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Die letzte Chance

von

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21. Des Lords kostbarster Besitz

Die Tage vergingen. Shens Wunden verheilten immer besser und schon nach kurzer Zeit konnte er sein Bein und seinen Flügel ohne große Beschwerden wieder bewegen. Während draußen alle Vorbereitungen für das Fest trafen, erholte sich Shen mehr und mehr von seinen Verletzungen und nicht zuletzt dank der Behandlung der Wahrsagerin, verheilten seine Knochen sehr gut und auch seine Federn wuchsen schneller als gewöhnlich. Schon nach einer Woche konnte Shen seine nachgewachsenen Fingerfedern wieder gebrauchen und über seinen kahlen Körperstellen waren lauter kleine Federn nachgewachsen. Nur sein Pfauenschwanz brauchte etwas länger und hatte noch lange nicht seine volle Originallänge erreicht.

Po hatte nicht viel Zeit ihm einen Besuch abzustatten. Außerdem war er zu sehr in Sorge, dass Shifu ihn finden könnte, denn der Meister war trotz allem gegenüber Po immer noch sehr misstrauisch, jedoch zum Glück nicht immer und schien allmählich an seinem Verdacht zu zweifeln. Dennoch erschien er ab und zu in Pos Haus und Shen musste sich jedes Mal vor ihm verstecken bis er wieder gegangen war.

Shen tat sein Bestes im Bett zu bleiben, obwohl er es leid war sich wie ein Invalide vorzukommen. Er war nicht krank, nur verwundet. Sein Geist war voller Energie, doch sein Körper immer noch nicht voll leistungsfähig. Dennoch machte er manchmal ein paar Bewegungsübungen und die Ziege musste stets dafür sorgen, dass er es nicht übertrieb.

Eines Tages überreichte ihm die Ziege eine dunkelgraue Robe mit Kapuze. Es war zumindest eine Alternative zur Decke, die der Pfau ständig um sich ziehen musste. Shen war nicht unbedingt angetan von diesem neuen primitiven Kleidungsstück und hatte es nur widerwillig entgegengenommen. Vor allem, weil es nicht seine Farbe wäre. Die Ziege entgegnete darauf hin, dass es zumindest nicht auffällig war und seinen Körper kleidete.

Unterdessen hatte Po Shen erzählt, dass sie sich für ein paar Tage nicht mehr sehen würden, nur um ganz sicher zu gehen. Shen hatte nichts dagegen und Po war sich sicher, dass er eine Weile ohne ihn gut klarkommen würde. Mr. Ping versicherte ihm, dass er für ihn sorgen würde wie ein Vater.

Soweit ging alles gut, bis zu dem Tag, bevor die Herrscher der Nationen eintreffen sollten…
 

Es war noch sehr früh am Morgen. Die Sonne war noch nicht erschienen und es lag ein dichter Nebel über dem Tal des Friedens. Wie so oft stand Shen um diese Zeit auf, um eine Morgendusche zu nehmen. Da der Duschplatz hinter dem Haus draußen lag, konnte er sich nicht während des Tages dort aufhalten. Das Risiko auf dem Weg von anderen aus Versehen gesehen zu werden war viel zu hoch.

Vorsichtig und langsam vermied er jegliches Geräusch und stieg die Treppen runter und gelangte in den Hinterhof. Dann nahm er den dunkelgrauen Umhang ab, faltete ihn sorgfältig zusammen und legte ihn auf einen Stuhl. Dann positioniert er sich unter ein Bambusrohr und betätigte einen Mechanismus.

Shen ließ das Wasser seinen gefiederten Körper runterrinnen. Er schloss die Augen und genoss die Erfrischung. Das kalte Wasser tat ihm gut und klarte seinen Verstand auf. Er atmete die frische Luft ein. Es war ein Gefühl wie bei einer Wiedergeburt. Er griff nach der Seife und rieb sich damit die Federn un die darunterliegende Haut ein. Der Lord inhalierte den Duft, die sich mit der würzigen Luft vermischte. Für einen Moment dachte er an gar nichts, er fühlte nur. Manchmal war es wie Balsam für seine Seele nichts zu tun. Ein sanftes Lächeln umspielte seinen von Wasser rinnenden nassen Schnabel. Er öffnete die Augen und sah an seinem Körper herunter. Wieder wurde er an die Folter vor mehreren Tagen erinnert und er seufzte tief. Seine Federn waren fast wieder komplett nachgewachsen. Er hob seine Flügel und bewegte seine Fingerfedern, die immer noch etwas klein waren, aber er konnte sie bereits für feine Arbeiten benutzen.

