Persona: Timeless Key von ShinoYuta ================================================================================ Kapitel 1 - Inmitten von Trümmern ---------------------------------   Freitag, 03. April 2015 mittags   Völlig fertig von der langen Zugfahrt, kamen die Geschwister endlich zu Hause an. „Ich hab Hunger“, war das Erste was Rin einfiel, als sie das Haus betrat. Saito musste kurz überlegen: „Tiefkühlpizza?“ Die Blauhaarige verzog das Gesicht und meckerte: „Ich war ein Jahr lang weg und kann dieses fettige Zeug echt nicht mehr sehen.“ Mit knurrendem Magen ging sie in die Küche, um in den Kühlschrank zu schielen, nur um ihn im selben Moment wieder schnaubend zu schließen. „Wo ist denn Papa? Hat der sich wieder verbarrikadiert?“, fragte die Jüngere ungläubig ihren Bruder. Dieser grinste nur schief, um zu symbolisieren, dass seine Schwester goldrichtig lag. „Rabenvater“, nuschelte sie verärgert in ihren Bart, spazierte an ihrem Bruder vorbei und versuchte ihren Koffer in den ersten Stock in ihr Zimmer zu zerren. Die Treppe hinauf befand sich direkt rechts neben der Küche. Gegenüber des Treppenhauses erblickte man eine Tür. Es war nicht ganz zu erkennen, ob der Raum dahinter mehr eine Bibliothek oder ein Wohnzimmer war, denn überall standen Bücherregale mit den verschiedensten Fachbüchern, Romanen, Krimis und sogar Mangas. Außerdem befanden sich in diesem Raum auch ein kleines Sofa und ein recht alter kleiner Fernseher. Ging man den Hausflur weiter geradeaus, an dem Zimmer vorbei, gelang man zur Haustür. Rin jedoch wollte nach oben und zerrte ihren störrischen Koffer mit einem aggressiven Knurren immer eine Stufe weiter. Der Blonde beäugte das Geschehen und stand demonstrativ im unteren Flur am Ende der Treppe. Kopfschüttelnd über ihre Sturheit schnaubte er schließlich einmal auf: „Soll ich dir vielleicht helfen? Sag doch einfach was.“ „Ich kann das auch alleine“, motzte das Mädchen merklich. Der junge Mann konnte dem Geschehen allerdings nicht mehr zusehen und packte schließlich an: „Ich kann doch auch nichts dafür, dass unser Vater mal wieder mit Abwesenheit glänzt. Aber glaube mir, er hat dich genauso vermisst wie ich.“ Mit einem lieben Grinsen setzte er den Koffer schlussendlich im ersten Stock ab, tätschelte der gefrusteten Blauhaarigen auf den Kopf und verschwand wieder im Erdgeschoss. Die Oberschülerin schob daraufhin ihren Koffer linksherum neben der Treppe entlang, um geradeaus in ihr Zimmer zu gelangen. Dabei kam sie auf ihrer rechten Seite am Badezimmer vorbei. Gegenüber vom Badezimmer, auf der anderen Seite des Treppenhauses war das Schlafzimmer ihres Vaters, welches er nicht oft nutzte und daneben, an derselben Wandseite, an welcher sich Rins Tür befand, war Saitos Reich.   Rins Zimmer war sehr beengt und wirkte klein. Was wohl daran lag, dass es sehr zugestellt war. Die Einrichtung bestand aus einem recht großen Kleiderschrank, einem etwas breiteren Bett und einem Eckschreibtisch. Neben dem Schreibtisch stand ein größers Regal, in welchem unzählige Mangas standen. Außerdem hatte sie noch einen kleinen Fernsehtisch mit einem etwas älteren Flachbildfernseher darauf. Enttäuscht plumpste das Mädchen auf ihr frisch bezogenes Bett. Sie konnte es nicht glauben, dass es ihren Vater nicht einmal interessierte, dass sie wieder da war. Es war ziemlich normal, dass