Die letzte Chance von BuchTraumFaenger ================================================================================ Kapitel 2: 2. Das letzte Mal ---------------------------- Po gähnte laut, als er an diesem Morgen früher als sonst aufstand. Es waren bereits mehrere Tage nach ihrer Rückkehr aus Gongmen vergangen, und er hatte die Geschichte von ihrem großen Sieg immer und immer wieder im Dorf erzählen müssen. Müde rieb er sich übers Gesicht. Er war noch ziemlich verschlafen. Er hatte etwas in seinen Träumen gesehen. Einen Albtraum. Während seine Freunde immer noch schliefen, schlich er sich aus dem Haus nach draußen, wo er wusste, dass Meister Shifu seine Tai-Chi Entspannungsübungen unter dem Pfirsichbaum zu tun pflegte. Die Sonne hatte den Horizont noch nicht überschritten und ein leichter Nebel lag über dem Tal. „Meister Shifu?” Meister Shifu unterbrach seine Bewegungen nicht, hob aber seine langen Ohren etwas höher. „Oh, so früh schon auf den Beinen, Drachenkrieger?“ „Äh, ja. Und ich…“ Er rieb sich den Kopf. „Nun… uuuuund…“ Shifus Augenmuskulatur spannte sich an. „Ja, Po?“ „Ich konnte nicht gut schlafen. Ich glaube, ich… das heißt, ich weiß es nicht. Vielleicht war es, weil so vieles passiert war in der Stadt… oder es ist ein dringendes Zeichen dafür, dass ich frühstücken sollte.“ „Po, was ist los?“, fragte Shifu ruhig aber ernst. „Äh… es war mehr ein Traum gewesen.“ Po hielt einen Moment inne. „Ein ziemlich schlechter Traum.“ „Was ist damit?“, erkundigte sich Shifu weiter, ohne seine Übungen zu unterbrechen. Po winkte ab. „Ach, es wahr vielleicht nur einer von diesen verrückten Träumen, solche von denen mein Dad mir etwas über Nudeln erzählt hatte.“ „Po!“ Mit einem Mal ließ Shifu das Üben sein und sah den Panda etwas genervt an. Dieser seufzte tief. „Ich habe Shen gesehen.“ Shifu erstarrte und blinzelte heftig. „In welchem Zusammenhang? Was hast du gesehen?“ „Äh, ist das wichtig? Stimmt etwas nicht?“ „Po, sag es.“ „Nun, äh… zuerst sah ich ihn in den unendlichen Tiefen dunklen Wassers versinken und dann, dann sprang er mich plötzlich an und streckte seinen Krallen nach mir aus, direkt in mein Gesicht. Danach bin ich aufgewacht. Ich versuchte wieder einzuschlafen… und…“ „Und?“ „Und ich habs geschafft.“ Po lächelte. Shifus Augen verengten sich noch mehr. „Po.“ „Na schön. Danach… danach hab ich in einem dunklen Raum gestanden. Ziemlich düster. Dann sah ich dort wieder Shen. Allerdings… er hing an Ketten… mit Blut.“ Po fröstelte bei diesem Gedanken. „Puh… wenigstens bin ich danach wieder aufgewacht und hab über Nudeln nachgedacht, aber es hat nicht funktioniert. Also bin ich aufgestanden.“ Shifu sah ihn ernst an. Er drehte sich um und entfernte sich. „Na gut.“ „War das alles?“, fragte Po überrascht. „Keine weisen Ratschläge oder so was?“ „Nein“, entgegnete Shifu und spazierte weiter den Pfad entlang. „Aber Ihr habt doch was“, rief Po und rannte hinter dem kleinen Meister her. „Ich sehe es in Euren Augen, Meister.“ Der Panda platzierte sich vor Shifu und ging im Rückschritt vor ihm her. „Wieso wollt Ihr es mir nicht sagen?“ „Da ist nichts.“ „Aber da ist doch was.“ „Nein.“ „Aber da muss was…“ „Po! Es ist genug!