Grisha Tales von ChiaraAyumi ================================================================================ Kapitel 2: Dazu gehören (Genya & David) --------------------------------------- Genya hörte das Tuscheln und fühlte die Blicke, die auf ihr lagen, wenn sie mit ihrer weißen Kefta mit den golden-bestickten Ärmeln durch den Kleinen Palast wanderte. Sie kannte diese Art von Aufmerksamkeit nur zu gut und sie war ihr zuwider. Nach außen hin gab sie sich stark und völlig kühl, doch es verletzte sie, dass sie nicht dazu gehörte und jeder sie anstarrte. Das Schoßhündchen der Zarin nannte man sie hinter ihrem Rücken. Das Spielzeug des Zaren. Sie hasste es. Als ob es ihre Entscheidung gewesen wäre. Sie würde dem Dunklen niemals Vorwürfe machen, doch an manchen Tagen hasste sie ihn dafür, dass er sie der Zarin zum Geschenk gemacht hatte. Gerne wäre sie wie die anderen. Sie sehnte sich danach dazu zu gehören, doch es war etwas, was sie niemals laut ausgesprochen hätte. Ihre Sonderstellung hatte seine Vorzüge. Sie musste nicht das bäuerliche Frühstück essen. Sie bekam das süße Gebäck aus dem Palast. Das versüßte ihr die Tatsache, dass sie alleine essen würde. Es würde nur für mehr Getuschel sorgen, wenn die anderen sahen, wie sie ihre Sonderstellung ausnutzte. Eigentlich war es auch ganz schön, dass sie ganz sie selbst sein konnte und niemand auf sie neidisch war. Heute konnte Genya sich aber nicht drum drücken mit den anderen zusammenzukommen. Der Dunkle hatte sie aufgefordert dem Unterricht der Fabrikatoren beizuwohnen. Das befahl er ihr manchmal, wenn er der Meinung war, dass der Unterricht bei den Fabrikatoren oder den Korporalki für ihre Fähigkeiten von Nutzen war. Sie musste seit Jahren nicht mehr regelmäßig beim Unterricht erscheinen, weil sie die meiste Zeit bei der Zarin im Palast verbrachte. Außerdem war sie die einzige Bildnerin, daher gab es auch niemanden, der ihr wirklich helfen konnte. Es war schön besonders zu sein, aber einzigartig zu sein war auch schwer, da niemand dieselbe Probleme hatte. Niemanden, an den man sich wenden konnte, wenn man Fragen hatte und sich unsicher war. Genya beschleunigte ihre Schritte, als sie daran dachte, wer in den Werkstätten der Fabrikatoren auf sie wartete. Es war schon seltsam, dass der einzige Mensch, von dem sie wollte, dass er sie ansah, keinen Blick für sie übrig hatte. So viele Blicke zog sie auf sich, so viel wurde über sie getuschelt, aber David nahm sie einfach nicht wahr. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie ihn in den Werkstätten des Kleinen Palastes kennengelernt hatte. Sie hatte Ewigkeiten gebraucht herauszufinden, wie man die Augenfarbe ändern konnte. Sie war stolz auf die Tinktur, die sie am Ende entwickelt hatte. Doch sie war am Anfang daran fast verzweifelt, als die Zarin verlangt hatte, strahlend blaue Augen haben zu wollen und nichts gefruchtet hatte. Die Zarin war immer ungeduldiger geworden und hatte ihre schlechte Leute an Genya ausgelassen. Sie ließ ihre Gedanken weiter zurück zu dieser Zeit treiben. Genya hatte in den Werkstätten der Fabrikatoren gesessen und nicht einmal das Getuschel um sich herum mehr gehört, so verbissen hatte sie versucht, ihr Problem zu lösen. Irgendwann waren alle verschwunden und hatten sie in Ruhe gelassen, da sie immer wieder zwischen drin Wutanfälle bekam und alles vom Tisch schleuderte. Es hatte sicher ihren Ruf unter den Grischa verstärkt, dass man sie in Ruhe lassen und einen Bogen um sie machen sollte. Die Augen waren so viel schwieriger als die Haare. In die Haare konnte man die Farbe komplett einweben. Bei den Augen wollte man nur die Farbe der Iris verändern, nicht den ganzen Augapfel. Also war mehr Präzision von Nöten. Sie hatte gestöhnt, weil nichts das gewünschte Ergebnis erzielte und irgendwann hatte sie einfach die Hände über den Kopf zusammen geschlagen und aufgegeben. Erst da war ihr Blick hoch gewandert. Sie hatte die ganze Zeit gedacht, dass sie alleine in den Werkstätten war, dass sie alle verscheucht hatte. Doch da saß er und war selbst ganz in seine eigene Arbeit mit Metallen vertieft: David Kostyn. Er war so unauffällig, dass Genya nicht einmal sagen konnte, ob er ihr schon einmal begegnet war. Wenn dann hatte sie keine Erinnerung daran. Da er sie nicht zu bemerken schien, nahm sie sich alle Zeit der Welt dazu, ihn genau in Augenschein zu nehmen. Er war groß, aber mager und knochig, so als ob er über das Arbeiten das Essen völlig vergessen würde. Auch jetzt schien ihm gar nicht aufzufallen, dass die Nacht schon hereingebrochen war. Er hantiert mit verschiedenen Metallenen, die er miteinander verschmolz. Genya konnte den Blick nicht von ihm lassen, wie er mit seinen Fingern geschickt das Metall bearbeitete und wie unter seinen Händen etwas völlig Neues entstand. Es war wunderschön ihm dabei zuzusehen. Sie konnte selbst nicht sagen, was sie an diesem Moment so anziehend fand, doch David imponierte ihr mit seinem Fleiß. Entschlossen wand sie sich ihrer eigenen Arbeit wieder zu, nun hoch motiviert und schwor sich nicht aufzuhören, bis sie eine Lösung gefunden hatte. Obwohl David nicht mit ihr sprach und nicht einmal zu ihr herübersah, fühlte Genya sich ihm seltsam verbunden, so wie beide still für sich arbeiteten. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie einsam sie sich gefühlt hatte, wie sehr sie es vermisste hatte, mit jemanden gemeinsam etwas zu machen, auch wenn es jetzt nur die Stille und die Arbeit waren, die sie teilten. Sie warf immer wieder verstohlene Blicke zu ihm, gestand sich immer wieder kurze Pausen zu, um David bei der Arbeit zu beobachten und bald hatte sie das Gefühl jede Bewegung, jede Regung an ihm zu kennen. Sie konnte nicht verstehen, wie er ihr bis zu diesem Tag immer entgangen war. Er war nicht perfekt und auch nicht gutaussehend. Er war nicht wie die herausgeputzten Adligen, mit denen sie tagtäglich zu tun hatte. David war käsebleich und hatte strubbelige Haare, aber das machte ihn sympathischer, echter als alle anderen. Er lebte für seine Arbeit. Besser als all die Adligen, die nur in den Tag hineinlebten und von einer Party zur nächsten schwankten. Für die nur zählte, wer man war und wie schön man aussah. Hätte man Genya nach ihrem Traummann gefragt, wäre ihre Antwort bis vor kurzem eine generische gewesen: ein gutaussehender Prinz auf weißem Pferd oder etwas Ähnliches. Doch jetzt wusste sie, dass die Antwort eine andere war, denn mit David stand plötzlich jemand vor ihr, mit dem sie so nicht gerechnet hätte und der doch die Antwort zu sein schien. Als David mit seiner Arbeit fertig war, lächelte er zufrieden – was ihrer Meinung nach das schönste Lächeln auf der Welt war und in ihrem Herz tausend Schmetterlinge freisetzte – und ging, ohne sie wahrzunehmen. Genya fand an diesem Abend nicht die Lösung für ihr Problem, doch angestachelt von ihrer neuentdeckten Gefühlen verbrachte sie von dort an jeden Tag in den Werkstätten. Sie grüßte David jeden Morgen energisch und verabschiedete sich genauso von ihm, wenn sie ging. An manchen Tagen konnte sie ihm ein paar Sätzen entlocken, doch meistens sah er sie gar nicht. Aufgeben wollte sie trotzdem nicht, denn er war der einzige, der sie wie jeden anderen behandelte, in dem er sie einfach genauso wie alle anderen übersah. Er warf ihr keine Blicke hinterher und tuschelte auch nicht über sie, aber wenn sie mit ihm alleine in den Werkstätten arbeitete, war da diese Verbundenheit zwischen ihnen und Genya fühlte sich, als würde sie endlich dazugehören. Sie ertrug den Spott der anderen für diese winzigen Momente. Als sie endlich ihre Tinktur entwickelte hatte, war sie einerseits unglaublich stolz auf ihre Fähigkeiten und andererseits tieftraurig, weil sie nun keine Ausrede mehr hatte, um jeden Tag in den Werkstätten zu sein. Genau aus diesem Grund freute sie sich darüber, wenn der Dunkle sie wie heute am Unterricht von den Fabrikatoren teilnehmen ließ. Sie beeilte sich, denn sie wollte unbedingt neben David sitzen und seine Ruhe auf sich wirken lassen. Kurz vor den Türen der Werkstätten bremste sich Genya, den sie konnte nicht wie ein kleines Kind voller Vorfreude hereinstürmen. Sie wollte nicht, dass man ihr ansah, wie sehr sie sich freute. Sie strich mit ihren Fingern nervös über die Handflächen, um sich selbst zu beruhigen, bevor sie eintrat. Sofort eilten ihre Augen unruhig über den Raum bis sie die magere Gestalt in der hinteren Ecke entdeckte. Erleichterung durchströmte sie und ihr Herz flatterte aufgeregt. „Hallo David“, begrüßte sie ihn fröhlich und hoffte, dass er nicht hörte wie ihre Stimme eine Spur zu hoch war. Er sah von seinem Buch kurz hoch und brummte dann etwas das mit viel Fantasie wie Hallo klang. Genya wäre traurig darüber, wenn sie nicht wusste, dass er sich für kaum jemanden die Mühe machte, aufzublicken und er noch viel weniger andere grüßte. Sie bildete sich gern ein, dass sie etwas Besonderes war. Und wenn sie ehrlich war, reichte jede kleine Geste, jedes Murmeln von ihm aus, um ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. „Ist der Platz neben dir noch frei?“, fragte sie und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. David brummte noch einmal etwas, machte aber den Platz neben sich frei und räumte seinen Stapel Bücher auf den Tisch vor sich. Glücklich setzte sich Genya neben ihn und hoffte, dass die Stunde für immer dauern würde. Es war seltsam, dass alles, was sie brauchte, um auf Wolke sieben zu schweben, in seiner Nähe zu sein war. Natürlich würde sie sich über mehr freuen, doch für den Moment war sie ganz zufrieden. Solange sie David sehen konnte und ihm ein wenig Aufmerksamkeit abringen konnte, solange sie neben ihm still arbeiten konnte, fühlte sie sich nicht mehr so einsam und alleine. Dann fühlte sie sich, als würde sie dazu gehören. Als würde sie zu ihm gehören. Und das war das schönste Gefühl auf der Welt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)