der Mann sich gerne mal wochenlang im Keller verschanzte, wenn er mal wieder dachte irgendetwas Interessantes ausfindig machen zu können. Er war Wissenschaftler und hatte sich im Keller des Hauses ein riesiges Labor eingerichtet. Rin konnte leider nicht mal sagen wie genau es dort aussah oder an was er überhaupt forschte. Als kleines Kind hatte sie den Raum einmal weinend betreten, weil sie sich verletzte und Hilfe benötigte. Der Mann wurde daraufhin rasend und schimpfte sie wild aus, sie dürfe diesen Raum nicht betreten wegen der empfindlichen Geräte und so weiter. Seitdem traute sich das Mädchen nicht mehr auch nur in die Nähe des Untergeschosses. Es war also unmöglich an ihren Vater heranzukommen, wenn er einmal dort unten war. „Er hätte sich ja wenigstens mal merken können wann ich wiederkomme“, schossen ihr Tränen in die Augen, „Dem bin ich doch vollkommen egal.“   „Rin, darf ich reinkommen?“, klopfte es nach einer kurzen Weile an der Tür und Saito trat herein. Die Blauhaarige bekam gar keine Chance zu antworten. Sie realisierte auch nicht so ganz was gerade vor sich ging, da sie noch zur Hälfte schlief. Scheinbar war sie beim Nachdenken weggenickt. „Ich habe uns Reisomelette gemacht“, wollte der Blonde seine Schwester zum Essen in die Küche zitieren. Ihre blauen Augen begannen zu leuchten: „Ehrlich? Mit Käse?“ „Klar doch, einmal Rin-Spezial“, lachte der junge Mann. Seine Schwester war durch diese Information schneller in der Küche als der Schall. Wenn es ums Essen ging, dann war sie immer die erste, die „hier“ schrie.   „Ich hatte übrigens deine neue Schuluniform bestellt“, schob sich Saito einen Löffel des Reisomelette in den Mund, „Du musst nur noch schnell zur Anprobe in den Laden. Damit auch alles passt. Erst dann bekommen wir sie.“ „Die von der Suzuki Akademie?“, erkannte man einen Schimmer Hoffnung in Rins Augen. „Nein, die von der Aehara High School. Das mit der Eliteakademie hast du dir doch leider selbst versaut“, erklärte Saito. „Ich hätte dieses Sportstipendium im Ausland niemals annehmen dürfen. Lieber hätte ich das von der Suzuki Akademie annehmen sollen“, murrte das Mädchen genervt. Der Bruder zuckte mit den Schultern: „Tja, selbst schuld, wenn du die Schule vernachlässigst und so absackst, dass du dein Stipendium verlierst.“ „Binds mir doch noch auf die Nase du Blödmann“, verschränkte sie beleidigt ihre Arme, „Ich hab trotzdem keine Lust auf diesen Aehara-Assi-Laden.“ Die Blauhaarige konnte es leider nicht verleugnen, dass sie in ihrem Auslandsjahr in Amerika wirklich Schwierigkeiten hatte mit dem Unterrichtsstoff nachzukommen und gleichzeitig das tägliche harte Training zu absolvieren. Außerdem war sie sowieso nicht die Hellste und es haperte allein schon an der englischen Sprache, welche Grundvoraussetzung war, um sich in diesem Land zu unterhalten. So im Nachhinein war sie sich schon gar nicht mehr im Klaren darüber, wieso sie überhaupt entschlossen hatte ins Ausland zu gehen.   