Liebe, Lüge, Wahrheit von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 40: Zwickmühle ---------------------- August 1782   Ein Hieb nach rechts, nach links, abwehren und unter dem großen und wesentlich stärkeren Arm des Angreifers ducken. Augustin beherrschte die Fechtkunst fast perfekt. Nur noch etwas und dann würde er einen echten Degen in der Hand halten dürfen. Sein Erzieher war sehr stolz auf ihn – sein Großvater dagegen eher zufrieden. General de Jarjayes fand immer Mängel in der Haltung und korrigierte ihn mürrisch. Heute jedoch hatte ihn General de Jarjayes noch nicht besucht. Wenn Augustin es sich genauer überlegte, lag der letzte Besuch seines Großvaters fast eine Woche zurück.   „Augustin!“ Die Stimme von Graf de Girodel riss ihn aus den Gedanken und sein Übungsschwert wurde mit einem Mal aus der Hand geschlagen. Er hatte sich nicht verletzt, es hatte ihm nicht einmal weh getan – er war nur abgelenkt und das kostete ihm sein Übungsschwert. „Verzeiht.“, murmelte Augustin und hob seine Waffe vom Boden. „Revanche?“   „Nein, für heute ist es genug.“ Victor konnte sich schon vorstellen, weshalb sein Schutzbefohlener abgelenkt war und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Hast du wieder an deine Eltern und deinen Bruder gedacht?“   Augustin nickte und sah ihn mit schimmernden Augen an. Aber er weinte nicht, denn das galt als Schwäche und gehörte nicht zu seiner Erziehung. „Wann wird Großvater mir erlauben sie zu sehen?“ Dabei dachte er an jenen Abend, an dem er seine Eltern ein einziges Mal sehen konnte, während der Himmel in den bunten Farben des Feuerwerks erleuchtet war.   Wenn es nach Victor ginge, hätte er den Jungen schon längst auf sein Pferd gehievt und höchstpersönlich zu Lady Oscar gebracht. Allerdings, die Drohung von General de Jarjayes, dass er alle büßen lassen würde, hielt ihn davon ab. Er wollte nicht, dass Lady Oscar etwas passierte. Das Gleiche galt für François und nun auch für Augustin und er befolgte aus diesem Grund die Anordnung des Generals gezwungenermaßen. Die beiden Brüder waren ein Teil von Lady Oscar und für ihn wie eigene Söhne, die er nicht hatte. Victor strich sachte durch die dunkelblonden Locken von Augustin und lächelte matt, um ihn zu beruhigen. „Du wirst deine Eltern und deinen Bruder schon bald sehen können, mein Junge. Hab nur noch etwas Geduld.“   Geduld? Wie lange noch sollte er sich gedulden? Seit einem Jahr lebte er bereits hier und hörte immer die gleiche Antwort. Warum nur? Das verstand Augustin nicht und ärgerte sich. Geduld gehörte anscheinend nicht zu seiner Stärke. War das bei François auch so? Er wusste zwar von Graf de Girodel, dass sein Bruder einen ruhigen Charakter hatte, aber das musste nicht gleich bedeuten, dass sie unterschiedlich waren. Sie waren doch Zwillinge und teilten die gleichen Gefühle wie Schmerz, Traurigkeit oder Freude. Augustin hatte schon oft den seltsamen Stimmungswechsel bei sich mitbekommen und dachte dabei an seinen Bruder und was dieser wohl in dem Moment machte.   Ein Empfangsdiener kam in den Salon des Grafen und meldete Besuch. „Monsieur, General de Jarjayes ist gerade eingetroffen und...“ Er sprach nicht einmal zu Ende, als der besagte General mit wütendem Gesichtsausdruck an ihm vorbei marschierte und geradewegs auf Graf de Girodel zu steuerte. „Wir müssen uns unterhalten!“, sagte er nach einem knappen Gruß im barschen Ton.   „Gewiss.