sie ja letztendlich auch war. Er sah nicht ein, wieso er daraus ein Geheimnis machen sollte. „Ich hatte letztens das erste Mal Phantomschmerzen“, meinte er seufzend und blätterte durch eine Bewerbung, die heute bei Toms Workers eingegangen war. „Deswegen muss ich die blöde Prothese tragen.“ Kiwi warf ihm einen verwunderten Blick zu. „Prothesen helfen gegen Phantomschmerzen? Das wusste ich gar nicht.“ „Man versucht im Grunde sich selbst auszutricksen“, erklärte er ihr. „Phantomschmerzen entstehen, weil die abgetrennten Nervenzellen Falschmeldungen weitergeben. Durch das Tragen einer Prothese wird den Nerven vorgegaukelt, dass das Körperteil noch existiert, damit sie diese Rückmeldung auch ans Gehirn geben.“ „Wow.“ Beeindruckt musterte Kiwi seine Prothese. „Das ist ja Wahnsinn!“ Crocodile zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls muss ich mich jetzt mit diesem Ding rumschlagen.“ Er hob seine linke Hand und wackelte mit den Fingern. „Aber es ist doch toll, dass du eine Prothese hast!“, hielt seine Arbeitskollegin dagegen. „Jetzt hast du wieder zwei Hände. Wie früher. Ich wusste gar nicht, dass es solche Roboterhände gibt. Das sieht ja fast so aus als hättest du eine ganz normale, linke Hand.“ „Ich komme auch mit nur einer Hand gut zurecht“, erwiderte Crocodile pikiert. Ihm gefiel nicht, welche Richtung dieses Gespräch einschlug. „Weiß ich doch“, meinte Kiwi und winkte ab. „Trotzdem ist es unglaublich, wozu die Technik und die Medizin heutzutage in der Lage sind. Auf diese Weise können Menschen, die ein Körperteil verloren haben, ein ganz normales Leben führen.“ Ich führe auch ohne Prothese ein ganz normales Leben, wollte Crocodile erwidern, doch er biss sich selbst auf die Zunge. Vermutlich hatte es überhaupt keinen Zweck mit Kiwi darüber zu diskutieren. Sie sah in seiner Prothese offenbar eine Art Heilung. Und wer könnte schon etwas dagegen haben geheilt zu werden? Zuhause legte Crocodile seine Prothese sofort ab. Es war ein gutes Gefühl sie los zu sein. Als dürfte er am Ende eines langes Weges endlich seinen schweren Rucksack absetzen. Doflamingo wiederum war damit nicht zufrieden. „Du solltest sie wieder anlegen“, meinte er, als er die Roboterhand auf der Kommode im Flur liegen sah. „Ich habe sie die ganze Zeit auf der Arbeit angehabt“, verteidigte Crocodile sich. „Ich brauche mal ein bisschen Pause. Schließlich kann ich dieses Ding nicht den ganzen Tag tragen!“ „Und was genau hält dich davon ab?“, wollte sein Ehemann mit nörgliger Stimme wissen. Er ließ sich neben ihm auf dem Sofa nieder und hielt ihm seine Prothese hin. „Du weißt, dass ich sie nicht gerne trage.“ Crocodile verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich demonstrativ von der Prothese ab, die Doflamingo auffordernd vor ihm hin- und herwedelte. „Aber sie hilft dabei dich vor Phantomschmerzen zu schützen“, entgegnete er. „Also leg sie bitte wieder an!“ „Es ist ja wohl meine Entscheidung!“, zischte Crocodile. Ihn begann das Gespräch mit Doflamingo jetzt schon anzunerven. Warum konnte er ihn nicht einfach in Ruhe lassen? „Du bist unvernünftig“, hielt sein Partner ihm vor. „Verdammt, Crocodile! Weißt du eigentlich wie schlimm Phantomschmerzen sein können? Ich habe mich dazu eingelesen. Manche Leute schreiben, dass sie sich wie Messerstiche oder Quetschungen anfühlen! Ich möchte nicht, dass du eines nachts anfängst zu schreien, weil du solche Schmerzen hast!“ „Warum glauben eigentlich alle Leute, dass sie besser über diese Dinge Bescheid wissen als ich?!“ Aufgebracht erhob Crocodile sich und schlug Doflamingo die Prothese aus der Hand. Er konnte spüren, dass sich heiße Wut ausgehend von seinem Magen in seinem ganzen Körper ausbreitete. „Ich bin derjenige hier, der keine Hand mehr hat! Und ob du es glaubst oder nicht: Ich kann für mich selbst entscheiden! Du hast überhaupt kein Recht dich in diese Angelegenheit einzumischen!