Gezwungenermaßen machte sie sich am späten Nachmittag auf den Weg in die Innenstadt zum Schneider, bei welchem ihre Uniform schon zur Anprobe wartete. Auf dem Weg dorthin breitete sich in ihr ein mulmiges Gefühl aus. Sie war zwar nur ein Jahr weg, doch fühlte sie sich hier in Aehara sehr fremd. Es kam ihr vor, als hätte sich die Stadt grundlegend verändert. Allerdings konnte sie hier in ihrer Heimat nichts erkennen was anders war. Einzig das mulmige Gefühl machte sich in ihr breit. Als sie schließlich endlich beim Schneider ankam hatte sie leider das Pech, dass die Uniform nicht passte und viel zu groß war. Wie ein Sack hing sie an ihr herunter. Scheinbar hatte sie in den letzten Monaten durch den ganzen Stress etwas abgenommen. Das war ihr gar nicht aufgefallen. Mit der Bitte am morgigen Samstag nochmal wiederzukommen verabschiedete sich das Mädchen und ging die Tür hinaus. Dabei bemerkte sie gar nicht, wo sie hintrat. Mit einem dumpfen Knallen fiel die Tür hinter ihr ins Schloss und Rin stand sprachlos und wie erstarrt da: „W-was… Was ist denn hier passiert?! Wo zum Teufel bin ich?!“ Erst jetzt bemerkte das Mädchen den bodenlangen graubraunen Umhang, dessen Kapuze ihr der Wind vom Kopf wehte: „Und wo kommt der denn her?!“ Panisch drehte sie sich um, doch sie erblickte die Schneiderei, welche sich hinter ihr befinden sollte, nicht mehr. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Stattdessen stand die Blauhaarige in Mitten eines unendlich großen Trümmerfeldes, welches weit und breit menschenleer war. Selbst das Wetter passte zu den Trümmern, denn es waren rabenschwarze Wolken am Himmel zu sehen und in der Ferne konnte man ab und an einen Blitz erkennen, auf welchen kurze Zeit später ein lauter Donner folgte. Abgesehen vom lauten Schimpfen des Himmels und dem zischenden Wind war es mucksmäuschenstill. Staub wirbelte umher und es sah aus, als wolle es jede Sekunde regnen. „Das ist doch ein schlechter Scherz, oder?“, zitterte das Mädchen und umschlang ihren Oberkörper mit ihren Armen, „Was geht hier ab? Das ist ja noch gruseliger als der Traum mit dieser Wasserfolter und diesem creepy Inko mit seinen Tarotkarten.“ Ein erneuter heftiger kalter Windstoß ließ sie noch mehr erzittern und gleichzeitig loshusten, da ihr eine dicke Staubwolke mitten ins Gesicht gewirbelt wurde. Sie musste hier weg. Sie musste wieder aufwachen, damit der Traum sein Ende fand. Aber wie? Schützend zog sie sich daraufhin die Kapuze des Umhanges über den Kopf. „Es ist nur ein Traum… Es ist nur ein Traum…“, immer wieder wiederholte das Mädchen diese Worte und trat einen zittrigen Schritt vor den anderen. Was war hier nur passiert? Befand sie sich noch in Aehara? Und wenn nicht, was war das hier vorher? Etwa eine Stadt? So viele offene Fragen schwirrten in dem Kopf des Mädchens, doch konnte sie nicht eine aufklären. Während sie nach Antworten suchend voranschritt, begann es wie erwartet schließlich zu regnen. Es war ein heftiger Regen, durch welchen Rin sofort triefte. Eilig suchte sie einen Unterschlupf. Irgendeine Trümmer, unter welcher sie sich verstecken konnte. Egal welche. Es dauerte nicht allzu lange, bis sie endlich einen kleinen Unterschlupf zwischen den Brocken fand und in diesen hineinkrabbelte. Völlig fertig mit der Welt plumpste sie auf ihren Hintern und sackte zusammen. „Lass es endlich enden. Ich will aufwachen“, flehte das Mädchen und verkniff sich schwermütig die Tränen. Nachdem sie plötzlich ein leises Wimmern vernehmen konnte zuckte Rin schreckhaft zusammen und sah sich in ihrer Minihöhle um. „Ach du scheiße“, riss sie ungläubig die Augen auf, als sie ein kleines Mädchen im dunkelsten Winkel erkannte. Schnell bewegte sich die Blauhaarige auf die Kleine zu: „Geht es dir gut? Was ist denn passiert? Wo sind deine Eltern? Wie heißt du denn?