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Die letzte Chance

von

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24. Die Güte eines Ziehvaters

Vorsichtig und langsam öffnete Shen einen Spalt die Küchentür, wo immer noch Licht brannte. Mr. Ping stand an der Küchenarbeitsfläche und schnibbelte Gemüse klein. Shen wollte ihn nicht aus dem Hinterhalt überfallen. Er mochte es mehr zu sehen wie seine Opfer ihm im kritischen Moment ins Gesicht sahen.

Leise öffnete er die Tür weiter und trat lautlos ein, wie eine Katze auf Samtpfoten. Als er den Inhaber fast erreicht hatte, kratzte er absichtlich mit seinen Krallen auf den mit Platten gefliesten Boden.

Mr. Ping drehte sein Gesicht zu ihm um und erschrak.

„Oh! Sir! Ich war besorgt um Sie! Warum sind Sie auf einmal verschwunden gewesen? Po sagte doch, dass es eine schlechte Idee wäre nach draußen zu gehen!“

Shen verengte die Augen sehr eng. Ein frostiges Lächeln überzog seinen Schnabel. „Es gibt keinen Grund mehr mich zu verstecken.“

Mr. Ping sah ihn überrascht an. „Ist das so?“

Der Gänserich sah sich um. „Wo ist Po?“

Der Lord grinste unheilvoll. „Er wird sehr bald kommen.“

Sehr bald… aber hoffentlich nicht zu bald.

Mr. Ping sah ihn geschockt an. Shen konnte sich nicht erklären warum der Ziehvater seines Rivalen auf einmal so erschrocken dreinschaute. Hatte er sich irgendwie verraten?

„Ach du liebe Güte!“, rief Mr. Ping entsetzt. „Sie sind ja ganz verdreckt und… Sie bluten!“

Shen sah an sich herunter. In der Tat hatte er sich beim Sturz ein bisschen seine Knie aufgeschlagen.

Mr. Ping rannte in der Küche hin und her. „Ein royaler Gast von meinem Hause sollte immer medizinische Hilfe bekommen.“

Zu Shens Irritierung griff der Gänserich nach seinem Flügel und zog ihn zu einem kleinen Hocker rüber.

„Setzen Sie sich.“

Shen widersprach ihm nicht und ließ sich darauf nieder, während Mr. Ping davonrannte und ein paar Materialen holte, um die Schürfwunden zu reinigen.

In angespannter Position sah Shen auf seine aufgekratzten Knie.

Du wirst bald noch viel mehr Blut sehen.

In diesem Moment kam Mr. Ping zurück. In den Flügeln hielt er eine Box, die er auf den Boden neben dem Pfau abstellte und Wundreinigungsstücher und eine Flasche mit einer Flüssigkeit herausholte. Shen sog scharf die Luft ein. Die Flüssigkeit brannte höllisch, als Mr. Ping die Wunden reinigte. Plötzlich hielt er inne. Auf der Spüle lag ein gereinigtes Küchenmesser.

„Ich musste mich ziemlich oft bei Po um solche Sachen kümmern“, sagte Mr. Ping. „In seiner Kindheit hatte er so viele verrückte Dinge angestellt. So, das wars. Ich denke nicht, dass es sich entzünden wird.“

Mr. Ping wandte sich ab und stellte die Box wieder weg.

Shens Blick wanderte zurück auf das Messer. Jetzt hatte er die Möglichkeit. Wer weiß wie lange der Panda noch wegbleiben würde.

„Oh, ja“, fuhr Mr. Ping mit seinen Gedanken fort und ging zurück an seinen Arbeitsplatz an die Theke. „Ich erinnere mich noch gut daran wie er in mein Restaurant kam. Als kleines Baby. Ein kleines Panda-Baby.“

Shen sah zurück auf das Messer. Der Gänserich war wieder damit beschäftigt Gemüse zu hacken und hatte ihm den Rücken zugewandt.

Jetzt oder nie.

Langsam hob er das Messer auf und umklammerte den Griff feste mit seinen befiederten Fingern. Schritt für Schritt ging er langsam auf den Gänserich zu.

In diesem Moment drehte sich Mr. Ping um. Beide standen sich Aug in Aug gegenüber. Der Lord mit dem Messer vor ihm im Flügel.

Shen lächelte teuflisch. Jetzt war der Moment gekommen, wo sein Opfer immer um Gnade bettelte.