“ „Ich bin dein Ehemann!“, erwiderte Doflamingo nicht minder zornig. Auch er erhob sich und baute sich vor Crocodile auf. „Ich möchte, dass es dir gut geht! Verdammt! Du tust so als würde ich dir etwas Schlechtes wollen! Mir ist bewusst, dass du deine Prothese nicht gerne trägst. Aber ich finde, sie ist das geringere Übel!“ „Du weißt nicht wie es ist den ganzen Tag mit dieser Roboterhand durch die Gegend zu laufen!“ Crocodiles Stimme war laut und vor Wut ganz verzerrt. Anklagend zeigte er auf die am Boden liegende Prothese. „Es ist... als müsste man... man...“ Crocodile fiel es schwer die richtigen Worte zu finden. „Alle erzählen mir wie toll so eine Prothese ist! Wie nützlich! Hilfreich! Aber ich brauche keine Hilfe! Dieses Ding zu tragen... Ich meine... Es ist doch nichts an mir kaputt! Ich brauche kein verdammtes Ersatzteil!“ Doflamingo setzte eine Miene auf als hätte ihn jemand in den Magen geboxt. „Natürlich ist nichts an dir kaputt“, sagte er im Flüsterton. Seine Stimme war so leise, dass Crocodile sie kaum hören konnte. „Du bist nicht... Das ist doch...“ Offenbar fiel es Doflamingo ebenso schwer wie ihm seine Empfindungen auszudrücken. „Darum geht es doch gar nicht! Nichts an dir muss ersetzt werden!“ „Diese beschissene Prothese ist ein Ersatzteil!“ Crocodile blieb beharrlich bei seinem Standpunkt. „Und das brauche ich nicht! Ich habe keine linke Hand mehr und damit komme ich super zurecht!“ „Das weiß ich doch“, meinte sein Ehemann. Doch er wäre nicht Donquixote Doflamingo, wenn er diese Sache hinnehmen und nun einfach auf sich beruhen lassen würde. „Du bist perfekt, so wie du bist. Ich habe mich in dich verliebt, ohne linke Hand. Um ehrlich zu sein, kann ich mir dich anders gar nicht vorstellen. Ich finde es immer seltsam, wenn du auf alten Fotos mit beiden Händen zu sehen bist. Aber das ist nicht der Punkt! Du hast mir letztens wirklich Angst eingejagt. Ich möchte einfach auf keinen Fall, dass ich dich eines Tages vor Schmerzen schreien höre!“ „Was weißt du denn schon von Schmerzen?!“ Zur Wut in Crocodiles Magen gesellte sich Verzweiflung. Mit bitterer Stimme wandte er sich an seinen Ehemann. „Du hast überhaupt keine Ahnung, was echte Schmerzen sind! Du weißt rein gar nichts! Ich habe Schmerzen gefühlt, als meine Hand zu Brei zerdrückt wurde! Das kannst du dir in deinen allerschlimmsten Alpträumen nicht vorstellen! Ich habe keine Angst vor irgendwelchen beschissenen Phantomschmerzen! Ich bin ein Kämpfer! Also jetzt hör gefälligst auf damit mich mit dieser verdammten Prothese zu nerven!“ Crocodile drehte sich um und verließ das Wohnzimmer, ehe Doflamingo die Gelegenheit bekam sich zu sammeln und ihm irgendetwas entgegenzusetzen. Im Vorbeigehen verpasste er der Prothese noch einen Tritt, sodass diese laut scheppernd gegen die gegenüberliegende Vitrine krachte und einen Sprung im Glas verursachte. Ihr Termin mit Dr. Raffit war inzwischen über einen Monat her. „Ich möchte dich nicht unter Druck setzen“, meinte Doflamingo, als sie an einem Samstagnachmittag in Spiders Cafe zusammensaßen. „Aber wenn wir nicht langsam mal Nägel mit Köpfen machen, bist du demnächst deine Arbeit los, ohne dass ein Kind in Aussicht ist. Oder hast du dir die ganze Sache auf einmal anders überlegt?“ Crocodile schüttelte mit dem Kopf. „Du weißt genau, dass ich kein sprunghafter Mensch bin“, engegnete er und nippte an seinem Wasserglas. „Wenn ich mir etwas vornehme, ziehe ich das auch durch. Also mach dir keine Sorgen, dass ich meine Meinung zu diesem Thema plötzlich ändern könnte.“ „Sehr gut.