“ Ohne Pause redete sie auf das Mädchen ein. Zu ihrem Erstaunen sah die Kleine relativ unversehrt und gesund aus. Sie hatte dunkelblondes langes Haar, welches ein wenig bräunlich wirkte. Einen kleinen Teil der Haare hatte sie zu zwei kleinen Zöpfen rechts und links gebunden. Die restlichen Haare hingen offen herunter. Die Augen der Blonden konnte Rin nicht erkennen, da sie die ganze Zeit damit beschäftigt war sich die Tränen wegzuwischen. Sie trug ein helles Kleid, welches zu Rins Erstaunen sehr sauber und unversehrt war. Erst jetzt fiel der Blauhaarigen auf, dass auf dem Schoß der Weinenden ein Vogel lag. Er war blau-schwarz und schien entweder zu schlafen oder er war… Rin schluckte. „He, nicht weinen“, versuchte sie die Kleine sanft zu beruhigen. Ein klein wenig half es, denn sie begann nun endlich mit zittriger Stimme etwas zu sagen: „Oni-san… er hat gesagt, dass du kommst.“ Verwirrt legte die Angesprochene den Kopf schief und verstand nicht recht: „Wer? Woher will er das wissen?“ Während die Blond sich mit der rechten Hand weiterhin das tränende Auge rieb, streckte sie die linke Faust in Rins Richtung: „Hier. Er hat gesagt, dass du es holen kommst.“ Immer noch nichtsahnend mustere Rin ihr Gegenüber und hielt zögerlich ihre Hand unter die Faust der Kleinen. Daraufhin ließ sie einen blauen tropfenförmigen Edelstein, welcher an einer Kette hing, los. Er purzelte in die Hand der Blauhaarigen. „Okay?“, musterte diese das Ding, „Und was soll ich damit?“ Weiter kam sie nicht, denn plötzlich bewegte sich einer der Trümmer über den beiden Mädchen. Die Ältere konnte grade noch so die Blonde packen und mit ihr aus der provisorischen Höhle flüchten. Im selben Moment fielen die massiven Gesteinsbrocken zusammen und die kleine Lücke war geschlossen. Schnell steckte sie den blauen Stein in ihre Hosentasche. Mit dem Mädchen im Arm und dem leblos wirkenden Vogel rannte Rin nun durch den strömenden Regen: „Keine Sorge, ich werde einen neuen Unterschlupf finden. Dir wird nichts passieren.“ Ihren Worten schenkte sie selbst kaum Glauben, doch konnte sie das dem kleinen Mädchen nicht offenbaren. Nach einer Weile entdeckte sie eine Tür, welche in ein Haus führte. Na ja, es war weniger ein Haus, mehr ein Haufen Gesteinsbrocken, unter welchem offenbar ein Erdgeschoss erhalten geblieben war. Ohne nachzudenken drehte Rin den steckenden Schlüssel in der Tür herum und setzte einen Fuß in den dunklen Raum. Plötzlich wurde sie in ein grelles Licht gehüllt, welches sie taumeln und zu Boden stolpern lies. Das Mädchen in ihren Armen begann sich langsam aufzulösen und verschwand vollends. Allein der merkwürdige Vogel blieb übrig. Dieser strahlte nun auch ein grelles Licht aus und Rin musste sich die Hände vor die Augen halten, um nicht zu erblinden. Kaum eine Sekunde später spürte sie etwas Schweres auf sie fallen und vernahm im gleichen Moment viele Menschenstimmen. Sofort riss das Mädchen die Augen auf und entdeckte die Fußgängerzone und die Schneiderei in welcher sie vor kurzem noch war. Ein dicker Felsbrocken fiel ihr vom Herzen und erleichtert atmete sie auf. Der fürchterliche Tagtraum war endlich zu Ende und diesen merkwürdigen Umhang war sie auch wieder los. Es dauerte kurz bis Rin endlich realisierte, dass quer über ihrem Schoß ein kleiner Junge lag. Er schien bewusstlos zu sein. „Ach du kacke“, zuckte die Blauhaarige zusammen, „Wo kommst du denn her?