Er wusste nicht wie lange, aber irgendwann drehte er das Wasser wieder ab. Das Wasser aus dem Bambusrohr versiegte und tropfende Geräusche von Wassertropfen erfüllten die Umgebung. Shen wartete noch einen Moment. Dann schüttelte er sich ausgiebig, dass die Wassertropfen ihn wie glitzernde Perlen umschwirrten. Noch immer nass streckte er die Flügel aus und spreizte die Federn. Er angelte nach einem Handtuch und rieb sich damit sein Federkleid trocken.

Plötzlich hörte er Stimmen. Er fuhr herum und drückte sich an die Hauswand. Auf der Straße spazierten zwei Schweine, die damit beschäftigt waren die Straße zu fegen.

Schnell verschwand er zurück ins Haus und lief die Stufen zu Pos Zimmer hoch. Er kicherte. In Augenblicken wie diesen fühlte er sich wie ein kleines Kind das Verstecken spielte. Dann legte er sich wieder ins Bett und döste für den Rest des Morgens bis die ersten Sonnenstrahlen den Nebel durchbrachen. Um diese Zeit brachte Mr. Ping ihm immer das Frühstück. Po war nicht zuhause. Er übernachtete im Jade-Palast.

Während Shen aß, konnte er spüren, wie sich draußen das Dorf mit ungewöhnlich viel Leben füllte. Als Mr. Ping den Tisch abräumte, wanderte Shens Blick zum Fenster.

„Es ist heute sehr unruhig draußen.“

„Oh, ja“, stimmte Mr. Ping ihm zu. „Morgen treffen die Gäste ein, um unserem Dorffest beizuwohnen.“

„Scheint ein großes Fest zu sein.“

„Oh, ja, es widerspiegelt die Geschichte unseres Dorfes. Als sie hörten, dass der Drachenkrieger aufgetaucht ist, wollten sie unbedingt persönlich vorbeikommen. Alle sind in heller Aufregung. Besonders ich, wo ich doch ein Dinner in wenigen Tagen organisieren musste.“

„Du bist sehr stolz auf ihn, oder?“, fragte Shen mehr emotionslos, doch auch etwas nachdenklich.

Mr. Ping seufzte laut. „Oh, ja… und… nun, also…“

Der Gänserich schwieg und sein Blick wanderte in weite Ferne.

Shen hob die Augenbrauen. „Was ist?“

„Nun, natürlich freu ich mich für ihn, doch andererseits… Manchmal denke ich, was wohl passiert wäre, wenn er nie der Drachenkrieger geworden wäre, und dass er mir stattdessen hier im Restaurant helfen würde.“

Shens Augen weiteten sich. Wovon redete er?

„Ich dachte, er sei im Palast aufgewachsen.“

„Oh, nein, nein, nein, nein“, sagte Mr. Ping schnell. „Natürlich nicht. Vorher hatte er bei mir gewohnt bis er erwachsen wurde, doch nie erwachsen genug für mich. Er wird immer mein kleiner Sohn bleiben.“

Wieder musste Mr. Ping aufseufzen. „Mein kleiner Po. Ich hab nie gemerkt, dass er kein Kind mehr ist.“ Er wischte sich über die Nase. „Ich hab immer gedacht, das Restaurant würde sein Schicksal werden. Er liebt Nudeln wie sonst kein anderer. Doch dann begann er Kung-Fu mehr und mehr zu lieben. Ich konnte ihn nicht davon abhalten. Es wurde ein Teil von ihm und ich nahm an, dass es nur eine Zeitphase sein würde. Doch ich habe mich geirrt. Als der Tag kam, an dem Oogway den Drachenkrieger auserwählen sollte… Ich hatte zu ihm gesagt, er soll Nudeln verkaufen, doch stattdessen ließ er sie links liegen und wollte so gerne in den Jade-Palast rein.“ Mr. Ping lächelte wehmütig. „Oh, ich erinnere mich noch gut daran, wie er auf dem Stuhl sitzt mit dem Feuerwerk darunter. Er hatte schon immer so verrückte Ideen gehabt…“