“ Girodel gefiel dieser Zorn im Gesicht des Generals und dessen verärgerter Unterton in seiner rauen Stimme nicht. Aber er lud ihn dennoch zum Tisch ein und wappnete sich innerlich auf eine schlimme Nachricht. „Möchtet Ihr ein Glas Wein?“   „Nein, danke.“ Der General setzte sich auf den Stuhl, der am nächsten am Tisch stand. Sein strenger Blick fixierte eindringlich seinen Enkel. Augustin murmelte so etwas wie „Herzlich willkommen zurück, Großvater“, und rührte sich nicht vom Fleck. Reynier überlegte, ob er ihn fortschicken sollte, aber entschied sich anders. „Ich gratuliere dir, mein Junge. Du hast neben deinem Zwillingsbruder jetzt auch noch eine Schwester.“   „Eine Schwester?“, fragten Girodel und Augustin im Chor.   „Genau.“ General de Jarjayes erhob sich vom Stuhl und baute sich vor Girodel auf. Seine Hände kreuzte er hinter dem Rücken und er formte sie angespannt zu Fäusten. „Deshalb war meine Tochter für drei Monaten beurlaubt!“, knurrte er wie ein bissiger Hund und als wäre der Graf daran schuld. „Wusstet Ihr etwas von ihrer erneuten Schwangerschaft?“   „Nein, ich schwöre es, ich wusste nichts davon!“ Victor musste erst einmal das Gehörte verdauen. Lady Oscar hatte noch ein Kind zur Welt gebracht? Wieso war es ihm aber nicht aufgefallen, dass sie überhaupt schwanger war? „Es hat mich gewundert, dass Lady Oscar so einen langen Urlaub nahm, aber ich habe mir nichts dabei gedacht!“, rechtfertigte er sich wahrheitsgemäß. „Seid Ihr Euch sicher?“   „Ich bin mir mehr als sicher!“ Reynier glaubte ihm. Der besorgte und gleichzeitig erschrockene Gesichtsausdruck des Grafen sprachen schon für ihn. Das hieß also, dass Oscar diesmal es nur mit André durchgezogen hatte, ohne Girodel darin einzuweihen. Der General kehrte dem Grafen den Rücken zu und marschierte im Salon auf und ab. Dabei erzählte er über den angeblichen Fund des Kindes vor seiner eigenen Haustür in der letzten Woche. „...ich komme gerade aus der Normandie. Dort will niemand etwas mitbekommen haben, dass Oscar ein Kind gebar. Aber sie war die ganze Zeit krank und ging nicht aus dem Haus raus, wurde mir gesagt. Dann fuhr sie eines Nachts weg, ohne dass sie jemand sah.“   „Das ist natürlich merkwürdig und sieht Lady Oscar nicht ähnlich.“ Girodel war noch immer ein wenig fassungslos und bangte gleichzeitig um Lady Oscar. Der General würde das sicherlich nicht auf sich ruhen lassen und sich etwas ausdenken, was ihr schaden würde. „Erlaubt mir die Frage, was beabsichtigt Ihr jetzt zu machen?“, fragte er ganz vorsichtig und der General blieb stehen.   Reynier warf ihm einen bösen Blick zu, der einem gefährlichen Habicht vor dem Sturzangriff glich. „Ich begebe mich jetzt zu mir auf das Anwesen und sehe dann weiter! Auf jeden Fall wird Oscar nichts von meinen Erkundungen erfahren und Ihr solltet Eure Zunge auch hüten!“   Wenigstens würde Lady Oscar nicht bestraft oder gar vor der Tür gesetzt werden. Victor atmete in dieser Hinsicht erleichtert auf. „Jawohl, General.“   „Ich habe wirklich eine Schwester?“ mischte sich Augustin ein, sobald eine Sprachpause zwischen den beiden Männern herrschte. Er verstand nicht, warum sein Großvater so verärgert war.   „Ja, du hast jetzt eine Schwester.“ Reynier sah ihn an, als hätte er ihn erst jetzt bemerkt. „In einer Woche komme ich wieder und will deine Fortschritte im Fechten sehen!“ Das glich einem Befehl. Der General verabschiedete sich gleich darauf und ritt geschwind zu seinem Anwesen.       François ging gerade mit seinem Ziehvater in den Stall, um weiter zu lernen, wie die Pferde versorgt wurden, als General de Jarjayes in den Hof einritt und sein Pferd erst vor ihnen zügelte. André hielt sogleich die Zügel und senkte sein Haupt. „Willkommen zurück, General.