“ Doflamingos Stimme klang erleichtert. Zwar kannte er ihn nach sechs Jahren Ehe gut genug, um ihn richtig einschätzen zu können. Trotzdem schien sein Partner sich Sorgen gemacht zu haben. „Also machen wir bald den nächsten Termin mit Dr. Raffit aus? Wenn ich alles richtig verstanden habe, müssen wir erst mal deine Genetik untersuchen lassen und dann eine passende Leihmutter auswählen.“ „Ich denke, da ist nichts gegen einzuwenden“, murmelte Crocodile. „Du hörst dich ja nicht gerade begeistert an. Keine Sorge, Wani, es dauert noch, bis du in einen kleinen Plastikbecher wichsen musst, fufufufufu“, neckte ihn Doflamingo. Crocodile spürte augenblicklich, dass seine Wangen sich rot zu färben begannen. Natürlich war Doflamingo absolut klar, dass für seinen prüden Ehemann dieser Teil ihres Vorhabens besonders unangenehm war. Bisher hatte Crocodile die Vorstellung, dass er in irgendeinem nach Desinfektionsmittel stinkenden Praxisraum auf Kommando masturbieren sollte, immer weit von sich geschoben und sich bemüht nicht darüber nachzudenken. Rasch versuchte er das Thema zu wechseln. „Worauf legst du bei der Leihmutter wert?“, wollte er von seinem Ehemann wissen. „Gibt es für dich irgendwelche No-gos?“ „Hmmmm.“ Doflamingo legte die Stirn in Falten und nahm sich tatsächlich einen Moment Zeit, um über seine Frage nachzudenken. „Eigentlich gibt es für mich nicht wirklich viele Ausschlusskriterien“, meinte er schließlich achselzuckend. „Also, sie sollte natürlich zu deinem genetischen Profil passen, um Erbkrankheiten und so weiter zu verhindern. Das ist natürlich klar. Ansonsten fände ich es gut, wenn sie uns beiden halbwegs ähnlich sehen würde. Eine Frau mit sehr dunkler Haut oder Locken zum Beispiel würde ich eher ausschließen.“ „Vielleicht gibt es in der Kartei ja eine Frau mit blonden Haaren und grünen Augen“, mutmaßte Crocodile. „Wenn unser Kind mir nicht sonderlich ähnlich sieht, würde es ja dann alternativ zumindest eine zu dir passende Haar- oder Augenfarbe erben.“ Diese Aussage ließ Doflamingo in lautes Gelächter ausbrechen. „Was ist los?“, wollte Crocodile sofort wissen und warf seinem Ehemann einen verärgerten Blick zu. „Du hast doch eben selbst gesagt, dass du eine Leihmutter, die ganz anders als wir aussieht, ausschließen würdest!“ „Ach, eigentlich ist nichts dramatisches“, meinte Doflamingo prustend. „Es ist nur so, dass doch überhaupt niemand meine Augenfarbe mit der meines Kindes vergleichen könnte. Oder was glaubst du wie viele Menschen es gibt, die wissen, dass ich grüne Augen habe?“ Damit hatte er natürlich nicht Unrecht. Sein Partner setzte seine heiß geliebte Sonnenbrille nur in ganz wenigen Situationen ab. Wenn er ein ernstes Thema mit ihm besprechen musste zum Beispiel. Oder beim Sex. Ansonsten trug Doflamingo sie auch im Winter und in geschlossenen Räumlichkeiten. „Ich frage mich“, sagte Crocodile und legte den Kopf schief, „ob wenigstens Mihawk und Hancock dich jemals ohne deine Sonnenbrille zu Gesicht bekommen haben.“ Doflamingo grinste breit. „Ich würde mal behaupten, dass es außer dir nicht mehr als drei Leute gibt, die sicher sagen können, welche Augenfarbe ich habe, fufufufu.“ „Da fühle ich mich aber geehrt“, erwiderte Crocodile spöttisch. „Warum machst du daraus eigentlich so ein großes Geheimnis? Es ranken sich ja doch einige Gerüchte um deine Augen. Bevor wir beide ein Paar geworden sind, hat man mir sogar erzählt, dass du zwei verschiedene Augenfarben hättest.“ Doflamingo lache leise. „Ich halte es nicht wirklich geheim“, erklärte er ihm schießlich mit unverfänglich klingender Stimme. „Ich liebe einfach bloß meine Sonnenbrille.“ „Bist du eigentlich deswegen immer so gut drauf? Weil du buchstäblich alles durch eine rosarote Brille siehst?