“ Der kleine Mann war vielleicht schätzungsweise acht bis zehn Jahre alt und hatte schwarz-hellblaue wuschelige Haare. Am Ansatz schwarz und die Unteren hellblau. Außerdem sah er sehr mitgenommen und verschrammt aus. Nicht nur seine Kleidung war komplett zerfetzt, nein, er hatte auch überall Verletzungen am Körper. Was war bloß mit ihm geschehen? Durch sanftes Rütteln konnte sie den Schwarz-blauhaarigen wecken woraufhin sie von zwei dunkelgrauen Augen erschöpft angesehen wurde. Einige Fußgänger blieben schon stehen und musterten den Ort des Geschehens neugierig, doch keiner kam auf die Idee Hilfe anzubieten oder einen Krankenwagen zu rufen. „Keine Sorge Kleiner, ich rufe dir einen Krankenwagen“, wollte Rin soeben in ihrer Tasche kramen, um ihr Handy zu suchen. „Nein“, ergriff er panisch ihren Arm, „Ich komme schon klar. Mach dir keine Sorgen.“ „Das glaube ich wohl kaum“, keifte sie ihn an, „Wer bist du? Wo wohnst du? Wo sind deine Eltern? Ich werde dich zu ihnen bringen.“ Etwas schwermütig stand der kleine Mann auf und klopfte sich den losen Dreck von der Kleidung: „Ich bin Skye. Und rede nicht so viel Blödsinn. Ich hab doch gesagt mach dir keine Sorgen. Außerdem wirst du meine Eltern nicht finden.“ Leicht lachte er, ehe er sich in Bewegung setzen wollte, um zu gehen. „Hey, warte!“, sprang das Mädchen auf und wollte ihm hinterher, „Lass mich dir doch helfen Skye-kun. Glaubst du echt, dass ich mich so leicht abwimmeln lasse?“ „Ja das glaube ich“, kam es trocken zurück, „Und jetzt lass mich zufrieden. Ich muss dringend jemanden finden.“ Leicht humpelnd verschwand der kleine Junge in der Menschenmasse und Rin schaute ihm wie angewurzelt hinterher. „Skye… Komisches Kind“, kratzte sich Rin am Kopf, „Dafür, dass er so klein ist benimmt er sich ganz schön erwachsen. Und stur! Ich kapiere gar nicht wie er sich mit diesen Verletzungen überhaupt noch bewegen kann. So ein Idiot. Soll er doch machen was er will.“ Beleidigt verschränkte sie ihre Arme vor der Brust, während sie nochmal an ihren Traum denken musste. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie von oben bis unten klitschnass war. Etwa durch den heftigen Regen? „Was?! War das vielleicht doch kein Traum? Unmög…!“, stockte sie und geriet plötzlich komplett in Panik, „Hä?! Wohin sind…?! Wieso…?!“ Rin schaffte es nicht einen Satz zu ende zu bringen, als sie völlig hysterisch ihren Brustbereich abtastete. „Weg…!“, erstarrte sie abrupt. Durch ihre lauten panischen Ausrufe zog sie mittlerweile erneut die neugierigen Blicke der Passanten auf sich. Diese mussten sich sicherlich bereits denken, dass das Mädchen komplett bescheuert war. Mit geducktem Kopf und einem schiefen Grinsen bewegte sich die Blauhaarige nun endlich, um aus der Menschenmasse zu einem ruhigeren Ort zu gelangen. „Ich verstehe gar nichts mehr. Was bitte passiert hier nur?!“, hatte sie kleine Tränen in den Augen. Sie traute sich gar nicht das Ganze genauer unter die Lupe zu nehmen, denn beim Laufen verspürte sie etwas ziemlich Ungewohntes abwärts der Hüfte. Nach nur wenigen Minuten stand sie schließlich außer Atem vor einer öffentlichen Toilette und verschnaufte erstmal, bevor sie in die verlassene Damentoilette ging. Dort angekommen musterte sie sich in dem großen Spiegel, welcher über den Waschbecken hing. „Sie sind wirklich weg“, starrte die Blauhaarige ungläubig in ihr Spiegelbild. Wieder fasste sie sich mit beiden Händen an ihre flache Brust und wusste nicht recht was sie denken sollte. „Oh Gott!