Shen horchte auf. „Was?“

„Oh, das war noch nicht alles.“ Mr. Ping lachte. „Sie sollten mal hören was er für verrückte Sachen mit dem Essen gemacht hatte…“

„Nein!“

Mr. Ping erstarrte wegen Shens lautem Tonfall. „Was hast du gemeint, mit dem Feuerwerk?“

„Oh, das war ein sehr verrückter Moment. Gar typisch für meinen Sohn. Ich hab ihm immer gesagt, dass er solche gefährlichen Dinge lassen sollte. Doch zumindest habe ich es versucht…“

„Beantworte meine Frage!“, zischte Shen und Mr. Ping wurde still. „Erzähl mir alles über diesen Tag!“

Mr. Ping räusperte sich. „Nun, alles begann an einem normalen Tag…“

Mr. Ping erzählte alles was sich an diesem schicksalhaften Tag ereignet hatte. Über den sogenannten Nudeltraum, denn Po niemals geträumt hatte, über die Ankündigung der Drachenkriegerwahl, Pos Versuche in den Jade-Palast zu kommen, über das Wunder des vom Himmel gefallen Meisters, wo Shen besonders gut zuhörte, über das Fest zu Ehren des Drachenkriegers und und und.

„Doch zu guter Letzt“, beendete Mr. Ping seine Erzählung. „Muss ich zugeben, dass er von nun an sein eigenes Leben lebt und ich habe meinen Platz hier.“

Plötzlich fiel Mr. Ping etwas ein. „Oh, entschuldigen Sie mich! Ich habe noch eine Menge Dinge für Morgen vorzubereiten.“

Damit rannte er die Stufen runter, während Shen wie versteinert auf den Matten saß. Seine Augen weit geöffnet. Der Lord war wie gelähmt.

Eine Weile lang starrte er nur in die Leere. Plötzlich ballten sich seine Flügel zu Fäusten. Ein hässliches Gefühl keimte in ihm auf. Er fühlte sich wie benutzt. Dieser fette Panda hatte das missbraucht, was für ihn das Schönste im Leben war. Das Feuerwerk seiner Familie, seine eigene Schöpfung hatte dem Panda dazu verholfen; mit seiner eigenen Waffe, mit der er China erobern wollte. Der Panda hatte ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen.

Shen inhalierte mehrere Male.

War das wahr? War es das gewesen, worüber die Wahrsagerin über seine Vernichtung geredet hatte?

Er hatte sich sein eigenes Grab geschaufelt. Seine Familie grub sein Grab. Oder das Universum.

Nein! Der Lord schüttelte den Kopf. Es war nicht seine Schuld gewesen! Es war nie seine Schuld gewesen! Die Schuld von niemand anderem! Es war nur die Schuld von diesem Panda!

Er schaute aus dem Fenster, wo er den Jade-Palst sehen konnte. Seine Augen formten sich zu Schlitzen. Knurrend wandte er sich um. Alles in ihm vermischte sich. Seine Emotionen, seine Pläne, seine Vergangenheit, seine Zukunft, sein Dasein, sein Hass…

Ohne nachzudenken rannte Shen die Treppen runter. Mr. Ping befand sich gerade draußen auf der Terrasse, wo er die Tische für morgen herrichtete. Shen verengte die Augen, als er ein Messer auf einem Tisch aufblitzen sah. Als Mr. Ping zurückkam, merkte er nicht, dass eines der Messer fehlte.
 

Ohne dass ihn jemand sah, schlich der Pfau an den Hauswänden entlang. Niemand befand sich auf den Straßen. Alle waren zu sehr damit beschäftigt ihre Häuser zu säubern. Der Lord hielt an und sah die Stufen rauf, die zum Jade-Palast führten.

Er wollte es dort zu Ende bringen, wo es begonnen hatte.

Es war sein Schicksal.



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