“ „An diesen Effekt habe ich mich längst gewöhnt“, meinte sein Ehemann und winkte ab. „Inzwischen kommt es mir sogar komisch vor, wenn ich auf einmal wieder alle Farben und helles Licht wahnehmen kann. Für mich ist meine rosarote Welt ganz alltäglich.“ „Und wie fandest du mich, als du mich das erste Mal ohne deine Sonnenbrille gesehen hast?“, fragte Crocodile neugierig. „Hat dich irgendetwas überrascht?“ Dazu war es gekommen, als sie beide das allererste mal intim miteinander geworden waren. Crocodile konnte sich noch genau daran erinnern, wie gebannt er von den stechend grünen Iridien seines Partners gewesen war. Er war gar nicht dazu in der Lage gewesen seinen Blick abzuwenden. „Mich haben deine Augen überrascht“, sagte Doflamingo schließlich. „Ich habe noch nie vorher Augen mit einer Farbe wie Bernstein gesehen.“ „Hellbraun“, korrigierte Crocodile seinen Ehemann. „Sie sind einfach nur hellbraun.“ „Und mich hat auch überrascht wie blass du bist“, fuhr er lachend und ohne auf seinen Einwand einzugehen fort. „Wie ein Gespenst. Wahrscheinlich sieht man deswegen die Röte in deinem Gesicht immer gleich so deutlich.“ Wie auf Kommondo spürte Crocodile, dass Doflamingos Worte ihm die Schamesröte ins Gesicht trieben. Sogar seine Ohren fühlten sich warm an. Sein Ehemann brach erneut in schallendes Gelächter aus. „Ich bin schon wirklich sehr gespannt, welche deiner Eigenschaften unser Kind erben wird. Vielleicht bekommt es ja auch so blasse Haut wie du. Und die Chance, dass die Augen unseres Sohn oder unserer Tochter blau sein werden, ist auch ziemlich hoch. Bestimmt wird er oder sie eine echte Schönheit! Wie der Papa! “ Bei dieser Aussage begann Crocodile unweigerlich mit den Augen zu rollen. Anschließend wollte er wissen: „Wieso ist die Chance hoch, dass mein Kind blauäugig wird?“ Immerhin hatte er selbst hellbraune Augen. Doflamingo setzte eine neckisch-verächtliche Miene auf. „Ehrlich mal, Wani, hast du während deiner gesamten Schulzeit den Biologie-Unterricht geschwänzt? Du trägst höchstwahrscheinlich das Gen für blaue Augen in dir. Immerhin haben sowohl deine Schwester als auch deine Nichte blaue Augen.“ „Hancock hat die Augenfarbe unseres Vaters geerbt“, erklärte Crocodile seinem Ehemann. „Mihawk und ich … die unserer Mutter.“ Er sprach nur sehr ungern über seine Eltern. Schon seit über zwanzig Jahren bestand überhaupt kein Kontakt mehr zu ihnen. Sie hatten ihn damals vor die Türe gesetzt hatten, weil er sich vor ihnen als homosexuell geoutet hatte, und danach nie wieder ein Wort mit ihm gewechselt. Nicht einmal nach seinem dramatischen Motorradunfall, bei dem er beinahe sein Leben verloren hatte, wollte sie etwas von ihm wissen. Auf einmal fragte Crocodile sich, ob ihn jemals etwas dazu bringen könnte sich von seinem Kind abzuwenden. Nachdenklich legte er die Stirn in Falten. Vielleicht wenn er oder sie ein schlimmes Verbrechen begangen hätte? Einen Mord vielleicht? Nun, für seine Eltern schien in dieser Hinsicht die Tatsache ausreichend gewesen zu sein, dass er anstatt auf Frauen auf Männer stand. „Ich könnte morgen bei Dr. Raffit anrufen“, meinte Doflamingo, um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen. „Und heute Abend schauen wir mal durch den Katalog mit den verfügbaren Leihmüttern. Vielleicht gibt es ja eine oder zwei, die wir beide auf Anhieb gut finden.“ „Okay“, erwiderte Crocodile gleichmütig. Die Erinnerung an seine Eltern sorgte bei ihm immer für schlechte Laune. „Kann ich euch beiden noch etwas bringen?“, wurden sie von Paulas freundlicher Stimme unterbrochen. Sie arbeitete als Kellnerin in Spiders Cafe und war eine langjährige Bekannte von Crocodile. Er hatte sie damals während seine Studiums kennengelernt. Sein ältester Freund und ehemaliger Nachbar Daz hatte sie beide miteinander bekannt gemacht. Paula war seine Cousine. Crocodile schüttelte den Kopf. „Nein danke, Paula. Wir würden gerne zahlen.