“   Reynier stieg aus dem Sattel und hätte André am liebsten eigenhändig ausgepeitscht. Allerdings würde er den Grund dafür nennen müssen und das könnte sein Vorhaben mit Augustin gefährden. „Wo ist Oscar?“, fragte er ihn deshalb barsch und mühte sich um Beherrschung.   André jedoch merkte an dem rauen Ton, dass der General missgelaunt war. „Auf ihrem Zimmer.“, sagte er und bekam ein mulmiges Gefühl. Es würde bestimmt um Marguerite gehen. Denn von seiner Grußmutter wusste er, dass der Hausherr von dem Fund des Mädchens nicht erfreut war. Aber was auch immer der General mit Oscar besprechen wollte, ging nur die beiden etwas an. Womöglich würde das ein Gespräch über militärische Angelegenheiten sein, redete André sich ein und versuchte damit das ungute Gefühl zu verdrängen. Er würde später zu Oscar gehen und von ihr alles erfahren. Jetzt jedoch galt es, das Pferd des Generals zu versorgen.   „Gut.“ Reynier kehrte André den Rücken und marschierte ins Haus, als François ihn einholte. „Darf ich mit?“   „Nein, bleib bei deinem Ziehvater und versorge mit ihm mein Pferd!“ Der General ging weiter ohne ihn zu beachten, nahm gleich im Treppenhaus zwei Stufen auf einmal und platzte in Oscars Salon. Seine Tochter überprüfte einige Papiere und trank nebenbei eine Tasse Tee. „Schön dich wiederzusehen, Oscar!“ Er musterte ihre schlanke Figur und fragte sich, wie sie ihre Schwangerschaft überhaupt verbergen konnte.   „Ich freue mich auch Euch zu sehen, Vater.“ Oscar erhob sich vom Stuhl, als er direkt vor ihr stehen blieb und kam gleich zur Sache. „Mir wurde berichtet, dass Ihr über den Vorfall mit dem kleinen Mädchen wisst.“   „Es gibt nichts, was ich nicht weiß, Oscar und ich bin sehr enttäuscht von dir!“, spie der General ihr direkt ins Gesicht und verbarg nicht seinen Zorn darüber.   „Enttäuscht?“ Oscar wappnete sich innerlich auf eine harte Diskussion mit ihrem Vater, aber innerlich versuchte sie Ruhe zu bewahren und zog nur ihre Augenbrauen zusammen. „Aber aus welchem Grund? Nur weil ich es erlaubt habe, dass sie auf dem Anwesen bleibt?“   Nicht nur deswegen, dachte Reynier bei sich und glühte vor Wut, aber meinte stattdessen: „Genau! Ich habe dich nicht dazu erzogen, dass du bei jedem Findelkind weich wirst! Du bist in erster Linie ein Offizier und sollst hartherzig sein!“   „Das stimmt, Vater, und ich bin Euch dankbar, dass Ihr mir die Erziehung eines Mannes zu teil haben ließt. Aber ich bin nun mal eine Frau und...“   „Kein Wort mehr!“ Das reichte! Der General hielt es nicht mehr aus und brachte seiner Tochter mit einer schallenden Ohrfeige zum Schweigen. „Du bringst das Kind fort!“ Er wollte damit erreichen, dass sie mit der Wahrheit herausrückte. Die Wahrheit, auf die er eigentlich schon selbst gekommen war, aber Oscar sollte ja nichts davon wissen. Sonst würde er das mit Augustin offenbaren müssen und das war nicht in seinem Sinne.   Oscar bemühte sich, sich nicht an die brennende Wange nach der Ohrfeige zu fassen und geriet selbst in Rage. „Nein, Vater, Marguerite bleibt hier und ich werde mich um sie kümmern!“   Wie bitte? Seine Tochter wagte es ihm zu widersprechen? Oder waren das die Mutterinstinkte, um ihr Kind zu beschützen? „Du hast ihr schon einen Namen gegeben?“, spie er und die zweite Ohrfeige folgte noch härter als die erste auf die andere Wange.   „Der Name stand auf dem Zettel, der bei ihr im Korb gefunden wurde!