„Oh, danke.“

Mit diesen Worten nahm Mr. Ping ihm ohne Sorge das Messer aus dem Flügel. Shen war so irritiert, dass ihm sprachlos der Schnabel offen stehenblieb. Doch Mr. Ping dachte sich nichts dabei und legte das saubere Messer in eine Box.

„Ja, ich war schon immer ein Mann für alles. Ich musste ihn füttern, baden… Ich war Mutter und Vater in einem. Es war nicht immer leicht für ihn zu sorgen. Er hat immer zu viel gegessen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie nie Probleme mit diesem Thema hatten, oder? Was ist mit Ihren Eltern?“

Shen zuckte kurz zusammen. Sein Gesicht wurde wie Stein.

„Sie leben nicht mehr“, antwortete er emotionslos. Bitterkeit lag in seiner Stimme.

Wie soll ich ihn jetzt töten?

Mr. Ping legte seinen Flügel mit Bedauern auf seinen Schnabel. „Oh, das tut mir leid.“

Shen schüttelte angewidert den Kopf und schnaubte. „Warum sollte es?“

„Nun, es ist doch sehr traurig, wenn Eltern sterben, oder etwa nicht?“

Shen wich seinem Blick aus. Er wollte nicht antworten.

Mr. Ping seufzte tief und spießte das Messer auf die Holz-Arbeitsfläche.

„Po hatte auch seine Eltern vor vielen Jahren verloren.“

Shen verengte die Augen noch mehr. „Ich weiß.“

„Oh, hat er es Ihnen erzählt?“

„Jaaaaa.“ Shen wurde nervös. „Er hat es mir erzählt. Ich kenne jedes Detail.“

Dunkle Schatten lagen auf seinem Gesicht.

„Wie sind Ihre Eltern gestorben?“, fragte Mr. Ping weiter.

„Ich möchte nicht darüber reden.“

„Ein Unfall?“

„Nein“, antwortete Shen genervt. „Es war nur ein… weil… eine üble Kreatur hat sie umgebracht.“

Der Panda hat sie getötet! Ja, er hat sie indirekt umgebracht.

Mr. Ping betrachtete den Lord und erkannte Traurigkeit in seinen Augen.

„Sie haben Ihre Eltern geliebt, nicht wahr?“

Shen blinzelte. „Nicht wirklich.“

„Aber Ihre Eltern haben Sie geliebt, oder etwa nicht?“

„Hör auf damit, hast du verstanden?!“

Mr. Ping schloss eingeschüchtert den Schnabel.

Der Lord seufzte innerlich. Er hatte die Vergangenheit schon längst hinter sich gelassen, aber da waren immer noch alte Erinnerungen mit verwirrten Emotionen.

„Nun, Po ist nicht wirklich mein Sohn“, fuhr Mr. Ping fort. „Aber ich liebe ihn immer noch wie meinen eigenen. Oh, nebenbei bemerkt, ich musste gerade an etwas denken…“

Er rannte zu einem Regal und nahm etwas heraus. Es waren gestickte Fotos.

„Hier, das ist ein Foto mit mir und Po. Das sind wir beim Nudeln-Essen. Hier sitzt er auf meinem Schoss. Oh, und hier habe ich ihn gebadet. Oh, und hier…“

„Ja, sehr nett“, schnitt Shen ihm das Wort ab und schob die Fotos von sich. „Jede Kreatur auf der Welt hat eine niedliche Seite an sich, bevor sie zum Rächer wird.“

„Verzeihung? Ich verstehe nicht.“

Shen legte die Flügel zusammen und schaute den Gänserich mit düsterem Blick an. „Ich könnte mir vorstellen, dass er Rache für den Tod seiner Eltern nehmen würde. Und um den Mörder von ihnen zu töten.“

Mit einer etwas verärgerten Geste legte Mr. Ping die Fotos beiseite.

„Nein, sowas würde er niemals tun. Po ist der Großmütigste, Ehrenwerteste den ich kenne.“

Shen schnaubte ungläubig. „Jetzt sei nicht albern. Jeder würde blutige Rache für sowas nehmen.“

„Nicht Po!“ sagte Mr. Ping mit fester Stimme. „Er würde niemals…“

„OH, natürlich nicht!“ Shens Stimme nahm einen spöttischen Klang an. „Der große Drachenkrieger, alles in allem ein bisschen harmlos. Doch hinter der fröhlichen Maske verbirgt sich eine grausame, schwarze Seele.“

Mr. Ping wusste nicht, was er sagten sollte und beobachtete den Pfau mit großen Augen, während Shen fortfuhr: „Der „Drachenkrieger“, weiß nicht wie es ist als schlechtes Omen geboren zu werden, nur wegen einer anderen Färbung. Er weiß nicht wie hart es ist für seinen Erfolg in Dreck und Isolation zu arbeiten. Und er hat keine Ahnung wie es ist ein Narr in den Augen anderer betrachtet zu werden.“

Stille trat ein. Mr. Ping antwortete nicht und sah tief in Gedanken nach draußen durchs große Fenster des Restaurants.