“, riss sie plötzlich die Augen auf und griff schlagartig mit beiden Händen nach ihren mittelblauen durchnässten Haaren, welche mittlerweile nur noch schulterlang waren. Doch ihre Sorge um ihre nun kurze Frisur hielt nur kurz an, denn schnell stützte sie sich mit beiden Händen am Waschbecken ab und hielt ihr Gesicht sehr nahe an den Spiegel. Ein gelbes Augenpaar schaute sie nun an: „Verdammt was ist mit meinen Augen passiert?! Wie ist das überhaupt möglich solche stechend gelben Augen zu haben?!“ Kurz musterte sie diese noch, ehe sie wieder vom Spiegel abließ und besorgt dreinschaute: „Ich verstehe nicht was hier grade passiert. Wer bin ich? Wann habe ich mir die Haare abgeschnitten? Wo sind meine blauen Augen hin? Und was zum Teufel ist da in meiner Hose?!“ Mit einer Mischung aus Angst und Wut schloss Rin sich mit knallender Tür in einer der Toilettenkabinen ein und zog sich blitzartig die Hose herunter. Plötzlich vernahm man nur noch ein grelles ohrenbetäubendes Schreien, welches selbst die Vögel in den Baumkronen verjagte. Sekunden später stiefelte Rin mit purpurrotem Kopf aus der öffentlichen Einrichtung. Mit großen schnellen Schritten und gesenktem Blick lief sie schweigsam davon.   „Was hast du denn schon wieder angestellt? Du solltest doch nur deine Uniform anprobieren gehen“, beäugte Saito seine triefend nasse Schwester, welche soeben den Hausflur betreten hatte. „Die war zu groß. Es hat geregnet und gewittert“, kam es ernst aus der Blauhaarigen. Der Bruder musterte sie mit schiefgelegtem Kopf, da draußen die Sonne schien und kein Tropfen vom Himmel fiel in den letzten Stunden: „Ich glaube der Jetlag kommt grade bei dir durch. Husch husch in die warme Badewanne bevor du dich erkältest.“ „Wer bin ich?“, fragte Rin mit toternster Miene, was ihren Bruder ein wenig erschreckte, jedoch hauptsächlich verwirrte. „Was? Wer sollst du denn sein? Du bist Rin, meine Schwester“, verstand der Blonde die Frage nicht. „Nein“, trat sie näher an ihn heran, „Du musst wohl blind sein. Meine Haare sind plötzlich ab, meine Augen sind krass gelb geworden, meine Brüste sind weg und außerdem ist da… also…“ Mit knallroten Wangen sah sie verlegen zur Seite und hielt sich beide Hände vor den Schritt. Irritiert musterte der junge Mann das Mädchen, ehe er es endlich bemerkte. Es stimmte tatsächlich etwas nicht und er versuchte den Rest des abgebrochenen Satzes der Blauhaarigen zu erörtern: „Was? Außerdem ist da was?“ „Ich… Also…“, verlegen und knallrot blickte sie vorsichtig zum Blonden hinauf. „Rede schon“, rüttelte Saito das Mädchen an den Schultern, „So wortkarg kenne ich dich doch gar nicht. Was ist denn passiert?“ Tränen bildeten sich in ihren gelben Augen: „Ich weiß es nicht, aber ich bin nicht mehr ich. Da waren das unendliche Trümmerfeld und ein kleines Kind. Dann kam ein Gewitter auf und durchnässte uns alle. Als ich von dem Traum aufgewacht bin, war ich plötzlich ein Junge!