“ Paula nickte und brachte ihnen die Rechnung, auf das sie wie immer ein überaus großzügiges Trinkgeld aufschlugen. Nächsten Dienstag war es soweit. Alles war vorbereitet. Crocodile war auf mögliche Erbkrankheiten getestet worden und auf Basis seines genetischen Profils wurde ihm eine Reihe von passenden Leihmüttern vorgestellt. Recht schnell entschieden Doflamingo und er sich für eine junge Frau namens Rebecca Riku. Sie war vierundzwanzig Jahre alt, studierte Biologie und stellte sich zum ersten Mal als Leihmutter zur Verfügung. Es hätte noch andere Frauen gegeben, die optisch vielleicht besser zu Doflamingo und ihm gepasst hätten (Rebecca hatte rötlich-blondes Haar), doch die nette und herzliche junge Frau war ihnen sofort aufgefallen. „Wir haben Frau Rikus Eizellen medikamentös stimuliert“, hatte ihnen Dr. Raffit vor dem Wochenende erklärt. „Unsere Kontrolluntersuchungen haben ergeben, dass mehrere Eizellen ausreichend herangereift sind. Sechsunddreißig Stunden nach dem Eisprung, also Dienstagmorgen, werden wir ihr eine Eizelle aus den Eierstöcken entnehmen. Zu diesem Zeitpunkt benötigen wir Ihr Sperma, Mr. Donquixote. Anschließend injizieren wir die Samenzelle in die Eizelle und beobachten diese im Brutschrank. Sollte die Befruchtung geglückt sein, wird die befruchtete Eizelle nach zwei bis sechs Tagen in Frau Rikus Gebärmutter eingeführt.“ Crocodile wusste also schon einige Tage im vorraus, was auf ihn zukommen würde. Weil ihm allerdings die Vorstellung, in sterilen Praxisräumen auf Ansage zu masturbieren, immer noch völlig absurd vorkam, versuchte er so wenig wie möglich darüber nachzudenken. Stattdessen zogen Doflamingo und er ein straffes Freizeitprogramm durch. Freitagabend gingen sie ins Kino. Samstag trafen sie sich mit Kid und Law. Und am Sonntag waren sie bei Crocodiles älterem Bruder Mihawk zum Grillen eingeladen. Er freute sich ganz besonders darauf seinen alten Studienkollegen Daz wiederzusehen. Ihr letztes Treffen war über zwei Monate her. Alles in allem blieb ihm also relativ wenig Zeit, um sich über den kommenden Dienstagmorgen Gedanken zu machen. Was ein großes Glück war, denn Crocodile blickte mit gemischten Gefühlen auf den Tag, an dem er womöglich sein leibliches Kind zeugen würde. Er war aufgeregt, voller Vorfreude, hoffnungsvoll... aber auch nervös und verängstigt. Ob die künstliche Befruchtung wohl gelingen würde? Crocodile hoffte jedenfalls, dass er sich bloß ein einziges Mal dem Prozedere unterziehen musste. Natürlich waren im Gegensatz zu Rebecca seine Anteile bei der Zeugung ihres Kindes recht gering, doch ihm reichte es definitiv, wenn er nur einmal in einen Becher ejakulieren musste. Kid und Law waren nach zwei Jahren Beziehung gemeinsam in eine neue Wohnung gezogen. Sie lag ganz in der Nähe des Krankenhauses, in dem Law als Chirurg arbeitete. Das war den beiden wichtig gewesen, damit Law, der oft genug vierundzwanzig Stunden am Stück arbeiten musste, danach nicht noch einen langen Heimweg vor sich hatte. Die geräumige Drei-Zimmer-Wohnung vereinte viele Gegensätze ihrer beiden Bewohner: Während im Wohnzimmer oft Bierflaschen, benutzte Teller und allerhand weiterer Kram herumflog, waren die Küche und das Badezimmer makellos rein. Darauf legte Law großen Wert. Wie schon in Kids früherer Wohnung war auch hier an einigen Stellen die Tapeten bemalt worden. Sowohl halbfertige Skizzen als auch detaillierte Bilder ließen sich hier und da wiederfinden. Crocodile wusste, dass wenn Kid von der Muse geküsst wurde, er einfach anfing zu zeichen oder malen – ganz egal, wo er gerade war oder ob er Papier zur Hand hatte. Die beiden waren wirklich ein absolut gegensätzliches Paar. So wie Doflamingo und er es wahrscheinlich auch waren, fügte er innerlich schmunzelnd hinzu. Kid musste gar nicht erst nach ihren Getränkewünschen fragen – Crocodile brachte er ein Glas stilles Mineralwasser und für Doflamingo und sich holte er ein Sixpack Flaschenbier aus der Küche. Im Fernsehen lief Der Pate Teil II. Crocodile erinnerte sich daran, dass sein Ehemann einmal gesagt hatte, dass der Hauptcharakter, der junge Don Vito Corleone, ihm sehr ähnlich sah („bis auf den Bart natürlich, fufu“). Crocodile hatte bloß schnaubend abgewinkt. Er selbst konnte keine Ähnlichkeit zwischen sich und dem Star-Schauspieler Robert De Niro ausmachen. Auch wenn er hin und wieder tatsächlich gefragt wurde, ob er italienische Wurzeln besäße. „Hey“, meinte Kid plötzlich und deutete auf den Fernsehbildschirm. „Irgendwie hat der Pate ein bisschen Ähnlichkeit mit dir, Crocodile, findest du nicht auch?“ Crocodile stach seinem Partner mit seinem Ellenbogen in die Seite, noch ehe dieser die Gelegenheit dazu bekam in schallendes Gelächter auszubrechen. Doch Doflamingo wäre nicht Doflamingo gewesen, wenn er es nicht trotzdem getan hätte. „Das habe ich ihm auch schon mal gesagt, fufufufu“, meinte er laut prustend und amüsierte sich wie immer köstlich darüber, als sich Schamesröte im Gesicht seines Ehemannes ausbreitete. „Das ist ein Kompliment“, fügte Kid hinzu, den Crocodiles Verlegenheit ebensowenig wie Doflamingo zu stören schien. „Zugegeben, der Schnauzer ist nicht so meins. Aber das war damals eben Mode. Also ich hätte De Niro, so wie er im Film aussieht, sicher nicht von der Bettkante gestoßen.“ „Lass das bloß Law nicht hören“, meinte Doflamingo und gab ein furchtbar unmännlich klingendes Kichern von sich. „Man glaubt es kaum, aber er kann ein wirklich eifersüchtiges Biest sein.“ Unwillig ließ Crocodile seinen Blick zwischen den beiden hin- und herwandern. Gerade im Moment wirkten sie auf ihn wie zwei gelangweilte Hausfrauen beim Kaffeeklatsch. Kids Nagellack und Lippenstift sowie Doflamingos goldene Ohrringe und sein rosafarbenes Hemd trugen ihr Übriges zu diesem Bild bei. „Das brauchst du mir nicht zu sagen“, gab Kid augenrollend zurück und nahm einen Schluck von seinem Bier. „Du willst nicht wissen, was los war, als mir letzte Woche ein Kellner in einer Bar seine Handynummer auf die Serviette geschrieben hat.“ „Ich kann es mir vorstellen“, sagte Doflamingo lachend. Crocodile, der es ziemlich unfair fand sich in Abwesenheit von Law über diesen lustig zu machen, versuchte ihn zu verteidigen: „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, Doflamingo. Erinnerst du dich daran, dass unsere Ehe beinahe zerbrochen ist, weil du einen GPS-Sender an mein Auto angebracht hattest?“ Augenblicklich gefror das Lächeln auf Doflamingos Lippen. Und auch wenn seine Augen hinter den getönten Gläsern seiner Sonnenbrille verborgen blieben, bemerkte Crocodile genau, wie sein Ehemann beschämt den Blick senkte. „Was?“, durchbrach Kids fassungslos klingende Stimme diesen unangenehmen Moment. „Du hast was gemacht, Doflamingo?!“ Er warf Doflamingo einen Blick zu als sei dieser ein geisteskranker Psychopath. „Das ist schon Jahre her“, gab Doflamingo zähneknirschend zu. „Und ich habe nur die ersten zwei Monate den Trackingverlauf angeschaut.“ „Wie lange hat er dich denn überwacht?“, wandte sich Kid nun an Crocodile. „Naja...“ Verdammt, er hätte wohl besser die Klappe gehalten. Es war nicht seine Absicht gewesen Doflamingo so bloßzustellen. Er hatte lediglich von Law ablenken wollen. „So etwa... eineinhalb Jahre...?