“ Po hielt irritiert im Lauf inne. „Lass uns über wichtigere Dinge reden“, kommentierte Shifu und spazierte zu dem Ort, wo man einen schönen Ausblick über das Tal hatte. „Etwas Wichtigeres?“, fragte Po etwas besorgt. „Po, ich weiß immer noch nicht was, aber ich fühle etwas Schlimmes kommt auf unser Tal zu“, sagte Shifu ganz in Gedanken versunken. „Was denn?“, fragte Po neugierig. Shifu ging an den Felsen entlang. „Ich weiß es nicht, aber aus diesem Grund müssen wir besondere Vorkehrungen treffen. Besonders da das Fest des Friedens in zwei Wochen stattfinden wird.“ „Wow!“, jubelte Po. Shifu warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Jetzt sag nicht, du hättest noch nie gehört von…“ „Doch, doch, doch, natürlich. Jeder im Dorf kennt die Geschichte. Ich kenne sie in und auswendig. Ich musste sogar mal einen Vortrag in der Schule darüber halten. Es ist das wichtigste Fest im Dorf. Vor sehr vielen Jahren war Krieg in diesem Land. Zwei Nationen kämpften gegen einander. Ihr Höhepunkt erreichte ihr Kampf in diesem Tal. Meister Oogway hatte in der Zwischenzeit die Kunst des Kung-Fu erlernt und noch bevor die beiden Nationen sich gegenseitig besiegen konnten, konnte er den Frieden zwischen ihnen wiederherstellen. Von diesem Tag an bekam das Dorf seinen Namen. Aber sollte jemand jemals diesen Frieden brechen, könnte das das Ende unseres Dorfes bedeuten.“ Shifu klatschte langsam und unbeeindruckt Beifall zu Pos Ausführungen und ging in den Jade-Palast. „Ja, Po“, fügte er monoton hinzu. „Doch diesmal wird es etwas anders sein.“ „Wieso?“ „Jetzt, da der Drachenkrieger gekommen ist, wirst du den wichtigsten Teil übernehmen.“ „Wirklich? Wow! Was muss ich tun? Eine Parade anführen? An einem Ess-Wettbewerb teilnehmen? Oder, oder…?“ „Du wirst die zwei Herrscher der zwei Nationen in unserem Dorf willkommen heißen“, unterbrach ihn Shifu. „Sie wollen kommen, um den Drachenkrieger persönlich zu begrüßen. Und dabei darf nichts schief gehen.“ „Nur keine Sorge, Meister. Ich werde sie so herzlich begrüßen, dass sie gar nicht mehr von hier weggehen wollen.“ Damit drehte sich Po nach rechts und schaute ins Leere, als würde er mit einer unsichtbaren Person sprechen. „Hi, ich bin Po… äh nein… Hallo, ich bin der Drachenkrieger, nennt mich Po… nein, nein, nein… nennt mich Drachenkrieger… äh, oder soll ich sagen: „Willkommen im Tal des Friedens“ zuerst? Ja oder nein?“ Shifu bedeckte sein Gesicht mit den Händen. „Nein, wartet, wartet, wartet! Oder wie wäre es mit "Willkommen, ich umarme euch mit der Umarmung des Friedens"… Ahhhhrggg! Ich schaff das schon, Meister! Ich schaff das schon… Ich brauche einfach nur etwas Übung.“ „Po, sei einfach du selbst, aber höflich.“ „Oh, ja, ja. Seeeehr höflich. Denn es könnte sonst das Ende unseres Dorfes bedeuten… Wirklich? Das Ende? Meister Shifu? Das ist doch nur ein Gerücht, oder? Nein?“ Shifu hob die Hand. „Po, das Beste wäre…“ Plötzlich öffneten sich die Türen und eine Palastgans stürmte herein. „Meister Shifu! Ein Eilbrief!“ Er überreichte Shifu eine Papierrolle und entfernte sich wieder. Shifu öffnete das Pergament und las es sich schweigend durch. Po bemerkte, wie sich das Gesicht des Meisters mit besorgten Zügen überzog. „Schlechte Nachrichten, Meister?