“ Oscar schnaufte, ihre Wangen brannten, aber sie behielt ihre Haltung vor ihrem Vater aufrecht. Niemals würde sie ihr Kind verraten und einer Gefahr aussetzen!   Wie, seine Tochter wollte nicht die Wahrheit sagen und stritt lieber mit ihm weiter? Nun, sie war genauso stur und unbeugsam wie er, aber er kannte auch ihre Schwäche. Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. „Dann entscheide dich zwischen dieser Marguerite und François!“   Die Worte trafen Oscar noch härter als die Ohrfeigen. „Was wollt Ihr damit sagen, Vater?“   Nun kommen wir zum Geschäft, dachte bei sich Reynier boshaft und sprach genau das aus, was er eigentlich schon seit einer längeren Zeit vorhatte: Nämlich den Willen seiner Tochter zu brechen und sie gehorsam machen. „Wenn ich François nach meinen Regeln erziehen lasse, dann darf das Mädchen bleiben! Aber wenn du stur bleibst, dann werde ich sie höchstpersönlich von hier fortbringen, ohne dass du es bemerkst!“   Nein, das durfte ihr Vater nicht machen! Oscar zerbarst und es schmerzte schon alleine bei dem Gedanken das Herz. „Das lasse ich nicht zu!“   Reynier schmunzelte hinterlistig, als er den schmerzlichen Ausdruck in den Augen seiner Tochter bemerkte. Er hatte es fast geschafft! „Es liegt alles bei dir, Oscar.“   Was sollte sie tun? Wenn sie weiter ihm die Stirn bieten würde, dann würde er seine Worte in die Tat umsetzen und ihr Marguerite wegnehmen. „In Ordnung, Vater, Ihr dürft François zu einem Soldaten erziehen.“ Diese Entscheidung fiel ihr nicht leicht und schmerzte sehr, aber das hatte sie für ihre Kinder getan und damit ihr Geheimnis noch weiter verborgen blieb.   „So ist es brav, meine Tochter, jetzt bin ich wieder stolz auf dich.“ Reynier hatte zwar die Wahrheit aus ihr nicht rausbekommen können, aber dafür hatte er sie wieder in seiner Gewalt. Somit würde Oscar nicht mehr tun und lassen können, was sie wollte. Mit zufriedenem Lächeln auf den Lippen verließ er ihren Salon und machte François im Stall ausfindig. Er versorgte noch immer die Pferde mit André. „François, mein Junge, du bist schon groß genug und wirst deshalb Umgang mit dem Degen und anderen Waffen erlernen. André und Oscar werden deine Lehrer sein, bis ich für dich einen Fechtpartner gefunden habe.“   François strahlte über das ganze Gesicht. Die Vorstellung, einen Gefährten und Fechtpartner zu haben, war einfach schön! „Danke, General!“ Er schaute nach seinem Ziehvater, aber dieser hatte bereits den Stall verlassen.   André eilte unverzüglich zu Oscar, als der General zu seinem Sohn im Stall gesprochen hatte. „Ist es wahr, dass unser Kleiner zu einem Soldaten erzogen wird?“, fragte er besorgt, schloss die Tür hinter sich und war schon in wenigen Schritten bei seiner Liebsten.   In Oscar brodelte noch immer die Wut. „Mein Vater hat mir keine andere Wahl gelassen.“, spie sie verächtlich und erzählte ihm kurz über seine Worte. „Ich war gezwungen nachzugeben, sonst hätte er uns Marguerite weggenommen.“, beendete sie und lehnte sich an die breite Brust ihres Geliebten.   André überkam selbst eine hilflose Wut  auf den General. Allerdings war ihm gleichzeitig bewusst, dass er nichts würde ausrichten können. Denn sonnst würde ihr Liebesgeheimnis auffliegen und besonders ihre Kinder wären dann in Gefahr. Das dürfte aber nicht passieren! André schloss Oscar in seine Arme, wo sie sich etwas beruhigte und fand selbst ein wenig Ruhe. Sie werden schon die Hindernisse überwinden, denn Hauptsache war, dass sie zusammen waren und es für immer bleiben würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)