“ Man merkte richtig, wie Rins Stimme immer lauter und zittriger wurde. Die Tränen flossen nun unaufhörlich und es war fast unmöglich gewesen für sie überhaupt noch etwas zu sehen. „Beruhige dich“, versuchte der Blonde erstmal die Situation wieder in den Griff zu bekommen und umarmte seine Schwester feste, „Natürlich bist du noch du. Meine kleine Schwester. Es gibt sicherlich für alles eine Erklärung. Ich werde für dich da sein und dem Rätsel auf die Spur gehen.“ Die beruhigenden Worte des jungen Mannes machten dem Mädchen wieder etwas Hoffnung und langsam konnte sie sich ein wenig beruhigen. Trotz allem wollte Saito erstmal das Phänomen genauer begutachten, um sicherzugehen, dass Rin nicht wieder irgendetwas dämliches ausgeheckt hatte. Wobei er zugeben musste, dass er kaum glaubte, dass sie plötzlich so ein perfektes Schauspiel hinlegen konnte für einen dummen Streich.   „Kann ich die Augen wieder aufmachen?“, kam es zögerlich von der Blauhaarigen. Sie stand mit umgebundenem Handtuch und ihrem Bruder im Badezimmer, während sie sich beide Hände vor die Augen hielt. Saito schnaubte, als er ihre Haare trockenföhnte: „Du solltest sie nie zumachen. Das habe ich jetzt schon tausendmal gesagt.“ „Aber…“, haderte Rin. „Mach sie endlich auf. Was soll denn bitte passieren?“, meckerte der Blonde, „Ich bin doch nicht dein Babysitter.“ Wortlos ertrug sie die provozierenden Worte ihres Bruders, denen sie normalerweise sofort Kontra gegeben hätte, nahm die Hände herunter und sah mit roten Wangen betrübt zur Seite. Ihr Bruder hatte darauf bestanden, dass sie sich warm abduscht, damit sie sich keine Erkältung einfing. Allerdings gestaltete sich das schwieriger als gedacht, denn Rin wehrte sich demonstrativ dagegen, weshalb der junge Mann das übernehmen musste. In der ganzen Zeit hatte das Mädchen sich die Hände vor die Augen gehalten und ihm das Leben schwer gemacht. Dazu kam noch, dass sie sowieso sehr allergisch auf größere Wassermengen reagierte, was ihre verängstigte Reaktion nicht unbedingt besserte. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die Beiden schließlich wieder aus dem Badezimmer heraus. Rin schmiss sich daraufhin geistesabwesend auf ihr Bett. Saito hingegen stieg die Treppe hinab, nachdem er seiner kleinen Schwester noch ein paar aufmunternde Worte mitgab. Er wollte in der Bibliothek die Bücher wälzen und nach Antworten suchen. Insgeheim machte er sich wohl die größten Sorgen um Rin, was er allerdings nicht vor ihr zugeben konnte. Natürlich war Saito ebenfalls in totale Panik verfallen, aber das konnte er seiner aufgelösten Schwester nicht auch noch antun. Irgendwer musste ja einen klaren Kopf behalten. Er konnte nur absolut nicht verstehen was hier vor sich ging und wie er diese merkwürdigen Ereignisse wieder rückgängig machen konnte. Fragen konnte er auch niemanden. Dazu war die ganze Geschichte zu surreal und absurd. Eher würden sie ihn für verrückt erklären und einweisen. „Hoffentlich geht’s ihr einigermaßen gut“, klappte er schnaubend eines der Bücher zu und sah aus dem Fenster der Bibliothek.   Da Rin vom Tag und der ganzen Reise total im Eimer war, dauerte es auch nicht lange, bis sie sich schlussendlich im Traumland befand. Zwar wälzte sie sich noch einige Male hin und her, doch wachte sie davon nicht wieder auf.   Velvet Room   Schon wieder hörte ich das plätschernde Wasser und diese sanfte Melodie. Dazu noch der Geruch nach frischem Regen… Panisch riss ich die Augen auf und stand wie erwartet wieder knöcheltief im Wasser dieser blauen Folterkammer. „Boah ne!