“ Das war zwar sehr deutlich zugunsten von Doflamingo geschätzt, doch Crocodile hatte nicht vor seinen Ehemann noch weiter zu demütigen. „Wow.“ Kid senkte den Blick. Er schien diese Information erst einmal verdauen zu müssen. „Ich bin davon ausgegangen, dass du das schon wüsstest“, meinte Crocodile kleinlaut. „Ich dachte, alle wüssten davon.“ Doch Kid schüttelte den Kopf. „Doflamingo hat uns nur erzählt, dass er Mist gebaut hat und du deswegen eine Beziehungspause wolltest. Und, nun ja, du erinnerst dich sicher noch gut daran wie schlecht es ihm damals ging. Deswegen haben wir uns nicht getraut weiter nachzubohren.“ „Tja, jetzt weißt du Bescheid“, schaltete sich Doflamingo ein. Er klatschte einmal mit den Händen und seine Stimme klang wie Gift. „Ich bin nicht stolz drauf, ehrlich.“ „Ich behalte es für mich, wenn du möchtest“, sagte Kid sofort. „Ich verstehe es vollkommen, wenn du nicht möchtest, dass diese Geschichte die Runde macht. Jeder hat schon mal Dinge getan, auf die er nicht stolz ist.“ „Ach ja.“ Doflamingo verschränkte eingeschnappt die Arme vor der Brust. „Dann pack bitte aus, Kid: Was hast du jemals getan, wofür du dich so sehr geschämt hast, dass du es jahrelang keinem erzählt hast?“ Kid zögerte für einen Moment, ehe er mit untypisch leiser Stimme meinte: „Dass ich damals Crocodile nach seinem Unfall gefunden habe.“ Plötzlich wurde es so still im Wohnzimmer, dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können. Vollkommen fassungslos durchbohrten sowohl Doflamingo als auch Crocodile ihren langjährigen Freund mit ihren Blicken. Es war schließlich Kid selbst, der das entsetzte Schweigen brach. „Natürlich... ich meine nicht... ich bin froh, dass du lebst, Crocodile! Bitte versteh mich nicht falsch! Es ist nur...“ Betreten fixierte er seine Hände, die in seinem Schoß lagen. „Ich habe mich immer gefragt, ob ich nicht mehr hätte tun können. Monatelang... nein jahrelang träumte ich immer wieder von diesem Moment, wie ich dich am Boden liegend fand... und nichts getan habe! Wie erstarrt habe ich bloß dagestanden! Und als ich mich endlich rühren konnte, habe ich mich selbst vollgekotzt! Verdammt!“ Er wandte den Blick von seinen Händen ab und schaute Crocodile unverwegs ins Gesicht. Seine Pupillen bebten. „Ich habe mir immer Vorwürfe gemacht. Ich hätte schneller reagieren müssen... Ich weiß noch, dass ich dir Wasser gegeben habe...“ „Du hattest eine kleine Flasche in deinem Handschuhfach“, meinte Crocodile und nickte. Er konnte sich ebenso gut wie Kid an jenen verhängnisvollen Tag erinnern. „Ich hätte sofort die Ambulanz rufen müssen!“ Kids Stimme wurde lauter; beinahe brüllte er. „Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich habe verstreichen lassen... Es waren wertvolle Minuten... Und ich habe auch keine Erste Hilfe geleistet. Weißt du, ich habe versucht mich an den Kurs zu erinnern, den ich absolviert habe, als ich meinen Führerschein gemacht habe. Aber ich konnte überhaupt nicht klar denken. In meinem Kopf war nichts als gähnende Leere. Ich kam mir so verdammt unnütz vor. Als ich dann später erfahren habe, dass sie dem Mann, dir, die Hand amputieren mussten, habe ich mich so sehr geschämt, dass ich niemals jemandem davon erzählt habe.“ „Das ist Unsinn!“, warf Crocodile sofort ein. Zögerlich griff er nach Kids Händen. Eigentlich war er kein großer Freund von Körperkontakt (mit Ausnahme von Doflamingo), aber jetzt gerade hatte er den Eindruck, dass Kid es wirklich nötig hatte. Aufmunternd drückte er seine mit schwarzem Nagellack verzierten Finger. „Es ist kein Unsinn“, hielt Kid mit elendig klingender Stimme dagegen. „Ich meine, wozu macht denn jeder Autofahrer einen Erste-Hilfe-Kurs? Doch für genau solche Situationen! Aber als es darauf ankam, habe ich komplett versagt. Eigentlich müsstest du mich verabscheuen.