“, fragte Po vorsichtig. „Irgendetwas mit Ihrer Familie? Ein Überfall? Ich bin bereit…!“ „Shen hat überlebt.“ Po erstarrte. „WAS?!“ „Man hat ihn in der Nähe des Hafens gefunden und…“ „Der Traum!“, rief Po und rannte hin und her. „Das war eine Vision! Wir müssen sofort alle Türen schließen! Wir müssen die Fenster blockieren!“ „Po! Er sitzt im Gefängnis.“ Sofort entspannte sich der Panda. „Puh, okay, im Gefängnis, gut… Gefängnis…“ Auf einmal kamen ihm die Bilder vom Ende seines Traumes wieder in den Sinn und seine Augen wurden weit vor Entsetzen. Mit einer schnellen Bewegung entriss er dem Meister den Brief. „Hey!”, schimpfte Shifu. „Es ist dir nicht erlaubt…!“ „Pssst!“ Po überflog die Zeilen. „Die Höchststrafe?“ Schnell nahm Shifu das Papier wieder an sich. „Was werden sie mit ihm machen?“, fuhr Po mit seiner Frage fort. „Po, es gibt Dinge, die unausgesprochen bleiben sollen. Das Konzil hat entschieden an Shen die Höchststrafe zu verhängen.“ „Äh, okaaaay. Gut, äh. Was bedeutet das?“ Shifu schieg. Er rollte die Papierrolle zusammen und entfernte sich mit langsamen Schritten, während Po ihm unaufhaltsam folgte. „Haben die vor ihn zu töten?“ „Po, du musst wissen, es gibt Situationen, in denen man nicht mehr leben möchte.“ Po ahnte, dass das kein gutes Zeichen war. Schweigend blieb er stehen und öffnete mit etwas Zögern wieder den Mund. „Kann ich ihn besuchen?“ „Nein!“ Shifu wandte sich um und deutete mit dem Brief auf ihn. „Ich weiß, du bist der Drachenkrieger, aber du bist immer noch zu jung, um dir solche Dinge ansehen zu müssen. Es ist ein Prozess von Schmerzen und todesnahen Qualen. Sie werden ihn so lange wie möglich am Leben halten während sie ihn foltern.“ Po schluckte. „Wann soll es geschehen?“ „Po! Ich sagte, du bleibst hier!“ „Ich will doch nur wissen, wann.“ „Ich weiß es nicht. Sie schreiben nur, dass es in kürzester Zeit passieren wird. Ich vermute, dass sie ihm Zeit geben wollen seine Kräfte zu sammeln bis er stark genug ist. Es ist eine alte Regel, dass ein Gefangener in guter Verfassung zu sein hat, um die Folter lange genug zu ertragen.“ Po tippte nervös seine Fingerspitzen zusammen. „Ähm… Darf ich mit ihm reden?“ Shifu legte seine Ohren zurück. „Po, er hat deine Eltern ermordet. Wieso willst du ihn sehen?“ „Ich möchte mit ihm in aller Ruhe reden. Nur noch ein letztes Mal.“ „Du bist sein größter Feind. Ich glaube nicht, dass er dich sehen will.“ „Er war der Letzte, der meine Eltern gesehen hatte. Ich habe noch einige Fragen an ihn. Als wir das letzte Mal darüber gesprochen hatten, war es ein wenig zu... kurz. Wenigstens für ein paar Minuten.“ Shifu sah ihn skeptisch an, dann seufzte er tief. „Po. Ich kenne deine Gutmütigkeit, die auch ich sehr zu schätzen weiß, aber wag es nicht dem Konzil von Gongmen zu widersprechen. Es ist beschlossene Sache, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Auch eine alte Regel.“ Po schwieg, dann nickte er. „In Ordnung.“ Meister Shifu verengte die Augen. „Po. Versprich es.“ Po seufzte. „Ich verspreche es.“ „Na schön. In diesem Fall hast du meine Erlaubnis zu gehen. Aber! Das du mir ja innerhalb von zwei Wochen wieder zurückbist, noch bevor das Fest beginnt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)