“, meckerte ich. „Nette Begrüßung“, ertönte eine kindliche Stimme. Ich erkannte darin aber einen verstimmten Unterton. Sofort sah ich mich um und blickte in ein gelbes Augenpaar, die einer kleinen Knirpsin gehörten. Sie war einen ganzen Kopf kleiner, stand allerdings breitbeinig mit verschränkten Armen vor mir und starrte mich an. Fasziniert von ihrem leicht wuscheligen und langen platinblondem Haar musterte ich sie. Sie hatte sie zusammengebunden, aber dennoch konnte ich sehen, dass sie ihr bis zum Knie ragten. So eine Haarfarbe war wirklich sehr selten. Auf dem Kopf trug sie eine blaue Mütze mit einem kleinen schwarzen Schild und an den Armen blaue Armstulpen welche an ihrem blauen Oberteil festgeklippt waren. Dieses war in eine schwarze kurze Hose gesteckt und die wiederum wurde von schwarzen Hosenträgern gehalten. Darunter trug sie eine blau-schwarz-weiß karierte Leggings und schwarze Schuhe bis über den Knöchel. Außerdem hatte sie sich einen weißen Schal umgebunden und trug zudem einen weißen Gürtel lässig über der Hose. In ihrer Hand hielt sie ein Tablet. „Und wer bist du, Kleine?“, fragte ich irritiert. „Wer ist hier Klein? Ich bin eine Bewohnerin des Velvet Rooms“, begegnete sie mir harsch, „Mein Name ist Jayce.“ „Aha“, interessierte es mich eigentlich wenig und ich schaute mich weiter im Raum um, da ich diesen komischen Vogel suchte. Kaum hatte ich ihn gefunden, stapfte ich eilig durch das Wasser zu ihm: „Inko!“ „Willkommen, werter Gast“, begrüßte er mich freudig. Genervt stützte ich meine Hände auf seinem Tisch ab und kam ihm näher: „Unser Gespräch vom letzten Mal war noch nicht zu Ende!“ „Was fällt dir eigentlich ein so mit meinem Meister zu sprechen?!“, zog mich die Göre am Shirt zurück, „Und was heißt hier Inko? Sein Name ist Igor! IGOR!“ Um es mir einzuhämmern sagte sie es nochmal mit Nachdruck, doch eigentlich interessierte mich auch sein Name wenig. Ich wollte einfach nur endlich wissen was hier gespielt wurde. „Hey, du weißt doch bestimmt was hier abgeht und wieso ich plötzlich zu einem Jungen geworden bin, oder?“, ignorierte ich die Kleine und sprach zu dem alten Mann. „Wie mir scheint, hat deine Reise begonnen“, sprach er wieder wirres Zeug, „Wirf doch mal einen Blick in deine Hosentasche.“ Verwirrt griff ich in die beiden Taschen meiner kurzen Hose, welche ich frisch zum Schlafen angezogen hatte. Was sollte denn da drin sein? „Eh?“, war das einzige was mir über die Lippen kam, als ich aus meiner linken Tasche einen goldenen Schlüssel und diesen blauen Edelstein zog. Wie kamen die beiden Dinge nur in meine Tasche? Vor allem fragte ich mich, was das für ein Schlüssel war. Zu welcher Tür gehörte er bloß? Angestrengt dachte ich nach, da er mir sehr bekannt vorkam, jedoch kam ich auf keinen Nenner. „Für was ist denn dieser Schlüssel gut?“, musterte ich das Ding immer noch. Igor grinste: „Er wird dir Türen in neue Welten öffnen.“ „Was?“, sah ich ihn genervt an, „Dieses Rätselraten nervt!“ „Du wirst schon sehen wohin er dich zu führen vermag“, bekam ich nur als Antwort, was mir auch nicht wirklich weiterhalf. Und was es mit diesem Stein auf sich hatte durfte ich mir dann wohl auch selbst zusammenreimen.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)