“ „Du hast nicht versagt“, versuchte Crocodile ihn zu trösten. Leider war er darin noch nie ein Naturtalent gewesen. „Ich habe es dir schon einmal gesagt: Ich habe für dich, meinen Retter, niemals etwas Anderes als Dankbarkeit empfunden. Um ehrlich zu sein, hatte ich die Hoffnung schon aufgeben. Ich lag dort... ich weiß nicht genau wie lange... vielleicht Stunden, bevor du mich endlich gefunden hast. Wärst du nicht zufällig vorbeikommen, wäre ich mit Sicherheit gestorben. Ich fasse es nicht, dass du dir wegen dieser Sache Vorwürfe machst. Dazu gibt es wirklich keinen Grund.“ „Aber deine Hand...“ Verunsichert warf Kid einen Blick auf seinen Armstumpf auf der linken Seite. „Vielleicht hätten die Ärzte sie retten können, wenn ich früher...“ „Niemand hätte diese Hand retten können“, erklärte Crocodile ihm mit ruhiger Stimme. „Nicht einmal der allerbeste Chirurg auf der ganzen Welt. Sie ist zu Brei zerquetscht worden. Es war nichts mehr übrig, was man hätte rekonstruieren können.“ Diese Aussage ließ sowohl Kid als auch Doflamingo kreidebleich im Gesicht werden. Crocodile räusperte sich. „Was ich sagen möchte: Bitte lass nicht zu, dass ungerechtfertigte Gewissensbisse dich so fertig machen, Kid. Ich weiß, dass der eigene Verstand einem manchmal böse Dinge zuflüstert... Aber ich bin unglaublich glücklich, dass du damals aufgetaucht bist. Ja, du hast dir auf die Füße gekotzt. Was solls. Du hast mich vor dem Tod bewahrt und alles andere ist unwichtig. Und weißt du was? Ich kann mich fast gar nicht mehr daran erinnern, wie es ist sein Hemd mit zwei Händen zuzuknöpfen. Ich komme mit einer Hand wunderbar zurecht. Um ehrlich zu sein... Wenn es einen Knopf gäbe, auf den ich nur drücken müsste, um meine linke Hand wiederzubekommen. Ich glaube, ich würde es nicht tun. Es gibt also keinen Grund, um sich Vorwürfe zu machen, Kid.“ Sie nahmen sich in den Arm. Nicht lange, nur für einen kurzen Moment, denn sie beide waren eigentlich nicht die Typen für einen solch körperlichen Ausdruck von Emotionen. Aber wenn es Kid dabei half seine Schuldgefühle zu verarbeiten, war er dazu gerne bereit. Gerade als sie sich umarmten, konnte Crocodile hören, wie die Wohnungstüre geöffnet wurde. Law, der heute bis zweiundzwanzig Uhr Dienst gehabt hatte, war offenbar soeben nach Hause gekommen. Rasch löste sich Crocodile von Kid. Wie gesagt, er hatte selten Körperkontakt zu irgendjemand anderem als seinem Ehemann. Selbst seine Geschwister umarmte er nur in Ausnahmefällen. Law zog eine Augenbraue hoch, als er das Wohnzimmer betrat. „Als du mich wegen des Dreiers angesprochen hattest“, meinte er mit neckisch klingender Stimme und ließ seinen Blick über seinen Freund, Doflamingo und Crocodile schweifen, „bin ich eigentlich davon ausgegangen, dass du mich und noch einen anderen Typen meintest.“ Kid verzog den Mund. Doch Doflamingo nutzte sofort die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln. „Zu solchen unlauteren Praktiken versucht er dich also zu überreden, fufufufu?“, meinte er lachend. Law seufzte halb ernst, halb gespielt. „Letzte Woche erst hat er versucht einen Kellner in einer Bar zu überreden mit uns beiden ins Bett zu steigen“, beschwerte er sich und ging hinüber in die Küche, um sich eine Flasche Bier zu holen. Offenbar hatte er das Sixpack, das auf dem Boden neben dem Sofa stand, nicht gesehen. Doflamingo brach in schallendes Gelächter aus und selbst Crocodile ließ sich zu einem amüsierten Grinsen hinreißen, während Kid vor Scham am liebsten im Boden versunken wäre. Zumindest passte sich seine Gesichtsfarbe dem Rot seiner wild abstehenden Haare in rasanter Geschwindigkeit an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)