„Po hatte mal ähnliche Probleme gehabt.“

Shen zuckte überrascht und irritiert zusammen.

„Der Panda? Aber, aber er ist…“ Shen scheute sich das Wort zu sagen. „Ein He-ld… für euch.“

„Von Zeit zu Zeit hatte Po Schwierigkeiten von anderen akzeptiert zu werden. Besonders nachdem er zum Drachenkrieger ernannt wurde. Er hatte kein Talent für Kung-Fu. Und seine Freunde hatten es ihm auch nicht gerade leicht gemacht.“ Mr. Ping seufzte schwer. „Ich erinnere mich noch genau, wie er einst nachts nach Hause zurückkam. Und ich werde nie vergessen wie traurig und deprimiert er war, weil er nicht den wünschten Erfolgt bekommen hatte, um ein großer Kung-Fu-Meister zu werden.“

Shen blinzelte.

„Niemals in meinem Leben“, fuhr Mr. Ping fort, „habe ich ihn so traurig gesehen. Und ich… ich war so ein schlechter Vater, dass ich ihn nicht die Wahrheit über seine Eltern gesagt habe. Stattdessen habe ich mit ihm über ein Nudelgericht geredet.“ Mr. Ping schluchzte leise und rieb sich über die Nase. Dann nahm er einen tiefen Atemzug. „Doch er hat nie aufgegeben! Und er musste nie zu unfairen Mitteln greifen, um sein Ziel zu erreichen. Jetzt ist er ein Sohn, worüber ich sagen kann, dass ich sehr stolz auf ihn bin.“

Shens Gesichtsmuskeln zuckten ein wenig.

„Aber…“ Mr. Ping fiel was ein. „Da war auch eine andere Begebenheit, wo er so ähnlich traurig gewesen war. Das war nach einem gewonnenen Kampf gegen einen großen Kriegsherrn gewesen… nein, vielleicht ein Lord, sein Name war… Zeng… Zong… nein, bin mir nicht sicher. Ich hab den Namen vergessen. Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Eines Abends, wir hatten zusammen Nudeln gegessen, redete er über das Abenteuer in einer Stadt namens Gongmin oder so ähnlich. Aber am Ende seiner Geschichte, meinte er, dass er sich gewünscht hätte, dass der Herrscher ein besseres Ende gefunden hätte.“

Shen hob die Nase und schnaubte mit zitterndem Schnabel. „Vielleicht war er nur traurig darüber, dass er nicht die Chance bekommen hatte ihn mit seinen eigenen Händen zu töten.“

Mr. Ping schüttelte sachte den Kopf. „Nein, es war mehr als das.“

„Er war wütend, oder?“

„Nein, es war Mitleid.“

Mit Abscheu schnappte Shen nach Luft. „Mitleid?“

„Er sagte, der Herrscher schien ein schlechter Kerl zu sein. Aber obwohl dieser seine Eltern ermordet hatte, dachte er, dass er eine arme Person gewesen war, die sich niemals ändert, um seine Zukunft zu einem Erfolg zu machen. Eine Wahrsagerin habe ihm das erzählt. Wenn er seinen schlechten Weg geändert hätte, vielleicht würde er heute immer noch leben und ein großer Herrscher sein. Das war was sie ihm sagte, als eine mögliche Chance für seine Zukunft.“ Mr. Ping seufzte erneut. „Oh, aber was rede ich da? Ich muss ja noch ein Mahl für morgen fertig machen. Oh, oh, das wird ein Tag!“

Schweigend sah Shen ihn an. Dann machte er ein paar Schritte nach vorne.
 

Po schmerzte die Lunge. Nachdem er damit begonnen hatte die Stufen hinunterzurennen, ist er ausgerutscht und stattdessen den Rest heruntergerollt. Allerdings in die falsche Richtung. Das hatte ihm eine Menge Zeit gekostet und musste den ganzen Weg wieder zurückrennen. Keuchend und völlig am Ende erreichte er das Haus seines Vaters. In der Küche war noch Licht. Po rannte nach vorne und riss die Tür auf.

Seine Augen füllten sich mit Horror.

„DAD!“



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